Sperrsitz oder Parkett? - Karin Hartewig - E-Book

Sperrsitz oder Parkett? E-Book

Karin Hartewig

0,0

Beschreibung

kinozeit ist eine Reihe mit Texten zur Filmgeschichte. Präsentiert werden Klassiker, aber auch Raritäten, die heute selten gezeigt werden. kinozeit zwei Im Zentrum stehen ausgewählte Filme, die im improvisierten Gelegenheitskino an ungewöhnlichen Orten präsentiert wurden. Vertreten sind die Genres Film Noir, Horrorfilm, italienischer Neorealismus, Animationsfilm und vor allem Künstlerfilme: Dokumentationen, Bio-Pictures, Opernfilme, sowie Videos und Spielfilme von Künstlern.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 71

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



[kinozeit zwei]

kinozeit

ist eine Reihe mit Texten zur Filmgeschichte. Präsentiert werden Klassiker, aber auch Raritäten, die heute selten gezeigt werden.

kinozeit zwei

Im Zentrum stehen ausgewählte Filme, die im improvisierten Gelegenheitskino an ungewöhnlichen Orten präsentiert wurden. Vertreten sind die Genres „Film Noir“, Horrorfilm, italienischer Neorealismus, Animationsfilm und vor allem Künstlerfilme: Dokumentationen, Biopics, Opernfilme, sowie Videos und Spielfilme von Künstlern.

Über die Autorin:

Karin Hartewig, Dr. phil. (Jg. 1959), ist freiberufliche Historikerin und Autorin von Sachbüchern, Essays, Belletristik und Lyrik.

Sie hat 2013 den gemeinnützigen Verein „Sperrsitz filmclub e.V.“ als mobiles Kino gegründet.

Inhalt

Die Magie des Kinos

Mobiles Kino im Freien und in Hinterzimmern

King Kong und die weiße Frau (1933)

Frau ohne Gewissen (1944)

Rom, offene Stadt (1945)

Gilda (1946)

Was geschah wirklich mit Baby Jane? (1962)

Künstlerfilme im Souterrain und in der Beletage der Kunst

Das große Rennen von Belleville (2003)

Pollock (2008)

Absolut Warhola (2001)

Mein blaues Cello (2010)

Don Giovanni (1979)

Banksy. Exit through the Gift Shop (2010)

War Photographer (2001)

Kippenberger. Der Film. Dieses Leben kann nicht die Ausrede für das nächste sein (2005)

Chico & Rita (2010)

Rebecca Horn. Performances 2 (1973 und Busters Bedroom (1990)

Henri Cartier-Bresson. Biografie eines Blicks (2003)

Les Films de Man Ray (1923-1929) und Dix Film Courts (1923-1940)

Max Ernst. Mein Vagabundieren – meine Unruhe (1991)

Von tanzenden Zigaretten und Elchen. Der deutsche Animationsfilm in Werbung und Musikvideo (2006)

Baselitz (2004), Ich Baselitz (1987) Baselitz, die Dritte (2007)

Marathon der Weltkunst - Geschichte der documenta. Die Teile I - IV (1955 - 1968)

„Sperrsitz filmclub e.V.“ Ein Nachwort

Die Magie des Kinos

Als das 20. Jahrhundert noch jung war und die Bilder laufen lernten, begann das Kino als provisorisches Wanderkino in Schaubuden und Gaststätten. Bald entstanden die ersten ortsfesten Ladenkinos, die „Kintöppe“. Und wenig später wurden in den 1920er Jahren die großen Lichtspieltheater gebaut. Sie trugen klangvolle Namen wie Eden, Capitol, Zentral, Gloria, Collosseum, Tivoli, Odeon, Alhambra oder Delphi. Zuschauersäle mit mehreren Hundert Plätzen waren in den neuen Palästen der Großstädte keine Seltenheit. Aber auch die Kinos in den Arbeitervierteln, die als „Nachspieltheater“ für den bescheidenen Lohnempfänger errichtet wurden, wie das „Sendliner Lichtspielhaus“ in München (1929-1969), kamen nicht selten auf 900 Plätze.

Aus dieser Zeit stammte auch der „Sperrsitz“. Findige Kinobesitzer hatten ihn aus der Welt des Theaters und des Zirkus als besonderen Service für ihr zahlungskräftiges Stammpublikum übernommen. Dem Zuschauer, der für mehrere Vorstellungen im Voraus bezahlte, wurde exklusiv für „seinen“ Sitz ein Schlüssel ausgehändigt. Der gemietete Sitz wurde hochgeklappt und abgesperrt. So hatte der Dauergast seinen Platz sicher.

Heutzutage versetzen vielfältige Initiativen – vom Scheunen- und Hofkino über das mobile Kino bis zum „Guerilla-Kino“ – das Publikum wieder in die Anfänge des Kinos. Improvisiert wird in Nebenräumen, leerstehenden Ladenlokalen, Fabrikruinen und sogar unter Autobahnbrücken. Oder der Kino-Bus fährt über die Dörfer. Die Möblierung wird an Ort und Stelle aufgebaut und ist bunt zusammengewürfelt. Der Teppich vom Flohmarkt erinnert womöglich an das Wohnzimmer der Oma. Klappstühle und Biergartengarnituren sind so hart wie Zirkusbänke. Die Monoblock-Bestuhlung ist auch nicht bequemer. Oder eine Böschung im Freien dient als natürliche Zuschauerarena. Und die Technik – ein kompakter Beamer mit integrierten Lautsprechern und eingebautem DVD-Player und die Leinwand, ein Bettlaken in Übergröße und Schnüre zum verspannen oder in der Luxusversion eine Roll Up Leinwand, – passt in jeden Kleinwagen. Doch die alte Magie des Kinos funktioniert auch hier! Es beginnt mit dem Vorspiel, dem weich ausgeleuchteten Ort, es setzt sich fort mit dem Abblenden der Beleuchtung bis zur Dunkelheit, der einsetzenden Musik, dem Vorspann und den ersten Bildern. Was macht die Magie des Kinos aus? Es ist das gemeinsame Erlebnis im Kinoraum, der auch ein schäbiger Hof sein kann. Es ist die Schaulust des Publikums. Und es ist die suggestive Kraft der bewegten Bilder in Überlebensgröße, von denen sich selbst der unterkühlt distinguierte Schriftsteller Thomas Mann, ein bekennender Kino-Fan, zu Tränen rühren ließ. Er fragte 1928: „Sagen Sie mir doch, warum man im Cinema jeden Augenblick weint oder vielmehr heult wie ein Dienstmädchen!“ Weshalb kluge Veranstalter zu gegebenem Anlass zusammen mit dem Ticket auch gleich Taschentücher ausgeben.

Die improvisierten Events an unmöglichen Orten sind der bekannten Malaise namens „großes Kinosterben“ geschuldet. Insbesondere die Filmkunst jenseits des kommerziellen Mainstream, deren Filme Generationen von Cineasten als ihre ganz persönliche „éducation sentimentale“ erinnern, hat in vielen deutschen Innenstädten keinen festen Spielort mehr, seitdem das Verschwinden der Kinos in seine letzte Phase getreten ist und eine neue Schließungswelle viele Lichtspielhäuser erfasste. Längst senkt sich der letzte Vorhang auch in Kinos, die weniger intellektuelle Kost bieten – im Osten schneller als im Westen. Mittelfristig wird es in ostdeutschen Kleinstädten mit weniger als 10.000 Einwohnern keine Kinos mehr geben. Dort, wo mehr Menschen leben, ist den Filmtheatern eine kleine Chance geblieben, aber nur wenn sie in mehreren Sälen ein breites Programm anbieten können.

Das Kino hat bessere Zeiten gesehen! Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Leute fast jedes Wochenende in ihr Lichtspieltheater gegangen. Das blieb auch in den fünfziger Jahren noch so. Damals erlebte das Kino seine große Zeit als Illusionsmaschine und als Kraftwerk der Gefühle. Bis das Fernsehen dem Kino das Wasser abgrub. Kinofilme, die im Fernsehen zu sehen waren, Eigenproduktionen – darunter Serien und Krimis und vor allem die großen Familienshows am Samstagabend - wirkten wie „Straßenfeger“. Die Leute blieben immer öfter zu Hause. Die Konkurrenz des neuen Pantoffelkinos löste Ende der fünfziger Jahre, als es in der Bundesrepublik und in Westberlin etwa 6.500 Kinos gab, das erste Kinosterben aus, das bis weit in die sechziger Jahre andauerte. Betroffen waren viele Wald- und Wiesenkinos, von denen sich in Großstädten in jedem Stadtteil mehrere befanden. Filmtheater schlossen ihre Pforten. Manche von ihnen verwandelten sich in Tanzsäle. Andere wurden umgebaut. Und aus den schönen großen Kinos wurden lauter kleine Schachtelkinos. Man reduzierte das Personal und damit den Service und setzte stärker auf den Verkauf von Süßigkeiten und Getränken als zweite Einnahmequelle. Bis dahin war es zum Popcorn- und Taco-Kino mit Jumbo Coca Cola-Bechern nicht mehr weit. Der neueste Schrei aber waren die Raucherkinos – das Signum einer Ära, deren blauer Dunst sich aus der Öffentlichkeit längst verzogen hat. Aber es gab in den fünfziger Jahren auch einen gegenläufigen Trend: Einzelne große Kinos wurden modernisiert: Versehen mit der neuesten technischen Ausrüstung sollten sie ausschließlich Super-Monumental-Filme in Cinemascope im Programm haben. Insgesamt überlebte nur knapp ein Drittel der Filmtheater. In den 1970er Jahren tauchten in der Branche ein paar Neulinge auf. Sie setzten auf Konzepte und Inhalte: das Programmkino und die Filmkunst-Theater waren geboren.

Das zweite Kinosterben setzte in den achtziger Jahren ein, als die Fernsehanstalten begannen, im großen Stil Kinofilme einzukaufen. Nicht selten strahlten sie diese zeitgleich aus, als die Filme in einer ganzen Reihe von Kinos noch auf dem Programm standen. Vor allem aber erwuchs dem Kino mit den Videos als neuen Medien eine starke Konkurrenz. Auch hier wurde die Schamfrist, wann ein Kinofilm auf Video erhältlich war, immer kürzer. Hier hatte man einmal bei sechs Monaten Karenzzeit angefangen. Und schließlich trug die Monopolstellung der großen Kino-Center im Verleihgeschäft dazu bei, dass viele Betreiber kleinerer Kinos keine Chance hatten, einen neuen Film zeitnah zur Premiere zu zeigen.

Das nächste Kinosterben fand nach der Jahrtausendwende statt. Inzwischen zog es die Deutschen noch seltener ins Kino, nicht weil das Wetter so gut oder die Filme so schlecht waren. Die neuen Möglichkeiten, zu erschwinglichen Preisen ein Heimkino auf die Beine zu stellen, waren der Grund. Was den Deutschen in den 1960er Jahren der Partykeller war, wurde ihren Enkeln fünfzig Jahre später das eigene Kino in bester Qualität: Wer die neuesten Filme sehen wollte, besorgte sich die DVD oder Blue-Ray. Flachbildschirme mit mannshoher Bildschirmdiagonale von 1,80 Metern sind kaum kleiner als manche Leinwände von Minikinos. Und bei einer zunehmenden Zahl von Streaming-Diensten muss der Cineast heute nicht einmal das Haus verlassen, um aktuelle Filme zu sehen.

Nun versuchten es einige Kinobetreiber mit Luxus. Sie erfanden die „Film Lounge“: ein Gläschen Sekt zur Begrüßung, breite Ledersessel, Beine hoch, Bedienung am Platz mit Drinks und gutem Rotwein und kleinen feinen Snacks – alles außer Popcorn. Das Geschäftsmodell hat vornehmlich ein reiferes und zahlungskräftiges Publikum im Blick. Das Konzept scheint vorwiegend erfolgreich zu sein. Es ist aber sicher ein Nischenprodukt für in die Jahre gekommene Großstadtpflanzen.