Freiheit und Zensur - Karin Hartewig - E-Book

Freiheit und Zensur E-Book

Karin Hartewig

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Beschreibung

kinozeit ist eine Reihe mit Texten zur Filmgeschichte. Präsentiert werden Klassiker, aber auch Raritäten, die heute selten gezeigt werden. kinozeit eins ist ausgewählten Filmen der DEFA gewidmet und stellt die Frage nach Freiheit und Zensur im Filmschaffen der DDR.

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[kinozeit eins]

kinozeit

ist eine Reihe mit Texten zur Filmgeschichte. Präsentiert werden Klassiker, aber auch Raritäten, die heute selten gezeigt werden.

kinozeit eins

ist ausgewählten Filmen der DEFA gewidmet und stellt die Frage nach Freiheit und Zensur im Filmschaffen der DDR.

Über die Autorin

Karin Hartewig, Dr. phil. (Jg. 1959), ist freiberufliche Historikerin und Autorin von Sachbüchern, Essays, Belletristik und Lyrik.

Inhalt

Die DEFA. Eine Vorbemerkung

1949 | 1969

Anno Populi – Im Jahr des Volkes 1949 (1969)

Freiheit und Zensur

Unser täglich Brot (1949)

Berlin, Ecke Schönhauser … (1957)

Nackt unter Wölfen (1963)

Der geteilte Himmel (1964)

verboten wiedergefunden rekonstruiert

Die Schönste (1957/58)

Denk bloß nicht, ich heule (1965)

Die Russen kommen (1968)

Die Taube auf dem Dach (1973)

Die DEFA-Spielfilmproduktion

Liste aller DEFA-Spielfilme

Die DEFA. Eine Vorbemerkung

Bereits am 17. Mai 1945 wurde die „Deutsche Film-Aktiengesellschaft“, auch „Deutsche Film AG“ oder später einfach DEFA genannt, ins Leben gerufen. Von der SMAD erhielt sie die Lizenz für die Produktion von Spiel- und Dokumentarfilmen, Wochenschauen und populärwissenschaftlichen Filmen. Anfangs war sie eine sowjetische Aktiengesellschaft, bis sie 1953 als VEB in deutschen Besitz überging. In den ersten beiden Jahrzehnten entwickelte sich die DEFA zu einem weitverzweigten Unternehmen. Von ihrer Gründung bis zu ihrem Ende 1992 produzierte sie etwa 750 Filme.

Nach der Wende, im Juli 1990, geriet sie unter die Verwaltung der Treuhand. Im Laufe des Jahres 1992 wurden die einzelnen Betriebe veräußert. Das Filmarchiv der DEFA wurde in eine Stiftung überführt.

DEFA das klang, durchaus beabsichtigt, ein bisschen wie die alte „Ufa“, die noch Anfang 1945 Filme produzierte. Die „Universum Film AG“, war als nationaler Konzern 1917 gegründet worden, hatte sich bald eine überragende Position gesichert und repräsentierte bis 1945 die glanzvolle Ära der deutschen Filmindustrie.

Das ostdeutsche Gewächs wurde zwar ebenfalls zum Monopolisten, aber die Neugründung war alles andere als ein kapitalistischer Betrieb. Vielmehr handelte es sich um einen Staatskonzern für die Filmproduktion aller Genres - vom Spielfilm, über den Dokumentarfilm und die Wochenschauen bis zum Animationsfilm.

Wie die Ufa und die großen Studios in Hollywood organisierte sich die DEFA in Potsdam-Babelsberg, der ehemaligen Ufa-Stadt, nach der traditionellen Studiostruktur. Sie beschäftigte Mitarbeiter aus nahezu allen Bereichen der Filmindustrie: Autoren, Regisseure, Szenografen, Kameraleute, Techniker und ein Schauspieler-Ensemble. Die große Zahl von Spezialisten als ständige Mitarbeiter bürgte für einen hohen handwerklichen Qualitätsstandard. Doch um die künstlerische Freiheit und den Mut zum Risiko war es deutlich schlechter bestellt. Ideen, Skripts und Drehbücher durchliefen mitunter langwierige Überprüfungen in der Studiohierarchie und bei den Zensoren in Partei und Staat. Auch der Zugang zum Beruf des Regisseurs war formalisiert und an den Abschluss der Filmhochschule in Babelsberg geknüpft. Vor der Ausbildung des Nachwuchses von morgen, ging es aber zunächst vor allem um die Überprüfung derer, die vor 1945 in der Filmindustrie tätig gewesen waren. Regisseure und Autoren, deren Namen durch Propagandafilme im Nationalsozialismus belastet waren, sollten tunlichst nicht eingestellt werden - jedenfalls nicht so bald, während alle, die "nur" Techniker gewesen waren, mit ihrer Weiterbeschäftigung rechnen konnten.

Anfangs unter sowjetischer Zensur, wurde die DEFA 1952 dem Staatlichen Komitee für Filmwesen unterstellt, das detailreiche Anweisungen gab, die aus der Parteibürokratie kamen. Nach dem 1. Juni 1953 übernahm das Ministerium für Kultur die Aufsicht und bescherte der DEFA kurzfristig etwas mehr Liberalität. Seit August 1962 war innerhalb des Kultur-Ministeriums die Hauptverwaltung (HV) Film für die Förderung, Abnahme und Genehmigung von Filmen zuständig. Die graue Eminenz, also der Filmminister im Hintergrund war immer der stellvertretende Kulturminister. Die HV Film blieb bis zur Wende 1989/90 die maßgebliche Institution, die über das Schicksal ganzer Produktionsjahrgänge entschied. Beratend zur Seite stand der obersten Zensurbehörde ein Komitee für Filmkunst, in dem nicht nur Kulturfunktionäre, sondern auch Studiodirektoren, Regisseure und Autoren saßen.

In ihren frühen Jahren leistete die DEFA einen wichtigen Beitrag zur Vergegenwärtigung der NS-Diktatur. Zu nennen sind Titel wie „Die Mörder sind unter uns“ oder „Ehe im Schatten“ von Kurt Mätzig. Aber Anfang der 1950er Jahre ging die Qualität der Filme auf Agitationsniveau zurück, so in dem zweiteiligen roten Schinken „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“ und „Führer seiner Klasse“. Nach den Vorstellungen der Herren im Politbüro und im ZK der SED hatte der sozialistische Film vor allem eins zu sein: optimistisch und zukunftsfroh und auf die positiven Erscheinungen des sozialistischen Aufbaus hin ausgerichtet!

Doch nach 1955 wuchs eine neue Generation von Regisseuren nach, die in der Zeit größerer Freiräume auch neue Themen, die einen stärkeren Bezug zum DDR-Alltag hatten, filmisch umsetzen wollten und bei den Kulturfunktionären heftig unter Druck gerieten.

Aus dieser Phase des Übergangs vor und nach 1960, in der gleichzeitig Altes und Neues entstand, stammt „Berlin, Ecke Schönhauser“, „Nackt unter Wölfen“ und „Der geteilte Himmel“. Eine tiefe Zäsur in Kunst, Literatur und Film setzte wenig später, im Dezember 1965, bekanntlich das 11. ZK-Plenum der SED, das von den betroffenen Künstlern bald „Kahlschlag-Plenum“ genannt wurde. Auf Geheiß der SED-Führung wurden zahlreiche Spielfilme verboten, darunter „Das Kaninchen bin ich“, „Spur der Steine“ und „Denk bloß nicht, ich heule“. Um die Macht der Bilder wissend, sprach Politbüromitglied Hermann Axen gar von einer „Vergiftung des Volkes“ durch solche Filme.

In den 1970er Jahre bediente sich die SED subtilerer Methoden, um Filme kritischer Autoren zu entschärfen oder zu gänzlich zu verhindern. Die Zensoren „diskutierten“ mit den Autoren und Regisseuren und schoben Projekte auf die lange Bank – ein für die Betroffenen in der Regel zermürbender, frustrierender Prozess. (siehe unten, S. 59ff.) Doch selbst unter diesen Bedingungen entstanden von Fall zu Fall sehenswerte Filme!

Für diesen Band wurden DEFA-Spielfilme der 1940er, 1950er, 1960er und 1970er Jahre ausgewählt, die filmhistorisch und kulturpolitisch bedeutsam waren. Manche avancierten zu Visitenkarten der sozialistischen Filmindustrie, manche wurden zeitweise zur Aufführung gesperrt. Andere wurden unmittelbar nach der Fertigstellung verboten und konnten erst nach der Wende aufgeführt werden. Die Auswahl fiel nicht leicht, und vielleicht vermissen Sie Ihren persönlichen Favoriten.

Die Filme wurden von der Autorin in der Bildungsstätte am Grenzlandmuseum Eichsfeld in Teistungen präsentiert. Ihre filmhistorischen Einführungen sind in diesem Band versammelt.

Um die Fallhöhe des Genres „Spielfilm“ zu demonstrieren, steht am Anfang jedoch die Analyse des offiziellen Geburtstagsfilms zum 20. Jahrestag der DDR – ein exponiertes Beispiel des künstlerischen, poetisch-pathetischen Dokumentarfilms, jene charakteristische Form der „Filmdichtung“, welche in der DDR allzeit ideologische Unantastbarkeit demonstrierte.

Literatur:

Hans-Michael Bock: Die DEFA-Story, in: Geoffrey Nowell-Smith (Hg.): Geschichte des internationalen Films, Stuttgart 1998, S. 582-591.

Frank- Burghard Habel: Das große Lexikon der DEFA-Spielfilme. Die vollständige Dokumentation aller Spielfilme von 1946 bis 1993, Berlin 2017.

https://www.filmportal.de

1949 | 1969

Anno Populi – Im Jahr des Volkes 1949 (1969)

Regie: Karl Gass, Zitate: Bertold Brecht, Kamera: Georg Kilian, Musik: Luis Fürnberg, Hanns Eisler, Paul Dessau, Musikbearbeitung: Günter Meyer und Manfred Rosenberg. (40 min.)

Wir schreiben das Jahr 1969. Wir befinden uns im zwanzigsten Jahr der DDR, in der letzten Phase der Ära Ulbricht. Die Mauer steht seit acht Jahren. Man hat sich eingerichtet in diesem Land, missmutig, mehr schlecht als recht, in Teilen auch loyal oder sogar optimistisch. Im Rückblick werden manche Zeitgenossen die sechziger Jahre als die „goldenen Jahre“ der DDR bezeichnen.

In seiner Selbstdarstellung strotzt der zweite deutsche Staat vor Selbstbewusstsein. Und er trieft vor kulturellem Pathos. Das fällt auch zahlreichen Beobachtern im Westen auf: Man konstatiert im Osten ein neues DDR-Gefühl. Andererseits ist die DDR noch immer getrieben von Inferioritätskomplexen. Ihre diplomatische Anerkennung im Westen steht noch aus. Sie wird erst in den siebziger Jahren erfolgen. Außerhalb des Ostblocks unterhalten bis dahin nur der Jemen, Ceylon, Ägypten, Kambodscha, der Irak und der Sudan diplomatische Beziehungen zum zweiten deutschen Staat.

Die DDR hat Geburtstag

Zum 20. Jahrestag feiert die DDR sich selbst, indem sie an die Leistungsbereitschaft der Menschen appelliert. „Fröhlich sein und Singen“ reichen längst nicht mehr aus. Allerorten ist die Rationalisierungs- und Technikeuphorie spürbar. Aber auch neue Töne sind zu vernehmen mit der ersten wehrpolitischen Kampagne zur „Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft der Jugend“. Sie wird geführt unter dem Motto „Signal DDR 20“. Festreden beschwören den Geist des Neubeginns und das bereits Erreichte: „sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen haben“, „in unverbrüchlicher Freundschaft mit der Sowjetunion leben“, so lauten die Botschaften. In pompösen Umzügen trägt die Jugend der DDR noch immer die Ikonen der Überväter auf ihren Schultern (Marx, Engels, Lenin). Die Jüngsten halten kleine Schilder mit der römischen Zahl XX in die Höhe. Die besten Kollektive in Industrie und Landwirtschaft empfangen aus der Hand von Walter Ulbricht und Willi Stoph Ehrenbanner und Prämien „für hervorragende Leistungen im sozialistischen Wettbewerb“. Sogar Produkte werden in den Dienst der Republik gestellt: Auf Festwagen werden Arrangements von Agrarprodukten durch die Straßen geführt – wie bei einem profanen Erntedankfest. Gereichte 1959 die synthetische Textilfaser „Dederon“ in der Spielart eines rotlackierten Feudalismus der Republik zu Ruhm und Ehre, so erblickte pünktlich zum 20. Jahrestag die Kunstfaser „Präsent 20“ das