Silos und Krematorien - Karin Hartewig - E-Book

Silos und Krematorien E-Book

Karin Hartewig

0,0

Beschreibung

Wie kaum ein anderes Unternehmen steht die Firma J. A. Topf & Söhne für die Verwicklung der deutschen Wirtschaft in die nationalsozialistischen Verbrechen. Als sogenannte Ofenbauer von Auschwitz wurde der Name Topf zum Synonym für die Vernichtung und Auslöschung des europäischen Judentums im Holocaust. Doch J. A. Topf & Söhne aus Erfurt war keine Neugründung des Dritten Reiches und versank bei Kriegsende 1945 auch nicht geräuschlos in Schutt und Asche. Die Firma existierte von 1878 bis 1996. Zum Kerngeschäft des Marktführers zählten nicht Krematorien, sondern Silobauten und Mälzereianlagen. Wie steht es um die visuelle Hinterlassenschaft des Unternehmens? Die vorliegende Studie nimmt die Industriefotografie, ihre Themen und Leitmotive, aber auch das Corporate Design und die Werbung von J. A. Topf & Söhne in den Blick.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 139

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wie kaum ein anderes Unternehmen steht die Firma J. A. Topf & Söhne für die Verwicklung der deutschen Wirtschaft in die nationalsozialistischen Verbrechen. Als „Ofenbauer von Auschwitz“ wurde der Name Topf zum Synonym für die Vernichtung des europäischen Judentums im Holocaust.

Doch J. A. Topf & Söhne aus Erfurt war keine Neugründung des Dritten Reiches und versank bei Kriegsende 1945 auch nicht geräuschlos in Schutt und Asche. Die Firma existierte von 1878 bis 1996. Zum Kerngeschäft des Marktführers zählten nicht Krematorien, sondern Silobauten und Mälzereianlagen.

Wie steht es um die visuelle Hinterlassenschaft des Unternehmens?

Die vorliegende Studie nimmt die Industriefotografie, das Corporate Design und die Werbung von Topf & Söhne in den Blick.

Zur Autorin:

Karin Hartewig, Dr. phil., studierte Neuere und Mittelalterliche Geschichte sowie Neuere Deutsche Literatur und Deutsch als Fremdsprache in München.

Sie ist freiberuflich als Historikerin und Autorin tätig und lebt in der Nähe einer kleinen deutschen Universitätsstadt.

Inhalt

Topf & Söhne und Nachfolger. Eine Chronologie

Der Bildbestand Topf & Söhne. Eine Spurensuche

Archivpolitik in der DDR

Die Bildüberlieferung des Unternehmens

Allgemeine Charakterisierung

Industriefotografie und Geschichte

Zugänge

Themen, Leitmotive und Bildsprache

Medien der Repräsentation

Global Player mit Willen zur Repräsentation

Zur Institutionalisierung der Werksfotografie

Die Fotostelle

Die Lichtpausestelle

Werbung und Corporate Identity

Das Logo als Corporate Design

Das Werk und seine Betriebe

1943, der Status Quo

Die Zeichensäle und das Konstruktionsbüro Speicherbau

Büros und Schreibstuben

Warteraum

Gruß aus der Küche

Der „Gefolgschaftsraum“

Hygiene im Betrieb

Die „Topfianer“. Die Belegschaft im Bild

Das Belegschaftsalbum

Das Produkt zwischen Sachlichkeit und Inszenierung

Produkte ins Bild setzen

Der Silo

Probelauf und sprechendes Detail

Mälzereianlagen

Feuerungsanlagen und Krematorien

Friedensware

Schlussbemerkung

Nachwort

Anmerkungen

Literatur

1. Topf & Söhne und Nachfolger. Eine Chronologie

Wie kaum ein anderes Unternehmen steht die Firma J.A. Topf & Söhne für die Verwicklung der deutschen Wirtschaft in die nationalsozialistischen Verbrechen. Als „Ofenbauer von Auschwitz“ wurde der Name Topf zum Synonym für die Vernichtung des europäischen Judentums im Holocaust. Doch das Unternehmen aus Erfurt war keine Neugründung des Dritten Reiches innerhalb des Wirtschaftsimperiums der SS, und es versank bei Kriegsende 1945 auch nicht geräuschlos in Schutt und Asche.

Als der ehemals volkseigene Betrieb „Erfurter Mälzerei- und Speicherbau“ (VEB EMS) nach der Wende 1996 in Konkurs ging, konnte der Betrieb auf eine fast hundertzwanzigjährige Geschichte zurückblicken. Das Unternehmen Topf & Söhne war 1878, nach dem ersten Wirtschaftsboom des Deutschen Reiches, durch den Braumeister und Brauereitechniker Johann Andreas Topf (1816-1891) als Baugeschäft für Feuerungstechnik gegründet worden. Unter der Firmenleitung seines Sohnes, Ludwig Topf (1863-1914) expandierte es zu einem Spezialbetrieb für Heizungsanlagen, Brauerei- und Mälzereieinrichtungen. In den folgenden Jahren wurde daraus ein großes Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. Topf & Söhne wurde zum weltweit führenden Produzenten für komplette Mälzereianlagen und für die Einrichtung von Speichern und Anlagen zur Getreidepflege, zu der auch pneumatische und mechanische Fördereinrichtungen gehörten. Topf & Söhne projektierte und errichtete Mälzereien, Brauereimaschinen und Siloanlagen für Brauereien. Das Unternehmen baute darüber hinaus industrielle Feuerungsanlagen, Schornsteine, Krematorien für kommunale Friedhöfe, Müllverbrennungsanlagen sowie gasdichte Türen und Fenster. 1914 betrug der Anteil der Krematoriumsöfen gerade einmal drei Prozent vom gesamten Umsatz. Es handelte sich also eher um einen Nebenzweig der Produktion. Die Projektierung und Herstellung von wirtschaftlich arbeitenden Hochleistungsfeuerungsanlagen für Braunkohle, einschließlich der Bekohlungs- und Entaschungsanlagen sollten dem Unternehmen im Ersten Weltkrieg zum durchschlagenden Erfolg verhelfen.

Der frühe Tod Ludwig Topfs, die Interimsleitung des Unternehmens durch die Witwe, Elsa Topf, und nachhaltige Umsatzeinbußen brachten die Firma in ernste Schwierigkeiten. 1935 übernahmen die Enkel des Firmengründers Ludwig und Ernst-Wolfgang Topf gemeinsam die Leitung der Firma.

Vier Jahre später, 1939, erreichte der Betrieb mit einer Belegschaft von 1.150 Arbeitern und Angestellten seine höchste Beschäftigtenzahl. Im selben Jahr errichtete Topf & Söhne im Auftrag der SS im Konzentrationslager Auschwitz und in anderen KZs Krematorien zum Verbrennen der Leichen der ermordeten Häftlinge und Lüftungsanlagen für Gaskammern. Damit gehörte Topf & Söhne zu den Firmen, die in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern die Gaskammern und Krematorien entwickelte – Anlagen zur Leichenverbrennung, die auf effizienten Dauerbetrieb ausgelegt waren. In Buchenwald, Auschwitz, Birkenau und Gusen und Mogilev war Topf einziger Hersteller. In Groß-Rosen, Mauthausen und Dachau teilte man sich das Geschäft mit dem größten Konkurrenten der Branche, dem Berliner Ofenbauer Kori, der im Übrigen alle anderen Konzentrations- und Vernichtungslager in Alleinregie bestückte. Allein der Hersteller des Krematoriums in Theresienstadt ist unbekannt. Topf & Söhne lieferte insgesamt mindestens 25 Öfen mit 76 Verbrennungskammern. Bei Bedarf stellte man der SS auch mobile Verbrennungsöfen zur Verfügung.

Am 20. November 1945 wurde die Erfurter Firma, die am 13. Juli noch 180 Beschäftigte hatte, durch die sowjetische Besatzungsmacht als „herrenlos“ sequestriert und unter Zwangsverwaltung gestellt. Am 10. Mai 1947 wurde sie in das Eigentum des Landes Thüringen überführt und am 30. Juli 1948 erfolgte die Verstaatlichung.

Die Sowjetische Besatzungsmacht zog die Verantwortlichen zur Rechenschaft. Vier leitende Mitarbeiter wurden 1946 inhaftiert und wurden in die Sowjetunion deportiert. Der Unternehmer Ludwig Topf entzog sich seiner Verhaftung durch Selbstmord. Sein Bruder Ernst-Wolfgang floh in die amerikanische Zone, wo er 1946 kurzzeitig inhaftiert wurde. Ein Spruchkammerverfahren 1949 und staatsanwaltliche Ermittlungen 1951 gegen den Unternehmer wurden eingestellt. Im selben Jahr versuchte Ernst-Wolfgang Topf eine Neugründung der Firma im Westen. Das Unternehmen in Wiesbaden und wenig später in Mainz bestand aber nur 12 Jahre lang, bevor es 1963 Konkurs anmelden musste.

In Erfurt wurde unter dem Namen „Nagema Topfwerke Erfurt VEB“ die Produktion wieder aufgenommen und der Betrieb an die VVB Nagema angegliedert. Nach einem kurzen Intermezzo der Produktion von Feldküchen für die sowjetische Besatzungsmacht in den unmittelbaren Nachkriegsjahren kehrte der neue volkseigene Betrieb zum Traditionsgeschäft im Brauereiwesen zurück. In der Folgezeit kam es zu zahlreichen Umbenennungen und planwirtschaftlichen Restrukturierungen. Doch der Betrieb produzierte fortan bis zur Wende wieder Mälzerei- und Siloanlagen.

1952 Jahre wurde der Betrieb nach dem griechischen Widerstandskämpfer Nikos Belojannis (1915-1952) in „VEB Maschinenfabrik Nikos Belojannis“ benannt. 1957 wurde der Name abermals geändert in „VEB Erfurter Mälzerei und Speicherbau“ (EMS).1 Bis das Unternehmen mit 800 Mitarbeitern 1970 in das Kombinat „FORTSCHRITT Landmaschinen Dresden“ eingegliedert wurde. Der Bereich Krematoriumsbau war bereits 1957 aufgegeben worden, später wurde auch der Produktionsbereich industrielle Feuerungsanlagen aufgelöst. Erfolgreich agierte der VEB EMS vor allem in Osteuropa.

Einer Privatisierung des Betriebs als „Erfurter Mälzerei- und Speicherbau GmbH“ nach der Wende (seit 1993) war indes kein wirtschaftlicher Erfolg beschieden. Mit seinen Kernkompetenzen im Mälzerei- und Silobau sowie mit neuen Anlagen der Umwelttechnik konnte sich das Unternehmen unter den Bedingungen der Marktwirtschaft nicht behaupten und war drei Jahre später gezwungen, Insolvenz anzumelden.

Versuche der Unternehmerfamilie, eine Rückübertragung des ehedem enteigneten Betriebs zu erwirken, scheiterten, da alle Enteignungen, die vor Gründung der DDR durch die sowjetische Militäradministration vorgenommen worden waren, aus dem deutsch-deutschen Einigungsvertrag ausdrücklich ausgenommen waren. Soweit die Chronologie des Unternehmen.

Die unternehmerischen Aktivitäten der Firma J.A. Topf & Söhne im Konzentrationslager Auschwitz hatte bereits zu DDR-Zeiten 1957 der jüdische Kommunist Bruno Baum erwähnt, der das Vernichtungslager als Funktionshäftling überlebt hatte.2 Er zitierte damals aus den Untersuchungsergebnissen der Zentralkommission zur Untersuchung der NS-Verbrechen in Polen. Topf & Söhne hatte Anfang 1943 in Auschwitz vier große Krematorien und drei Gaskammern errichtet. Anschließend geriet die Beteiligung des Unternehmens an der NS-Vernichtungspolitik in Ost und West in Vergessenheit.3

Die historische Forschung erhellte die Kooperation des Unternehmens mit der SS und die Erfindungen und stetigen technischen Verbesserungen an den Gaskammern und Krematorien „im Dauerbetrieb“ durch seine leitenden Ingenieure, die sich in den Dienst der Vernichtungsideologie stellten.4 Durch diese Befunde zur Unternehmens- und Industriegeschichte von Topf & Söhne wurde die einst kommunistische und antikapitalistisch gemeinte, bald zum Allgemeinplatz gewordene Metapher von den Vernichtungslagern als „Todesfabriken“ des Dritten Reiches beglaubigt und bekräftigt.5

Auf die bundesdeutsche Gedenkkultur wirkte die Wiederentdeckung des historischen Ortes der „Ofenbauer von Auschwitz“ nach der Wende elektrisierend. Auf dem ehemaligen Fabrikgelände in Erfurt tat sich die einmalige Chance auf, die Täter und die Taten – ohne Rücksichten auf aktuelle Eigentumsverhältnisse und Geschäftsinteressen eines Nachfolgeunternehmens – zu benennen und die nationalsozialistische Vernichtungspolitik aus dem kalten Licht abstrakter bürokratischer Prozesse herauszuführen auf das unwegsamere Gelände des konkreten Handelns, seiner Bedingungen und seiner Akteure.6 Die begleitenden Publikationen und Broschüren zur Wanderausstellung des Jahres 2005 und zur Eröffnung des Erfurter Erinnerungsortes im Januar 2011 folgen dem Paradigma der 1990er Jahre, die Geschichte der Konzentrations- und Vernichtungslager als erweiterte Tätergeschichte zu schreiben.7

„stets gern für Sie beschäftigt ...“ - Bahnreisende, die Erfurt in Richtung Weimar verlassen oder von dort kommen, können an der Fassade des renovierten ehemaligen Verwaltungsgebäudes über Eck die kryptisch anmutende Botschaft lesen. Die zeitgenössische Floskel, die den Spruch vom Kunden als König über alle moralischen Bedenken gegen Aufträge jeder Art stellt, verweist auf den neuen Zweck des Gebäudes als Gedenkstätte und Museum: Im Januar 2011 wurde die ehemalige Zentrale mit Gleisanschluss zum Präsentationsort einer Dauerausstellung über die Ofenbauer von Auschwitz – Memories Passing By, Erinnerung to go! Die Aufnahmen vom Verwaltungsgebäude als Erinnerungsort wurden bald selbst zu einer Bildikone. Die internationale Wanderausstellung „Industry and the Holocaust. Topf & Sons – Builders of the Auschwitz Ovens“ (Industrie und Holocaust. Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“) wurde inzwischen an vielen Orten präsentiert.

2. Der Bildbestand Topf & Söhne. Eine Spurensuche

Archivpolitik in der DDR

Im Unterschied zur alten Bundesrepublik waren in der DDR die Akten und Fotobestände von Industriebetrieben, was die Zeit vor 1945 betrifft, stark zentralisiert. Zumindest war dies erklärte Archivpolitik. Von der „Deutschen Fotothek“ der Sächsischen Landesbibliothek Dresden wurde kurz vor der Wende ein exzellentes Verzeichnis der Fotobestände in der DDR erarbeitet, das neben städtischen und Bezirksarchiven auch Museen, Gedenkstätten, Parteiarchive, Verlage und Hochschulen umfasst.8 Die „Deutsche Fotothek“ selbst versammelte zu DDR-Zeiten eine kleinere Zahl von Fotografien aus Betriebsarchiven der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.9

Wirtschafts- und Unternehmensarchive wurden in der DDR zusehends als Teil des staatlichen Archivwesens behandelt. Zunächst wurden die neuen Volkseigenen Betriebe (VEB) und Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) im April 1950 angewiesen, Betriebsarchive einzurichten. Wichtige Betriebe der bezirksgeleiteten Wirtschaft waren seit 1976 zur Abgabe ihres Archivguts aus den Jahren bis 1945 auf Bezirksebene verpflichtet. Nach der Auflösung der Länder hatten 1952 die Bezirke alle Aufgaben der früheren Landesregierungen übernommen. Daher waren die Bezirke auch für die Archivbestände von Industriebetrieben von überlokaler Bedeutung (Wertkategorie III) zuständig. In Thüringen waren dies die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl.10

Andere Betriebe hatten sich an kommunale Archive zu wenden. Daher finden sich wenige, kleinere Überlieferungen in den Staatsarchiven Altenburg, Gotha und Greiz. Und auch in den Stadtarchiven kann man fündig werden. Dort lagern ferner die Überlieferungen der kommunalen Versorgungsbetriebe und – einrichtungen.

Historische Unternehmensarchive waren in der DDR eigentlich nicht vorgesehen. So gelangten die frühesten Schrift- und Bildquellen zur Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte in Ostdeutschland größtenteils in staatliche und kommunale Archive. Die „Wasserscheide 1945“ führte nicht selten zu dem unglücklichen Ergebnis, dass gewachsene Bestände auseinandergerissen wurden.11 Doch fand man in den Betrieben Mittel und Wege, diese Regelung zu unterlaufen. Nachfolger von Traditionsunternehmen von Weltruf wie z.B. VEB Zeiss, Jena oder das Kabelwerk Oberspree, Berlin behielten ihre historischen Bestände und Sammlungen aus der Vorkriegszeit durchaus im eigenen Haus. Nach der Währungsunion 1990 wurde Archivgut an ehemalige DDR-Betriebe, denen der Sprung in die Marktwirtschaft gelang, zum Teil wieder zurückgegeben. Aus beiden Gründen war es nach der Wende sehr wohl möglich, in den Archiven der neuen oder alten Nachfolgeunternehmen - noch immer oder bereits wieder - auf Akten und Bilder aus der Zeit vor 1945 zu stoßen.

Andererseits blieben etliche Akten- und Bildbestände nach der Wende in staatlichen Archiven. Mit der Wiederherstellung der Länder nach 1990 waren dies die Hauptstaatsarchive, in denen die ehemaligen Bezirksarchive aus DDR-Zeiten zusammengeführt wurden.

Zur gleichen Zeit kamen Bestrebungen in Gang, regionale Wirtschaftsarchive zur Rettung der Bestände von insolventen Betrieben einzurichten.12 Bis heute ist auf diesem Feld Verdienstvolles geleistet worden. So haben die Industrie- und Handwerkskammer Ostthüringen in Gera sowie die Handwerkskammer in Erfurt zunächst ein Teil-Archiv errichtet. Zur Einrichtung des Thüringer Wirtschaftsarchivs als eingetragener Verein kam es 2010 in Erfurt. Wie anderswo auch ist das historische Bewusstsein in den Unternehmen unterschiedlich stark ausgeprägt. Viele der Neugründungen nach 1990 haben für sich bislang noch keine Notwendigkeit gesehen, ein Archiv aufzubauen. Andere, die über historische Bestände verfügen, messen dem vorhandenen Material nur wenig Bedeutung zu. Nicht selten sind historische Dokumente und Fotos aber in den turbulenten Zeitläuften der Insolvenzen, Demontagen und Neugründungen in den 1990er Jahren unwiederbringlich verloren gegangen. Daher fällt ein Überblick über das Vorhandene, Gesicherte für die Unternehmens- und Wirtschaftsarchive und damit auch für die Industriefotografie in den neuen Bundesländern besonders schwer.

Die Bildüberlieferung des Unternehmens

Es überrascht deshalb nicht, dass die Geschichte des gesamten Bestandes Topf & Söhne und seiner Nachfolger einigermaßen kompliziert und vermutlich nicht mehr vollständig zu rekonstruieren ist. Und manches spricht dafür, dass der gegenwärtige Archivbestand selbst fragmentarisch ist. So liegt die Vermutung nahe, dass belastendes Material über den Bau von Krematorien in den Konzentrations- und Vernichtungslagern bei Kriegsende aus dem Betriebsarchiv entfernt und vernichtet wurde.13 Mit Sicherheit sind die Patenturkunden unvollständig überliefert, ebenso wie die Bilddokumentation des Unternehmens. Sie muss einmal mehr als 7.300 Werksfotos umfasst haben.14

Im Hauptstaatsarchiv Weimar lagern neben Unternehmensakten, Plänen und Skizzen etwa 2.200 Fotos (Stand: November 2011) des Erfurter Unternehmens Topf & Söhne und seiner Nachfolger.15 Darüber hinaus befinden sich etwa 2.500 meist undatierte und unbeschriftete Abbildungen in den Akten.

Es handelt sich bei diesen Materialien zum einen um die Bestände des ehemaligen Bezirksarchivs Erfurt. 1982 waren von der Werksleitung des VEB EMS dem Archiv des Bezirks 28 Akteneinheiten des Betriebes übergeben worden, mit dem Hinweis, weitere Akten aus der Zeit vor 1945 seien nicht erhalten geblieben.

1995 übergab der französische Apotheker und Amateurhistoriker Jean-Claude Pressac seine Materialsammlung von Kopien aus Archiven der KZ-Gedenkstätten und dem Zentralen Staatsarchiv der Russischen Föderation dem Thüringischen Hautstaatsarchiv in Weimar. Dabei handelte es sich vor allem um Schriftstücke und Baupläne, die der Autor in seiner Dokumentation veröffentlicht hatte.16 Pressac war für eine geplante Firmengeschichte über Topf & Söhne und die Beteiligung des Unternehmens an der NS-Vernichtungspolitik vom neuen Eigentümer, der „Siloanlagen GmbH“ zudem ein substantieller Teil des Unternehmensarchivs exklusiv zur Verfügung gestellt worden.

Hinzu kam im Jahr 2003 weiteres Material auf Umwegen nach Weimar: Wie sich nämlich nach der Wende herausstellte, war das historische Unternehmensarchiv von Topf & Söhne in weit größerem Umfang erhalten geblieben, als die Kombinatsleitung seinerzeit behauptet hatte. Es befand sich seit Juli 1993 in Privatbesitz der erwähnten „Siloanlagen GmbH“. Auch nutzte der engagierte Amateurhistoriker Pressac die Insolvenz des Nachfolgers EMS und die unübersichtliche Lage nach der Schließung dazu, Akten und Bilder an sich zu nehmen und so vor dem Reißwolf zu retten. Mit Abschluss der Forschungen übergab er die gesamte Überlieferung jedoch dem Hauptstaatsarchiv Weimar .

Nach dem schnellen Konkurs des Betriebs 1996 hatte sich das Hautstaatsarchiv Weimar vergeblich um das verbliebene Restarchiv beim „VEB EMS“ bemüht. Dieses war vom Konkursverwalter bereits an das Erfurter Stadtarchiv übergeben worden.

2004 kam weiteres Material hinzu. Der Förderkreis „Geschichtsort Topf & Söhne“ übergab die Akten des ehemaligen Prokuristen, Mitglieds der Firmenleitung und Testamentsvollstreckers im Jahr 1945, Max Machemehl, die bei Bauarbeiten in einem Haus in Erfurt entdeckt worden waren.

Im Erfurter Stadtarchiv fand sich ein etwas größerer Teilbestand historischer Fotos zum Unternehmen, der 369 Aufnahmen umfasst. Ausweislich des Findhilfsmittels „Fotobestände im Stadtarchiv Erfurt“ deckt diese überaus vielfältige Überlieferung nahezu den gesamten Zeitraum zwischen 1910 und 1990 und nahezu alle Themen der Werksfotografie ab. Dabei handelte es sich wohl um das Restarchiv der privatisierten „Erfurter Mälzerei und Silobau GmbH“ aus der Zeit nach dem Konkurs. Die Bilder wurden in einer Datenbank erfasst, das heißt gescannt, beschrieben und erschlossen und sind für die wissenschaftliche Nutzung einsehbar.17

Darüber hinaus verfügt das Stadtmuseum Erfurt über einen kleineren Bestand an Fotos, Prospekten und Broschüren, der sich auf etwa 100 Aufnahmen beläuft. Ein zeitlicher Schwerpunkt ist nicht auszumachen. Die Bilder stammen aus dem gesamten Zeitraum betrieblicher Aktivitäten vom Kaiserreich bis in die DDR. Sie wurden vom „Erfurter Mälzerei und Silobau“ (EMS), offenbar bereits in den 1980er Jahren an das kommunale Archiv abgegeben und fristeten unverzeichnet über viele Jahre ein Schattendasein im Keller. Inzwischen wurden sie digitalisiert.

Ferner finden sich im Stadtmuseum auch sechs „Ruinenfotos“ aus der Zeit nach dem Konkurs, etwa aus dem Jahr 2000, in jedem Falle vor der Besetzung des Geländes durch Jugendliche im April 2001. Zu diesen Fotos gibt es eine Geschichte. Die Aufnahmen von den teilweise zerstörten und vermüllten Werksgebäuden schoss Herr Rothardt, der Metallrestaurator des Museums. Sie entstanden anlässlich einer verdienstvollen, aber halblegalen Rettungstour durch das umzäunte Industriegelände. Für den Museumsfundus suchte man Objekte von akzeptablem Erhaltungszustand. Schließlich entschied man sich, die am besten erhaltenen Zeichentische aus dem im ersten Stock des Verwaltungsgebäudes gelegenen Konstruktionsbüros zu demontieren. Dieser