Geh zum Teufel, mein Engel - Dieter Adam - E-Book

Geh zum Teufel, mein Engel E-Book

Dieter Adam

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Beschreibung

Als das Autorenteam Tim Küppers und Tobias Wunderlich ein neues Musical in Angriff nehmen will, gehen ihre Frauen, um die Männer nicht bei ihrer Arbeit zu stören, auf Weltreise und lassen die Herren allein mit Haushalt und Kindern. Und schon hält das Chaos bei ihnen Einzug. Eine heitere Geschichte aus Hessen, in der ein Gag den nächsten jagt. Aber das kennt man ja von den über 300 Liedern des Autos, die er mit seinen Micky´s in über 40 Jahren herausgebracht hat.

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Zum Autor

Dieter Adam, Baujahr 1941, war bis zur seiner Kehlkopf-OP im Jahre 2014 ein bekannter hessischer Musiker, der mit seiner Gruppe Adam und die Micky's zahlreiche Schallplatten und CDs bespielt und besungen und mit seinem Lied "Die Runkelroiweroppmaschin" eine Art heimliche hessische Nationalhymne geschaffen hat.

Mit der Schriftstellerei begann er 1974, als er für das Frankfurter Volkstheater von Mama Hesselbach Liesel Christ das hessische Volksstück mit Musik "Das Herz von Frankfurt" schrieb. Danach über 100 Heftromane, Karnevalsbücher, Kurzgeschichten und etliche Ein- und Mehrakter für die Laienbühne, die aber auch von Profibühnen wie Peter Steiners Theaterstadl gespielt wurden und heute noch im Heimatkanal von Sky laufen.

Nachdem er mangels Stimme nicht mehr auf die Bühne kann, arbeitet Dieter Adam alte Manuskripte auf und veröffentlicht sie als "books on demand" in eigener Regie.

Inhaltsverzeichnis

Ouvertüre

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Finale

Ouvertüre

Heute, an einem sonnigen Maitag im Jahre 2016, erwiesen wir meinem besten Freund die letzte Ehre. Tim Küppers ist gerade mal sechsundsiebzig Jahre alt geworden. Einfach eingeschlafen ist er; hat sich abends in sein Bett gelegt und ist am nächsten Morgen nicht mehr aufgewacht. Herzversagen, hat der Arzt festgestellt. Eigentlich ein sehr schöner Tod, den ich mir für mich auch wünsche, wenn es denn mal Zeit für mich ist zu gehen. Besser, als sich jahrelang mit irgendwelchen Krankheiten wie Krebs oder MS herumzuschlagen und vielleicht unerträgliche Schmerzen erleiden zu müssen. Stelle ich mir schlimm vor. Dann lieber wie mein Freund Tim abtreten; kurz und schmerzlos.

Dabei dürfte es ihm ziemlich wurscht gewesen sein, wann und wie er das Zeitliche segnet. Tim bekam seit etwa zwei Jahren nicht mehr mit, was mit ihm und um ihn herum geschah. Alzheimer. Erkannt hat er niemanden mehr von denen, die ihm mal etwas bedeutet hatten. Auch mich nicht. Es tat weh, diesen früher so intelligenten Menschen derart hilflos erleben zu müssen. Und keine Chance, dass sich das jemals wieder bessern würde.

Vor fünf oder sechs Jahren hatte es angefangen. Erste Symptome waren Gedächtnisstörungen und mangelnde Konzentration, wenn wir zusammen wieder mal einen Hit fabrizieren wollten. Das machte ihn aggressiv, wenn ihm partout kein Reim einfallen wollte. Wie oft gerieten wir uns deswegen in die Wolle. Er warf mir vor, ich wäre zu ungeduldig, schließlich könne er sich so etwas nicht aus dem Ärmel schütteln. Früher hatte er das gekonnt. Am Anfang gab ich ihm kontra, wenn er mich angriff, später machte es mich besorgt.

Meine Sorge war nicht unbegründet. Es wurde immer schlimmer mit Tim. Seine neue Frau Kerstin, die er nach der Scheidung von Claudia geheiratet hatte und dreißig Jahre jünger als er war, schleppte ihn schließlich zum Arzt. Dessen Diagnose bestätigte, was ich befürchtet hatte:

Tim litt an schnell fortschreitender Demenz. Eine Heilung war unter den gegebenen Umständen ausgeschlossen.

Vor drei Jahren schließlich kam er in ein Pflegeheim. Man kann nicht behaupten, dass es ihm dort schlecht ging. Im Gegenteil. Mir kam er immer recht fröhlich vor, wenn ich ihn besuchte. Wer ich war, wusste er natürlich nicht mehr. Er wusste ja nicht einmal mehr, wer ER war. Aber das schien ihn wenig zu bekümmern. Er lebte in einer anderen Welt - und das schien ihm irgendwie zu gefallen.

Und jetzt war er also von der großen Showbühne des Lebens abgetreten. Die Friedhofshalle von Heiligenstadt konnte kaum die vielen Menschen fassen, die ihm das letzte Geleit geben wollten. Viele bekannte Künstler, für die wir einst Hits geschrieben hatten, waren gekommen, Verleger, Fernsehproduzenten und - moderatoren, Politiker usw. usw. Ich kannte viele und musste unzählige Hände schütteln, als ich mit Pam, meiner Frau, erschien. Etliche weinten, manche lächelten verkrampft, alle zogen ernste Gesichter. Wieder war einer der ganz Großen der Musikbranche gegangen wie zuvor schon Udo Jürgens, James Last, Max Greger, Hugo Strasser und wie sie alle hießen.

Für Pam und mich hatte man in der ersten Reihe Plätze reserviert. Dort saßen wir zwischen Claudia, der Ex, und deren Tochter Sabine auf der einen Seite und Kerstin, der neuen Frau, auf der anderen. Alle drei tiefschwarz, aber sehr elegant gekleidet. Sie begrüßten uns mit einem stummen Kopfnicken, als wird uns zu ihnen gesellten. Untereinander würdigten sich die alte und die neue Dame Küppers keines Blickes.

Sabine, inzwischen auch schon siebenundvierzig und Mutter von drei erwachsenen Kindern, hatte ihren Mann Andreas mitgebracht, der an ihrer linken Seite hockte. Ihre Kinder hatten sich in der Reihe hinter uns bei meinen niedergelassen und tuschelten miteinander. Um was es ging, war leider nicht zu verstehen. Vermutlich um die neue Frau ihres Opas, die wieder jugendlich und schick wie aus einem Modejournal entstiegen aussah.

Claudia, mittlerweile über siebzig, hatte sich für ihr Alter noch recht gut gehalten. Gerüchten zufolge sollte sie etwas mit einem wesentlich jüngeren Maler haben. So ganz genau wusste ich das nicht. Seit ihre Ehe mit Tim vor etwa fünfzehn Jahren in die Brüche gegangen war, hatten wir kaum noch Kontakt zueinander. Was wohl dem Umstand zuzuschreiben war, dass ich damals nach wie vor eng mit Tim zusammengearbeitet hatte und wir demzufolge auch privat mit ihm und seiner neuen Frau Umgang pflegten.

Meine Pam rief Claudia zwar hin und wieder mal an, aber so eng wie früher einmal war ihr Vertrauensverhältnis zueinander nicht mehr. Wahrscheinlich befürchtete Claudia, dass wir, wenn sie meiner Frau zuviel verriet, es Tim brühwarm weiterzählen würden. Was wir niemals getan hätten. Denke ich mal. Für meine Holde hätte ich dafür allerdings nicht die Hand ins Feuer gelegt.

Und jetzt saß ich also an der Seite meiner Pam zwischen Claudia und Kerstin und starrte mit brennenden Augen auf den prächtigen, von zahlreichen Kränzen und Blumengebinden eingerahmten Sarg, in dem mein alter Freund Tim ruhte. Im Hintergrund lief leise die Trauermusik, die ich selbst auf Wunsch Kerstins für ihn zusammengestellt hatte und die viele Melodien beinhaltete, für die er irgendwann einmal den Text geschrieben hatte.

Gerade eben lief die gefühlvolle Ballade ICH HABE SOLCHE SEHNSUCHT NACH DIR aus unserem Musical STROHWITWER, das wir vor dreißig Jahren zusammen geschrieben hatten und einer unserer größten Erfolge geworden war. Ich musste lächeln, als ich daran dachte, unter welchen widrigen Umständen unser Erfolgsstück damals entstanden war. Unser beider Ehen wären dabei fast vor die Hunde gegangen. Ich schloss die Augen und dann liefen wie in einem alten Film die Erinnerungen an eine längst vergangene, aber trotzdem sehr schöne Zeit an meinem geistigen Auge vorbei. . .

1.

Ich saß, damals im Jahre 1986, am Flügel und komponierte. Außer New York, New York, Spanish Eyes und Tanze mit mir in den Morgen war mir bisher leider nichts eingefallen. Bedauerlicherweise waren diese Notenfolgen samt den dazugehörigen Akkorden aber schon vergeben. Andere hatten Millionen damit verdient; verdienten sie immer noch. Oder ihre Erben; denn Melodien sind geschützt. Bis siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers können Leute, die nie etwas mit der Entstehung von Kompositionen zu tun hatten und vielleicht nicht einmal Noten lesen können, abkassieren. So stand es im Urhebergesetz.

Ich hatte also keine Chance, meine Einfälle, die eigentlich gar nicht meine waren, zu verwenden. Die GEMA würde Protest einlegen. Da saßen offenbar Experten, die sich mit Melodien auskannten. Die hatten mir einmal nachgewiesen, dass mein Lied Sag mir die Wahrheit Note für Note mit dem Titel Du sollst nicht lügen übereinstimmte. Ich hatte diesen Song, als ich Sag mir die Wahrheit schrieb, nicht gekannt. Ehrenwort. Trotzdem glichen sich die beiden Kompositionen wie ein Ei dem anderen. Nur im Rhythmus hatten sie sich etwas unterschieden. Ich hatte mein Lied umkomponieren müssen. Nun hatte es wie das Kirchenlied Maria breit' den Mantel aus geklungen. Aber das war dann keinem mehr aufgefallen. Mit Kirchenliedern hatten die GEMA-Experten offenbar nicht viel am Hut.

Nun ja, es gibt eben nur sieben Töne plus Zwischentöne. Auch andere Komponisten - größere als ich - haben sich schon beklaut. Man muss manchmal nur etwas genauer hinhören, dann weiß man plötzlich, warum einem diese schöne Melodie so bekannt vorgekommen ist. Weil man sie längst von woanders kannte.

Ich komponierte gerade Mack The Knife neu nach der alten Melodie, als die Tür zu meinem Arbeitszimmer aufgerissen wurde und Pam, mein mir vor Gott und der Welt angetrautes weibliches Wesen, ins Zimmer stürmte.

"Ihr beabsichtigt also, ein neues Musical zu schreiben?", plärrte sie mich ohne lange Vorrede an und rümpfte ihre süße, kleine Stupsnase. "Dies bedeutet mit anderen Worten, dass ich für mindestens ein halbes Jahr keinen Mann haben werde; dass mein innigstgeliebter Göttergatte vom frühen Morgen bis in die späte Nacht mit seinem Freund Tim Küppers zusammensitzen und blödsinnige Gags aushecken wird; dass es für mich und meine Familie weder Sonn- noch Feiertage geben wird; dass mein keuscher Körper sich umsonst nach Liebe sehnt, weil mein Herzallerliebster nachts viel zu müde sein wird, um sein Weibchen in die Arme zu nehmen und das zu tun, was als Ehemann seine Pflicht wäre. Von der Kür ganz zu schweigen. Mit einem Satz: Ein Scheißleben!"

Wenn sie solche ordinären Wörter benutzte, wurde es ernst; denn unter normalen Umständen befleißigte sie sich nie einer solchen Ausdrucksweise. Das ließ ihre gute Erziehung nicht zu. Jetzt aber...! Ich sah Gewitterwolken an unserem Ehehimmel aufziehen; dicke, düstere Gewitterwolken. Und das alles nur, weil ich ein bisschen Geld verdienen wollte. Verstehe einer die Weiber!

Oder führte sie am Ende etwas im Schilde? Gehörte ihre Aggressivität zu einer Art Taktik, mir Gewissensbisse einzujagen, um dann mit etwas ganz anderem herauszurücken? Eventuell mit der Forderung nach dem süßen Kleidchen, das sie bei Chantal in Frankfurt im Schaufenster hatte hängen sehen? Oder die Halskette, deren lächerlicher Preis bei mir Schwindelanfälle auslöste? Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass sie auf diese Weise vorging.

Bei mir begannen Alarmglocken zu schrillen; Sirenen wie kurz vor einem Atomangriff aus Liechtenstein..

Pam hatte ihre kleinen Hände, die so ungemein zärtlich sein konnten, in die Hüften gestemmt und funkelte mich mit ihren giftgrünen Augen an wie eine griechische Rachegöttin. Ihr hübsches Gesicht hatte sich hässlich verzogen und erinnerte mich irgendwie an die afrikanische Maske, die wir von unserem letzten Urlaub in Ostafrika mitgebracht hatten.

Diesen Urlaub hätten wir uns eigentlich gar nicht leisten können, weil Ebbe in unserer Kasse herrschte. Ich hatte ihn trotzdem genehmigt, weil ich eine liebenswerte Bank hatte, die Überziehungen des Girokontos gegen gute Zinsen großzügig erlaubte und ja auch noch die Erbschaft von Tante Adelheid, die etwa achtzig sein musste, ins Haus stand. Leider - nein, nicht leider, sondern Gott sei Dank - war diese Dame immer noch sehr rüstig und wenn ihr nicht ein Hohlblockstein auf den Kopf fiel, würden wir auf ihr Ableben noch lange warten müssen. Ich gönnte es ihr von Herzen. Trotz Ebbe in der Kasse. Und vielleicht erbten wir auch gar nichts von ihr, weil es noch etliche andere gab, die ebenfalls hungrig auf ihre Hinterlassenschaft waren. Tante Adelheid schied also vorerst in meiner Finanzplanung aus.

"Wir brauchen aber unbedingt wieder mal Geld", brachte ich die Sache verzagt auf den Punkt. "Die Tantiemen für unser letztes Stück fließen immer spärlicher. Einen Hit habe ich momentan auch nicht. Also wird es höchste Zeit, dass wir wieder etwas Neues bringen. Du weißt, wie es in unserer Branche ist: So schnell, wie man oben ist, ist man auch wieder unten."

Pam musterte mich kühl vom Scheitel bis zur Sohle und ließ sich mir gegenüber in einem Sessel nieder. Sie nahm mit spitzen Fingern eine Zigarette aus der goldenen Dose, die auf dem niederen Couchtisch stand, zündete sie an und blies den Rauch in kleinen Kringeln an die frisch tapezierte Decke.

In ihrem Zorn wirkte sie noch hübscher als sonst. Und wütend war sie jetzt ohne Zweifel. Zumindest tat sie so. Ich wartete jeden Moment darauf, dass sich ihre blonde Kurzhaarfrisur wie das Fell einer Katze, die Probleme mit einem Hund hat, aufrichtete.

Pam, die eigentlich Pamela hieß, aber von keinem je so genannt worden war, war mit ihren einunddreißig Jahren immer noch ein verdammt hübsches Weibchen. Wobei immer noch eigentlich eine Frechheit war; denn mit dreißig fing das Leben für eine Frau doch gerade erst so richtig an, habe ich mir sagen lassen Und endete heutzutage auch mit vierzig oder fünfzig noch lange nicht.

"Doch", dachte ich und musterte meine bessere Hälfte verstohlen. "Man kann als ihr angetrauter Ehemann unbedingt stolz auf dieses Prachtstück von einem Weib sein. Ihre Figur" - ich schnalzte in Gedanken lustvoll mit der Zunge - "einfach hinreißend: Ihre beachtliche Oberweite, stramm und griffig, die schmale Taille, der süße Po, die schlanken, langen Beine und so weiter... und so weiter...! Ein weibliches Wesen wie aus dem Bilderbuch. An dieser Tatsache haben auch unsere beiden Kinder nichts geändert, die wir zusammen fabriziert haben."

Haben Sie's gemerkt? Ich war immer noch verliebt in meine Frau. Ehrlich. Verliebt wie am ersten Tag - und das war schon eine ganze Weile her. Dreizehn Jahre. Dreizehn herrliche, abwechslungsreiche Jahre, in denen allerdings manchmal auch verschiedene Blumenvasen geflogen waren. Gott sei Dank haben sie nicht immer getroffen. Mein Weibchen zielte zum Glück schlecht.

Auch jetzt schaute ich mich wieder ängstlich um, ob nicht irgendwo in ihrer Nähe ein Wurfgeschoß herumstand, das sie mir an meinen Künstlerkopf werfen konnte. Ich musste unbedingt auf die kostbare Meißener Porzellanfigur achten, die ich irgendwann einmal als Anerkennung für irgend etwas erhalten hatte. Sie gehörte neben etlichen Platin- und Goldschallplatten zu den Prunkstücken meiner diversen Auszeichnungen, die ich in meinem Arbeitszimmer aufgereiht hatte. Pams Hand trommelte in gefährlicher Nähe dieser Kostbarkeit auf dem Tisch herum. Und wenn sie trommelte...! Ich kannte das.

"Die Tantiemen fließen also spärlicher?", fragte sie mit einem maliziösen Lächeln.

Ich nickte.

Obwohl sie mehr als einen Kopf kleiner war als ich und auch gewichtsmäßig nur knapp die Hälfte von mir auf die Waage brachte, kam ich mir in diesem Augenblick klein und unscheinbar wie ein Däumling vor. Madame hatten geruht, die Hosen anzuziehen. Das Gegenteil wäre mir lieber gewesen!

"Hättest du einen ordentlichen Beruf gelernt", fauchte sie, "könntest du jeden Monat dein geregeltes Gehalt in Empfang nehmen. Und wir müssten nicht immer zitternd warten, ob eines deiner Stücke angenommen wird oder nicht."

"Es ging uns doch bis jetzt gar nicht so schlecht", warf ich schüchtern ein. "Ich hatte einige große Erfolge. Denk nur an die Königin von Saba! Davon haben wir uns unser Haus hier in Mainstetten gebaut. Ganz zu schweigen von meinen Schlagern. In jeder Hitparade sind sie zu..."

"Waren sie", unterbrach mich Pam gehässig.

"...zu finden", ergänzte ich meinen begonnenen Satz verdrießlich und fuhr fort: "Na schön, momentan läuft es nicht so gut. Der Geschmack der Leute hat sich geändert. Aber irgendwann kommt meine Zeit wieder. Verlass dich drauf."

"Mag sein", räumte Pam ein und schlug aufreizend ihre hübschen Beine übereinander. "Trotzdem stinkt es mir gewaltig, oft wochenlang auf meinen Mann verzichten zu müssen. Ich bin noch relativ jung und sehne mich hin und wieder nach etwas Liebe. Du verstehst, was ich meine?"

Ich verstand, was sie meinte. Aber sie übertrieb schamlos, fand ich. Sooo schlimm, wie sie tat, war es nun auch wieder nicht mit mir.

Na ja - vielleicht doch?

Wenn ich eine Idee im Kopf hatte, konnte es passieren, dass ich mich in meinem Kellerstudio vergrub und jeden Kontakt zur Außenwelt abbrach. Zu den Essenszeiten war ich geistesabwesend und dirigierte in Gedanken ein großes Orchester, das mein neues Werk aufführen sollte. Ich sprach kaum ein Wort, stocherte lustlos im Essen herum und gab auf Fragen ausweichende Antworten. Wenn überhaupt; denn zugehört hatte ich natürlich nicht.

War meine Idee dann aber zu Papier gebracht und als Demoaufnahme im Kasten, wurde ich wieder zum treusorgenden Familienvater und fleißigen Liebhaber, der sein Weibchen - so schien es jedenfalls - immer auf die Gipfel der höchsten Lust führte.

"Ich habe übrigens schon mit Claudia gesprochen", verkündete Pam. "Sie ist derselben Meinung wie ich."

Claudia war Tim Küppers Eheweib und - wenn auch über zehn Jahre älter - die beste Freundin meiner Göttergattin. Kein Wunder also, dass sie einer Meinung waren. Wenn es gegen uns Männer ging, waren sie das grundsätzlich immer. Frauen können Biester sein. Nennt mir einen Mann, der dies nicht irgendwie bestätigen könnte!

"Wir haben beschlossen", fuhr Pam fort, "euch nicht bei eurer Arbeit zu stören."

"Das finde ich aber sehr nett und rücksichtsvoll von euch", entgegnete ich erfreut. Ich hätte es besser nicht sagen sollen!

"Genau das dachten wir uns auch", lächelte Pam boshaft. "Deshalb haben Claudia und ich beschlossen, in der Zeit, in der ihr euer neues Musical schreibt, uns ein wenig die Welt anzusehen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen?"

Sie schaute mich derart unschuldig an, dass es mir eiskalt den Rücken hinunterlief. Frauen können nicht nur Biester, sie können Teufel sein!

"Ihr... ihr wollt euch... die Welt anschauen?", stotterte ich.

Pam nickte huldvoll.

"Und... und wer soll das bezahlen?"

Als Karnevalsschlager war diese Zeile nach dem großen Krieg ein Riesenhit gewesen und längst zum Evergreen geworden. Leider war sie nicht auf meinem Mist gewachsen. Als nüchterne Feststellung wie jetzt stammte sie dagegen von mir. Und es wurde kein Hit. Im Gegenteil.

Pam drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus, strich sich über ihren blonden Wuschelkopf und verschränkte die Arme vor der Brust: Die typische Kampfstellung meiner besseren Hälfte.

"Wie du weißt, habe ich von meiner Tante Frieda - Gott hab sie selig - ein paar Mark geerbt. Sie liegen nutzlos auf meinem Sparkonto herum - und das bei den momentanen Zinsen. Zwei Prozent oder so. Ich dachte mir, man könnte diese Floppen besser verwenden. Was dagegen?"

Natürlich hatte ich etwas dagegen; so ziemlich alles hatte ich dagegen. Trotzdem schüttelte ich, missmutig zwar, aber immerhin, meinen blonden Künstlerkopf.

"Wie lieb von dir", sagte sie und lächelte mich dankbar an.

"Und was wird aus den Kindern?", erkundigte ich mich.

Pam winkte ab. "Es wäre viel zu anstrengend für sie, sie auf einer Weltreise mitzuschleppen. Unverantwortlich wäre das sogar. Nein, mein Gutester, die Kinder bleiben selbstverständlich hier. Schließlich sind es ja auch deine, nicht wahr? Sie werden dich bei deiner Arbeit nicht stören. Julia besucht morgens die Schule, nachmittags macht sie ihre Hausaufgaben, und dann geht sie zu Freundinnen spielen."

"Und was ist mit Jan? Er ist gerade zwei Jahre alt und immer noch nicht stubenrein."

"Das machst du doch mit links", entgegnete Pam. "Jan ist für sein Alter schon ziemlich selbständig. Zumal er bald drei wird.“

"Aber er scheißt immer noch in die Windeln", warf ich grob dazwischen.

"Na und?", machte Pam gleichgültig. "Dann wechselst du sie eben. Gibt es da ein Problem?"

Sie schaute mich kampfeslustig an. Ich schob vorsichtig die kostbare Porzellanfigur aus ihrer Reichweite. Ansonsten zog ich es vor, zu schweigen.

"Na?", versuchte sie mich aufzumuntern.

"Was ist, wenn ich nein sage?"

Pam lachte glockenhell. "Dann fahre ich trotzdem. Ich habe übrigens schon die Tickets."

Ich fühlte, wie ich nervös wurde. Mit zitternden Händen fingerte ich mir eine Zigarette aus der goldenen Dose und steckte sie in den Mund.

"Sie ist verkehrt herum", grinste Pam.

Ich sah sie verständnislos an.

"Die Zigarette", klärte sie mich auf.

Ich hatte sie mit dem Filter nach vorn in den Mund geschoben. Missmutig drehte ich sie um und zündete sie an. Sie schmeckte mir überhaupt nicht. Außerdem rauche ich normalerweise so gut wie nie. Nur jetzt. Zur Beruhigung meiner überstrapazierten Nerven.

Es war sinnlos. Die Nerven blieben überstrapaziert.

"Wie stellst du dir das alles vor?", fragte ich schwach.

"Herrlich!", rief Pam und faltete mit einem verzückten Augenaufschlag die Hände. "Wundervoll!"

Ich hätte ihr an die Kehle springen mögen.

"Für dich - ja!", sagte ich mit verkniffenem Gesicht. "Meine Frau reist monatelang allein in der Weltgeschichte herum, ist tausenderlei Gefahren ausgesetzt, lernt andere Männer kennen, die nur darauf lauern, sie mit süßlichen Worten aufs Kreuz zu legen..."

"Mein Männe ist wohl eifersüchtig?", fiel sie mir lachend ins Wort.

Ich knirschte mit den Zähnen und hatte den Filter der Zigarette im Mund. Wütend spuckte ich ihn in den Aschenbecher und drückte den Glimmstängel aus.

"Eifersüchtig?" Ich lachte höhnisch. "Dieses Wort kenne ich nicht."

"Ach ja?"

"Ich meine ja nur... und so“, sagte ich und kam mir unheimlich blöd dabei vor. Ihr offenbar auch.

"Ich bleibe dir schon treu", versprach sie mit einem zu Herzen gehenden Augenaufschlag. "Außerdem ist Claudia dabei; sozusagen als Anstandswauwau!"

"Das ist gerade die Richtige", brummte ich.

Sie war es wirklich! Der gute Tim hatte sich längst damit abgefunden, dass seine Frau hin und wieder mal mit einem anderen flirtete. Und nicht nur das!

Auch mit mir hatte sie es schon versucht. Ich war standhaft geblieben. Auch wenn es schwer gefallen war. Ich habe eben meine Prinzipien! Niemals mit der Frau eines Freundes! Und überhaupt...!

"Claudia ist in Ordnung“, holte Pam mich wieder in die Realität zurück. "Außerdem nehmen wir beide die Pille!"

Das wiederum beruhigte mich ungemein!

Scheißweiber!

"Tim wird übrigens während der Zeit unserer Abwesenheit zu dir ins Haus ziehen", fuhr Pam fort. "Platz genug haben wir ja. Dann kann Sabine gleich ein bisschen nach den beiden Kleinen sehen."

Sabine war Tims siebzehnjährige Tochter. Ein bildhübsches Ding im gefährlichen Alter. Gefährlich für alle Männer im Rhein-Main-Gebiet und den umliegenden Ortschaften. Sie schlug genau ihrer Frau Mama nach. Auch sie hatte es schon bei mir versucht. Schwamm drüber. Ich hatte, wie gesagt, meine Prinzipien. Auch die siebzehnjährigen Töchter meiner Freunde fielen darunter.

Und nun sollte sie...!

"Das kann ja heiter werden“, dachte ich. "Heiter in ganz dicken Anführungsstrichen!"

"Weiß Tim schon davon?", erkundigte ich mich erschlagen.

Pam nickte. "Claudia teilt es ihm in diesem Augenblick gerade mit."

"Ich rufe ihn gleich mal an."

"Tu das", erklärte Pam sich einverstanden.

Mit hängenden Schultern schleppte ich mich zum Telefon und wählte Tims Nummer. Es dauerte eine Weile, dann meldete er sich. Ich hörte am Tonfall seiner Stimme, dass er mittlerweile ebenfalls Bescheid wusste.

"Was meinst du dazu?", fragte ich ihn.

"Das sage ich dir lieber, wenn wir allein sind", antwortete Tim düster. "Feind hört nämlich mit."

"Ich stelle fest, dass wir beide unheimlich mutig sind", sagte ich. "Anstatt auf den Tisch zu hauen, wie uns das zustünde, lassen wir uns einmachen wie Fallobst. Was sind wir nur für Männer?"

"Ganz normale", befand Tim verstimmt. "Oder glaubst du, anderen geht es besser? Der Mann ist von Natur aus eine arme Sau. Wir bilden uns zwar ein, der Herr im Haus zu sein, doch gemacht wird immer, was die Frau sagt."

"Wie wahr, wie wahr!", hörte ich Claudias liebliche Stimme im Hintergrund. Sie triefte vor Hohn.

"Du bist also damit einverstanden, dass unsere Frauen diese gottverdammte Weltreise machen?", fragte ich in der Hoffnung, er würde vielleicht die Traute haben, zu widersprechen.

Er hatte sie nicht!

"Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als zuzustimmen", meinte er. "Sollen sie doch abhauen! Ich halte sie nicht!"

"Danke, das wollte ich nur wissen", grummelte ich. "Mach's gut, Tim. Wir sehen uns dann ja bald."

"Mach's gut, Tobias. Bis bald."

Wir legten auf, und ich ging zu Pam zurück, die mir erwartungsfroh entgegenschaute.

"Es ist in Ordnung", hörte ich mich sagen. "Ihr könnt die Reise antreten."

"Du bist so lieb zu mir!", rief Pam enthusiastisch, erhob sich und fiel mir um den Hals. "Du bist so herzensgut! Das werde ich dir niemals vergessen. Ich schreibe dir auch jede Woche eine Karte. Das verspreche ich dir."

"Übertreibe bitte nicht", brummte ich verdrossen. "Jede Woche eine Karte - das wird teuer."

"Für dich ist mir nichts zu teuer", behauptete sie scheinheilig. "Ich pack dann gleich mal die Koffer. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit bis morgen früh."

"Morgen früh?" Ich hob entsetzt die Augenbrauen. "Soll das heißen, dass ihr schon morgen früh abhauen wollt?"

"Aber ja. Hatte ich dir das noch nicht erzählt?"

Sie hatte nicht, da war ich mir ganz sicher. Bevor ich noch einen Einwand anbringen konnte, war sie aus dem Zimmer geeilt. Nachdenklich steckte ich mir eine Zigarette an. Diesmal an der richtigen Stelle. Sie schmeckte mir trotzdem nicht. Weil ich ja eigentlich nie rauche. Jetzt brauchte ich das aber, denn Rauchen sollte angeblich die Nerven beruhigen. Für meine Nerven hätte ich allerdings zum Kettenraucher werden müssen.

"Jan hat die Hosen voll", hörte ich meine Tochter Julia sagen, die mit ihrem kleinen Bruder auf leisen Sohlen ins Zimmer getreten war. "Mami meint, du sollst ihn trockenlegen. Sie hat nämlich keine Zeit."

Ich liebe meine Kinder abgöttisch. Wirklich. In diesem Augenblick hätte ich sie umbringen mögen, die beiden Süßen, Lieben. Eiskalt. Und meine Göttergattin mit.

"Papa duckt bös", stellte mein Sohn Jan fest und schob sich näher an mich heran. Linde Lüfte begannen mich zu umwehen. Es war wirklich höchste Zeit für den kleinen Hosenscheißer. Allerhöchste.

"Jan hat deschisst", erklärte der Kleine und schaute mich schief von der Seite an.

"Das ist nicht zu überriechen", erwiderte ich missmutig. "Wir haben ja auch keine Toilette, nicht wahr?"

Jan verzog weinerlich sein Gesicht. Gleich würde er losbrüllen. Er verstand das vorzüglich. Der geborene Schauspieler. Ging etwas nicht nach seinem Kopf, legte er los. Ein gelehriger Schüler seiner Mutter.

"Na, dann komm mal mit, du Held", forderte ich ihn, um mir sein Geplärre zu ersparen, schnell auf und nahm ihn bei der Hand. Nun guckte er wieder zufrieden aus der Wäsche, der kleine Halunke. Wie seine Mami, wenn sie erreicht hatte, was sie wollte. Keine Viertelstunde war es her, seit sie ähnlich reagiert hatte. Womit hatte ich das bloß verdient?

Ich brachte ihn ins Kinderzimmer und deponierte ihn auf der Wickelkommode. Julia, mein achtjähriges Töchterchen, blond wie ihre Mutter und ihr auch sonst recht ähnlich, beobachtete jeden meiner Handgriffe. Wehe, ich würde etwas falsch machen! Sie würde es sofort an höherer Stelle vermelden, das kleine Biest.

Ich tat mein Möglichstes. Wenig später trotteten meine beiden Ableger zufrieden von dannen. Jan duftete wieder wie eine Rose. Ich atmete auf, wusch mir gründlich die Hände und begab mich zurück in mein Arbeitszimmer.

Der Rest des Tages verlief ziemlich eintönig für mich. Meine Göttergattin packte ihre Siebensachen zusammen, meine Kinder spielten im Garten und ich langweilte mich. Zu komponieren versuchte ich erst gar nicht mehr. Es fiel mir eh nichts ein. Und unter den gegebenen Umständen schon mal gar nicht.

Um mich abzulenken, beschäftigte ich mich mit Tims neuestem Buch, dessen Erstdruck er mir freundlicherweise überlassen hatte. Es war sinnlos. Die Buchstaben begannen vor meinen Augen zu tanzen, wurden zu geilen Männern, die meine Holde umschwärmten wie Motten das Licht und ihr auf eindeutig zweideutige Weise den Hof machten.

Dabei konnte ich mir doch wirklich ziemlich sicher sein, dass sie mir treu blieb! Sie hatte mich noch nie betrogen. Selbst dann nicht, als wir uns in der stürmischen Anfangszeit unserer Ehe mal für eine Weile getrennt hatten.

Aber was war jetzt, nach so vielen Jahren Ehe, wo die Liebe - und das war nicht zu leugnen - so langsam aber sicher zur Gewohnheit zu verflachen drohte?

„Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“, dachte ich. „Soll sie doch ruhig herumvögeln, wenn ihr danach zumute ist. Soll sie sich halt von der halben Welt aufs Kreuz legen lassen. Meinetwegen auch von der ganzen. Ich bin schließlich auch kein Kind von Traurigkeit. Bin es nie gewesen.“

"Würdest du dich freundlicherweise um das Abendessen kümmern?", fragte die, die ich soeben in Gedanken verflucht hatte, und setzte sich mit unschuldsvoller Miene auf meinen Schoß. "Ich bin noch nicht ganz fertig. Ich verspreche dir aber, dass wir später noch gebührend Abschied feiern werden."

Als sie mich hinter den Ohren kraulte und mich verspielt auf deren Läppchen küsste, war ich bereit, ihr alles zu vergeben. Hoffentlich kraulte sie während ihrer Weltreise keine anderen Männer hinter den Ohren! Sie beherrschte diese Kunst vortrefflich und hatte damit schon so manchen Streit im Keim erstickt.

Ich nickte.

Husch, war sie wieder aus dem Zimmer. Ich kam nicht einmal dazu, ihr ihre Zärtlichkeiten auf irgendeine Weise zu vergelten. Also erhob ich mich seufzend und trottete in die Küche.

"Würdest du, während ich bade, die Kinder ins Bett bringen?", bat sie mich nach dem Abendessen und lächelte verführerisch. Was blieb mir anderes übrig? Ich fügte mich wenig begeistert.

Ich legte Jan, der schon wieder ein größeres Geschäft in den Windeln hatte, noch einmal trocken, knöpfte Julia das Nachtgewand zu und begleitete die beiden Lieben zu ihren Betten.

Pam huschte noch einmal, nur mit BH und Slip bekleidet, ins Kinderzimmer, küsste die Kleinen und strich ihnen die Bettdecke glatt.

"Seid schön lieb zu Papi", ermahnte sie unsere Ableger. "Ich will keine Klagen hören. Du, Julchen, bist alt genug. Du wirst dem Papi im Haushalt helfen. Das tust du doch, nicht wahr?"

Julia nickte und schaute sie verständnislos an. "Gehst du denn fort, Mami?", erkundigte sie sich bekümmert.

"Ja, mein Liebling. Ich gondele ein wenig mit Tante Claudia in der Weltgeschichte herum. Aber ich komme bald wieder. Ihr schafft das schon mal für eine Weile allein. Ich weiß doch, dass ich mich auf euch verlassen kann. Außerdem wird euch Sabine ein bisschen zur Hand gehen. Sie und Onkel Tim ziehen nämlich während meiner Abwesenheit zu euch ins Haus. Es kann also gar nichts passieren."

„Hast du eine Ahnung“, dachte ich.

Pam streichelte den beiden Kleinen noch einmal zärtlich über ihre blonden Wuschelköpfe und huschte zurück ins Bad, wo ich sie kurz darauf in den hellsten Tönen singen hörte.

"Einmal um die ganze Welt!", intonierte sie Karel Gotts Hit in einer Art und Weise, dass ihn der Sänger selbst vermutlich nicht wiedererkannt hätte.

Pam war sehr unmusikalisch. Das hatte mich bisher nie gestört. Heute ging sie mir mit ihrem disharmonischen Geröhre gewaltig auf den Wecker. Schade, dass sie kein Radio war. Radios haben Knöpfe zum Abdrehen. Sie nicht.

Mürrisch vor mich hin brummelnd ging ich zurück ins Wohnzimmer, legte eine Platte auf den Player und stülpte mir die Kopfhörer über die Ohren. Pams Badewannengesänge gingen unter in Gershwins Rhapsodie In Blue. Ich schloss genussvoll die Augen und begann zu träumen..

2.

Dreizehn Jahre wurden es im nächsten Monat, dass ich meine Herzallerliebste kannte. Als wir uns zum ersten Mal trafen, war ich ein relativ unbekannter Musiker von zwanzig Jahren gewesen, der sich damit seine Brötchen verdiente, indem er mit seiner Band für andere Leute zum Tanz aufspielte. Da dies meist nur an den Wochenenden geschah, half ich nebenbei einem Onkel, der einen Getränkegroßhandel betrieb, bei der Auslieferung von Bier-, Wasser-. Limo- und Colakästen. Und ich schrieb meine ersten Kompositionen, die ich diversen Verlagen anbot. Merkwürdigerweise wollte sie keiner haben. Sie kamen mit schöner Regelmäßigkeit zurück.

"Leider sehen wir momentan keine Möglichkeit...," schrieben sie mir. Oder: "...ist unser Verlagsprogramm schon auf lange Zeit festgelegt... wünschen wir Ihnen an anderer Stelle mehr Erfolg... Blablabla!"

Meine Eltern hatten einen Arzt, einen Rechtsverdreher oder zumindest einen Bankmenschen aus mir machen wollen. Mit Engelszungen hatten sie auf mich eingeredet. Musiker wäre doch kein Beruf, hatten sie gemeint. In früheren Zeiten hätten die Leute ihre Wäsche abgehängt und die Haustüren verrammelt, wenn Musikanten durch das Dorf gezogen wären.

Ich wurde dennoch einer. Bekannt und berühmt wollte ich werden. Ein zweiter Bernstein, Gershwin oder James Last. Mindestens.

Es sollte einige Zeit vergehen, bis ich die ersten Rosinen aus dem großen Kuchen des Musikgeschäftes picken durfte. Viel Zeit. Bis es soweit war, tingelte ich eben auf zweitklassigen Bühnen herum. Doch ich verdiente nicht schlecht dabei. So waren auch meine Eltern einigermaßen zufrieden.

Es war an einem Freitag, dem dreizehnten. Dieses Datum hätte mich eigentlich stutzig machen müssen; stutzig und vorsichtig. Ich wurde weder das eine noch das andere.

Wir spielten in einem kleinen Ort in der Nähe Frankfurts. Die Turnhalle, in der der hiesige Kaninchenzuchtverein seinen Jubiläumsball veranstaltete, war überfüllt. Die Besucher schoben und drängelten sich auf der Tanzfläche herum und versuchten, ihre Füße wieder einigermaßen unbeschadet zum Platz zurückzubringen. Falls sie das Glück hatten, überhaupt einen Platz ergattert zu haben.

Wir waren heute groß in Form. Die Leute waren hin und her gerissen von unserer flotten Musik und spendeten begeistert Applaus. Manchmal auch eine Runde Bier oder Schnaps. Es tat unserem Ego gewaltig gut, so gefeiert zu werden, und stachelte uns an, noch besser zu spielen. Die Masse im Saal tobte. Wir fühlten uns fast ein wenig wie Stars. Dabei waren wir nur ganz kleine Lichter, hatten bis jetzt nicht einmal eine eigene Platte herausgebracht und waren auch noch nie im Fernsehen aufgetreten.

Unmittelbar vor der Bühne saß ein bildhübsches blondes Mädchen mit einer traumhaften Figur. Die jungen Burschen rissen sich förmlich um sie, doch sie tanzte nur selten. Stattdessen lauschte sie unserer Musik, nuckelte hin und wieder an ihrer Cola und schien sich köstlich über einen der Musiker zu amüsieren, der ständig versuchte, in Blickkontakt mit ihr zu treten. Ab und blinzelte er ihr sogar zu. Dann drehte sie demonstrativ den Kopf zur Seite und tat so, als würde sie das alles nicht sonderlich interessieren.

„Entweder ist sie etwas bescheuert oder schüchtern“, dachte ich, der jener blinzelnde Musiker war. „Lohnt es sich, das herauszufinden? Oder soll ich vielleicht in einer andere Richtung blinzeln?“ Dort versprachen verheißungsvolle Blicke nämlich mehr Erfolg.

Aber nein!

Ich fand es, zumindest heute Abend, wesentlich reizvoller, eine uneinnehmbar scheinende Festung zu erobern statt eine Burg, die sich längst ergeben hatte, zu stürmen.

In einer Pause setzte ich mich einfach zu ihr und sprach sie an. Der Erfolg? Sie gab mir ein paar patzige Antworten und ließ mich spüren, wie lästig ich ihr war.

Ich gab nicht auf und ließ im weiteren Verlauf des Abends meinen Charme gebündelt auf sie los. Nach und nach wurde sie etwas zugänglicher. Ich durfte sie sogar nach Hause bringen, als Feierabend war. Das war aber dann auch schon alles!

Als ich Anstalten machte, in einen verschwiegenen Waldweg einzubiegen, protestierte sie heftig und machte mir klar, dass sie, sollte ich anhalten, sofort aus meinem alten VW springen und um Hilfe schreien würde. Zerknirscht riss ich das Steuer herum und fuhr auf die Straße zurück.

Mistkram!

Bis jetzt waren mir die Weiber immer scharenweise zugeflogen. Wie Schmeißfliegen hatten sie mich umschwärmt und mir großzügig das offeriert, von dem Männer so gerne naschen. Und jetzt diese Pleite!

"Wie heißt du überhaupt?", fragte ich sie, um überhaupt etwas zu sagen.

"Ich heiße Pamela", antwortete sie schnippisch. "Pamela Seliger."

Dann schwiegen wir uns wieder an, bis wir vor dem Haus ihrer Eltern standen. Dort sagte sie Vielen Dank und Gute Nacht und sprang aus meinem Wagen. Bevor sie ins Haus schlüpfte, winkte sie mir noch einmal zu. Und lächelte spöttisch. Verflixtes Luder!

Wie ein begossener Pudel fuhr ich nach Hause, legte mich ins Bett und träumte mit offenen Augen von ihr. Feuchte Träume. Es war früher Morgen, bis ich endlich Schlaf fand. Doch selbst da ließ mich ihr Bild nicht los. Es hatte mich voll erwischt. Ich war verliebt bis über beide Ohren. Verliebt wie die großen Leute.

Am nächsten Tag rief ich sie an und fragte, ob ich sie wiedersehen dürfte.

"Warum?", gab sie zurück. Sonst nichts. Nur: "Warum?"

Ich wurde verlegen und stotterte wirres Zeug in den Telefonhörer; dummes, nichts sagendes Gesülze. Sie kicherte albern, und ich ärgerte mich fürchterlich. Ich hätte auflegen sollen, tat es aber nicht. Nach langem Hin und Her gewährte sie mir dann endlich eine Audienz für den kommenden Sonntagnachmittag. Ich war der glücklichste Mensch dieser Erde.

Es dauerte fast ein Jahr, bis ich sie endlich davon überzeugt hatte, dass ich und nur ich allein der einzig Richtige für sie war. Mit Händen und Füßen wehrte sie sich dagegen, dies endlich einzusehen.

Sie wolle keinen Musiker heiraten, meinte sie störrisch. Ihre Mutter habe sie eindringlich davor gewarnt. Musiker wären untreu, versoffen und arbeitsscheu. Außerdem wäre sie noch viel zu jung, um überhaupt an so etwas zu denken, hätte ihre Mutter gesagt. Dabei war sie immerhin schon achtzehn. Die Tochter, nicht die Mutter. Ich mochte meine Schwiegermutter von Anfang an nicht. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert.

Schließlich hatte ich Pam soweit, dass sie sich mit mir verlobte. Meine Eltern waren mit meiner Wahl einverstanden, ihre nicht. So verlief die Verlobungsfeier denn auch recht frostig. Erst, als die beiden Väter gehörig dem ausgezeichneten Wein zugesprochen hatten, wurde es etwas lustiger. Aber da musste Pams Vater nach Hause. Schwiegermutter hatte die Hosen an. Das hätte mich warnen sollen; denn wie heißt es in jenem bekannten Lied?

"Bevor du heiratst, betracht se dir genau: Denn wie die Schwiegermutter wird später mal die Frau."

Wie wahr! Aber ich war viel zu verliebt, um an dieses Lied zu denken. Und ganz so schlimm wie ihre Frau Mama ist Pam ja auch nicht. Noch nicht. Kann aber mit fortschreitendem Alter durchaus noch werden. Weiß man's?

Bis zur Verlobung hatte es, abgesehen von ein paar harmlosen Küssen, nichts zwischen uns gegeben. Nicht mal anfassen hatte ich sie dürfen, geschweige denn...! Nix mit Petting statt Pershing Geschweige denn make love, not war.

"Du musst warten können", knurrte sie bissig, wenn ich davon anfing. "Ich geh doch nicht mit jedem x-beliebigen Mann ins Bett."

Genau das sagte sie auch noch einen Tag vor unserer Verlobung. Einen Tag nach der Verlobung lernte ich einen Vulkan kennen. Ich hatte mich immer für einen guten Liebhaber gehalten. Sie war eine Klasse besser. Dabei hatte sie vorher nie etwas mit einem Mann gehabt. Ich kann es beschwören. Sie war einfach ein Naturtalent.

Wir waren im Kino gewesen. Dort durfte ich brav ihr Händchen halten. Als ich beim Nachhauseweg an dem bewussten Waldweg vorbeifuhr und keine Anstalten machte - warum auch? - dort einzubiegen, sah sie mich plötzlich aus verhangenen Augen von der Seite an und meinte:

"Wollen wir nicht anhalten, Tobias? Wir könnten noch eine Zigarette rauchen und uns ein bisschen unterhalten."

Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Ich bremste und fuhr rückwärts in den Waldweg. Kaum hatte ich den Motor abgestellt, fiel sie wie eine Ertrinkende über mich her. Sie klammerte sich an mich, presste ihre Lippen auf meinen Mund und züngelte wie eine Schlange. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, so überrascht war ich. Doch dann hatte ich mich gefasst und begann mitzumischen.

Nun war das in einem alten VW alles andere als einfach. Man hatte viel zu wenig Platz für zärtliche Spielchen. Alles war zu eng. Und ich wusste ja auch noch nicht, wie weit ich überhaupt gehen durfte.

Ich durfte überraschenderweise eine ganze Menge. Pam hatte ihre Hemmungen abgelegt. Der Verlobungsring an ihrer linken Hand schien ihr die Gewissheit zu verleihen, dass ich es tatsächlich ernst meinte. Sie konnte gar nicht schnell genug aus ihren Klamotten rauskommen und half mir beim Ablegen der meinen. Tja, und wenig später stellte ich dann fest, dass die Federung meines alten Käfers auch nicht mehr die beste war. Und dass Pam wirklich noch nie etwas mit einem anderen Mann gehabt hatte.

"Schön war's", schnurrte sie später und schmiegte sich schwer atmend an mich. "Wir sollten das von jetzt an öfters tun."

Wir taten es von jetzt an öfters!

Ein Jahr später heirateten wir, und ich durfte ab sofort Du zu ihren Eltern sagen. Schweren Herzens hatten sie sich dazu durchgerungen, mich zu akzeptieren.

Die erste Zeit wohnten wir in einer windschiefen Zweizimmerwohnung direkt unterm Dach eines uralten Vierfamilienhauses. Im Winter war unsere Herberge zugig und trotz Ölofen saukalt, im Sommer konnte man es vor Hitze kaum aushalten. Aber sie war billig, die Bude. Mehr konnten wir uns zu dieser Zeit nicht erlauben. Und das, obwohl Pam weiter ihrem Beruf als Arzthelferin nachging.

Meine Kompositionen, die ich mittlerweile mit selbst gedrechselten Texten versah, kamen weiterhin zurück. Ich hob die Absagen der einzelnen Musikverlage fein säuberlich in einem Ordner auf. Es wurden eine ganze Menge. Wenn ich meine Verleger heute ärgern will, nehme ich die Absagen von damals zu den Verhandlungen mit und halte sie ihnen unter die Nase. Sie grinsen dann verlegen, denn inzwischen habe ich die meisten meiner Songs, die sie damals ablehnten, an sie verkauft. Man muss halt nur einen Namen haben.

Nach einem Jahr hatten wir unseren ersten großen Streit. Schuld war, wie konnte es anders sein, meine Tätigkeit als Musiker. Pam hatte sich nie damit abgefunden, einen Künstler geheiratet zu haben. Damals musste ich ihr sogar recht geben. Eine Ehe konnte man es kaum nennen, die wir führten. Die Beatles haben unsere Situation in einem ihrer zahlreichen Songs parodiert. Obladi, oblada oder so ähnlich hieß das Werk. In dem ging es auch um einen Musiker, der nie zu Hause war. Und wenn er gegen Morgen erschien, musste sie fort zur Arbeit.

Bei uns war es ähnlich. Ich war fast jeden Abend auf Achse, weil ich, um mehr Geld zu verdienen, jetzt auch wochentags zu spielen begonnen hatte. Sie hockte allein zu Hause vor der Flimmerkiste. Das Programm rauf und wieder runter glotzte sie. Und umgekehrt. Und es gab damals nicht einmal das Kabelfernsehen, so dass sie mehr Auswahl gehabt hätte. Kein Wunder also, dass sie sauer wurde. Bei dem Programm!

Außerdem wurde es draußen fast immer schon hell, bis ich endlich müde und abgespannt und nicht selten angetrunken den Weg nach Hause fand. Sie sagte zwar nicht viel dazu, aber ihre Blicke sprachen Bände, wenn sie mich empfing. Ganze Bibliotheken! Falls sie überhaupt noch wach war. Das war ganz selten der Fall.

Morgens schlief ich bis zum Mittagessen. Sie war dann schon seit Stunden bei ihrem Onkel Doktor, half ihm beim Schreiben seiner Rezepte, zapfte seinen Patienten Blut ab und beschriftete Urin- und Stuhlproben. Bis sie nach Hause kam, musste ich schon wieder fort zum Musizieren. Ein Scheißleben war das. Und besonders förderlich für unser Liebesleben war es schon mal gar nicht.

Irgendwann platzte ihr der Kragen. "So geht das nicht weiter mit uns!", keifte sie zornbebend, als ich wieder einmal erst morgen von gestern nach Hause gekommen war und sie mir die halbe Wohnungseinrichtung an den Kopf geschleudert hatte. Es war einer der Momente, in denen ich mir wünschte, nie geheiratet zu haben.

"Dieses Familienleben zwischen Tür und Angel ertrage ich nicht länger", fuhr sie fort. "Es geht mir auf den Geist. Meine Mutter wusste, warum sie mich davor gewarnt hat, einen Musiker zu heiraten. Hätte ich nur auf sie gehört. Immer und immer wieder muss ich meinen Mann mit anderen teilen. Nie gehört er mir allein. Wenn das so weitergeht, lasse ich mich von dir scheiden. Lieber ein Ende mit Schmerzen, als Schmerzen ohne Ende."

Peng - das hatte gesessen! Ein Blattschuss!

"Aber ich bin nun mal Musiker", warf ich zaghaft ein. "Das wusstest du schließlich."

"Ja, das wusste ich", schrie sie mit sich überschlagender Stimme. "Ich Rindvieh! Ich könnte mich heute noch dafür ohrfeigen! Einen Musiker! Zum Kotzen ist das! Aber jetzt ist es aus! Ich mache das nicht länger mit! Was brauche ich einen Mann, den ich ohnehin nie sehe? Man hat als Frau doch gewisse Träume: Mal ausgehen mit dem dir Angetrauten, essen bei Kerzenlicht, tanzen. Wann kommen wir beide denn mal dazu? Nie!"

Sie hatte ja so recht. Uns blieben zum Ausgehen meist nur der Totensonntag, der Volkstrauertag und der Heiligabend. Aber da war nirgendwo etwas los. Auch am Karfreitag nicht.

"Was soll ich tun?", fragte ich. "Ich habe nun mal nichts anderes gelernt."

"Dann geh meinetwegen zur Müllabfuhr!", fauchte sie.

Um unsere Ehe zu retten, bewarb ich mich bei der Müllabfuhr und wurde auch genommen. Ein anstrengender Job war das. Abends war ich hundemüde. Nach einem heißen Bad, um den tagsüber in und um mich aufgespeicherten Duft abzuspülen, schlief ich in der Regel ein. Also wieder nichts mit Liebe und Familienleben; denn an den Wochenenden - das hatte ich mir ausbedungen - machte ich weiterhin Musik. Das hatte ich mir nicht nehmen lassen, und sie hatte auch nichts dagegen gehabt. So verständnisvoll war sie immerhin gewesen!

Im Laufe des folgenden Jahres fuhr ich dann noch für eine Großbäckerei Brot aus, spielte den Laufburschen für eine Bank, betätigte mich als Kaufhausdetektiv und als Hilfskoch in einer Werkskantine und schrieb als Hilfssheriff Parksünder auf. Nichts war geeignet für mich. Überall stellte ich mich so dämlich an, dass mein jeweiliger Chef mich nach wenigen Tagen zu sich bat und mir freundschaftlich nahelegte, meinen derzeitigen Beruf zu wechseln.

Ich stellte mich nicht absichtlich dämlich an, wie mein bestes Stück griesgrämig vermutete. Ehrenwort! Ich war einfach nicht für einen bürgerlichen Beruf geschaffen. Musiker bleibt Musiker. Das ist nun mal so und das bleibt auch so. Tausend Pams konnten daran nichts ändern. Und tausend Schwiegermütter erst recht nicht.

Pam verließ mich und kehrte zur ihren Eltern zurück, die das natürlich hatten kommen sehen; vor allen Dingen meine heiß geliebte Schwiegermutter. Mein Schwiegervater weniger. Mit offenen Armen wurde es wieder aufgenommen, das arme Kind. Hallelujah, wir hatten also doch recht gehabt! Musiker? Pfui Deibel!

Als ich mit hängendem Kopf und schlechtem Gewissen im Elternhaus meiner immer noch Innigstgeliebten aufkreuzte und mich mit meiner Frau Gemahlin aussprechen wollte, wurde ich erst gar nicht vorgelassen. Wie ein Hausierer wurde ich an der Haustür abgefertigt. Man freute sich unübersehbar, mich wieder von der Liste der nächsten Verwandten streichen zu können.

Darüber ärgerte sich Pam wiederum so sehr, dass sie stehenden Fußes zu mir zurückkehrte. Es herrschte wieder Friede, Freude, Eierkuchen in unserem Dachzimmerpalast. Vorübergehend zumindest.

Ihre Eltern ließen sich ein halbes Jahr nicht bei uns blicken. So sauer waren sie wegen unserer Wiedervereinigung. Aber sie blieben eben nur ein halbes Jahr weg. Dann traten sie wieder regelmäßig in Erscheinung und mischten sich in alles ein, was sie eigentlich gar nichts anging. Wiederum mehr die Schwiegermutter als der Schwiegervater - wohlgemerkt. Alles war wie früher.

Natürlich komponierte ich in dieser Zeit immer noch. Wunderschöne Songs schrieb ich meiner Meinung nach. Trotzdem wollte sie keiner haben. Ich spielte schon mit dem Gedanken, mit dem Komponieren aufzuhören. Wer schreibt schon gerne für den Papierkorb? Es wurde mir wirklich langsam zu blöd, ständig abgelehnt zu werden. Es frustrierte einen. Es nahm einem den Glauben an sich selbst. Man hielt sich selbst plötzlich für einen Nichtskönner, obwohl man es eigentlich gar nicht war.

Aber jetzt war es Pam, die mir den Rücken stärkte, mich überzeugte, es weiter zu versuchen, nicht locker zu lassen. Einmal müsste es doch klappen, meinte sie. Meine Lieder wären besser als vieles, das sie sonst im Radio und TV dudelten.

Und sie hatte recht!

Eines Abends kam ich todmüde von meiner neuesten Tätigkeit als städtischer Straßenfeger nach Hause. Meine Göttergattin stand schon in der Tür und winkte strahlend mit einem Schreiben, auf dem ich die Insignien eines bekannten Musikverlages erkennen konnte.

Ich wurde sofort hellwach und spurtete die Treppen hoch. Als ich nach dem Schreiben greifen wollte, drehte sich mein Prachtstück auf dem Absatz um, ließ den Brief in ihrem Ausschnitt verschwinden und huschte in unsere Miniwohnung. Ich eilte hinter ihr her. Vor den Ehebetten holte ich sie ein und schleuderte sie in die Federn. Sie kicherte und strampelte. Ich warf mich auf sie und versuchte, ihr den Brief zu entreißen. Es gelang mir nicht, weil sie sehr flink war.

"Erst ein Kuss", verlangte sie, meine Angriffe prustend abwehrend. "Erst ein Kuss, dann kriegst du's!"

Ich küsste sie und versuchte dabei, nach dem Brief zu grapschen. Das Schreiben fand ich auf Anhieb nicht in ihrem Ausschnitt, dafür aber etwas anderes, das wesentlich interessanter war. Was kümmerte mich jetzt noch der Brief? Jedenfalls kam ich erst eine knappe Stunde später dazu, ihn zu lesen.

"Sehr geehrter Herr Wunderlich", stand da. "Ihre Nummer mit dem Titel STARLIGHT gefällt uns sehr gut. Der Text ist allerdings so nicht zu verwenden. Wir haben uns deshalb entschlossen, Ihr Werk Herrn Tim Küppers zu einer Neutextierung zu überlassen. Herr Küppers ist, wie Sie vielleicht wissen, einer der bekanntesten Textdichter unseres Landes. Sein Text und Ihre Musik zu einem gemeinsamen Werk vereint könnte vielleicht ein neuer Hit werden. Wir..."

Dieser Brief hängt heute, in Gold gerahmt, in meinem Büro.

"Juchhuuuu!", jubelte ich und schloss mein bestes Stück in die Arme. "Geschafft! Wenn Tim Küppers den Text zu meinem Song schreibt, wird er auch produziert. Die können es sich gar nicht leisten, es nicht zu tun, wenn sie ihn nicht vor den Kopf stoßen wollen. Wir haben es wirklich geschafft! Endlich!"

Ja, ich hatte tatsächlich recht! Die Nummer Starlight mit dem neuen Text von Tim Küppers wurde ein Riesenhit. Eine Gruppe mit dem Namen WATERLOO nahm ihn auf und wurde damit selbst zu Stars. Wir verdienten alle eine Schweinegeld damit. Über eine Million Schallplatten verkauften wir, von den unzähligen Einsätzen in Fernsehen und Rundfunk ganz abgesehen. Die brachten den Autoren über die GEMA zusätzlich noch etliche Kohlen. Ich wurde von heute auf morgen reich.

Tim Küppers und ich wurden ein unzertrennliches Gespann und nebenbei die besten Freunde. Hit nach Hit schrieben wir zusammen. Er war zwar ein paar Jahre älter als ich, aber das tat unserer Freundschaft keinen Abbruch. Wir verstanden uns fast blind, ergänzten uns in fast jeder Beziehung und zählten schnell zu den Größten im deutschen Showgeschäft. Wollte man Erfolg haben, kam man an uns nicht mehr vorbei.

Natürlich gab ich jetzt alle meine unsinnigen Berufe auf und widmete mich nur noch meiner Musik. Tingeln hatte ich nicht mehr nötig. Nur noch komponieren, komponieren und noch einmal komponieren musste ich. Zum Glück flossen mir die Ideen nur so aus der Feder. Mit jeder Note traf ich genau den Zeitgeist. Tobias Wunderlichs Musik war IN. Mein Bankkonto wuchs und wuchs.

Längst hatten wir unsere schiefe Zweizimmerwohnung gegen eine große in einem vornehmen Stadtviertel getauscht. Wir waren schließlich WER und hatten auf einmal sogar unsere gesellschaftlichen Verpflichtungen. Meine Göttergattin war in ihrem Element.

Es gab in dieser Zeit nur einmal einen großen Krach. Das war, als sich unser erstes Baby, das wir uns jetzt ja leisten konnten, anmeldete. Ausgerechnet in dieser Zeit hatte Tim die glorreiche Idee, ein Musical zu schreiben - unser erstes gemeinsames größeres Werk.

Ich war begeistert dabei und ließ meine Frau mit ihrem schwellenden Leib oft und lang allein. Mir war klar, dass dies nicht die feine englische Art war, aber was sollte ich machen?

Jedenfalls flogen wieder einmal die Fetzen, und mein Weibchen zog erneut zu ihren Eltern. Ich ließ sie dort, bis das Musical beendet war. Versöhnt hatten wir uns natürlich längst wieder. Sie küssten und sie schlugen sich. Ein alter Hut.

Die Premiere unseres ersten Musicals in einem rennomierten Theater und die Wehen meiner holden Gattin fielen natürlich auf den gleichen Tag. Ich wurde zu einem Nervenbündel und wusste kaum noch, ob ich ein Männchen oder ein Weibchen war.

Das Musical wurde ein internationaler Erfolg, mein Baby zu einem persönlichen. Selbst meine Schwiegermutter sprach mir dafür ihre Anerkennung aus - und das wollte schon etwas heißen. Dass sie mir um den Hals fiel und mich mit Tränen in den Augen küsste, konnte ich leider nicht verhindern.

Von den Einnahmen des Musicals bauten wir uns unser lang ersehntes Haus im Grünen und waren sehr glücklich. Pam sah sogar ein, dass ich mich hin und wieder um unsere Finanzen kümmern musste und mich manchmal mehrere Tage mit Tim zusammensetzte, um etwas Neues auszubrüten. Für Film, Fernsehen und Funk arbeiteten wir inzwischen. Es lief jetzt wie geschmiert. Bis Techno und solcher Computerscheiß modern wurde und die jugendlichen Plattenkäufer mehr interessierte als richtige Musik. Da lief es plötzlich nicht mehr so gut.

Vergangene Woche hatten Tim und ich also beschlossen, eine neues Musical in Angriff zu nehmen. Ein Werk, das die Welt erobern würde, sollte es werden; eine zweite Fair Lady, eine neue Westside-Story, etwas wie Cats, Phantom der Oper oder Starlight-Express. Irgend etwas Großes, Umwerfendes, Sensationelles jedenfalls. Dabei hatten weder Tim noch ich eine Ahnung, von was das Werk überhaupt handeln sollte. Aber das würden wir in gemeinsamer Arbeit schon herausbekommen. Uns war bis jetzt immer etwas eingefallen!

Ich wurde abrupt, aber nicht unsanft aus meinen Vergangenheitsträumen gerissen. Wegen Mr. Gershwins phantastischer Musik hatte ich nicht registriert, dass Pam ins Zimmer gekommen war. Sie trat hinter mich, legte ihre schlanken Arme um meinen Hals und schmiegte sich an mich. Außer einem seidenen Morgenmantel hatte sie nichts an. Und den hatte sie vorn nicht einmal geschlossen. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt.

So ließ ich mich denn auch nicht lange bitten. Ich riss mir die Kopfhörer von den Ohren, schleuderte sie in eine Ecke und nahm mein holdes Weib in die Arme. Schnurrend wie eine Siamkatze ließ sie sich auf meinem Schoß nieder und kuschelte sich an mich.

"Was machst du denn da?", fragte sie überflüssigerweise, als ich sie zärtlich zu streicheln begann. Dabei hatte sie mir längst das Hemd aufgeknöpft, um mit meinen spärlichen Brusthaaren ein neckisches Spielchen zu treiben. Jetzt war mir nur noch heiß. Sie war eben ein Vollblutweibchen und verstand es, einen Mann auf Touren zu bringen. Der kleine Tobias in meiner Hose verlangte stürmisch, aus seinem Gefängnis herausgelassen zu werden!

Und dieses Prachtstück sollte ich allein in der Welt herumreisen lassen? Meine Laune, eben noch himmelhochjauchzend, sank auf den Gefrierpunkt.

"Warum machst du nicht weiter?", erkundigte sie sich, als ich meine Bemühungen vorübergehend einstellte.

"Ich dachte gerade daran, dass du morgen um diese Zeit irgendwo in der Weltgeschichte herumschwirren wirst", knurrte ich und schob sie ein wenig von mir.

"Nicht irgendwo", erwiderte sie und rückte wieder etwas näher an mich heran. "Wir werden brav und sittsam in New York sein."

"Brav und sittsam?", wiederholte ich griesgrämig. "Ha, ha, ha!"

"Aber ich betrüge dich doch nicht gleich am ersten Tag", meinte sie treuherzig. "Wenn überhaupt. Und dann ist da ja auch noch die Zeitumstellung. Wir werden viel zu müde sein, um an so etwas denken." Sie gab mir einen Kuss auf die Nasenspitze. "Und jetzt mach weiter, wo du aufgehört hast. Viel Zeit bleibt uns eh nicht mehr. Ich muss morgen früh um vier Uhr aufstehen. Unser Flugzeug geht um acht."