Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
"Die Menschen sind so einfältig und hängen so sehr vom Eindrucke des Augenblickes ab, dass einer, der täuschen will, stets jemanden findet, der sich täuschen lässt." So hat es der florentinische Staatsphilosoph Niccolò Machiavelli einmal treffend formuliert. Flanagan und sein junger Freund Poindexter sehen es nicht anders. Mal wieder in Geldsorgen und bereit zum großen Coup, entwickeln sie einen ausgeklügelten Plan, mit dem sie nicht nur Inspector Brown und seinen Assistenten Sergeant Crowler von Scotland Yard an der Nase herumführen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 180
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Flanagan
Kriminalkomödie
von
Thomas Riedel
Bibliografische Information durch
die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.de abrufbar
1.Auflage
Covergestaltung:
© 2018 Thomas Riedel
Grafik: © krabata, ID: 4097512, Depositphotos.com
ImpressumCopyright: © 2017 Thomas RiedelDruck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.deISBN: siehe letzte Seite Buchblock
Für Susanne Danzer
»Die Menschen sind so einfältig
und hängen so sehr vom
Eindrucke des Augenblickes ab,
dass einer, der täuschen will,
stets jemanden findet,
der sich täuschen lässt.«
Niccolò Machiavelli (1469 - 1527)
Die Sonne hing ihre goldenen Strahlenbündel in die überall erblühten Obstbäume. Dazu strich ein lauer Wind durch die Hausgärten, der den lieblichen Duft von Flieder in die vormittäglich stillen Straßen der Stadt trug. Wie eine Glocke aus blauem Kristall lag der lachende Frühlingshimmel über der Welt.
In den weiten geöffneten Fenstern des feudalen Edinburgher ›Old Waverley Hotels‹ stand die Sonne. Neugierig blinzelte sie auf die ganz in Weiß eingedeckten Tische des luxuriösen Speisesaals herein und spiegelte sich in all dem funkelndem Silber und blitzendem Glas. Helle goldene Quadrate legte sie auf den glänzenden Parkettboden. Liebkosend huschte sie über das weiche Fell einer Katze, die, behaglich schnurrend, auf einer der Fensterbänke die wärmenden Strahlen genoss.
So hätte diese Geschichte beginnen können, wenn die zwei Gäste nicht gewesen wären, die schweigend im Speisesaal des Hotels saßen. Sie saßen dort, als würden sie nichts vom Frühling, dem Fliederduft und der Sonne bemerken. Anscheinend warteten sie einfach nur auf den Lunch und dachten nach …
Ja! Woran dachten sie eigentlich? Wahrscheinlich nur an ihr Essen. Denn in einer Großstadt, wie Edinburgh eine war, dachte nach einigen Wochen niemand mehr an den Frühling mit seinem Blütenzauber. Vielleicht dachten sie darüber nach, ob die ›Escalopes‹ heute wieder so zäh sein würden, wie sie es am Tag zuvor waren. Eventuell fragten sie sich auch, ob die gekochten Eier endlich einmal weich und nicht steinhart auf den Tisch kamen, wie an all den Tagen zuvor.
Möglicherweise sinnierten sie auch über andere Dinge. An frühere Zeiten vielleicht. An ihre bunte Vergangenheit, die sie, gleich einem abenteuerreichen Theaterstück, das drüben in der Neuen Welt begonnen, hinauf und hinunter geführt hatte. Von Erfolg zu Misserfolg, von Hoffnung zu Enttäuschung und von einem Kontinent, von einem Meer zum anderen. Möglicherweise dachten sie auch an den Zufall, der ihre Wege sich kreuzen ließ, und dessen stummen Wink sie sofort verstanden hatten. Ein glücklicher Umstand; denn sie ergänzten sich in selten vorkommender Weise.
Nun aber warteten sie auf ihren Lunch. Der ältere von den beiden Männern hatte ein gebräuntes, energisches und glatt rasiertes Gesicht mit lebhaften Augen. Schmunzelnd sah er seinen Gefährten an. Dessen überaus freundliches Antlitz ließ darauf schließen, dass er jeglicher Art von Anstrengung mit dem abergrößten Vergnügen aus dem Wege ging. Mit leicht säuerlichem Zug um die Mundwinkel beschäftigte er sich mit dem Deckblatt einer sich sträubenden Zigarre.
»Keine ›Victory!‹«, sagte der Ältere aufgeräumt.
»›Victory‹? … Hat Defoes Robinson Crusoe vielleicht ›Victorys‹ geraucht?«
»Wieder einmal unzufrieden, Poindexter? … Habe nur etwas Geduld, mein Junge. Es wird sich schon alles bald ändern!«
Poindexter beleckte die widerborstige Zigarre von allen Seiten und drückte die Blätter fest. Dabei bemühte er sich, sein Gesicht in vorwurfsvolle Falten zu legen. »Mir ist die Sache wirklich zuwider! Diese ewigen Geldsorgen soll der Teufel holen …« Verdrießlich sog er an dem Zigarrenstummel und paffte einige dicke Rauchkringel zur Decke. »Fünf-Penny-Zigarren!«, knurrte er abfällig. »Und so etwas muss ich rauchen!«
Flanagan riss ein Streichholz an der Unterseite des Tisches an und entzündete sich eine Zigarette.
»Ach, daher weht der Wind …«, lachte er amüsiert. »Aber du hast recht. Wir müssen danach trachten wieder einmal ein richtiges Geschäft zu machen. Ein Unternehmen, das sich für uns auch wirklich lohnt!«
Unzufrieden sprang Poindexter von seinem Stuhl auf. Mit weiten Schritten ging in dem großen, leeren Saal auf und ab. Endlich blieb er vor Flanagan stehen, dessen Blicke ihm lächelnd gefolgt waren.
»Du mit deinen Geschäften! … Waren diese uralten Dinger, die du in Benares gekauft hast, vielleicht ein Geschäft? Ist das vernünftig, indischen Trödlerkram aufzukaufen, sein sauer verdientes Geld dafür auszugeben und mit hundertprozentigem Gewinn zu rechnen? Wo ist der Gewinn? Hat Mister Barratt die Sachen gekauft?«
Flanagan streifte die Zigarettenasche ab.
»Woher sollte ich denn wissen, dass Mister Barratt kein Interesse für indische Altertümer hat«, sagte er beschwichtigend. »Er ist mir immerhin als großer Sammler bekannt …«
»Ein großer Sammler! Das ich nicht lache!«, unterbrach ihn Poindexter aufgebracht. »Was ist das schon, ein Sammler? Das sind doch alles nur Narren! Sie sammeln Hosenknöpfe, Briefmarken, Bilder und Krimskrams. All ihr Geld stecken sie in ihre Sammlungen, weil sie zuviel davon haben, und nicht mehr wissen, was sie sonst damit machen sollen. Weiter nichts! Und dieser Mister Barratt ist auch kein bisschen anders. Dieser Fabrikant verdient eben zu viel an seiner Toiletten-Seife. Und weil er im Geld schwimmt, und es meiner Ansicht nach zu leicht verdient, macht er Jagd auf Antiquitäten. Nur imponiert mir dergleichen nicht, wie du weißt!«
»Und wenn er unsere indischen Kunstwerke gekauft hätte?«
Flanagan tat Poindexters Einwurf mit einem Schulterzucken ab und setzte sich zurück an den Tisch.
»Er hat sie aber nicht gekauft!«, stellte er melancholisch fest. »Kommt extra aus London per Bahn her und schaut sich alles eingehend an. Dabei schwafelt er weit und breit herum, und fährt schlussendlich, ohne auch nur ein Stück zu kaufen, wieder zurück in seine Seifenfabrik. Traurig ist das. Sehr traurig, sage ich dir! Wenn das so weitergeht, werden wir bald ganz schön in der Tinte sitzen!«
»Und das, während andere in Brighton flanieren und im Meer baden!«
»Brighton!«, schwärmte Poindexter, dessen Gesicht bei dem Gedanken an das Seebad einen verklärten Ausdruck annahm. »Brighton und das Meer!« Lächelnd sah er Flanagan an. »Weißt du eigentlich, dass es dort drei Saisons im Lauf eines Jahres gibt? Im Mai und Juni ist es fast ausschließlich von Londoner Familien und einfachen Bürgern besucht. Im Juli und August von Ärzten, Advokaten und Künstlern. Und in den Herbst- und Wintermonaten, wenn es dort sonnig warm ist, wimmelt es von Adeligen, die vom Kontinent heimkehren.« Er nahm einen Zug von seiner Zigarette. »Kannst du dir vorstellen wie das sein müsste, Flanagan? So als reicher Mann?«
»Und ob ich kann!«, nickte Flanagan. »Und bei allem handelt es sich nur um eine Idee.«
»Nein, mein Lieber! Zu allererst handelt es sich um Geld!«
»Irrtum, mein Freund! Um die Idee, wie man zu Geld kommt! Die Idee ist das Primäre … daraus wird später Geld.«
Poindexter hatte sich genug geärgert. Es lag ihm auch gar nicht, ewig zu widersprechen.
»Hast du eine Idee?«, fragte er deshalb einlenkend.
»Lass mich mal nachdenken …«
Flanagans Denkorgan arbeitete zahlreiche Pläne ab, während er die Katze streichelte, die ihren Beobachtungsposten am Fenster verlassen hatte und auf seinen Schoß gesprungen war. Aber der Gedanke daran, dass jedes Geschäft mit eintöniger Arbeit verbunden war, stand beklemmend im Vordergrund.
Poindexter betrachtete seine Zigarre.
»Na also …«, sagte er nach einer endlosen Pause. »Ein Geschäft will er machen. Nach Brighton will er fahren. In der See will er baden. Aber er hat keine Idee, wie man Geld machen kann! Ein trauriges Leben!«
Der Kellner hatte seinen Servierwagen vorgefahren und begann damit aufzutischen.
Poindexter warf die Zigarre, die sich mit Erfolg bemüht hatte, in ihre ursprüngliche Blattform zurückzukehren, zum Fenster hinaus.
»Und? … Noch immer nichts?«, erkundigte er sich, mit vollem Mund kauend.
»Wie stehen wir augenblicklich da, wenn wir alles zusammenkratzen?«, wollte Flanagan plötzlich wissen.
Poindexter fischte sich eine Scheibe Schinken auf den Teller, rechnete, kombinierte, addierte und zerlegte fachmännisch eine Grapefruit. Dabei kratzte er sich bekümmert hinter den Ohren und angelte, während er die Grapefruit mit Cognac behandelte, nach einem Ei griff, sich Butter auf ein bereits halbiertes Brötchen strich und einer Sardine den Schwanz abbiss.
»Hundert Pfund in bar«, antwortete er danach, ganz Buchhalter. »Auf dem Scheckkonto bei der ›Bank of England‹ sind noch … rund fünfhundertdreiundsechzig Pfund und fünfzig Pence …«
Flanagan blieb, ob der geringen Summen, der Bissen im Mund stecken. Er faltete die Serviette, legte sie auf den Tisch und lehnte sich zurück.
»Mensch, lass dir die Hand drücken, Poindexter«, sagte er plötzlich. »Du bist der beste Kassenverwalter seit Olims Zeiten!1«
»Keine Ahnung von wem du gerade sprichst. Ich kenne keinen Olim! … Ich habe mir nur jede Zigarre vom Mund abgespart!«, entgegnete Poindexter mit einem vorwurfsvollen Blick.
»Du bist der große Finanzminister … Fünfhundert … Das ist zu viel … Sobald wir eine Villa in Brighton haben, kaufe ich dir eine Kiste exquisiter Zigarren … Sag‘ mal, mein Freund, haben wir die Aktien der ›Murchinson Oil Development‹ noch?«
Poindexter winkte mit der Gabel ab. Die Anlage, auf die Flanagan anspielte, weckte in ihm nicht gerade angenehme Gefühle.
»Erinnere mich nicht an diese Wertpapiere. Wir verlieren an dieser Spekulation viel zuviel. Das war auch so eine Schnapsidee von dir, diese Aktien zu kaufen. Fünfhundert Stück haben wir … fünf..hun..dert! Wir haben fünfzehn Pfund dreiundsiebzig Pence pro Stück bezahlt … und heute stehen sie auf drei! Hörst du, Flanagan! Auf drei Pfund … Wir verlieren gute siebeneinhalbtausend daran.«
»Hm!«, machte Flanagan und schwieg.
»Auch eine Antwort, wenn man keine andere parat hat«, knurrte Poindexter verärgert. »Warum hast du die wertlosen Aktien nicht Mister Barratt angeboten? Der kauft doch Antiquitäten!«
Flanagan stützte sein Kinn mit einer Hand und sah an Poindexter vorbei zum Fenster hinaus.
»Oft sind es die unscheinbaren Dinge, die plötzlich Wert bekommen«, sagte er nach einer kleinen Weile nachdenklich. »Aus Minderwertigem gewinnen Alchimisten Gold.«
»Na! Sie haben es wohl eher versucht, geglückt ist es keinem! Aber wenn du es kannst! Dann mach‘ mal Gold aus den wertlosen Papieren!«
Flanagan blieb ihm eine Antwort schuldig. Um Poindexters Unzufriedenheit nicht noch weiter zu befeuern, unterließ er es ihm zu erklären, dass die Alchemie unter anderem Weißes Gold hervorgebracht hatte. Gemächlich schob er den Teller zurück und griff nach der Zigarettenschachtel zu seiner Linken. Sein Hirn arbeitete jetzt wie eine gut geölte Maschine. So, wie er augenblicklich dasaß, die Augen in eine unbekannte Ferne gerichtet, glich er einem Jagdhund, der Beute witterte.
Mit Barratt, den Aktien und dem Bankkonto, überlegte er, damit fangen wir in London ein neues Leben an. Damit und mit einer Handvoll Ideen …
Langsam wich die Anspannung aus seinem Gesicht, und es kehrte wieder Leben in seinen Blick.
»Poindexter! Wir werden reich wir Krösus«, sagte er gleich darauf und lächelte seinen Gegenüber an. »Merke dir, Robert Stephenson und sein Vater George haben auch ohne einen Penny angefangen … und was haben sie uns gebracht? Die Eisenbahn!«
»Und was willst du der Welt bringen?!«, spottete Poindexter giftig. »Ganz abgesehen bist du kein Ingenieur und die Sache mit Stephenson liegt auch schon einige Jahrzehnte zurück.«
Flanagan schüttelte, den Spott seines Freundes ignorierend, den Kopf, beugte sich ein wenig vor und legte ihm seine rechte Hand an die Schulter.
»Damals war es auch nicht anders und in ein paar hundert Jahren wird es genauso sein. Die Menschen haben alle einen einzigen großen Fehler: Sie legen viel zu schnell die Hände in den Schoß, schauen zurück und seufzen: Damals!«, philosophierte er halblaut. »Wenn George Stephenson auch so gedacht hätte, hätte er seinem Jungen nicht die beste Erziehung und Schulbildung zukommen lassen. Dann wäre aus dem Kind vielleicht nur ein Zeitungsjunge geworden und ›The Rocket‹2 hätte es niemals gegeben!«
»Und welchen ›Gordischen Knoten‹ willst du durchschneiden?«
»Nenne es ruhig so!«, lachte Flanagan einlenkend. »Denn exakt darum geht es doch: eine verblüffend einfache Lösung für ein unlösbares Problem zu finden. Dazu braucht es aber zündende Ideen und ein Ziel, das man vor sich haben muss. Genau das ist das große Geheimnis! Und wenn es mir an etwas nicht mangelt, dann sind es Ideen … Kellner! Die Rechnung, bitte!«
Poindexter sah seinen Freund verdutzt an.
»Jetzt? … Mitten im Essen?«
»Jawohl! Wir fahren nach London … Einpacken, Poindexter! Wir reisen sofort! Nimm nur das Notwendigste mit … Alles, was wir nicht dringend benötigen, soll das Hotel bis zur Abholung deponieren… Verstanden?«
»Als wenn daran etwas nicht zu verstehen wäre«, grummelte Poindexter.
Er erhob sich und verschwand in Richtung Empfangsraum. Als Flanagan zehn Minuten später, den von beiden Zimmern aus erreichbaren gemeinsamen Salon betrat, war sein Freund schon dabei zu packen.
Wenige Wochen später ereigneten sich in London einige Vorfälle, die das britische Empire aufrüttelten und monatelang in Atem hielten. Und all das begann zu einem Zeitpunkt, da man in der Metropole eine große Ausstellung vorbereitete, die ›Empire of India Exhibition‹ und mit Besuchern aus aller Herren Länder rechnete. Ganz genau fing es an einem stillen, wenig geschäftigen Vormittag am Effektenschalter der ›Bank of London‹ an, als sich gegen zehn Uhr ein distinguierter Fremder nach dem Kurs der ›Murchinson Oil Development‹ erkundigte.
»Einen Augenblick bitte, Sir. Ich werde sofort nachschauen.« Der Bankangestellte holte aus einer Lade eine mit Papieren gefüllte Mappe hervor, blätterte darin und ließ seinen Zeigefinger über eine tabellarische Aufstellung wandern. »Ah … hier habe ich es …« Er blickte wieder auf und korrigierte den Sitz seiner Hornbrille. »Die standen mal deutlich besser … aktueller Kurs: drei Pfund fünfzehn Pence.«
Der Fremde machte ein unangenehm überraschtes Gesicht.
»Eine ungesunde Spekulation … Ich verwünsche meine Leichtgläubigkeit, die mich veranlasst hat, diese Aktien zu kaufen«, murmelte der Mann halblaut vor sich hin.
»Wertpapiere locken mit hohen Gewinnen, aber man kann auch viel verlieren, Sir«, wagte der Schalterbeamte zu bemerken.
»Ich habe fünfhundert Anteile dieser Company gezeichnet«, erklärte der Fremde, »und sehe mich gezwungen diese wieder zu veräußern … auch wenn es einen nicht unerheblichen Verlust für mich bedeutet.« Er öffnete den Gurt seiner Ledertasche, entnahm ihr ein dickes Aktienbündel und schob es dem Bankangestellten zu. »Wenn Sie so kulant wären?«
Der Mann hinter dem Schalter nickte freundlich, sah die Wertpapiere durch und schrieb eine Anweisung für den Zahlschalter aus.
»Sie können sich den Betrag dort drüben auszahlen lassen«, sagte er lächelnd und deutete auf den entsprechenden Kollegen.
»Haben Sie vielen Dank.« Der Fremde nickte freundlich und begab sich zur Auszahlung. »Von Aktien habe ich bis auf weiteres genug«, bemerkte er voller Galgenhumor.
Der Bankangestellte nickte freundlich, ließ ihn die ausgezahlte Summe prüfen, und unterließ es einen Kommentar abzugeben.
Kaum hatte der Fremde das Geld in seiner Aktentasche verstaut und die Bank verlassen, stürzte ein Mann atemlos in den Schalterraum. Mit einem Taschentuch wischte er sich die Schweißperlen von der Stirn. Nachdem er wieder ein wenig zu Luft gekommen war, erklärte er den Direktor der Bank sprechen zu wollen.
Den Einwand, dass Direktor Livingston nicht für jedermann zu sprechen sei, schnitt er damit ab, dass er seine Erkennungsmarke zeigte und sich als Detective Sergeant Carter vorstellte. Diese Erklärung wirkte wie ein Zauberstab im Märchen. Der eben noch so ablehnende Beamte ließ sich auf der Stelle mit Direktor Livingston verbinden und winkte einem Boy. Dann bat er den Kriminalbeamten, dem jungen Burschen zu folgen, der diensteifrig den Paternoster betrat. Es waren noch keine fünf Minuten seit dem Eintreffen Carters in der Bank vergangen, als er schon vor dem Direktor des Geldinstitutes stand.
»Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuch, Detective Sergeant Carter?«, erkundigte sich Livingston, der hinter einem mit Papieren überladenen Schreibtisch saß und ihn leicht beunruhigt ansah. »Wenn Scotland Yard zu uns kommt, steckt immer etwas dahinter.«
Carter zog den Bund seiner Hose höher und legte die Aktenmappe, die er unter seinem linken Arm mit sich trug, auf einen kleinen Tisch. Dann wischte er sich erneut mit dem Taschentuch über die Stirn.
»Mit Verlaub, Direktor Livingston«, begann der Detective mit ernstem Gesicht. »Ich möchte nur bei Ihnen nachfragen, ob Ihrem Haus heute Aktien der ›Murchinson Oil Development‹ angeboten wurden. Und wenn ja, haben Sie diese Wertpapiere angekauft?«
»›Murchinson Oil Development‹?« Livingston runzelte die Stirn. »Das sagt mir so aus dem Stehgreif nichts, aber wir werden das gleich haben.« Der Direktor erhob sich und griff nach der Hörmuschel seines Wandtelefons.
Carter verfolgte, wie er einige kurze Worte mit dem Mitarbeiter der Effektenkasse sprach und ihn aufforderte zu ihm heraufzukommen.
»Mister Wickham, unser Kassierer, wird gleich hier sein«, erklärte Livingston, während er die Hörmuschel einhängte und sich seinem Besucher zuwandte. »Wie er mir sagte, hat er gerade welche angekauft. Das ist noch keine Viertelstunde. Der Bankier sah den Sergeant fragend an. Eine gewisse Unsicherheit war ihm anzumerken. »Stimmt mit den Wertpapieren etwas nicht?«
»Das ist ärgerlich!«, brummte Sergeant Carter verstimmt. »Also bin ich zu spät gekommen … Ja, es kann sein, dass etwas damit los ist … Höchstwahrscheinlich sogar. Aber wir wollen uns davon erst einmal überzeugen.«
Livingstons Sekretär öffnete die Tür und ließ den Mitarbeiter vom Effektenschalter eintreten.
Der Direktor machte die Herren bekannt.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren, Mister Wickham«, sagte Carter, einen Blick auf seine Taschenuhr werfend. »Wie ich gerade von Direktor Livingston hörte, haben Sie Aktien der ›Murchinson Oil Development‹ angekauft … Kann ich die bitte einmal sehen?«
»Ich habe sie direkt mitgebracht«, erwiderte der Kassierer etwas verunsichert. »Hier sind sie …«
Der Sergeant nahm Wickham das Aktienpaket aus der Hand und trat damit ans Fenster. Er vertiefte sich intensiv in die Papiere und blätterte sie gewissenhaft durch. Dann fingerte er ein Notizbuch aus der Tasche, verglich etwas, was weder Wickham noch Livingston sehen konnten, und blätterte erneut in den Wertpapieren.
»Donnerwetter! Alle Achtung! Sehr geschickt gemacht!«, stellte er nach eingehender Prüfung anerkennend fest. Er wandte sich an den Direktor. »Nun, Mister Livingston, leider bekamen wir erst heute morgen Wind von der Sache! Der Drucker, bei dem die Stücke bestellt wurden, schöpfte Verdacht und teilte uns die Nummern mit … Hier … sehen Sie selbst … 8225 bis 8725 … Stimmt genau mit unserer Information überein.«
Direktor Livingston, der sich wieder hinter seinem Schreibtisch niedergelassen hatte, erhob sich und trat nervös auf den Sergeant zu.
»Wollen Sie damit etwa andeuten, dass die Papiere gefälscht sind?« Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Das ist ja Unsinn! … Wer kann schon ein Interesse daran haben, derart schlecht dotierte Papiere zu fälschen? Wenn sich ein Mensch mit so etwas abgibt, dann wird er doch sehr viel bessere Werte nehmen!«
Carter legte die Aktien auf den kleinen Tisch neben seiner Aktenmappe und lächelte überlegen.
»Wenn Sie Banknoten fälschen würden, würden Sie da nicht auch eher kleine Werte nehmen? Bei Fünfpfundnoten schaut der Kassierer doch sehr viel genauer hin, meinen Sie nicht auch? Heißt es nicht: ›Many a little makes a mickle‹3?«
»Sie haben recht, Sergeant«, räumte Livingston zähneknirschend ein.
Carter zog eine abgegriffene Ablichtung aus seinem Notizbuch und zeigte sie dem Kassierer. »Werfen Sie bitte einmal einen Blick auf dieses Bild … Sieht der Mann, der die Papiere verkauft hat, dem Burschen ähnlich?«
Wickham warf einen Blick auf die Fotografie.
»Das ist der Mann! … Er gleicht ihm wie ein Ei dem anderen«, rief er überrascht aus und nestelte an seiner Fliege, als sei ihm der Hemdkragen zu eng geworden.
»Es gibt aber nur den einen«, erwiderte der Sergeant, zufrieden mit dem Erfolg. »Nur er kann ein solches Ding drehen … Der Bursche tritt und vielen Namen auf: Lord Cavendish, Marchese Giordano, Freiherr zu Holzhausen, oder ganz einfach …Konstantin Dumitrescu!«
Direktor Livingston machte einen förmlichen Luftsprung und starrte Carter an.
»Was sagen Sie?«, stotterte er aufgeregt. »Der Fälscher Dumitrescu ist in England … in London?! Aber, … dann haben wir Banker ja keine ruhige Minute mehr vor uns!«
Carter stellte sich in Positur und rückte seinen Hosenbund ganz gewaltig hoch.
»Kein Angst, Mister Livingston!«, entgegnete er beruhigend. »Lassen Sie ihn ruhig in London sein. Er wird schon bald ausgespielt haben. Wenn Sie übermorgen um acht Uhr früh zu uns in den Yard kommen …«
»Zu Chief Inspector Bingley vom Dezernat für Falschmünzerei?«, hakte der Direktor nach.
»Nein! Um diese Angelegenheit kümmert sich Detective Inspector Brown!« Der Sergeant steckte Foto, Notizbuch und Aktien in seiner Aktentasche. »Den Fall Konstantin Dumitrescu hat der Inspector übernommen …«
»Ich kenne Inspector Brown.«
Carter klemmte sich die Aktenmappe unter den Arm, rückte noch einmal den Hosenbund höher und reichte dem Bankdirektor die Hand.
»Umso besser, Sir. Er erwartet Sie also übermorgen um acht Uhr … und ich hoffe, dass dann auch dieser famose Mister Dumitrescu zugegen sein wird. Was ich dazu beitragen kann, das wird geschehen.« Er deutete eine leichte Verbeugung an und setzte sich seinen Hut auf. »… Auf Wiedersehen, meine Herren!«
Die auf den stets belebten ›Capel Court‹ führenden großen Fensterflügel, des behaglich eingerichteten Arbeitszimmers, waren weit geöffnet. Im Raum stand ein freundlich dreinblickender, weißhaariger Gentleman, dem ein würdevoll aussehender, glatt rasierter Diener in schmucker Livree eine Nagelfeile reichte. Der Weißhaarige bedankte sich und blickte dem abgehenden Bediensteten schweigend nach.
Nachdenklich trat er ans Fenster und feilte behutsam am Zeigefingernagel der linken Hand herum. Als der junge Mann hinter ihm einen frischen Bogen Papier in die Schreibmaschine einlegte, wandte er sich ihm zu:
»Wann wird die ›Empire of India Exhibition‹ eröffnet, Sullivan?«
Der junge Mann unterbrach den Vorgang des Papiereinlegens und hob ein wenig den Kopf.
»Die Ausstellung eröffnet am Letzten dieses Monats, Herr Professor! Unwiderruflich am Dreißigsten!«
Der alte Herr feilte schweigend weiter.
»Die ganze Welt spricht von den ›Ceylon-Smaragden‹, die dort zu sehen sein werden«, ließ er sich nach einer kurzen Pause vernehmen. »Hm … Eine verdammt schwere Sache!«
»Schwere Sache?« Der junge Mann sah ihn verdutzt an. »Willst du die Steine stehlen, Flanagan?«
Der alte Herr stellte das Feilen ein, schüttelte missbilligend den Kopf und stand mit zwei raschen Schritten neben dem Schreibmaschinentisch.
»Bist du verrückt geworden?«, zischte er leise. »Wir sind hier nicht allein! Gewöhne dich endlich daran, dass ich Professor van den Broek bin!«
Der junge Mann kniff für einen Moment die Lippen zusammen und kratzte sich verlegen hinterm Ohr.