Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Leben bedeutet Veränderung. Das ist Herausforderung und Chance zugleich. In diesem Buch treffen sich die Wege von 15 Frauen zwischen 28 und 59 Jahren, die ihre Chance genutzt haben. Ihre Gesichter erscheinen in keiner Klatschzeitschrift, sie plaudern in keiner Talkshow. Es sind Frauen von Nebenan. In ihren Geschichten zeigt sich das Leben in all seinen Facetten: mal hart und düster, mal laut und überschäumend, mal leise und nachdenklich, mal schillernd und bunt. So verschieden ihre Erlebnisse sind, sie haben eines gemeinsam: Diese Frauen haben ihren eigenen Weg gefunden. Sie haben tiefe Täler durchschritten und Stürme überstanden, sie waren einsam und haben in der Einsamkeit Kraft gefunden. Heute stehen sie mit beiden Beinen fest auf der Erde. Sie haben sich selbst und das Leben lieben gelernt. Ihre Geschichten sollen inspirieren und Mut machen. Mut machen, das eigene Leben zu hinterfragen, sich aus schädlichen Bindungen zu lösen, Veränderung zuzulassen und die Flügel zu öffnen, um voller Vertrauen der inneren Freiheit entgegen zu fliegen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 213
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Ein Wort zuvor
Lebensgeschichten als Wegweiser
Schatten unter dem Herzen – Diagnose Brustkrebs
von Gerlinde David
Loslassen und Vertrauen – Schicksalspfade im Amazonas
von Alina Graf de Yasacama
Aufstieg von ganz unten – Die Kraft des Glaubens
von Jessica Verfürth
Das Licht in uns – Selbstbestimmung ohne Schulabschluss
von Cornelia Hein
Kampf einer Löwin – Sorgerechtsentzug
von Anna Nausch
Im Glashaus – Asperger Autismus
von Marie F
Der Herzensstimme gefolgt – Mein Inselleben auf La Palma
von Olivia Badertscher
Suche nach dem Glück – Wenn Liebe Fesseln zerreißt
von Manuela Degenhardt
Höllenfeuer – Narzissmus und Gewalt
von Jessica
Der Freiheit entgegen – Familienleben unter Segeln
von Corina Lendfers
Wenn der Körper streikt – Ausbruch aus dem Trauma
von Karin Gümmer
Mein Leben auf der Seife – Neuanfänge
von Gabriele-Saskia Drungowski
Leben mit einem Mysterium – Amalgamvergiftung
von Uta
Starke Frauen – Kampf um ein positives Geburtserlebnis
von Marie Schneider
Gesänge der Seele – Mein Weg als (Lebens)Künstlerin
von Sylvia Kirchherr
Dank
Bücher unserer Autorinnen
CDs unserer Autorinnen
Wenn ich ehrlich bin, mag ich keine sozialen Medien. Sie stehlen uns Lebenszeit, die wir im direkten physischen Austausch mit anderen Menschen, mit einem guten Buch in der Badewanne oder bei einem erfrischenden Spaziergang im Wald bereichernder verbringen könnten. Sie verfügen über ein gewisses Suchtpotential und verbreiten leider auch ganz schön viel Unwahrheit, Aggression und Intoleranz.
Und trotzdem habe ich dieses Buch genau diesen ungeliebten Medien zu verdanken, denen ich mich aus beruflichen Gründen nicht gänzlich entziehen kann. In einer neu gegründeten facebook-Gruppe wurden die Frauen dazu aufgefordert sich vorzustellen. Dabei stieß ich auf so viele spannende und inspirierende Lebensgeschichten, dass ich gar nicht anders konnte, als ein Buch daraus zu machen. Ich las schon immer gerne Biographien bekannter Persönlichkeiten, aber diese Geschichten aus dem „normalen“ Leben waren mindestens so packend.
Ich initiierte – auf facebook – ein Buchprojekt und sammelte Geschichten. Mein einziger Anspruch war, dass sich Frauen melden sollten, die ihren eigenen Weg gefunden hatten – wie auch immer er aussah. Es musste ihr Weg sein, unbeeinflusst von gesellschaftlichen, familiären oder partnerschaftlichen Erwartungen – der Weg, der ihnen ihr Herz wies.
Hier erzählen nun fünfzehn Frauen aus ihrem Leben. Einige von ihnen schreiben nur unter ihrem Vornamen oder unter Pseudonym, um sich vor gewalttätigen Exmännern oder Verurteilungen aus ihrem Umfeld zu schützen. Ihre Geschichten, so unglaublich sie sein mögen, sind dennoch wahr, ihre Namen sind mir als Herausgeberin bekannt.
Die Geschichten sind so vielfältig wie das Leben selbst, aber sie haben alle eins gemeinsam: Sie sind echt und sie sind stark. Sie sollen motivieren, das eigene Leben kritisch zu hinterfragen, sie sollen inspirieren und Mut machen, anstehende Veränderungen in Angriff zu nehmen.
Denn es ist unser Leben, und wir tragen die Verantwortung dafür! In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, berührende und inspirierende Lesestunden.
Herzlich, Corina Lendfers
November 2018, Santa Marta, Kolumbien
„Soll ich wirklich meine Geschichte aufschreiben? Ist sie für irgendwen lesenswert? Kann ich das überhaupt?“
Uta beginnt ihre Geschichte mit diesen Fragen, und ich weiß, dass sich viele andere Frauen mit denselben Zweifeln herumgeschlagen haben, bevor sie mir zu- oder abgesagt haben, als ich sie bat, mir ihre Lebensgeschichte zu erzählen.
Auf diese Fragen gibt es nur eine akzeptable Antwort: Ja, ihr könnt es, und ja, eure Geschichten sind lesenswert! Jede einzelne! Genauso, wie jede Frau liebens- und begehrenswert ist.
Woher kommen diese Selbstzweifel? Eigentlich, so müsste man meinen, sollten sie im Zuge der Emanzipation verschwunden sein.
Mit rationalem Denken hat das nichts zu tun. Längst sind in unseren westlichen Gesellschaften Männer und Frauen vor dem Gesetz gleich, Frauen studieren an Universitäten und regieren Staaten, sie sind in allen Berufen, egal ob männlich oder weiblich geprägt, vertreten, sie fahren Auto, gehen alleine aus und leben nicht selten ein bewusst gewähltes, glückliches Singledasein. Aber all diese äußerlichen Entwicklungen sagen nicht viel über das Innenleben von uns Frauen aus.
Viele der hier erzählten Lebensgeschichten sind geprägt durch die Beziehung der Frauen zu einem Mann. Häufig wird die Aussage gemacht (wörtlich oder sinngemäß): „Er machte mich klein.“ In vielen Beziehungen, die sich ihrem Ende zuneigten, „ließ er kein gutes Haar an mir“, „wertete meine Arbeit ab“, schlicht: versuchte der Mann meist erfolgreich, das Selbstbewusstsein der Frau zu untergraben.
Warum geschieht so etwas? Um die Frau am Fortgehen zu hindern, um sein eigenes Versagen zu vertuschen, als Ventil für Druck und Aggression aus der Arbeitswelt – die Gründe mögen vielfältig sein, aber das Ergebnis ist immer dasselbe: Das Selbstbewusstsein und damit die Selbstliebe der Frau nehmen ab, und so geschwächt lässt sie sich auf den nächsten Partner ein. Kommen dann noch belastende Situationen aus Beruf oder näherem Umfeld dazu, stoßen viele Frauen an ihre Grenzen. Eine negative Spirale, ein Ausstieg ist schwierig und braucht Kraft.
Die Frauen, die hier erzählen, haben es geschafft. Einige haben mit Krankheiten gelebt, andere wurden von Männern psychisch oder physisch misshandelt. Einige kämpften um das Sorgerecht ihrer Kinder oder um eine selbstbestimmte Geburt, und wieder andere folgten einfach ihrem Herzen und gestalteten ihr Leben aus sich heraus. Sie alle sind keine Superwomen, sondern Frauen von nebenan, die ihre innere Stimme gehört und sie ernst genommen haben. Sie alle waren einsam und auf sich selbst zurückgeworfen, sie alle haben in der Einsamkeit ihren Weg erkannt und die Kraft gefunden, ihn vertrauensvoll zu gehen.
„Mutig sein bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern es trotzdem zu machen.“ Dieser Satz aus dem Text von Karin Gümmer bringt es auf den Punkt. In welche Lebensumstände wir auch immer hineingeboren werden, welche „Schicksalsschläge“ uns ereilen, wir können jederzeit lernen, achtsam und aufmerksam uns selbst und unseren Bedürfnissen gegenüber zu sein. Wir können lernen, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen. Aller Angst zum Trotz.
Dabei gelten keine Argumente wie: „Aber ich trage die Verantwortung für meine Kinder, ich kann nicht einfach gehen.“ Oder „Wenn ich meinen Job künde, finde ich keinen neuen mehr.“ Oder „Mein Mann braucht mich, er bringt sich um, wenn ich ihn verlasse.“ Oder „Was denken meine Freunde und meine Familie, wenn ich nun plötzlich nur noch für mich schaue?“
Die persönliche Komfortzone zu verlassen – selbst dann, wenn sie bei genauem Hinsehen gar nicht so komfortabel ist, wie wir uns vormachen – kostet Überwindung. Zu einfach und verlockend ist es, sich dem allzu Vertrauten hinzugeben, dem Partner, dem Chef, der Familie, den Ärzten, den Lehrern oder den Freunden die Verantwortung für das eigene Befinden zu überlassen.
Ich gebe zu: Wer die Verantwortung abschiebt, kann durchaus auch ein Leben in Freiheit führen. Frei von Selbstbestimmung, Eigenverantwortung, kräftezehrenden Entscheidungsprozessen, anstrengender Beziehungsarbeit, kritischem Infragestellen gesellschaftlicher Normen. Frei von der Auseinandersetzung mit sich selbst, seinen ureigenen Bedürfnissen, Talenten und Begabungen. Es ist alles eine Frage der Perspektive. Und des Anspruchs an die eigene Zufriedenheit, das ganz persönliche Seelenheil.
In mir lebt die tiefe Überzeugung, dass wir auf dieser Welt sind, um das Potential, das in uns steckt, gewinnbringend zu entfalten. Gewinnbringend nicht dahingehend, dass wir davon steinreich werden und uns in einer Millionärsvilla hinter mannshohen Mauern von der Restwelt abschotten. Das wäre ein verkürztes Gewinnverständnis. Wir sind hier, um unsere ureigenen Stärken zu leben, sei es, dass sie sich darin äußern, anderen Menschen zu helfen, oder eine geniale Erfindung zu machen, die die Welt vor dem Ersticken im Plastikmüll rettet, oder kluge Texte zu produzieren, die zum besseren Verständnis des Lebens auf der Erde beitragen, oder um die Lederschildkröten vor dem Aussterben zu retten. Im Detail betrachtet ist es unwichtig, für welche Aufgabe wir hier sind, welchen Sinn wir für uns selbst entdecken. Es zählt lediglich, dass wir erkennen, weshalb wir leben.
Natürlich sind wir ein kleines Rad im Weltgetriebe. Aber wenn sich dieses kleine Rad mit Liebe dreht, dann wird sich auch das Nachbarrad mit Liebe drehen, und was auch immer wir bewegen, es wird besser sein, als es vorher war.
Darum lohnt es sich eben doch, sich auf den Weg zu machen. Nie aufzuhören Fragen zu stellen: Bin ich noch am richtigen Ort in meinem Leben? Nähren mich die Beziehungen, in denen ich stecke? Schlafe ich gut? Wache ich morgens mit Freude auf? Bekomme ich mindestens soviel Energie zurück, wie ich verbrauche? Spüre ich Liebe in mir?
Wenn ich eine einzige dieser Fragen mit nein beantworten muss, ist es Zeit, aufzubrechen. Nicht immer ist ein Rundumschlag notwendig. Nicht immer muss die Scheidung eingereicht, der Job gekündigt, aus dem Gesellschaftssystem ausgestiegen und ausgewandert werden. Erkenntnis ist der erste Schritt auf dem Weg zur Verbesserung. Das heißt nichts anderes, als dass meistens bereits das geschärfte Bewusstsein zu einer Verbesserung der Situation führt, indem kleine Veränderungen vorgenommen werden. Anstatt nach der Arbeit in facebook zu hängen, mache ich einen Spaziergang durch den Wald oder gehe in den Fitnessraum. Anstelle von fünf Tassen Kaffee trinke ich zwei Liter Kräutertee. Der Fernseher wird ausgeschaltet, wenn die Kinder von der Schule nach Hause kommen, und anstelle der Pizza vom Kurier kochen wir gemeinsam.
Doch trotz aller Achtsamkeit ist eine radikale Veränderung hin und wieder das einzig Richtige. Dann gilt es in erster Linie loszulassen. Das Vertraute – Positives wie Negatives –, die vermeintlichen Sicherheiten, vor allem aber die Angst vor der Veränderung und vor den Konsequenzen.
Alle Frauen in diesem Buch haben losgelassen. Einen Partner, ein Kind, gute Freunde, einen Job, eine Krankheit, ein vertrautes Umfeld, eine Illusion und nicht selten sich selbst oder zumindest die Hülle, von der sie glaubten, dass sie sie gewesen wären. Loslassen kann schmerzhaft sein, wird aber mit Freiheit belohnt.
Wenn wir loslassen gehen wir einen Schritt auf unserem eigenen Lebensweg, einen Schritt in die richtige Richtung. Und häufig brauchen wir Wegweiser auf unserem Weg durchs Leben. Diese Geschichten sollen als Wegweiser dienen. Sie sind so vielfältig, dass es wohl kaum eine Leserin geben wird, die nichts für sich selbst daraus mitnehmen kann. Und sei es schlicht die Erkenntnis, dass wir nicht allein sind auf dieser Welt mit unseren Herausforderungen. Die Geschichten sind Liebeserklärungen an sich selbst und an das Leben.
Wo fängt man eine Geschichte über sein Leben an? Ohne lange darüber nachzudenken, kam ich sofort zurück zu diesem unvermeidlichen Tag:
Kurz vor meinem 50. Geburtstag entdeckte meine Frauenärztin „etwas“ in meiner Brust. Ich versuchte sie – und mich – zu beruhigen, da ich in meinem Lebensplan keinen Platz für so „etwas“ wie Krebs hatte. Es folgten weitere Untersuchungen und ich fand mich auf der Onkologie wieder. Hier gehöre ich doch gar nicht hin, dachte ich zu Anfang, dies ist alles nur ein großer Irrtum.
„Ich hatte in meinem Lebensplan keinen Platz für so etwas wie Krebs.“
Mein Onkologe saß mit der Diagnose vor mir.
„Muss ich überhaupt etwas machen lassen?“ fragte ich ihn, „schließlich bin ich 50, geschieden und mich braucht kein Mensch auf der Welt.“
Er sagte ganz erstaunt: „Sie sind ERST 50!“
Was ging mir in diesem Moment durch den Kopf? Beide Brüste voller Krebs, Entfernung beider Brüste und vielleicht noch Chemotherapie? Zu diesem Zeitpunkt, wo mein Leben gerade wieder lebenswert wurde? Mein Leben flog wie im Zeitraffer an mir vorbei:
Kurz vor meinem 18. Geburtstag war ich zu Besuch bei meiner Oma in Koblenz und verliebte mich Hals über Kopf, sowohl in das Rheinland als auch in einen grünäugigen Binnenschiffer. Mit dem Abitur in der Hand und dem Vorsatz, jetzt Gärtnerin zu werden, startete ich in die große weite Welt, wobei der Binnenschiffer bereits nicht mehr an mich dachte. Egal.
Ich stürzte mich ins Leben, machte meine Ausbildung zur Gärtnerin, und einige Jahre vergingen, bis ich meiner großen Liebe begegnete. Morgens auf dem Parkplatz stieg neben mir ein junger Mann aus einem Auto und ich war hin und weg. Er begann im gleichen Baumarkt zu arbeiten wie ich. Meine Gedanken damals waren: Ein wunderschöner junger Mann, den will ich heiraten.
Doch vorerst kam es ganz anders. Es folgte ein ganzes Jahr, in dem nur die Fetzen flogen, da wir uns überhaupt nicht verstanden. Er kündigte schließlich und lud mich zum Essen ein, als Wiedergutmachung für den ganzen Ärger. Drei Tag später zog ich zu ihm, drei Monate später heirateten wir. Happy End! Zwei wunderbare Kinder zogen wir groß, kauften alte Häuser, die wir renovierten, gründeten ein Haustechnikunternehmen und wurden ein erfolgreiches Unternehmerpaar. Ein Vorzeigeehepaar, welches sich viele als Vorbild nahmen.
23 glückliche Jahre zogen ins Land und ich wurde immer kranker und fetter, dafür gibt es keine schöneren Worte. Ich bekam Migräne und war jeden Winter ständig erkältet. Die Spirale aus Reichtum anhäufen, erfolgreich sein und Probleme lösen drehte sich unaufhörlich. Ich hatte keinerlei finanzielle Sorgen und ein repräsentatives Zuhause – und fühlte mich dennoch seit bald 30 Jahren nie heimisch dort, wo ich war.
Irgendetwas stimmte nicht mit mir.
An einem 50. Geburtstagsfest saß ich alleine zwischen den Menschen und schaute urplötzlich von oben auf mich selbst herab. Was machst Du hier? Nächstes Jahr ist dies dein 50. – und dann?
Ich horchte in mich hinein, hatte irgendwie Angst, mir laufe die Lebenszeit davon. Und wo war meine Liebe zu dem Mann an meiner Seite geblieben? Ich fühlte mich leer und ausgelaugt.
Ein Besuch bei meinem Bruder in meiner Heimat Niedersachsen ließ mich aufleben, aber als ich wieder zurückfuhr, schnürte mir mein altes Leben erneut die Kehle zu. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Aus einer Trennung auf Probe wurde eine Scheidung, eine hässliche Geschichte, die ich heute noch bedauere, weil ich vielen Menschen sehr wehgetan habe.
Ein gutes halbes Jahr nach der Trennung und einem Umzug nach Niedersachsen merkte ich, dass ich wieder so gesund war wie früher. Ich hatte keine Migräne mehr, keine einzige Erkältung. Ich ordnete mein Leben neu, ging täglich schwimmen, genoss meine Freiheiten.
Und nun saß ich da mit der Diagnose, die erneut mein Leben auf den Kopf stellte: Brustkrebs Stufe G 3.
„Irgendeinen tieferen Sinn musste es doch haben, dass ich diese Krankheit jetzt bekam.“
Nach einer tränenreichen Nacht bei meinem Brüderchen und viel Wein entschloss ich mich, doch den Kampf gegen den Krebs aufzunehmen. Ich hatte zwar das Gefühl, mein Leben wäre erfüllt und ich hätte alles erlebt, was ich jemals hatte tun wollen, aber irgend einen tieferen Sinn musste es doch haben, dass ich diese Krankheit jetzt bekam.
Nach der OP wurde mir mitgeteilt, dass doch noch eine Chemotherapie notwendig sei. Wieder ging eine Welt für mich unter! Wie sollte ich das alleine bewältigen? Nur Krankengeld, kein Partner, der mir Händchen hielt. Verzweiflung machte sich breit, aber gleichzeitig kam mein Mut zurück. Mein Weg, mit diesem Schicksal fertig zu werden, war der, über Facebook alles zu veröffentlichen, was mir geschah. Ich musste mein Leid teilen, damit es leichter wurde. Und siehe da, ich bekam Unterstützung von Freunden und mir fremden Menschen. So viel Liebe bekam ich!
Ich verlor meine Haare, Augenbrauen und Wimpern und entdeckte, worauf es eigentlich ankommt als Mensch. Wenn nichts mehr deiner Äußerlichkeiten übrig bleibt, dann zählt nur noch deine Persönlichkeit.
Mein Versuch, möglichst wenig krank zu sein, um nicht ins Krankengeld zu fallen, schlug nach vier Monaten fehl. Freitags Chemotherapie und montags wieder ins Büro – mein Körper war irgendwann am Ende seiner Kräfte.
„Wenn nichts mehr deiner Äußerlichkeiten übrig bleibt, dann zählt nur noch deine Persönlichkeit.“
Doch irgendwann hatte ich die letzte Chemo hinter mir. Geschafft! Es folgte eine Reha, und dann kam ich zurück ins Leben.
Dachte ich. Aber es gab kein Zurück mehr. Es fühlte sich alles falsch an. Ich suchte meinen Weg und fand ihn nicht mehr. In mir dominierte das Gefühl, von dieser ganzen Zuwendung, die ich in meinen dunklen Stunden bekommen hatte, einen Teil an die Menschen zurückgeben zu wollen. Ich ließ mir meinen Leitspruch auf den Oberarm tätowieren: Follow your heart.
Ich suchte mir einen neuen Arbeitsplatz in meinem alten Beruf als Gärtnerin. Mit 51 Jahren und 80% Behinderung geht das nicht, war der Tenor in meinem Umfeld. Es klappte binnen eines Tages. Ich erholte mich körperlich und seelisch immer mehr, genoss meine zweite Chance auf ein neues Leben und erlangte nach und nach mein Selbstbewusstsein wieder. Zwei Jahre vergingen, und Schritt für Schritt sah ich klarer und lebte jeden Tag bewusster.
Dann kam dieses vollkommen verrückte Jahr 2018. Ich fand eine neue Wohnung in einem alten Bauernhof, und bei der ersten Besichtigung hatte ich das Gefühl: Ja, hier bin ich angekommen. Ich hörte noch mehr auf mein Herz, trennte mich von unguten Beziehungen und machte mich endlich frei. Diese Energie, die dadurch ins Fließen kam, trug mich immer weiter. Wie ein Puzzle fügten sich plötzlich alle Teile zusammen.
In meine Heimat zog Richard ein, ein gehörloser alter Kater, der mir die Angst vor dem Alleinsein nahm. Geduldig sein und loslassen können. Immer und immer wieder und jeden Moment genießen. Ich fühlte mich endlich auch als Frau wieder attraktiv.
Eines Tages rief mich eine Freundin an, die ich vor drei Jahren in der Onkologie kennengelernt hatte. Ihr Krebs war wieder da und sie machte sich auf den Weg zu sterben. Ich begleitete sie auf die Palliativstation und eine Seelsorgerin kam an ihr Bett.
Dieser Augenblick, als diese Frau sprach, war für mich wie eine Erleuchtung, auch wenn das jetzt kitschig klingen mag. In diesem Moment wusste ich, wohin mein Weg führen musste: Ich wollte bei diesen Menschen sein, die niemanden hatten, die Leid alleine ertragen mussten, die eine Hand brauchten, ein Herz, das für sie schlug, und eine liebevolle Umarmung. Diese Liebe, die ich geben konnte, kam tausendfach zurück, erfüllte mich mehr als es jemals ein Mann in meinem Leben vermochte.
Mittlerweile bin ich ehrenamtlich im Krankenhaus und bei Besuchsdiensten tätig und diese Arbeit ist sinnvoll. Ja, SINNVOLL!
„Ich habe Krebs bekommen, um mich von einer leeren Hülle in einen offenen, liebenden Menschen zu verwandeln.“
Aber hat mir das gereicht? Nein! Ich habe mein Heim geöffnet. Wieder über Facebook biete ich nun mein Gästezimmer Menschen an, die eine Auszeit brauchen, aus welchen Gründen auch immer. Wir kochen zusammen, arbeiten im Garten und tauschen uns aus. Ich lerne dabei viel über mich selbst und jeder meiner Gäste nimmt auch etwas mit in sein Leben, wenn er meine Geschichte hört.
Meine Geschichte ist noch lange nicht zu Ende. Ich habe Krebs bekommen, um mich von einer leeren Hülle in einen offenen, liebenden Menschen zu verwandeln. Ich habe eine Aufgabe bekommen, durch mein Vorbild etwas zu verändern. Vielleicht nur mit kleinen Kreisen, aber es werden täglich mehr.
Zurück zu diesem verrückten Jahr 2018. Ich habe mittlerweile einen Karrieresprung hingelegt und werde Gartencenterleiterin (mit jetzt 53!). Ich habe bei www.brustkrebstattoos.de gewonnen und ein kostenloses Narbentattoo bekommen und ich darf an diesem Buch mitschreiben.
Es kommt alles zurück, was man sät, und ich säe Liebe in die Welt, denn meine Liebe ist für alle da.
Ich wurde 1980 in Polen geboren, wo ich die ersten sieben Jahre meines Lebens verbrachte, gemeinsam mit meiner Zwillingsschwester, einer älteren Schwester sowie meinen Eltern. Mein Vater war ein bekannter und begehrter KfZ-Meister, der eine eigene Werkstatt führte, die einzige in einem weiten Umkreis. Er arbeite Tag und Nacht, wir Kinder bekamen nicht viel von ihm mit. An seiner Stelle war mein Großvater für uns da, sein Vater. Für uns Kinder am Wichtigsten war meine Mutter, die mit uns viel Arbeit und viele Sorgen hatte. Meine Zwillingsschwester und ich waren oft krank. Meine Mutter ist sehr liebevoll, sie ist für Kinder geboren.
Als ich fünf Jahre alt war, verließ mein Großvater auf Drängen seiner zweiten Frau Polen und fuhr zu ihr nach Deutschland. Von dort aus schrieb er eine Einladung für unsere Familie, damit wir nachkommen konnten. Das war 1985, also nur wenige Jahre vor der Öffnung der Grenzen.
Mein Vater wollte ihm unbedingt folgen, er hatte all sein Vermögen für diese Reise gespart und erhoffte sich ein besseres Leben in Deutschland. Meine Mutter und wir Kinder verstanden nicht, warum er unsere Heimat verlassen wollte. Es ging uns in Polen sehr gut, wir waren anerkannt und hatten viele Freunde.
1988 fuhren wir dann auch nach Düsseldorf. Aber anstatt zu meinem Großvater kamen wir in Flüchtlingsheime. Wir verstanden kein Wort Deutsch und konnten uns nicht wehren. Wir hatten gehofft, mein Großvater würde uns helfen, aber plötzlich stießen wir auf Ablehnung.
„Wenn ihr glaubt, dass wir euch helfen, so täuscht ihr euch.“ Das waren die Worte von Vaters Stiefmutter. Für mich war es das Schlimmste, nach der langen Trennungszeit vor meinem Großvater zu stehen und nicht von ihm in den Arm genommen zu werden. Wahrscheinlich traute er sich vor seiner Frau nicht, die ihn unter Kontrolle hatte und die viel Unfrieden und Streit in unsere Familie brachte.
Meine Eltern lernten rasch Deutsch und fanden beide in kurzer Zeit eine Arbeit. Während mein Vater anfangs in der Schwermetallverarbeitung und später wieder in der Autobranche tätig war, ließ sich meine Mutter, die gelernte Hebamme war, zur Altenpflegerin umschulen und arbeitete in einem Altersheim.
Beide arbeiteten sehr hart. Trotzdem waren wir plötzlich angewiesen auf Kleider- und Spielzeugspenden. Meinem Vater machte das alles sehr zu schaffen. Sein Traum von der großen Freiheit war zerplatzt, und in uns Kindern fand er immer öfter ein Ventil für seinen inneren Druck und seine Frustration.
Wir Mädchen wurden eingeschult und lernten Deutsch. Da unsere Eltern mit der Arbeit überlastet waren, waren wir oft auf uns allein gestellt und mussten früh selbständig werden. Rückblickend empfinde ich es so, dass ich mit dem Umzug nach Deutschland meine Kindheit verloren habe.
Nach der obligatorischen Schulzeit entschied ich mich gegen den Willen meines Vaters fürs Fachabitur und stieg in die Immobilienbranche ein. Ich machte die Ausbildung zur Immobilienmaklerin in einer renommierten Firma, die Immobilien in der oberen Preisklasse verkaufte.
„Ich dachte, ein Mann, eine Partnerschaft, würden mich glücklich machen.“
Mit 23 Jahren zog ich auf Wunsch der Firma nach Salzburg. Aus dem einen Jahr, das ich ursprünglich in Österreich verbringen wollte, wurden zehn. Ich fühlte mich in Salzburg nie wohl, kam nie richtig dort an. Ich hatte große Sehnsucht nach meiner Familie, ich bin hochsensibel und tief emotional.
Ich dachte, ein Mann, eine Partnerschaft, würden mich glücklich machen und ging darum immer wieder verschiedene Beziehungen ein. Die Trennungen taten sehr weh und brauchten Zeit. Dann versuchte ich, das Alleinsein als Bereicherung zu sehen, aber so richtig, ehrlich, gelang es mir nicht.
2008 lernte ich einen bekannten und begehrten Junggesellen kennen, Vater von zwei Kindern mit einer Villa auf dem Millionärshügel. Er war ein Macher, ein energiegeladener Sportler, ein Mensch, der immer in Bewegung war und immer Abwechslung brauchte. Er träumte von einer gemeinsamen Zukunft mit mir und sorgte sich um mich. So motivierte er mich dazu, mich beruflich selbständig zu machen, was ich 2011 auch wagte. Ich bekam die Immobilienmaklerkonzession und gründete meine eigene Firma.
Die Selbständigkeit tat mir gut. In den Jahren davor hatte ich mich zum Workaholic entwickelt, viel zu viele Überstunden gemacht, war gesundheitlich ständig angeschlagen gewesen bis hin zum Burnout. Mit meiner eigenen Firma arbeitete ich nun netto drei Monate pro Jahr und die restliche Zeit nutzte ich für mich, um mich zu erholen. Ich unternahm Skitouren und stieg auf Berge. Mein Job als Immobilienmaklerin ermöglichte mir diesen Freiraum. Mit etwas Glück finanzierte mir der Verkauf einer einzigen Immobilie ein ganzes Jahr. Ich lebte immer bescheiden, in Mietwohnungen, um mich nicht zu binden, sondern mir die Freiheit zu bewahren, jederzeit abbrechen und neu anfangen zu können.
Unsere Partnerschaft war ein ständiges Auf und Ab. Trotzdem zog ich 2013 zu meinem Freund in seine Villa, denn trotz aller Zwistigkeiten war er meine große Liebe und ich wollte herausfinden, ob es nicht doch langfristig klappen könnte. Doch die Unstimmigkeiten wurden immer größer und häufiger. Unter anderem sehnte ich mich schon immer nach eigenen Kindern, und obwohl er zu Beginn unserer Beziehung auch damit einverstanden gewesen war, wollte er später nichts mehr davon wissen. So zog ich nach wenigen Monaten und einer schmerzhaften Trennungsphase wieder aus.
In der Wohnung eines Freundes fand ich Unterschlupf, begrenzt auf ein Jahr. In diese Wohnung verliebte ich mich richtiggehend und fühlte mich zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Salzburg zuhause. Gerne wäre ich dort geblieben, ich fand dort meine Mitte.
„Ich wollte mich außerhalb all dieser Systemzwänge kennenlernen, herausfinden, wofür ich wirklich brannte, wofür mein Herz schlug.“
Doch das Leben gönnte mir keine lange Atempause. Kurz nach meinem Umzug starb mein geliebter Großvater. Der Verlust traf mich, obwohl ich froh war, dass er nach zehn Jahren von seiner Alzheimer Erkrankung erlöst wurde. Trotz Drängen und Unverständnis meiner Familie reiste ich nicht zu seiner Beerdigung nach Düsseldorf, sondern fuhr mit einer Freundin nach Griechenland. Wir hatten die Reise schon lange im Voraus geplant, und es fühlte sich für mich richtig an, dort von meinem Großvater Abschied zu nehmen. Während einer Woche machte ich täglich Zeremonien für ihn, schrieb ihm Briefe und verabschiedete ihn, auf einem Hügel, umgeben von Steinen mit Blick aufs Meer. Ich konnte ihn loslassen und spürte gleichzeitig seine enorme Liebe – gerade so, als ob sie jetzt, mit seinem Tod, wieder frei fließen konnte, ohne Einschränkung durch seine Frau.