Frag den Buddha - und geh den Weg des Herzens - Jack Kornfield - E-Book
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Frag den Buddha - und geh den Weg des Herzens E-Book

Jack Kornfield

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Beschreibung

Dies ist eines der wichtigsten Bücher, die über Meditation, über den Prozess der inneren Transformation und die Integration der spirituellen Praxis in unserer tägliches Leben geschrieben wurde. Mit „Frag den Buddha und geh den Weg des Herzens“ wurde der Psychologe und Meditationslehrer Jack Kornfield 1995 im deutschsprachigen Raum bekannt, und es ist bis heute eine Fundgrube und ein wichtiger Begleiter für alle, die sich auf die spirituelle Suche begeben.

Im ersten Teil geht es um die Grundlage eines spirituellen Lebens: um Achtsamkeitspraxis und Meditation, um die Schwierigkeiten, die dabei auftauchen können, sowie um den Umgang mit unseren Schattenthemen. Im zweiten Teil zeigt Jack Kornfield, wie wir diese Praxis in unser Leben integrieren können, dabei kommen Mitgefühl, Abgrenzungsstrategien und der Umgang mit spirituellen Lehrern zur Sprache. Schließlich lädt er im dritten Teil dazu ein, Weisheit und Mitgefühl zu entfalten und mit Leichtigkeit und Freude unser Leben zu leben.

Dieser spirituelle Klassiker berührt unser Herz und zeigt, was uns alles begegnen kann, wenn wir uns auf die Stille und den gegenwärtigen Moment einlassen. Er ist ein wertvoller Wegbegleiter in vielen Lebensphasen, um Einsicht, Klarheit und Heilung zu erfahren.

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Seitenzahl: 637

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Jack Kornfield

Frag den Buddha

und geh den Weg des Herzens

Was uns auf der spirituellen Suche unterstützt

Aus dem Amerikanischen von Ulli Olvedi

KÖSEL

Die Originalausgabe erschien 1993 unter dem Titel: »A Path with Heart. A Guide through the Perils and Promises of Spiritual Life« bei The Bantam Dell Publishing Group, A Division of Random House, Inc., New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Neuausgabe 2017 Copyright © 1993 by Jack Kornfield

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1995 Kösel-Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München Covergestaltung: Weiss Werkstatt, München

Covermotiv: ©shutterstock / Daria Kubrak, Bild-Nr. 332185649

ISBN 978-3-641-23653-3V003

www.koesel.de

Für meine Frau Liana,

 

von der ich so viel gelernt habe; für ihre Liebe, ihre Weisheit, ihr tiefes Hinterfragen und ihre großherzige Unterstützung und für den Reichtum, den unsere Ehe schenkt.

 

Für Hameed Ali, A.H. Almaas, dessen Lehren so zutiefst das Leben, die Liebe und das Heilige integrieren.

 

Für den Geist der Erneuerung, mit dem Achaan Chah, der Dalai Lama, Mahasi Sayadaw Buddhadasa Bhikkhu, Chogyam Trungpa, Maha Ghosananda, U Ba Khin und so viele andere mutige moderne Meister uns inspirieren.

INHALT

CopyrightWidmungTEIL IEIN WEG MIT HERZDIE GRUNDLAGEN

Ein Anfang

1Habe ich wirklich geliebt?

Meditation: Herzenswärme

2Den Krieg beenden

Meditation: Beendigung des inneren Krieges

3Den einen Sitz einnehmen

Meditation: Den einen Sitz einnehmen

4Heilung

Heilung des KörpersHeilung des HerzensHeilung des GeistesHeilung durch LeerheitMeditation: Heilende Aufmerksamkeit entwickelnMeditation: Besuch im Tempel der Heilung

5Das Hündchen erziehen: Achtsamkeit gegenüber dem Atem

Die tägliche Meditationspraxis aufbauenGehmeditation
TEIL IIVERSPRECHUNGEN UND GEFAHREN

6Stroh in Gold verwandeln

Meditation: Schwierigkeiten anschauenMeditation: Alle Wesen als erleuchtet betrachten

7Die »Dämonen« benennen

Wie man mit dem Benennen beginntMeditation: Dämonen zu einem Teil des Pfades machenMeditation: Impulse, die unser Leben in Bewegung halten

8Hartnäckige Probleme und aufdringliche Besucher

Das Feld der Aufmerksamkeit erweiternDie Gefühle umfassend wahrnehmenErkennen, was wir akzeptieren sollenVon innen heraus öffnenFünf weitere geeignete Mittel

9Die spirituelle Achterbahn: Kundalini und andere Nebenwirkungen

Verschiedene Einstellungen gegenüber veränderten BewusstseinszuständenEinige übliche veränderte BewusstseinszuständeDie geeigneten Mittel im Umgang mit dem energetischen und emotionalen ÖffnungsprozessMeditation: Die eigene Einstellung gegenüber veränderten Bewusstseinszuständen betrachten

10Das Selbst erweitern und auflösen: Tiefe Nacht und Wiedergeburt

Buddhistische Beschreibungen von Zuständen der Versenkung und EinsichtTor zum erweiterten Bewusstsein: Schwellen-KonzentrationStadien der VersenkungDie Bereiche der ExistenzDas Selbst auflösenDie tiefe NachtDer Bereich des ErwachensMeditation: Tod und Wiedergeburt

11Auf der Suche nach dem Buddha: Eine Leuchte für uns selbst

Meditation: Einfach und transparent werden
TEIL IIIDAS FELD ERWEITERN

12Die Zyklen des spirituellen Lebens annehmen

Nach dem Retreat: Die Praxis des ÜbergangsMeditation: Betrachtung der Zyklen unseres spirituellen Lebens

13Keine Grenzen des Heiligen

Die nahen FeindeMeditation: Sektionen und Ganzheit

14Kein Ich/Selbst oder wahres Selbst?

IchlosigkeitFalsche Auffassungen von IchlosigkeitVon der Ichlosigkeit zum Wahren SelbstDer einzigartige Ausdruck des Wahren SelbstMeditation: Wer bin ich?

15Großzügigkeit, gegenseitige Abhängigkeit und furchtloses Mitgefühl

Meditation: Leiden in Mitgefühl verwandeln

16Es geht nicht allein: Die Beziehung zu einem Lehrer / einer Lehrerin

17Psychotherapie und Meditation

18Des Kaisers neue Kleider: Probleme mit Lehrern

Die Probleme benennenWarum Probleme entstehenÜbertragung und ProjektionWie man Probleme in der Beziehung zwischen Lehrer und Gemeinschaft bearbeitetDie Praxis des VergebensWenn man eine Gemeinschaft verlässtMeditation: Den Schatten unserer Praxis betrachten

19Karma: Das Herz ist unser Garten

Meditation: Vergebung praktizieren

20Das Feld erweitern: Ein ungeteiltes Herz

Der Alltag als MeditationSich der Welt zuwendenBewusste Lebensführung: Die Fünf RegelnEhrfurcht vor dem LebenMeditation: Über das DienenDas Einhalten der Fünf Regeln geloben: Niemandem schaden als Geschenk für die Welt
TEIL IVSPIRITUELLE REIFE

21Spirituelle Reife

22Das große Lied

Hunderttausend Formen des ErwachensMeditation: Gleichmut entwickeln

23Erleuchtung ist Nähe zu allem

ANHANGDankEthischer Kodex der Meditationslehrer und -lehrerinnen der Einsichts-MeditationDie Ethik-Kommission
Glossar

TEIL I

EIN WEG MIT HERZ

DIE GRUNDLAGEN

EIN ANFANG

Zu Beginn dieses Buches gehe ich vor allem auf meine eigene innere Reise ein, denn von all den Lektionen, die ich gelernt habe, ist die wichtigste, dass wir das Allgemeine mit dem Persönlichen verbinden müssen, um in unserem spirituellen Leben Erfüllung zu finden.

Im Sommer 1972 kehrte ich nach meinen ersten fünf Studienjahren in Asien nach Hause zu meinen Eltern zurück – mit geschorenem Kopf und in den Roben eines Mönchs. Damals gab es in Amerika noch keine theravada-buddhistischen Klöster; aber ich wollte herausfinden, wie es war, als Mönch in Amerika zu leben, und sei es auch nur für kurze Zeit.

Nachdem ich ein paar Wochen bei meinen Eltern verbracht hatte, beschloss ich, meinen Zwillingsbruder und seine Frau auf Long Island zu besuchen. Im Mönchsgewand und mit der traditionellen Bettelschale versehen, setzte ich mich in den Zug von Washington zur Grand Central Station in New York; das Ticket hatte meine Mutter für mich besorgt, denn als Theravada-Mönch durfte ich nichts mit Geld zu schaffen haben – in keinster Weise.

Es war Nachmittag, als ich in New York ankam, und ich machte mich auf den Weg entlang der Fifth Avenue zum Treffpunkt, wo meine Schwägerin mich erwarten sollte. Nach all den Jahren der Meditationspraxis befand ich mich noch in einer sehr ruhigen Verfassung. Ich ging so, wie man in der Meditation geht, und sowohl die teueren Geschäfte wie Tiffany‘s als auch die Menschenmengen, die an mir vorbeiströmten, waren für meinen Geist nichts anderes als der Wind und die Bäume in meiner thailändischen Klostereinsamkeit. Wir hatten verabredet, dass ich meine Schwägerin vor dem Elizabeth-Arden-Salon treffen sollte. Ihr wurde zum Geburtstag ein Gutschein für einen ganzen Tag intensivster Schönheitspflege in diesem Etablissement geschenkt – Gesichtsmaske, neue Frisur, Massage, Maniküre und was nicht noch alles. Ich stand, wie ich versprochen hatte, Punkt vier Uhr vor dem Schönheitssalon, aber meine Schwägerin erschien nicht. Nach einigem Warten ging ich hinein. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte die Empfangsdame ziemlich schockiert. »Aber gewiss,« erklärte ich, »ich suche Tori Kornfield.« »Oh«, bedauerte sie, »sie ist noch nicht fertig. Aber im vierten Stock ist ein Wartezimmer.« Also fuhr ich mit dem Aufzug hinauf. Dort stieß ich auf die Empfangsdame des Wartezimmers, die ebenfalls höchst verwundert fragte: »Kann ich Ihnen helfen?« Ich erklärte, dass ich auf meine Schwägerin warten wolle und wurde gebeten, Platz zu nehmen.

Ich setzte mich auf eine bequeme Couch, und nach einigen Minuten des Wartens kreuzte ich meine Beine, schloss die Augen und meditierte. Schließlich war ich ein Mönch, und was sollte ich in einer solchen Situation anderes tun? Nach zehn Minuten hörte ich Stimmen und Gelächter. Ich meditierte weiter, aber schließlich hörte ich eine laute Stimme sagen: »Ist der wirklich echt?«, und das bewog mich, die Augen zu öffnen. Im Durchgang zu dem daneben liegenden Raum standen acht oder zehn Frauen in Elizabeth Arden-Negligés (das ist die Bekleidung, mit denen man die Kundinnen während der Schönheitsbehandlungen ausstaffiert), die mich verwundert anstarrten. Die meisten hatten ihre Haare auf Wicklern; einige Gesichter waren grün von einer Paste, die wie Avocadocreme aussah, und andere braun von einer Art Schlammauflage. Ich starrte zurück und fragte mich, in welchen seltsamen Bereich ich hier wohl hineingeboren worden war, und ich hörte mich sagen: »Sind die wirklich echt?«

In diesem Augenblick wurde mir klar, dass ich eine Möglichkeit finden musste, die uralten und wunderbaren Lehren, die ich im buddhistischen Urwaldkloster empfangen hatte, mit dem Leben in unserer modernen Welt in Einklang zu bringen. Im Laufe der Jahre wurde dieser Versuch einer harmonischen Verbindung zur interessantesten und wichtigsten aller Aufgaben – für mich wie für viele andere, die sich heute, auf der Schwelle zum einundzwanzigsten Jahrhundert, um ein echtes spirituelles Leben bemühen. Die meisten westlichen Menschen haben kein Interesse daran, als traditionelle Priester, Mönche oder Nonnen zu leben; doch viele von uns möchten das Leben in unserer eigenen Welt mit einer echten spirituellen Praxis verbinden. Dieses Buch handelt von eben dieser Möglichkeit.

 

Mein eigenes spirituelles Leben wurde durch ein Geschenk ausgelöst, das ich bekam, als ich vierzehn Jahre alt war: Lobsang Rampas Das dritte Auge, ein Roman über mystische Abenteuer in Tibet. Es war ein aufregendes Buch für mich, das mich heftig zum Nachdenken anregte und mir eine Welt eröffnete, die mir viel besser gefiel als diejenige, in der ich lebte. Ich bin an der Ostküste in einer Intellektuellen-Familie aufgewachsen. Mein Vater war Biophysiker, der künstliche Herzen und Lungen entwickelte, in der Raumfahrtmedizin arbeitete und an medizinischen Fakultäten lehrte. Man verpasste mir eine »gute Ausbildung« und schickte mich ans Ivy League College. Ich war von einer Menge kluger und kreativer Leute umgeben; doch trotz all ihrer Erfolge und ihrer intellektuellen Errungenschaften waren viele von ihnen todunglücklich. Es wurde mir klar, dass Intelligenz und eine Stellung in der Welt wenig mit Glück oder gesunden menschlichen Beziehungen zu tun hatte. Am schmerzlichsten musste ich das innerhalb meiner eigenen Familie erfahren. So einsam und verwirrt ich war, erkannte ich doch, dass ich das Glück woanders suchen musste. Also wandte ich mich dem Osten zu.

Am Dartmouth College im Jahr 1963 führte mich ein freundliches Geschick zu einem klugen alten Professor, Dr. Wing Tsit Chan, der mit gekreuzten Beinen auf seinem Schreibtisch saß und Vorlesungen über Buddha und die chinesischen Klassiker hielt. Durch ihn inspiriert, belegte ich Asienkunde und fuhr nach dem Studienabschluss sofort nach Asien (mit Hilfe des Peace Corps), um den Buddhismus zu studieren und Mönch zu werden. Ich begann zu praktizieren, und als ich schließlich ordiniert war, zog ich mich in das thailändische Kloster Wat Ba Pong zurück; es wurde von dem jungen Achaan Chah geleitet, der später sehr berühmt werden sollte. Dort erwartete mich eine unerwartete Ernüchterung. Ich hatte nicht gerade angenommen, dass die Mönche levitieren würden wie in Lobsang Rampas Geschichte, aber ich hatte mir doch gewisse Wirkungen von der Meditation erhofft – ein Gefühl des Glücks, besondere Zustände der Verzückung, außergewöhnliche Erfahrungen. Doch das war es nicht, was mein Lehrmeister in erster Linie anzubieten hatte. Er bot eine Lebensweise, einen lebenslänglichen Pfad des Aufwachens, der Aufmerksamkeit, der Hingabe und der inneren Verpflichtung. Er bot ein Glück, das nicht von irgendwelchen der sich ständig verändernden Bedingungen der Welt abhängig war, sondern allein der eigenen mühsamen und bewussten inneren Verwandlung entsprang. Als ich ins Kloster ging, hatte ich gehofft, den Qualen meines Familienlebens und den Schwierigkeiten der Welt zu entkommen, aber natürlich folgten sie mir, wohin ich auch ging. Es dauerte viele Jahre, bis mir klar wurde, dass diese Schwierigkeiten Teil meiner Praxis waren.

Ich hatte das Glück, jene weisen Anleitungen und die uralte traditionelle Schulung zu erhalten, die man in den besten buddhistischen Klöstern Asiens auch heute noch bekommen kann. Man lebt in äußerster Einfachheit, besitzt kaum mehr als eine Robe und eine Schale und geht täglich sieben Kilometer zu Fuß, um Nahrung für ein einziges Mittagessen zu sammeln. Ich verbrachte lange Perioden der Meditation nach traditioneller Art; das hieß zum Beispiel, eine ganze Nacht lang im Wald zu sitzen und zuzuschauen, wie die Leichen auf dem Friedhof verbrannten; und ich lebte ein Jahr lang in schweigender Zurückgezogenheit in einem Zimmer und praktizierte täglich zwanzig Stunden Meditation im Sitzen und Gehen.

Ich erhielt die hervorragendsten Belehrungen in großen Klöstern, deren Leiter Mahasi Sayadaw, Asabha Sayadaw und Achaan Buddhadasa waren. In diesen Zeiten der Praxis lernte ich ganz wunderbare Dinge, und ich bin diesen Lehrmeistern unendlich dankbar. Doch es zeigte sich, dass die intensive Meditation in dieser exotischen Umgebung lediglich der Beginn meiner Praxis war. Seitdem hatte ich an ganz gewöhnlichen Orten mindestens ebenso intensive Erfahrungen in der Meditation – ganz einfach als Ergebnis einer systematischen Praxis. Damals, am Anfang, wusste ich noch nicht, was vor mir lag. Ich verließ Asien mit sehr idealistischen Vorstellungen und erwartete, dass die speziellen Meditationserfahrungen, die ich dort entdeckt hatte, alle meine Probleme lösen würden.

Die darauffolgenden Jahre verbrachte ich zu weiterer Schulung in Klöstern in Thailand, Indien und Sri Lanka, und danach lernte ich bei mehreren bekannten tibetischen Lamas, Zen-Meistern und Hindu-Gurus. Im Laufe von neunzehn Jahren des Lehrens war es mir vergönnt, mit vielen anderen westlichen buddhistischen Lehrern zusammenzuarbeiten und die Einsichts-Meditation – die buddhistische Praxis der Achtsamkeit – in Amerika zu etablieren. Ich leitete Retreats (Gruppen-Meditation in Zurückgezogenheit) von einem Tag bis zu drei Monaten Dauer und arbeitete mit vielen Zentren zusammen – christlichen, buddhistischen, transpersonalen und anderen. 1976 promovierte ich in Klinischer Psychologie und arbeite seitdem als Psychotherapeut und gleichzeitig als buddhistischer Lehrer. Während all dieser Jahre habe ich versucht, die Frage zu beantworten: Wie kann ich meine spirituelle Praxis in meinem Leben umsetzen, wie kann ich sie an jedem einzelnen Tag meines Lebens zur Entfaltung bringen?

 

Seit ich lehre, habe ich oft gesehen, wie viele meiner Meditations-Schüler die spirituelle Praxis missverstanden, und wie sie hofften, sie als Mittel zur Flucht vor ihrem eigenen Leben benützen zu können; ich sah, wie sie die Ideale und die Sprache ihres spirituellen Weges benützten, um dem Leiden und den Schwierigkeiten der menschlichen Existenz auszuweichen – nicht anders, als ich selbst es versucht hatte –, und wie sie in Tempeln, Klöstern und Kirchen auf die Suche nach den »special effects« gingen.

Meine eigene Praxis war eine Reise abwärts, verlief also gegensätzlich zu der Richtung, in der nach weit verbreiteter Meinung die spirituellen Erfahrungen verlaufen sollten. Während dieser Jahre konnte ich mich dabei beobachten, wie ich mich von Chakra zu Chakra (spirituelle Energiezentren des Körpers) nach unten arbeitete, anstatt nach oben. Meine ersten zehn Jahre systematischer spiritueller Praxis verliefen hauptsächlich unter der Kontrolle des Verstandes. Ich studierte, las und meditierte und führte das Leben eines Mönchs; dabei benützte ich ständig die Kraft meines Denkens, um alles zu verstehen. Ich entwickelte Konzentration und Samadhi (tiefe Stadien mentaler Versunkenheit) und hatte alle möglichen Erkenntnisse. Ich erlebte Visionen, Offenbarungen und eine Reihe von tiefen Zuständen des inneren Erwachens. Im Verlauf der Entwicklung meiner Praxis wurde mein gesamtes Verständnis meiner Existenz auf den Kopf gestellt, und allmählich lernte ich die Dinge auf eine neue und klarere Weise zu sehen. Ich dachte, diese Erkenntnisse seien der Clou der Praxis, das, worauf es ankäme, und war sehr zufrieden mit meiner neuen Art des Weltverständnisses.

Doch nachdem ich als Mönch in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war, brach alles in Stücke. In den Wochen nach meinem Besuch im Schönheitssalon legte ich die Robe ab, schrieb mich an einer Hochschule ein, suchte einen Job als Taxifahrer und arbeitete nachts in einem Nervenkrankenhaus in Boston. Und ich ging eine intime Beziehung ein. Obwohl ich von meinem Kloster so klar, weiträumig und high zurückgekehrt war, entdeckte ich bald – in meiner Liebesbeziehung, in meiner Wohngemeinschaft, und bei meinem Krankenhauspraktikum für die Hochschule –, dass mir die Meditation recht wenig für meine menschlichen Beziehungen gebracht hatte. Noch immer war ich emotional unreif und agierte die qualvollen Muster von Schuld und Angst, Anziehung und Ablehnung aus, von denen ich vor meiner buddhistischen Schulung gefangen gewesen war; nur dass nun noch der Horror dazu kam, diese Muster weitaus klarer zu sehen. Ich konnte die Meditation der Herzenswärme für tausend Wesen irgendwo in der Welt praktizieren, aber ich bekam fürchterliche Probleme damit, mich ganz auf einen Menschen hier und jetzt einzulassen. Ich hatte die Kraft meines Denkens in der Meditation eingesetzt, um schmerzhafte Gefühle zu unterdrücken, und allzu oft bemerkte ich nicht einmal, dass ich wütend, traurig, voller Sorgen oder frustriert war; es fiel mir erst viel später auf. Die Wurzeln meines Scheiterns in Beziehungen hatte ich noch gar nicht erforscht. Ich verhielt mich alles andere als geschickt im Umgang mit meinen Gefühlen, mit Beziehungen auf einer emotionalen Ebene und überhaupt darin, mit meinen Freunden und Lieben in einer angemessenen Art zu leben.

Ich war gezwungen, meine gesamte Praxis tiefer nach unten zu verlagern, vom Verstand zum Herzen. Nun begann ein langer und mühsamer Prozess, in dem ich mich meinen Gefühlen wieder zuwandte, meine Aufmerksamkeit auf meine Beziehungsmuster richtete und lernte, meine Gefühle zu erleben und mit den gewaltigen Kräften menschlicher Beziehung umzugehen. Das Mittel dazu waren Gruppen- und Einzeltherapie, Herzzentrierte Meditationsmethoden, transpersonale Psychologie und eine Reihe von teils guten, teils katastrophalen Beziehungen. Ich untersuchte die Herkunft und Geschichte meiner Familie und wandte dieses Wissen und diese Erkenntnisse auf meine aktuellen Beziehungen an. Schließlich führte dies zu einer anfänglich recht schwierigen Liebesbeziehung, die sich zu einer glücklichen Ehe mit meiner Frau Liana entwickelte und mich mit einer wunderschönen Tochter, Caroline, beglückte. Nach und nach habe ich diese Arbeit des Herzens als einen völlig integralen Teil meiner spirituellen Praxis verstehen gelernt.

 

Nachdem ich mich zehn Jahre lang auf die emotionale Arbeit und die Entwicklung des Herzens konzentriert hatte, stellte ich fest, dass mein Körper dabei nicht zu seinem Recht gekommen war. Ebenso wie meine Gefühle, hatte ich anfangs auch meinen Körper nur oberflächlich in meine spirituelle Praxis miteinbezogen. Nun lernte ich, mir meines Atmens bewusstzuwerden und mit den Schmerzen und Empfindungen in meinem Körper zu arbeiten; denn ich hatte meinen Körper zum größten Teil nur zu athletischen Gewaltakten benützt. Ich war mit einer guten Gesundheit gesegnet gewesen, sodass ich auf Berge klettern oder zehn bis zwanzig Stunden wie ein Yogi regungslos am Ufer des Ganges sitzen konnte, ungeachtet der höllischen Schmerzen, die ich dabei hatte. Ich konnte als Mönch mit einer einzigen Mahlzeit am Tag auskommen und barfuss lange Strecken gehen; aber nun musste ich erkennen, dass ich meinen Körper eher benützt als wirklich bewohnt hatte. Er war für mich eine Maschine gewesen, die Treibstoff brauchte und die ich bewegen musste, damit ich mein geistiges, emotionales und spirituelles Leben gestalten konnte.

Als ich mit meinen Emotionen wieder mehr Verbindung bekam, wurde mir klar, dass auch mein Körper liebevolle Zuwendung brauchte, und dass es nicht genügte, mit Liebe und Mitgefühl zu sehen und zu verstehen oder sogar zu fühlen; ich musste noch weiter hinunter in der Hierarchie der Chakras. Ich lernte, dass ich, um ein echtes spirituelles Leben führen zu können, in der Lage sein musste, es mit allem, was ich tat, zu verkörpern: mit der Art und Weise, wie ich ging und stand, wie ich atmete und mit der Sorgfalt, mit der ich aß. Alle meine Aktivitäten mussten miteinbezogen sein. In diesem kostbaren Tierkörper auf dieser Erde zu leben, ist ein ebenso großer Teil des spirituellen Lebens wie alles andere. Als ich anfing, in meinem Körper wieder mehr zu Hause zu sein, entdeckte ich neue Bereiche der Angst und des Schmerzes, die mich von meinem wahren Selbst trennten – es wiederholte sich derselbe Prozess wie zuvor, als ich neue Bereiche der Angst und des Schmerzes entdeckt hatte, während ich meinen Geist oder mein Herz öffnen lernte.

In dem Maße, in dem sich meine Praxis die Chakren abwärts bewegte, wurde sie intimer und persönlicher. Sie erforderte bei jedem Schritt auf dem Weg mehr Aufrichtigkeit. Und sie gewann einen ganzheitlicheren Charakter. Denn wie ich mit meinem Körper umgehe, ist nicht davon zu trennen, wie ich mit meiner Familie umgehe oder mit meiner Verpflichtung gegenüber dem Frieden auf unserer Erde. So erweiterte sich auf diesem Weg abwärts die Vorstellung von meiner Praxis, bis sie schließlich nicht nur meinen eigenen Körper und mein eigenes Herz, sondern das gesamte Leben umfasste, alle Beziehungen und auch die Umwelt, die unser Leben ermöglicht.

Während dieses Prozesses der Vertiefung und Erweiterung meiner inneren Verpflichtung für das spirituelle Leben erlebte ich, wie sich sowohl mein Einsatz an Anstrengung als auch meine Motivation gewaltig veränderten. Zu Beginn meiner Praxis und meines Lehrens hatte ich den spirituellen Pfad nur als etwas gesehen, wofür man sich anstrengen und worum man ringen musste. Ich wandte große Mühe auf, um meinen Körper stillzuhalten, mich zu konzentrieren, in der Meditation meinen Geist zu disziplinieren und Schmerzen, Gefühle und Ablenkungen zu überwinden. Ich benützte die spirituelle Praxis, um Zustände der Klarheit und des Lichts, Erkenntnisse und eine veränderte Weltsicht zu gewinnen, und am Anfang war dies auch der Inhalt dessen, was ich lehrte. Nach und nach wurde mir jedoch klar, dass bei den meisten von uns gerade dieser Kampf die Probleme noch verstärkt. Wenn wir zum Urteilen neigen, urteilen wir noch vehementer über uns selbst und unsere spirituelle Praxis. Wenn wir von uns selbst abgeschnitten sind und unsere Gefühle, unseren Körper und unser Menschsein leugnen, werden dieses Getrenntsein und der Kampf um Erleuchtung oder um irgendein spirituelles Ziel noch verstärkt. Wann immer ein Gefühl der Wertlosigkeit oder des Selbsthasses Fuß fassen kann – in der Angst vor unseren Gefühlen oder in der Beurteilung unserer Gedanken –, wird es durch das spirituelle Ringen noch intensiviert. Und doch wusste ich, dass es keine spirituelle Praxis geben kann ohne sehr viel Hingabe, Einsatz von Energie und innere Verpflichtung. Wenn die Anstrengung und der Idealismus nicht weiterhalfen – wo sollte ich diese nötigen Fähigkeiten dann hernehmen?

Was ich jedoch entdeckte, waren ganz wunderbare Neuigkeiten für mich. Um uns zutiefst zu öffnen, wie es ein echtes spirituelles Leben erfordert, brauchen wir ungeheuer viel Mut und Kraft – eine Art Kampfgeist. Doch der Ort, wo sich diese Kraft des Kriegers entfaltet, ist das Herz. Die Energie, die innere Verpflichtung und den Mut brauchen wir nicht dazu, um vor unserem Leben davonzulaufen, und auch nicht, um es mit irgendeiner Philosophie zuzudecken, sei sie materialistisch oder spirituell. Wir brauchen das Herz eines Kriegers, damit wir uns unserem Leben unmittelbar stellen und uns direkt mit unseren Schmerzen und Grenzen, unseren Freuden und Möglichkeiten befassen können. Dieser Mut macht es möglich, jeden Aspekt des Lebens in unsere spirituelle Praxis miteinzubeziehen: unseren Körper, unsere Familie, unsere Gesellschaft, die Politik, die Ökologie der Erde, Kunst, Erziehung und Ausbildung. Nur so können wir Spiritualität wirklich in unser Leben integrieren.

Als ich während meines Promotions-Studiums an einer staatlichen psychiatrischen Klinik zu arbeiten begann, dachte ich ganz naiv, ich könnte einigen Patienten Meditation beibringen. Es wurde schnell deutlich, dass Meditation nicht das war, was sie brauchten. Diese Menschen waren nicht fähig, eine ausbalancierte Aufmerksamkeit aufzubauen, und die meisten von ihnen hatten sich längst in ihrem eigenen Geist verloren. Wenn überhaupt irgendeine Art von Meditation für sie brauchbar war, musste sie die Qualität haben, zu erden, Boden unter die Füße zu geben: Yoga, Gärtnern, Taiji – aktive Methoden, die geeignet waren, sie mit ihrem Körper in Verbindung zu bringen.

Doch dann entdeckte ich eine ganze Menge Leute in diesem Krankenhaus, die selbst dringend Meditation benötigt hätten: die Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter, Krankenschwestern, Pfleger und viele andere. Diese Menschen versorgten die Patienten und hielten sie nicht selten allein durch Medikamente unter Kontrolle; und sie fürchteten sich vor den Energien in den Patienten und vor den Energien in sich selbst. Einige dieser Helfer schienen jene mächtigen Kräfte, mit denen die Patienten konfrontiert waren, aus erster Hand zu kennen – aus ihrer eigenen Psyche. Doch das ist eine der grundlegenden Lektionen in der Meditation: Stelle dich deiner eigenen Gier, deinem Gefühl der Wertlosigkeit, deiner Wut, deiner Paranoia und deinem Größenwahn, dann findest du die Tür zu Weisheit und Furchtlosigkeit, die hinter diesen Kräften liegen. Das gesamte Klinikpersonal hätte viel Gewinn aus der Meditationspraxis ziehen können – den entfesselten psychischen Kräften ihrer Patienten in sich selbst zu begegnen. Daraus wäre ein neues Verständnis und Mitgefühl in der Arbeit mit ihren Patienten entstanden.

 

Die Notwendigkeit, das spirituelle Leben in die Behandlung einzubeziehen, wird in psychologischen und psychiatrischen Berufskreisen nach und nach erkannt. Ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der Integration einer spirituellen Orientierung beginnt sich auch auf Gebiete wie Politik, Wirtschaft und Ökologie auszudehnen. Um jedoch positiv wirken zu können, muss diese Spiritualität in der persönlichen Erfahrung verankert sein. Für Leser, die dies lernen wollen, bieten die einzelnen Kapitel dieses Buches eine Reihe von traditionellen Methoden und zeitgemäßen Meditationen an. Diese Übungen helfen, mit den hier präsentierten Lehren direkt zu arbeiten, um eine tiefere Verbindung mit dem eigenen Körper und mit dem Herzen aufzunehmen. Der Kern der beschriebenen Meditationsmethoden stammt aus der Tradition des Theravada-Buddhismus Südostasiens. Es ist die Achtsamkeitspraxis der Einsichts-Meditation (Vipassana), die man auch als das Herz der buddhistischen Meditation bezeichnet; sie bietet eine systematische Schulung, um Körper, Herz und Geist zu wecken und uns mit der uns umgebenden Welt zu verbinden. Dies ist die Tradition, die ich viele Jahre lang befolgte und lehrte; es ist die zentrale Lehre, die fast jeder buddhistischen Praxis in aller Welt zugrunde liegt.

Dieses Buch stützt sich zwar auf meine Erfahrung innerhalb der buddhistischen Tradition, doch ich bin der Ansicht, dass die Prinzipien der spirituellen Praxis, auf die es sich bezieht, universell sind. Die erste Hälfte beschreibt die Grundlage eines umfassenden spirituellen Lebens: Praxismethoden, allgemeine Gefahren, Techniken, um mit unseren inneren Wunden und Schwierigkeiten umzugehen, und einige buddhistische Darstellungen spiritueller Zustände des menschlichen Bewusstseins und wie diese außergewöhnlichen Zustände im Boden des gesunden Menschenverstands verwurzelt werden können. Die zweite Hälfte des Buches befasst sich unmittelbarer mit der Integration dieser Praxis in unser modernes Leben und berührt Themen wie Co-Abhängigkeit und Mitgefühl, Abgrenzungsstrategien, Psychotherapie und Meditation sowie Gewinn und Probleme im Umgang mit spirituellen Lehrern. Im letzten Teil geht es um die Früchte des spirituellen Reifungsprozesses: um die Entfaltung von Weisheit und Mitgefühl und um die Leichtigkeit und Freude, mit denen unser Leben bereichert wird.

 

Zu Beginn habe ich von meiner eigenen inneren Reise gesprochen und von der wichtigsten Lektion für ein spirituelles Leben: das Persönliche mit dem Allgemeinen zu verbinden. Wir sind menschliche Wesen, und das menschliche Tor zur nichtdualistischen Wahrnehmung der Heiligkeit allen Seins sind unser Körper, Herz und Geist, die Geschichte, aus der wir hervorgegangen sind, und die nächsten Beziehungen und Umstände unseres Lebens. Nur hier können wir Mitgefühl, Gerechtigkeit und Befreiung lebendig werden lassen.

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HABE ICH WIRKLICH GELIEBT?

Selbst die großartigsten Zustände und die außergewöhnlichsten spirituellen Errungenschaften sind wertlos, wenn wir nicht auf die allergewöhnlichste und schlichteste Weise glücklich sein können, wenn wir nicht fähig sind, einander und das Leben, das uns gegeben wurde, mit dem Herzen zu berühren.

Wenn wir uns auf ein spirituelles Leben einlassen, ist der zentrale Punkt sehr einfach: Wir müssen dafür sorgen, dass unser Weg mit unserem Herzen verbunden ist. In unserem modernen spirituellen Supermarkt gibt es viele verschiedene Angebote. Große spirituelle Traditionen erzählen uns Geschichten über Erleuchtung, Verzückung, Wissen, göttliche Ekstase und die Verwirklichung der allerhöchsten Möglichkeiten des menschlichen Geistes. Angesichts der reichen Auswahl von Lehren, die uns im Westen zugänglich sind, werden wir oft zuallererst von den aufregendsten und ungewöhnlichsten Aspekten angezogen. Das Versprechen solcher besonderer Zustände kann zwar eingelöst werden, und diese Zustände repräsentieren durchaus die entsprechenden Lehren, doch in gewissem Sinn gehören sie auch zu den Werbetricks des spirituellen Geschäfts. Sie stellen nicht das Ziel des spirituellen Lebens dar. Schließlich und endlich ist der spirituelle Prozess nicht dazu da, irgendwelche außergewöhnlichen Befindlichkeiten oder besondere Macht und Fähigkeiten zu vermitteln. Solch eine Suche wird uns nur von uns selbst wegführen. Wenn wir nicht aufpassen, kann es leicht geschehen, dass wir die großen Fehler unserer modernen Gesellschaft – Ehrgeiz, Materialismus und Vereinsamung – in unserem spirituellen Leben wiederholen.

Wenn wir ein echtes spirituelles Leben beginnen wollen, müssen wir das ins Auge fassen, was sich direkt vor unserer Nase befindet und dafür sorgen, dass unser Weg mit unserer tiefsten Liebe verbunden ist. Don Juan hat dies in den Lehren, die er Carlos Castaneda gab, so ausgedrückt:

Schau dir jeden Weg ganz genau und sorgfältig an. Versuche es mit ihm so oft, wie du es für nötig hältst. Dann stelle dir selbst – und nur dir allein – eine Frage. Das ist eine Frage, die nur ein sehr alter Mensch stellt. Mein Wohltäter sprach einst davon, als ich noch sehr jung und mein Blut noch zu wild war, als dass ich sie hätte verstehen können. Jetzt verstehe ich sie. Ich sage dir, wie sie lautet: Hat dieser Weg ein Herz? Wenn ja, dann ist es ein guter Weg. Wenn nicht, ist er nutzlos.

Die Lehren in diesem Buch handeln davon, solch einen inneren Weg mit Herz zu finden, und davon, sich auf einen Weg zu begeben, der uns verwandelt und im Kern unseres Seins berührt. Dazu brauchen wir eine spirituelle Praxis, die es uns ermöglicht, ganz und gar aus dem innersten Herzen in dieser Welt zu leben.

Wenn wir fragen: »Folge ich einem Weg mit Herz?«, werden wir feststellen, dass uns niemand genau beschreiben kann, was für ein Weg das sein soll. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als dieser Frage mit all ihren Untertönen von Geheimnis und Schönheit in unserem Wesen Raum zu geben und ihrem Klang zu lauschen. Dann werden wir irgendwo in uns selbst die Antwort hören, und wir werden sie verstehen. Wenn wir ganz still sind und ganz aufmerksam lauschen, sei es auch nur einen Augenblick lang, werden wir wissen, ob wir einem Weg mit Herz folgen oder nicht.

Es ist tatsächlich möglich, direkt mit unserem Herzen zu sprechen. Die meisten alten Kulturen wissen das. Wir können mit unserem Herzen kommunizieren, als wäre es ein guter Freund. In unserem modernen Leben sind wir so sehr mit alltäglichen Angelegenheiten und Gedanken beschäftigt, dass wir die wesentliche Kunst vergessen haben, uns die Zeit zu nehmen und mit unserem eigenen Herzen zu kommunizieren. Wenn wir es zu dem Weg befragen, auf dem wir uns befinden, sollten wir uns die Werte anschauen, nach denen wir unser Leben ausrichten. Wo investieren wir unsere Zeit, unsere Kraft, unsere Kreativität, unsere Liebe? Wir sollten unser Leben ohne Sentimentalität, Übertreibung oder Idealismus anschauen. Spiegelt die Richtung, die wir eingeschlagen haben, wirklich das, was wir zutiefst wertschätzen?

Die buddhistische Tradition lehrt ihre Anhänger, jegliches Leben als kostbar zu betrachten. Astronauten, die unsere Erde verließen, haben diese Wahrheit ebenfalls entdeckt. Eine Gruppe russischer Kosmonauten beschrieb sie folgendermaßen: »Wir nahmen kleine Fische zu Forschungszwecken mit in die Raumstation. Drei Monate sollten wir dort verbringen. Nach etwa drei Wochen begannen die Fische zu sterben. Wie leid sie uns taten! Was stellten wir nicht alles an, um sie zu retten! Auf der Erde hatte uns das Fischen viel Spaß gemacht, aber wenn man allein und weit weg von allen Dingen der Erde ist, liegt einem alles Lebendige besonders am Herzen. Man sieht einfach, wie kostbar Leben ist.« In derselben geistigen Verfassung öffnete ein Astronaut nach der Landung seiner Kapsel die Luke und sog die feuchte Luft der Erde ein. »Ich stieg aus und beugte mich tatsächlich nieder und küsste die Erde«, erzählte er später.

Um die Kostbarkeit aller Dinge zu erkennen, müssen wir all unsere Aufmerksamkeit einsetzen. Die spirituelle Praxis kann uns zu diesem Gewahrsein führen, ohne dass wir ins Weltall hinausfliegen müssen. In dem Maße, in dem die Qualität von Gegenwärtigsein und Einfachheit unser Leben immer mehr durchdringt, beginnt unsere Liebe für die Erde und alle Wesen ihren Ausdruck zu finden und haucht unserem Weg Leben ein.

Um ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln, was dieses Gefühl von Kostbarkeit hervorruft und wie es einem Weg mit Herz seinen Sinn gibt, können wir mit der folgenden Meditation arbeiten. In der buddhistischen Praxis wird man dazu angehalten, über die richtige Lebensweise nachzudenken, indem man sich den eigenen Tod vor Augen hält. Während der traditionellen Meditation hierfür sitzt man ruhig da und kontempliert die Vergänglichkeit des Lebens. Tun Sie das. Schließen Sie dann die Augen und spüren Sie der Sterblichkeit dieses menschlichen Körpers nach, der Ihnen gegeben wurde. Der Tod ist uns sicher – nur die Zeit des Todes müssen wir noch entdecken. Stellen Sie sich vor, dass Sie am Ende Ihres Lebens angekommen sind. Gehen Sie nun in Gedanken zurück, und halten Sie sich zwei gute Taten aus Ihrer Vergangenheit vor Augen. Es braucht nichts Großartiges zu sein; lassen Sie einfach aufsteigen, was sich Ihnen anbietet. Während Sie sich diese guten Taten vor Augen halten, achten Sie darauf, wie diese Erinnerung auf Ihr Bewusstsein wirkt, wie sie Ihre Gefühle und den Zustand Ihres Herzens und Ihres Geistes verändert.

Schauen Sie nun die spezielle Qualität der erinnerten Situationen genau an, das, was ein Augenblick der Freundlichkeit enthält, den Sie aus einem Leben voller Worte und Aktionen herausgepickt haben. Fast jeder, der sich in dieser Meditation an gute Taten erinnern kann, stellt fest, dass sie erstaunlich einfach sind. Vielleicht war ein Augenblick der Freundlichkeit jene Situation, als ein Sohn seinem Vater vor dessen Tod sagte, dass er ihn liebte, oder als eine Frau inmitten ihres geschäftigen Lebens über den Kontinent flog, um die Kinder ihrer kranken Schwester zu versorgen. Für eine Grundschullehrerin in einem meiner Seminare war es die schlichte Erinnerung an jene Schulstunden am frühen Morgen, als sie Kinder im Arm hielt, die weinten und sich vor der Schule fürchteten. Eine andere Teilnehmerin hob nach dieser Meditation die Hand und sagte lächelnd: »Wenn ich in einer belebten Straße zugleich mit jemand anderem einen Parkplatz finde, überlasse ich den Parkplatz immer der anderen Person.«

Eine andere Frau, eine Krankenschwester in den Sechzigern, die ihre Kinder und Enkelkinder aufgezogen hatte und auf ein sehr erfülltes Leben zurückblickte, berichtete folgende Erinnerung: Sie war sechs Jahre alt, als vor ihrem Haus ein Auto stehen blieb, unter dessen Kühlerhaube Dampf hervorquoll. Zwei alte Leute stiegen aus und sahen sich die Bescherung an, und einer der beiden ging zum Telefon an der Straßenecke, um eine Werkstatt anzurufen. Dann setzten sie sich wieder ins Auto und warteten den ganzen Morgen lang auf den Abschleppwagen. Die neugierige Sechsjährige ging hinaus und redete mit ihnen, und nachdem einige Zeit vergangen war und die beiden Alten immer noch in ihrem heißen Wagen warteten, ging sie ins Haus und bereitete Eistee und ein Tablett voller Brötchen für sie zu.

Die Dinge, die in unserem Leben am meisten zählen, sind nicht phantastisch oder grandios. Es sind die Augenblicke, wenn wir einander berühren, wenn wir in einem Zustand besonderer Aufmerksamkeit und Fürsorge sind. Diese einfache und grundlegende Intimität ist die Liebe, nach der wir uns alle sehnen. Solche Augenblicke des Berührens und Berührtwerdens können zur Basis für einen Weg mit Herz werden, und sie finden immer in der unmittelbarsten und direktesten Art statt. Mutter Teresa formulierte das so: »In diesem Leben können wir keine großen Dinge tun. Wir können nur kleine Dinge mit großer Liebe tun.«

Manche Menschen empfinden diese Übung als sehr schwierig. Es fallen ihnen einfach keine guten Taten ein, oder es bieten sich einige an, die jedoch sofort zurückgewiesen werden, weil sie als oberflächlich oder geringfügig oder unvollkommen beurteilt werden. Bedeutet das, dass es nicht einmal zwei gute Momente in einem Leben der hunderttausend Aktivitäten gibt? Kaum! In jedem Leben hat sich eine ganze Menge davon angesammelt. Die Bedeutung ist eine andere, tiefere. Wir beurteilen uns selbst mit so großer Härte! Viele von uns machen die Entdeckung, dass wir sehr wenig Erbarmen mit uns selbst haben. Wir vermögen kaum anzuerkennen, dass unser Herz aufrichtige Liebe und Freundlichkeit ausstrahlt. Doch genau das tut es.

Dem Weg des Herzens zu folgen, bedeutet, so zu leben, wie wir es in dieser Meditation erfahren – indem wir zulassen, dass das Gefühl der Freundlichkeit unser Leben durchdringt. Wenn wir mit gesammelter Aufmerksamkeit handeln, wenn wir unsere Liebe zum Ausdruck bringen und die Kostbarkeit des Lebens wahrnehmen, wird die Qualität der Freundlichkeit in uns wachsen. Der Zustand eines liebevollen Gegenwärtigseins wird mehr und mehr Augenblicke in unserem Leben durchdringen. Wir können ständig unser eigenes Herz fragen: Wie wäre es, so zu leben? Führt der Weg, den ich für mein Leben gewählt habe, tatsächlich in diese Richtung?

In all dem Stress und all der Komplexität unseres Lebens vergessen wir vielleicht unsere tiefsten Bedürfnisse. Doch wenn die Menschen das Ende ihres Lebens erreichen und zurückschauen, ist die häufigste Frage, die sie sich selbst stellen, nicht etwa: »Wie viel ist auf meinem Bankkonto?« oder »Wie viele Bücher habe ich geschrieben?« oder »Was habe ich aufgebaut?« oder Ähnliches. Wenn Sie das Glück haben, mit einem Menschen zusammenzusein, der sich bewusst ist, dass die Zeit seines oder ihres Todes gekommen ist, werden Sie feststellen, dass die Frage ganz einfach lautet: »Habe ich wirklich geliebt?« »Habe ich ganz gelebt?« »Habe ich gelernt loszulassen?« Diese einfachen Fragen berühren den innersten Kern unseres spirituellen Lebens. Wenn wir über richtiges Lieben und ein erfülltes Leben nachdenken, können wir erkennen, wie unsere Abhängigkeiten und Ängste uns eingeengt haben, und wir können die vielen Gelegenheiten sehen, bei denen sich unser Herz öffnen kann. Haben wir uns erlaubt, die Menschen um uns herum, unsere Familie, unsere Gesellschaft und die Erde, auf der wir leben, zu lieben? Und haben wir auch gelernt loszulassen? Haben wir gelernt, Veränderungen mit Anstand, Weisheit und Mitgefühl zu durchleben? Haben wir gelernt, zu vergeben und uns von der Inspiration des Herzens anstatt vom Geist des Urteilens lenken zu lassen?

Wenn wir uns die Kürze und die Kostbarkeit des Lebens vor Augen halten, wird klar, warum Loslassen ein zentrales Thema in der spirituellen Praxis ist. Wenn wir nicht gelernt haben loszulassen, leiden wir ungeheuer; sind wir gar am Ende unseres Lebens angelangt, kann es zum entsetzlichsten Zusammenbruch kommen.

Ich kenne eine junge Frau, die ihrer Mutter während eines langen Sterbens an Krebs beistand. Einige Zeit verbrachte die Mutter im Krankenhaus, wo sie an einem Dutzend Schläuchen und Maschinen hing. Mutter und Tochter waren sich darin einig, dass die Mutter nicht auf diese Weise sterben sollte, und als die Krankheit immer schlimmer wurde, ließ man sie schließlich nach Hause. Der Krebs wucherte weiter, doch der Mutter fiel es noch immer sehr schwer, ihre Krankheit zu akzeptieren. Sie versuchte, ihren Haushalt vom Bett aus zu führen, bezahlte die Rechnungen und kümmerte sich um alle Angelegenheiten des Alltags. Sie kämpfte gegen ihre körperlichen Schmerzen an, aber mehr noch schlug sie sich mit ihrer Unfähigkeit loszulassen herum. Eines Tages rief sie mitten in diesem verzweifelten Kampf ihre Tochter zu sich und sagte: »Tochter, Schätzchen, bitte zieh den Stecker raus«, und ihre Tochter sagte sanft: »Mutter, es gibt keinen Stecker.« Manche von uns müssen eine ganze Menge über das Loslassen lernen.

Loszulassen und sich bewusst von einer Veränderung zur nächsten durch unser Leben zu bewegen, bringt unser spirituelles Sein zur Reife. Schließlich entdecken wir, dass Lieben und Loslassen ganz dasselbe sein kann. Beides ist frei vom Impuls des Besitzenwollens. Beides ermöglicht uns, jeden Augenblick dieses in ständiger Veränderung begriffenen Lebens zu berühren und ganz da zu sein für alles, was als nächstes kommen mag. Es gibt eine schöne alte Geschichte von einem berühmten europäischen Rabbi. Eines Tages kam ihn ein Mann besuchen, der seinetwegen per Schiff von New York nach Europa gereist war. Der Rabbi lebte mitten in einer Stadt in einem großen Mietshaus unter dem Dach, und der Mann fand den Meister schließlich in einem kleinen Zimmer mit einem Bett, einem Stuhl und ein paar Büchern. Der Mann hatte weit mehr erwartet. Nach der Begrüßung fragte er den Meister: »Rabbi, wo sind Ihre Sachen?« Der Rabbi fragte zurück: »Wo sind denn die Ihren?« »Ich bin nur auf der Durchreise«, antwortete der Mann, und der Rabbi entgegnete: »Ich auch.«

Um voll und ganz lieben und richtig leben zu können, ist es nötig zu erkennen, dass wir letztlich nichts besitzen, dass uns nichts gehört – weder unser Heim noch unser Auto noch die Menschen, die wir lieben, nicht einmal unser eigener Körper. Spirituelle Freude und Weisheit finden wir nicht durch Besitz, sondern durch die Fähigkeit, uns zu öffnen, tiefer zu lieben und unbefangen und frei durch das Leben zu gehen.

Davor können wir uns nicht drücken. Ein großer Lehrer sagte einmal: »Euer Problem ist, dass ihr meint, ihr hättet Zeit.« Wir wissen nicht, wie viel Zeit wir haben. Wie wäre es wohl, mit dem Wissen zu leben, dass dies unser letztes Jahr, unsere letzte Woche, unser letzter Tag ist? Im Licht dieser Frage sollten wir uns einen Weg mit Herz aussuchen.

Manchmal ist ein Schock nötig, um uns aufzuwecken und uns in Verbindung mit unserem Weg zu bringen. Vor ein paar Jahren bat mich eine Frau, ihren Bruder in einem Krankenhaus in San Francisco zu besuchen. Er war Ende dreißig und bereits ein reicher Mann. Es besaß eine Baugesellschaft, ein Segelboot, eine Ranch, ein Stadthaus und den Betrieb. Eines Tages hatte er am Steuer seines Autos einen Blackout. Die Untersuchung ergab, dass er an einem bösartigen, schnell wachsenden Gehirntumor litt. Der Arzt hatte zu ihm gesagt: »Wir möchten operieren, aber ich muss Sie warnen. Der Tumor befindet sich im Sprachzentrum. Wenn wir den Tumor entfernen, kann es sein, dass Sie damit die Fähigkeit verlieren, zu lesen, zu sprechen, zu schreiben und irgendeine Sprache zu verstehen. Wenn wir jedoch nicht operieren, haben Sie wahrscheinlich nur noch sechs Monate zu leben. Bitte überlegen Sie es sich. Die Operation ist für morgen früh angesetzt. Sagen Sie bis dahin Bescheid.«

Ich besuchte den Mann an diesem Abend. Er war sehr still und nachdenklich. Wie Sie sich vorstellen können, befand er sich in einem außergewöhnlichen Bewusstseinszustand. Solch ein Erwachen wird manchmal durch die spirituelle Praxis ausgelöst, doch bei ihm entstand es durch die besonderen Umstände. Als wir miteinander redeten, sprach der Mann nicht über seine Ranch, sein Segelboot oder sein Geld. An jenen Ort, der ihn erwartete, nimmt man keine Bankkonten und keine Autos mit. Alles, was in Zeiten der großen Veränderung zählt, ist die Währung des Herzens – die Fähigkeiten und Einsichten des Herzens, die wir in uns zum Wachstum gebracht haben. Zwanzig Jahre zuvor, Ende der sechziger Jahre, hatte dieser Mann ein wenig Zen-Meditation praktiziert und ein paar Bücher von Alan Watts gelesen, und in dieser Situation, der er sich nun ausgesetzt sah, waren es jene Erfahrungen, an die er wieder anknüpfte und über die er sprechen wollte – über sein spirituelles Leben und sein Verständnis von Geburt und Tod. Nach einem sehr nahen, herzlichen Gespräch schwieg er eine Weile und dachte nach. Dann sagte er: »Jetzt habe ich genug geredet. Vielleicht mehr als genug. Heute Abend erscheint es mir so kostbar, einfach nur ein Glas Wasser zu trinken oder den Tauben zuzuschauen, die von der Fensterbank ins Freie hinausfliegen. Sie erscheinen mir so wunderschön. Es ist wie ein Wunder, einen Vogel fliegen zu sehen. Ich bin noch nicht fertig mit meinem Leben. Vielleicht werde ich es von nun an einfach auf stillere Weise leben.« Er entschied sich für die Operation. Ein sehr guter Chirurg operierte vierzehn Stunden lang. Als ihn danach seine Schwester auf der Intensivstation besuchte, sah er sie an und sagte: »Guten Morgen!« Das Sprachzentrum hatte die Entfernung des Tumors unbeschadet überlebt.

Nachdem er das Krankenhaus verlassen hatte und wieder gesund geworden war, änderte sich sein Leben von Grund auf. Er kam weiterhin mit der nötigen Verantwortung seinen geschäftlichen Verpflichtungen nach, aber er gehörte nicht mehr zu den Workaholics. Er verbrachte mehr Zeit mit seiner Familie und übernahm eine Beraterfunktion für andere, bei denen Krebs und ähnliche schwere Erkrankungen diagnostiziert worden waren. Er ging wieder in die Natur, und in seiner Beziehung zu anderen Menschen wurde er aufmerksam und liebevoll.

Wäre ich ihm vor diesem Abend begegnet, hätte ich ihn für eine spirituelle Niete gehalten, weil er sich lediglich ein bisschen mit spiritueller Praxis befasst und diese dann zugunsten eines Lebens als Geschäftsmann aufgegeben hatte. Er schien alle diese spirituellen Werte vergessen zu haben. Aber als sein Leben zusammenbrach und er in diesen Augenblicken zwischen Leben und Tod innehielt und nachdachte, wurde selbst das bisschen spirituelle Praxis, das er berührt hatte, sehr wichtig für ihn. Wir wissen nie, was andere lernen, und wir können die spirituelle Praxis eines anderen Menschen nicht so einfach beurteilen. Wir können nicht mehr tun, als in unser eigenes Herz zu schauen und uns zu fragen, was in der Art, wie wir leben, wirklich zählt, was uns zu größerer Offenheit, Aufrichtigkeit und Liebesfähigkeit führen kann.

Ein Weg mit Herz gibt auch Raum für unsere Kreativität und unsere ganz persönlichen Begabungen. Der äußere Ausdruck unseres Herzens kann darin bestehen, dass wir Bücher schreiben, Häuser bauen oder Methoden entwickeln, wie Menschen einander helfen können. Er kann darin bestehen, dass wir unterrichten oder gärtnern, bedienen oder Musik machen. Wichtig ist nur, dass das, was wir tun, in unserem Herzen verwurzelt ist. Unsere Liebe ist die Quelle jeglicher Energie der Gestaltung und Verbindung. Wenn wir ohne Verbindung mit unserem Herzen handeln, werden selbst die großartigsten Dinge in unserem Leben trocken, bedeutungslos oder unfruchtbar. Hinter all unseren Aktivitäten stehen die Sehnsucht nach Liebe und die verborgene Lebendigkeit der Liebe. Das Glück, das wir im Leben erfahren, basiert nicht auf Besitz irgendeiner Art und nicht einmal auf Wissen, sondern auf der Entdeckung unserer Fähigkeit zu lieben, eine liebevolle, freie und weise Beziehung zu allem zu haben, was das Leben bietet. Solch eine Liebe ist nicht besitzergreifend, sondern entfaltet sich aus unserem Gefühl des Wohlbefindens und der Verbindung mit allem, was ist. Deshalb ist sie großzügig und wach und erfreut sich an der Freiheit allen Lebens. Von dieser Liebe inspiriert, können wir auf unserem Weg lernen, wie wir unsere Begabungen am besten einsetzen können, um zu heilen und zu dienen und Frieden um uns herum zu schaffen; und wir lernen, die Heiligkeit des Lebens zu würdigen, alles wertzuschätzen, was uns begegnet und allen Wesen Gutes zu wünschen.

Das spirituelle Leben mag kompliziert erscheinen, aber im Grunde ist es das nicht. Wir können selbst inmitten dieser ungeheuer komplexen Welt Klarheit und Einfachheit entdecken – wenn wir erkennen, dass die Qualität des Herzens, um deren Entfaltung wir uns bemühen, das ist, was am meisten zählt. Der Zen-Dichter Ryokan fasste das in folgenden Zeilen zusammen:

Der Regen hat aufgehört,die Wolken haben sich verzogen,und es ist wieder klar.Ist dein Herz rein,dann sind alle Dinge in deiner Welt rein … Dann wirst du vom Mond und den Blumenauf deinem Weg geführt.

Alle spirituellen Lehren sind vergebens, wenn wir nicht lieben können. Selbst die erhebendsten Zustände und die außergewöhnlichsten spirituellen Errungenschaften sind bedeutungslos, wenn wir nicht fähig sind, auf ganz gewöhnliche Weise glücklich zu sein, und wenn wir einander und das Leben, das uns gegeben wurde, nicht mit unserem Herzen berühren können. Es geht darum, wie wir leben. Deshalb ist es so schwierig und so wichtig, uns selbst diese Frage zu stellen: »Lebe ich meinen Weg ganz und gar, lebe ich ohne Bedauern?«, sodass wir am Ende unseres Lebens, wann immer das auch sein mag, sagen können: »Ja, ich habe meinen Weg mit Herz gelebt.«

Meditation: Herzenswärme

Die Qualität der Herzenswärme ist der fruchtbare Boden, aus dem ein umfassendes spirituelles Leben wachsen kann. Mit Herzenswärme als Grundlage werden wir unsere Erfahrungen mit größerer Offenheit machen, und alles, worum wir uns bemühen, wird freier fließen. Zwar kann sie sich bei vielen Gelegenheiten auf ganz natürliche Weise entfalten; aber uns geht es darum, sie bewusst zu entwickeln.

Die folgende Meditation ist eine zweieinhalbtausend Jahre alte Übung, in der Formulierungen, Imaginationen und Gefühle eingesetzt werden, um Herzenswärme und Freundlichkeit sich selbst und anderen gegenüber anzuregen. Sie können mit dieser Praxis experimentieren und feststellen, ob sie brauchbar für Sie ist. Am besten beginnen Sie damit, sie ein paar Monate lang einmal oder zweimal täglich fünfzehn bis zwanzig Minuten lang zu wiederholen. Am Anfang empfinden Sie diese Übung vielleicht als mechanisch oder irgendwie peinlich, oder sie führt sogar gerade zum Gegenteil dessen, was sie damit bezwecken. Sie aktiviert möglicherweise Gefühle der Irritation und des Ärgers. Wenn das geschieht, ist es ganz besonders wichtig, dass Sie geduldig und freundlich zu sich selbst sind und alles, was aufsteigt, in einer liebevollen Weise annehmen. Die Herzenswärme wird sich mit Sicherheit entfalten, auch dann, wenn wir erst einmal innere Schwierigkeiten überwinden müssen.

Nehmen Sie eine bequeme Sitzhaltung ein. Entspannen Sie Ihren Körper und seien Sie gelöst. Lassen Sie Ihren Geist ruhen, so gut es geht; lassen Sie alle Pläne los und alles, womit Sie innerlich beschäftigt sind. Rezitieren Sie dann im stillen die folgenden Sätze, die Sie an sich selbst richten. Sie beginnen mit sich selbst; denn wenn Sie sich nicht selbst lieben, ist es fast unmöglich, andere zu lieben.

Möge ich mit Herzenswärme erfüllt sein.

Möge ich gesund sein.

Möge ich mich friedlich und gelassen fühlen.

Möge ich glücklich sein.

Während Sie diese Sätze bilden, können Sie auch ein Bild aus den Lehren des Buddha verwenden: Denken Sie an sich selbst als ein geliebtes Kind oder als die Person, die Sie jetzt sind, geborgen in einem Herzen voller Liebe. Verbinden Sie die Worte mit diesen Bildern, sodass Sie genau jene Sätze finden, die am besten geeignet sind, ihr liebevolles Herz zu öffnen. Wiederholen Sie die Sätze immer wieder, und lassen Sie Ihren Körper und Ihren Geist ganz und gar von dem Gefühl, das sie wachrufen, durchdringen. Praktizieren Sie diese Meditation mehrere Wochen lang mehrmals täglich, bis ein Gefühl der Herzenswärme Ihnen selbst gegenüber wächst.

Nach einiger Zeit können Sie, wenn Sie sich dazu bereit und fähig fühlen, nach und nach Ihre Herzenswärme auf andere ausdehnen. Wählen Sie zuerst eine Person, die Ihnen sehr zugetan ist und viel Gutes für Sie getan hat. Stellen Sie sich diese Person vor und rezitieren Sie wieder dieselben Sätze: »Möge er/sie mit Herzenswärme erfüllt sein«, und so weiter. Wenn sich die Herzenswärme für diejenigen entfaltet hat, denen Sie besonders viel verdanken, beziehen Sie weitere Menschen, die Sie lieben, in derselben Weise in Ihre Meditation mit ein. Danach können Sie Schritt für Schritt andere einbeziehen: Freunde, Familienmitglieder, Nachbarn, die Menschen in aller Welt, Tiere, die ganze Erde und alle Wesen. Und schließlich können Sie damit experimentieren, diejenigen Menschen einzubeziehen, mit denen Sie die größten Schwierigkeiten haben, und wünschen, dass auch sie mit Herzenswärme und Frieden erfüllt sein mögen. Mit einiger Übung kann sich ein beständiges Gefühl der Herzenswärme entwickeln; dann werden Sie in der Lage sein, im Laufe von fünfzehn oder zwanzig Minuten viele Wesen in Ihre Meditation einzubeziehen, angefangen bei Ihnen selbst, über Ihre Wohltäter und die Menschen, die Sie lieben, bis zu allen Wesen.

Sie können lernen, diese Meditation überall zu praktizieren: im Stau, im Bus, im Flugzeug, im Wartezimmer des Arztes und bei allen möglichen anderen Gelegenheiten. Wenn Sie diese Meditation der Herzenswärme im Beisein anderer Menschen praktizieren, werden Sie eine innige Verbindung mit ihnen fühlen – das ist die Kraft der Herzenswärme. Sie wird sich beruhigend auf Ihr Leben auswirken und dafür sorgen, dass Sie in Verbindung mit Ihrem Herzen bleiben.

2

DEN KRIEG BEENDEN

Der unerwachte Geist pflegt Krieg zu führen gegen die Dinge, wie sie sind. Um einem Weg mit Herz zu folgen, müssen wir lernen, diese Haltung des Kriegführens im Innern und im Äußeren zu verstehen – wie wir sie aufbauen und wie wir sie beenden können. Unwissenheit ist die Wurzel aller Kriege. Ohne das rechte Verständnis fürchten wir uns allzu leicht vor den fließenden Veränderungen des Lebens, vor den unvermeidlichen Verlusten und Enttäuschungen, vor Alter und Tod. Wenn wir all das falsch verstehen, neigen wir dazu, das Leben zu bekämpfen, vor dem Leiden davonzulaufen oder uns an Sicherheit und Vergnügen zu klammern, deren Natur es ist, uns niemals wirklich befriedigen zu können.

Unser Krieg gegen das Leben kommt in allen Dimensionen unserer inneren und äußeren Erfahrungen zum Ausdruck. Amerikanische Kinder beispielsweise sehen im Durchschnitt achtzehntausend Morde und Gewaltakte im Fernsehen, bevor sie die höhere Schule beendet haben. Wenn in der westlichen Welt Frauen körperlich verletzt werden, so bei weitem weniger durch Unfälle als durch die Männer, mit denen sie zusammenleben. Wir führen Krieg gegen uns selbst, gegen unsere Familie und unsere Gemeinschaft, gegen andere Rassen und andere Nationen. Kriege zwischen Menschen sind eine Spiegelung innerer Konflikte und Ängste.

Mein Lehrer Achaan Chah beschrieb diesen ständigen Kampf mit folgenden Worten: »Wir menschlichen Wesen befinden uns dauernd im Krieg, um der Tatsache zu entfliehen, dass wir so begrenzt sind – eingeschränkt durch Umstände, die wir nicht unter Kontrolle haben. Doch anstatt ihnen zu entkommen, erzeugen wir ständig nur Leiden; wir führen Krieg gegen das Gute, wir führen Krieg gegen das Böse, wir führen Krieg gegen das, was zu klein ist und gegen das, was zu groß ist, wir führen Krieg gegen das, was zu kurz und was zu lang ist, was richtig ist oder was falsch ist, und kämpfen tapfer und besinnungslos immer weiter und weiter.«

Unsere moderne Gesellschaft unterstützt die Tendenz, unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit zu leugnen oder zu unterdrücken. Diese Haltung des Leugnens gewöhnt uns daran, uns vor allen unmittelbaren Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten zu schützen. Wir bringen ungeheuer viel Energie auf, um unsere Unsicherheit zu leugnen, gegen Leiden, Tod und Verlust zu kämpfen und uns vor den grundlegenden Wahrheiten der Welt und unserer eigenen Natur zu drücken.

Um uns gegen die natürliche Welt abzuschirmen, haben wir Klimaanlagen, geheizte Autos und die entsprechende Kleidung für jede Jahreszeit. Um uns gegen das Schreckgespenst des Alters und der Gebrechlichkeit abzuschirmen, präsentieren wir in der Werbung lächelnde junge Leute und verbannen die Alten in Pflegestationen und Altenwohnheime. Wir verstecken unsere psychisch Kranken in psychiatrischen Anstalten. Wir verbannen die Armen in Ghettos. Und wir bauen Schnellstraßen um diese Ghettos herum, damit diejenigen, die begünstigt sind, nicht dort leben zu müssen, nichts vom Leiden der anderen zu sehen bekommen.

Wir leugnen den Tod so gründlich, dass selbst eine 96 Jahre alte Frau, die in ein Hospiz eingeliefert wurde, anklagend sagte: »Warum gerade ich?« Wir gehen so weit, fast so zu tun, als wäre Tod nicht wirklich Tod; in den USA stecken wir die Leichen in modische Kleider und schminken sie für ihre Verbrennung, als ginge es zu einer Party. In dieser Scharade uns selbst gegenüber tun wir so, als sei Krieg nicht wirklich Krieg; wir haben das Kriegsministerium in Verteidigungsministerium umbenannt und bezeichnen eine ganze Klasse von Atomraketen als »Peace Keepers«!

Wie bringen wir es fertig, uns ständig gegen die Wahrheit unserer Existenz zu verschließen? Wir setzen das Mittel des Verleugnens ein, um den Schmerzen und Problemen des Lebens auszuweichen. Wir benützen Drogen, um dieses Verleugnen zu unterstützen. Wir sind eine Suchtgesellschaft – in süchtiger Abhängigkeit von Alkohol, Drogen, Glücksspiel, Essen, Sex, neurotischen Beziehungen und von der Hektik und Geschäftigkeit der Arbeit. Unsere Süchte sind die zwanghaft wiederholten Abhängigkeiten, mit denen wir die Schwierigkeiten unseres Lebens verleugnen können und sie nicht spüren müssen. Unsere Süchte dienen dazu, uns stumpf zu machen gegen das, was ist, und helfen uns, unsere eigenen Erfahrungen zu verhindern; und unsere Gesellschaft unterstützt dieses Suchtverhalten mit Pauken und Trompeten.

In einer Gesellschaft, die von uns erwartet, dass wir mit doppelter Geschwindigkeit leben, wird unsere Erfahrung durch Hektik und Sucht abgetötet. In solch einer Gesellschaft ist es nahezu unmöglich, in Beziehung mit dem eigenen Körper zu leben oder in Verbindung mit dem Herzen zu sein, ganz zu schweigen von der inneren Verbindung mit anderen oder mit der Erde, auf der wir leben. Stattdessen empfinden wir uns selbst als zunehmend isoliert und vereinsamt, abgeschnitten voneinander und vom natürlichen Netz des Lebens. Ein Mensch allein in seinem Auto, in seinem Haus, in einer Telefonzelle; die Ohren mit dem Walkman zugestöpselt; und überall eine abgrundtiefe Einsamkeit und das Gefühl innerer Armut. Das ist das durchdringende Leiden in unserer Gesellschaft; und dies gilt nicht nur für Individuen, sondern auch für Nationen. Die Kräfte des Separatismus und Nichtwahr-haben-Wollens züchten Verständnislosigkeit zwischen den Völkern, ökologische Zerstörung und eine endlose Reihe von Konflikten zwischen nationalen Gruppen.

Zu einer echten spirituellen Praxis gehört, dass wir den Krieg beenden lernen. Dies ist ein erster Schritt, doch er muss immer wieder geübt werden, bis er zu einem Teil unseres Wesens geworden ist. Die innere Stille eines Menschen, der wirklich »in Frieden« mit sich ist, bringt Frieden in das gesamte Netzwerk des Lebens, im Inneren wie im Äußeren. Um den Krieg zu beenden, müssen wir bei uns selbst beginnen. Mahatma Gandhi war sich dessen bewusst, als er sagte:

»Ich habe nur drei Feinde. Mein liebster Feind, der sich am leichtesten zum Besseren bekehren lässt, ist das Britische Empire. Mein zweiter Feind, das indische Volk, ist viel problematischer. Aber mein raffiniertester Gegenspieler ist ein Mann namens Mohandas K. Gandhi. Auf ihn scheine ich recht wenig Einfluss zu haben.«

Durch einen Willensakt allein können wir uns selbst nur schwerlich bessern. Das ist ungefähr so, als wünschten wir, der Geist würde sich selbst loswerden, oder als würden wir uns an unserer eigenen Hand führen. Wie kurzlebig sind unsere guten Vorsätze! Wenn wir darum kämpfen, uns selbst zu ändern, wiederholen wir lediglich die Muster unserer Selbstverurteilung und Aggression und halten damit den Krieg gegen uns selbst in Gang. Willentliche Akte sind im Allgemeinen ein Schuss nach hinten, und allzu oft verstärken sie die Sucht oder das Verleugnen, gegen die wir angetreten sind.

Ein junger Mann mit einem tiefen Misstrauen gegenüber jeglicher Autorität kam zur Meditation. Er rebellierte seit langem gegen seine Familie, was durchaus verständlich war, denn seine Mutter hatte ihn enorm unter Druck gesetzt. Er war in der Schule aufsässig gewesen, lief schließlich weg und schloss sich der Gegenkultur an. Er hatte sich gegen seine Freundin gewandt, die ihn, wie er sagte, habe beherrschen wollen. Dann ging er nach Indien und Thailand, um dort seine Freiheit zu finden. Nach einigen positiven Erfahrungen mit der Meditation begab er sich für einige Zeit in ein Kloster. Er beschloss, sehr eifrig zu praktizieren und aus sich einen klaren, reinen und friedvollen Menschen zu machen. Doch nach kurzer Zeit begannen die Konflikte von neuem. Die täglichen Verpflichtungen ließen ihm nicht genug Zeit, um nonstop zu meditieren. Die Geräusche von Besuchern und gelegentlich vorbeifahrenden Autos störten seine Praxis. Der Lehrmeister gab ihm seiner Ansicht nach nicht genügend Führung, und deshalb war seine Meditation nicht intensiv genug, und sein Geist gab keine Ruhe. Er bemühte sich angestrengt, ruhiger zu werden; er beschloss, das auf seine eigene Weise zu tun, aber es kam nicht mehr dabei heraus, als dass er dauernd gegen sich selbst kämpfte.

Eines Tages ließ der Lehrmeister ihn zu sich rufen. »Du bist ständig dabei, gegen alles zu kämpfen. Wie kommt es nur, dass dich das Essen stört, dass dich die Geräusche stören, dass dich die Hausarbeiten stören, dass dich sogar dein eigener Geist stört? Ist das nicht seltsam? Ich möchte gern wissen, wie das ist: Wenn du ein Auto vorbeifahren hörst, kommt es dann herein und stört dich? Oder gehst du hinaus und störst es? Wer stört wen?« Da musste sogar der junge Mann lachen, und das war der Augenblick, in dem er anfing zu lernen, den Krieg zu beenden.

Der Zweck spiritueller Disziplin liegt darin, zu ermöglichen, mit dem Kriegführen aufzuhören – nicht durch die Kraft unseres Willens, sondern ganz organisch durch ein besseres Verstehen und durch regelmäßiges Training. Eine kontinuierliche spirituelle Praxis kann uns helfen, eine neue, kampflose Art der Beziehung zum Leben zu erlernen.

Wenn wir aufhören zu kämpfen, sehen wir alles ganz neu – wie das I Ging sagt: »mit Augen, die nicht von Verlangen getrübt sind.« Wir sehen, wie jeder von uns Konflikte produziert. Wir sehen unsere Vorlieben und Abneigungen und wie wir uns ständig gegen alles stellen, was uns Angst macht. Wir sehen unsere Vorurteile, unsere Gier und unsere Manöver, um unser Hoheitsgebiet abzusichern. Es fällt uns nicht leicht hinzuschauen, aber das alles ist nun einmal da. Hinter dem ständigen Kampf entdecken wir ein durchdringendes Gefühl der Unvollkommenheit und der Angst. Und wir erkennen, wie sehr unser Kampf mit dem Leben unser Herz verschlossen gehalten hat.

Wenn wir aufhören zu kämpfen und unser Herz für die Dinge öffnen, wie sie sind, werden wir in die Lage versetzt, uns innerlich im gegenwärtigen Augenblick niederzulassen. Das ist der Anfang und das Ende der spirituellen Praxis. Nur in diesem Augenblick können wir das entdecken, was zeitlos ist. Nur hier können wir die Liebe finden, die wir suchen. Die Liebe der Vergangenheit ist lediglich Erinnerung, und die Liebe der Zukunft ist Fantasie. Nur in der Wirklichkeit des gegenwärtigen Augenblicks können wir lieben, aufwachen und Frieden finden, uns selbst und die Welt verstehen und mit uns selbst und allem in Verbindung sein.