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Jeder Schurke hat seine Schwäche. Sie ist meine.
Es braucht mehr als einen Kopfschuss, um einen Typen wie mich zu töten, aber die Bastarde haben mich erwischt.
Das muss ich ihnen lassen.
Sie haben mich so gut erwischt, dass ich, als ich endlich wieder aufwache, feststellte, dass ich wochenlang im Koma lag.
Nicht Tage. Wochen.
Und das Seltsame ist, dass ich mich an nichts was an diesem Tag passierte erinnern kann. Nicht daran, wer mich gerettet hat, nicht daran, wie die Sanitäter ankamen. An nichts.
Aber ich weiß noch, wer ich bin. Ich tue aber so, als ob ich es nicht wüsste.
Glaubt mir, so ist es sicherer.
Sicherer für mich, für die Leute, die an der Sache beteiligt sind, und für die fremde Frau, die neben meinem Bett sitzt, als ich aufwache.
Sadie ist diejenige, die mich im Wald gefunden hat. Sie ist diejenige, die den Notruf gewählt hat. Und wie ich bald herausfinde, ist sie auch die einzige Person, die mich seit Wochen besucht hat.
Ich mag es zwar nicht, anderen einen Gefallen zu schulden, aber selbst ich muss zugeben, dass ich ihr mein Leben verdanke.
Wenn sie als Gegenleistung nur einen falschen Freund braucht, dann werde ich genau das sein.
Ich muss mir immer wieder vor Augen führen, dass es nur ein Schauspiel ist. Um unser beider willen...
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Urheberrecht © 2022 von Willow Fox
Alle Rechte vorbehalten.
v3
Übersetzt von uragaan.
Lektorat durch danieltierbs.
Gefährlicher Boss Von Willow Fox
Gebrüder Bratva Buch Fünf
Cover Design by MiblArt
Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen elektronischen oder mechanischen Mitteln, einschließlich Informationsspeicher- und -abrufsystemen, ohne schriftliche Genehmigung des Autors vervielfältigt werden, es sei denn, es handelt sich um kurze Zitate in einer Buchbesprechung.
Über dieses Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Epilog
Werbegeschenke, kostenlose Bücher und mehr Goodies
Über die Autorin
Auch von Willow Fox
Jeder Schurke hat seine Schwäche. Sie ist meine.
Es braucht mehr als einen Kopfschuss, um einen Typen wie mich zu töten, aber die Bastarde haben mich erwischt.
Das muss ich ihnen lassen.
Sie haben mich so gut erwischt, dass ich, als ich endlich wieder aufwache, feststellte, dass ich wochenlang im Koma lag.
Nicht Tage. Wochen.
Und das Seltsame ist, dass ich mich an nichts was an diesem Tag passierte erinnern kann. Nicht daran, wer mich gerettet hat, nicht daran, wie die Sanitäter ankamen. An nichts.
Aber ich weiß noch, wer ich bin. Ich tue aber so, als ob ich es nicht wüsste.
Glaubt mir, so ist es sicherer.
Sicherer für mich, für die Leute, die an der Sache beteiligt sind, und für die fremde Frau, die neben meinem Bett sitzt, als ich aufwache.
Sadie ist diejenige, die mich im Wald gefunden hat. Sie ist diejenige, die den Notruf gewählt hat. Und wie ich bald herausfinde, ist sie auch die einzige Person, die mich seit Wochen besucht hat.
Ich mag es zwar nicht, anderen einen Gefallen zu schulden, aber selbst ich muss zugeben, dass ich ihr mein Leben verdanke.
Wenn sie als Gegenleistung nur einen falschen Freund braucht, dann werde ich genau das sein.
Ich muss mir immer wieder vor Augen führen, dass es nur ein Schauspiel ist. Um unser beider willen...
Sadie
Peng! Ein Schuss hallt durch den Wald. Er kam aus der Ferne. Die Bäume sind dicht bewachsen und das Sonnenlicht wird durch das Dickicht der Blätter blockiert.
Ich sollte in die entgegengesetzte Richtung laufen und mich von der gefährlichen Situation da vorn fernhalten, aber es gibt nur einen Weg und wenn ich umdrehe, muss ich noch zehn Meilen weiterlaufen.
Ich bin fast wieder an meinem Auto.
Noch zwei Meilen.
Meine Schwester hat mir immer gesagt, dass ich nicht allein wandern soll. Sie warnte mich, dass gefährliche Männer in den Wäldern gerne Frauen entführen, die in Menschenhändlerringe verwickelt sind.
Wandere nie allein.
Sie war immer ein wenig übervorsichtig. Ich kann ihr ihre Ängste nicht verübeln. Sie hat schlechte Erfahrungen auf dem College gemacht, ihr Studium abgebrochen und ist zu Hause bei Mama und Papa eingezogen.
Aber wir sind uns nicht ähnlich.
Ein zweiter Schuss ertönt, nicht ganz in Folge. Als ob es einen Kampf gegeben hätte. Ich kann mir ein Dutzend verschiedene Szenarien ausmalen.
Die Reifen quietschen, es wird Staub aufgewirbelt, als das Fahrzeug eilig davon fährt.
Ich jogge abseits des ausgetretenen Pfades in Richtung der Stelle, an der kurz zuvor die Schüsse gefallen sind. Das Fahrzeug ist verschwunden. Die Gefahr muss auch nicht mehr unmittelbar bevorstehen.
Ich kenne die Stelle nicht genau. Die Bäume sehen alle gleich aus. Ich weiß nicht, wonach ich suche, als ich über seinen warmen, leblosen Körper stolpere.
Sein Teint ist blass und Blut tropft von seiner Stirn. Er hat eine frische Schusswunde an der Schläfe. Wer auch immer ihn erschossen hat, hat ihn zum Sterben zurückgelassen.
Ich lasse mich auf die Knie fallen und suche nach seinem Puls. Er ist schwach und auf seiner porzellanfarbenen Haut stehen Schweißperlen, die sich mit Blut vermischen.
Ich hole mein Handy aus der Tasche, wähle den Notruf und gebe meinen Standort an, so gut ich kann und was ich weiß, was aber nicht viel ist.
„Beeilt euch“, sage ich.
Die 9-1-1-Mitarbeiterin lässt mich nicht auflegen. Sie hält mich in der Leitung. „Atmet er?“
Ich beuge mich nach unten und spüre, wie ein leiser Atemzug aus seiner Lunge entweicht. „Kaum“, sage ich. „Sein Puls ist sehr schwach.“
„Hilfe ist auf dem Weg. Sie sollten bald da sein.“
Ich stelle das Telefon auf Lautsprecher und durchsuche die Taschen des Sterbenden nach einem Ausweis. Er hat keine Brieftasche bei sich. Keine Schlüssel. Kein Telefon.
Hatte ihn jemand hierhergefahren, um ihn zu töten und seine Leiche zu entsorgen?
Tattoos bedecken seine Arme. Sein Bart ist dicht und passt zu seinen Haaren. Selbst in der Bewusstlosigkeit strahlt er eine gewisse Rauheit aus.
„Wer bist du?“, flüstere ich.
Er antwortet nicht.
Die Rettungssanitäter treffen ein und als sie uns im Wald abseits der ausgetretenen Pfade finden, bin ich mir nicht sicher, ob der gut aussehende Fremde noch am Leben ist. Ich versuche, einen Puls zu finden. Er ist schwach, aber er ist da.
Ich sollte weggehen, zu meinem Auto zurückkehren und nie wieder an ihn denken.
Das wäre eine kluge Entscheidung.
Jemand will ihn tot sehen. Wenn er überlebt, macht das ihren Plänen einen Strich durch die Rechnung.
* * *
Ich erfahre von den Sanitätern den Namen des Krankenhauses und eile zurück zu meinem Auto. Soll ich ihnen folgen oder nach Hause fahren und mich umziehen?
Allie verbringt den Monat als Junior Counselor mit ihren Freunden im Sommercamp, was mir zumindest Zeit gibt, die Katastrophe zu verarbeiten, die gerade passiert ist.
Ich folge dem Krankenwagen zum Krankenhaus, nicht dass ich über die Krankenwageneinfahrt oder die Doppeltüren hineingelassen werde. Ich gebe dem Krankenhaus alle Informationen, die ich habe, und werde gebeten, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Ich sollte nach Hause gehen und duschen. Das Blut klebt an meiner Jeans und mein Hemd ist befleckt.
Wenigstens ist es nicht mein Blut.
Zwei Polizeibeamte sprechen mit der Krankenschwester am Schalter, bevor sie auf mich zeigen. Ich presse meine Lippen zusammen und atme scharf ein, als sie sich nähern.
„Ma'am, Sie waren am Tatort der Schießerei?“, fragt der Beamte.
Ich stehe auf, um auf gleicher Höhe mit ihnen zu sein, wenn ich ihre Fragen beantworte. „Ich habe Schüsse gehört“, sage ich. Es ist mir unangenehm, mehr zu verraten. Ich weiß nicht, was passiert ist, und ich will nicht in einen Krieg zwischen Dieben und gefährlichen Männern hineingezogen werden.
Er ist gefährlich. Das spüre ich und hätte bei der ersten Gelegenheit, die sich mir bot, nachdem ich den Notruf gewählt hatte, zu meinem Haus flüchten sollen.
Ich bin kein Unmensch. Ich würde keinen Menschen zum Sterben zurücklassen, wie der Mann aus dem Fahrzeug. Ich kann nur vermuten, dass es ein Mann war, es sei denn, es handelte sich um einen Streit unter Liebenden, der in einem Mordversuch endete.
„Haben Sie etwas gesehen?“, fragt der Beamte und holt seinen Notizblock und Stift hervor, um meine Aussage zu dokumentieren.
„Nein.“
„Kennen Sie den Namen des Mannes, der erschossen wurde?“
Ich schüttle den Kopf. „Nein. Ich habe ihn heute das erste Mal gesehen.“
„Wie viele Schüsse haben Sie gehört?“, fragt der Beamte.
„Zwei“, sage ich, und die beiden Beamten tauschen einen stummen Blick aus. Nur einer hat die ganze Zeit über gesprochen. Der andere wirkt jünger, als wäre er ein Neuling in der Ausbildung.
„Und Sie haben keine anderen Opfer oder den Täter gesehen?“
„Was? Nein.“ Wurde noch jemand erschossen? Könnte es der Fahrer gewesen sein, der den Mann zum Sterben zurückgelassen hat?
„Was ist mit einem Fahrzeug?“, fragt der Beamte. Er tippt mit der Spitze seines Stifts auf seinen Notizblock.
„Ein schwarzer Geländewagen. Er war dunkel und weit weg. Es könnte aber auch Marineblau gewesen sein“, erzähle ich, ohne mich genau zu erinnern. Die Reifen quietschten und er ist schnell weggefahren.
Er notiert sich das und gibt mir seine Karte. „Wenn Ihnen noch etwas einfällt.“
Die beiden Beamten kehren zum Schalter zurück, sagen etwas zu der Frau und dann öffnen sich die Doppeltüren und sie werden nach hinten durchgelassen.
Beabsichtigen sie, den Fremden aus dem Wald zu verhören? Ich bezweifle, dass er in seinem Zustand in der Lage ist, viel zu sagen.
Ich setze mich wieder auf die kratzigen, gepolsterten Stühle im Wartezimmer des Krankenhauses. Der Fernseher ist eingeschaltet; der Ton ist stumm geschaltet, aber die Untertitel laufen. Ich kann kaum zwei Worte auf dem Bildschirm zusammensetzen. Mein Verstand ist wie benebelt.
Eine Stunde später, oder vielleicht auch zwei Stunden, die Zeit schein stehengeblieben zu sein kommt ein Arzt hinter den Doppeltüren hervor. „Sind Sie mit dem vorhin eingelieferten John Doe hier?“, fragt er und schaut mich an.
Das Blut an meiner Kleidung ist ein guter Indikator. „Ja“, sage ich.
Der Arzt kommt näher und ich atme scharf ein.
Sind es schlechte Nachrichten?
Wird er mir sagen, dass er es nicht geschafft hat?
„Wir haben es geschafft, die Kugel zu entfernen, aber aufgrund der Schwellung im Gehirn und des Fiebers haben wir ihn in ein künstliches Koma versetzt. Wir werden seine Vitalfunktionen und seine Gehirnaktivität weiter überwachen. Er ist noch nicht über den Berg.“ Der Arzt verzieht bei dieser Bemerkung das Gesicht. „Darf ich vorschlagen, dass Sie nach Hause gehen und duschen, wenn Sie vorhaben, hierzubleiben? Wir werden noch eine ganze Weile nichts wissen.“
„Danke“, sage ich.
Ich höre auf seinen Rat. Als er durch die Doppeltür verschwunden ist, verlasse ich das Krankenhaus und gehe zu meinem Auto im Parkhaus.
Warum bin ich hierhergekommen? Was hatte ich gehofft, tun zu können?
Ich kann nicht ändern, was passiert ist.
Eine ängstliche Energie strömt durch mich hindurch. Ich kann nicht still sitzen und meine Wanderung hat nicht dazu beigetragen, dass ich müde geworden bin. Das muss an dem zusätzlichen Adrenalin liegen.
Ich fahre durch die Stadt nach Hause in meine Wohnung. Ich betrete das Badezimmer ziehe mich aus und dusche. Blut fließt in den Abfluss. Ich bin erleichtert, dass es nicht meins ist, aber ich sehe immer wieder sein Gesicht, an dem sich das Blut um seinen Kopf sammelt.
Das Geräusch von quietschenden Reifen hallt in meinem Kopf wider.
Jemand wollte seinen Tod. Aber wer? Und warum? Ich sollte mich vom Krankenhaus und von ihm fernhalten, aber ich kann meine Neugierde nicht unterdrücken.
Es hilft auch nicht, dass meine Tochter Allie für die nächsten Wochen verreist ist. Auf ihren Wunsch hin habe ich sie als Junior Counselor ins Sommercamp geschickt. Alle ihre Freunde sind dieses Jahr Junior Counselor und sie wollte auf den Freiwilligenzug aufspringen und ihnen folgen.
Das macht mir ehrlich gesagt nichts aus. Es ist gut für sie, den Sommer über aus der Wohnung heraus zu sein. Mit ihren dreizehn Jahren ist sie noch zu jung für einen Job, abgesehen von dem gelegentlichen Babysitten, das sie bei der Frau mit dem Kleinkind in unserem Haus übernimmt.
Ich sprühe mich mit Deo ein und lasse den Gestank und die Beweise dafür, worin ich verwickelt war, zusammen mit der Angst verschwinden. Ich liebe Kriminalfilme. Ich liebe Filme, die voller Spannung sind. Das hier ist das ultimative Mysterium; ich kann nicht einfach nur dasitzen und von der Seitenlinie aus zusehen.
Ich möchte Antworten. Und ich werde sie nicht in meinem Haus bekommen.
Nachdem ich geduscht und mich angezogen habe, esse ich einen kleinen Happen, bevor ich ins Krankenhaus zurückkehre. Ich habe den Nachmittag frei, obwohl ich ein paar Besorgungen machen und die Wohnung aufräumen muss, scheint das alles nicht wichtig zu sein.
Ein Mann wäre heute fast gestorben.
Es wurden zwei Schüsse abgefeuert.
Hatte es nach dem ersten Schuss einen Kampf gegeben? Könnte das der Grund für die Verzögerung zwischen den Schüssen sein? Oder war noch jemand anderes angeschossen worden? Die Polizei wusste etwas, aber sie hat nichts gesagt.
Was zum Teufel ist da draußen im Wald passiert?
* * *
Als ich zurück im Krankenhaus bin, gehe zu seinem Krankenzimmer, bleibe aber auf dem Flur stehen, bevor ich in sein Zimmer schaue.
Es gibt keine Blumen, keine Gäste oder Besucher an seinem Bett. Die Jalousien sind geöffnet und lassen ein warmes, bernsteinfarbenes Licht in den Raum fallen. Die grellen Leuchtstoffröhren über dem Bett sind ausgeschaltet.
Er hat seinen Anzug, der am Kragen mit Blut verkrustet war, nicht mehr an. Seine Augen sind geschlossen. Er liegt regungslos, schlafend in einem blassgrünen Krankenhauskittel da. Eine weiße Decke bedeckt ihn bis knapp über die Taille.
Seine Arme liegen an der Seite. Außerhalb der Decke ist ein Arm an eine Infusion angeschlossen. Beide Arme sind mit Tattoos bedeckt, Dutzende davon mit komplizierten Mustern.
Unter seinem Krankenhauskittel sind bunte Kabel versteckt, die durch die Ärmel und den oberen Teil des Kittels herausschauen und an einen Monitor angeschlossen sind.
Sie überwachen seinen Herzschlag und seine Vitalwerte.
Er ist still, unbeweglich. Er schläft.
Das Krankenhausarmband an seinem linken Handgelenk zeigt an, dass er John Doe ist.
Mein Telefon klingelt und ich hole mein Handy aus der Handtasche. Ein Lächeln huscht über meine Züge, als ich sehe, dass Allie mir eine SMS schreibt. Sollte sie nicht mit den Bastel- oder Wasseraktivitäten für Kinder im Camp beschäftigt sein?
Mama, ist alles in Ordnung? Warum bist du im Krankenhaus?
Ich ziehe meine Unterlippe zwischen die Zähne. Ich habe eine Tracking-App auf meinem Handy, mit der ich sehen kann, wo meine Tochter ist. Wir haben es so eingestellt, dass es in beide Richtungen geht und sie auch sehen kann, wo ich mich aufhalte.
Ja, ich besuche nur einen Freund. Wie ist das Camp? Schreibe ich zurück.
Welcher Freund?
Sie vermeidet es, meine Frage zu beantworten.
Ich erzähle es dir, wenn du zu Hause bist. Es gibt zu viel zu tippen, und ich will sie nicht beunruhigen. Außerdem, was genau würde ich schreiben, dass ich einen gut aussehenden Mann gefunden habe, der ermordet und dem Tod überlassen wurde?
Seufzend möchte ich nicht einmal vor mir selbst zugeben, dass er gut aussieht. Denn das ist nichts, was ich bereit wäre, einzugehen.
Seit Allie geboren wurde, habe ich es vermieden, etwas Ernstes mit einem Mann anzufangen. Bei dem Gedanken, sie einem Mann vorzustellen, dreht sich mir der Magen um, und ich möchte nicht, dass sie sich an ihn bindet und es ihr das Herz bricht, wenn es nicht klappt.
Allie ist und war immer meine Priorität. Ich will vor allem, dass sie glücklich ist. Obwohl sie jetzt älter ist und nicht mehr so oft da ist, hauptsächlich in diesem Sommer, halte ich es für keine gute Idee, mich in eine Sommeraffäre zu stürzen.
Eine Krankenschwester betritt das Krankenzimmer und misst seine Vitalwerte. „Gehören Sie zur Familie?“, fragt sie und blickt zu mir herüber. Ihre Augen sind voller Hoffnung.
Ich zögere. Wenn ich nein sage, werden sie mich wahrscheinlich nicht bleiben lassen. Und warum sollte ich überhaupt hier sein?
Mein Schweigen ist Antwort genug.
Sie seufzt leise und tippt auf die Tastatur, um seine Vitalwerte aufzuzeichnen. „Schön, dass er wenigstens jemanden hat“, sagt die Krankenschwester und schenkt mir ein schwaches Lächeln.
Ich wende meinen Blick ab und schaue auf den schlafenden Mann hinunter. Seine Arme sind mit Tattoos bedeckt, und oben, an seinem Kittel, lugt ein Sterntattoo hervor. Es ist deutlich. Kühn. Unvergesslich.
Ich habe diesen Stern schon einmal gesehen. Das Bild brennt sich in mein Gedächtnis ein. Das muss ein Zufall sein.
„Bitte, Tante Sadie“, fleht Olivia und drückt mir das Virtual-Reality-Headset in die Hand.
„Ich würde dir lieber beim Spielen zusehen.“
„Das ist langweilig.“ Allie rollt mit den Augen. „Niemand möchte jemandem beim Spielen eines Videospiels zusehen.“
Allie hat nicht unrecht, aber ich bin schrecklich in Videospielen. Es ist Jahre her, dass ich mich mit einem Nintendo vor einen Fernseher gesetzt habe. Das ist mir fremd. Ich nehme das weiße Headset und setze es mir auf den Kopf. Olivia kommt von hinten und zieht die Riemen fest, damit sie gut sitzen.
„Ist das gut so?“, fragt sie.
Das Headset wackelt nicht mehr auf und ab. Es sitzt sicher. „Ja. Was soll ich denn jetzt machen?“ frage ich.
Sie drückt mir die Controller in die Hand. „Klick auf das Feld für Orc Hunter.“
Orc Hunter ist zufällig ihr Lieblingsspiel. Mit Pfeil und Bogen auf Orks, Drachen und andere Fabelwesen schießen. Olivia hat es geschafft, Allie zu überreden, so oft wie möglich mit ihr zu spielen, wenn sie zusammen sind.
„Mama, können wir auch ein VR-Headset bekommen? Es würde so viel Spaß machen, mit Olivia zu spielen, wenn wir nicht zusammen sind“, sagt Allie.
Ich wusste, dass sie mich nicht nur spielen ließ, weil es langweilig ist, nur zuzusehen. Die Mädchen haben immer einen Plan ausgeheckt. Schon als Kinder haben sie versucht, mich mit meinem Nachbarn zu verkuppeln. Er war der nächste männliche Single in der Nähe. Das Einzige, was wir gemeinsam hatten, war, dass wir beide gerne mit Männern ausgingen.
Ich klicke das Kästchen für Orc Hunter an und warte, bis das Spiel geladen ist. „Bist du sicher, dass du nicht spielen willst?,“ frage ich und versuche, das Headset wieder an Olivia oder Allie zugeben.
Olivia kichert, gibt aber nicht klein bei. „Nein, das machst du allein. Wir können auf mein Telefon casten, dann kann ich sehen, was du machst, wenn du spielst.“
„Wunderbar“, murmele ich vor mich hin. Die Mädchen werden sich über mich lustig machen können.
„Klick auf Multi-Player“, weist Olivia mich an, während sie von ihrem Handy aus zusieht.
„Ernsthaft?“ Ich habe noch nicht einmal gelernt, wie man spielt, und sie wirft mich mit anderen Leuten zusammen.
„Einmal musst du es ja lernen.“ Allie kichert.
„Such dir einfach einen Raum aus, der offen ist“, sagt Olivia. Sie spielt schon seit einer Weile Orc Hunter.
Vier Spiele sind offen, und ich springe in eines auf Welle 34. Das ist die niedrigste Welle, die ich sehe. Die Zahl steht vermutlich für das Level.
Ich stürze mich in das Spiel und es dauert ein paar Minuten, bis ich den Dreh raus habe, wie man mit Pfeil und Bogen schießt. Der Controller vibriert leicht vor Spannung, als ich den Bogen zurückziehe. Ich ziele und schieße, verfehle mein Ziel aber völlig.
Orks pirschen in verschiedenen Farben auf das Tor zu, von leuchtend orange, wie Käseflips, bis zu grauen, Stachel behelmten Kobolden.
„Hey, Olive“, ertönt eine junge Frauenstimme durch das Headset.
„Hallo?“ Ich habe gar nicht bemerkt, dass ein Mikrofon eingeschaltet ist und die anderen Spieler mich hören können!
„Meine Tante spielt“, ruft Olivia aus der Nähe. Sie ist weit genug weg, damit ich sie nicht anremple, da ich außerhalb des Headsets nichts sehen kann, aber laut genug, dass die anderen Spieler mich hören können.
Ich schieße einem Ork in die Brust. „Warum ist er nicht gestorben?“ Der Ork hebt die Axt in seiner Hand und wirft sie mir an den Kopf.
„Duck dich!“, schreit Olivia.
Aber es ist zu spät.
Ich ziehe eine Grimasse und zucke zusammen, als ein roter Bildschirm mich warnt, dass ich raus bin.
„Ist schon gut. Du kommst in der nächsten Welle wieder“, ermutigt mich Olivia, während ich auf die Anzeigetafel starre.
Ich bin schlecht, aber es könnte schlimmer sein in Anbetracht dessen, dass ich zum ersten Mal spiele.
Ich will nicht zugeben, dass es sogar für ein paar Sekunden Spaß gemacht hat, zu spielen.
Ein anderer Spieler springt in meine Box, in der ich stehe, und schießt mit einem Pfeil auf mich. „Du bist wieder da“, sagt er. Er hat einen dicken russischen Akzent und man merkt an seinem Tonfall, dass er kein Kind ist.
„Was?“ Ich bin einen Moment lang fassungslos und weiß nicht, was ich tun soll.
„Schieß auf Orks“, befiehlt er. Sein Benutzername erscheint in kleinen orangefarbenen Buchstaben, als er spricht: Bearded Bad Boy.
Innerlich stöhne ich auf. Natürlich ist das sein Bildschirmname. Nur beschreibt „Boy“ nicht ganz die Stimme, die ich höre. Es sollte Mann heißen. Bearded Bad Man. Nein, das hat nicht ganz den gleichen Klang.
„Bin schon dabei.“ Ich drehe mich zum Tor, auf das die Orks zugehen, spanne meinen Bogen und gebe einen Schuss nach dem anderen ab. Mein Ziel ist nicht viel besser, aber ich ducke mich wenigstens, um der nächsten Axt auszuweichen, die nach meinem Kopf geworfen wird.
„Du lernst schnell“, sagt der bärtige Bad Boy.
Ich hätte fast Lust, ihn zu fragen, was ihn zu so einem bösen Jungen macht, aber Olivia ist im Raum und ich will nicht, dass unsere kurze Unterhaltung schmutzig wird.
Es ist viel zu lange her, dass ich mich mit einem Mann unterhalten habe, geschweige denn mit einem geschlafen habe. Meine Gedanken sind viel zu unrein. Vielleicht hilft es, wenn ich mich vom Klang einer sexy Männerstimme ablenke und mich darauf konzentriere, Fabelwesen zu erschießen.
Als wir alle Orks abschlachten, endet die Welle und zwanzig Sekunden später beginnt die nächste Welle, als sie auf dem Bildschirm aufpoppt: Welle 35. Es bleibt nicht viel Zeit für eine Pause.
„Scheiße“, fluche ich und schaue nach oben, als mehrere grüne Drachen über den Himmel fliegen. Der Russe und das jüngere Mädchen, das Olivia zu kennen scheint, schießen sie ab. Ich atme erleichtert auf und schieße auf die ankommenden Orks, die über die Brücke schreiten.
Jedes Level wird komplexer und intensiver. „Für einen Neuling bist du gar nicht so schlecht“, sagt der Russe.
„Das erste Mal“, sage ich und lache. Wenigstens fordern sie mich nicht auf zu gehen, damit ein anderer Spieler einsteigen kann. Ich würde mich nicht schlecht fühlen, wenn sie es täten. Ich bin eine absolute Niete.
Das Spiel ist rasant, aber wir halten nicht lange durch, als ein riesiger roter Drache Feuer auf die anderen Spieler schießt und ich das Tor retten muss.
Und ich versage grandios. „Gutes Spiel“, sagt der Russe. Ich drücke auf den Knopf zum Beenden und nehme das Headset ab, mein Blut kocht.
„Weiß deine Mutter, dass du dieses Spiel mit erwachsenen Männern spielst?“ Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Schwester eine Ahnung davon hat, was ihre Tochter online treibt.
Olivia spottet und schnappt sich in aller Eile das Headset und die Controller von mir. „Ist schon gut. Es ist ja nicht so, dass wir Nacktbilder austauschen. Sei nicht so wie Oma.“
„Fürsorglich?“
„Kontrollierend und überfürsorglich“, sagt Olivia. „Ich weiß, dass ich meine Adresse nicht an einen erwachsenen Mann im Internet weitergeben sollte. Entspann dich, es ist in Ordnung.“
„Es ist nicht in Ordnung. Du weißt nicht, mit wem du dich in diesem Spiel unterhältst!“ Wie kann sie so sorglos sein, als ob das keine große Sache wäre?
„Klar weiß ich das. Ich spiele die ganze Zeit.“
„Gut, wer ist dann der Russe, der gespielt hat? Er ist ein erwachsener Mann.“
„Er spielt die ganze Zeit. Meistens nur für eine Welle und dann steigt er wieder aus. Es muss ihm gefallen haben, dass du weitergespielt hast, bis die Stadt zerstört war.“
Ich ignoriere Olivias Bemerkung. Sie versucht, die Wogen zu glätten, weil sie weiß, dass ihre Mutter die Nachricht nicht gut aufnehmen wird.
„Gib mir das Headset“, sage ich und strecke meine Hand nach dem Gerät aus.
„Na gut“, murrt sie und drückt es mir in die Handflächen. Ich schließe das Gerät an, schalte es ein und benutze die Controller, um durch das Hauptmenü zu navigieren. Es muss eine Einstellung geben, um einen Spieler zu blockieren. Ich finde den Eingabebildschirm, auf dem ich andere Leute sehen und einladen kann.
Sein Benutzername ist nicht schwer zu merken. Ich gebe „Bearded Bad Boy“ ein, und sofort erscheint ein Bild. An der Stelle, an der eigentlich ein Profilbild sein sollte, ist ein Sterntattoo. Es ist detailliert, kompliziert und beeindruckend, wenn er es selbst entworfen hat.
Was ich bezweifle.
Ich weiß nicht viel über Tattoos, aber ich wette, dass das nicht das einzige ist, das der bärtige Bad Boy hat, und ich möchte auf keinen Fall, dass meine unschuldige Nichte noch andere Tattoos an seinem Körper entdeckt.
Sein Profil ist ziemlich leer. Es gibt keinen Vornamen, keine Beschreibung - nur die Nahaufnahme eines Tattoos und die Option, ihn als Freund hinzuzufügen.
Nö.
Das wird nicht passieren.
„Und?“, scherzt Olivia und wartet darauf, dass ich etwas sage.
„Ich sollte ihn blockieren“, sage ich.
„Was? Warum? Er hat noch nie etwas Unangemessenes gesagt oder getan. Du reagierst über, Tante Sadie.“
Ich entscheide mich dafür, ihn nicht zu blockieren. Er hat nichts gesagt oder getan, während ich online war. Nicht, dass ich Olivia sagen will, dass sie recht hat. Ich verlasse den Profilbildschirm und schalte das Spiel aus, bevor ich das Headset abnehme. „Dreizehnjährige Mädchen und erwachsene Männer passen nicht zusammen. Männer wie Bearded Bad Boy tauchen nicht an der Konsole auf, nur um Spiele zu spielen.“
„Doch, das tun sie. Ich werde es dir beweisen. Kauf dir eine zweite Konsole, dann kannst du jeden Abend spielen, wenn ich online bin. Du wirst sehen, dass mich niemand belästigt oder mir Gewalt antut. Es ist ein sicherer Raum.“
Ich atme schwer aus. „Wie wär's, wenn du keine Videospiele spielst, solange du bei mir zu Hause bist?“
„Mama, du bist so gemein.“
„Aber ich bin einen Monat lang zu Besuch“, jammert Olivia. „Das wird die reinste Folter! Ich habe Freunde im Internet, mit denen ich chatte und wir hängen zusammen ab.“ Ihre Augen weiten sich und die des jungen Mädchens werden wässrig.
Ich kenne den Unterschied zwischen echten Tränen und dem Weinen, um ihren Willen durchzusetzen. Das hier sind echte Tränen, was es noch schwieriger macht.
„Ich weiß, dass es dir albern vorkommt, Tante Sadie, aber das Spielen gibt mir etwas zu tun. Und es ist Bewegung. Du kannst mir nicht erzählen, dass du keinen Muskelkater von Orc Hunter hast.“
Mein Arm tut ein wenig weh und ich wette, dass mir morgen die Beine wehtun werden, weil ich so viele Kniebeugen gemacht habe, um nicht mit einer Axt beworfen zu werden. „Ich werde euch beim Spielen zusehen und eure Telefone überwachen“, sage ich.
„Okay, aber wenn ich schlafe, kannst du dir mein Headset ausleihen“, sagt Olivia grinsend und wirft einen Blick auf Allie.
„Das ist nicht nötig.“
Ein Grinsen erhellt Olivias Gesicht. „Wenn du diese Woche ein paar Stunden Orc Hunter spielst, wirst du süchtig danach sein.“
„Vielleicht sollten wir uns eine andere Beschäftigung im Freien suchen“, sage ich.
„Mama“, jammert Allie. „Ich verspreche dir, dass es gut für die Seele ist.“
„Videospiele spielen?“
„Bewegung, geistige Anregung, neue Leute treffen. Du sagst immer, ich soll neue Freunde finden“, sagt Allie. „Genau das tue ich, mit Olivias Hilfe.“
Ich grummele leise vor mich hin. „Keine Chats mehr mit erwachsenen Männern.“
* * *
Ich kralle meine Finger in die Armlehne des Krankenhausstuhls und starre auf das Tattoo auf seiner Brust, das aus dem Krankenhauskittel herausschaut.
Es ist wahrscheinlich ein Zufall, dass er das gleiche Stern-Tattoo hat. Er hatte es einmal erwähnt, als ich ihn online nach seinem Profilbild fragte.
„Verfolgst du mich?“, fragt er, als ich mich zu ihm in das VR-Spiel Orc Hunter setze.
Ich lache leise vor mich hin. „Ich weiß nicht einmal, wo du wohnst. Also, nein. Ich kann dich nicht stalken.“
„Stimmt.“ Er kichert und ich schwöre, er lächelt. Aber ich kann ihn nicht sehen, nur seinen Avatar im Spiel, und so nah ist er auch nicht. Er steht mir gegenüber und bewacht den gegenüberliegenden Turm auf der anderen Seite der Stadt, während wir auf Orks schießen. „Ist es nicht zu früh, wo du bist?“
„Doch“, sage ich. Die Sonne ist gerade aufgegangen, und meine Nichte und meine Tochter schlafen noch. Sie wird frühestens um zehn Uhr aufwachen, wenn nicht später. Das gibt mir ein paar Stunden Zeit, um herauszufinden, was es mit ihren Virtual-Reality-Spielen auf sich hat.
Ich sage dem Fremden nicht, wo ich wohne oder in welcher Zeitzone ich mich befinde. Je weniger er weiß, desto besser. Das Letzte, was ich will, ist, ihm Informationen über meine Nichte zu geben.
„Was ist mit dir?“, frage ich. „Bist du in Russland?“ Es gibt drei Server; derjenige, mit dem ich mich verbunden habe, ist in den USA. Aber jeder kann sich mit jedem Server verbinden.
„Titten für Tattoo“.
„Ich zeige dir nicht meine—“
Er schnaubt und räuspert sich. „Ich habe nicht gefragt. Du sagst mir, wo du herkommst, und ich sage dir, wo ich wohne.“
Sein Akzent ist stark und schwer, und er kommt zweifellos aus Russland, auch wenn er das Land verlassen hat und woanders wohnt.
„Ich habe zuerst gefragt“, sage ich. Es ist, als wären wir in der dritten Klasse und ich verdrehe, die Augen, als ich merke, wie lächerlich dieses Gespräch zwischen zwei Erwachsenen klingt. Ich konzentriere mich auf die Drachen, schieße erst auf sie und dann auf die Orks und ducke mich, als sie mir die Äxte an den Kopf werfen.
Bearded Bad Boy ist geschickt darin, einem Axt angriff auszuweichen. Er springt von einer Plattform zur anderen, um nicht abgeschlachtet zu werden.
„Angeber“, murmle ich.
„Eifersüchtig.“ In seinem Tonfall schwingt Belustigung mit, als würde er es genießen, mich zu ärgern.
„Nein, ich spiele dieses Spiel nicht den ganzen Tag.“
„Ich auch nicht“, sagt er. „Das ist nur ein Hobby“, sagt er, obwohl er nicht überzeugt klingt.
„Mit Mädchen im Teenageralter zu chatten, ist ein Hobby?“
„Ich weiß nicht, welches Spiel du treibst, aber ich kann dir versichern, dass ich mich nicht im Geringsten für Mädchen im Teenageralter interessiere, auch nicht für Jungs.“
Erleichterung sollte mich durchfluten, aber in seinem Tonfall liegt Wut. Eine Eindringlichkeit, als ob ich ihn beleidigt hätte und er es jetzt darauf ankommen lassen will. „Und was ist mit dir? Macht es dir Spaß, unbegründete Anschuldigungen zu machen? Du klingst wie ein FBI-Agent oder ein korrupter Polizist.“
„Ich bin nichts von beidem“, sage ich. „Hast du etwas gegen Autoritätspersonen?“