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Ein renovierungsbedürftiges Haus mit dem Ex-Verlobten und kaum lukrative Rollen – Schauspielerin Isabelle Bartak hat sich ihr Leben nun wirklich ganz anders vorgestellt. Als sie im Blumenladen ihrer Schwägerin aushilft, bringt eine zufällige Begegnung prompt den berühmten Stein ins Rollen. Sie trifft auf Alexander, den sie in ihrer Jugend aus der Ferne immer heimlich bewundert hat. Und plötzlich ergattert sie dann doch noch eine Hauptrolle in einer historischen Serie. Das Blatt hat sich wohl zum Guten gewendet. Wenn da nicht die andere Frau an Alexanders Seite wäre und dazu all die intriganten Schauspielkollegen, die im wahren Leben nicht annähernd so nett sind wie auf dem Bildschirm. Als beim Filmset in Italien kaum etwas so läuft, wie es sollte, bleibt nur noch zu sagen: Toi, toi, toi und dreimal über die Schulter gespuckt …
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Ein renovierungsbedürftiges Haus mit dem Ex-Verlobten und kaum lukrative Rollen – Schauspielerin Isabelle Bartak hat sich ihr Leben nun wirklich ganz anders vorgestellt. Als sie im Blumenladen ihrer Schwägerin aushilft, bringt eine zufällige Begegnung prompt den berühmten Stein ins Rollen. Sie trifft auf Alexander, den sie in ihrer Jugend aus der Ferne immer heimlich bewundert hat. Und plötzlich ergattert sie dann doch noch eine Hauptrolle in einer historischen Serie. Das Blatt hat sich wohl zum Guten gewendet. Wenn da nicht die andere Frau an Alexanders Seite wäre und dazu all die intriganten Schauspielkollegen, die im wahren Leben nicht annähernd so nett sind wie auf dem Bildschirm. Als beim Filmset in Italien kaum etwas so läuft, wie es sollte, bleibt nur noch zu sagen: Toi, toi, toi und dreimal über die Schulter gespuckt …
Petra Haghjou studierte Geschichte und Sprachen, doch ihr Herz schlug schon immer für die Welt der Bücher. In Ihrer Freizeit schreibt sie gerne Kurzgeschichten und Krimis. „Kleider machen Liebe“ ist ihr Debütroman. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Süddeutschland.
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Impressum
Lust auf more?
Hätte ich doch nur nicht eingewilligt, heute im Blumenladen meiner Schwägerin Susanna auszuhelfen. Dabei fing der Tag durchaus harmlos an.
Es war Anfang Mai, der viel gerühmte Wonnemonat, und damit nicht nur Hochsaison für Hochzeiten, sondern auch für Floristen. In keiner anderen Zeit des Jahres wollten so viele Menschen, Säle und Kirchen von Susannas Blütenkorb geschmückt werden.
Punkt neun Uhr schloss ich die Ladentür auf und sah nach draußen. Das launige Berliner Wetter schlug an diesem Samstag den heiratswilligen Paaren ein gehöriges Schnippchen. Nächtlicher Dauerregen hatte tiefe Pfützen auf den Straßen hinterlassen, und am grauen Vormittagshimmel zogen bereits die nächsten unheilverkündenden Wolkenberge heran.
»Warum heiraten die Leute nicht im Dezember, so wie Susanna und ich vor zwei Jahren?«, sagte mein Bruder Philip und stellte sich neben mich. Missmutig drückte er seine Nase an der Eingangstür platt und hinterließ mit seinem Atem einen feuchten Kreis an der blitzblank geputzten Scheibe. »Wir hatten kein Problem wegen des Wetters. Winter ist schließlich Winter. Da weiß jeder, dass es kalt ist, und keiner hat blödsinnige Erwartungen.«
Philip war schlecht gelaunt, seit sich seine Susanna gestern den Fuß verstaucht hatte. Das war zwar nicht ihre Schuld, aber sie hätte trotzdem besser auf den rücksichtslosen Radfahrer aufpassen können, der vor der Bäckerei in sie hineingefahren war. Jetzt lag Susanna mit verbundenem Knöchel und einer Packung Schmerzmittel oben in der Wohnung auf der Couch. Ihr invalider Zustand zwang Philip, ihr Tagesgeschäft zu verantworten, worauf er, seinem gereizten Gesicht nach zu urteilen, gut verzichten könnte. Nicht verzichten wollte er auf Blütenkorbs Einnahmen, die einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu ihrer monatlichen Haushaltskasse leisteten.
»Hast du die Gestecke für die Hochzeitsfeier in den Transporter gepackt, Isabelle?«
Die provokativ vorgebrachte Frage galt mir, seiner vier Jahre älteren Schwester und gerade dem einzig angreifbaren Menschen um ihn herum.
Ich nickte vehement und schniefte durch die gereizte Nase. Auf die vielen Gräser, die als Bindegrün Susannas Blumensträuße auflockerten, reagierte ich allergisch.
Philip schob mit dem Zeigefinger seine dicke Kastenbrille auf der Nase zurecht und guckte mich scharf an. »Du hast doch mit Susanna schon mal eine Feier dekoriert, oder nicht?«
»Hab ich«, seufzte ich.
Das war nur die halbe Wahrheit. Zwar half ich immer wieder mal als schwägerliche Attrappe im Blumenladen aus, aber es war letztendlich Susanna, die den Gestecken und Bouquets den fachkundigen Schliff gab.
»Dann könntest du nämlich zusammen mit Katharina zu diesem Hochzeitsschloss am Wannsee fahren und ihr unter die Arme greifen. Ich passe inzwischen auf den Laden auf.«
Katharina, Blütenkorbs unentbehrliche Mitarbeiterin, musste unsere Diskussion gehört haben. Sie zwängte ihre üppige Gestalt durch die schmale Tür, hinter der sich die Kühlkammer verbarg.
»Das kommt nicht infrage«, schmetterte sie sogleich Philips Vorschlag ab. »Gerade an Samstagen ist immer viel zu viel los. Das kann man nicht so nebenbei machen.«
Philip stöhnte auf und blickte Katharina abwehrend an. Für ihn war Susannas Angestellte seit jeher eine unverschämte Person gewesen, die ihm deutlich zu verstehen gab, dass er keine Ahnung von Blumen hatte.
»Ich bin schon früher allein im Laden geblieben«, meinte er störrisch. »Außerdem sagt Susanna immer, dass mit der Laufkundschaft bestenfalls erst ab dem späten Vormittag zu rechnen ist. Da wärt ihr beide längst wieder zurück.«
Aber da warf Katharina das volle Gewicht ihrer Berufserfahrung in die Waagschale. Mit Ende fünfzig hatte sie so ziemlich alles gesehen und siegreich jede Widrigkeit eines Verkäuferdaseins überstanden. Tatkräftig und von nichts und schon gar nicht von Philip zu erschüttern stand sie wie der Fels in der Brandung mitten im Laden. Ihr sommers wie winters wettergegerbtes Gesicht mit geäderten runden Wangen verlieh ihr, zusammen mit einem wilden Nest hochgesteckter Locken, das Aussehen einer russischen Bäuerin.
»Darauf ist kein Verlass«, klärte sie Philip auf. »Nein! Ihr fahrt beide zusammen zu dem Schloss, und ich halte hier die Stellung.«
Blütenkorbs melodische Türglocke ersparte Philip seine totale Kapitulation.
Katharina wandte sich dem Kunden zu, einem zaudernden älteren Mann mit Rentnerkappe, und nahm mit verständnisvoller Kondolenzstimme dessen zittrige Bestellung für den Trauerkranz eines lieben Freundes auf. Mir tat der arme Mann richtig leid, wie er da, geschrumpft vom Leben, aber mit kerzengeradem Rückgrat, zwischen duftenden Blumen stand. Denn es war vermutlich nicht der erste und auch nicht der letzte Freund, den er die nächsten Jahre verabschieden würde.
»Ihr müsst euch mit der Hochzeit beeilen«, trieb Katharina uns an, kaum war die Türglocke hinter dem Mann verklungen. Immerhin hatte dieser höchst zufrieden mit Katharinas taktvoller Beratung gewirkt.
»Wir haben noch gut dreißig Minuten Zeit«, hielt Philip dagegen. »Aktuell gibt es keine Staus Richtung Zehlendorf.«
Ob er dies aus purem Trotz wegen Katharinas Befehlston von sich gab oder einfach nur wegen der Verkehrslage, die er garantiert in den letzten Minuten auf seinem Smartphone nachgesehen hatte, konnte ich nicht erkennen. In Philips Welt zählte grundsätzlich nur ein Gott: das Internet mit seinen unendlichen Informationsquellen.
»Es kann immer etwas Unerwartetes dazwischenkommen«, stellte Katharina fest.
Philip rollte hinter seinen Brillengläsern die Augen, als wollte er ausdrücken, wie zwecklos es war, mit jemandem zu diskutieren, der Daten und Fakten von Apps einfach ignorierte.
Katharina schwang indessen ihre kräftigen Arme wie eine Gartensichel, als sie sich durch das Dickicht von Blütenkorb bewegte. Mit Kennermiene schweifte ihr Blick über zartweiße bis blutrote Rosen, über wieder in Mode kommende Nelken, über unverwüstliche Gerbera. Es war, als spräche sie mit ihren Schützlingen und wir wären nur die Komparsen.
»Sobald ihr weg seid, mache ich mich an die Tischdekoration für die Geburtstagsfeier in dem französischen Restaurant heute Abend«, ließ sie uns wissen. »Vor einer halben Stunde sind die Lilien dafür gekommen, und sie müssen schleunigst ausgepackt werden. Ihr beide könnt die frischen Sträuße heute Nachmittag in das Restaurant bringen, wenn ihr von der Hochzeit zurück seid.«
Damit gab Katharina unser aller Tagesablauf vor. Mit abgehackten Bewegungen zog sich Philip seine Jacke über. »Dann komm, Isabelle. Wir werden hier ja buchstäblich rausgeworfen.«
Philip schien heute Morgen tatsächlich mit dem falschen Fuß aufgestanden zu sein, und er tat, als verspräche der Tag nicht besser zu werden. Missbilligend schaute Katharina ihm nach, wie er zum Hintereingang marschierte.
Auf dem kleinen Hof stand abfahrbereit Susannas grasgrüner Transporter, an dessen Türen der Firmenname über bunten Blütenkörben prangte. Ein flotter Anblick, wie ich fand, auch wenn er Philip ein Dorn im Auge war. Er würde lieber neutrales Grau oder Schwarz vor der Tür parken sehen, wie er bei jeder Gelegenheit betonte.
»Wir beliefern zwar auch Friedhöfe«, hatte Susanna gleich am Anfang entschieden gekontert. »Aber der Transporter ist kein Beerdigungsauto. Es bleibt bei meinem prächtigen Aufdruck!«
Philip schleppte aus dem Kühlraum den letzten Karton mit dem besonders großen Gesteck für den Brauttisch heran.
In diesem Moment entschied sich der Wettergott für einen Blitzangriff. Binnen Sekunden prasselten die ersten schweren Regentropfen auf das Auto nieder und zu meinem Leidwesen auch auf mich. Ich wurde sofort pitschnass. Das Hochzeitsgesteck blieb unbeschadet, da Philip es rechtzeitig im Transporter verstaut hatte. Gut geschützt mit Baseballkappe und seiner Allwetterjacke knallte er die Hecktür zu und schwang sich danach hinter das Lenkrad.
»Es kann losgehen, Isabelle. Katharina die Große hat uns den Marschbefehl erteilt. Widerstand ist zwecklos.«
Es gab für mich nichts Unwürdigeres, als in dieses klotzige Gefährt einzusteigen. Umständlich hievte ich mich mithilfe beider Arme zum Beifahrersitz hoch. Eine heftige Windbö zerrte an mir, und ich spürte, wie der Regen meinen Nacken hinunterlief.
»Ist nicht leicht, wenn man klein ist, nicht wahr, Bellchen?«, stellte Philip unverhofft fürsorglich fest, während er vom Fahrersitz aus meine Verrenkungen verfolgte. »Beim nächsten Mal schiebe ich dich von hinten an.«
»Haha.« Veräppeln konnte ich mich selbst.
Seine Susanna war groß gewachsen und legte beim Einsteigen mit ihren Endlosbeinen eine Eleganz an den Tag, die ich mit ärztlich vermessenen einhundertneunundfünfzig Zentimeter Körpergröße nie erreichen würde.
Philip wartete indessen penibel, bis ich angeschnallt war, und gab anschließend Gas. Auf der Hauptstraße wurde der Verkehr dichter. Unbeeindruckt schlängelte Philip den Transporter durch das durchnässte Schöneberg, wechselte rasant auf eine Bundesstraße und verfolgte mit entspannter Miene, wie Schloss Glienicke auf dem Navi immer näher rückte.
Eine knappe halbe Stunde später musste es natürlich so kommen: Ich erspähte durch das Seitenfenster gerade die trübgraue Wasseroberfläche des Wannsees, als der Verkehr ins Stocken geriet und schließlich vollends zum Stillstand kam.
Philip trat auf die Bremse und wetterte vor sich hin: »Ausgerechnet jetzt, wo das Schloss praktisch vor unserer Nase liegt. Irgendein Idiot hat garantiert nicht aufgepasst und verstopft die Straße.«
Ich lehnte mich aus dem Fenster und spähte nach vorn, als ob dies irgendetwas nützte.
»Siehst du was?«, wollte Philip wissen.
»Nein«, berichtete ich gehorsam und machte für ihn einen extra langen Hals. »Nur die Rückseiten von einer Menge Autos.«
»Wir sind immer noch einigermaßen in der Zeit«, meinte Philip und betrachtete mich prüfend. »Bist ja wieder trocken geworden, Isabelle.«
Ich ahnte am gedehnten Unterton, dass Philip noch etwas hinzufügen würde. Und da kam es.
»Wie läuft es so in deiner Filmbranche?«
»Was meinst du?«
»Na, hast du die Rolle in dieser Serie bekommen, von der du erzählt hast?«
Solche Gespräche unter Geschwistern führten selten zu einem harmonischen Ende.
Philip sah in seinem Lässig-Look nicht nur aus wie das Klischee eines Informatiker-Genies, sondern er war auch einer – und sogar ein äußerst erfolgreicher. Mein eigenes bescheiden verlaufendes Leben rieb er mir gerne mal unter die Nase. Und dieses gefiel mir zurzeit selbst nicht besonders gut. Dafür konnte ich leider nur mich allein verantwortlich machen, denn bekannterweise ist jeder seines Glückes Schmied. Ich schmiedete bisher nur mittelmäßig erfolgreich an meiner Schauspielkarriere, obwohl ich durchaus einige Auftritte vorzuweisen hatte. Nur war bisher leider gar nichts Spektakuläres darunter, und das nagte kleine, aber dennoch spürbare Löcher in mein Selbstwertgefühl.
Im Bewusstsein meiner eigenen Unvollkommenheit verkroch ich mich in die Tiefen des Sitzes. Warum nur konnte Philips App den Stau nicht auflösen und seine lästigen Fragen abwimmeln? Ein Blick nach vorn zeigte mir, dass sich die Blechlawine keinen Zentimeter bewegte. Ich saß fest.
»Ich habe noch keine Antwort bekommen«, gab ich leichthin zu und klappte die Sonnenblende auf, um mich im Spiegel zu betrachten. Von Frisur und Make-up war nach der Regendusche nicht viel übriggeblieben, stellte ich fest.
Philip ließ derweil nicht so leicht locker. »Solltest du dir nicht langsam überlegen, beruflich alternative Fähigkeiten einzusetzen?« Alternative Fähigkeiten! Das wurmte …
Ich vergaß mein Styling und klappte die Sonnenblende mit einem Knall zurück. »Ein Casting streckt sich gerne mal endlos dahin – genauso wie der Stau vor uns«, klärte ich ihn auf. »Es dauert, bis die Besetzung steht. Da muss vieles beachtet werden. Dass die Chemie unter den Schauspielern stimmt und solche Dinge.«
Philip machte ein Gesicht wie ein Familienvater, der das schwarze Schaf in seiner Herde auf den rechten Weg bringen wollte. Er fischte zwei Kirschbonbons aus der Ablage und drückte mir eines davon in die Hand. »Du wirst nicht jünger, Schwesterchen. Und dazu kommt das Fiasko mit deiner Heirat und diesem unbewohnbaren Haus.«
»Geplatzte Heirat!«, stellte ich richtig und ging erst gar nicht auf den Seitenhieb gegen Villa Muthesius ein.
Ein anderer und wesentlich gravierenderer Grund meiner momentanen Niedergeschlagenheit war nämlich Patrick, Miteigentümer und Mitbewohner der historischen Villa im schönen Berlin-Schmargendorf. Patrick Reschke wäre noch vor einem halben Jahr auch mein zukünftiger Ehemann gewesen, bis er sich in eine Flötistin seines Orchesters verguckt hatte. Was mich zur Auflösung der Verlobung genötigt hatte. Die Flötistin war nach wenigen Wochen voller Leidenschaft zu einem neuen Engagement nach Zürich und direkt in die Arme des dortigen Dirigenten verschwunden. Sie hinterließ einen sterbensunglücklichen Patrick.
Ich konnte unter unsere Beziehung nicht so schnell einen Schlussstrich ziehen, denn fatalerweise hatten wir wenige Wochen vor der Flötistinnen-Affäre einen Kredit auf unser neues Zuhause aufgenommen: Villa Muthesius. Sie war nach ihrem Architekten benannt, was albern hochtrabend klang. Die Immobilienfirma hatte die Villa als seltenes Schmuckstück aus dem 19. Jahrhundert angepriesen. Den größten Anteil der Unkosten fraß die Renovierung auf. Ich wollte lieber nicht darüber nachdenken, was meine verstorbene Großtante Aurelia dazu gesagt hätte, dass ich ihre ganze Erbschaft in dieses Haus gesteckt hatte.
Nichtsdestotrotz hatten wir Potenzial in der Villa mit dem verwilderten Garten gesehen. Mitten in den laufenden Bauarbeiten alles hinzuwerfen, wäre finanzieller Selbstmord, darauf hatten uns finanzkundige Bekannte eindringlich hingewiesen. Also schlossen Patrick und ich einen Kompromiss. Wir lebten beide weiter in der Villa Muthesius, allerdings räumlich getrennt. Ein jeder von uns hatte sein eigenes baufälliges Reich mit Schlafzimmer samt Bad bezogen. Die untere Etage inklusive großer Wohnküche bewohnten wir zusammen. Unser Ziel war es, diesen Zustand so schnell wie möglich zu beenden und die im neuen Glanz erstrahlende Villa anschließend mit einem guten Gewinn zu verkaufen. Damit könnte jeder, finanziell gut gepolstert, seinen eigenen Weg gehen.
So der Plan. Nur kamen die Renovierungsarbeiten aus Gründen, die allein die Handwerker verstanden, sehr schleppend voran. Die Baufirma versicherte uns, dass bis zum Herbstbeginn alles renoviert sein würde, ließ jedoch einen genauen Termin offen. Wenn ich den Zustand der Villa so betrachtete, fragte ich mich, ob seine Firma auch am Bau des neuen Berliner Flughafens beteiligt gewesen war. Denn dann würde ich noch viele weitere Monate getrennt mit Patrick in der Villa Muthesius als Ex-Verlobungspaar zusammenwohnen.
»Na, wenigstens brauchst du dir nicht mehr das Gehirn zu zermartern, welchen Namen du abbekommen hättest. Reschke? Oder Bartak-Reschke?«, meinte Philip lakonisch.
»Wenn über etwas Gras gewachsen ist, muss aus irgendeiner Ecke ein Esel dahertraben und Vergangenes wiederkäuen«, begehrte ich auf.
»Esel sind keine Wiederkäuer, Isabelle.«
»Du musst natürlich alles besser wissen.«
»Warum machst du so auf beleidigt?«, fragte Philip und zerbiss mit hartem Geräusch das unschuldige Kirschbonbon in seiner Backe.
»Wenn du nicht aufpasst, brichst du dir einen Zahn ab«, belehrte ich ihn und verfolgte aufmerksam seine Kaubewegungen. Schließlich war ich immer noch die ältere Schwester, und in Situationen wie dieser zwang er mich, die Alterskarte auszuspielen.
Philip schluckte das zermalmte Bonbon hinunter, dass sein Adamsapfel auf und nieder hüpfte.
»Kein Wunder, dass Patrick dir untreu geworden ist«, kommentierte er anschließend, ohne diese Behauptung näher zu erklären.
»Mensch, Philip! Ich bin achtundzwanzig. Du stellst mich hin, als wäre mein Leben vorbei.« Beleidigt raschelte ich mit dem Bonbonpapier. »Kann ja nicht jeder alles so minutiös planen wie du.«
Philip empfand meine Antwort wohl als Kompliment, denn er spitzte vergnügt die Lippen.
Die Autos vor uns fuhren zu meinem Glück an und ersparten mir eine Fortsetzung des geschwisterlichen Schlagabtausches. Leider ging es nur träge vorwärts. Philip beäugte das Navi, als könnte er so den Verkehr manipulieren. Ich hingegen verfolgte lieber die Autoschlange, die uns nach Stop-and-go-Verfahren dem Schloss Glienicke schleichend näher brachte. Plötzlich entzerrte sich der Verkehr vor uns wie von Zauberhand.
»Na endlich«, stöhnte Philip auf. »Langsam wird es echt eng mit der Zeit.«
Als Antwort nieste ich. Gleich fünfmal hintereinander.
»Heuschnupfen!«, würgte ich heraus und griff nach dem Taschentuch, das Philip mir hinhielt. »Dieses Jahr ist er besonders arg.«
»Armes Bellchen.«
Keine zehn Minuten später und weitestgehend in harmonischer Stimmung bogen wir auf den kopfsteingepflasterten Anfahrtsweg zu Schloss Glienicke ein.
»Warst du vorher mal hier?«, fragte ich Philip, beeindruckt von dem preußischen Juwel, das sich vor uns auftat.
Als wüsste Schloss Glienicke um seine Eleganz, stahl sich in dieser Sekunde ein Sonnenstrahl aus den Wolken, der immer breiter wurde, bis er das Schloss im milden Frühlingslicht erleuchtete.
Ich stellte mir die quälende, weil unnütze Frage, ob meine Hochzeit auch in einer solch beeindruckenden Umgebung stattgefunden hätte. Wenn, ja wenn, es die Flötistin nicht gegeben hätte. Ganz konnte ich mir einen abgrundtiefen Seufzer nicht verkneifen und ärgerte mich sofort über den klitzekleinen Moment der Schwäche. Sicher hätten wir unsere eigene Hochzeit entsprechend Patricks Geschmack in einer stylishen Lounge am Spreeufer gefeiert.
»Zu viel Pomp«, sagte Philip, ohne meine Frage zu beantworten. »Das hier schreit geradezu nach Prinzessinnenlook und Zuckerbäckerromantik.«
Na ja, irgendwie gab ich Philip recht. Susanna hatte in einem schlichten weißen Hosenanzug geheiratet und einfach nur toll darin ausgesehen.
»Gesetzlich reicht auch eine standesamtliche Zeremonie ohne Trauzeugen«, verbiss sich Philip immer mehr in seine Anti-Hochzeitslaune. »Theoretisch hätten Susanna und ich auch gut allein heiraten können. Diesen Schnickschnack braucht es nicht.«
Ich hielt ihm zugute, dass seine aufrührerische Stimmung mehr von der aufgezwungenen Lieferfahrt herrührte. In Wahrheit hatte Philip seine eigene bescheidene Hochzeitsfeier nämlich durchaus genossen.
Ein beschürzter Kellner hatte unseren ratternden Transporter auf dem Hof des schlosseigenen Restaurants ankommen hören und hielt Rollwagen zum Transportieren bereit. Es war eine schnelle Sache, die ersten Bouquets darauf zu laden und durch parkettgemusterte Flure zu schieben.
»Ist dir sicher alles zu bombastisch hier«, unterstellte ich Philip, als sich ein stuckverzierter Saal mit feierlich gedeckten Tischen vor uns auftat. Weiße Decken aus Damast, auf Hochglanz poliertes Silberbesteck und eine Armada aus Gläsern warteten nur auf die Ankunft der Hochzeitsgesellschaft.
»Unser kleines Restaurant hat mir besser gefallen«, urteilte Philip inbrünstig und wirkte für eine Sekunde richtiggehend sentimental.
»Susannas Gestecke machen sich gut auf den Tischen«, lobte ich, als wir die Rollwagen geleert hatten. Die zartrosa Rosen, arrangiert mit Freesien, gaben der Dekoration den letzten Schliff. Wenn nur das Schleierkraut nicht wäre, das mir furchtbar in der Nase juckte.
»Ich bin froh, wenn wir hier fertig sind und zurückfahren können. Trödeln wir also nicht lange rum, Isabelle«, trieb mich Philip an.
Draußen bäumte sich das schlechte Wetter ein letztes Mal mit einer Windbö auf. Der blaue Himmel im Westen kündigte einen perfekten Sonnentag an.
»Oje«, entfuhr es mir, als ich hinter mir Motorenlärm hörte.
Die ersten Autos fuhren vor, aus denen sich die Hochzeitsgesellschaft herausschälte. Der Wind fegte in Haare, Röcke und Hosenbeine. Nackte weibliche Schultern von Brautjungfern verlangten nach wärmenden Schals, die sich hoffentlich in Kofferräumen der blitzblank gewaschenen Autos finden würden.
Dem Fond des schönsten und größten Autos entstieg das frisch getraute Hochzeitspaar.
»Das gibt’s nicht!«, rief Philip neben mir aus.
»Was denn?«
»Mensch, das ist Tommy. Ein ehemaliger Kommilitone von mir. Wir haben uns seit Ewigkeiten nicht gesehen.«
Der Bräutigam, männlich gefasst, doch blass um die Nase von der überstandenen Trauungszeremonie, tat sein Bestes, seiner frisch angetrauten Ehefrau samt ihrer meterlangen Schleppe zum Restauranteingang zu helfen. Schnatternde Brautjungfern mischten sich ein. Es entstand ein Wirrwarr aus raschelnden Kleidern, hilfsbereiten Armen und gegenseitigen Ratschlägen.
Die Braut lächelte unterdessen unerschütterlich, denn kaum etwas war schlimmer, als am schönsten Tag des Lebens mit verbissener Mimik auf Dutzenden von Fotos verewigt zu werden. Sie blinzelte gen Himmel, als wollte sie ein Stoßgebet nach oben schicken. Und wahrhaftig fuhr erneut ein Sonnenstrahl herunter. Die Wolken flüchteten in die Ferne und hinterließen einen warmen sonnigen Bilderbuchtag, wie es sich für den Wonnemonat Mai gehörte.
Zehn Minuten später kam das Drama.
Der Bräutigam hatte Philip entdeckt und ließ Braut samt Jungfern stehen. Schon von Weitem rief er ihm zu: »Ich kann’s nicht glauben. Was machst du hier, Philip?«
Die beiden begrüßten sich mit hartem Handschlag und klopften sich gegenseitig auf die Oberarme, als wollten sie ihre Bizepse vergleichen.
Mich traf ein flüchtiger Blick von der Seite.
»Meine Schwester«, stellte mich Philip vor. »Wir liefern die Blumen an. Ich wusste gar nicht, dass es für deine Hochzeit ist.«
»Stimmt. Du hast ja eine Floristin geheiratet. Irgendjemand von unserer alten Truppe hat es mal erwähnt.«
Die beiden hechelten seelenruhig eine Reihe Namen von gemeinsamen Studienfreunden durch und erzählten sich von deren Karrieren, Familiengründungen und Scheidungen. Sie benahmen sich wie Waschweiber. Hatte dieser Tommy nichts Besseres an seinem Hochzeitstag zu tun, als mit Philip zu quasseln? Aber Tommy war anscheinend froh, ein Stück Normalität in Form von Philip vor sich zu haben. Denn auf einmal benahm er sich in seinem steifen Anzug so zwanglos, als wäre er zu fortgeschrittener Stunde in irgendeiner Kneipe gelandet und nicht auf seiner eigenen Hochzeit.
Ich wurde immer ungeduldiger.
»Wenn dir daran gelegen ist, schnell von hier wegzukommen, räume ich den Transporter schon mal weiter aus«, mischte ich mich ein und klang in meinen eigenen Ohren streng wie eine Ordensschwester, die ihre Nonnen zur Abendandacht scheuchte.
»Schaffst du das, Isabelle?«, fragte Philip hinterhältig und machte damit deutlich, dass die neue Arbeitsaufteilung höchst willkommen und für ihn beschlossene Sache war.
Das war genau die Reaktion, die ich auf mein generöses Angebot nicht erwartet hatte. Nun konnte ich die Arbeit allein erledigen.
»Klar«, gab ich schulterzuckend zur Antwort und überspielte meine Empörung.
Die Hochzeitsgesellschaft hatte sich mittlerweile zum Empfang an Stehtischen im restauranteigenen Garten versammelt und nippte selig am Champagner. Das schöne Wetter tat sein Übriges. Die Gäste genossen den Sonnenschein und hatten es nicht besonders eilig, in das Restaurant hineinzugehen. Was mir Zeit verschaffte.
Ich schnappte mir einen Rollwagen und arrangierte in Windeseile die letzten Gestecke im Ballsaal. Zum Schluss blieb das größte übrig. Es maß mindestens einen Meter und würde den Brauttisch zieren.
Ich holperte damit über das Kopfsteinpflaster zum Nebeneingang. Natürlich verfingen sich die Räder kurz vor der Tür zwischen den Kopfsteinen. Alles Gezerre half nichts. Und dann musste ich niesen. Es war kein dezentes Hatschi, sondern ein gewaltiger Fanfarenstoß. Mein gesamter Körper erbebte von der Naturgewalt, die durch meine Nase ausbrach. Die Welt verschwamm vor mir. Es folgte noch eine Fanfare und abschließend die dritte. Als das Trompetenkonzert zu Ende war und der Schleier vor meinen Augen sich lichtete, sah ich die Bescherung. Das prächtige Gesteck, floristisches Glanzstück der Hochzeit, lag kopfüber auf dem Boden. Die Schale aus feinstem geschliffenen Glas hatte den Sturz nicht überlebt. Ihre Scherben lagen verstreut herum, dazwischen die herrlichen Rosen, Freesien und das vermaledeite Schleierkraut. Hatte Letzteres meine Niesattacke verschuldet oder war es die ausgedehnte Gartenlage mit unzähligen Stauden und Sträuchern? Egal. Ich hatte Susannas Meisterwerk zerstört.
»Kann ich Ihnen helfen?«, erklang eine Männerstimme hinter meinem Rücken.
Ertappt drehte ich mich um. Der Mann war groß gewachsen, aber welcher Mann war das aus meiner Perspektive nicht? Bei ihm musste ich allerdings den Kopf noch ein Stück tiefer in den Nacken legen als sonst. Er hatte dunkelblonde Haare, die ihm im Alltag sicher in die Stirn fielen. Heute waren sie ordentlich nach hinten gekämmt. Er trug einen schwarzen Anzug, im Knopfloch steckten die Köpfe einer Rose und einer Freesie von den Sorten, die auf dem Boden lagen. Irgendeine vage Erinnerung kroch in mir hoch. Irritiert guckte ich in ein schmales Gesicht, als ich Philip gequält aufstöhnen hörte.
»So eine Schererei!«
Das hatten andere vor Philip auch schon festgestellt.
»Vielleicht können wir etwas davon retten?«, sagte der Mann.
Das klang optimistisch, vermittelte meiner Einschätzung nach jedoch eine vergebliche Hoffnung. Dennoch gingen wir alle drei synchron in die Hocke, um den Schaden genauer zu inspizieren.
»Wie konnte dir das eigentlich passieren?«, bohrte Philip nach und nahm zerschlagene Glasstücke in die Hand, als handle es sich um einen Tatort und er sichere Beweisstücke für die Kriminaltechnik.
»Ich musste niesen.«
Vier Augen starrten mich an. Die von Philip fassungslos, die anderen zwei belustigt.
»Es war ein heftiger Anfall. Es muss das Schleierkraut gewesen sein … oder die Sträucher.« Meine Stimme wurde kleinlaut, bis sie völlig verstummte.
»Machen Sie sich deswegen keine Gedanken«, sagte der Mann im beschwichtigenden Tonfall eines Arztes, der verhindern wollte, dass die labile Patientin einen hysterischen Nervenzusammenbruch erlitt.
Sein Bild in meinem Kopf nahm Konturen an. Arzt! Das war’s.
Ich sah eine Praxis vor mir, nur schemenhaft, darin eine Gestalt in einem weißen Kittel. War es der Mann, der jetzt neben mir kniete? Deutlich tauchten blitzende Instrumente vor meinem geistigen Auge auf: Zangen, lange chirurgische Scheren und andere furchteinflößende Werkzeuge. Dazu kam ein spezifischer Geruch, den ich nicht genau bestimmen konnte.
Ich ratterte im Kopf die Ärzte herunter, von denen ich mich, mehr oder weniger regelmäßig, untersuchen ließ.
Dr. Birkmann, mein Hausarzt, schied aus. Ich kannte ihn seit Jahren und besuchte ihn regelmäßig. Außerdem stand er kurz vor der Pensionierung und war nicht größer als ich selbst. Nur doppelt so breit.
Für gynäkologische Untersuchungen ging ich zu einer Frau. Das war mir irgendwie lieber. Männlichen Frauenärzten fehlte es an monatlichen Regelschmerzen. Wie sollte ein Mann, egal ob Mediziner oder nicht, diese wiederkehrende Tortur verstehen können? Geschweige denn Geburtswehen, sollte ich jemals in diese Umstände kommen.
Dr. Künisch, meinen Dermatologen, hatte ich das letzte Mal vor zwei Jahren gesehen. Ich musste mal wieder einen Termin bei ihm vereinbaren. Auf meinem Oberarm, unterhalb der Schulter, hatte sich letzten Sommer ein braunes Mal gebildet. Nicht dass es bösartig war. Bei meinem letzten Besuch war Dr. Künisch fast kahlköpfig gewesen. Und ich konnte mir nicht vorstellen, dass ihm zwischenzeitlich ein dichter blonder Schopf gewachsen war. Seinen Teilhaber an der Gemeinschaftspraxis hatte ich noch nie zu Gesicht bekommen.
Nein. Er musste eine Vertretung gewesen sein. Ein Arzt, bei dem ich nur ein Mal gewesen war. Irgendwann.
Während ich mir das Gehirn zermarterte, saßen wir weiterhin zu dritt in der Hocke vor dem zertrümmerten Bouquet. Der Mann hob eine Freesie auf, die den Sturz unbeschadet überstanden hatte. Unsere Knie berührten sich leicht. Unter dem Stoff des Anzugs zeichnete sich sein Körper ab. Nicht muskelbepackt, eher durchtrainiert wie bei einem Schwimmer. Ich studierte unauffällig das Profil mit der schmalen Nase.
»Wir sollten die Scherben lieber vom Restaurantpersonal aufräumen lassen«, riet er.
Und als hätte er mein Interesse bemerkt, zuckte es in seinen Mundwinkeln. Das wirkte amüsiert und spöttisch zugleich. Auf jeden Fall war mir dieser Mund bekannt. Herrje. Was, wenn wir uns schon mal geküsst hatten? Es konnte keinen glaubhaften Grund geben, warum ich mich nicht daran erinnerte, außer ich hatte zu viel getrunken. Nur mochte ich Alkohol in großen Mengen nicht besonders und hatte erst zweimal in meinem Leben zu viel getrunken. Es war einfach zum Verzweifeln. Ich kramte tiefer in meinem Gedächtnis, als ich Philip aufschreien hörte.
»Au!«
Er hielt die rechte Hand hoch. Blut lief daran herunter und tropfte auf die Blumen. Dazwischen ragte deutlich die spitze Glasscherbe heraus, an der er sich geschnitten hatte. Philip sah nicht gerne Blut. Und erst recht nicht sein eigenes.
»Ich hole den Erste-Hilfe-Kasten aus dem Auto«, sagte der Mann und stand auf. »Die Wunde muss verbunden werden.«
Ein Notfallmediziner!, schoss es mir durch den Kopf, als er mit raschen Schritten Richtung Straße verschwand. Allerdings hatte ich noch nie einen Notarzt rufen müssen, und in einen Unfall mit Krankenwagen und allem, was dazugehört, war ich auch noch nicht verwickelt gewesen. Ich klopfte, mangels greifbarem Holz, dreimal auf Philips Schulterblatt. Wir Schauspieler waren eben abergläubische Leute.
»Hast du noch alle, Isabelle? Ich verblute hier fast, und du trommelst auf mir herum.«
Philip wollte getröstet werden, und Susanna war nicht greifbar.
Er rückte seine Brille mit der unverletzten Hand zurecht. »Was machen wir nur ohne dieses dämliche Grünzeug?«
»Dann improvisieren wir eben«, sagte ich. »Wir stellen einfach ein kleineres Gesteck auf den Tisch.«
»Spinnst du? Wo willst du eines herbekommen?«
»Susanna packt immer ein Notfallgesteck dazu, falls was schiefgeht. Sozusagen ein florales Back-up, um es dir in deiner IT-Sprache zu erklären.«
Philip schien dadurch bedauerlicherweise nicht besänftigt. »Die merken vermutlich, dass es nicht das Original ist. Noch dazu kenne ich den Bräutigam. Wie steh ich denn da?«
»Ich biete dir eine prima Lösung an, und du stellst dich quer.«
Philip war so was von dickköpfig. Seine Augenlider flatterten wie aufgeregte Fledermäuse. »Shit. Wie lange braucht dieser Mensch noch? Die Wunde tut echt verdammt weh«, jammerte er mit schmerzverzerrtem Gesicht und schaffte es, mich böse anzufunkeln.
Jetzt streifte mich doch ein Anflug von Sorge. »Hast du arge Schmerzen?«
»Schneide du dich mal an so einer fetten Scherbe!«
Als hätte der Unbekannte Philips Gewinsel gehört, kam er mit einem Verbandskasten angerückt. Im Schlepptau Tommy, der mit besorgter Miene das Blut am Boden betrachtete.
»Es ist hoffentlich nichts Ernstes, Phil. Alexander hat zum Glück sofort den Verbandskasten aus dem Auto geholt.«
Aha. Alexander hieß der Mann also. Trotzdem wollte sich das Rätsel um unsere mögliche frühere Bekanntschaft nicht lüften.
Und Tommy packte wirklich jede Gelegenheit beim Schopf, von seiner eigenen Feier zu flüchten. Große Hochzeiten zogen sich auch gerne endlos dahin. Besonders zwischen nachmittäglichem Kuchenbuffet und Abendessen tat sich meist gähnende Langeweile auf. Während Tanten und Onkel gemütlich die letzten Tortenstücke vertilgten und sich begeistert Geschichten aus besseren Zeiten erzählten, zogen sich die Jüngeren im Viertelstundenrhythmus in den Garten zu Raucherpausen zurück, nur um für einige Minuten der vereinnahmenden Geselligkeit zu entkommen. Tommy war sogar schon vor dem Mittagessen langweilig. Ob das ein gutes Zeichen für seine Ehe war?
»Verstehen Sie denn etwas von Erster Hilfe?«, fragte Philip skeptisch nach, als wir uns ins Gebäude verzogen.
Quer über die Handinnenfläche zog sich ein etwa vier Zentimeter langer Schnitt, und der war meiner Einschätzung nach nicht besonders tief.
Alexander stellte den Verbandskasten auf eine Kommode und fing an, die Wunde zu desinfizieren. All dies machte er mit geschickten Fingern, als hätte er Routine darin.
»Keine Sorge. Mein Vater war Arzt. Da habe ich mir so manches abgeguckt.«
Ha, dachte ich. Da hatte ich mit meiner Intuition nicht so falsch gelegen.
Während ich gleichgültig tat, spitzte ich die Ohren und hörte Tommy sagen: »Eigentlich war er Zahnarzt, aber Wunde ist schließlich Wunde.« Und dann setzte Tommy drauf: »Alexander ist übrigens mein Stiefbruder.«
Die Information galt Philip, war jedoch für mich selbst von höchstem Interesse.
»Tommys Mutter und mein Vater haben einander beide in zweiter Ehe geheiratet«, sagte Alexander, ohne sich an Philips offener Wunde zu stören, die er mit einem Druckverband stillte. »Deswegen heiße ich selbst Perthen.«
Alexander Perthen! Das konnte nicht wahr sein! Der Junge meiner Teenagerträume. Der Junge aus der höheren Klasse, den ich monatelang angehimmelt hatte und der meine knochigen Mädchenknie hatte erzittern lassen, sobald ich ihn in der Schule nur von Weitem erspähte. Der Junge, der bereits wie ein Mann ausgesehen hatte, der die Stimme eines Mannes und sicher auch die Erfahrung eines Mannes gehabt hatte. Der Junge, wegen dem ich gegen alle Vernunft mit imaginären Zahnschmerzen zu seinem Vater gelaufen war.
Dr. Klaus Perthen, Zahnarzt, Sprechstunde Mo–Fr von 8:00–13:00; Mo, Di, Do von 15:00–18:00.
Wie oft hatte ich als Vierzehnjährige vor dem goldenen Schild neben der Eingangstür des zweistöckigen Hauses in Charlottenburg gestanden, nur um Alexander in seiner Umgebung näher zu sein. Dr. Klaus Perthens Arztpraxis war bequemerweise im Erdgeschoss seines Privathauses untergebracht gewesen, und ich hatte erwartungsvoll die Fassade hochgespäht, ob Alexander nicht an einem der Fenster zu sichten war. Oder zufällig aus dem Haus kam. Dann wäre ich direkt in seine Arme gelaufen. Meine Eltern hatten sich über die plötzlich auftretenden Zahnschmerzen ihrer Tochter gewundert und mir fürsorglich ihre Begleitung angeboten, die ich entrüstet abgelehnt hatte. Schließlich sei ich kein Kind mehr, war meine Argumentation gewesen.
Dr. Perthen hatte sich nicht über mich gewundert, sondern am Backenzahn oben rechts und am danebenliegenden Mahlzahn unerwartet Karies festgestellt. Für beide verpasste er mir Plomben, die ich aus kostspieligster Keramik herstellen ließ. Schließlich wollte ich mich in der Familie Perthen von vornherein beliebt machen. Im Nachhinein betrachtet wäre dieser Luxus vielleicht nicht nötig gewesen.
Ich erinnerte mich noch genau an das Geräusch des Bohrapparates, mit dem Dr. Klaus Perthen in meinem Mund herumwerkelte, während ich betete, dass Alexander nicht gerade in diesem unwürdigen Zeitpunkt in die Praxis kommen möge und mich zufällig auf dem Behandlungsstuhl sitzen sähe. Aber er ließ sich bei meinen Besuchen im Hause Perthen überhaupt nicht blicken. Außer das eine Mal. Ich rannte beim Hinausgehen förmlich an der Praxistür in Alexander hinein. Leider war ausgerechnet an diesem Tag mein Mund von Spritzen betäubt, und meine Lippen waren so starr wie die von Nicole Kidman nach ihrer fünften Botox-Orgie. Mein Lächeln fiel somit reichlich schief aus. Ich fühlte mich wie ein hässliches Entlein und rannte mit gesenktem Kopf an ihm vorbei geradewegs auf die rettende Straße. So klappte es einfach nicht. Ich gab trotzdem nicht auf, ging weiter fleißig zu meinen Vorsorgeuntersuchungen und begleitete meine Eltern und sogar Philip zu ihren Perthen’schen Zahnbehandlungen. Bei diesen Gelegenheiten traf ich Alexander ganze weitere drei Mal, als er mit seinem Fahrrad angeschossen kam und uns vor der Praxistür hastig grüßte, bevor er die Treppen zu den Privatwohnungen hochlief. Auch diese Begegnungen blieben fruchtlos, denn in der Schule sprach mich Alexander nie auf meine Zahnarztbesuche an, was womöglich daran lag, dass er mich schlichtweg nicht erkannte.
Aber schon im nächsten Schuljahr machte Alexander sein Abitur und zog zum Studium weg. Ich habe nie herausgefunden wohin. Einen Monat lang heulte ich mich wegen meiner verlorenen Liebe in den Schlaf. Dann lernte ich Michael kennen. Er spielte Saxophon in der Schülerband, und Alexanders Bild verblasste. Um auf Dauer unglücklich zu sein, muss sich der Angehimmelte schon in sichtbarer Nähe befinden. Als Erinnerung an Alexander blieb mir ein schönes Gebiss.
»Perthen?«, krächzte Philip wie ein Papagei. »In unserer Nähe hat ein Zahnarzt mit diesem Namen gewohnt. Unsere gesamte Familie hat sich von ihm behandeln lassen.«
Es zeugte nicht von humanitärer Gesinnung, einem Schwerverletzten die Beulenpest zu wünschen. Genau das tat ich jedoch in dieser Sekunde. Konnte Philip nicht den Mund halten? Warum genügte es nicht, dass er heute seinen alten Kumpel Tommy wiedergefunden hatte? Was wühlte er meine peinliche Vergangenheit auf?
»Dann waren wir möglicherweise auf derselben Schule«, begeisterte sich Philip und vergaß darüber, sich für die Erste Hilfe zu bedanken. »Ich bin ja etwas zu jung, du könntest dich allerdings noch an Isabelle erinnern. Meine Schwester war drei Jahrgangsstufen über mir. Na ja. Anfangs waren es vier. Sie musste eine Ehrenrunde einlegen.«
Alexander schaute mich an. Überrascht, aber nicht so, als ob er mich wiedererkannte. Ich guckte unbeteiligt. Es verging eine Ewigkeit.
»Ja, ich glaube, ich kann mich an dich erinnern«, sagte er endlich. »Du warst häufiger in der Praxis meines Vaters, nicht wahr?«
»Schlechte Zahnsubstanz«, erklärte ich. »Ist erblich bedingt.«
»So’n Quatsch«, stritt Philip prompt ab. »Ich habe jedenfalls von Natur aus ein prächtiges Gebiss mitbekommen.«
Am liebsten hätte ich ihn erwürgt.
»Ich hole schnell das andere Gesteck«, rief ich stattdessen und ergriff vorerst die Flucht.
Keine Sekunde zu früh. Denn kaum hatte ich Susannas Notfallbouquet auf dem Tisch des Hochzeitspaares arrangiert, kam eine Gruppe von Hochzeitsgästen, die hauptsächlich aus Damen bestand, als Vorhut durch die offene Flügeltür hereingeschlendert. Sie zerpflückten die Trauungsfeierlichkeiten, lobten gegenseitig ihre Kleider, fanden den Mai zu feucht und den Champagner ausgezeichnet. Die gelungenen Feste waren bekanntlich diejenigen, auf denen man selbst am meisten redete.
Vor lauter Plappern übersahen sie mich komplett, und ich konnte nach draußen verschwinden.
Dort stand Philip mit verzerrter Miene tatenlos herum. Von Tommy und Alexander war nichts mehr zu sehen. Philip betrachtete leicht angeekelt seinen Verband. Allein mit seiner Schwester spielte er sofort wieder den Schwerstverletzten. »Und? Wie sieht es aus?«
»Prima. Der Tisch ist so vollgestellt, dass ein kleineres Gesteck gar nicht auffällt.«
»Hoffen wir’s.«
Das war das Äußerste an Optimismus, was Philip hervorbrachte.
Gleich kommt’s, dachte ich.
»Und mit dieser Wunde soll ich jetzt den Transporter zurückbringen?«, wehklagte Philip erwartungsgemäß. Das nächste Problem baute sich unabwendbar vor ihm auf. »Ich versteh einfach nicht, warum du nicht wie jeder andere Mensch auch Auto fahren kannst, Isabelle. Da hast du vor zehn Jahren den Führerschein gemacht und bist seither kein einziges Mal selbst gefahren.«
»Jetzt übertreib nicht. Ich bin durchaus ein paar Mal gefahren. Zum Beispiel mit Mamas Citroën, als sie die Knieoperation hatte.«
»Und hast natürlich gleich eine Beule hinterlassen. Noch dazu ist der Citroën ein Erbstück von Opa. Ein unersetzliches Familienstück. Die Reparatur war sündteuer.«
»Ich habe alles aus eigener Tasche bezahlt«, verkündete ich hoheitsvoll. »Schließlich hatte ich zugegeben, dass es mein Fehler war.«
Philip, wohl weil seiner Ansicht nach lebensgefährlich verletzt, ließ seiner schlechten Laune ungeniert freien Lauf: »Womöglich hat das ja seine Gründe! Was kann schon rauskommen, wenn du dich nur alle Jubeljahre hinter ein Lenkrad traust!«
»Warum reitest du bloß so darauf herum? Das ist Ewigkeiten her. Zumindest kann ich ja versuchen, den Transporter zurückzufahren. So schwierig wird’s nicht sein.«
Ich fand mein Angebot ausgesprochen generös. Wenn auch völlig unrealistisch. Wie sollte ich solch ein Ungetüm lenken, wenn ich mich ansonsten nur in U-Bahnen und Bussen fortbewegte?
Philip warf mir einen tödlichen Blick zu. »Ich bin nicht lebensmüde. Ein Attentat auf mein Leben reicht mir für heute völlig.«
Ich hatte mit keiner anderen Reaktion gerechnet.
Katharina kniff das bisschen graubraune Lippen zwischen die Zähne, als sie Philip mit verbundener Hand durch Blütenkorbs Eingangstür hereinschlurfen sah. Sie schnaufte erregt durch die Nase, und ich ahnte, was gleich kommen würde.
»Was habt ihr denn angestellt?«
»Philip hat sich an einer Glasscherbe geschnitten«, rief ich aus und rechnete es meinem Bruder hoch an, dass er keine genaueren Details preisgab.