Wahre Freiheit - Jack Kornfield - E-Book
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Wahre Freiheit E-Book

Jack Kornfield

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Beschreibung

Der weltbekannte Meditationslehrer Jack Kornfield präsentiert in Wahre Freiheit eine zeitlose Botschaft: Wir können in jedem Augenblick innerlich frei und in Frieden sein – auch wenn wir gerade einen schwierigen Moment haben. Auf dem Hintergrund buddhistischer Weisheit befähigt er uns, jeder Situation des Lebens achtsam und liebevoll zu begegnen. Zu den zentralen inneren Qualitäten eines wahrhaft freien Lebens gehören: - die Freiheit von Angst und Furcht, - die Freiheit, immer wieder neu beginnen zu können, - die Freiheit, zu lieben und wirklich authentisch zu sein, - die Freiheit, glücklich zu sein. Jack Kornfield lädt zu einem aktiven Prozess mit zahlreichen Übungen zu Achtsamkeit und Selbstmitgefühl ein. Dabei prägen sich seine warmherzigen und authentischen Geschichten wieder besonders ein, denn jeder kann sich mit ihnen identifizieren. Wahre Freiheit führt uns durch Zeiten persönlicher Herausforderungen und Veränderungen, verwandelt uns und bringt unser erwachtes Herz in die Welt.

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Seitenzahl: 350

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Jack Kornfield

Wahre Freiheit

Der buddhistische Weg, in jedem Augenblick glücklich und geborgen zu sein

Aus dem amerikanischen Englisch von Jochen Lehner

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Der weltbekannte Meditationslehrer Jack Kornfield präsentiert in Wahre Freiheit eine zeitlose Botschaft: Wir können in jedem Augenblick innerlich frei und in Frieden sein – auch wenn wir gerade einen schwierigen Moment haben. Auf dem Hintergrund buddhistischer Weisheit befähigt er uns, jeder Situation des Lebens achtsam und liebevoll zu begegnen. Zu den zentralen inneren Qualitäten eines wahrhaft freien Lebens gehören:

– die Freiheit von Angst und Furcht,

– die Freiheit, immer wieder neu beginnen zu können,

– die Freiheit, zu lieben und wirklich authentisch zu sein,

– die Freiheit, glücklich zu sein.

Jack Kornfield lädt zu einem aktiven Prozess mit zahlreichen Übungen zu Achtsamkeit und Selbstmitgefühl ein. Dabei prägen sich seine warmherzigen und authentischen Geschichten wieder besonders ein, denn jeder kann sich mit ihnen identifizieren. Wahre Freiheit führt uns durch Zeiten persönlicher Herausforderungen und Veränderungen, verwandelt uns und bringt unser erwachtes Herz in die Welt.

Inhaltsübersicht

Widmung

Motto

Einladung zur Freiheit

Erster Teil Freier Geist

1 In der unendlichen Weite zu Hause

Der Tanz des Lebens

Der Erkennende

Heilige Stille

Liebendes Bewusstsein

Von Hyänen gehetzt

»In Liebe ausruhen«

2 Frei sein für die Liebe

Die Kraft der Liebe

Die vielen Gesichter der Liebe

Die Furcht, zu lieben

Mit Liebe antworten

Das Glitzern in deinen Augen

Begegnung mit den Göttern

Liebe verkörpern

Liebe frisch gebacken

Liebe bringt Achtung mit sich

3 Dem lebendigen Universum vertrauen

Unseren Garten pflegen

Der Tanz des Lebens

Weises Vertrauen

Das Ende der Verzweiflung

In den Armen eines lebendigen Universums

Vertrauensvoll altern

4 Ewige Gegenwart

Nur dieser Augenblick

Das Jetzt bemerken

Die moralische Mathematik des Augenblicks

Anfängergeist

Wie also sollen wir leben?

Einen Schutzraum finden

Zeitlosigkeit in der Natur

Die Liebe zum Augenblick

»Speziell für Sie«

Zweiter Teil Was die Freiheit hindert

5 Die Furcht vor der Freiheit

Trauma, Angst und Freiheit

Selbsthass

Es allen recht machen wollen

Die Furcht vor dem Absturz

Bedenkenlos handeln

Sich gegen den Wind stemmen

6 Verzeihen

Sich und anderen verzeihen

Unsere Biografie legt uns nicht fest

Der Vergangenheit ihr Recht geben

Die Göttin des Erbarmens

Mut und Klarheit

Wahre Versöhnung

»Ich bring dich um«

Loslassen, der Schlussakkord

7 Frei sein von verstörenden Gefühlen

Für unsere Feinde beten

Innere Kräfte

Frieden schließen

Konflikte lösen

Sich den Dämonen stellen

Wie Mitgefühl wächst

Dritter Teil Verwirklichte Freiheit

8 Schöne Unvollkommenheit

Im Auge des Betrachters

Die Tyrannei des Perfekten

Wilde, unvollkommene Schönheit

Augen der Liebe

Was einem geblieben ist

Meisterschaft

Die Freiheit des Unvollkommenen

9 Die Gabe der Aufgeschlossenheit

Zen in der Kunst der Unvoreingenommenheit

Vorurteile und der Blick für die Dinge

Barrieren überwinden

Bin ich ganz sicher?

Augenblick für Augenblick

Die heilende Kraft der Worte

Wahre Kommunikation

10 Authentisch sein

Der Geist der Kindheit

Zu sich halten

Ihre eigene Geschichte

Beginnen Sie da, wo Sie sind

Innen bewusst, außen in Ruhe

Gefühlen stattgeben

Wünsche

Die Freiheit, ein Mensch zu sein

11 Die Freiheit, zu träumen

Schöpferische Freiheit

Gegen alle Vernunft

Es sind Ihre Träume

Das Leben als Leinwand

Kreativität und Interesse

Die Ströme des Lebens

Hemmungslos träumen und tanzen

Vierter Teil Freiheit leben

12 Geben, was Sie zu geben haben

Die Freiheit, zu handeln

Ein neuer Anlauf

Vision und Aktion

Deine Gaben mitbringen

Selbstloses Dienen

Die Welt braucht Sie

Die kleinen Dinge

13 Freiheit in schwierigen Zeiten

Standhalten in der Verunsicherung

Mit dem Herzen lauschen

Ein World Wide Web der fürsorglichen Zuwendung

Wir sind der Wandel

Menschlichkeit zeigen

Den Ausschlag geben

Sie sind nicht unvorbereitet

14 Geheimnisvolles Leben

Nicht weit weg

Das Mysterium der Inkarnation

Die Erde atmet uns

Biografien und Rollen

»Intersein«: Sie sind nicht allein

Alle gewinnen

Äußere und innere Freiheit

Die Leere ist unser Zuhause

Vision

»Hab ich dir doch gesagt!«

15 Die Freude, lebendig zu sein

Grundlos glücklich

Freudensprünge

Dankbarkeit

Das reine Herz

Glück steht uns zu

Wunderbar!

Es liegt in unserer Hand

Das freie Herz

Dank

Für meinen Zwillingsbruder Irv, diesen Liebhaber des Lebens, Abenteurer und ungezügelten Geist.

Ein Vogel singt nicht, weil er Antworten weiß, sondern weil er ein Lied hat.

Joan Walsh Anglund

Einladung zur Freiheit

Liebe Freunde, nach über vierzig Jahren, in denen ich Tausenden Menschen auf dem spirituellen Pfad Achtsamkeit und Mitgefühl vermittelt habe, ist dies die wichtigste Mitteilung, die ich machen kann: Ihr müsst auf die Freiheit nicht warten. Ihr braucht das Glück nicht aufzuschieben.

Viel zu oft verbindet sich die schöne Praxis der Achtsamkeit und des Mitgefühls mit Vorstellungen von Selbstdisziplin und Pflichterfüllung. Wir sehen uns von ihnen auf einen langen Hindernisparcours geführt, an dessen fernem Ende die angestrebten Ergebnisse winken. Ja, es gibt sie, die Arbeit des Herzens, und unser Leben hat seine Zyklen, die uns so manches abverlangen. Doch wo jeder Einzelne auch stehen mag auf seinem Weg, es existiert noch eine andere wunderbare Wahrheit, und die heißt »Die Früchte ernten« oder »Mit dem Ergebnis beginnen«. Die Früchte des Wohlbefindens, der Freude, der Freiheit und der Liebe sind schon jetzt in unmittelbarer Reichweite, wie auch immer Ihre Lebensumstände sein mögen.

Als Nelson Mandela nach siebenundzwanzig Jahren Haft die Gefängnisinsel Robben Island verließ, war er ein Mann voller Würde und Großmut, so ganz und gar bereit zu verzeihen, dass sein Geist das Land verwandelte und für die Welt zur Inspiration wurde. Auch Sie können diese Freiheit und Würde leben, und zwar genau da, wo Sie jetzt sind. Die Umstände mögen schwierig, die Zeiten unsicher sein – vergessen Sie nie, dass Freiheit nicht für ganz besondere Menschen reserviert ist. Niemand kann Ihren Geist einsperren.

Wenn Sie zum Chef zitiert werden und Sie Befürchtungen oder bange Erwartungen in sich aufsteigen fühlen, wenn jemand in Ihrer Familie unter Konflikten und Nöten zusammenzubrechen droht, wenn die zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Probleme der Welt Ihnen schwer zu schaffen machen, haben Sie immer verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Sie können dann erstarren und sich wie bewegungsunfähig fühlen, oder aber Sie nutzen die schwierige Phase, um sich weiter zu öffnen, bis sich Ihnen zeigt, wie Sie während dieses Abschnitts auf Ihrem Weg sinnvoll und weise reagieren können. Zyklisch geht das Leben mal seinen ruhigen Gang, dann wieder stellt es uns vor große Herausforderungen oder bringt tiefe Schmerzen mit sich, und manchmal scheint die ganze Gesellschaft ringsum im Umbruch zu sein. In alldem bleibt uns immer die Möglichkeit, tief durchzuatmen, den Blick ein wenig weicher werden zu lassen und uns in Erinnerung zu rufen, dass Mut und Freiheit in unserem Inneren darauf warten, dass wir uns ihrer bewusst werden, um auch andere daran teilhaben zu lassen. Selbst unter ganz düsteren Umständen bleibt die Freiheit des Geistes bestehen – auf wundersame Weise großartig und einfach zugleich. Wir sind in diesem Leben frei und fähig zu lieben, was auch immer geschehen mag.

Ganz in unserer Tiefe wissen wir das. Wir wissen es immer dann, wenn wir uns in etwas Größeres eingebunden fühlen – wenn wir Musik hören, bei der Liebe, beim Wandern in den Bergen oder beim Schwimmen im Meer, wenn wir am Sterbelager eines geliebten Menschen Zeugen dieses Mysteriums werden, dass der Geist still wie eine Sternschnuppe den Körper verlässt, oder bei der Geburt eines Kindes. In solchen Momenten geht eine Welle freudevoller Offenheit durch unseren Körper, und unser Herz ist in Frieden gehüllt.

Freiheit fängt da an, wo wir sind. Sara musste als alleinerziehende Mutter für zwei Kinder sorgen, und eines Tages stellte sich heraus, dass ihre achtjährige Tochter Alicia Leukämie hatte. Sara war entsetzt und voller Ängste – unendlich traurig, dass Alicia ihre Gesundheit eingebüßt hatte, und wie gelähmt von dem Gedanken, dass sie ihre Tochter verlieren könnte. Das erste Jahr nach der Diagnose bedeutete für Alicia mehrere Chemotherapien, Klinikaufenthalte und die Bekanntschaft mit vielen Ärzten. Es herrschte gedrückte Stimmung im Haus, und die Angst begleitete das Kind Tag für Tag. Doch einmal, beim nachmittäglichen Spaziergang mit Sara, sagte sie: »Mama, ich weiß nicht, wie lange ich noch lebe, aber ich wünsche mir, dass es fröhliche Tage werden.«

Das weckte ihre Mutter auf wie ein kalter Guss ins Gesicht. Sara begriff, dass sie aus dem Angstdrama aussteigen und zu einer vertrauensvollen Haltung zurückfinden musste, um dem freien Geist ihrer Tochter auf gleicher Höhe begegnen zu können. Sie umschlang sie fest und machte ein kleines Tänzchen mit ihr. Da verflüchtigte sich die ganze Angst.

Alicia wurde übrigens wieder gesund! Sie ist jetzt zweiundzwanzig und hat gerade ihren Collegeabschluss gemacht. Aber wenn sie nicht gesund geworden wäre, hätten Sie ihr nicht trotzdem genau diese Einstellung gewünscht? Es lässt sich nicht viel aus einem Leben machen, das man als erbärmlich empfindet. Wäre es nicht besser, trotz allem fröhlich zu sein?

Als ich acht war, sind mein Zwillingsbruder Irv und ich einmal an einem bitterkalten und windigen Wintertag warm eingepackt zum Spielen im Schnee nach draußen gegangen. Ich, eher ein Hänfling, zitterte in der Kälte, aber mein Bruder, einer von der starken, wilden und robusteren Sorte, musste lachen, als er mich so ängstlich in mich verkrochen dastehen sah. Er lachte immer noch, als er anfing, sich auszuziehen, zuerst Handschuhe und Mantel, dann Pullover, Hemd und Unterhemd; und so stapfte und tänzelte er schließlich in diesem eisigen Wind durch den Schnee. Wir sahen mit großen Augen und unter lautem Gelächter zu.

In dem Augenblick habe ich von meinem Bruder etwas gelernt, nämlich Freiheit, zu wählen, und dieser Geist ist mir bis heute gegenwärtig geblieben. Ob wir tatsächlich in einem Schneesturm stehen oder einen Verlust, Schuldzuweisungen und unsere kollektive Verunsicherung als schneidend kalten Wind erleben, der Wunsch nach Freiheit ist immer präsent. Wir möchten Ängste und Sorgen abschütteln und uns nicht von Verurteilungen anderer beengen lassen. Wir können es. Wir können lernen, zu vertrauen, zu lieben, uns selbst Ausdruck zu geben und glücklich zu sein.

Haben wir Vertrauen und Freiheit einmal in uns selbst aufgespürt, werden wir auch Wege finden, sie mit der Welt zu teilen. Hier die Worte von Barbara Wiedner, der 2001 verstorbenen Gründerin der Bewegung »Grandmothers for Peace«:

Ich fing an, mich zu fragen, was für eine Welt ich eigentlich meinen Enkeln hinterlassen möchte. Ich malte mir ein Transparent mit der Aufschrift »A Grandmother for Peace« und stellte mich damit an eine Straßenecke. Später schloss ich mich anderen an, die sich als menschliche Barriere vor eine Munitionsfabrik knieten. Ich wurde festgenommen, musste in der Untersuchungshaft eine Leibesvisitation über mich ergehen lassen und wurde in eine Zelle gesteckt. Da ging mir etwas auf: Mehr als das konnten sie mir nicht antun. Ich war frei!

Die »Großmütter für den Frieden« sind heute auch in etlichen anderen Ländern aktiv.

Ebendiese Freiheit haben auch Sie. Jedes Kapitel dieses Buchs stellt die Einladung zu einer bestimmten Form der Freiheit dar. Wir beginnen im persönlichen Bereich mit der Freiheit des Geistes, der Freiheit des Neubeginns, der Freiheit jenseits der Angst und der Freiheit, zu sein, was wir sind. Wir erschließen uns die Freiheit, zu lieben, die Freiheit, für das einzustehen, was wirklich zählt, und schließlich die Freiheit, glücklich zu sein. Anhand von Geschichten, Überlegungen, Lehren und Übungen führen wir uns vor Augen, wie wir uns festfahren und wie wir frei werden können. Frei werden, das ist ein nie abgeschlossener, stets aktiver Prozess, der Herz, Verstand und Gemüt einbezieht. Die Mittel und die Ziele sind dabei eigentlich dieselben: man selbst sein, träumen, vertrauen, mutig sein und handeln.

Sie können wählen, in welchem Geist Sie leben möchten. Freiheit, Liebe und Freude jedenfalls gehören Ihnen bereits, und das unter allen Umständen. Sie sind Ihr Geburtsrecht.

 

Jack Kornfield

Spirit Rock Meditation Center

Erster Teil Freier Geist

Sag mir, was hast du vor mit deinem einzigen, wilden und kostbaren Leben?

Mary Oliver

1 In der unendlichen Weite zu Hause

Manchmal tue ich mir selbst leid, wo mich doch große Winde durch den Himmel tragen.

Ausspruch der Ojibwa-Indianer

Ein leuchtendes Gestirn trägt uns mit bald siebeneinhalb Milliarden unseresgleichen im Tanz des Lebens vereint. Die Weite des Alls ist unsere Heimat. Wenn uns die Unermesslichkeit unseres äußeren und inneren Universums aufgeht, öffnet sich die Tür zur Freiheit. Sorgen und Konflikte werden in ihrer wirklichen Größenordnung erkannt, Emotionen sind leichter zu ertragen, und im Trubel der Welt wahren wir Frieden und Würde.

Der Tanz des Lebens

In der Mitte ihres Lebens sah sich Whitney großen Problemen gegenüber. Ihre Mutter war an der Hüfte operiert worden, und ihr Vater litt an den Erscheinungen einer Alzheimer-Erkrankung im Frühstadium. Whitney wünschte sich, dass ihre Eltern weiterhin in ihrem Haus in Illinois würden wohnen können, aber das selbstständige Leben war durch die gesundheitlichen Einschränkungen schwierig geworden. Ihr Bruder in St. Louis wollte mit alldem nichts zu tun haben. Whitney musste sich allein darum kümmern.

Sie nahm sich einen Monat Urlaub, um bei den Eltern sein und aushelfen zu können. Das Haus war ein einziges Durcheinander, als sie ankam. Ihre Mutter brauchte Zeit, um sich von der Operation zu erholen, der Vater konnte sich nicht einmal selbst versorgen. Häusliche Pflege rund um die Uhr konnten sie sich nicht leisten, es schien klar, dass sie umziehen mussten.

Whitney machte einen Spaziergang den Hang hinauf, der ihr seit Kindertagen vertraut war. Sie wollte das Heim der Familie nicht aufgeben, ihre Eltern sollten dort bis zum Ende bleiben können – und sie wollte auch ihre Eltern nicht verlieren. Sie weinte auf dem Weg, aber als sie die Hügelkuppe erreicht hatte, beruhigte sie sich ein wenig. Sie setzte sich und ließ den Blick über die Weite des Mittleren Westens mit seinen bis zum Horizont reichenden Feldern schweifen. Kumuluswolken trieben über den Himmel und warfen Schatten auf die kleinen Ansammlungen von Häusern rings um die Ortschaft.

Angesichts dieser grenzenlosen Weite fühlte sie sich auf einmal nicht mehr ganz so allein. Sie spürte, dass alles seine Rhythmen hatte, das Kommen und das Gehen, das Aufblühen und Welken, das Werden und Schwinden. Wie viele Menschen, überlegte sie, mochten wohl gerade in einer ganz ähnlichen Lage wie sie sein? Und je leichter ihr Atem ging, desto mehr löste sie sich innerlich. »Nicht nur ich habe alte Eltern«, sagte sie sich. »Es gehört einfach zum Menschsein dazu.« Und als sie sich innerlich öffnete, spürte sie neues Zutrauen wachsen.

Wir sind alle in der Lage, die Dinge aus dieser Perspektive zu betrachten. Wir können den Blick weiter werden lassen, und wenn im Herzen mehr Raum entsteht, erinnern wir uns an das Gesamtbild. Auch falls ein Nahestehender krank wird, ein Elternteil stirbt oder ein anderer großer Verlust droht, können wir uns immer wieder vor Augen halten, dass dies einfach das Leben mit seinen wechselnden Höhen und Tiefen ist.

Wie wäre es wohl, das Ganze mit allem Drum und Dran einfach so zu lieben, wie es ist, und die Liebe trotz allem größer sein zu lassen als all den Kummer? So viele Menschen erleben Veränderungen, Verluste und Erneuerungen. Aber die Welt dreht sich weiter, die Bauern fahren ihre Ernte ein, auf den Märkten wird gehandelt, und die Musiker spielen ihre Lieder. Wir leben inmitten eines großen Paradoxons, das sich immer wieder anders darstellt.

Atmen Sie. Entspannen Sie sich. Leben Sie immer nur diesen einen Tag.

Der Erkennende

Wenn das Herz weit wird, erinnern wir uns an diesen alles umfassenden Blick, den wir schon fast vergessen hatten. Das weite Herz gibt den weit ausgreifenden Geist zu erkennen. Das ist der Geist, der schließlich doch lacht, nachdem Sie sich die Zehen angestoßen haben und jammernd herumgehopst sind. Und wenn Sie sich über Ihren Partner oder Ihre Partnerin geärgert haben, ist es der Geist, der schlafen geht und beim Aufwachen weiß, dass es keine so große Sache war.

Dieser weiträumige Geist ist unser natürliches Bewusstsein, das alles kennt und allem Raum bietet. Mein Meditationslehrer in der thailändischen Waldtradition, Ajahn Chah, sprach hier vom »Erkennenden« oder »Wissenden«. Das sei die ursprüngliche Natur des Geistes, sagt er, der schweigende Zeuge, eine alles umfassende Bewusstheit. Entsprechend einfach war seine Unterweisung: Werde Zeuge von allem, einer mit Überblick, ein Erkennender.

Achten Sie einmal auf den »Film«, der in Ihrem Leben gerade läuft. Wie sieht der Plot aus – ist es ein Abenteuer, eine Tragödie, Liebesgeschichte, Seifenoper oder ein Kampfgetümmel? »Die ganze Welt ist eine Bühne«, schrieb Shakespeare. Es kommt vor, dass wir uns in den Plot hineinziehen lassen. Aber Sie sind eben auch der Zuschauer, also atmen Sie tief durch, sehen Sie sich um, seien Sie Zeuge all dessen, eine umfassende Bewusstheit, ein Erkennender oder Wissender.

Ich saß einst am Bett einer Frau mit Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium. Sie war erst einunddreißig, und es ging zu Ende mit ihr. Wir blickten einander in die Augen, und Schicht um Schicht fiel alles weg – ihr ausgezehrter Körper, ihr Geschlecht, ihre poetischen Werke, ihre Familie, ihre Freunde. Ich erfuhr die Gnade, Zeuge ihres Geistes zu sein. »Wie sieht es aus?«, fragte ich sehr sanft und fuhr fort: »Wie es scheint, ist diese Inkarnation bald vorbei. Das darf so sein, weißt du? Es ist ganz natürlich, zu sterben.« Und was aus tiefen, wissenden Augen zurückblickte, war nichts als unendliche Weite und zärtliche, zeitlose Freiheit.

In dieser raumgreifenden Bewusstheit spüren Sie die Gegenwart der Liebe. Der Erkennende wird liebender Zeuge aller Dinge. Man wird ganz liebendes Bewusstsein. Diese Freiheit ist immer gegeben, aber es kostet ein bisschen Übung, sich an sie zu erinnern und das Vertrauen zu gewinnen, dass sie immer da ist. Wenn Sie sich verrannt haben, in irgendeinem winzigen Ausschnitt des Gesamtbilds festhängen, sich beengt oder vom Strudel der Ereignisse mitgerissen fühlen, atmen Sie tief durch, um innerlich einen Schritt zurückzutreten. Mit weit offenem Geist können Sie sogar Zeuge solcher geduckten Zustände sein und sie innerlich liebevoll umfangen.

Entspannen Sie sich. Sie können Ihre Gefühle, Ihre Gedanken und alle Umstände liebevoll betrachten. Eben jetzt. Während Sie diese Seite lesen, betrachten Sie den Lesenden mit liebevollem Bewusstsein, lächeln Sie ihm oder ihr zu. Lassen Sie jeden Tag beim Aufwachen mit liebevollem Bewusstsein beginnen. Lassen Sie sich auf den Sie umgebenden Raum ein, den Raum da draußen, das unermessliche Land, das sich über den Kontinent erstreckt. Fühlen Sie in die Weite des Himmels hinein und des Alls mit Mond, Planeten und Galaxien.

Lassen Sie Herz und Geist zu diesem Raum werden. Atmen Sie in Ihr Herz. Betrachten Sie die ziehenden Wolken, werden Sie der Himmel. Die Wolken sind nicht einfach da draußen, sie sind auch in Ihnen. Fühlen Sie, wie die Landschaft, die Bäume, die Berge, die Gebäude in Ihrem Herzen sind. Lassen Sie sich weit und offen werden und liebevoll mit dem Raum verschmelzen. Überlassen Sie sich dem Unermesslichen ringsum, das auch in Ihnen ist. So weit kann liebendes Bewusstsein reichen.

Seien Sie als Erkennender ein Zeuge all dessen, lassen Sie das liebende Bewusstsein offen für alles sein, für Langweiliges und Interessantes, für Furcht und Vertrauen, für Lust und Schmerz, Geburt und Tod.

Heilige Stille

Im Hochwald oder in einer Kathedrale treten wir in eine tiefe, heilige Stille ein. Dann weitet sich in unserem Inneren etwas, und wir nehmen in uns selbst eine tiefe Stille wahr. Das kann im ersten Moment ein wenig beunruhigend sein, aber es ist auch das, wonach wir uns sehnen. Es ist die grenzenlose Stille, von der das Leben umgeben ist. Vertrauen Sie sich ihr an, um in ihr zur Ruhe zu kommen. Das Herz weitet sich und erwacht zu seiner wahren Lebendigkeit. Alles, was sich in dieser Stille sonst noch bemerkbar macht, ist nur wie eine Wolke am Himmel, eine Welle im Meer. Verweilen Sie in der Tiefe der Stille.

Bewusstsein ist seiner Natur nach grenzenlos. Wenn Sie es direkt betrachten, sehen Sie, dass der Geist durchsichtig und randlos ist, er hat keine Grenzen, Ihr Herz ist groß und weit wie die Welt. Sie überlassen sich dieser Unermesslichkeit, und jetzt können Sie die Wogen des Lebens einfach kommen und gehen lassen. In der Stille sehen Sie das Mysterium, wie es das Leben und alle Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen hervorbringt. Die Wellen des Lebens steigen und fallen, dehnen und stauen sich, das Herz schlägt, die zerebrospinale Flüssigkeit pulsiert – und dazu noch die Rhythmen und Phasen des Mondes, der Wechsel der Jahreszeiten, die Zyklen des weiblichen Körpers, die wirbelnden Galaxien und, ja – der Aktienmarkt.

Achten Sie einmal auf die Pausen zwischen den Wellen, die Lücken zwischen den Atemzügen und Gedanken. Sie wirken anfangs flüchtig, allzu schnell vorbei, doch mit der Zeit werden Sie in diesen Pausen Ruhe finden. Die Wellen steigen und fallen, und Sie selbst werden stilles liebendes Bewusstsein. Diese Stille hat aber nichts von Rückzug oder Teilnahmslosigkeit. Sie ist nicht die Abwesenheit von Gedanken. Sie hat etwas Geräumiges und Erfrischendes, eine zärtliche Stille, von der aus Sie lernen, lauschen und tief blicken können.

Liebendes Bewusstsein

Liebendes Bewusstsein erfüllt Zeit und Raum. Hier ist das Mysterium Zeuge seiner selbst. Im liebenden Bewusstsein strömt der Fluss der Gedanken und Bilder ohne Urteil. Hier erleben Sie den Strom der Gefühle, ohne sie zu fürchten, ohne von ihnen mitgerissen zu werden oder sich an sie zu klammern. Lust und Beklommenheit, Ärger, zärtliche Zuneigung und Verlangen, sogar Kummer und Tränen, alles ist hier willkommen. Im liebenden Bewusstsein kann sich die Freude zu ihrer ganzen Fülle entfalten, wahres Wohlbefinden kann in ihr wachsen.

Auch das Vertrauen nimmt zu. Sie bauen darauf, dass das Universum schon weiß, wie es laufen soll, und Sie trauen Ihrem Bewusstsein zu, das alles zu umfassen. Ich weiß noch gut, wie ich im Schwimmbad der Universität das Schwimmen lernte. Ich war ein schmächtiges, zitterndes siebenjähriges Kerlchen. Ich strampelte wild herum, bis mich der Schwimmlehrer irgendwann in Rückenlage an der Wasseroberfläche hielt. Dann zog er die Hand weg, und ich merkte, dass ich mich an der Oberfläche halten konnte. Es erschien mir wie ein Wunder. Und richtig schwimmen lernte ich dann ebenfalls. So können Sie auch lernen, sich Ihrem liebenden Bewusstsein anzuvertrauen. Es wird Sie immer halten.

Versuchen Sie einmal, nicht bewusst zu sein. Nehmen Sie sich eine halbe Minute, in der Sie alle Wahrnehmungen auszuschalten versuchen – Sinneseindrücke, Gedanken, Gefühle und so weiter. Geben Sie sich alle Mühe. Selbst wenn Sie die Augen schließen und sich die Ohren zuhalten, es geht einfach nicht, oder? Sie können nicht aufhören, bewusst zu sein. Das Bewusstsein ist immer da.

Sie können es freilich so wenig sehen, wie Fische das Wasser erkennen. Aber Sie können es erfahren, und das ist die Basis Ihres Vertrauens. Liebendes Bewusstsein ist weiträumig, offen, transparent, still, unendlich tief – und ansprechbar wie ein Spiegel. Sie können immer zu ihm zurückkehren, es ist zeitlos, wach und stets aufgeschlossen. Es sieht, ohne zu besitzen. Es ist voller Wertschätzung, hält aber nicht an Erfahrungen oder Dingen fest. Wie der amerikanische Schauspieler, Autor und Stand-up-Comedian Steven Wright einmal sagte: »Ich besitze die größte Muschelsammlung der Welt. Ich bewahre sie an den Stränden der Erde auf. Vielleicht hast du sie schon mal gesehen.«

Von Hyänen gehetzt

Benjamin war vierundsechzig, als er im Jahr 2008 infolge der Finanzkrise um mehr als die Hälfte seiner erhofften Altersbezüge gebracht wurde. Ihm war bewusst, dass er und seine Frau es immer noch besser getroffen hatten als andere, deren Immobiliendarlehen völlig abgestürzt waren, sodass sie ihr Zuhause verloren. Dennoch war er fast krank vor Zukunftssorgen. Zehnmal am Tag überprüfte er die Wertpapierstände, in seinen Träumen ertrank er, er wurde von Hyänen gehetzt oder verlief sich irgendwo. In der Familie sagten sie ihm, er solle sich doch nicht so verrückt machen, aber er wusste nicht, wie er das abstellen konnte. Als er zum ersten Mal zur Meditation kam, war es ihm fast unmöglich, still zu sitzen. Die Angst erzeugte schwer erträgliche Körperempfindungen, und in seinem Kopf jagten sich die Gedanken. Sollte er seine Wertpapiere nicht lieber schnell zu Geld machen? Oder würde er noch mehr verlieren, wenn er aus einem fragwürdigen und höchst spekulativen Immobilienprojekt ausstiege?

Als er das zweite Mal an diesem Meditationskurs teilnahm, machte ich mit der Gruppe eine geführte Meditation über den Raum, bei der es darum ging, um Körper und Geist herum eine offene Weite entstehen zu lassen. Wir lauschten den tibetischen Klangschalen im Meditationsraum, aber auch den von draußen hereindringenden Verkehrsgeräuschen und Stimmen so, als wäre unser Geist groß und weit wie der Himmel, über den die Geräusche wie Wolken zogen. Benjamin fühlte sich ein wenig erleichtert und erwarb eine Meditations-CD, mit der er zu Hause üben konnte. Mit der offenen Weite als Mantra konnte er sich zunehmend aus der Umklammerung der zwanghaften Gedankengänge lösen. Wenn er jetzt in der Nacht aus Angstträumen hochschreckte, wusste er, wie er mit ihnen umgehen konnte. Dann gab es auch wieder eine Perspektive. Er würde sein Geld künftig konservativer anlegen und damit dessen Schwund aufhalten. Überhaupt legte sich die zwanghafte Vorsorge für die Zukunft ein wenig. Das Grübeln ließ nach, und er konnte wieder mehr für seine Familie da sein.

Solche Richtungswechsel sind uns allen möglich, schließlich hat jeder von uns schon Zeiten erlebt, in denen wir gelassen und ruhig waren. Da hören wir aufmerksamer zu, sehen klarer, beweisen mehr Augenmaß. In offener Bewusstheit wird auch unser Innenleben klarer. Schwierige Gefühle klären sich, die in ihnen gebundene Energie wird wieder frei. Die Depression gibt zu erkennen, um was es überhaupt geht, um welchen Schmerz, welchen Ärger, welche nicht befriedigten Bedürfnisse. Wenn wir die Geschichten, die sich um unsere Ängste ranken, deutlich erkennen, lösen sie sich bereitwillig. Die Freiheit des weit offenen Geistes und Herzens steht uns immer zur Verfügung, wir müssen uns ihr nur ganz zuwenden. Machen Sie sich für die offene Weite erreichbar, sooft Sie können. Werden Sie der Himmel des liebenden Bewusstseins.

»In Liebe ausruhen«

Weiträumigkeit, Bewusstheit und Liebe haben sehr viel miteinander zu tun. Mein Freund Frank Ostaseski, Mitbegründer des Zen-Hospizes in San Francisco, erzählte mir von einem Bewohner dieses Hospizes, der heftige Schmerzen litt und sich erkundigte, ob da mit Meditation etwas zu machen sei. Er hatte Magenkrebs im Endstadium. Sie meditierten also, und bei der Meditation ging es darum, den Körperempfindungen freundliche Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Doch als der Mann sich für seine Schmerzen erreichbar zu machen versuchte, waren sie einfach zu stark, und er schrie: »Ich kann nicht, es ist zu viel. Es tut weh, es tut weh, es tut weh!« Frank beruhigte ihn und sagte, er werde etwas anderes versuchen. Er legte ihm sanft die Hand auf den Bauch und fragte, wie das sei. »Es tut immer noch zu sehr weh«, stöhnte er. »Dann versuchen wir es so«, sagte Frank und entfernte seine Hand ein wenig vom Bauch. »Schon ein bisschen besser«, seufzte der Mann. Jetzt hielt Frank seine Hände etwa einen halben Meter vom Körper des Mannes entfernt, und er sagte: »O ja, das ist besser.«

Das war keine spezielle Form von Körperarbeit, keine esoterische Übung. Es ging einfach darum, dem Schmerz immer mehr Raum zu geben. Nach ein paar Minuten hatten sich die Züge des Mannes entspannt. »Können Sie sich hier einfach ausruhen?«, fragte Frank. Und der Mann sagte leise: »In Liebe ausruhen.« Immer wenn die Schmerzen in der Folgezeit so heftig wurden, dass er seine Morphinpumpe betätigen musste, wiederholte er dazu seine Worte: »Ruhe in der Liebe aus, Ruhe in der Liebe aus.«

Und so ist es bei allen körperlichen oder seelischen Schmerzen: Wenn Sie allem Raum geben, kann sich etwas ändern. Wie die Dinge auch liegen mögen, weiten Sie einfach den Raum, erinnern Sie sich an die offene Weite; lassen Sie Leichtigkeit einkehren und mit ihr den Blick für die tatsächliche Größenordnung der Dinge. Diese Weitung ist die Tür zur Freiheit. Das große Herz ist Ihr wahres Zuhause.

Übung Bereit sein für das liebende Bewusstsein

Erinnern Sie sich an eine Zeit, in der Sie ganz offen, weit und von Liebe erfüllt waren. Das kann während einer Bergwanderung gewesen sein, beim Blick in den sternenübersäten Nachthimmel oder nach der Geburt eines Kindes. Rufen Sie sich in Erinnerung, wie dieses ausgreifende Bewusstsein sich im Körper angefühlt hat und wie im Herzen. Lassen Sie innerlich Ruhe einkehren. Wie still das war, wie präsent Sie sein konnten.

Schließen Sie die Augen. Fühlen Sie genau diese Weite hier und jetzt. Entspannen Sie sich, um der Raum des liebenden Bewusstseins zu werden, der allem mit friedvollem, gewährendem Herzen Platz bietet – Sonnenschein, Gewitterwolken und Blitzen, Lob und Tadel, Gewinn und Verlust, Expansion und Kontraktion und einer Welt, die sich immer wieder neu hervorbringt – in Ihrem bergenden, friedvollen Herzen.

Übung Weit wie der Himmel

Setzen Sie sich bequem hin. Lassen Sie den Körper zur Ruhe kommen und den Atem ganz natürlich sein. Schließen Sie die Augen. Atmen Sie ein paarmal tief ein und aus, wobei der ausströmende Atem sanft verklingen soll, bis Sie ganz still werden.

Wenden Sie Ihre Wahrnehmung jetzt vom Atem weg und den Umgebungsgeräuschen zu. Achten Sie darauf, ob sie laut oder leise, fern oder nah sind. Lauschen Sie nur. Merken Sie, wie alle Laute anklingen und dann spurlos verschwinden? Horchen Sie eine Weile ganz entspannt und offen hin.

Während Sie noch lauschen, stellen Sie sich vor oder nehmen Sie wahr, dass Ihr Bewusstsein nicht auf den Kopf beschränkt ist. Versuchen Sie zu spüren, dass Ihr Geist weit wie der Himmel wird – offen, klar und grenzenlos wie der Raum. Er hat kein Innen und kein Außen. Erlauben Sie dem Geist und seinem Bewusstsein, sich in alle Richtungen auszudehnen.

Lassen Sie die Geräusche in der Himmelsweite Ihres Geistes kommen und gehen. Entspannen Sie sich in dieser grenzenlosen Offenheit und lauschen Sie nur. Die Geräusche von nah und fern kommen und gehen wie Wolken am Himmel Ihres Bewusstseins. Sie ziehen spielerisch durch diese Weite, erscheinen und vergehen ohne Widerstand.

Achten Sie in dieser offenen Bewusstheit darauf, wie auch Gedanken und Bilder auftauchen und wieder verschwinden. Sie sind wie Wolken. Lassen Sie die Gedanken und Bilder kampf- und widerstandslos kommen und gehen. Angenehme und unangenehme Gedanken, Bilder, Worte und Gefühle tummeln sich ungehindert im Raum des Geistes. Probleme, Möglichkeiten, Freuden und Kümmernisse, sie kommen und gehen an diesem weiten, freien Himmel des Geistes.

Nach einer Weile wenden Sie diese alles umfassende Bewusstheit dem Körper zu. Sie nehmen seine Festigkeit wahr. Die Empfindungen des Körpers, des Atems, schweben durch den gleichen offenen Himmel und wandeln sich dabei. In dieser Wahrnehmung kann man den Körper als schwebende Zonen der Festigkeit und Weichheit, des Drucks oder Kribbelns im Raum des Geistes fühlen. Spüren Sie, dass der Atem sich selbst atmet wie ein Windhauch?

Lassen Sie all diese Erfahrungen wie Wolken sein. Der Atem geht seinen eigenen Gang. Empfindungen schweben dahin und verändern sich. Sie lassen alle Gedanken, Bilder, Gefühle und Geräusche am klaren, weiten Himmel des Bewusstseins ziehen, wie sie wollen.

Wenden Sie sich am Schluss dem Bewusstsein selbst zu. Es ist ein weiter Raum von natürlicher Klarheit und Transparenz, zeitlos und konfliktfrei. Er lässt alle Dinge zu, ist aber nicht von ihnen bestimmt. Das ist Ihre wahre Natur, offen und rein wie der Himmel. Kehren Sie dahin zurück. Vertrauen Sie darauf. Da ist Ihr Zuhause.

2 Frei sein für die Liebe

Was nutzt ein klarer Geist ohne ein liebevolles Herz?

Liebe ist die Ordnung der Natur, die Hauptattraktion, sie bewegt Nationen. Liebe ist der Flug der Bienen im Frühling, die sanfte Berührung, das erste und das letzte Wort. Sie ist wie die Gravitation, eine geheimnisvolle Kraft, die alles zusammenhält. Liebe ist die Erinnerung an das Dasein im Mutterschoß und die große Einheit vor dem Urknall. Die Weite des Himmels hat ihre Parallele in der des Herzens. Jeder Mensch will lieben und geliebt werden.

Aus neurowissenschaftlicher Sicht ist Liebe eine Notwendigkeit, wo sie fehlt, nimmt nicht nur der Einzelne Schaden, sondern ganze Gesellschaften kranken daran. Unser Gehirn verlangt nach nährender Nähe. Enge emotionale Bindungen formen unsere Nervenschaltkreise, unser Ich-Gefühl und unser Vermögen, uns in andere einzufühlen. »Für sich allein finden Menschen in manch wichtiger Hinsicht keine Stabilität«, schreibt Thomas Lewis in A General Theory of Love.

Die Kraft der Liebe

Ein einziger Augenblick der Liebe inspirierte Dante zu seinem monumentalen Werk Die Göttliche Komödie, und diese Liebe lebt weiter bis heute. Der Tiefenpsychologe Robert A. Johnson, ein Vertreter der Schule C.G. Jungs, erzählt uns die Begebenheit: Es war einige Jahre vor der Wende zum 14. Jahrhundert, als Dante einmal am Ponte Vecchio stand, jener anmutigen Arno-Brücke in Florenz. Er sah eine junge Frau namens Beatrice auf der Brücke stehen. Der Anblick löste bei ihm eine die Ewigkeit umspannende Vision aus. Er sprach einige Male mit Beatrice, die jedoch kurz darauf der Pest zum Opfer fiel. Der Verlust erschütterte Dante zutiefst, doch Beatrice lebt in seinem Werk weiter. Sie war seine Muse, seine Anima, die Brücke zwischen seiner Seele und dem Himmel.

Jahrhunderte später, im Zweiten Weltkrieg, ging es im Jahr 1944 darum, die deutsche Wehrmacht aus Italien zu vertreiben. Bei ihrem Rückzug zerstörten die Deutschen alles, was dem Vormarsch der gegnerischen Streitkräfte hätte dienen können, auch die Brücken. Aber am Ponte Vecchio zögerten sie. Es gibt verschiedene Erklärungen für dieses Vorgehen. Eine lautet so: Niemand wollte den Ponte in die Luft jagen, weil Beatrice auf ihm gestanden und Dante dies beschrieben hatte. Die Brücke überlebte den gnadenlosesten Krieg der Neuzeit dank einer großen Liebe.

Erinnern Sie sich an Zeiten der jungen Liebe, wie das war an Frühlingstagen mit Krokussen und Pflaumenblüten oder an frischen Herbsttagen mit dem Duft von Holzfeuern in der Luft – wie das Herz da himmelan strebte, wenn Sie der oder dem Geliebten begegneten. Und sollten Sie nie verliebt gewesen sein, weil die Umstände oder ein Übermaß an Schmerz es nicht zuließen, ruft Ihnen der persische Dichter Rumi zu: »Heute ist der Tag dafür.«

Liebe und das alles einschließende Bewusstsein sind unsere wahre Natur. Der indische Weise Nisargadatta Maharaj hat es so ausgedrückt: »Weisheit sagt, ich bin nichts. Liebe sagt, ich bin alles.« Bewusstsein erkennt, Liebe verbindet. Angst und Getrenntheit können zeitweilig vorherrschen, wir alle kennen das. Doch dann erinnert sich das liebende Bewusstsein: Ach ja, auch dies ist ein Ort der Liebe.

Liebe ist einschließend, großzügig und bodenständig. Der amerikanische Jesuitenpriester Gregory Boyle schreibt in seinem Buch Ins Herz tätowiert über seine Arbeit mit Jugendbanden in den Einwanderergemeinschaften von Los Angeles. Er betreut außerdem die Dolores Mission Church, die in den Achtzigerjahren Einwanderern ohne Dokumente Zuflucht bot. Neu angekommene Männer aus Mexiko und Zentralamerika schliefen nachts in der Kirche, Frauen und Kinder im Konvent. Einmal sprühte irgendein aufgebrachter Einheimischer in der Nacht »Wetback Church« (»Nassrücken-Kirche«) auf die Eingangsstufen, was nur als heftiger Affront gemeint sein konnte. Das Schimpfwort wetbacks stammt aus den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, als man erstmals illegale Einwanderer aus Mexiko so bezeichnete, die den Rio Grande schwimmend überquert hatten und dabei natürlich nass geworden waren. Boyle war ebenso aufgebracht wie traurig und versicherte den Leuten, er ließe das später von einem der Homies (ehemaligen Gang-Mitgliedern) wegmachen. Diese Kids, mit denen Boyle arbeitete, übernahmen bereitwillig solche kleinen Jobs.

Da erhob sich jedoch Petra Saldana, ein sonst eher stilles Gemeindemitglied, und wandte sehr entschieden ein, das solle man nicht wegmachen! Wenn es hier Leute gäbe, die verachtet, gehasst und ausgeschlossen würden, weil sie mojados (wetbacks) seien, dann sollten sie sich eben stolz »Wetback Church« nennen.

Solidarität, Mitgefühl, Liebe.

Die vielen Gesichter der Liebe

Liebe ist nicht aufzuhalten, auf tausenderlei Weise dringt sie doch in unsere Worte und Taten ein. Manchmal scheint sie begrenzt, ein andermal allumfassend zu sein, immer jedoch setzt sich das Mysterium der Liebe durch und reißt nie ab. Und sie hat Tausende Gesichter, etwa wenn man Schokoladeneis »liebt« oder »liebend« gern eine neue Wohnung, einen neuen Job oder sonst etwas hätte. Dann gibt es das Verliebtsein und eine Liebe, die Gedichte und Opern schreibt, die in Gesängen und Geschichten von Schwärmerei und Betörung erzählt, aber auch von Besessenheit und von einer Liebe wie der zur schönen Helena, die einen Krieg auszulösen vermochte.

Dann die Geschwisterliebe, die mitmenschliche Liebe, für die alle Menschen ein und derselben Familie angehören. In vielen Kulturen war es immer schon üblich, einander mit Verwandtschaftsbezeichnungen anzusprechen, und das setzt sich bis heute fort bei Nobelpreisträgern bis zu Politikern, wenn etwa von »Großvater Tutu« oder »Mutter Merkel« die Rede ist.

Weiterhin gibt es die Elternliebe, die unerschütterliche, bedingungslose Bereitschaft, für sein Kind da zu sein und es zu retten, dokumentiert in so fantastischen, aber wahren Geschichten von Müttern, die ein Auto hochzuheben vermochten, unter dem ihr Kind lag, oder von Vätern, die ohne Zögern in brennende Gebäude liefen.

Es gibt die anbetende Liebe, und es gibt die göttliche Liebe, eine spirituelle Ekstase, die grenzenlos wie das Meer wird.

Und es gibt die Liebe, die keinen Grund hat, Lebensliebe, mit unerschütterlicher Freude verbundene Liebe, einfach offenherzig und überströmend, natürlich und frei wie der Frühlingswind.

Wenn Sie auch nur für eine dieser Formen der Liebe offen sind, spüren Ihre Mitmenschen das. In der Neurowissenschaft bezeichnet man dies als »limbische Resonanz«. Ihre Spiegelneuronen und das gesamte Nervensystem stehen ständig in Wechselwirkung mit den Spiegelneuronen anderer Menschen in Ihrem Umfeld – Liebe teilt sich mit. Man »fängt sie sich von anderen ein«. Liebe tränkt und verändert alles. Als Neem Karoli Baba, der Guru von Ram Dass, einmal gefragt wurde, wie man Erleuchtung finde, sagte er: »Liebe die Menschen und gib ihnen zu essen.«

Der Arzt Jerry Flaxstead erzählte von einem Patienten namens Frank, den er anfangs nur abstoßend fand. Frank war tobsüchtig, fettleibig und obdachlos, er hatte Diabetes, war immer ungewaschen und seine Beine waren brandig und voller Geschwüre. Wenn er die Medikamente für seine psychischen Störungen nicht einnahm, schlug er um sich und schrie allen ringsum Schimpfwörter und Flüche zu. Er wurde immer wieder mal in die Klinik eingeliefert. Er gehörte zu den Patienten, die für einen Arzt schwer zu ertragen, geschweige denn zu »lieben« sind, wie Dr. Flaxstead sagte.

Einmal wurde Frank mit akutem Herzversagen eingeliefert. Sein Zustand war ernst, und Dr. Flaxstead bemühte sich nach Kräften um ihn. Während er sich anschließend um einen anderen Patienten auf seiner Station kümmerte, kamen etwa zwanzig Mitglieder der Kirchengemeinde, in deren Notunterkunft Frank manchmal schlief, um ihm einen Besuch abzustatten. Sie hatten ihm Blumen und Selbstzubereitetes mitgebracht, sie sangen ihm Kirchenlieder – ein wahres Fest der Mitmenschlichkeit und Fürsorge. Als Dr. Flaxstead zurückkam, sah er Frank lächeln, in Liebe gebadet. Da wurde ihm klar, dass er Frank zum ersten Mal wirklich sah.

Die Furcht, zu lieben

Genau da, wo Sie sind, können Sie die Welt mit den Augen der Liebe sehen. Ohne Liebe ist alles irgendwie nur halb oder verfälscht. Mit Liebe stehen wir vor den Mysterien des Lebens, dann können wir eine leuchtende Aprikose, einen abgenutzten Baseballhandschuh, das Foto eines Kindes oder eine angeschlagene alte Schale in der Hand halten, und auf einmal bricht die Liebe aus uns heraus. Wir halten einen Stein und fühlen den ganzen Berg. Der Anblick einer Kiefer löst die Liebe zur gesamten Erde aus. Wenn Liebe in uns ist, erwidert die Welt unseren Blick strahlend und segnend.

Bill Moyers kamen beim Filmen einer Serie über Tod und Sterben Bedenken, ob die jungen Angehörigen seines Produktionsteams je schon mit dem Tod in Berührung gekommen waren. Er bat Frank Ostaseski um ein Treffen mit seiner Crew, bei dem er die Stadien des Sterbens beschreiben und etwas über die Menschen sagen konnte, die gefilmt werden sollten. Damit das von Anfang an eine menschliche Dimension bekam, teilte Frank große Schwarz-Weiß-Fotos aus, sehr persönliche Nahaufnahmen von Leuten, die im Lauf der Jahre durch dieses Hospiz gegangen waren. Die Mitglieder des Filmteams saßen still da und betrachteten die Gesichter dieser todgeweihten Menschen. Nach fünf Minuten forderte Frank die Leute auf, ihr Foto im Kreis herum zum rechts sitzenden Nachbarn weiterzugeben. Sie konnten es nicht. Jeder hatte sich in den Menschen »verliebt«, den er auf dem Foto vor sich sah.

Das menschliche Herz möchte lieben und geliebt werden, nur fürchten wir uns oft davor. Wir sind gekränkt, verraten, verlassen, missverstanden, aufs Korn genommen und ausgeschlossen worden, und aus unserer Liebes- wurde eine Horrorgeschichte. Das Gespenst der Verluste und Schmerzen verfolgt uns, mahnt zu übervorsichtigem Einsatz, zu Schutzschilden, die uns vor weiteren Enttäuschungen bewahren sollen.

Ablehnung ist für uns besonders schwer zu ertragen, sie weckt die Urangst der Verlassenheit und den alten Irrglauben, etwas sei nicht in Ordnung mit uns, wir seien wertlos, unattraktiv und nicht liebenswert. Welche ursprüngliche Verletzung wir möglicherweise auch erfahren haben – ein Familientrauma, Missbrauch, die Vernachlässigung durch eine überforderte Familie oder desinteressierte Institution –, sie kann dazu führen, dass wir Liebe fürchten. Es fällt uns schwer, uns zu öffnen, sogar für die Liebe uns selbst gegenüber. Aber jeder Mensch ist in seiner unergründlichen, staunenswerten Einzigartigkeit absolut liebenswert.

Neben Ablehnung kann auch Todesangst oder Angst vor dem Unbekannten unsere Liebe lähmen. Dann klammern wir uns an unsere schützende Schale und verkriechen uns in dieses kleine Ich, das sich sicher fühlen und das Leben kontrollieren möchte. Wir tun so, als seien wir unverletzbar, was natürlich nicht zutrifft. Wir wohnen in diesem allzu verletzlichen Körper, eingebunden in die Gemeinschaft des Lebens. Unsere Sinne sind von subtilster Empfänglichkeit für diese immer wieder neue Welt von Lust und Schmerz, Süße und Bitterkeit, Gewinn und Verlust. Liebe und Freiheit laden uns ein, uns voll und ganz auf diese Welt einzulassen. Sie bieten uns das Geschenk eines großzügigen Herzens, das aller Erfahrung Raum bietet, ebenso ansprechbar wie sicher gegründet.