Freie Fahrt ins Unbekannte - Monika Genzow - E-Book

Freie Fahrt ins Unbekannte E-Book

Monika Genzow

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Beschreibung

Mit zunehmendem Alter müssen die Ansprüche und Erwartungen an das Leben durchaus nicht geringer werden. Oma Ida will die ihr verbleibende Zeit bewusst gestalten, sie mit interessantem Inhalt füllen und auch Neues kennenlernen. Gemeinsam mit ihrer Freundin Margarete begibt sie sich auf unbekanntes Terrain und erfährt angenehme, aber auch weniger erfreuliche Überraschungen.

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INHALTSVERZEICHNIS

Zur Person

Sauer macht nicht lustig

Wenn einer eine Reise tut

Das Auge isst nicht mit

Ein Hauch Fernost

Esset und trinket soviel ihr könnt

Ende gut – Alles gut

ZUR PERSON

Es ist jetzt beinahe dreißig Jahre her, dass Idas erstes Enkelkind geboren wurde. Sie war so voller Freude und Stolz, dass sie allen Kolleginnen und Kollegen, Freunden, Verwandten und Bekannten erfreut mitteilte, dass sie nun „Oma Ida“ sei. Selbst völlig Unbekannten, die sie irgendwo kennenlernte, stellte sie sich als Oma Ida vor. Sie fühlte sich geschmeichelt, wenn die Leute sagten: nein so jung und schon Oma Offenbar sah man ihr die fünfzig noch nicht an. Ihrem Ehemann Oscar sah man sein Alter auch nicht an, aber er wies es weit von sich, „Opa“ genannt zu werden. Er war und blieb Oscar.

Mittlerweile hat sich die Zahl der Enkelkinder beträchtlich erhöht. Die Euphorie des Anfangs hat sich gelegt, wenngleich die Freude über jedes weitere Enkelkind durchaus geblieben war. Geblieben war auch die Anrede „Oma Ida“, die nunmehr volle Berechtigung hatte. Seit zwanzig Jahren befand sie sich im Ruhestand. Von Ruhe konnte allerdings keine Rede sein. Sie hatte einen vollen Terminkalender. Reisen, Gymnastik, Tanzen, Kartenrunde mit Freunden, Treffen mit Ehemaligen, Theater- und Konzertbesuche und ein großer Garten hielten sie auf Trab. Ruhen kann ich, wenn ich tot bin, sagte sie jedem, der meinte, sie solle doch etwas kürzer treten. Solange sie einigermaßen gesund und der Kopf noch intakt war, wollte sie sich bewegen und etwas erleben. Sie war allem Neuen gegenüber aufgeschlossen. Es fiel ihr nicht leicht, sich mit der rasant entwickelnden neuen Technik anzufreunden, aber es reizte sie, sie auszuprobieren. Und sie wollte noch ein paar Dinge tun, die sie sich bisher verkniffen hatte. Ach, ja, das Leben war schön!

SAUER MACHT NICHT LUSTIG

Margarete und Oma Ida hatten sich seit Weihnachten nicht mehr gesehen. Eine fiebrige Erkältung hatte Oma Ida ans Bett gefesselt. Nun ging es ihr schon wieder besser und sie nahm die Einladung ihrer Freundin, zum Kaffeeklatsch zu ihr nach Rostock zu kommen, mit Freude an.

Im Winter vermied sie es nach Möglichkeit, mit dem eigenen Auto zu fahren. Aber eine Fahrt mit der Bahn lag auch schon geraume Zeit zurück.

Am Bahnhof ging sie zielstrebig auf die Schalterhalle zu. Aber was war das? Die Halle war zu und es sah auch nicht danach aus, als ob noch jemand käme. Ratlos sah sie sich um.

„Der Fahrkartenschalter ist schon lange geschlossen“, klärte sie ein freundlicher Herr auf. „Die Bahn muss sparen. Da wird zuerst Personal abgebaut. Die Reisenden können ja sehen, wie sie zurechtkommen.“

Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

„Auf dem Bahnsteig steht ein Fahrkartenautomat. Dort können Sie Ihre Karte lösen.“

Der gute Mann hatte ihr wohl ihre Ratlosigkeit angesehen. Sie begab sich auf den Bahnsteig und suchte den Automaten. Tatsächlich, gleich neben der Tür stand ein graues Ungetüm, das sich Fahrkartenautomat nannte. Aber wie funktionierte er nun? Aufmerksam studierte sie die Hinweise zu seiner Benutzung und fand nach einigem Suchen das Auswahlfeld für Fahrkarten. Was für eine brauchte sie denn? Tageskarte, Wochenkarte, Monatskarte, Kurzfahrt, Einfache Fahrt, Hin-und Rückfahrt, Erwachsener, Ermäßigt, Fahrrad. Wer konnte ihr hier helfen? Sie blickte nach rechts. Sie blickte nach links. Sie war die einzige Reisende, die um diese Zeit den ungewöhnlichen Wunsch hatte, mit dem Zug zu fahren. Schließlich entschied sie sich für eine einfache Fahrt, ermäßigt. Schließlich war sie schon seit geraumer Zeit im Rentenalter und da war ermäßigt wohl angemessen. Der Automat konnte leider nicht sprechen, aber in einem Sichtfeld erschien ein Betrag, den Oma Ida unter Zuhilfenahme ihrer Brille als 4,50 Euro entzifferte. Sie entnahm ihrer Geldbörse einen nicht mehr ganz neuen 5-Euro-Schein und steckte ihn in den dafür vorgesehenen Schlitz. Nach kaum einer Minute spuckte der Automat den Schein wieder aus. Warum? Wahrscheinlich hatte sie ihn falsch herum hineingesteckt. Sie entnahm den Schein und drehte ihn um. Es war das gleiche Spiel. Der Automat gab das Geld zurück. Na, zwei Möglichkeiten hatte sie noch, aber allmählich wurde die Zeit knapp. Bis zur fahrplanmäßigen Abfahrt des Zuges waren es nur noch zwei Minuten. Glücklicherweise musste sie nicht auch noch auf einen anderen Bahnsteig. Sie probierte die dritte Variante mit dem 5-Euro-Schein und siehe da, der Automat behielt den Schein. Aber wo war nun die Fahrkarte? Und das Wechselgeld? Sie griff in das dafür vorgesehene Fach, das mit einem Plexiglasdeckel versehen war, aber keine Spur von Fahrschein oder Wechselgeld. Hatte sie etwas falsch gemacht? Hatte sie vergessen, einen der roten oder grünen Knöpfe zu drücken? Sie hatte keine Zeit mehr für ein erneutes Durchlesen der Instruktionen. Der Zug war bereits eingefahren: Er hielt hier nur fünf Minuten. Sie rüttelte an dem Automaten, klopffte erst mit der Hand, dann mit der Faust gegen den blechernen Vertreter der Deutschen Bahn, aber er rückte und rührte sich nicht. Na, dann eben nicht. Sie steckte erbost die Geldbörse in ihre Handtasche und stieg in den Zug.

Immer noch leise vor sich hin schimpfend, betrat sie das Abteil und fand es menschenleer. So konnte sie nicht einmal jemanden fragen, ob so etwas schon öfter vorgekommen war. Sollte sie jetzt zum Fahrkartenkontrolleur oder besser Zugbegleiter gehen und ihm von ihrem Malheur berichten? Der noch nicht verebbte Zorn traf die ablehnende Entscheidung. Er würde schon von selbst kommen und dann konnte sie immer noch von ihrem Reinfall berichten.

Sie schaute in den Waggon hinter dem ihren. Der war auch fast leer. Nur zwei Personen saßen ziemlich weit hinten. Das Abteil vor dem ihren war auch nicht voller. Vom Zugbegleiter keine Spur. Suchen würde sie ihn nicht. Soviel stand fest. Allmählich beruhigte sie sich und konnte sogar innerlich ein bisschen schmunzeln über ihre erste Erfahrung mit einem Fahrkartenautomaten. Ihr Gewissen war auch ganz ruhig. Schließlich hatte sie ja mehr als das notwendige Fahrgeld entrichtet. Hatte der Bahn sozusagen noch etwas gespendet.

Bis zu ihrem Zielbahnhof ließ sich kein Kontrolleur mehr blicken. Das nahm sie ihm nicht übel. Frohgelaunt stieg sie in Rostock aus und nahm sich ein Taxi.

Margarete erwartete sie schon ungeduldig.

„Wolltest Du nicht schon vor einer halben Stunde hier sein? Der Kaffee ist schon lange fertig.“

Oma Ida berichtete von ihrem Abenteuer mit dem Fahrkartenautomaten und entschuldigte sich für die Verspätung. Sie hatte einige Zeit auf das Taxi warten müssen.

Der Kaffee war noch warm und Margaretes Käsekuchen schmeckte ausgezeichnet.

Nachdem sie die wichtigsten Neuigkeiten ausgetauscht hatten, verwies Margarete auf ein Prospekt, das neben der Couch auf einem kleinen Beistelltisch lag.

Gesundheit erleben

Basenfastenkur in familiärer Atmosphäre

Zögernd griff Oma Ida nach dem Prospekt.

„Sag mal, Ida, hättest Du nicht Lust, mit mir

zehn Tage zum Basenfasten zu fahren?“

Margarete war ganz aufgeregt.

„Basenfasten? Was heißt das?“

„Wissenschaftler meinen, dass unsere derzeitige Lebensweise zu einer Übersäuerung im Körper führt und dadurch allerlei Leiden begünstigt werden. Dem kann man entgegen wirken durch eine mehr basisch aufgebaute Nahrung.“

„Ist mein Körper übersäuert? Soviel saures Zeug esse ich doch gar nicht. Und wenn ich auch manchmal sauer bin, muss das nicht unbedingt etwas mit dem Essen zu tun haben, eher mit dem Handeln bestimmter Personen in anderen Körpern.“

Margarete deutete auf den Prospekt auf dem Tisch.

„Ja, das dachte ich auch. Aber die Übersäuerung kommt ja nicht durch das Essen von Sauerkohl, sauren Gurken oder Mixed Pickles, sondern von übermäßigem Genuss von Fleisch, Zucker, Fett, Alkohol, zu wenig Bewegung, zu viel Stress und so.“

„Na, zu wenig Bewegung habe ich bestimmt nicht und Stress habe ich nur, wenn ich mir selber welchen mache. Und so viel esse ich eigentlich gar nicht, aber wenn ich das bisschen auch noch weglassen soll, was bleibt da noch übrig?“

Margarete hatte sich schlau gemacht.

„Obst, Gemüse, Kräutertee, Gemüsesaft und Wasser, alles Nahrungsmittel, die eine basische Reaktion im Körper bewirken.“

„Davon soll ich satt werden?“

Margarete ließt nicht locker.

„So steht es zumindest im Prospekt: Basenfasten ohne zu hungern“.

Margarete war kein Mensch, der so leicht aufgab. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie sehr überzeugend sein.

„Hört sich interessant an“, meinte Oma Ida schließlich, „vielleicht sollten wir es wirklich mal versuchen. Aber was ist mit Oscar?“

„Vielleicht hat er ja Lust mitzukommen.“

„Das glaube ich kaum. So ganz ohne Fleisch und vor allem ohne Bier! Nein, das geht bei Oscar gar nicht.“

Sie kannten sich lange genug, um zu voneinander zu wissen, wie der jeweils Angetraute reagieren würde.

„Dann kann er ja zu Hause die Katze und die Blumen versorgen. Du kochst für ihn vor und frostest es ein. Dann wird er schon nicht verhungern.“

„Und was macht Klaas inzwischen? Auch Blumen gießen?

„Wohl kaum. Aber ich habe schon mit ihm gesprochen. Er will endlich die Dias aus früheren Urlauben digitalisieren. Da ist er froh, wenn er seine Ruhe hat.“

Nach vielem Hin und Her entschieden sich Margarete und Oma Ida für zehn Tage Basenfasten im „Haus Sonnenschein“ in Basenitz, einem kleinen Örtchen an der Mecklenburgischen Seenplatte.

Eine Woche vor Abreise teilte das Hotel ihnen mit, dass ihre Buchung die erste Belegung nach der Winterpause sei und leider die Bauarbeiten, die währenddessen durchgeführt worden waren, nicht termingemäß beendet werden konnten. Der Kurbetrieb sei davon jedoch nicht betroffen. Lediglich im Haupteingangsbereich und der Rezeption werde noch montiert, weshalb sie bitte den Nebeneingang nehmen sollten. Auch eine Kostenreduzierung wurde angeboten.

Die Anreise mit der Regionalbahn verlief komplikationslos. Sie und weitere vier Gäste wurden von einem freundlichen älteren Herrn in Empfang genommen. Zuvorkommend nahm er einer gehbehinderten Dame den Koffer ab und trug ihn in den bereitstehenden Transporter. Ida und Margarete rollten ihre Trolleys hinterher.

„Wir gehen zu Fuß“, erklärte der Herr nachdem alle Koffer eingeladen waren.

„Es ist nicht weit bis zum Hotel. Nach der langen Fahrt tut Ihnen Bewegung sicher gut und Sie lernen auf diese Weise auch gleich unseren schönen Kurort kennen.“

Das kleine Trüppchen formierte sich in Zweierreihe und folgte ihm in gemäßigtem Tempo, immer wieder von seinen Hinweisen und Erklärungen unterbrochen, hügelan zu einem ehemaligen Gutshaus in unmittelbarer Nähe des Haussees.

Schon von weitem hörten sie das Kreischen einer Handkreissäge und die schrillen Töne eines Steinbohrers. Sie wurden an einem von zwei verwitterten Säulen flankierten Eingangsportal vorbeigeleitet und durch eine Nebentür im linksseitig angrenzenden Seitengebäude ins Haus gebeten. Unerwartet fanden sie sich in einer Art Werkstatt wieder. Fleißige Handwerker waren dabei, vier Zentimeter dicke Paneele für eine Wandverkleidung zurechtzusägen und Dübel für die Unterlattung in die Wand zu treiben. Als sie die Neuankömmlinge sahen, stellten sie sofort die Arbeit ein, räumten einen Weg frei und bedeuteten ihnen, weiter ins Haus hinein zu gehen bis zu einem Vestibül. Große Fensterscheiben vom Boden bis zur Decke ließen einige Sonnenstrahlen auf eine kleine Sitzgruppe und einen Ständer mit Prospekten fallen. Die Koffer standen schon ordentlich in Reih´ und Glied. Der nette Herr war verschwunden. An seiner Stelle kam ihnen eine Dame im Jogginganzug entgegen und fragte, ob sie auch zum Neustart-Programm wollten. Sie zuckten mit den Schultern.

„Eigentlich wollen wir zum Basenfasten.“

„Ach so, na die Juliane wird sicher gleich kommen.“

Die Neulinge sahen sie fragend an.

„Juliane ist die Hausdame“, glaubte sie erklären zu können und verschwand wieder in dem langen Gang.

Aha.

Die Handwerker machten sich erneut an ihre Arbeit. Keine Minute später erschien besagte Juliane, eine attraktive Frau mittleren Alters. Sie trug ein Kleid, das sehr an die Tracht der ersten Siedler in Amerika erinnerte, kleine rote Blüten auf rehbraunem Grund.

„Herzlich Willkommen, liebe Gäste. Unseren Direktor haben Sie ja bereits kennengelernt. Ich bin Juliane, die Hausdame und zuständig für all Ihre Wünsche außerhalb der ärztlichen Verordnungen,“ begrüßte sie die Wartenden mit einem freundlichen Lächeln.

Sie entschuldigte sich für den derzeit im Hause herrschenden Lärm, der aber um 19.00 Uhr beendet sein würde, übergab die Zimmerschlüssel, führte die Gäste bis zu einem Fahrstuhl und schickte sie zwei Etagen höher, wo jeder Kurteilnehmer ein komfortables Einzelzimmer beziehen durfte.

„Hast Du das gehört, Ida“, wisperte Margarete, „der nette ältere Herr am Bahnhof war der Herr Direktor höchstpersönlich. Ich glaube, er ist auch der Arzt, der die Untersuchung vornimmt.“

„Ja, das haben Sie richtig erkannt,“ mischte sich eine überaus schlanke jüngere Frau ein, die mit ihnen angereist war.

„Es ist hier alles sehr familiär. Das gefällt mir. Ich komme jedes Jahr zur Fastenkur hierher.“