Stille finden in einer lauten Welt - Jack Kornfield - E-Book

Stille finden in einer lauten Welt E-Book

Jack Kornfield

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Beschreibung

Das Hier und Jetzt feiern!

Um uns herum ist alles laut, chaotisch und gehetzt. Wir erleben den Alltag oftmals mit engem Herzen, Körper und Geist sind angespannt. Der große buddhistische Lehrer Jack Kornfield empfiehlt eine gelassenere Lebenshaltung und zeigt, wie wir aus dieser äußeren und inneren Unruhe wieder herausfinden: indem wir die Praxis der Achtsamkeit üben, das offene Gewahrsein im gegenwärtigen Moment. Er erzählt von den tiefen Erfahrungen, die durch regelmäßige Meditation möglich werden und geht dabei auch auf Herausforderungen ein, z. B. wenn alte innere Verletzungen wieder auftauchen. Er ermutigt uns, Achtsamkeit immer und überall zu üben, sodass wir schließlich uns selbst heilen können und in eine tiefe glückliche innere Stille kommen.

Dieses Buch erschien ursprünglich unter dem Titel "Erleuchtung finden in einer lauten Welt" im Arkana Verlag.

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Seitenzahl: 574

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Buch

Achtsamkeit heißt so viel mehr, als stillzusitzen und zu meditieren. Es meint, ganz im Hier und Jetzt zu sein, das alltägliche Leben aus einer anderen Haltung heraus zu betrachten und zu gestalten. Jack Kornfield zeigt, wie alle Bereiche des Lebens sich anbieten, ja, geradezu uns einladen, die Praxis der Achtsamkeit zu üben, sei es im Beruf, in der Kindererziehung usw. Anhand der Lebensgeschichte des Buddhas zeichnet Jack Kornfield nach, wie wir uns selbst heilen können und zur Ruhe kommen in einer Welt voller Trubel.

Autor

Jack Kornfield ist promovierter Psychologe und Psychotherapeut, war Mönch in Thailand, Burma und Indien und zählt zu den weltweit anerkannten Vermittlern von buddhistischem Gedankengut für den westlichen Alltag. Er gründete die Insight Meditation Society in Massachusetts und das Spirit Rock Center in Kalifornien, wo er heute lebt.

Weitere Informationen unter www.jackkornfield.com

Von Jack Kornfield sind außerdem bei Goldmann und Arkana erschienen

Das weise Herz · Das weise Herz, Audiobook · Meditation für Anfänger, mit CD · Das Leben fordert uns heraus · Nach der Erleuchtung Wäsche waschen und Kartoffeln schälen · Meditationen, die unser Herz öffnen · Meditations-Praxis, 2 CDs · Das innere Licht entdecken, 3 CDs

Jack Kornfield

Stille finden in einer lauten Welt

Mein Weg der Achtsamkeit

Aus dem amerikanischen Englisch von Elisabeth Liebl

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »Bringing Home the Dharma. Awakening Right Where You Are« bei Shambala Publications, Inc., Boston, USA.Dieses Buch wurde ursprünglich unter dem Titel »Erleuchtung finden in einer lauten Welt. Buddhas Botschaft für den Westen« 2013 bei Arkana, Verlagsgruppe Random House GmbH, München, veröffentlicht.

1. Auflage

Vollständige Taschenbuchausgabe Dezember 2017

© 2017 Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

© 2013 der deutschsprachigen Erstausgabe, Arkana, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright der Originalausgabe © 2011 by Jack Kornfield

This translation is published by arrangement with Shambala Publications, Inc., Boston

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv Fine Pic®, München

fm ∙ Herstellung: cb

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-21958-1V002Besuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

Den Tausenden ernsthafter Dharmaschüler im Westen gewidmetsowieden Mitarbeitern von Spirit Rock und der Insight Meditation Society, die so viele dieser Schüler begleitet haben

Inhalt

Vorwort von Daniel J. Siegel

Einführung

TEIL IWerden, wer wir sind

1 Die befreiende Praxis der Achtsamkeit

2 Die Kunst des Erwachens Der Weg der Meditation

3 Ein Geist wie der Himmel so weit Im Gewahrsein ruhen

4 Unser Potenzial verwirklichen Die Entwicklung von Liebe und Mitgefühl

5 Unser Herz – Bannmeile des Friedens Dharma und Politik

6 Kinder lernen, was sie leben Achtsame Elternschaft

7 Die Kunst der Vergebung

TEIL IIDen spirituellen Weg gehen

8 Spirituelle Initiation Das Klostergelübde – Riten der Ganzheitlichkeit und Hingabe

9 Gefahren, Versprechungen und spirituelle Notfälle auf dem Pfad

10 Die nahen Feinde des Erwachens Nicht anhaften heißt nicht, gleichgültig zu sein

11 Der Weg des Bodhisattva Sich der Welt annehmen

12 Samadhi Einen stabilen Geist entwickeln

13 Spirituelle Reife

TEIL IIIDie Lehren moderner Meister

14 Die natürliche Freiheit des Herzens Die Lehren des Ajahn Chah

15 Die Inspiration von Dipa Ma Barua

16 Das Banner des Dharma halten Eine Hommage an Chögyam Trungpa

TEIL IVDer Dharma im Westen

17 Westlicher Buddhismus Den Dharma bewahren und anpassen

18 Ein fantastisches Experiment nimmt Gestalt an Die Gründung der Insight Meditation Society und des Spirit Rock Center

19 Das Sexleben der Gurus

20 Drogen und spirituelle Praxis

21 Auch der vollkommenste Meditierende trägt an alten Wunden

22 Das Loslassen des sicheren Herzens Unsere Wunden heilen

23 Erleuchtungen

TEIL VPraxisübungen

24 Den einen Sitz einnehmen Grundlegende Meditationspraxis

25 Vergebungsmeditation

26 Meditation über liebende Güte (Metta)

Quellenangaben

Vorwort von Daniel J. Siegel

Warum sollte einer der weltweit bekanntesten Lehrer für Achtsamkeitsmeditation und buddhistische Psychologie einen Psychiater bitten, ein Vorwort zu einem Buch zu schreiben, das einfach jedes erdenkliche Thema abdeckt, angefangen bei der Rolle der Eltern bis hin zum Wesen der Erleuchtung? Möglicherweise weil dieses Buch eine fesselnde historische und gleichzeitig zutiefst persönliche Erkundung der Natur des Geistes ist und weil es viele Gedanken enthält, die für unsere Zeit wichtig sind.

Der Dharma ist die Natur der Dinge, auch die Natur unseres geistigen Lebens und der Welt, in der wir leben. In diesem Buch macht Jack Kornfield uns bekannt mit der buddhistischen Sicht des Geistes und der Emotionen und zeigt uns, dass es möglich ist, uns selbst zu verwandeln. Außerdem werden wir mit Jack Kornfields weisen und gütigen Augen sehen, wie er selbst fast ein halbes Jahrhundert lang nach dieser Verwandlung strebte und wie dieses Streben seine Erfahrung prägte. Humorvoll und tiefsinnig schildert er, wie es war, den Buddhismus in den Westen zu bringen, und erzählt dabei faszinierende Geschichten von den Meistern, die diesen historischen Transfer von Wissen und Weisheit in den letzten hundert Jahren ins Werk gesetzt haben.

Ich lernte Jack kennen, als er eine Tagung mit einer Reihe von Achtsamkeitslehrern und Huston Smith, dem bekannten Religionswissenschaftler und profunden Kenner der Weltreligionen, organisierte. Ich bin Wissenschaftler. Damals hatte ich von den Dingen, die Jack auf der Konferenz präsentierte, wenig Ahnung. Auch seine Bücher und Vorträge kannte ich nicht. Und doch verstanden wir uns bei dieser Tagung auf Anhieb und entdeckten viele Gemeinsamkeiten.

Während ich Jack und den anderen Lehrern so zuhörte, spürte ich, wie aufrichtig sie für den Wunsch lebten, unseren Geist im Kern zu verstehen, um Leid in Klarheit zu verwandeln. Dieses Streben entsprach in vielerlei Hinsicht dem Eid, den ich als Arzt geleistet hatte. Erstaunt nahm ich zur Kenntnis, dass es im Buddhismus viel um die Wissenschaft des Geistes und der Heilung ging und weniger um Religion im klassischen Sinne. Ich lernte den Buddhismus als gedankliches System kennen, das zur Linderung und zum Verständnis psychischen Leids beiträgt. »Es ist schon merkwürdig«, dachte ich als Psychiater, »dass etwas, was aus dem Bereich religiöser Praxis kommt, im Grunde mehr Ähnlichkeit mit den Ansätzen hat, wie wir sie bei der Schaffung einer gesunden Persönlichkeitsstruktur verfolgen.« Und so begann die Beziehung zu Jack Kornfield, aus der mittlerweile eine tiefe Freundschaft geworden ist. Doch auch beruflich geht unsere Arbeit in die gleiche Richtung, denn beide lehren wir, wie sich Wissenschaft und Spiritualität verbinden lassen, wie der achtsame Geist mit dem weisen Herzen verknüpft werden kann.

Unsere Zusammenarbeit hat mich gelehrt, dass »Erwachen« bedeutet, sich darin zu üben, Geist, Gehirn und menschliche Beziehungen für das weite Feld der Möglichkeiten zu öffnen. Statt in eingeschliffenen Denk- und Gefühlsmustern stecken zu bleiben, uns von unseren Erwartungen und unserer gefilterten Wahrnehmung konditionieren zu lassen, können wir unseren Geist für mehr Weite und Kreativität öffnen. Dieses »Aufmachen« schenkt uns ein Gefühl von Vitalität und Klarheit, das Grundlage jedes Wohlbefindens ist.

Eine Reihe von sorgfältig durchgeführten wissenschaftlichen Forschungsprojekten konnte zeigen, dass unsere Aufmerksamkeit die neuronalen Aktivitäten im Gehirn lenkt, was wiederum die Architektur des Gehirns beeinflusst. Anders ausgedrückt: Der Geist kann das Gehirn verändern. Doch wenn das Gehirn dazu neigt, sich auf alte Muster zu versteifen, schaltet der Geist auf Autopilot. Dann laufen wir Gefahr, ein abgestumpftes Leben zu führen, in dem das Chaos regiert.

Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Isolation, die viele Menschen in unserer modernen Gesellschaft erfahren, in der sie zwar von Massen von Menschen umgeben, letztlich aber doch allein sind. Die Vorstellung jedoch, dass unser Selbst abgetrennt ist von seiner Umgebung, macht uns anfällig für allerlei Probleme: Auf individueller Ebene leidet unser Körper unter der Erfahrung der Einsamkeit. In Beziehungen fühlen wir uns allein, auch wenn wir mit anderen zusammen sind. Doch auch unsere Beziehung zur Erde leidet. Wenn wir weiter ausschließlich die Anhäufung materieller Güter bei maximalem Energieverbrauch im Sinn haben, als spielten wir ein Spiel, bei dem der gewinnt, der am Ende die meisten Spielsteine hat, setzen wir die Gesundheit des Planeten aufs Spiel. Wenn »Ich« nicht Teil des größeren »Wir« der Menschheit wird, riskieren wir, das Leben auf unserer Erde zu vernichten. Das Selbst sollte nicht als Hauptwort im Singular, sondern vielmehr als Verb im Plural angesehen werden, das alle Teile zu einem großen Ganzen verbindet. Dies ist das Herzstück der Ganzheitlichkeit, das Herzstück des Erwachens.

Die Kraft der geistigen Achtsamkeit kann uns helfen, unseren Lebensweg ganzheitlicher zu gestalten. Methoden der Kontemplation lehren uns, unsere Beziehungen zu anderen Menschen auf Mitgefühl und Güte aufzubauen. Und wenn wir vom »Ich« zum »Wir« denken lernen, keimt für unsere Erde neue Hoffnung auf: Vielleicht können wir unsere kostbare, zerbrechliche Heimat ja doch noch retten. Diese Kraft, dieses Versprechen stecken im Pfad des geistigen Erwachens und der ganzheitlichen Lebensführung.

Wie Ihr persönlicher Hintergrund auch aussehen mag, dieses Buch öffnet Ihnen die Pforten zu einer spannenden Entdeckungsreise zu den funkelnden Weisheitsjuwelen einer Tradition, die sowohl ein säkulares als auch ein spirituelles Verständnis unseres Lebens ermöglicht. Wir sollten Jack Kornfield dankbar sein, dass er uns auf diese spannende Reise mitnimmt und die transformative Kraft von Achtsamkeit und Meditation allen Menschen zugänglich macht.

Einführung

Befreie dein Herz.

Zieh durch die Welt wie der Mond durch die Schar der Sterne.

Buddha

Was im Leben wirklich zählt, ist einfach. Sind Sie frei, sind Sie liebevoll? Lassen Sie Ihre Gaben der Welt zuteilwerden, die diese Gaben bitter nötig hat? Der Weg des Buddha zeigt uns, dass wir ebendies vermögen: Wir können jeden Bereich unseres Daseins mit Freiheit und Mitgefühl leben.

Die meisten Menschen denken fälschlicherweise, dass der Buddha uns nur gelehrt habe, still in Meditation zu sitzen. Dieser Irrtum spiegelt die grundsätzliche Zersplitterung unserer Gesellschaft wider: Der Körper gehört ins Fitnessstudio, die Arbeit ins Büro, geheilt wird im Krankenhaus, Spaß hat man im Urlaub, und die Beziehung zum Heiligen beschränkt sich auf den sonntäglichen Kirchgang. Das Erwachen aber geschieht auf allen Ebenen. Nur darum geht es in diesem Buch.

Alle Bereiche Ihres Lebens bieten Gelegenheit zur Praxis. Sie sind der Ort, an dem Sie Freiheit und Mitgefühl finden werden. Ob Politik oder Elternschaft, ob Meditation oder Schule, ob Sex und Drogen oder Kunst und Dichtung – jeder Aspekt Ihres Lebens ist heilig. Genau dieses Leben, Ihre Arbeit, Ihre Familie, Ihr Umfeld sind der Ort, an dem sich Ihr Erwachen abspielt. Im Zen spricht man davon, dass »kein Teil weggelassen« wird.

Das war die Botschaft des Buddha an alle Menschen, die er traf. 45 Jahre lang wanderte der Buddha über die staubigen Straßen und durch die kühlen Wälder Indiens. Dabei lernte er Bauern kennen, Mütter, Kaufleute und Politiker, Priester und Gelehrte, Flickschuster und Gärtner, Barbiere und Weber, Handwerker und Könige. Und das, was er zu sagen hatte, hätte klarer nicht sein können. Ein erwachtes Leben umfasst sämtliche Aspekte unseres Daseins als Mensch.

Buddha formuliert dies so:

Beim Sitzen, Stehen, Gehen und Liegen;durch rechte Rede, rechtes Handeln, rechte Lebensführung; innen und außen,mit Körper, Gefühlen, Geist und Beziehung;allein oder mit anderen;im Gefängnis, in der Hütte, auf dem Bauernhof, im Palast;in Zeiten des Krieges und des Friedens;in kranken und gesunden Tagen.

Diese Worte machen uns Mut und adeln unseren Alltag. Sie zeigen uns, dass unser ganz normales Leben die vollkommenen Voraussetzungen bietet, zu Freiheit und Mitgefühl zu erwachen. Erleuchtung und Befreiung sind nichts, was nur im Himalaja oder in irgendwelchen alten Klöstern erlangt werden könnte. Beide sind dort, wo Sie im Moment gerade sind. Daher ist dieser Schritt auch Ihnen möglich! Es gibt einen Weg, weise und voller Güte durch die Welt zu gehen, sich selbst und anderen Segen und Glück zu schenken, ob es nun gut läuft oder schlecht.

Auf dem Weg zu dieser Freiheit müssen Sie lernen, den Geist ruhig werden zu lassen und das Herz zu öffnen. Ebendies ist Sinn und Zweck der Meditation, zu deren verschiedenen Formen Sie in diesem Buch praktische Anleitungen finden. Sobald Sie damit vertraut sind, ist der nächste Schritt der, Mitgefühl und Weisheit aus der Meditation in die Welt zu tragen. Und so habe ich auch ein paar Ideen einfließen lassen, die Sie inspirieren sollen, Ihrem Leben eine spirituelle Dimension zu geben: als Mutter bzw. Vater, als politisch engagierter Mensch, als aktives Mitglied Ihrer Gemeinde. Die einzelnen Kapitel stellen die Summe meiner 25-jährigen Tätigkeit als Autor dar. Sie sollen Ihnen helfen, den Horizont Ihrer Weisheit zu erweitern. Sie erhalten neben der Einweihung in diese Praxis allgemeine und spezielle Anweisungen, wie Sie Herz und Körper, Geist und Handeln gleichzeitig auf den Pfad des Erwachens führen.

Der Inhalt dieses Buches liegt mir sehr am Herzen, denn ich habe diese Dinge 40 Jahre lang praktiziert. Ich habe dabei an Toleranz, an Güte und Verständnis, an Freude und Freiheit gewonnen. Und nicht nur auf dem Sitzkissen, sondern auch beim Bäcker, auf der Autobahn, im Büro und zu Hause. Sie können das auch. Das ist keine Einbildung. Ich bin heute noch manchmal ungeschickt, gedankenlos und dumm. Aber ich habe gelernt, mich voller Mitgefühl vor dem zu verneigen, was Oscar Wilde die »befleckte Glorie« unseres Menschseins nannte. Und darüber zu lächeln wie der Buddha.

Als die wunderbare Lehre von der Befreiung in immer fernere Regionen gelangte, passten die Schüler des Buddha, dem Rat des Meisters folgend, sie an Zeit und Umstände an. In China und Japan entstanden so das Ch’an beziehungsweise das Zen. In Indonesien und Afghanistan, Tibet und der Mongolei erblühte der Mahayana- beziehungsweise Vajrayana-Buddhismus. Nun kristallisiert sich allmählich der Buddhismus des Westens heraus. Es ist eine große Ehre, an dieser Schöpfung beteiligt zu sein.

Lesen Sie dieses Buch. Denken Sie über das Gelesene nach. Üben Sie sich darin und setzen Sie es um, sodass Sie die Lehre verkörpern. Auf diese Weise wird Ihr Herz weise und Ihr Leben ein Lied auf die Freiheit.

So möge es sein.

Jack Kornfield

Spirit Rock Center

2011

TEIL IWerden, wer wir sind

1 Die befreiende Praxis der Achtsamkeit

Mythen aller Zeiten und Kulturen berichten von der Suche des Menschen nach einem Elixier, das ihn immun gegen das Leiden macht. Aus buddhistischer Sicht ist dieses Elixier ein achtsamer Geist. Doch wie wirkt Achtsamkeit? Lassen Sie mich das anhand der Begebenheiten erläutern, die als Vorlage für den Film Gorillas im Nebel aus dem Jahr 1988 dienten. Die Hauptakteurin dieses Films ist die mutige Verhaltensforscherin Dian Fossey, der es gelungen war, sich mit einer Gruppe Berggorillas anzufreunden. Fossey war nach Afrika gegangen, um den Spuren ihres Mentors George Schaller, eines renommierten Primatenforschers, zu folgen. Das Beobachtungsmaterial, das George Schaller aus der Wildnis zurückbrachte, bot einen bislang nicht gekannten tiefen wissenschaftlichen Einblick in das Leben der Gorillas. Als seine Kollegen wissen wollten, welche Methode er benutzt hatte, um derart bemerkenswerte Einzelheiten über Gruppenstruktur, familiäre Beziehungen und Verhaltensweisen der Gorillas herauszufinden, schrieb Schaller seine Erfolge einem einzigen Umstand zu: Er hatte kein Gewehr getragen.

Hatten sich frühere Biologengenerationen auf das Territorium dieser mächtigen Tiere begeben, dann stets in der Annahme, dass Gorillas gefährlich seien. Und so machten sich diese Wissenschaftler mit einer feindseligen Grundhaltung – und mit langen Gewehren bewaffnet – an ihre Feldforschungen. Die Gorillas spürten die Gefahr, die von diesen Männern ausging, und hielten sich in sicherer Entfernung. Im Gegensatz zu ihnen betrat Schaller – und später seine Schülerin Dian Fossey – das Revier dieser Tiere unbewaffnet. Jede ihrer Bewegungen war langsam, achtsam und von Respekt für diese Geschöpfe erfüllt. Die Berggorillas spürten diesen Unterschied und erlaubten den Forschern nach einiger Zeit, sich ihnen zuzugesellen und ihr Leben zu studieren. Stunde um Stunde saß Fossey reglos und geduldig da, bis sie verstanden hatte, was sie sah. Ganz so, wie ein kluger Mann, der Afroamerikaner George Washington Carver, einmal gesagt hat: »Alles wird dir sein Geheimnis preisgeben, wenn du es nur genügend liebst.«

Achtsamkeit ist ebendiese Art von Aufmerksamkeit. Sie ist ein offenes Gewahrsein, das sich jeglicher Wertung enthält und daher voller Respekt ist. Leider fehlt es uns häufig an dieser Aufmerksamkeit. Stattdessen reagieren wir nur. Wir beurteilen die Dinge danach, ob wir sie mögen oder nicht oder ob wir sie ignorieren können. Oder wir messen unsere Erfahrung an unseren Erwartungen. Wir bewerten uns selbst und unsere Mitmenschen ständig in Form einer Flut von kritischen Kommentaren. Teilnehmer, die zu uns kommen, um ihr erstes Seminar über Achtsamkeitsmeditation zu machen, erleben meist eine böse Überraschung. Statt wie erhofft innere Ruhe und Frieden zu finden, kommt in der ersten Sitzung ein bislang nicht wahrgenommener Strom gedanklicher Wertungen ans Tageslicht. Viele empfinden ihre erste Stunde Achtsamkeitsmeditation einfach nur als langweilig und mögen das Gefühl der Langeweile nicht. Wir hören, dass irgendwo eine Tür zugeschlagen wird, und wünschen uns, dass es ruhig ist. Die Knie tun uns weh, und wir würden den Schmerz gern loswerden. Wir hätten gern ein besseres Kissen. Wir spüren unseren Atem nicht und sind frustriert. Wir merken, dass unser Geist einfach nicht aufhören will, neue Pläne zu schmieden, und fühlen uns als Versager. Dann plötzlich fällt uns jemand ein, über den wir uns geärgert haben, und wir werden zornig. Und wenn wir merken, wie groß das Ausmaß unserer gedanklichen Wertungen ist, sind wir unglaublich stolz auf uns, weil wir es gemerkt haben.

Doch wie George Schaller können wir dieses ganze Waffenarsenal gedanklicher Wertungen ablegen. Wir können stattdessen achtsam werden und uns vor unserer Erfahrung verneigen, ohne etwas zu erwarten oder sie zu werten. »Achtsamkeit«, so sagte der Buddha, »ist das Allheilmittel.«

Peter, ein Computergrafiker mittleren Alters, war zu einem Meditationskurs gekommen, weil er Hilfe bei der Bewältigung seiner Probleme suchte. Seine Agentur war vor kurzem pleitegegangen, in seiner Ehe kriselte es, und seine Mutter war krank. Doch die Meditation wurde für ihn schnell zum Höllentrip. Die Wut und die Frustration, die seine augenblickliche Situation bestimmten, brachen sich in der Stille Bahn und belegten seinen Geist mit Beschlag. Er versuchte, in seinen Atem hineinzuspüren und ein wenig ruhiger zu werden, doch das war ein hoffnungsloses Unterfangen. Seine Achtsamkeit auf den Körper verflüchtigte sich mit derselben Geschwindigkeit wie ein Tropfen Wasser in einer heißen Bratpfanne. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Eine zappelige Frau neben ihm fing an, laut und häufig zu husten. Je weiter dieser erste Meditationstag voranschritt, desto mehr zappelte, hampelte und hustete sie. Peter, der sich mit aller Kraft bemühte, sich auf seine Probleme zu konzentrieren, war deswegen ebenso frustriert wie zornig. Als diese Frau nicht mehr aufhören wollte zu husten, war er auf dem Siedepunkt. Er wandte sich an meine Co-Trainerin und gute Freundin Debra Chamberlin-Taylor. Im Gespräch mit ihr meinte er, Meditation bringe doch offensichtlich gar nichts, er wolle lieber wieder abreisen. Debra bat Peter, die Augen zu schließen und achtsam seinen augenblicklichen körperlichen Zustand zu registrieren. Peter erlebte Schmerz und Spannung. Mit Debras Hilfe lernte er, dass Schmerz und Spannung erträglicher wurden, wenn er ihnen mit mehr Akzeptanz und Sanftheit begegnete. Er atmete, entspannte sich ein bisschen und erkannte, dass Achtsamkeit das einzige Heilmittel war, das er brauchte – Achtsamkeit, um seinen Schmerz direkt zu verstehen.

Die nächste Meditationsanweisung für Peter war einfach: Während du sitzt, bleibe mit deiner Achtsamkeit sanft bei deinem Körper und registriere alles, was geschieht. Er saß erst ein paar Minuten da, als seine zappelige Nachbarin wieder ein ausgedehntes Hustenkonzert begann. Jedes Mal, wenn sie hustete, spürte Peter, wie seine Muskeln sich verkrampften und sein Atem aussetzte. Nun war seine Neugier geweckt, er wollte den Reaktionsmustern seines Körpers nachspüren. Er begann darauf zu achten, wie sich jedes Mal, wenn er sie husten hörte, in ihm alles zusammenzog und eine Woge von Zorn ihn überflutete, die wieder abebbte, sobald er sich zwischen den Hustenanfällen in Entspannung üben konnte. Nach Ende der Meditationssitzung stand er auf, um in den Speisesaal zu gehen. Als er dort ankam, sah er, dass die Teilnehmerin, mit der er solche Probleme hatte, ausgerechnet vor ihm in der Schlange stand. Sofort spürte er, wie sich sein Magen zusammenzog und seine Atmung aussetzte – nur aufgrund ihres Anblicks! Und wieder entspannte er sich. Nach dem Essen kehrte er zum Meditationsraum zurück und schaute auf der Liste nach, um welche Zeit seine Einzelbesprechung mit seiner Meditationsunterweiserin angesetzt war. Weiter unten auf der Liste stand auch der Name der zappeligen Frau. Sich immer noch in Achtsamkeit übend stellte er zu seiner Überraschung fest, dass es schon genügte, den Namen dieser Frau zu lesen – und sein Körper zeigte die übliche Reaktion: Der Magen verkrampfte sich, seine Atmung blockierte! Wieder entspannte sich Peter. Er merkte, dass sein Körper sich in einen Spiegel verwandelt hatte und seine Achtsamkeit ihm zeigte, wo er anhaftete und wo er loslassen konnte.

Je weiter der Meditationskurs voranschritt, desto präziser arbeitete seine Achtsamkeit. Er fand heraus, dass seine ängstlichen oder zornigen Gedanken über seine geschäftlichen und häuslichen Probleme bei ihm dieselben krampfartigen Reaktionen auslösten wie die Hustenanfälle der Frau. Peter hatte immer versucht, alles unter Kontrolle zu haben. Nun, da sich zeigte, dass er sein Leben nicht im Griff hatte, legten sich Wut, Selbstvorwürfe und seine negativen Gedanken über sich selbst wie feste Schlingen um ihn, die ihn fesselten. Bei jeder Reaktion konnte er die Schlingen gleichsam spüren. Dann hielt er achtsam inne und versuchte, sie ein wenig zu lockern. Er begann, Vertrauen in die Praxis der Achtsamkeit zu entwickeln. Als der Kurs zu Ende ging, war er seiner unruhigen Nachbarin regelrecht dankbar. Am liebsten hätte er sich bei ihr für diese Belehrung bedankt. Durch die Praxis der Achtsamkeit fand Peter Linderung für seine Leiden. Und er entdeckte auch den wohltuenden Nutzen von Neugier und Offenheit, Eigenschaften, für die ein Zenmeister den mittlerweile berühmt gewordenen Begriff »Anfängergeist« geprägt hat. Mit den Worten von Suzuki Roshi sind wir »mit Respekt und Anteilnahme aufmerksam, nicht um die Umwelt zu manipulieren, sondern um herauszufinden, was wahr ist. Wenn wir erkennen, was wahr ist, so wird unser Herz frei«.

Achtsamkeit als furchtlose Präsenz

Die Kunst des Lebens besteht weder darin, sich sorglos treiben zu lassen, noch darin, ängstlich an allem anzuhaften. Lebenskunst heißt, jedem Augenblick gegenüber sensibel zu sein, ihn als neu und einzigartig zu betrachten, während der Geist offen und empfänglich bleibt.

Alan Watts

Uns achtsam unseren Sorgen und Ängsten zuzuwenden – oder denen anderer Menschen – verlangt Mut und ist daher alles andere als leicht. Mary zum Beispiel fürchtete sich davor, sich ihre angestaute Wut anzusehen, weil sie meinte, das würde sie umbringen. Johns Sohn hatte Mukoviszidose, und so standen seinem Vater ständig beängstigende Bilder von einem Leben im Rollstuhl, ja vom frühen Tod seines Sohnes vor Augen. Perry hatte Angst davor, sich mit seiner ewigen Untreue und seinen sexuellen Vorlieben auseinanderzusetzen. Ron konnte den Gedanken an die Gräuel nicht ertragen, die er im Bosnienkrieg erlebt hatte. Angela war sicher, dass sie nun, nachdem ihre Krebserkrankung wieder aufgeflammt war, zum Tode verurteilt war. Konda hingegen fand eine Freude und Kreativität in sich, die sie nie auszudrücken gewagt hatte.

Geduldig und mutig lernten all diese Menschen, fest verankert auf der Erde zu sitzen und sich dem Zittern und der Anspannung in ihrem Körper zu stellen, ohne davor wegzulaufen. Sie lernten die Sturmflut der Gefühle – Angst, Trauer, Sehnsucht, Zorn – über sich hinwegfluten zu lassen und sie dann langsam und achtsam loszulassen. Sie lernten, die endlosen Geschichten des Geistes, die ständig nur um Angst und Werturteile kreisten, mithilfe ihrer Achtsamkeit an sich vorüberziehen zu lassen, den Geist auf diese Weise zu stabilisieren und ihn in die Gegenwart zurückzuführen.

Als der Buddha den Weg in die Freiheit suchte, lernte auch er, mit Achtsamkeit seine Ängste zu überwinden. Und so spricht er in einer seiner Belehrungen auch über die Überwindung der Furcht. Dort heißt es unter anderem:

Müsste ich nicht, um Angst und Furcht zu verstehen, bei Neumond, wenn kein Licht mehr scheint, die grauenerregendsten Orte aufsuchen, auf Gräbern und im dichten Wald meditieren? Und wenn dann ein wildes Tier käme oder der Wind die Blätter bewegte, würde ich dann nicht denken: »Sicher kommen jetzt Angst und Furcht!«? Da ich aber entschlossen wäre, den Würgegriff der Angst und der Furcht zu durchbrechen, würde ich bleiben, wie ich bin, sitzend oder stehend, liegend oder gehend. Ich bliebe in dieser Stellung, bis ich Angst und Furcht überwunden hätte, bis ich frei von ihrem Zugriff wäre … Und so wie ich gedacht habe, habe ich gehandelt. Ich stellte mich der Furcht und der Angst und erlangte so die vollkommene Freiheit.

In der traditionellen Ausbildung, die man in Ajahn Chahs Waldkloster durchlief, verbrachten wir die Nacht draußen im Wald und meditierten über den Tod. Geschichten von Mönchen, die Begegnungen mit Tigern oder anderen wilden Tieren hatten, hielten uns wach. Auch gab es dort nicht wenige Schlangen, vor allem Kobras. In Ajahn Buddhadasas Waldkloster lehrte man uns, mit dem Gehstock auf den Boden zu klopfen, damit die Schlangen gewarnt waren und das Weite suchen konnten. In einem anderen Kloster übte ich regelmäßig Sitzmeditation auf dem Friedhof. Alle paar Wochen wurde ein Leichnam verbrannt. Nach dem Anstecken des Scheiterhaufens und der Gesänge verschwanden die meisten Menschen. Zurück blieben nur die Mönche, die den Scheiterhaufen im Wald bewachten. Am Ende saß nur noch ein Mönch da. Er blieb bis zum Morgengrauen und meditierte über den Tod. Natürlich praktizierte nicht jeder diese Übung, doch war ich ein junger Mann und wollte mich beweisen, daher suchte ich die Herausforderung.

Aber bald stellte sich heraus, dass es weit einfacher war, im dunklen Wald in der Nähe von Tigern und Schlangen zu sitzen, als meine inneren Dämonen zu akzeptieren. Meine Unsicherheit, Einsamkeit, Schuldgefühle und Langeweile erhoben das Haupt, sobald ich mich auf mein Sitzkissen niederließ. Von meinen alten emotionalen Wunden gar nicht zu reden. Mit ihnen meine Zeit in der Sitzmeditation zu teilen erforderte mehr Mut, als auf dem Friedhof zu meditieren. Allmählich lernte ich, ihnen mit Achtsamkeit zu begegnen. Ich schlug also eine Lichtung in die finsteren Wälder meines Herzens.

Achtsamkeit und Erfahrung schließen sich gegenseitig nicht aus. Vielmehr erhebt die Achtsamkeit die Erfahrung zum Lehrer. Einer meiner Schüler, der unter schwerem Asthma litt, lernte, seinen Atem mit wachem Gewahrsein zu verfolgen. Er machte sich die Anspannung seines Körpers bewusst und übte Geduld, bis sich die Muskeln in Kehle und Brustkorb wieder entspannt hatten. Auf diese Weise gelang es ihm, die Intensität der Anfälle abzuschwächen. Ein anderer Freund, der sich wegen einer Krebserkrankung in Behandlung begab, benutzte die Achtsamkeit dazu, seine Angst vor Schmerzen zu überwinden. Während der Chemotherapie stellte er sich vor, dass liebende Güte seinen Körper durchdrang. Einem Politiker verhalf die Achtsamkeit zu einer gelasseneren Haltung im Umgang mit seinen Gegnern. Eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern im Vorschulalter, die sich von dieser Aufgabe überfordert fühlte, lernte, ihre innere Spannung besser einzuschätzen. So erkannte sie, wann der Punkt eintrat, an dem sie sich überfordert fühlte. Schon konnte sie mit ihren Jungs besser umgehen und hatte mehr Raum in ihrem Alltag. Jeder dieser Praktizierenden lernte, dem Raum der Achtsamkeit zu vertrauen. Sie gewöhnten sich daran, sie als Mittel zur Bewältigung ihrer Probleme zu nutzen. Und wie der Buddha im Wald fanden sie in der Achtsamkeit Heilung und Befreiung.

Vier Grundlagen des achtsamen Wandels

Nur ein unschuldiger, verletzlicher Geist ist fähig zu lernen.

Krishnamurti

Im Westen werden die vier Grundlagen des achtsamen Wandels Erkennen, Akzeptieren, Erforschen und Nicht-Identifizieren genannt. Der Zendichter sagt uns, dass der Regen gleichermaßen auf alle Dinge fällt. Der Regen der Achtsamkeit aber nährt uns Menschen, wie das kostbare Himmelsnass die Pflanzen zum Wachsen bringt. Auf diese Weise können wir unsere Probleme umwandeln.

Erkennen

Erkennen ist der erste Schritt der Achtsamkeitspraxis. Wenn wir in unserem Leben nicht weiterkommen, müssen wir die Bereitschaft aufbringen, uns mit dem auseinanderzusetzen, was ist. So als würde uns jemand freundlich fragen: »Hey, was ist denn jetzt eigentlich los?« Antworten wir darauf nur abweisend: »Gar nichts!«? Oder halten wir kurz inne, um die Beschaffenheit unserer Erfahrung zu prüfen, hier und jetzt?

Das Erkennen öffnet uns einen Ausweg aus dem Kopf-in-den-Sand-Stecken, das unsere Freiheit untergräbt. Der Diabetiker, der die Krankheit seines Körpers nicht wahrhaben will, ist nicht frei. Die stressgeplagte Managerin, die sich Illusionen darüber macht, was ihr Lebensstil von ihr fordert, ist nicht frei. Doch auch der überkritische Junge, der Maler werden möchte, sich dies aber nicht zutraut, kann nicht von Freiheit reden. Auch eine Gesellschaft, die leugnet, dass einige ihrer Mitglieder unter Armut und Ungerechtigkeit leiden, hat einen Teil ihrer Freiheit verloren. Wenn wir unsere Unzufriedenheit, unsere Wut, unseren Schmerz, unseren Ehrgeiz leugnen, ist Leid unvermeidlich. Wenn wir unsere Werte, Überzeugungen, Sehnsüchte und unsere tiefinnere Güte leugnen, werden wir unweigerlich Leid erfahren.

Wann immer wir aber erkennen, was ist, stellt sich eine kraftvolle Offenheit ein. »Ob Einsicht, Liebe und Verständnis aufkeimen, hängt nicht von irgendwelchen Traditionen ab«, merkt die Zenlehrerin Toni Packer an. »Es geschieht vielmehr ganz von selbst, wenn ein menschliches Wesen beginnt, Fragen zu stellen, sich zu wundern, zuzuhören und hinzusehen, ohne sich in Ängste zu verrennen. Wenn die Sorge um unser eigenes Wohl nachlässt, wenn wir in diesem Schwebezustand verharren, öffnen sich Himmel und Erde.«

Das Erkennen lädt die Achtsamkeit sozusagen als Ehrengast an unsere Tafel. Wir benennen unsere Erfahrung und erweisen ihr damit innerlich unsere Referenz: »Ah, Kummer. Und jetzt Erregung. Hmm, ja, Konflikte und allerhand Spannungen. Ach, da kommt der Schmerz, und jetzt, ja, jetzt kommt der innere Kritiker.« Dies zu erkennen eröffnet uns den Weg aus Unwissenheit und Verblendung ins Licht der Freiheit. »Wir können im Dunkeln eine Lampe entzünden«, sagte der Buddha. Wir können sehen, was ist.

Akzeptieren

Akzeptieren ist der nächste Schritt zur Wandlung. Akzeptanz erlaubt uns, uns gleichsam in die Faktenlage hinein zu entspannen. Das ist wichtig, denn mit dem Erkennen kommt leicht eine subtile Form der Abneigung auf, ein bestimmter Widerwille, der Wunsch, es wäre alles anders. Akzeptieren heißt nicht, dass wir nichts tun müssen, um unsere Lage zu verbessern. Doch für den Moment liegen die Dinge nun einmal so und nicht anders. Im Zen heißt es dazu: »Wenn du begreifst, sind die Dinge so, wie sie sind. Begreifst du es nicht, sind die Dinge immer noch so, wie sie sind.«

Akzeptanz heißt nicht Passivität. Vielmehr tun wir einen weiteren mutigen Schritt im Prozess der Wandlung. »Leben ist Schwierigkeit«, heißt es in dem Film Alexis Sorbas. »Nur der Tod ist es nicht. Leben heißt, den Gürtel festschnallen und ausschauen nach Schwierigkeit.« Wenn wir etwas akzeptieren, ist dies eine bewusste Bewegung des Herzens, das sich zur Gänze dem zuwendet, was es vorfindet: »Auch du gehörst dazu.« Als Menschen müssen wir mit der Wirklichkeit unseres Leidens beginnen. Als Gesellschaft müssen wir uns mit dem kollektiven Leid von Ungerechtigkeit, Rassismus, Gier und Hass beschäftigen. Wir können die Welt nur verändern, wenn wir uns selbst verändern. C. G. Jung stellte einmal die Frage, ob der Feind, der geliebt werden müsse, nicht wir selbst seien.

Wenn wir uns Problemen in einer Haltung der Achtung und des Respekts nähern, können wir auf einmal mit ihnen umgehen. In meinem Bekanntenkreis hatte ich einmal einen Mann, der seinen Hund sehr liebte. Und so begann er irgendwann, ihm täglich Lebertran zu geben, weil das für Hunde gut sein sollte. Jeden Tag klemmte er den Kopf des sich wehrenden Tieres zwischen die Knie, zwang ihm die Kiefer auf und schüttete ihm das Zeug in den Rachen. Eines Tages machte sich der Hund gewaltsam los, und der Lebertran ergoss sich auf den Boden. Zur großen Überraschung meines Bekannten kam der Hund und leckte den Lebertran auf. Erst in diesem Augenblick wurde dem Mann klar, dass der Hund sich nicht gegen den Lebertran gewehrt hatte, sondern gegen den Mangel an Respekt bei der Verabreichung. Ein wenig Achtung aber bewirkt oft ganz erstaunliche Veränderungen.

Erforschen

Erforschen ist der dritte Schritt auf die Achtsamkeit zu, der sich darüber hinaus ganz natürlich aus den ersten beiden ergibt. Der Zenmeister Thich Nhat Hanh nennt dies »tief blicken«. Zuerst erkennen wir das Problem und akzeptieren es in seiner Beschaffenheit. Dann aber müssen wir es eingehend untersuchen. Wenn wir auf der Stelle treten, liegt das gewöhnlich daran, dass wir das Wesen unserer Erfahrung nicht gründlich genug erforscht haben.

In der buddhistischen Praxis konzentrieren wir uns dabei auf die vier Bereiche, die bei der Erlangung von Einsicht und Befreiung am wichtigsten sind. Sie werden auch die vier Grundlagen der Achtsamkeit genannt: Körper, Gefühle, Geist und Dharma – die grundlegenden Bereiche unserer Erfahrung.

Im Folgenden werde ich Ihnen erläutern, wie wir mit diesen Bereichen arbeiten können, wenn wir in einer schwierigen Situation stecken. Wir fangen mit der Erforschung des Körpers an: Wo ist das Problem angesiedelt? Manchmal verspüren wir Hitze, dann wieder eine bestimmte Anspannung, Härte oder ein Zittern. Oder wir bemerken eine Art Pochen, ein Gefühl der Taubheit. Mitunter machen sich auch Farben oder Formen bemerkbar. Würden wir diese Empfindung in unserem Körper am liebsten übergehen, oder können wir ihr mit Achtsamkeit begegnen? Was passiert, wenn wir diese Empfindungen achtsam einfach sein lassen? Öffnen sie sich? Gibt es andere Ebenen? Gibt es einen zentralen Punkt? Werden sie stärker? Wandern sie? Dehnen sie sich aus, wiederholen sie sich, verändern sie sich, lösen sie sich auf?

Die zweite Grundlage der Achtsamkeit ist es, sich bewusst zu machen, welche Gefühle mit dem Problem verbunden sind. Ist das Gefühl angenehm, unangenehm oder neutral? Können wir diesem Gefühl mit Achtsamkeit begegnen? Gibt es andere Gefühle, die daraus entstehen? Häufig entdecken wir einen ganzen Komplex von emotionalen Reaktionen.

So verspürt ein Mann, wenn er an seine Scheidung denkt, möglicherweise Trauer, Zorn, Eifersucht, Angst und Einsamkeit. Eine Frau, die ihrem drogensüchtigen Neffen nicht helfen konnte, muss vielleicht mit Gefühlen der Wehmut, Aggression, Schuld, Zuneigung, Leere und Minderwertigkeit fertigwerden. Wir begegnen jedem dieser Gefühle mit Achtsamkeit, sodass wir es benennen und akzeptieren können. Wir erforschen, ob sich etwas angenehm oder unangenehm, eng oder entspannt, nervös oder traurig anfühlt. Wir nehmen zur Kenntnis, wo im Körper sich unser Gefühl bemerkbar macht und was geschieht, wenn wir achtsam bei ihm bleiben.

Dann richten wir den Blick auf unseren Geist. Wir fragen uns, welche Gedanken und Bilder mit diesem Problem verbunden sind. Wir machen uns bewusst, welche Geschichten wir uns diesbezüglich ausdenken, welche Wertungen wir darauf anwenden. Wenn wir genauer hinsehen, bemerken wir häufig, dass wir mitunter recht starre Standpunkte vertreten, unsere gewohnten Denkmuster eben, die vielleicht schon längst ihre Berechtigung verloren haben. Wenn wir erkennen, dass es sich bei alldem nur um Geschichten handelt, lockert sich der Würgegriff um unseren Geist, und wir hängen nicht mehr länger an ihnen.

Die vierte Grundlage der Achtsamkeit ist der Dharma. Dies ist ein sehr wichtiger Begriff, der viele Bedeutungen hat. So versteht man unter Dharma manchmal die Lehren und den Pfad des Buddhismus. Doch manchmal meint man damit auch nur »Wahrheit« und somit »unsere Wahrnehmungs- und Erfahrungsmuster«. Wenn wir uns also mit Achtsamkeit dem Dharma nähern, heißt das, dass wir uns die Prinzipien und Gesetze ansehen, nach denen unsere Wirklichkeit strukturiert ist. Ist die Erfahrung tatsächlich so, wie sie uns erscheint? Ist sie wirklich fest und unwandelbar? Oder ist sie nicht vielmehr in steter Veränderung begriffen, beweglich, sich ständig neu organisierend? Verengt oder erweitert das Wahrgenommene den Raum in unserem Bewusstsein? Haben wir es unter Kontrolle, oder entfaltet es vielmehr ein Eigenleben? Wir merken, ob wir uns das Problem selbst geschaffen haben. Wir erforschen, ob wir daran anhaften, damit kämpfen oder ihm am liebsten keine Aufmerksamkeit schenken würden. Wir erkunden, ob unsere Beziehung zu unserem Problem uns Glück oder Leid verursacht. Und schließlich machen wir uns klar, in welchem Maße wir uns damit identifizieren. Damit aber kommen wir zum letzten Punkt in den Grundlagen der Achtsamkeit, der Nicht-Identifikation.

Nicht-Identifizieren

Nicht-Identifizieren heißt, dass wir aufhören, eine Erfahrung mit »Ich« oder »Mein« zu etikettieren. Wir erkennen, dass diese Identifikation Abhängigkeiten schafft, Ängste und ein Gefühl der mangelnden Authentizität. Wenn wir uns in Nicht-Identifikation üben, nehmen wir uns jeden Geisteszustand, jede Erfahrung, jede Geschichte vor und fragen uns: »Bin das wirklich ich?« Sehr schnell bemerken wir, dass das, was wir für unsere Identität gehalten haben, nur einen augenblickshaften Charakter hat. Dann können wir wirklich loslassen und im Gewahrsein ruhen. Dies ist das Ziel der Übung in den vier Grundlagen der Achtsamkeit.

David, ein praktizierender Buddhist, den ich seit Jahren kenne, sah sich selbst stets als Versager. Er hatte viele Enttäuschungen hinter sich. Nach einigen Jahren buddhistischer Meditation war David auch von seiner Meditation enttäuscht. Er war zwar ein wenig ruhiger geworden, aber das war’s auch schon. Sein Geist war immer noch übervoll mit Werturteilen und Selbstvorwürfen, dem Erbe seiner durchaus schmerzhaften Vergangenheit. David identifizierte sich vollkommen mit seinen Gedanken und seinen schwierigen Erfahrungen, daher brachte ihm auch die Praxis des Mitgefühls für sich selbst kaum Linderung. Eines Tages aber hörte er während eines zehntägigen Retreats zum Thema Achtsamkeit von der Nicht-Identifikation. Die Geschichten über all die Menschen, die sich ihren Dämonen stellten und dadurch Befreiung fanden, inspirierten ihn sehr. Ihm fiel die Erzählung über den Buddha ein, der sich, bevor er in derselben Nacht Erleuchtung fand, erst den Armeen Maras stellen musste. Mara steht in der buddhistischen Mythologie für alle Hindernisse, die dem Praktizierenden auf dem Pfad begegnen können. David beschloss also, eine ganze Nacht lang wach zu bleiben und den Kampf mit den eigenen Dämonen aufzunehmen. Stundenlang versuchte er, achtsam beim Atem und beim Körper zu bleiben.

Zwischen den einzelnen Abschnitten der Sitzmeditation praktizierte er Gehmeditation. Bei jeder Sitzung kämpfte er gegen die vertrauten Wellen der Müdigkeit, des Schmerzes in Rücken und Beinen und gegen die Flut seiner kritischen Gedanken. Irgendwann merkte er, dass die sich wandelnden Erfahrungen ein gemeinsames Element hatten: das Gewahrsein.

Mitten in der Nacht kam es zu einem Aha-Erlebnis. Er merkte, dass das Gewahrsein von diesen Erfahrungen nicht beeinflusst wurde, dass es offen und unberührt blieb wie der Raum selbst. All seine Kämpfe, die schmerzlichen Gefühle und Gedanken kamen und gingen, ohne eine Spur im Gewahrsein zu hinterlassen.

Das Gewahrsein wurde seine Zuflucht. David beschloss, seine Einsicht zu testen. Der Meditationsraum war leer, also rollte er sich auf dem Boden zusammen. Das Gewahrsein nahm es zur Kenntnis. Er stand auf, schrie, lachte und stieß Laute von allen möglichen Tieren aus, die ihm gerade in den Sinn kamen. Das Gewahrsein nahm es erneut zur Kenntnis. Er lief im Raum herum, legte sich hin, ging hinaus in den Wald, nahm einen Stein und schleuderte ihn in die Weite. Er hüpfte auf und ab, lachte wieder, kam zurück und setzte sich nochmals auf sein Sitzkissen. Das Gewahrsein nahm all das zur Kenntnis. Als er dies entdeckt hatte, fühlte er sich frei. Er sah zu, wie die Sonne über den Hügeln aufging. Dann legte er sich zum Schlafen nieder. Als er wieder erwachte, war sein Tag voller Freude. Sogar als seine Zweifel wiederkehrten, nahm das Gewahrsein sie einfach nur zur Kenntnis. Wie der Regen auf die tausend Dinge gleichermaßen fällt, so öffnete sich sein Gewahrsein unterschiedslos für alles.

Es wäre zu schön, wäre die Geschichte hier schon zu Ende. Doch im Laufe des Retreats kamen David weitere Zweifel. Erneut verfiel er in Selbstvorwürfe und Depressionen. Doch immerhin sah er nun, dass er Zweifel hatte – mehr nicht. Selbstvorwürfe – mehr nicht. Depressionen – mehr nicht. Er hielt all das nicht mehr für seine einzige, seine wahre Identität. Das Gewahrsein nahm auch dies zur Kenntnis. Es blieb unberührt und frei.

Im Buddhismus betrachtet man die Nicht-Identifikation als Hort des Erwachens, als Ende der Anhaftung, als wahren Frieden, als Nirwana. Ohne Identifikation können wir sorgsam leben. Wir lassen uns von den Ängsten und Illusionen unseres kleinen Selbst nicht mehr länger fesseln. Wir erkennen die verborgene Schönheit in unserer Erfahrung. Achtsamkeit und furchtlose Präsenz sind uns Schutz. Wenn wir der Welt im Bemühen um Erkennen, Akzeptanz, Erforschung und Nicht-Identifikation entgegentreten, entdecken wir, dass Freiheit möglich ist, wo immer wir auch sind. Wie der Regen auf alle Dinge gleichermaßen fällt, um sie zu nähren.

2 Die Kunst des Erwachens Der Weg der Meditation

Es gibt eine schöne Geschichte über den Buddha, wie er nach seiner Erleuchtung durch Indien zog. Dabei traf er auf ein paar Männer, die schnell merkten, dass von diesem wohlgestalten jungen Prinzen im Mönchsgewand etwas Außergewöhnliches ausging. Und so blieben sie stehen und fragten ihn: »Bist du ein Gott?« »Nein«, antwortete er. »Bist du etwa ein Engel?« Und wieder sagte er: »Nein.« »Oder ein Zauberer, ein Beherrscher der magischen Künste?« Doch der Buddha verneinte auch dies. »Bist du ein Mensch?« Als er einmal mehr mit Nein antwortete, waren die Männer verwirrt. »Aber was bist du denn dann?« Und er: »Ich bin erwacht.« Das Sanskritwort Buddha bedeutet nämlich »der Erwachte«. Und alles, was er je lehrte, dreht sich darum, wie man zum Erwachen gelangt.

Meditation ist also die Kunst des Erwachens. Meistern wir diese Kunst, eröffnen sich uns neue Möglichkeiten, mit unseren Schwierigkeiten umzugehen und Freude und Weisheit in unser Leben zu bringen. Durch die verschiedenen meditativen Techniken erwachen wir zu unseren höchsten spirituellen und menschlichen Fähigkeiten. Der Schlüssel zu dieser Kunst ist die Stabilität unserer Aufmerksamkeit. Wenn wir uns darum bemühen, unsere Aufmerksamkeit zu 100 Prozent zu nutzen und ein dankbares und liebevolles Herz zu entwickeln, dann wachsen unsere spirituellen Fähigkeiten ganz von selbst.

Viele Menschen aber müssen erst einmal heil und ganz werden, während sie still in der Meditation sitzen. Um diesen Heilprozess anzustoßen, brauchen wir die grundlegende Fähigkeit, ruhig zu sitzen und zu meditieren. Wir müssen also zunächst einmal unsere Aufmerksamkeit systematisch aufpäppeln, damit wir sie wirklich voll und ganz nutzen können. Sonst treiben wir auf unseren Gedanken herum wie ein führerloses Boot auf dem Meer. Um also ein gewisses Konzentrationsvermögen zu entwickeln, müssen wir uns für ein Gebet oder eine meditative Praxis entscheiden und uns voller Eifer und Beständigkeit darin üben, ganz egal, was passiert. Für die meisten Menschen stellt schon dies ein gewisses Problem dar. Die meisten hätten gerne, dass ihr spirituelles Leben sofort Erfolge zeitigt – und zwar möglichst spektakuläre. Doch ist große Kunst denn je von einem Tag auf den anderen entstanden? Jede tiefgreifende Praxis zeigt umso mehr Wirkung, je intensiver wir uns ihr widmen.

Denken Sie doch nur an die anderen Künste. Musik zum Beispiel. Wie lange dauert es, bis man wirklich Klavier spielen kann? Stellen Sie sich vor, Sie nehmen monate- oder jahrelang einmal wöchentlich eine Klavierstunde und üben jeden Tag fleißig. Anfangs kämpft fast jeder mit Tasten und Noten und damit, was diese Punkte auf den Linien überhaupt heißen sollen. Nach ein paar Wochen, manchmal auch erst nach ein paar Monaten können wir einfache Melodien spielen. Nach einem Jahr oder zwei meistern wir vielleicht eine bestimmte Musikform ganz ordentlich. Doch wenn wir wirklich die Kunst des Klavierspielens beherrschen wollen, sodass wir alleine oder mit anderen spielen können, vielleicht sogar in einer Band oder im Orchester, müssen wir uns dieser Disziplin lange Jahre voller Eifer widmen. Dasselbe gilt für jede Kunst, die man erlernen will, sei es nun das Programmieren von Software, das Tennisspiel, die Architektur, die Ölmalerei oder etwas anderes. Wir müssen dieses Vorhaben mit aller Ausdauer und von ganzem Herzen betreiben und eine gewisse Zeit dafür einplanen – da ist unsere Lehre, dann folgen die Gesellenjahre und schließlich irgendwann die Meisterschaft. Dasselbe gilt für die spirituellen Künste, tendenziell vielleicht sogar noch mehr, denn hier lernen wir, uns selbst und unser Leben zu meistern. Wir üben uns in der menschlichsten aller Künste, darin nämlich, wie wir uns mit unserem wahren Selbst verbinden können.

Was also passiert, wenn wir in unseren vollen Stundenplan regelmäßig eine Meditationssitzung einplanen? Wie sieht unsere erste Meditationserfahrung aus? Für gewöhnlich läuft sie für die meisten Menschen gleich ab, ob wir nun beten oder rezitieren, visualisieren oder auf andere Weise meditieren: Wir machen Bekanntschaft mit unserem zersplitterten, zerstreuten Geist. In der buddhistischen Psychologie wird der untrainierte Geist mit einem wild gewordenen Affen verglichen, der wie irr von Gedanke zu Gedanke schießt, von der Erinnerung zur Sinneswahrnehmung, vom Bild zum Geräusch, vom Plan zum Selbstvorwurf.

Die ersten Schritte auf dem meditativen Pfad könnte man wohl am ehesten mit dem Welpentraining in der Hundeschule vergleichen. Sie setzen den jungen Hund hin und sagen: »Sitz!« Hört der Hund auf Sie? Natürlich nicht. Er steht wieder auf und rennt davon. Also holen Sie den Hund wieder her und sagen: »Sitz!« Und wieder rennt Ihr Hundebaby weg. Manchmal springt es an Ihnen hoch, versteckt sich unter dem Sofa, pinkelt in die Ecke oder stellt sonst etwas an. Unser Geist ist ganz ähnlich gestrickt, nur dass er weit mehr anstellt als so ein Hundebaby. Wenn wir unseren Geist – oder einen Welpen – schulen wollen, müssen wir geduldig immer wieder von vorn anfangen.

Wenn wir eine spirituelle Disziplin aufnehmen, dürfen wir uns auf ein Gutteil Frustration gefasst machen. Nichts von dem, was unsere Kultur uns je vermittelt hat, hat uns gezeigt, wie wir unseren Geist ruhig halten. Die meisten Menschen versuchen, wenn sie Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren, ganz starr an ihrem Atem festzuhalten oder am Mantra beziehungsweise Gebet. Doch das macht sie immer noch wütender und angespannter. Würden Sie so Ihren jungen Hund trainieren? Hilft es wirklich, wenn Sie das Tier schlagen? Wenn Sie Ihr Hundebaby oder Ihren Geist trainieren wollen, ist Zwang fehl am Platz. Sie heben den Welpen einfach wieder auf und setzen ihn hin. Wieder und wieder lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit zurück ins Hier und Jetzt.

Einer der wesentlichen Schritte bei der Kunst der Achtsamkeit ist es, ein tiefgreifendes Interesse an der spirituellen Praxis zu entwickeln. Ob wir in der Meditation zu Stabilität gelangen, hängt ganz entscheidend davon ab, ob sie uns interessiert. Gerade der Anfänger aber empfindet viele Meditationstechniken als langweilig und platt. Es gibt da eine schöne Geschichte von einem Zenschüler, der sich bei seinem Meister beschwerte, es sei so unendlich fade, dauernd seinem Atem zu folgen. Der Zenmeister packte ihn am Kragen, hielt seinen Kopf unter Wasser, und der Schüler kämpfte, um sich von seinem Griff freizumachen. Als er den jungen Mann wieder losließ, fragte der Zenmeister, ob er den Atem unter Wasser auch langweilig gefunden habe. Die Aufmerksamkeit auf den Atem zu richten ist wohl die am meisten verbreitete Meditationstechnik überhaupt. Sie wird in zahlreichen Traditionen eingesetzt. Atemmeditation kann den Geist beruhigen, den Körper öffnen und die Konzentration stärken. Außerdem ist der Atem ein Objekt, das uns zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung steht. Wenn wir gelernt haben, den Atem für unsere Meditation zu nutzen, kann er unser Gewahrsein ein Leben lang stützen.

Doch auch wenn wir ein hohes Interesse an unserer Praxis haben und uns sehnlichst wünschen, unsere Aufmerksamkeit zu stabilisieren, bleiben Ablenkungen nicht aus. Die Ablenkung ist die natürliche Bewegung des Geistes, der nur allzu oft undurchdringlich ist wie aufgewühltes, vom Schlamm getrübtes Wasser. Wann immer ein interessantes Bild, eine aufregende Erinnerung vorübertreibt, reagieren wir gewohnheitsmäßig, lassen uns mitreißen, verlieren uns ganz darin. Wenn unangenehme Gefühle oder Bilder aufsteigen, zieht sich alles in uns zusammen. Wir spannen uns an, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Oder wir lenken uns ab, ohne es überhaupt zu merken. Wir bekommen die Macht dieser Gewohnheit zu spüren: Verlangen, Ablenkung, Furcht, Reaktion. Viele von uns sind so sehr an diese Muster gewohnt, dass unser Geist rebelliert, wenn wir nur einen ungewohnten Moment der Ruhe schaffen. Und so haben wir stets mit Ruhelosigkeit, Hektik und Eile zu kämpfen, mit Plänen für die Zukunft, aufwühlenden Emotionen und so weiter. All das drängt sich immer wieder ins Feld unserer Aufmerksamkeit. Das Herzstück der Meditation ist die Arbeit mit diesen Ablenkungen. In gewissem Sinne lernen wir, unser Kanu ruhig im wilden Wasser zu halten, auch wenn die Wellen uns erschüttern. Wir warten, bis sie sich wieder legen. Wir kehren immer und immer wieder zu diesem einen Augenblick der Gegenwart zurück, ganz ruhig und gesammelt.

Wenn Sie anfangen, sich in Meditation zu üben, werden Sie schnell feststellen, dass bestimmte äußere Bedingungen die Konzentration fördern. So ist es zum Beispiel wichtig, für die eigene Praxis einen Ort zu finden, an dem Sie nicht gestört werden und der Sie Ihrerseits nicht ablenkt. Legen Sie eine Zeit fest, die zu Ihrem Alltag und Ihrem Temperament passt. Probieren Sie aus, ob die stillen Aspekte Ihres Innenlebens besser am Morgen oder am Abend zum Tragen kommen. Vielleicht lesen Sie vor der Praxis gerne in einem inspirierenden Buch? Oder Sie machen ein paar Dehnübungen oder ein bisschen Yoga? Für manche Menschen ist es hilfreich, in einer Gruppe zu üben oder sich regelmäßig in Kursen oder Seminaren von der Welt zurückzuziehen. Probieren Sie verschiedene äußere Bedingungen durch, um herauszufinden, was Ihnen am meisten hilft. Dann können Sie diese als regelmäßiges Element in Ihr Leben einbauen. Förderliche Umstände zu schaffen ist klug, denn sie sind die fruchtbare Erde, aus der Ihr spirituelles Herz Nahrung bezieht.

Wenn wir uns also der Kunst der Achtsamkeit widmen, merken wir nach Wochen und Monaten, wie unsere Konzentration langsam stabiler wird. Machen wir weiter, so merken wir, wie sie uns das Leben näherbringt. So, als würden wir eine Linse scharf stellen. Wenn Sie Wasser aus einem Teich entnehmen und in ein Glas schütten, wirkt es ganz klar und ruhig. Doch schon ein einfaches Mikroskop zeigt, dass es darin vor Bewegung und Organismen nur so wimmelt. Ähnlich ist das mit der Konzentration: Je mehr wir uns konzentrieren, desto klarer erkennen wir, dass jeder Atemzug im Körper zahlreiche Empfindungen mit sich bringt: Vibration, Bewegung, ein Kitzeln, ein Fließen. Die stabile Kraft unserer Konzentration zeigt uns, wie jeder Bereich unseres Lebens im Fluss ist, ständigen Veränderungen unterworfen – sogar während wir noch hinspüren.

Wenn wir lernen, uns in die Gegenwart hinein zu entspannen, atmet der Atem sich selbst, entfaltet sich ein Strom von Empfindungen im Körper, der sich bewegt, der sich öffnet. Ein Gefühl der Leichtigkeit stellt sich ein, der Offenheit. Wie geübte Tänzer erlauben wir dem Atem und dem Körper, ungehindert zu fließen, und genießen das Gefühl des Weit-Werdens.

Allmählich werden wir geschickter. Wir verstehen, dass auch die Konzentration ihren Rhythmus hat. Manchmal setzen wir uns hin, und schwupp, schon ist sie da. Dann wieder scheint in Körper und Geist alles drunter und drüber zu gehen. Und wir lernen, auch in den wilden Wassern zurechtzukommen. Wenn der Geist angespannt ist, lernen wir, wie wir weich werden und uns entspannen können, wie wir die Aufmerksamkeit öffnen. Ist der Geist hingegen schläfrig und schlapp, bringen wir mehr Energie in unsere Konzentration. Der Buddha verglich diesen Prozess mit dem Stimmen einer Laute. Wir horchen achtsam hin, und wenn wir merken, dass unser Tonus nicht mehr stimmt, können wir unsere Saiten anziehen oder lockern, um die Balance wiederherzustellen.

Wenn wir auf diese Weise lernen, uns zu konzentrieren, haben wir meist das Gefühl, ständig von vorn anfangen zu müssen, weil wir dauernd abschweifen. Aber schweifen wir denn wirklich ab? Was tatsächlich geschieht, ist doch, dass ein Gefühl, ein Gedanke, ein Zweifel sich in unseren Geist schiebt. Haben wir dies erst erkannt, können wir loslassen und uns wieder in den nächsten Augenblick hinein entspannen. Das können wir wieder und wieder tun. Wenn unser Interesse geweckt ist, wenn sich unser Gewahrsein vertieft, öffnen sich auch neue Ebenen der Meditation. Plötzlich tun sich uns Momente tiefen Friedens auf, wir fühlen eine enorme Kraft. Wie ein gewaltiges Schiff, das unerschütterlich seinem Kurs folgt. Und im nächsten Moment sind wir dann vielleicht schon wieder woanders. Doch wir lernen, unserem Kurs immer mehr zu vertrauen. Dann verstärkt sich auch unsere geistige Stabilität.

Wir dürfen bei alldem nur nicht vergessen, dass wir – wenn wir einen Welpen trainieren, um im Beispiel zu bleiben – ihn am Ende doch zum Freund haben wollen. Auch unseren Geist und Körper sollten wir als lieben Freund betrachten. Wenn der Geist abschweift, ist auch dies Teil der Meditation. Wir sehen einfach zu, wie er sich bewegt. Der Geist bringt Wellen hervor. Unser Atem ist eine Welle, die Empfindungen unseres Körpers sind eine Welle. Wir müssen gegen diese Wellen nicht ankämpfen. Wir können einfach nur feststellen: »Hier ist der Wellenkamm.« Oder: »Jetzt kommt eine Welle mit Erinnerungen an die Zeit, als ich drei Jahre alt war.« Und: »Hier ist eine Welle von Projekten für die Zukunft.« Und dann verbinden wir uns wieder mit der Welle des Atems. Es braucht Freundlichkeit und liebevolles Verständnis, um die Konzentration zu vertiefen. Wir können nicht längere Zeit präsent bleiben, wenn wir nicht lernen, wie wir weich werden, uns in unseren Körper sinken lassen und zur Ruhe kommen. Jede andere Form der Konzentration wird, vor allem wenn sie willentlich erzwungen ist, sich bald wieder in Luft auflösen. Unsere Aufgabe aber ist es, das Hundebaby so zu erziehen, dass es uns ein Leben lang freundschaftlich zugetan bleibt.

Die Haltung, mit der wir die Meditation angehen, unterstützt uns dabei vielleicht mehr als alles andere. Wir brauchen eine Art Beständigkeit und Hingabe, die jedoch auf grundlegender Freundlichkeit fußt. Wir müssen bereit sein, uns wieder und immer wieder mit dem zu verbinden, was ist, ohne unseren Humor und unsere Leichtigkeit einzubüßen. Wir wollen schließlich nicht, dass unser Welpentraining in Stress ausartet.

Die Wüstenväter, frühchristliche Mönche, die ein zurückgezogenes Leben in der Wüste führten, erzählten sich gerne die folgende Geschichte. Sie handelt von einem Novizen, dem sein Meister befohlen hatte, jedem, der ihn beleidigte, Geld zu geben, und dies drei ganze Jahre lang. Als er diese drei Jahre hinter sich gebracht hatte, sagte der Meister zu ihm: »Nun kannst du nach Alexandria gehen, um die wahre Weisheit zu suchen.« Als der junge Mann nach Alexandria kam, fand er am Stadttor einen weisen Mann vor. Dessen Art zu lehren war es, jeden zu beleidigen, der vorüberkam. Natürlich beschimpfte er auch den Novizen, der in lautes Gelächter ausbrach. »Wieso lachst du, wo ich dich beleidigt habe?«, fragte der Weise. »Nun«, antwortete der Jüngling, »ich habe drei Jahre lang jedem, der mich beleidigte, Geld gegeben. Und jetzt kriege ich von dir all das umsonst.« »Tritt ein«, sagte der weise Mann. »Die Stadt ist dein.«

Die Praxis der Meditation lehrt uns, jeden Augenblick mit Weisheit, Leichtigkeit und Humor zu erleben. Wir öffnen uns, wir lassen los. Mit Kampf hat das nichts zu tun. Dann verspüren wir auch in Zeiten der Frustration und der Schwierigkeiten eine innere Stärke, die etwas mit unserem Blick auf die Dinge zu tun hat. Wir atmen ein: »Wahnsinn, das ist ja wirklich eine spannende Erfahrung. Ich atme gleich noch mal ein. Meine Güte, das war aber jetzt unangenehm.« Wir atmen aus: »Ah!« Der Pfad, den wir in dieser Weise beschreiten, ist außergewöhnlich. Er zeigt uns, wie wir unser Herz und unseren Geist schulen können, damit beide offen, beständig und wach durchs Leben gehen.

3 Ein Geist wie der Himmel so weit Im Gewahrsein ruhen

Meditation wird zur lebendigen Erfahrung, weil wir lernen, unsere gewohnheitsmäßige Verstrickung in die Geschichten, Konflikte, Projekte und Sorgen, mithilfe derer wir unser Selbst konstruieren, loszulassen und immer tiefer im Gewahrsein zu verweilen. Im Gewahrsein zu verweilen heißt, die sich von Augenblick zu Augenblick verändernden Umstände in der Meditation zu registrieren – Freude und Schmerz, Lob und Tadel, Ideen, Vorstellungen und Erwartungen, die sich einstellen. Durch Nicht-Identifikation mit unseren Gedanken und Emotionen ruhen wir im Gewahrsein selbst, jenseits aller Umstände, und erfahren das, was mein Lehrer Ajahn Chah als »jai pongsai« bezeichnete – die natürliche Leichtigkeit des Herzens. Das achtsame Verweilen stärkt unser Samadhi (Konzentration), was den Geist stabilisiert und klärt, sodass Prajña, die Weisheit, aufblitzen kann, die die Dinge so sieht, wie sie sind.

Diese weise Aufmerksamkeit können wir uns von Anfang an zunutze machen. Wenn wir uns zum ersten Mal zur Meditation hinsetzen, ist es am besten, einfach festzustellen, in welcher Verfassung unser Körper und unser Geist sind. Um der Aufmerksamkeit eine Grundlage zu geben, riet der Buddha seinen Schülern »zu beobachten, ob Körper und Geist abgelenkt oder stabil sind, zornig oder friedlich, freudig erregt oder besorgt, angespannt oder locker, gefesselt oder frei«. Wir beobachten, was ist, also atmen wir ein paar Mal tief ein und aus und entspannen uns. Wir schaffen Raum für das, was wir vorfinden.

Von dieser grundlegenden Stufe der Akzeptanz ausgehend lernen wir, die Kraft der Aufmerksamkeit geschickt und flexibel anzuwenden. Weise Aufmerksamkeit – Achtsamkeit – ist wie ein Vergrößerungsglas. Und meist ist es nützlich, unsere Praxis durch ein Mehr an Aufmerksamkeit zu stabilisieren. Wir achten auf unseren Atem, konzentrieren uns auf ihn, auf eine Empfindung, auf die Bewegung von Gefühlen und Gedanken. Mit der Zeit vertieft sich unsere Aufmerksamkeit so sehr, dass Subjekt und Objekt verschwinden. Wir werden zum Atem, zum Kribbeln in den Füßen, zur Trauer, zur Freude. Wir fühlen, wie wir mit jedem Atemzug geboren werden und mit ihm sterben. Mit jeder Erfahrung. Wir sind nicht länger in unser gewöhnliches Selbst verstrickt, unsere Ängste und Befürchtungen fallen weg. Unsere gesamte Erfahrung der Welt zeigt, dass sie vergänglich, nicht fassbar und frei von Eigennatur ist. Weisheit entsteht.

Manchmal aber geschieht es, dass das starke Gerichtetsein der Konzentration ein unnötiges Gefühl von Enge und Anspannung schafft. Dann müssen wir ein wenig lockerlassen und dürfen die Linse der Aufmerksamkeit nicht ganz so scharf stellen. Oder wir gehen achtsam über die Straße und stellen fest, dass es nicht sinnvoll ist, uns nur auf unsere Fußsohlen oder auf den Atem zu konzentrieren. Wir bekommen nicht mit, wie die Ampeln umschalten, wie die Menschen aussehen, die uns begegnen, wie das Morgenlicht wirkt. Also lassen wir den Fokus unserer Aufmerksamkeit ein wenig weiter werden. Auf dem Meditationskissen sitzend richten wir die Linse der Konzentration auf die Energie unseres gesamten Körpers. Beim Gehen spüren wir den Rhythmus der Bewegung und nehmen unsere Umgebung wahr. Die Aufmerksamkeit sitzt sozusagen »auf unserer Schulter« und registriert unser Atmen, den Schmerz in den Beinen, den Gedanken ans Abendessen, das Gefühl der Trauer, die Auslage im Schaufenster, an dem wir gerade vorübergehen. Die weise Aufmerksamkeit nimmt eine Haltung freundlichen Interesses an. Sie nimmt zur Kenntnis, was kommt – Langeweile oder Neid, Pläne oder Aufregung, Gewinn oder Verlust, Vergnügen oder Schmerz – und verneigt sich sachte davor. In jedem Augenblick lassen wir erneut die Illusion los, dass wir etwas erreichen müssten. Wir ruhen stattdessen in der zeitlosen Gegenwart und betrachten mit offenem Gewahrsein, was vorüberzieht. Wir lassen los, und unsere angeborene innere Freiheit und Weisheit erwacht. Nichts, was wir haben müssten. Nichts, was wir sein müssten. Ajahn Chah nannte dies »in dem Einen ruhen, das erkennt«.

Doch manchmal ist auch diese mittlere Ebene der Aufmerksamkeit für unsere Zwecke nicht ausreichend. Wir verstricken uns in gewohnheitsmäßige Denkmuster, in schmerzhafte Situationen, in körperlichen oder seelischen Schmerz. Um uns herum ist alles laut und chaotisch. Wir sitzen da, mit engem Herzen, Körper und Geist angespannt. Mit freundlichem Interesse hat das nichts mehr zu tun. Unsere Absicht ist es, »geneigt zur Kenntnis zu nehmen«, doch unsere Bemühungen haben einen angestrengten, zwanghaften Beigeschmack.

Das ist der Moment, den Fokus unserer Aufmerksamkeit ganz weit zu öffnen, sodass unser Gewahrsein weit wie der Raum oder der Himmel wird. Oder wie der Buddha im Majjhima Nikaya sagt: »Entwickle einen Geist, der so offen ist wie der Raum, in dem angenehme und unangenehme Erfahrungen entstehen und vergehen können, ohne Konflikte oder Leid hervorzurufen. Verweile in diesem Geist wie im weiten Himmel.«

Wenn wir in Meditation sitzen oder gehen, lassen wir den Bereich unserer Aufmerksamkeit so weit werden wie den Raum. Wir lassen alle Erfahrungen zu, ohne Grenzen, ohne innen oder außen. Wir lassen unser gewohntes Orientierungsraster, das den Geist als »in unserem Kopf« verortet, los und spüren, wie der Geist in seinem Gewahrsein offen, grenzenlos und weit ist. Wir lassen zu, dass unser Gewahrsein ein Bewusstsein erlebt, das nicht an der vereinzelten Erfahrung des Sehens, Hörens oder Empfindens klebt, sondern das von diesen Bedingungen völlig unabhängig ist – das Unbedingte. Ajahn Jumnien aus der Tradition der thailändischen Waldmönche spricht hier von Maha Vipassana. Wir ruhen im reinen, zeitlosen und ungeborenen Gewahrsein. Der Meditierende erlebt dies nicht als Ideal, als abgehobene Erfahrung, denn dieses Gewahrsein ist immer zugänglich, immer präsent, absolut befreiend: Es ist der Ort, an dem sich das weise Herz ausruht.