Filmanalyse: Nolan - Konrad Kirsch - E-Book

Filmanalyse: Nolan E-Book

Konrad Kirsch

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Beschreibung

Christopher Nolans Werk bildet ein Corpus, aus dessen Analyse sich eine Poetik ableiten lässt. Den Schlüssel dazu stellen THE PRESTIGE und das Skript der Zaubertricks dar. Sämtliche Filme Nolans nach INSOMNIA sind davon geprägt. Der Joker in THE DARK KNIGHT erweist sich als Verkörperung des Neoliberalismus, und mit Bane profitiert in THE DARK KNIGHT RISES ein Populist von der Zerstörung, die dieser anrichtet. inception stellt eine Allegorie aufs Filmemachen dar, die vollständig vom Skript der Zaubertricks bestimmt ist. In INTERSTELLAR und TENET geht es darum, wie die Menschheit auf die Klimakatastrophe reagiert: In INTERSTELLAR bleibt ihr nur die Flucht ins All; in TENET lässt Nolan künftige Generationen, deren Lebensgrundlagen wir zerstören, gegen die Gegenwart zurückschlagen. Weitere zentrale Themen sind unter anderem: der Angriff auf die Kiewer Oper in TENET und der russische Angriffskrieg 2022 gegen die Ukraine; INCEPTION und SOLARIS von Andrej Tarkovskij; die toten Frauenfiguren in Nolans Filmen und Edgar Allan Poes THE PHILOSOPHY OF COMPOSITION; Hieronymus Boschs Gemälde AUFSTIEG DER SELIGEN, die Wiederauferstehung von den Toten und weitere ent-transzendierte Motive in Nolans Filmen; die Flugzeuge in Nolans Filmen; die Evakuierung in DUNKIRK; INTERSTELLAR und Zack Snyders MAN OF STEEL. Ein Exkurs setzt sich mit dem James-Bond-Film SKYFALL von Sam Mendes auseinander. Vor dem Hintergrund des sich wandelnden Geschlechterverhältnisses sucht Bond nach einer neuen Identität. Silvas Homosexualität ist eine Chiffre für Misogynie, und der Femizid an Sévérine rekurriert auf den Tod von Joan Vollmer Burroughs. Dabei wird geklärt, weshalb Bond in Terence Youngs DR NO auf seine Beretta verzichten muss und statt dessen von dem ›Triumvirat‹ Walther PPK, Aston Martin und Wodka Martini durch die Filmreihe begleitet wird. Diese Befunde werden in Beziehung zu den folgenden Bond-Filmen mit Daniel Craig gesetzt.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Konrad Kirsch

Filmanalyse: N O L A N

Die Zukunft schlägt zurück – Der Klimakrieg

in Christopher Nolans tenet

im Kontext seiner bisherigen Filme

nebst einer Abschweifung zu skyfall von Sam Mendes

unter Berücksichtigung von ›William, tell‹ Burroughs

konradkirschverlagkonradkirschverlagkonradkirschverlagkonradkirschverlag

 

Summary: English

The Future Strikes Back – The Climate War in Christopher Nolan's tenet in the context of his previous films with a digression on skyfall by Sam Mendes considering ›William, tell‹ Burroughs

Analysis of the corpus formed by Christopher Nolan's works allows us to derive its poetics. The key to this is provided by the magic tricks script in the prestige. All of Nolan's films from insomnia onwards are influenced by this aspect. The Joker in the dark knight turns out to be the embodiment of neoliberalism, and in the dark knight rises, we see Bane, a populist who benefits from the destruction that his neoliberalism wreaks. inception is an allegory of filmmaking entirely shaped by the script of magic tricks. interstellar and tenet are about how humanity reacts to the climate catastrophe: in interstellar, all that remains for humanity is to flee into space; in tenet, Nolan allows future generations, whose livelihoods we are destroying, to fight back against the present.

Other key themes include: the attack on the Kiev Opera in tenet and the Russian war of aggression against Ukraine in 2022; inception and solaris by Andrei Tarkovsky; the dead female characters in Nolan's films and Edgar Allan Poe's the philosophy of composition; Hieronymus Bosch's painting the ascent of the blessed, the Resurrection and other de-transcended motifs in Nolan's films; the planes; the evacuation in dunkirk; interstellar, and Zack Snyder's man of steel.

A digression is concerned with the James Bond film skyfall by Sam Mendes. Against the background of changing gender relations, Bond is looking for a new identity. Silva's homosexuality is a cipher for misogyny, and the femicide on Sévérine is a reference to the death of Joan Vollmer Burroughs. This includes an explanation of why Bond has to do without his Beretta in Terence Young's dr no and is instead accompanied through his film series by the ›triumvirate‹ of the Walther ppk, the Aston Martin, and the Vodka Martini. These findings are looked at in relation to Daniel Craig's subsequent Bond films.

An English version of this book will follow.

Summary: deutsch

Christopher Nolans Werk bildet ein Corpus, aus dessen Analyse sich eine Poetik ableiten lässt. Den Schlüssel dazu stellen the prestige und das Skript der Zaubertricks dar. Sämtliche Filme Nolans nach insomnia sind davon geprägt. Der Joker in the dark knight erweist sich als Verkörperung des Neoliberalismus, und mit Bane profitiert in the dark knightrises ein Populist von der Zerstörung, die dieser anrichtet. inception stellt eine Allegorie aufs Filmemachen dar, die vollständig vom Skript der Zaubertricks bestimmt ist. In interstellar und tenet geht es darum, wie die Menschheit auf die Klimakatastrophe reagiert: In interstellar bleibt ihr nur die Flucht ins All; in tenet lässt Nolan künftige Generationen, deren Lebensgrundlagen wir zerstören, gegen die Gegenwart zurückschlagen.

Weitere zentrale Themen sind unter anderem: der Angriff auf die Kiewer Oper in tenet und der russische Angriffskrieg 2022 gegen die Ukraine; inception und solaris von Andrej Tarkovskij; die toten Frauenfiguren in Nolans Filmen und Edgar Allan Poes thephilosophy ofcomposition; Hieronymus Boschs Gemälde aufstieg der seligen, die Wiederauferstehung von den Toten und weitere ent-transzendierte Motive in Nolans Filmen; die Flugzeuge in Nolans Filmen; die Evakuierung in dunkirk; interstellar und Zack Snyders man of steel.

Ein Exkurs setzt sich mit dem James-Bond-Film skyfall von Sam Mendes auseinander. Vor dem Hintergrund des sich wandelnden Geschlechterverhältnisses sucht Bond nach einer neuen Identität. Silvas Homosexualität ist eine Chiffre für Misogynie, und der Femizid an Sévérine rekurriert auf den Tod von Joan Vollmer Burroughs. Dabei wird geklärt, weshalb Bond in Terence Youngs dr no auf seine Beretta verzichten muss und statt dessen von dem ›Triumvirat‹ Walther ppk, Aston Martin und Wodka Martini durch die Filmreihe begleitet wird. Diese Befunde werden in Beziehung zu den folgenden Bond-Filmen mit Daniel Craig gesetzt.

Für V., die lieber andere Filme sieht

»Alle Häuser sind verpixelt und die Kinder sind im Bett

Ganz Dubai hochgezogen und Sylt ist endlich weg

Alles erledigt, die Welt ist fertig

Wir bedanken uns für jede Mitarbeit ganz herzlich«

Deichkind

Inhalt

Summaries

Vorbemerkungen

Sehen Sie genau zu!

Are you reading closely?

Das Corpus

Das Unbehagen in der entzauberten Welt

In der Maske eines Dämons

Das Skript der trickreichen Wiederauferstehung

Die Fliege und der Goldfisch

Inception als Film-Allegorie und der Trick als Traumreise

Die rekonstruierte Frau: Hari und Mal

Tod und Auferstehung durch die Kunst

Poes schöne Leichen

Zähne und Gift

Freundschaft, Lügen und aufgedeckte Geheimnisse

Der Überfall auf die Oper von Kiew

Der Neoliberalismus 1: Der Joker

Justitia und Two-Face

Neoliberalismus 2: Die Heilkur des Joker

Der Neoliberalismus 3: Banes Plan

Die Herrschaft des höllischen Assistenten

»Es ist schwer, ein Gott zu sein« 1: Interstellar

Ödipus und Kassandra im Anthropozän

Der Trick als Weltraumreise 1: Brand und Mann

Der Trick als Weltraumreise 2: Kooperation mit der Zukunft

Verkündigung und umgekehrte Pietá

Von Man of Steel zu Interstellar

Die Evakuierung

Das filmische Palindrom in Tenet

»Es ist schwer, ein Gott zu sein« 2: Tenet

Die Zukunft schlägt zurück – der Klimakrieg in Tenet

Kinder und kommende Generationen

Wollt ihr den totalen Trick?

Ausflug an die Riviera

James Bonds Himmelssturz in Skyfall

Film- und Kürzelverzeichnis

Impressum

Verlagshinweise

Vorbemerkungen

Christopher Nolans Filme bilden ein Corpus. Was als knappe Analyse von tenet geplant war, wurde deshalb immer umfangreicher und mündete schließlich in eine Poetik seines bisherigen Werks.1 Der Begriff 'Poetik' impliziert, dass darin bestimmte Themen und Motive wiederkehren, sich zu Mustern verdichten und schließlich einen Komplex formen. Es gibt mehrere Schlüssel, die einen Zugang zu Nolans vielschichtigen Filmen liefern, den zentralen stellt the prestige mit dem Skript der Zaubertricks dar.

Filme sind fast ausschließlich Gemeinschaftswerke. Wenn hier Nolan im Sinne eines auteur genannt wird,2 hat dies vor allem pragmatische Gründe und soll die Leistung der anderen Beteiligten keinesfalls herabsetzen.3 Insbesondere die Beiträge seiner Frau und Co-Produzentin Emma Thomas sowie seines Bruders Jonathan Nolan sind sicherlich kaum zu überschätzen. Dessen Texte, Drehbücher und tv-Serien in die Analyse (stärker) einzubeziehen, wäre aufschlussreich gewesen. Das gleiche gilt für Christopher Priests Roman the prestige (1995), den Film insomnia (1997) von Erik Skjoldbjærg sowie für das Batman-Universum, das sich aus den Comics (ab 1939) von Bob Kane und Bill Finger entwickelte. Sie zu berücksichtigen hätte jedoch in noch größerem Ausmaß den zeitlichen Rahmen gesprengt, den ich mir als Auszeit von einem Projekt über das filmische Werk von Alfred Hitchcock zugestand.4

Aus dem Umstand, dass es in diesem Beitrag keine Abbildungen gibt, folgt die Empfehlung, die Filme von Christopher Nolan (nochmals) anzuschauen. Je öfter man sie sieht, desto faszinierender werden sie.5

Oktober 2022

Sehen Sie genau zu!

Die arenaartige Staffelung der Publikumsränge lässt erahnen, dass das Konzert nicht stattfinden wird. Festlich gekleidete Menschen nehmen Platz, hinter ihnen wird eine schalldichte Konstruktion herabgelassen, die den Konzertsaal wie eine Mauer umschließt. Die Musiker der ukrainischen Nationaloper überprüfen ein letztes Mal ihre Instrumente, bis der Dirigent mit dem Taktstock gegen das Notenpult schlägt. Ein Moment des Innehaltens. Doch in die Stille entfalten sich nicht Harmonien: Harte Schüsse fallen, vermummte Söldner werfen die Musiker brutal zu Boden, zertreten ihre Instrumente und drangsalieren das Publikum. Von außen dringt ein gleichfalls maskiertes Einsatzteam ins Opernhaus und leitet Gas in den Konzertsaal. Einer von ihnen wird sich als der 'Protagonist' (John David Washington) von tenet erweisen. Er evakuiert eine Person aus der Gefahrenzone und sichert einen obskuren Gegenstand vor den Söldnern, die im Dienst des russischen6 Waffenhändlers Andrei Sator (Kenneth Branagh) stehen. Als wären die gleichzeitigen Angriffe zweier bewaffneter Gruppen nicht verwirrend genug, wird dem namenlos bleibenden 'Protagonisten' von einem Unbekannten das Leben gerettet. Einzig über eine kleine Messingscheibe, die an seinem Rucksack baumelt, wird gegen Ende des Films aufgelöst, dass es sich bei ihm um Neil (Robert Pattinson) handelt, der ersten Figur, die das Thema Freundschaft in Nolans Filme einträgt. Um all dies bereits beim ersten Anschauen von tenet zu erfassen, muss man ziemlich genau zusehen.

»Sehen Sie auch genau zu?«7 – mit dieser Frage aus dem Off beginnt Christopher Nolans Film the prestige, der knapp eineinhalb Jahrzehnte vor tenet erschien. Es geht darin um zwei Zauberkünstler, Alfred Borden (Christian Bale) und Robert Angier (Hugh Jackman), deren Konkurrenz sich zu einem tödlichen Konflikt steigert. Sie belauern einander, versuchen, sich gegenseitig auf die Schliche zu kommen, den anderen zu übertrumpfen, sie beobachten genau, was ihr Konkurrent tut, und sabotieren seine Aufführungen. Die Frage aus dem Off – »Sehen Sie auch genau zu?« – ist mehr eine Aufforderung denn eine Frage, und sie unterstellt eine Vereinbarung: dass das Publikum mit der Eintrittskarte zwar den Anspruch auf Amüsement erworben habe, dass es damit aber zugleich die Verpflichtung eingegangen sei, genau zuzusehen.8 Dies transformiert die alte Forderung der Aufklärung, dass Kunst unterhalten dürfe, doch auch zu nützen habe – delectare et prodesse –, und überträgt sie auf die Magieshows. So deutet sich bereits in den ersten Momenten des Films an, dass es in the prestige um mehr als nur um Zauberer und ihre Tricks geht.

Doch welches Publikum wird mit der Frage angesprochen? Zunächst scheinen die Besucherïnnen von Robert Angiers Magieshow gemeint zu sein. Als die Frage aus dem Off zu hören ist, zeigt die Leinwand indes einen Haufen scheinbar achtlos in den Wald geworfener Zylinderhüte. Das einzige Publikum, das zu diesem Zeitpunkt zu sehen ist, ist jenes, zu dem man selbst gehört. Erst nach den Zylinderhüten erscheinen auf der Leinwand die fiktiven Besucherinnen und Besucher von Angiers Aufführung. Die Aufforderung, genau zuzusehen, richtet sich also an das reale Publikum im Kinosaal oder vor dem heimischen Bildschirm. Obwohl damit die Fiktion durchbrochen wird, führt dies zu keinem Entfremdungseffekt, sondern im Gegenteil zu einer größeren Immersion: dem Gefühl, tiefer in den Film einzutauchen. Darin ist strukturell angelegt, was mit den Jahren eine immer größere Rolle in Nolans Filmen spielt: dass es um uns geht.

Die Magieshows stellen eine Allegorie auf den Film dar: auf das Kino mit seiner Magie im allgemeinen, auf the prestige im besonderen,9 vor allem aber werden sich die Zaubertricks als ein Schlüssel zu jenen Filmen Christopher Nolans erweisen, die auf insomnia folgen. Nach einer Schwarzblende erklärt John Cutter (Michael Caine) das Skript der Zauberkunststücke oder zumindest das, was das fiktive Publikum in the prestige davon zu sehen bekommt. Cutter konstruiert raffinierte Apparate für die Aufführungen der Magier und ist daher für eine solche Aufklärung prädestiniert. Zugleich referiert sein Name auf das Medium Film, da 'Cutter' auf den 'cut', den Filmschnitt, und die Montage verweist, durch die aus dem belichteten Material erst ein Film wird.10 Während Cutters Ausführungen ist das Publikum mindestens verdoppelt: Auf der Bildebene lässt er zur Freude eines kleinen Mädchens einen Kanarienvogel verschwinden und wieder erscheinen; seine Stimme kommt gleichfalls aus dem Off und richtet sich, so scheint es in diesem Moment, nicht an das Mädchen, sondern wie die Eingangsfrage an uns, die Betrachterïnnen von the prestige. Zusätzlich sind in Cutters Darlegungen die Vorgänge während jener Zaubershow montiert, die das fiktive Publikum besucht und die seine Erläuterungen illustrieren, ergänzen, vor allem jedoch konterkarieren. Bereits diese ersten Momente von the prestige machen deutlich, wie komplex Nolans Filme sind und mit welch scheinbarer Leichtigkeit er diese Komplexität umsetzt.

»Jeder Zaubertrick«, so Cutter nach einem – cut –, »besteht aus drei Akten oder Phasen. Im ersten Teil wird das Thema vorgestellt. Der Magier zeigt Ihnen etwas ganz Gewöhnliches: ein Kartenspiel, einen Vogel oder eine Person. Er zeigt Ihnen dieses Objekt. Vielleicht bittet er Sie auch darum, es zu inspizieren. Damit Sie sehen können, dass es wirklich echt, ja, unverfälscht und normal ist. Doch natürlich ist es das wahrscheinlich nicht. […] In der zweiten Phase geschieht der Effekt. Der Magier nimmt das gewöhnliche Objekt und lässt damit etwas Außergewöhnliches geschehen. Nun suchen Sie nach dem Geheimnis, aber Sie werden es nicht finden. Denn natürlich ist es so, dass Sie nicht wirklich hinsehen. Sie wollen es eigentlich gar nicht wissen. Sie wollen sich täuschen lassen«. Obwohl das Publikum passiv erscheint, ist dies sein Anteil an der Aufführung: Sein Wunsch, unterhalten zu werden, ist derart groß, dass es sich dafür gerne täuschen lässt. Nolan diagnostiziert bei ihm also eine anti-aufklärerische Tendenz, da es zumindest für die Dauer der Show in die, um mit Immanuel Kant zu sprechen, »selbstverschuldete Unmündigkeit« zurückkehrt, aus der ihm die Aufklärung einst einen »Ausgang« gewiesen hatte.11 Dem Publikum geht es allerdings nicht allein um Zerstreuung, dahinter steht vielmehr ein tieferes Bedürfnis.

Das rationale Denken in der Moderne bewirkt einen enormen Fortschritt auf nahezu allen Gebieten. Doch Max Weber konstatiert, dass damit »die Entzauberung der Welt«12 einhergeht. Seine Formulierung deutet an, dass mit der wissenschaftlich-technischen Entwicklung auch etwas unwiederbringlich verloren geht. Die nostalgische Sehnsucht danach bedienen die Magieshows: In ihnen können sich die Besucherïnnen der Illusion hingeben, die Welt würde wenigstens für die Dauer der Darbietung erneut verzaubert. Dies erklärt den skeptischen Unterton der Frage »Sehen Sie auch genau zu?«, denn ihr aufklärerischer Impetus steht dem Wunsch nach Regression gegenüber: »Sie wollen sich täuschen lassen«. Die Sehnsucht nach ›Wiederverzauberung‹ bildet die Geschäftsgrundlage der Magier und lässt sie reich werden. Ironischerweise greifen sie bei ihren Darbietungen auf Mittel just jener Welt zurück, der ihr Publikum entfliehen möchte (eine Konstellation, die an die dialektik der aufklärung, 1944, von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno denken lässt). Die Opposition, in der sich der Wunsch nach Regression und das Streben nach Aufklärung gegenüberstehen, macht deutlich, dass aus dem Sowohl-als-auch des delectare et prodesse in the prestige ein Gegensatz geworden ist.

Cutter führt den psychologischen Wirkmechanismus der Zauberkunststücke weiter aus: Der Magier hat das Objekt verschwinden lassen. »Aber noch applaudieren Sie nicht. Denn etwas verschwinden zu lassen, ist nicht genug. Man muss es auch zurückbringen. Aus diesem Grund hat jeder Zaubertrick einen dritten Akt, den schwierigsten Teil, das Finale. Man nennt ihn Prestigio«.13 Die Zaubernummer scheint lediglich eine kunstvolle Täuschung zu sein, die das ›Unbehagen in der entzauberten Welt‹ ein wenig lindert. Das wirkt zunächst harmlos, weil dabei niemand ersichtlich zu Schaden kommt. Doch Cutter erläutert nur das, was die Besucherinnen und Besucher zu sehen bekommen, hinter den Kulissen geht anderes vor sich. Auf dem Weg dorthin begegnet Alfred Borden einem blinden Bühnenarbeiter, dessen Blindheit die des Publikums spiegelt. Während Cutter über den letzten Teil des Zaubertricks mit etwas Pathos verkündet »Man nennt ihn Prestigio«, ist das, was unter der Bühne geschieht, alles andere als harmlos: In der zweiten Phase der Vorführung scheint es, als löste sich Robert Angier unter den Blitzen und Lichtbögen seines magischen Apparats in Luft auf. Tatsächlich verschwindet er durch eine Falltür im Bühnenboden und stürzt in einen Wassertank, dessen Verschluss über ihm zuschnappt. Es gibt kein Entrinnen daraus, panisch schlägt der Ertrinkende gegen die Glasscheibe des Bassins. Borden sieht seine Not und versucht, die Scheibe einzuschlagen, aber umsonst. Durch den Tumult, den das auslöst, unterbleibt dieses Mal das Prestigio, in dem ein Duplikat von Robert Angier gleichsam aus dem Nichts im Saal erschienen wäre. Hätte die Aufführung wie geplant stattgefunden, wäre der Tod unter der Bühne unbemerkt geblieben, und das Publikum hätte die scheinbare Wiederkehr des Magiers bestaunt. Das Prestigio markiert also nicht nur den Höhepunkt des Zauberkunststücks, es täuscht auch darüber hinweg, dass dabei jemand ums Leben kommt.

Damit wird der ›Wiederverzauberung der Welt‹ ein Preis zugewiesen: Die Illusion mag zwar Glanz verbreiten und freudiges Erstaunen hervorrufen, aber indem Nolan den Ertrinkenden zeigt, präsentiert er die schmutzige Seite des Tricks. Umgekehrt weist es auf den prodesse-Aspekt in seinem Werk hin, dass Borden Zeuge des Mordes wird und versucht, das Leben seines Kontrahenten zu retten. Doch da auch er die Vorgänge nicht durchschaut, wird Borden wegen seines Konflikts mit Angier für denjenigen gehalten, der schuld an dessen Tod ist. Es ist also nicht allein so, dass das Publikum regrediert und nicht wahrnimmt, welch Grauen sich hinter dem schönen Schein des Prestigios verbirgt. Zusätzlich wird statt des Mörders derjenige angeklagt und schließlich hingerichtet, der Nachforschungen anstellt, die zu einer Aufklärung im konkreten wie im übertragenen Sinne hätten führen können.

Nach einem weiteren Filmschnitt erklingt eine andere Stimme aus dem Off. Nun wird aufgelöst, an wen sich Cutters Erläuterungen richten: weder an das kleine Mädchen, weder an die Besucherïnnen der Show, noch an uns, sondern an das Gericht, vor dem Borden der Prozess gemacht wird. »Prestigio«, unterbricht der Staatsanwalt (Jim Piddock) Cutters Ausführungen. »Und ist Robert Angier, Der Große Danton, Ihr Arbeitgeber, an jenem Abend zu diesem letzten Teil seines Tricks gekommen? – Cutter: Nein, Sir. Etwas ist schiefgelaufen. – Staatsanwalt: Und was?«.14 Statt einer Antwort setzt der eigentliche Film ein. Auf diese Weise vollendet the prestige den unterbrochenen Zaubertrick und bildet so selbst jene dritte Phase, von der Cutter spricht.15

Are you reading closely?

(Zauber-)Tricks gehören fast vom allerersten Moment an zum Film. Am 28sten Dezember 1895 – also ungefähr zur jener Zeit, in der the prestige spielt – präsentierten die Gebrüder Auguste und Louis Lumière das neue Medium erstmals der Öffentlichkeit. Während sie den Film quasi-dokumentarisch verwendeten, setzte schon ihr Zeitgenosse Georges Méliès vielerlei Tricks ein, um seinem Publikum Phantastisches und nie zuvor Gesehenes darzubieten.16 In un homme de têtes (1898) beispielsweise vervielfältigt er mittels Mehrfachbelichtungen seinen eigenen Kopf und singt gemeinsam mit seinen Doubles ein mehrstimmiges Lied. Schließlich eliminiert er die nicht ganz Noten-sicheren Kopien seiner selbst, und bevor der kurze Film endet, ersetzt er noch rasch den aktuell auf seinem Hals befindlichen Kopf durch einen ihm genehmeren. Oder er lässt in escamotage d'un dame chez robert-houdin (1896) gleich einem Magier eine Assistentin verschwinden, als wollte er die Analogie von Zaubernummern und Trickeffekten im Film illustrieren.17

Vordergründig geht es allein in the prestige um Zauberkunststücke, doch das Motiv durchzieht bereits ab batman begins Nolans Werk. Im Gegensatz zu Superman oder anderen Superhelden hat Batman keine übermenschlichen Kräfte und benötigt deshalb allerlei Hilfsmittel, um sich gegen seine Widersacher durchzusetzen. Aufgrund seiner Maskerade, den Gadgets und den Tricks gleichen seine Auftritte denen eines Magiers, der sein ›Publikum‹ – die Kriminellen, zufällige Passanten und Schaulustige – in Erstaunen versetzt. Dies spiegelt sich in den Worten von Henri Ducard alias Ra's al Ghul (Liam Neeson), der zu Bruce Wayne (Christian Bale) sagt: »Theatralik und Täuschung sind machtvolle Instrumente. Du musst mehr als nur ein Mensch im Kopf deines Gegners sein«.18

Da batman begins vor the prestige in die Kinos kam, scheint es unzulässig zu sein, das Zaubertrickmotiv aus dem späteren auf den früheren Film zu beziehen. Doch Darren Mooney legt dar, wie früh sich Christopher Nolan mit Christopher Priests Roman the prestige beschäftigte: »The origins of the cinematic adaptation can be traced back to the earliest days of Nolan's career. […] Producer Valerie Dean brought the novel to Nolan's attention while he was in the uk promoting memento«, der im Jahr 2000 erschien. »[…] The Nolan brothers worked on the skript on and off for about five years, between finishing up insomnia and getting ready to film it following batman begins. This explains in part how Nolan was able to release the prestige only 16 months after batman begins«.19 Das klingt, als lasse sich der Eröffnungssatz des Films auf die Romanlektüre der Nolan-Brüder zurückspiegeln: Are you reading closely?. Die Auseinandersetzung mit Priests Roman erscheint zu lange und zu intensiv, als dass es darin allein um das Drehbuch von Nolans übernächstem Film gegangen wäre. Statt dessen, so meine These, legt sie das gedankliche Fundament, auf dem Nolans Filme nach insomnia basieren. Welchen Anteil Jonathan Nolan daran hat, wissen wohl nur die beiden Brüder. In die These fügt sich ein, dass insomnia nicht recht zu Christopher Nolans übrigen Filmen passt. Es handelt sich dabei um das Remake von Erik Skjoldbjærgs gleichnamigem Film, das Nolan drehte, während er und sein Bruder sich laut Mooney mit Priests Roman beschäftigten. Das Skript der Zaubertricks scheint zu diesem Zeitpunkt noch nicht so weit gediehen gewesen zu sein, dass Nolan damit an die Öffentlichkeit gehen wollte. In dieser Situation ermöglichte es ihm die Arbeit an insomnia, seine technischen wie organisatorischen Fertigkeiten zu erweitern20 und einen respektablen Film vorzulegen – ohne sich, so meine Überlegung, mit ihm vorzeitig inhaltlich profilieren zu müssen. Damit ließe sich erklären, weshalb insomnia zwar die Anmutung eines Nolan-Films hat, inhaltlich aber nur wenige Anknüpfungspunkte mit seinem übrigen Werk aufweist, wohingegen sich zeigen wird, dass die anderen Filme auf vielfältige Weise aufeinander Bezug nehmen. Mit dem anschließenden batman begins – also noch vor dem Magier-Film the prestige – präsentiert Nolan erstmals Teile des Skripts der Zaubertricks, das von nun an sein Werk maßgeblich prägt.

Betrachtet man Nolans Batman-Filme aus dieser Perspektive, lassen sich die Auseinandersetzungen des Dunklen Ritters mit seinen Gegnern als angewandte Zaubernummern beschreiben: Batman ist gewissermaßen der Künstlername, unter dem Bruce Wayne in seinem sorgsam zusammengestellten ›Kostüm‹ seine ›Tricks‹ ›darbietet‹; Gothams finstere Straßen bilden seine ›Bühne‹, und mit seinen ›fesselnden Aufführungen‹ überwältigt er die Bösewichte: »Theatralik und Täuschung sind machtvolle Instrumente. Du musst mehr als nur ein Mensch im Kopf deines Gegners sein«. Auch dass Batman am Ende von Gesprächen immer wieder verschwindet, als hätte er sich mittels Magie in Luft aufgelöst, steht im Kontext der Zaubernummern. Als bei der Verfolgung Krimineller in the dark knightrises Batman erscheint, kommentiert dies ein älterer Polizist (Brent Briscoe) gegenüber einem unerfahrenen Kollegen mit den Worten: »Oh Mann, du kannst dich auf 'ne Riesenshow freuen, Kleiner«.21 Er gibt sich damit als Teil des ›Publikums‹ von Batmans ›Aufführung‹ zu erkennen, zu dem auch James Gordon (Gary Oldman) gehört, der die live im Fernsehen übertragene »Riesenshow« genießt. Umgekehrt zeigt sich die zeitweilige Überlegenheit von Bane (Tom Hardy) darin, dass ihn die Knallkörper, die ihm Batman entgegenwirft, nicht beeindrucken. Er benennt die Grenzen von Ra's al Ghuls Ratschlag: »Theatralik und Täuschung, machtvolle Instrumente bei Uneingeweihten. Doch wir sind eingeweiht, nicht wahr, Bruce?«.22

Für den Joker (Heath Ledger) in the dark knight sind Zaubertricks nur noch Bestandteile eines zynischen Spiels, wie seine Begegnung mit den versammelten Mafiosi Gothams veranschaulicht. Die Stimmung ist aggressiv, da der Joker eine ihrer Banken ausraubte; Gambol (Michael Jai White) sagt zu ihm mit Blick auf einen seiner Schläger: »Sag mir einen Grund, warum ich ihm verbieten sollte, dir den Kopf abzureißen?«. Als wollte der Joker die Atmosphäre auflockern, fragt er zurück: »Wie wär's mit 'nem Zaubertrick?«. Er rammt einen Bleistift in die Tischplatte, den er in Magiermanier mit der Hand umkreist: »Ich lass' diesen Bleistift verschwinden«. Als sich ihm Gambols Mann nähert, schlägt er dessen Kopf blitzartig auf die Tischplatte, sodass der Bleistift ins Hirn des Gangsters eindringt. »Ta-daa!«, ruft der Joker triumphierend aus: »Er ist – verschwunden«.23

Das Corpus

Aufschlussreich ist die Frage, welchem Genre sich Nolans Filme zuordnen lassen. Die ersten drei – following (1998), memento (2000) und insomnia (2002) – werden gemeinhin dem Genre des Neo-Noir zugeordnet.24 Bei batman begins (2005), the dark knight (2008) sowie the dark knightrises (2012) handelt es sich um Comicadaptionen, interstellar (2014) ist ein Science-Fiction- und dunkirk (2017) ein Kriegsfilm. So weit, so eindeutig. Doch bei the prestige (2006), inception (2010) und tenet (2020) fällt die Zuordnung weniger leicht. Mit dem Etikett 'Historienfilm' wäre the prestige ungenügend beschrieben; das gleiche gilt für die Bezeichnung 'Thriller' in Bezug auf tenet. Und inception? Der Film wirkt realistisch, doch sein Realismus ist massiv mit einem phantastischen Moment kontaminiert; ähnliches lässt sich für tenet und the prestige feststellen. Ein Werk, »which makes use of the tropes or techniques of genre science fiction or fantasy, but which is not considered to be genre science fiction or fantasy«, fasst Jeff Prucher mit dem Begriff 'Slipstream'.25 Obgleich er darunter streng genommen nur literarische Texte versteht, ist Pruchers Beschreibung auf Filme übertragbar. Betrachtet man Nolans Werk aus dieser Perspektive, fällt auf, dass mit Ausnahme von dunkirk sämtliche seiner Filme nach insomnia zwischen Realismus und Phantastik oszillieren: interstellar changiert ohnehin zwischen den Polen 'Science' und 'Fiction', und in the prestige, inception sowie in tenet ist der Realismus in Richtung Phantastik erweitert. Aufgrund seiner Herkunft aus dem Superheldengenre ist dem Batman-Stoff das phantastische Element per se eingeschrieben, das Nolan in seinen Adaptionen umgekehrt zugunsten des Realismus etwas zurückdrängt.26 Rechnet man die nicht-linearen Erzählweisen in following und memento ebenfalls zu den phantastischen Elementen, lassen sich auch sie in die Reihe aufnehmen. Zugleich bestätigt dieser Gesichtspunkt die Ausnahmerolle von insomnia unter den rein fiktiven Werken Nolans, da hier das phantastische Element fehlt.

Des weiteren deutet sich über diese Einordnung an, dass seine Filme ein Corpus bilden.27 Das anzunehmen, hat weitreichende Konsequenzen: Jeder einzelne von Nolans Filmen ist für sich genommen zwar faszinierend; gemäß dieser Prämisse ergänzen und erweitern sie einander jedoch, sodass erst ihre synoptische Betrachtung ein tiefergehendes Verständnis seines Werks ermöglicht. Nolans Filmcorpus bevölkern Doppelgänger, Klone, Zwillinge und Figuren mit falschen Identitäten: Der Milliardär Bruce Wayne jagt des Nachts als Batman Verbrecher, und obwohl der Joker unter seiner Maske eine Maske trägt,28 verlangt er ironischerweise von Batman, dass er seine Maske ablege. Aus Harvey Dent (Aaron Eckhart) wird der Psychopath Two-Face, der die Doppelung bereits im Namen trägt. In the prestige teilen sich die Zwillingsbrüder Alfred Borden und Bernard Fallon (Christian Bale) eine gemeinsame Existenz, was sich überdies darin spiegelt, dass ihre Namen beinahe vollständige Anagramme bilden. Der andere Zauberer, Robert Angier, hat als Lord Caldlow ebenso eine zweite Existenz und mit Gerald Root (Hugh Jackman) gleichfalls einen Doppelgänger; außerdem erschafft er im Verlauf des Films dutzende Klone seiner selbst. Die Figur, die in batman begins als Ra's al Ghul (Ken Watanabe) eingeführt wird, ist nur der Strohmann für den echten Ra's al Ghul alias Henri Ducard. Das gleiche gilt für Bane und Sanjay Sing (Denzil Smith), die in the dark knightrises Miranda Tate alias Talia al Ghul (Marion Cotillard) beziehungsweise in tenet der Waffenhändlerin Priya (Dimple Kapadia) als Strohmänner dienen. Schließlich stürmen dort zu Beginn zwei antagonistische Gruppen Maskierter die ukrainische Nationaloper, und der 'Protagonist' kämpft zweimal mit seinem zeitlich invertierten respektive orthochronen Selbst.

Strukturell gilt das gleiche für Figurenkonstellationen, Themen und Motive: zum einen innerhalb eines Films, wo Nolan durch Parallelmontagen zwischen einzelnen Szenen und Sequenzen Bezüge herstellt, zum anderen zwischen den verschiedenen Filmen. Dabei können die Elemente des einen Films in einem anderen internalisiert, externalisiert oder gespiegelt sein. Damit geht einher, dass Nolan tragende Rollen häufig mit denselben Darstellerïnnen besetzt: Michael Caine ist hier zuvorderst zu nennen, aber auch Christian Bale, Kenneth Branagh, Marion Cotillard, Joseph Gordon-Levitt, Tom Hardy, Anne Hathaway, Cillian Murphy, Ken Watanabe und weitere treten mehrfach auf; David Bowie hat eine Rolle in the prestige, und im Abspann von memento ist sein Song something in the air (1999) zu hören. Obwohl es sich bei Nolans Filmen trotz dieser vielfältigen Gemeinsamkeiten und Überschneidungen nicht um Paralleluniversen handelt, gilt für sie, was Neil in tenet festhält: »In der Theorie der Parallelwelten kann man die Beziehung zwischen multiplen Realitäten und dem Bewusstsein nicht kennen«.29

Einige Beispiele mögen die Art der Konstellationen veranschaulichen: Um als Batman den kriminellen Finanzdienstleister Yinglain Lau (Chin Han) aus Hongkong zu entführen, benötigt Bruce Wayne in the dark knight ein Alibi und inszeniert zu diesem Zweck eine Luxuskreuzfahrt mit den Tänzerinnen des Moskauer Balletts. Während er sich nach Hongkong aufmacht, lässt er an Deck der Jacht seinen Butler und Vertrauten Alfred Pennyworth (Michael Caine) mit den jungen Damen zurück, von denen eine Alfred sogleich auffordert, ihr den Rücken mit Sonnenlotion einzucremen. In tenet wird dies in einer Szene invertiert, die sich gleichfalls auf der Jacht eines Milliardärs abspielt. Hier ist es Katherine 'Kat' Barton (Elizabeth Debicki), die ihren russischen Mann Andrei Sator auffordert, sich umzudrehen, damit sie ihm den Rücken eincremen kann. Aus dem älteren Briten und der jungen Russin auf dem einen Luxuskreuzer sind auf dem anderen also eine junge Britin und ein Russe in den besten Jahren geworden. Mit der Figurenkonstellation haben sich allerdings auch die Affekte in ihr Gegenteil verkehrt. Denn Kat hasst ihren äußerst gewalttätigen Mann, und so wird aus der für Alfred angenehmen Situation in tenet ein Mordanschlag: Kat cremt Sator den Rücken ein, um seinen Körper leichter von Bord stoßen zu können, nachdem sie auf ihn geschossen hat.

Ein weiteres Beispiel: In the prestige schenkt Bernard Fallon dem Neffen von Sarah (Rebecca Hall) eine Trickmünze, die auf beiden Seiten das gleiche Bild zeigt. Wenn sie zur Entscheidung per Los geworfen wird, ist mit ihr also der Zufall außer Kraft gesetzt. Als Fallon sie dem Jungen (Anthony DeMarco) präsentiert, intensiviert er die Frage, mit der der Film beginnt: »Siehst du auch genau zu? Noch genauer«. Mit dem Geschenk an ihren Neffen will Bernard die Sympathie und letztlich die Liebe von Sarah gewinnen, was ihm auch gelingt. Über die Münze sagt er dem Jungen: »Zeige das niemandem. Sie werden dich anflehen und dir schmeicheln, damit du den Trick verrätst. Aber sobald du ihn preisgibst, bedeutest du ihnen nichts mehr. […] Das Geheimnis beeindruckt niemanden. Der Trick, für den du es benutzt, der ist alles«.30 Eine solche Trickmünze besitzt auch der Staatsanwalt Harvey Dent in the dark knight, und durch sie gelangte er zu seinem ersten Date mit Rachel Dawes (Maggie Gyllenhaal). So ist in beiden Filmen der Beginn einer Liebe mit einer manipulierten Münze verbunden. In the dark knight ist sie zusätzlich das Zeichen dafür, dass die Geliebte tot ist: Harvey gibt sie Rachel und verrät damit das Geheimnis, wovor Fallon den Jungen warnt. Als Harvey die Münze mit einer rußgeschwärzten Seite von Gordon zurückerhält, weiß er, dass Rachel in dem Brand umkam, den der Joker entfachte. Mit den nun unterschiedlichen Seiten der Trickmünze ist der zuvor durch sie suspendierte Zufall wieder wirksam, und aus dem hoffnungsvollen Staatsanwalt wird der nach dem Zufallsprinzip mordende Two-Face.

Zwischen following und memento lassen sich ebenfalls Korrespondenzen feststellen: In Nolans Debütfilm bricht Cobb (Alex Haw) in fremde Wohnungen ein, weniger um sich zu bereichern, sondern vornehmlich, um etwas über deren Bewohnerïnnen zu erfahren. In memento wendet dies der Protagonist auf sich selbst an: Leonard Shelby (Guy Pearce) leidet an einer Störung des Kurzzeitgedächtnisses, weshalb er anhand der Gegenstände im Hotelzimmer Mutmaßungen über dessen Bewohner, also über sich selbst, anstellt. Während sich Cobb seiner sicher ist und aus psychologischer Neugier die Wohnungen Fremder durchstöbert, ist sich Leonard selbst fremd und muss aus den Indizien der Umgebung sein Selbst erschließen und (re-)konstruieren.

Dass inception massiv auf following rekurriert, ist schon allein daran ersichtlich, dass die Protagonisten beider Filme den gleichen Namen tragen: Cobb.31 Beide Cobbs sind Einbrecher,32 jedoch keine gewöhnlichen:33 Das psychologische Interesse, das Cobb in following zu den Wohnungseinbrüchen und Diebstählen veranlasst, ist in inception dahingehend internalisiert, dass Dominick 'Dom' Cobb (Leonardo DiCaprio) in die Psyche anderer eindringt und ihre geheimsten Gedanken ›stiehlt‹; hier »Extraction«34 genannt. Zusätzlich sind die Einbrüche / »Extraction[s]« künstlerisch konnotiert: In following wird Cobb von dem Schriftsteller Bill (Jeremy Theobald) begleitet, der sich von den Einbrüchen in fremde Wohnungen Material für eine Geschichte erhofft;35 und in inception gelangt Dom Cobb an die Geheimnisse anderer Leute, indem er Storylines erfindet und Traumwelten erschafft.36 Cobb entwendet in following nicht nur etwas, manchmal hinterlässt er in den Wohnungen einen Gegenstand und malt sich die Fragen und Diskussionen aus, die er bei seinen Opfern provoziert. Dieses Detail wird zum zentralen Handlungsmoment von inception, da Dom Cobb mittels der titelgebenden »Inception«37 dem Erben eines mächtigen Konzerns einen fremden Gedanken einpflanzt, um bei ihm gleichfalls eine Aktion auszulösen.

Hierbei handelt es sich allerdings nur um eine von mindestens zwei Lesarten von inception. Die andere verfolgen David Kyle Johnson, Ruth Tallman und Jason Southworth. Die Traumwelten, die Cobb erschafft, kann man verlassen, wenn die vorher festgelegte Zeit abgelaufen ist, man in Wasser stürzt38 oder stirbt. Cobb ist der Ansicht, dass Mal die Realität für einen Traum hielt und Suizid beging, weil sie daraus erwachen wollte. Er fühlt sich schuldig an ihrem Tod, weil er es war, der ihr diesen Gedanken eingab. Indes hört am Ende des Films der Kreisel, mit dem er Traum und Realität voneinander unterscheiden kann, nicht auf, sich zu drehen. Demzufolge ist es nicht Mal, sondern Cobb, der in der Traumwelt verharrt: »Komm in die Realität zurück, Dom«,39 lässt Nolan lange vorher Stephen Miles (Michael Caine) zweideutig sagen. Cobb beharrt darauf, dass er sich in der Realität befindet, und wendet gegenüber Mal ein: »Wenn das mein Traum ist, wieso kann ich ihn dann nicht kontrollieren? – Mal: Weil du gar nicht weißt, dass du träumst!«.40 Gemäß dieser Lesart überwölbt sein Traum den gesamten Film, wohingegen Mal durch ihren Suizid in die fiktionale Realität zurückgekehrt ist.41

Bekanntlich spielt in Nolans Filmen das Motiv der Zeit eine maßgebliche Rolle: In following wird die Handlung achronologisch erzählt; in memento sind Sequenzen chronologisch linear und nicht-linear angeordnet. Die Zeit wird in inception gedehnt: Durch die Verschachtelung mehrerer Traumwelten ineinander vergeht sie auf den ›oberen‹ Ebenen schneller als auf den ›tiefer gelegenen‹, sodass die Figuren auf den verschiedenen Traumlevels unterschiedlich schnell altern. In interstellar wird dies mit der Relativität der Zeit im Weltraum umgesetzt. dunkirk wiederum ist in drei Abschnitte geteilt, deren erzählte Zeit zwar erheblich differiert – 'The Mole': eine Woche, 'The Sea': einen Tag, und 'The Air': eine Stunde –, deren jeweilige Erzählzeit jedoch ziemlich genau zum gleichen Zeitpunkt endet.42 Dies wiederholt die Zeitstruktur der unterschiedlichen Traumlevels in inception, deren Zeitdauer sich von Traumebene zu Traumebene potenziert und die mit dem »Kick«43 alle zum selben Zeitpunkt enden. In tenet schließlich vermögen die Figuren die Zeit umzukehren, sodass sie mit dem Wissen der Zukunft die Vergangenheit verändern können.

Die aufgezeigten Verschränkungen dürften einen Eindruck vermittelt haben, wie Nolans Filme ›funktionieren‹. Durch die Variation eines überschaubaren Pools von Motiven, Themen und Figurenkonstellationen sowie die mehrfach auftretenden Stammschauspielerïnnen erhält so Unbekanntes ein vertrautes Moment, während das scheinbar Vertraute durch die überraschenden Rekombinationen ungewiss wird.

Das Unbehagen in der entzauberten Welt

Max Weber sieht in der »Entzauberung der Welt« eine wesentliche Folge des rationalen Denkens. Der Ausdruck fällt in seinem Vortrag wissenschaft als beruf (1919): »Die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung bedeutet […] nicht eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon oder den Glauben daran: daß man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, daß es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, daß man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Nicht mehr, wie der Wilde«, – gleich uns allen ist auch Weber nur ein Kind seiner Zeit – »für den es solche Mächte gab, muss man zu magischen Mitteln greifen, um die Geister zu beherrschen oder zu erbitten. Sondern technische Mittel und Berechnung leisten das. Dies vor allem bedeutet die Intellektualisierung als solche«.44

In der zitierten Passage geht es um das Verhältnis zur Welt: Mittels des rationalen Denkens macht sie sich der aufgeklärte Mensch transparent und beherrschbar oder er wäre dazu in der Lage (zumindest glaubt er das45). In the prestige und Nolans anderen Filmen geht es dagegen weniger um Welterkenntnis als vielmehr um das Verhältnis der Figuren untereinander. Zwar können auch sie potentiell alles wissen – »Sehen Sie auch genau zu?« –, aber die Illusionen der Magier basieren auf dem Machtgefälle zwischen Wissenden und Nichtwissenden: »Zeige das niemandem«, sagt Fallon, als er dem Jungen die Trickmünze schenkt. »Sie werden dich anflehen und dir schmeicheln, damit du den Trick verrätst. Aber sobald du ihn preisgibst, bedeutest du ihnen nichts mehr. […] Das Geheimnis beeindruckt niemanden. Der Trick, für den du es benutzt, der ist alles«. Denn um die ›entzauberte Welt‹ wieder zu verzaubern, bedarf es des Geheimnisses. Darum begeben sich die Besucherïnnen der Shows bereitwillig in die intellektuell unterlegene Position: »Sie wollen sich täuschen lassen«. Die »technische[n] Mittel« erscheinen ihnen als jene »magischen Mittel[ ]«, von denen Weber spricht. Es wäre ein Kurzschluss, solches auch Nolan attestieren zu wollen: Dass er mit seinen Slipstream-Filmen ebenfalls die Regression des Publikums betriebe, weil sie mit phantastischen – magischen – Elementen operieren. Statt dessen integriert er phantastische Aspekte in seinen aufklärerischen Diskurs, aber nicht einer wie auch immer gearteten Nostalgie wegen (auch wenn die historisierende Anmutung von the prestige dies vermuten lassen könnte), sondern um die Machstrukturen, die mit dem Geheimnis verbunden sind, zu thematisieren und offenzulegen.46

Solch ein Mensch erscheint Sigmund Freud als typisch für die Moderne: »Es klingt nicht nur wie ein Märchen«, schreibt er in das unbehagen in der kultur (1930), »es ist direkt die Erfüllung aller – nein, der meisten – Märchenwünsche, was der Mensch durch seine Wissenschaft und Technik auf dieser Erde hergestellt hat, in der er zuerst als ein schwaches Tierwesen auftrat und in die jedes Individuum seiner Art wiederum als hilfloser Säugling – oh inch of nature! – eintreten muß. All diesen Besitz darf er als Kulturerwerb ansprechen. Er hatte sich seit langen Zeiten eine Idealvorstellung von Allmacht und Allwissenheit gebildet, die er in seinen Göttern verkörperte. Ihnen schrieb er alles zu, was seinen Wünschen unerreichbar schien – oder ihm verboten war. Man darf also sagen, diese Götter waren Kulturideale. Nun hat er sich der Erreichung dieses Ideals sehr angenähert, ist beinahe selbst ein Gott geworden. Freilich nur so, wie man nach allgemein menschlichem Urteil Ideale zu erreichen pflegt. Nicht vollkommen, in einigen Stücken gar nicht, in anderen nur so halbwegs. Der Mensch ist sozusagen eine Art Prothesengott geworden, recht großartig, wenn er alle seine Hilfsorgane anlegt, aber sie sind nicht mit ihm verwachsen und machen ihm gelegentlich noch viel zu schaffen. […] Ferne Zeiten«, prognostiziert Freud, »werden neue, wahrscheinlich unvorstellbar große Fortschritte auf diesem Gebiete der Kultur mit sich bringen, die Gottähnlichkeit noch weiter steigern. Im Interesse unserer Untersuchung wollen wir aber auch nicht daran vergessen, daß der heutige Mensch sich in seiner Gottähnlichkeit nicht glücklich fühlt«.50 Ohne eine genetische Verbindung behaupten zu wollen, ist es, als bevölkere Sigmund Freud mit seinen ›Prothesengöttern‹ die ›entzauberte Welt‹ Max Webers.

Bei den Magiern in the prestige handelt es sich um solche ›Prothesengötter‹ par excellence. Ihre (berufliche) Existenz ist auf der Illusion errichtet, sie verfügten über magische, gottgleiche Kräfte, weshalb sie peinlichst verschleiern, dass ihre Kunststücke bloß auf technischen Tricks und Fingerfertigkeit beruhen. Bruce Wayne alias Batman ist mit seinen Gadgets ein Zauberer und ein solcher »Prothesengott« – »Du musst mehr als nur ein Mensch im Kopf deines Gegners sein«, sagt Henri Ducard zu ihm. Ebenso sind es Alfred Borden und sein Bruder Bernard Fallon, Robert Angier, Dom Cobb, Andrei Sator sowie weitere Figuren in Nolans Filmen. Aber Freuds Beschreibung entsprechend ist keiner von ihnen glücklich: Angier trauert um seine tote Frau Julia McCullough (Piper Perabo), Borden steht wegen dessen Tod unter Mordanklage; Fallons Frau Sarah begeht Suizid, und er droht, ihre gemeinsame Tochter Jess (Samantha Mahurin) zu verlieren; Bruce Wayne trauert erst um seine Eltern und später um Rachel Dawes; Sator ist totkrank und will, dass ihn niemand überlebt; Dom Cobb vermisst seine Kinder, wird von Traumbildern seiner toten Frau heimgesucht und muss als ihr angeblicher Mörder vor der Polizei fliehen. Er könnte darum mit Don Rumata (Leonid Jarmolnik) aus Aleksei Germans Film es ist schwer, ein gott zu sein (2013) fragen: »Wenn ich ein Gott bin, warum stehe ich dann auf eurer Verhaftungsliste?«.51

Die angeführten Beispiele veranschaulichen, dass die ›Prothesengötter‹ auch anderen Unglück bringen. Besonders evident ist dies in the prestige, wo erst Angiers Frau Julia während der Darbietung eines Entfesselungstricks offener Bühne in einem Wasserbassin ertrinkt und sich Sarah das Leben nimmt, da sie mit dem Doppelleben ihres Mannes nicht zurechtkommt. Es ist, als wohnte den Zauberapparaturen eine letale Tendenz inne, aufgrund derer sie skeptisch betrachtet werden, auch und gerade von ihren Erfinderinnen und Erfindern. Deren Warnungen ignorieren die Magierfiguren allerdings weitgehend, sodass das Unglück seinen Lauf nimmt. Nikola Tesla (David Bowie) ahnt, dass von seinem magischen Kasten Unheil ausgeht, weshalb er Angier empfiehlt: »Ich habe nur einen Vorschlag zur Nutzung des Apparates: Zerstören Sie ihn. Versenken Sie ihn auf dem Grund des tiefsten Meeres, denn er wird Ihnen nichts als Leid bringen«.52 In the dark knight wird eine Erfindung wegen ihres Missbrauchspotentials zerstört: Bruce Wayne kann Lucius Fox (Morgan Freeman), die Erfinderfigur in den Batman-Filmen, nur dazu bewegen, die Mobilfunkgeräte aller Bewohnerïnnen von Gotham zur Ortung des Joker per Sonar einzusetzen, indem er ihm die Möglichkeit einräumt, das System nach Gebrauch zu zerstören. Fox tut dies, wohingegen Angier den Apparat nutzt: »Teslas Warnung blieb so unbeachtet, wie er es vorhergesehen haben muss«.53

Daher kommen dutzende Klone seiner selbst, die er mit Teslas Maschine erschafft, während der spektakulären Zaubernummer 'Der wahre transportierte Mann' zu Tode. In tenet wird dies radikalisiert: An die Stelle von Teslas Apparat tritt ein Algorithmus, mit dem sich die gesamte Welt invertieren – das wäre der ›Show-Aspekt‹ – und damit – entsprechend Angiers Klonen – vernichten ließe. Um das zu verhindern, separierte die Entwicklerin des Algorithmus ihre Erfindung in neun Teile, die sie getrennt den neun Atommächten in strengste Obhut übergab. Anschließend nahm sie sich das Leben, »damit man sie nicht zu einem weiteren [Algorithmus; kir] zwingen konnte«.54 Während Tesla das Übel, das seine Erfindung bewirkt, zwar erkennt, deren Vernichtung aber lediglich empfiehlt, versucht die Urheberin in tenet selbst um den Preis des eigenen Lebens jede Neuschöpfung zu verhindern. Dies rekurriert auf Dr. Pavel (Alon Aboutboul), seines Zeichens Atomphysiker und Erbauer eines Fusionsreaktors neuen Typs, der Gotham mit sauberer Energie versorgen soll. In the dark knightrises zwingt ihn Bane, daraus eine Bombe zu machen, die Gotham zerstören soll. Anschließend tötet er mit Pavel den einzigen, der die Bombe wieder entschärfen könnte. Durch ihren Freitod kommt die Entwicklerin des Algorithmus in tenet einem ähnlichen Schicksal zuvor. Aber wie Teslas Warnung ignoriert wird, war es »Sators lebenslange Mission, finanziert und geleitet von der Zukunft, […] den Algorithmus zu finden und zusammenzusetzen«,55 was ihm auch gelingt.

In der Maske eines Dämons

Dem Metaphernraum, der sich mit Freuds Begriff »Prothesengott« eröffnet, entnimmt Nolan weitere ent-transzendierte Bestandteile. Mit 'ent-transzendiert' ist gemeint, dass ein religiöses Element seines Verweischarakters auf einen übersinnlichen Bereich entkleidet wurde und die damit verbundenen Motive, Strukturen, Denkmuster und Handlungsskripte auf diesseitige Themen angewendet werden. Dennoch ist es nicht völlig immanent geworden, sondern trägt den Keim seiner religiösen Abkunft noch in sich und damit die Möglichkeit, re-transzendiert zu werden.

Neben Dom Cobb gibt es in inception zwei weitere Figuren, die sich auf den christlichen Mythos beziehen, und auch sie sind nicht glücklich. Cobb und sein Team sollen dem Sohn und Erben eines kürzlich verstorbenen Wirtschaftsmoguls den Gedanken einpflanzen, sein Vater hätte gewollt, dass er seinen eigenen Weg ginge und den riesigen Familienkonzern aufspaltete (was strukturell der Aufteilung des Algorithmus in tenet entspricht). Dabei kommt ihnen zugute, dass sich Robert Fischer (Cillian Murphy) ebenso nach der Anerkennung seines Vaters (Pete Postlethwaite) sehnt wie nach einem eigenen Gedanken. Induziert werden soll er ihm durch ein angebliches »Testament«,56 das im Kontext religiöser Motivik natürlich auf die bibel verweist. Analog dazu stehen Vater und Sohn Fischer für den biblischen Gott respektive Christus, nicht zuletzt, weil ihr Nachname auf den Fisch als Symbol Christi rekurriert. In der von Cobb und seinem Team geschaffenen Bergregion, in der der Sohn die Illusion hat, seinem sterbenden Vater zu begegnen, geht es zwar sehr gewalttätig zu. Doch in das Weiß der verschneiten Traumwelt ist auf dieser Ebene das Weiß der himmlischen Residenz Gottes transponiert. Im Bruch des Sohnes mit der väterlichen Lehre ist unschwer die Struktur des angeblichen Bruchs zwischen der jüdischen und der christlichen Religion erkennbar. Die religiöse Konnotation wird dadurch weiter betont, dass daran Robert Fischers Patenonkel (Tom Berenger) beteiligt ist, dessen Vorname 'Peter' zudem auf den gleichnamigen Apostel verweist. Die Aufspaltung des Fischer-Konzerns entspricht auf dieser Ebene wiederum der konfessionellen Ausdifferenzierung des Christentums in koptisch, orthodox, katholisch, evangelisch etcetera.

Auch in anderen Filmen Nolans finden sich Motive, die dem jüdisch-christlichen Mythos entlehnt sind. Zu Beginn von memento durchsucht Leonard sein Hotelzimmer, um Hinweise über sich selbst zu finden; er zieht die Nachttischschublade auf und stellt kichernd fest: »Nichts. Außer der bibel. Die ich natürlich lese, gewissenhaft, hehe«.57 Dieser marginal erscheinende, ironisch kaschierte Hinweis auf religiöse Motive findet in memento keinen Anknüpfungspunkt, doch deutet er auf etliche von Nolans Filmen voraus. Besonders wirksam ist dies in batman begins. Nolan schaltet mittels Parallelmontagen zwischen zwei Zeitebenen hin und her: Der kleine Bruce (Gus Lewis) stiehlt etwas, das heißt er begeht aus christlicher Sicht eine Sünde; daraufhin stürzt er in einen trockenen Brunnenschacht ergo die Unterwelt ergo die Hölle, wo ihn Fledermäuse wie strafende Dämonen attackieren. Ein Zeitsprung setzt die Szene in einem chinesischen Gefängnis fort, denn auch der erwachsene Bruce Wayne hat etwas gestohlen; statt von Fledermäusen wird er nun von anderen Häftlingen angegriffen. Über ihren Anführer (laut Credits: Turbo Kong) wird dies religiös konnotiert: »Du bist in der Hölle, kleiner Mann. Ich bin der Teufel«. Worauf Wayne erwidert: »Du bist nicht der Teufel. Du bist Training«.58 Derjenige, für den er trainiert, tritt schon kurz darauf unter dem Namen 'Henri Ducard' auf. Kaum ist Wayne in dessen Bergresidenz angelangt, wirft ihn Ducard auf den Rücken, sodass er hilflos auf dem Boden liegt wie der kleine Bruce in der Tiefe des Brunnenschachts. Zurück zu dieser Szene führt ein weiterer Filmschnitt: Bruce' Vater (Linus Roache) seilt sich zu seinem Sohn in die Tiefe ab, um ihn nach oben zu holen. »Und warum fallen wir, Bruce?«, fragt er nachsichtig und schließt den moralischen Fall mit ein: »Damit wir lernen können, uns wieder aufzurappeln«.59 Dass er den kleinen Sünder aus der Finsternis des dunklen, zylindrischen Schachts hinauf ins Licht trägt, transformiert das Gemälde aufstieg der seligen (Anf. 16tes Jhdt.) von Hieronymus Bosch.60 Darauf werden die Seelen der für würdig Befundenen von Engeln durch eine Art röhrenförmigen Schacht aus dem Dunkel hoch zu einer Öffnung gleißenden Lichts geleitet. Auf diese Weise wird in batman begins das Motiv der Wiederauferstehung lanciert.

Der Teil des Films, in dem Bruce Wayne 'Batman' entwickelt, hat darum auch den Charakter einer ent-transzendierten Unterweltreise: Durch seine Missetat stürzt der kleine Bruce in den Höllenschlund, wo ihn Dämonen traktieren; der gütige Vater holt ihn zurück ins himmlische Licht, wo er reuig das Diebesgut zurückgibt. Bald darauf werden Bruce' Eltern nach einem Opernbesuch von einem Räuber ermordet, was zum einen den Diebstahl des Jungen zum Raubmord eskaliert, und zum anderen die Reihenfolge des Diebstahls/Raubmords und der Auftritte der Fledermäuse im Brunnen beziehungsweise in der Oper61 permutiert. Anschließend legt Officer Gordon dem verängstigten Bruce seine Jacke um und wiederholt damit die Tat des heiligen Martin. Doch nicht Gordon übernimmt die Rolle des Adoptivvaters, statt seiner bietet sich dafür nach einem weiteren Zeitsprung Henri Ducard alias Ra's al Ghul an.62 Wie Bruce' leiblicher Vater als Arzt gegen Krankheiten vorging, lehrt ihn Ra's al Ghul gegen das Böse zu kämpfen. Gleichwohl fehlt ihm die Güte von Bruce' Vater, weshalb er Rache statt Mitleid propagiert.

Nach einem weiteren Zeitsprung kehrt der inzwischen totgeglaubte Erbe des Wayne-Imperiums nach Gotham zurück, um gemäß Ra's al Ghuls Lehre den Mörder seiner Eltern zu töten. Die Staatsanwältin Rachel Dawes (Katie Holmes) macht ihm jedoch klar, auf welchen Weg ihn das führen würde. Bruce besinnt sich und schenkt einem Bedürftigen (Rade Serbedzija) seinen Mantel, womit er seinerseits die Handlung des barmherzigen Martin aufgreift. Ein weiterer Filmschnitt führt zurück in Ra's al Ghuls Haus, wo Wayne seine Ausbildung damit abschließen soll, dass er einen Kriminellen ermordet. Doch eingedenk der Lektion, die ihm Dawes erteilte, weigert er sich. Ra's al Ghul ist nicht erfreut: »Dein Mitleid ist eine Schwäche, die deine Feinde nicht teilen«, hält er ihm vor. »Deshalb ist es auch so wichtig«, entgegnet Wayne. »Es unterscheidet uns von den anderen«.63 Damit hat seine Ausbildung eine ganz andere Wendung genommen, als von Ra's al Ghul beabsichtigt: Die Szene, in der Bruce Wayne dem Obdachlosen seinen Mantel schenkt, verdeutlicht, dass er von der Rachedoktrin abgefallen und zur Mitleidslehre konvertiert ist. Strukturell reflektiert dies den vermeintlich fundamentalen Bruch zwischen dem angeblichen Gott der Rache des 1sten und dem Gottessohn der Barmherzigkeit des 2tentestaments. Ohne Nolan damit irgendetwas unterstellen zu wollen, wofür es auch nicht das geringste Indiz gibt, geht diese Konstellation auf einen anti-judaistischen Propaganda-Topos zurück, der gleichfalls in etlichen anderen literarischen Texten und Filmen anzutreffen ist, der aber vor allem in krassem Gegensatz zur historischen Praxis des Christentums steht. Denn tatsächlich hat die christliche Mitleidslehre, wie Michael Wolffsohn darlegt, ihren Ursprung im Judentum, wohingegen in der Vergangenheit (leider nicht nur, wäre zu ergänzen) die Christïnnen entgegen ihres Selbstbilds gegenüber Jüdinnen und Juden weitaus unbarmherziger auftraten, als sie es dem Judentum ungerechtfertigterweise vorwarfen.64

Nachdem er den Kriminellen zu Ra's al Ghuls Verdruss verschonte, entwickelt Bruce Wayne sein alter ego Batman, mit dem er seine eigenen Ängste gegen seine Gegner einsetzt.65 Dabei stehen Batmans äußere Erscheinung und seine inhaltliche Ausrichtung in Widerspruch zueinander: In der furchterregenden Gestalt eines Fledermausdämons streitet er für die Mitleidslehre. Besonders anschaulich wird diese Ambivalenz, als er den korrupten Polizisten Flass (Mark Boone Junior) in eine finstere Hochhausschlucht stürzt, wobei ein Seil an Flass' Fuß verhindert, dass dieser am Boden zerschmettert wird. Die Szene kehrt zum einen jene um, in der Bruce' Vater den kleinen Sünder mit einem Seil aus dem dunklen Brunnenschacht nach oben ins Licht holt. Zum anderen bezieht sie sich auf sturz der verdammten, dem Gegenstück zu aufstieg der seligen in Hieronymus Boschs Polyptychon visionen des jenseits (Anf. 16tes Jhdt.). Darauf schleudern Teufel die Seelen Unglücklicher in die Tiefe, und gleich ihnen stürzt der dämonische Batman den sündigen Flass in den Abgrund, bis der solcherart Gepeinigte die geforderten Informationen preisgibt. Flass beteuert, die Wahrheit zu sagen: »Ich schwör's vor Gott«, stammelt er, worauf ihn Batman anherrscht: »Schwör's vor mir«.66 Wäre sein Inneres kongruent mit seinem Äußeren, entspräche dies der teuflischen Praxis, Rituale und Zeichen der Heiligen in ihr Gegenteil zu verkehren. Doch wie Christus die Welt, will Batman Gotham vom Übel erlösen; das »Schwör's vor mir« kündigt daher die Ablösung des (angeblichen) Rachegottes durch den der Barmherzigkeit an. Dem gemäß verschont Batman trotz seiner furchterregenden Erscheinung Flass' Leben, und dieser kann sich trollen – etwas mitgenommen, aber unversehrt –, nachdem er verraten hat, was Batman wissen wollte.

Psychologisch gesehen emanzipiert sich Wayne mit seiner Neuorientierung von der Vaterfigur al Ghul. Dieser kommt gleichfalls nach Gotham, aber anders als Wayne, um die sündige Stadt auszulöschen wie der biblische Gott Sodom und Gomorrha. Der finale Kampf zwischen ihnen ist damit der zwischen dem totgeglaubten und wiederauferstandenen Sohn als Gott der Barmherzigkeit auf der einen Seite und dem Vater als Gott der Rache auf der anderen. batman begins schildert folglich, wie aus der verängstigten Waise erst ein Rachesuchender wird, der lernt, nicht aus selbstsüchtigen Beweggründen auf das zu reagieren, was ihm angetan wurde, sondern – ja, kleiner macht es Nolan nicht – der statt dessen Verantwortung für die Gemeinschaft übernimmt und sie vor der Vernichtung bewahrt.

Im zweiten Batman-Film ist die christologische Motivik nicht ganz so dominant: Am Ende von the dark knight klingt das Motiv der Selbstaufopferung an, da Batman die ›Sünde‹ von Two-Face auf sich nimmt, um Harvey Dents juristisches Vermächtnis zu bewahren, durch das Gotham vom organisierten Verbrechen befreit werden konnte.67 Bei Bane in the dark knightrises handelt es sich hingegen um eine Art Falschen Propheten, der vorgibt, das Prekariat zu befreien, der aber tatsächlich die Apokalypse in Gestalt der alles vernichtenden Bombe über Gotham bringen will und von Miranda Tate alias Talia al Ghul als Echo der Hure Babylon begleitet wird. Hier wird das Motiv des Selbstopfers voll ausgespielt: Mit seinem Fluggerät befördert Batman die Bombe aus der Stadt hinaus, übers Meer, wo sie zwar ihn (wahrscheinlich) tötet, jedoch keinen weiteren Schaden anrichtet. Dieses Ende wandelt jene Sequenz in illuminati (2009) von Ron Howard ab, in welcher der Camerlengo (Ewan McGregor) die kurz vor der Explosion stehende Antimaterie mit einem Hubschrauber in den Himmel fliegt, auf diese Weise den Vatikan mit allen versammelten Gläubigen rettet und zugleich seine eigene Apotheose vorwegzunehmen trachtet. Im Gegensatz zu Batman springt der Camerlengo mit einem Fallschirm ab, worin sich die Grenze seiner Opferbereitschaft und damit seiner Nachfolge Christi andeutet. Dem entsprechend erweist er sich am Ende des Films als Schurke und steckt sich selbst in Brand, was seine Qualen im Höllenfeuer symbolisiert.

Das Skript der trickreichen Wiederauferstehung

Nachdem Christus am Kreuz starb, folgt dem Mythos gemäß seine Auferstehung vom Tode. Das Motiv der Resurrektion wird in Nolans Filmen mehrfach variiert – in ent-transzendierter Form, denn wie bei dem Ausdruck »Prothesengott« gibt es hier nur noch eine Erinnerung an die religiöse Sphäre. Der Sturz des kleinen Bruce in den Brunnenschacht und seine Rettung daraus wurden bereits als Unterweltreise und Wiederauferstehung dechiffriert. Dies wiederholt sich, als er in batman begins aufgrund seiner langen Abwesenheit zunächst für tot erklärt wurde und anschließend gleich einem Wiederauferstandenen nach Gotham zurückkehrt. Auch the dark knightrises folgt diesem Muster: Bane gelingt es, Batman zu besiegen; er wirft den demaskierten Bruce Wayne in ein unterirdisches Verlies, dessen Gestaltung die des Brunnenschachts aufgreift, in den der kleine Bruce in batman begins stürzt. Erneut steigt Wayne aus dem Dunkel des Schachts hinauf ins Licht – diesmal jedoch ohne Seil und ohne väterliche Hilfe: The Dark Knight Rises Again. Anschließend besiegt er den teuflischen Bane und rettet Gotham.

Weitere Resurrektionen: In the dark knight kommt James Gordon angeblich zu Tode, was sich indes als Finte erweist, weshalb bei seiner Rückkehr der Bürgermeister von Gotham City, Garcia (Nestor Carbonell), ironisch fragt: »Zurück von den Toten?«.68 Darauf spielt auch die Bezeichnung des Nasa-Projekts in interstellar an: The Lazarus Missions. »Das klingt ja fröhlich«, mokiert sich Cooper Coop (Matthew McConaughey), der Teil der Mission werden soll. »Lazarus ist von den Toten auferstanden«, erläutert Professor Brand (Michael Caine) etwas gallig. Daraufhin bringt Cooper den ersten Teil der Geschichte des Lazarus in Anschlag: »Ja, aber vorher ist er erstmal gestorben«.69 Im Verlauf des Films wird Coop selbst für tot gehalten und kehrt von seiner Himmelfahrt durchs All zurück, nachdem er die frohe Botschaft ›verkündigt‹ hat, wie die menschliche Spezies vor ihrem Untergang zu bewahren sei. In tenet nimmt der 'Protagonist' eine Suizid-Pille und erwacht ebenfalls wieder zum Leben. Passend wird er mit den Worten »Willkommen im Jenseits«70 von einer Figur mit dem sprechenden Namen 'Fay' (Martin Donovan) begrüßt sowie anschließend, ähnlich dem wiedererstandenen Christus, ausgesandt, die Welt zu retten.

Gleich mehrfach findet sich das Motiv der Rückkehr von den Toten in the prestige. Gegen Ende des Films tritt der totgeglaubte Robert Angier als Lord Caldlow sowohl vor Alfred Borden als auch vor John Cutter. Bernard Fallon wird auf einem Friedhof lebendig be- und wieder ausgegraben, was antizipiert, dass in ihm gegen Ende des Films sein Bruder ›wiederaufersteht‹, indem Fallon die Rolle des hingerichteten Borden einnimmt. Vor allem jedoch ist die Resurrektion in das Skript des Zaubertricks eingebunden. Zentral dafür ist die Sequenz, in der Bernard Fallon dem mittelmäßigen Zauberkünstler 'the Great Virgil' (J. Paul Moore) assistiert. Bernard erblickt im Publikum Sarah, die später seine Frau wird. Sarah achtet mehr auf ihn als auf die Vorführung, womit Bernard die Funktion der attraktiven Assistentin bei den Zaubershows übernimmt und geschlechtsspezifisch umkehrt: »Eine hübsche Assistentin ist die effektivste Form der Ablenkung«,71 erläutert Cutter. Im Gegensatz zu Sarah schaut ihr Neffe (jener, dem Fallon die Münze schenken wird) bei dem Trick genau zu, wie von der Stimme zu Beginn des Films gefordert. Fallon stellt einen Käfig mit einem Kanarienvogel auf den Tisch, Virgil deckt ihn mit einem Tuch ab und schlägt kräftig darauf. Anschließend reißt er mit großartiger Geste das Tuch weg: Es ist nur die blanke Tischplatte zu sehen, der Käfig mit dem Vogel scheint verschwunden zu sein. »Er hat ihn getötet«, weint der kleine Junge. »Was? Was ist los?«, fragt Sarah perplex. »Er hat ihn getötet«, wiederholt der Junge und deutet auf den Zauberer, der sich im spärlichen Applaus sonnt. »Nein, nein, das hat er nicht«, versucht sie ihn zu beruhigen. Virgil holt die Blume aus seinem Knopfloch und legt das Tuch darüber. Aus der Frage des Anfangs eine Aufforderung machend, erklärt Sarah ihrem Neffen: »Sieh gut zu, jetzt wird er ihn zurückbringen«. Rasch zieht Virgil das Tuch von der gelben Blume, und in seiner Hand flattert ein kleiner Kanarienvogel. »Nein, er hat ihn getötet«, insistiert der Junge. Nach der Show kommt Bernard zu den beiden und zeigt dem Jungen den Vogel: »Hier, siehst du? Er lebt. Es geht ihm gut, sieh ihn dir an! – Junge: Aber wo ist sein Bruder?«. Er hat erkannt, dass es sich um zwei Vögel handelt. Fallon setzt zu einer Ausrede an, bricht ab und wendet sich stattdessen an Sarah: »Er ist ein gescheiter Bursche […]«. Hinter der Bühne sagt er zu dem zweiten Vogel: »Heute warst du der Glückliche«,72 und hängt den Käfig zu den anderen. Dann öffnet er den Mechanismus der Tischplatte, unter welcher der zusammengeklappte Käfig mit dem zerquetschten Vogel zum Vorschein kommt, dessen blutige Überreste er ein wenig angeekelt in einen Eimer schüttelt.

Cutters Erläuterungen zu Beginn des Films beziehen sich allein auf das, was das Publikum der Shows zu sehen bekommt; die Sequenz mit dem Jungen vervollständigt das Skript der Zaubertricks. Die beiden Vögel bilden eine Dyade: Der eine stirbt, der andere überlebt. Der tote Kanarienvogel ist das »Opfer«,73 das ein Zauberkunststück erfordert. Daher ist es für einen Magier unerlässlich, so Cutter, sich »die Hände schmutzig« zu machen;74