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London, 1795: Die reizende Deborah Grantham ist als Waise aufgewachsen und wohnt bei ihrer Tante, die einen Spielsalon besitzt. Dort hilft sie als weiblicher Croupier aus und richtet in den Herzen der jungen Lords ebensolche Verheerungen an, wie in ihren Brieftaschen. Als sich der junge Lord Adrian Mablethorpe in Deborah verliebt und sie zu seiner Frau machen will, ist die High Society entsetzt. Adrians Onkel setzt alles daran, diese unpassende Verbindung zu verhindern ...
"Geliebte Hazardeurin" (im Original: "Faro’s Daugther") ist ein charmanter Regency-Liebesroman, der nicht nur fesselnde Unterhaltung bietet, sondern dem Leser auch die historische Epoche näherbringt. Jetzt als eBook bei beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
"Georgette Heyer interessiert sich vor allem für die Vermählung zweier Geister, nicht für vier nackte Beine in einem Bett - und das ist einer der Gründe für ihren anhaltenden Erfolg." Jane Aiken Hodge
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
LESEPROBE
London, 1795: Die reizende Deborah Grantham ist als Waise aufgewachsen und wohnt bei ihrer Tante, die einen Spielsalon besitzt. Dort hilft sie als weiblicher Croupier aus und richtet in den Herzen der jungen Lords ebensolche Verheerungen an, wie in ihren Brieftaschen. Als sich der junge Lord Adrian Mablethorpe in Deborah verliebt und sie zu seiner Frau machen will, ist die High Society entsetzt. Adrians Onkel setzt alles daran, diese unpassende Verbindung zu verhindern ...
Georgette Heyer, geboren am 16. August 1902, schrieb mit siebzehn Jahren ihren ersten Roman, der zwei Jahre später veröffentlicht wurde. Seit dieser Zeit hat sie eine lange Reihe charmant unterhaltender Bücher verfasst, die weit über die Grenzen Englands hinaus Widerhall fanden. Sie starb am 5. Juli 1974 in London.
Georgette Heyer
Geliebte Hasardeurin
»Aus dem Englischen von Pia von Hartungen«
beHEARTBEAT
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Copyright © Georgette Heyer, 1941
Die Originalausgabe »Faro’s Daughter« erschien 1941 bei William Heinemann.
Copyright der deutschen Erstausgabe:
© Paul Zsolnay Verlag GmbH, Hamburg/Wien, 1958.
Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer
Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © Richard Jenkins Photography
eBook-Erstellung: 3w+p Gmbh; Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 978-3-7325-8914-2
Dieses eBook enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes »Die Whiteoak-Saga. Stürmische Zeiten« von Mazo de la Roche.
www.lesejury.de
Nachdem der Butler die Ankunft Mr. Ravenscars gemeldet hatte, setzte sich Lady Mablethorpe, die über einem Roman der Leihbibliothek eingenickt war, mit einem Ruck auf und hob ihre Hand an ihr in Unordnung geratenes Häubchen. «Was haben Sie gesagt? Mr. Ravenscar? Bitten Sie ihn sofort herauf.»
Während der Butler dem Vormittagsbesuch diese Botschaft ausrichtete, ordnete die Lady ihre etwas derangierte Toilette, roch zur Stärkung an ihrem Riechfläschchen und nahm auf dem Sofa Platz, um ihren Besuch zu empfangen.
Der Gentleman, der kurz danach gemeldet wurde, war um etwa zwanzig Jahre jünger als Lady Mablethorpe und nahm sich äußerst unangebracht in dem Boudoir einer Dame aus. Er war ungewöhnlich hochgewachsen, hatte wohlgeformte Beine, die mit Stulpenstiefeln aus Wildleder bekleidet waren, schöne breite Schultern unter einem Rock aus exquisitem Stoff, ein hageres Gesicht mit scharfgeschnittenen Zügen, einen eigenwilligen Mund und überaus harte graue Augen. Sein schwarzes, leicht gekräuseltes Haar zeigte einen Haarschnitt, der dem Bedfordschnitt gefährlich nahe kam. Lady Mablethorpe, die einer älteren Generation angehörte und trotz Mr. Pitts unbilliger Steuer auf Haarpuder weiterhin reichlichen Gebrauch von der Puderstreubüchse machte, vermochte die neue Haartracht nie ohne einen Schauder anzusehen. Sie schauderte auch jetzt wieder, als ihr beleidigter Blick nicht nur den abscheulichen Haarschnitt ihres Neffen gewahrte, sondern auch den sorgenlosen Sitz seines Rockes, die Stulpenstiefel, den einzigen Sporn, den er trug, und die nachlässige Art, in der er seine Krawatte knüpfte, deren Enden er durch ein goldgesäumtes Knopfloch gezogen hatte. Sie hob ihr Riechfläschchen neuerdings an die Nase und sagte mit ersterbender Stimme: «Auf mein Wort, Max! Wann immer ich dich zu Gesicht bekomme, bilde ich mir ein, dass dich Stallgeruch umgibt!»
Mr. Ravenscar schlenderte durch das Zimmer und stellte sich mit dem Rücken zum Feuer. «Und umgibt er mich tatsächlich?», fragte er liebenswürdig.
Lady Mablethorpe zog es vor, diese aufreizende Frage zu ignorieren. «Warum, in des Himmels Namen, trägst du nur einen Sporn?», fragte sie.
«Das ist der letzte Modeschrei», sagte Ravenscar.
«Damit siehst du wie ein Postillion aus.»
«Das ist auch beabsichtigt.»
«Du weißt doch ganz genau, dass dir nicht so viel an der Mode liegt Ich bitte dich, wenigstens Adrian nicht dazu zu verleiten, ein so vulgäres Schauspiel zu bieten.»
Mr. Ravenscar hob die Augenbrauen. «Es ist kaum zu erwarten, dass ich mir diese Mühe mache», sagte er.
Diese Versicherung besänftigte seine Tante keineswegs. Sie sagte mit einiger Schärfe, dass ihr die Mode, Damen in einer Kleidung zu besuchen, die nur für Newmarket geeignet sei, bis zum heutigen Tage nicht begegnet sei.
«Ich bin soeben in die Stadt eingeritten», sagte Mr. Ravenscar mit einer Gleichgültigkeit, die seiner Erklärung allen Anschein einer Entschuldigung nahm. «Ich dachte, Sie wollten mich sprechen.»
«Ich wollte dich schon länger als fünf Tage sprechen. Wo in aller Welt bist du gewesen, du lästiges Geschöpf? Ich bin auf den Grosvenor Square gefahren, nur um das Haus verschlossen zu finden, und den Türklopfer entfernt.»
«Ich war in Chamfreys.»
«Ach, tatsächlich! Nun, ich hoffe, dass du deine Mutter bei gutem Wohlbefinden angetroffen hast – wenn es auch der Gipfel der Lächerlichkeit ist, Mrs. Ravenscar deine Mutter zu nennen, denn das ist sie keineswegs, und von allen verrückten ...»
«Ich tue es ja nicht», sagte Mr. Ravenscar kurz.
«Nun wohl, ich hoffe also, dass du sie bei gutem Wohlbefinden angetroffen hast», wiederholte Lady Mablethorpe, ein wenig aus der Fassung gebracht.
«Ich habe sie überhaupt nicht angetroffen. Sie ist mit Arabella in Tunbridge Wells.»
Lady Mablethorpes Augen leuchteten auf, als er ihre Nichte erwähnte. «Das liebe Kind», sagte sie. «Und wie geht es ihr, Max?»
Der Gedanke an seine junge Halbschwester schien Mr. Ravenscar indes keinerlei Freude zu bereiten. «Sie ist ein verteufelter Nichtsnutz», erwiderte er.
Eine leichte Unsicherheit flog über das rundliche Gesicht der Lady. «Ach, tatsächlich? Sie ist natürlich noch sehr jung, und ich glaube, Mrs. Ravenscar ist nachsichtiger mit ihr, als für sie gut ist. Aber ...»
«Olivia ist ebenso töricht wie Arabella», erwiderte Ravenscar kurz. «Beide kommen in der nächsten Woche nach London. Übrigens, das 14. Infanterieregiment wurde in der Nähe von Wells stationiert.»
Dieser grimmige Ausspruch war für Lady Mablethorpe sichtlich ungeheuer aufschlussreich. Nach einer etwas nachdenklichen Pause sagte sie: «Es ist Zeit, dass die liebe Arabella an eine Heirat denkt. Schließlich wurde ich verheiratet, als ich kaum ...»
«Sie denkt nie an etwas anderes», sagte Ravenscar. «Der letzte ist irgendein völlig unbekannter junger Bursche in einem scharlachroten Reitrock.»
«Du solltest sie mehr im Auge behalten», sagte seine Tante. «Du bist ebenso ihr Vormund wie Mrs. Ravenscar.»
«Das werde ich auch tun», sagte Ravenscar.
«Wenn wir sie in passender Weise verheiraten könnten, vielleicht ...»
«Meine teure Ma’am», sagte Mr. Ravenscar ungeduldig, «Arabella ist genauso zum Heiraten geeignet, als ob sie noch in den Windeln läge! Ich weiß von Olivia, dass sie bis über beide Ohren in nicht weniger als fünf Gentlemen in ebenso viel Monaten verliebt war.»
«Du lieber Gott, Max! Wenn du nicht sehr achtgibst, wird irgendein schrecklicher Mitgiftjäger mit ihr durchbrennen!»
«Das würde mich keineswegs überraschen.»
Lady Mablethorpe zeigte leichte Anzeichen von Erregung. «Du bist wirklich das aufreizendste Geschöpf! Wie kannst du in dieser kühlen Weise über eine so grauenhafte Möglichkeit sprechen?»
«Nun, dann wäre ich sie wenigstens los», sagte Mr. Ravenscar gemütsroh. «Wenn Sie aber daran denken, sie mit Adrian zu verheiraten, kann ich Ihnen schon heute sagen, dass ...»
«Oh, Max, deshalb wollte ich dich doch sprechen», unterbrach ihn seine Tante, die bei der Erwähnung ihres Sohnes an ein weit dringenderes Problem erinnert wurde. «Ich bin vor Sorgen völlig außer mir.»
«Ach?», sagte Mr. Ravenscar mit geringem Interesse. «Was hat der junge Narr wieder angestellt?»
Lady Mablethorpe empörte sich instinktiv bei dieser wenig rühmlichen Bezeichnung ihres einzigen Kindes, doch nach kurzer Überlegung kam ihr die unwillkommene Überzeugung, dass diese geringschätzige Ausdrucksweise verdient war. «Er glaubt in jemanden verliebt zu sein», sagte sie in tragischen Tönen.
Mr. Ravenscar blieb ungerührt. «Er wird das in den nächsten fünf oder sechs Jahren noch öfter glauben. Wie alt ist der Knabe?»
«Wenn man in Betracht zieht, dass du einer seiner Vermögensverwalter bist, solltest du doch wissen, dass er noch nicht einundzwanzig ist.»
«Dann verbiete das Aufgebot», empfahl Mr. Ravenscar.
«Ich wollte, du wärest etwas seriöser. Das ist nicht zum Lachen. In zwei Monaten ist er großjährig. Und ehe wir’s uns versehen, ist er mit irgendeinem berechnenden Frauenzimmer verheiratet.»
«Das halte ich für außerordentlich unwahrscheinlich, Ma’am. Lassen Sie den Jungen in Ruhe. Verdammt, er muss sich irgendwann die Hörner abstoßen.»
Lady Mablethorpe errötete ärgerlich. «Für dich ist’s ja schön und gut, dazustehen und in so abscheulicher Weise zu sprechen, wie wenn dir alles egal wäre, aber ...»
«Ich bin nur für sein Vermögen verantwortlich», sagte er.
«Ich hätte mir denken können, dass du nur herkommen wirst, um unangenehm zu sein. Kümmere dich nur nicht um meinen armen Jungen: schließlich ist’s nur das, was ich von dir erwartet habe. Aber gib dann nicht mir die Schuld, wenn er die empörendste Mesalliance eingeht.»
«Wer ist das Mädchen?», fragte Mr. Ravenscar.
«Ein Geschöpf ... ach, ein Frauenzimmer ... aus einem Spielsalon!»
«Was?», fragte Ravenscar ungläubig.
«Ich habe mir gedacht, dass du nicht ganz so überlegen sein wirst, wenn du die Tatsache gehört haben wirst», sagte die Lady mit einer gewissen morbiden Befriedigung. «Ich war nie im Leben so entsetzt wie in dem Moment, als ich davon hörte. Ich bin unverzüglich zu deinem Haus gefahren. Es muss etwas geschehen, Max!»
Er zuckte die Achseln. «Ach, lass ihn doch austoben. Das hat nichts zu besagen, sie wird ihn vielleicht weniger kosten als eine Balletttänzerin.»
«Sie wird ihn bedeutend mehr kosten», sagte die Lady scharf. «Er beabsichtigt, diese Kreatur zu heiraten.»
«Unsinn! Er ist kein solcher Narr. Man heiratet keine Weiber aus Spielsalons.»
«Ich möchte, dass du ihm das sagst, denn er kümmert sich nicht um das, was ich sage. Was willst du, er wird uns einreden wollen, dass dieses Mädchen etwas ganz Außerordentliches ist. Natürlich, das ist sonnenklar. Der liebe Junge ist so unschuldig wie ein Lämmchen und voll der unsinnigsten romantischen Ideen. Dieses hassenswerte, vulgäre, berechnende Weib hat ihn in ihr Haus gelockt, und die Nichte hat dann das übrige getan. Du kannst dich darauf verlassen, dass sie ihn von allem Anfang an für sich haben wollte. Sally Repton hat mir erzählt, dass es völlig lächerlich ist, mit anzusehen, wie Adrian dieses Frauenzimmer vergöttert. Man kann nichts mit ihm anfangen. Man wird sie mit Geld abfinden müssen. Deshalb habe ich dich hergebeten.» Als sie einen deutlich mürrischen Ausdruck in Mr. Ravenscars Miene gewahrte, fügte sie etwas entrüstet hinzu: «Du brauchst keine Angst zu haben, Max. Ich kenne dich viel zu gut, um anzunehmen, dass du für diese Angelegenheit etwas von deinem widerwärtigen Reichtum hergeben würdest.»
«Das hoffe ich sehr, Tante, denn ich werde es bestimmt nicht tun.»
«Es wäre auch sehr merkwürdig, wenn dich jemand darum bäte», sagte sie streng. «Nicht weil du diese Ausgabe bei deinem Reichtum etwa merken würdest. Ich kann mir wahrhaftig nicht vorstellen, wie es dir gelingt, die Hälfte deines Einkommens zu verbrauchen. Und ich muss sagen, Max, niemand würde bei deinem derzeitigen Äußeren vermuten, dass du so ziemlich der reichste Mann von London bist.»
«Wollen Sie mir wegen meines Mangels an Prahlerei ein Kompliment machen, Ma’am?»
«Nein, das tue ich nicht», sagte die Lady säuerlich. «Denn nichts konnte je den geringsten Wunsch in mir erwecken, dir ein Kompliment zu machen. Ich wünschte bei Gott, ich wüsste jemand andern als dich, an den ich mich in dieser Zwangslage wenden könnte. Du bist hart und gefühllos, Max, und übertrieben egoistisch.»
Er suchte in der Tiefe seiner Tasche seine Schnupftabakdose, zog sie hervor und öffnete sie. «Versuchen Sie es mit Onkel Julius», schlug er vor.
«Dieses alte Weib», rief Lady Mablethorpe, indem sie mit einer einzigen verächtlichen Phrase über ihren Schwager hinwegging. «Willst du mir vielleicht sagen, was er in dieser Sache tun könnte?»
«Sie trösten», sagte Mr. Ravenscar und nahm eine Prise. Er sah, dass das Riechfläschchen wieder in Aktion trat, und ließ seine Dose mit einem kleinen Knall zuschnappen. «Es wäre gut, wenn Sie mir mitteilten, wer diese Dirne von Adrian ist.»
«Sie ist die Nichte dieser vulgären Lady Bellingham – zumindest geben sie es vor», antwortete Lady Mablethorpe und legte das Riechfläschchen beiseite. «Du musst Eliza Bellingham doch kennen. Sie unterhält in der St. James Street einen Spielsalon.»
«Eine vom Schlage der Archer-Buckinghams?»
«Stimmt genau. Nun, ich will ja nicht behaupten, dass sie so arg ist wie dieses prächtige Paar, denn wer wäre da noch imstande? – aber es ist arg genug. Sie war die Frau Ned Bellinghams, ich habe sie aber nie für guten Ton gehalten, wenn auch gegen Bellingham nichts zu sagen ist.»
«Ich scheine völlig unwissend zu sein.»
«Nun ja, das war vor deiner Zeit. Es spielt aber keine Rolle, denn er ist bereits seit fünfzehn Jahren tot: Er trank sich ins Grab, obwohl man es offiziell Lungenentzündung nannte – Blödsinn! Natürlich hat er sie mit einem Haufen Schulden zurückgelassen, wie man es ja erwarten musste. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ihr gelungen ist, sich am Leben zu erhalten, bevor sie mit diesem unglückseligen Spielsalon begann: Vielleicht hat sie reiche Verwandte. Aber das gehört nicht hierher. Du wirst sie überall antreffen; sie hat sogar eine Loge in der Oper! Aber kein Mensch von gutem Ton nimmt von ihr Notiz.»
«Wie gelingt es ihr dann, ihr Haus mit den nötigen Gästen zu füllen? Ich nehme an, dass es nach den üblichen Spielregeln geht: diskrete Einladungskarten, ein exzellentes Souper, ein minderer Wein á discretion, E. O. und Pharo-Tische, die im oberen Stockwerk bereitstehen?»
«Ich habe über Damen von Stand gesprochen», sagte seine Tante kühl. «Es ist leider allgemein bekannt, dass Gentlemen überall hingehen würden, um zu spielen.»
Er machte ihr eine leichte ironische Verbeugung. «Ebenso wie – wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt – Lady Sarah Repton.»
«Ich will Sally keineswegs entschuldigen. Tochter eines Herzogs hin oder her, ich würde nie daran denken, sie als guten Ton zu bezeichnen.»
Er sah leicht amüsiert aus. «Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich aufklären würden: Empfangen Sie sie?»
«Bitte, sei nicht absurd. Natürlich hat Sally überall entrée. Eliza Bellingham ist ein ganz anderer Fall! Denn du kannst dich darauf verlassen, obwohl Sally ihr Haus betritt, setzt sie keinen Fuß in das von Sally. Und Sally war es auch, die mich über die Vorgänge aufklärte. Wie du dir vorstellen kannst, habe ich Adrian sein Verhalten unverzüglich vorgeworfen.»
«Das habe ich nicht anders angenommen», meinte Mr. Ravenscar mit sardonischer Miene.
Lady Mablethorpe warf ihm einen Blick wütender Abneigung zu. «Du brauchst mich nicht für dumm zu halten, Max. Ich bin natürlich taktvoll zu Werk gegangen, da ich nicht einen Augenblick angenommen habe, dass es sich bei dieser Affäre um mehr handeln könnte als um eine ... eine ... Nun, du weißt schon, was jedermann annehmen würde, wenn er hört, dass ein junger Mann sich in ein Frauenzimmer aus einem Spielsalon verliebt hat. Du kannst dir meine Bestürzung vorstellen, als Adrian mich sogleich, ohne das geringste Zögern, darüber aufklärte, dass er in das Mädchen tatsächlich wahnsinnig verliebt sei und die Absicht habe, es zu heiraten. Max, ich war derart bestürzt, dass ich kein Wort hervorbrachte.»
«Ist er denn verrückt geworden?», fragte Mr. Ravenscar.
«Er ist genau wie sein Vater», sagte Lady Mablethorpe verzweifelt. «Verlass dich darauf, er hat sich irgendwelche romantischen Ideen in den Kopf gesetzt. Du weißt doch, dass er als kleiner Junge beständig Geschichten über ritterliche Taten und derlei Unsinn gelesen hat. Das kommt dann davon! Ach, hätte ich ihn nur nach Eton geschickt!»
Mr. Ravenscar hob seinen Blick und betrachtete gedankenvoll das Porträt, das an der gegenüberliegenden Wand hing. Es zeigte einen jungen Mann in einem blauen Rock, dessen schöne Augen den Beschauer mit leichtem Lächeln anblickten. Es war ein blendend aussehender junger Mensch, kaum mehr als ein Knabe. Sein eigenes blondes Haar war im Nacken gebunden, und er stützte sein Kinn auf eine schöne schlanke Hand. Seine Miene verriet große Liebenswürdigkeit, doch in der Biegung seines Mundes lag eine Andeutung von Starrköpfigkeit, die in seltsamem Kontrast zu der träumerischen Weichheit seiner Augen stand.
Lady Mablethorpe folgte der Blickrichtung ihres Neffen und studierte hierauf gleichfalls mit bösen Vorahnungen das Porträt des vierten Viscount. Ein hoffnungsloser Seufzer entschlüpfte ihr; dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Mr. Ravenscar. «Was soll nun geschehen, Max?», fragte sie.
«Er kann dieses Frauenzimmer nicht heiraten.»
«Willst du mit ihm sprechen?»
«Ganz gewiss nicht.»
«Ich gebe zu, dass es außerordentlich schwierig ist, aber vielleicht hört er auf dich.»
«Ich kann mir nichts Unwahrscheinlicheres vorstellen. Bis zu welcher Ziffer würden Sie gehen, um das Mädchen abzufinden?»
«Kein Opfer wäre zu groß, um meinen Sohn aus dieser Verstrickung zu befreien. Ich verlasse mich auf dich, denn ich verstehe nichts von diesen Dingen. Nur, rette meinen armen Jungen!»
«Das ist mir sehr zuwider», sagte Ravenscar grimmig.
Lady Mablethorpe erstarrte. «Tatsächlich! Was willst du damit sagen?»
«Meine angeborene Abneigung dagegen, geschröpft zu werden, Ma’am.»
«Oh!», sagte sie und entspannte sich. «Du kannst dich mit der Überlegung beruhigen, dass ich es bin, die geschröpft werden wird, und nicht du.»
«Das ist wenigstens ein kleiner Trost», erklärte er.
«Ich zweifle nicht im Geringsten, dass du das Mädchen habgierig finden wirst. Sally hat mir gesagt, dass sie um mindestens fünf Jahre älter ist als Adrian.»
«Sie wäre eine Gans, wenn sie sich mit weniger als zehntausend begnügte», sagte Ravenscar.
Lady Mablethorpes Mund stand offen. «Max!»
Er zuckte die Achseln. «Adrian ist ja nicht gerade ein Bettler, meine liebe Tante. Überdies hat er einen Titel. Zehntausend.»
«Ich finde das unerhört.»
«Es ist unerhört.»
«Ich könnte diese abscheuliche Kreatur erwürgen.»
«Bedauerlicherweise schließen die Gesetze dieses Landes die Weiterverfolgung dieses an sich vortrefflichen Verfahrens aus.»
«Wir werden zahlen müssen», sagte sie mit hohler Stimme. «Denn ich bin überzeugt, es wäre nutzlos, mich an diese Frau zu wenden.»
«Es wäre ein großer Fehler, so große Schwäche zu verraten.»
«Es könnte mich auch nichts dazu bringen, mit einer solchen Frau zu sprechen! Stelle dir nur vor, Max! Sie präsidiert in diesem fürchterlichen Haus an einem der Tische! Du kannst dir ausmalen, was für ein freches vulgäres Stück sie ist! Sally sagt, dass die ärgsten Wüstlinge der Stadt hingehen und dass sie ihre Gunst Männern schenkt wie diesem grauenhaften Lord Ormskirk. Er soll sich ständig an ihrer Seite befinden. Ich glaube, sie ist ihm mehr, als sich mein irregeleiteter Junge träumen lässt. Aber es hat keinen Sinn, ihm etwas Derartiges zu sagen. Er wird sofort wütend.»
«Ormskirk, eh?», sagte Ravenscar nachdenklich. «Das entscheidet die Sache: Jeder Versuch, eine Dame, die es gewohnt ist, seine Aufmerksamkeiten zu ermutigen, für vernünftige Bedingungen zu gewinnen, wäre bestimmt zum Scheitern verurteilt. Ich hätte Adrian für vernünftiger gehalten.»
«Du kannst ihm keine Schuld geben», sagte Lady Mablethorpe, «welche Erfahrungen hat er denn mit solchen Menschen gemacht? Zehn zu eins hat ihm das Mädchen eine rührende Geschichte über sich erzählt. Außerdem soll sie nach dem, was Sally Repton mir gesagt hat, sehr reizvoll sein. Vermutlich besteht keine Hoffnung, dass sie sich zu Ormskirks Gunsten entscheidet?»
«Nicht die geringste, wie ich annehme. Ormskirk würde sie nie heiraten.»
Allem Anschein nach begann sich Lady Mablethorpe in Tränen aufzulösen. «Oh, Max, was sollen wir tun, wenn sie ihn nicht aufgeben will?»
«Man muss sie dazu zwingen, ihn aufzugeben.»
«Wenn die Verhältnisse am Kontinent nicht so unsicher wären, hätte ich die größte Lust, ihn ins Ausland zu schicken. Ich fürchte nur, er würde sich weigern abzureisen.»
«Sehr wahrscheinlich.»
Lady Mablethorpe betupfte ihre Augen. «Es würde mich töten, wenn mein Sohn von einem solchen Weib eingefangen würde.»
«Das bezweifle ich, aber regen Sie sich nicht derart auf, Ma’am. Er wird von ihr nicht eingefangen werden.»
Diese Versicherung tröstete sie ein wenig. «Ich habe gewusst, dass ich mich auf dich verlassen kann, Max. Und was beabsichtigst du zu tun?»
«Mir diese Circe persönlich anzusehen», erwiderte er. «St. James Square, sagten Sie?»
«Ja, Max, aber du weißt ja, wie vorsichtig diese Häuser sein müssen, wegen der Polizeibeamten. Ich glaube, man wird dich ohne Einladungskarte nicht einlassen.»
«Den reichen Mr. Ravenscar nicht einlassen?», sagte er zynisch. «Meine liebe Tante! Ich werde mit offenen Armen empfangen werden.»
«Nun, ich hoffe, sie werden dich nicht ausplündern», sagte Lady Mablethorpe.
«Im Gegenteil, ich hoffe, sie werden es tun», erwiderte er. «Aber ich bin nicht leicht zu betrügen.»
«Wenn dich Adrian dort trifft, wird er deine Absicht erraten. Er wird bestimmt glauben, dass ich dich geschickt habe.»
«Leugnen Sie es eben ab», sagte Ravenscar gelangweilt.
Lady Mablethorpe begann sich in einem moralisierenden Vortrag über das Übel jeglichen Betruges zu ergehen, da sie jedoch feststellen musste, dass ihr Neffe völlig unbeeindruckt blieb, hielt sie inne und sagte in einem einigermaßen nachträgerischen Ton: «Sei nur vorsichtig, Max. Man behauptet, das Mädchen wäre wie ein Honigtopf, und ich will bestimmt nicht dich auch noch in ihren Netzen gefangen sehen.»
Er lachte. «Es besteht nicht die geringste Veranlassung, Ma’am, sich meinetwegen Sorgen zu machen. Ich bin weder zwanzig Jahre alt, noch besitze ich eine romantische Veranlagung. Es wäre am besten, wenn Sie Adrian nichts von meinem Besuch hier erzählen wollten. Ich werde ihn zweifellos heute Abend am St. James Square sehen.»
Sie reichte ihm ziemlich besänftigt die Hand. «Du bist ein ungemein aufreizender Mensch, Max, aber ich weiß tatsächlich nicht, was ich ohne dich anfangen sollte. Du wirst also alles in Ordnung bringen: Ich verlasse mich völlig auf dich.»
«Diesmal können Sie es beruhigt tun», sagte Mr. Ravenscar und hob ihre Hand formvollendet an seine Lippen.
Er verabschiedete sich sodann und entfernte sich. Hierauf öffnete sie ihr Buch wieder, blieb jedoch, während sie ins Feuer starrte, eine Zeitlang mit angenehmen Träumereien beschäftigt. Sie hoffte, dass ihr Sohn, einmal aus seiner derzeitigen Situation befreit, eine Lehre erhalten haben und sich von weiteren Verstrickungen fernhalten würde. Der Bericht, den Ravenscar über die ungemein rege Geschäftigkeit seiner Stiefschwester gegeben hatte, war nicht völlig genussreich gewesen, doch Lady Mablethorpe war eine großzügig denkende Dame und neigte nicht dazu, den Extravaganzen einer jungen Dame von achtzehn Lenzen allzu viel Gewicht beizulegen. Natürlich ist es höchst beklagenswert, dass Arabella Tändeleien so zugeneigt ist, aber das, was bei einem anderen Backfisch ein empörendes Vergehen gewesen wäre, wird bei einer so eminent reichen Erbin bloß als Kaprice der Jugend betrachtet. Flirt hin, Flirt her, Lady Mablethorpe hatte nun einmal das Ziel, Arabella mit ihrem Sohn verheiratet zu sehen. Nichts könnte passender sein, dachte sie. Arabella war von ausgezeichneter Geburt, vermögend und überdies sehr reizvoll; sie kannte ihren Cousin seit ihrer Kindheit und würde ihm eine ausgezeichnete Gattin sein. Lady Mablethorpe hatte gegen die Lebhaftigkeit dieses Kindes durchaus nichts einzuwenden: Sie fand sie sehr anziehend, besonders da sie ihre Lebhaftigkeit stets mit einem reizenden, wenn auch mutwilligen Respekt vor ihrer Tante vereinte.
Die Erinnerung an den unbekannten Bewerber in dem Scharlachrock beunruhigte die behagliche Träumerei der Lady nur vorübergehend. Sie verbannte sie alsbald, denn sie war überzeugt, dass man sich auf Max verlassen konnte, derlei Unfug Einhalt zu gebieten. Wenn er auch gefühllos war, war er doch nicht der Mann, müßig zuzusehen, wie Arabella sich selbst und ihre achtzigtausend Pfund an irgendeinen Niemand in einem Linienregiment verschenkte. Lady Mablethorpe fand, dass es empörend wäre, wenn Arabella diese reichen Gaben an einen anderen Mann als den jungen Lord Mablethorpe verschenkte.
Sie hielt sich nicht für eine gewinnsüchtige Frau, denn wenn ihr geliebter Sohn gegen seine Cousine eine Abneigung hätte, würde sie die letzte sein, ihn zu einer Heirat mit ihr zu zwingen. Aber achtzigtausend Pfund, sicher in Staatspapieren angelegt. Jede kluge Frau musste wünschen, dass dieses Vermögen dem Familienschatz hinzugefügt werde, insbesondere da (wenn man Max Glauben schenken konnte) binnen kurzem die niederschmetternde Summe von zehntausend Pfund von den Zinsen, die sich während Adrians Minderjährigkeit angesammelt hatten, bezahlt werden musste. In diesem Zusammenhang war es ein glücklicher Umstand, wie die Lady dachte, dass die Verwaltung aller Transaktionen der Mablethorpeschen Güter in Maxens fähigen Händen belassen worden war, anstatt in denen des Honourable Julius Mablethorpe. Es unterlag keinem Zweifel, dass Max einen ungemein klugen Kopf auf seinen Schultern trug. Dank seiner Verwaltung würde sich Adrian, wenn er großjährig wurde, im Besitz eines höchst ansehnlichen Vermögens befinden (trotz des Verlustes der zehntausend Pfund). Es konnte sich natürlich nicht mit dem Reichtum Ravenscars messen, ein bedrückender Umstand, der Lady Mablethorpe jahrelang höchst unvernünftigen Verdruss bereitet hatte. Sie hatte sich sogar gelegentlich gewünscht, eine Tochter zu haben, die Max hätte heiraten können.
Sie hätte alles leichter ertragen, wäre ihr die Befriedigung vergönnt gewesen, ihn seinen Reichtum vergeuden zu sehen. Dieser Trost blieb ihr aber versagt. Mr. Ravenscar hatte sehr anspruchslose Neigungen. Er unterhielt selbstverständlich einen großen Haushalt am Grosvenor Square. Sein Landsitz, Chamfreys, bestand aus einem vornehmen Herrenhaus, mit einem Wildpark und ausgezeichneter Jagd, zu dem ausgedehnte Ländereien gehörten; aber er arrangierte dort keine prächtigen Hauspartys, was ihm, wie seine darob betrübte Tante meinte, sehr wohl angestanden hätte, da seine Stiefmutter als Dame des Hauses hätte fungieren können. Das hätte der zweiten Mrs. Ravenscar auch etwas Nützlicheres zu denken gegeben als nur an ihre Gesundheit. Die Gesundheit der zweiten Mrs. Ravenscar war ein Thema, das, obwohl es sie in keiner Weise etwas anging, nie verfehlte, Lady Mablethorpe zu erbittern. Denn diese würdige Dame bewohnte zwar ein sehr schönes Haus in der Brook Street, hätte es jedoch bei weitem vorgezogen, am Grosvenor Square zu wohnen, wo sie in großem Stil hätte empfangen können. Es bildete für sie eine ständige Quelle des Ärgers, dass ihre Schwägerin erklärte, ihr zarter Nervenzustand könne den Lärm von London nicht ertragen, weshalb sie den größten Teil der Zeit in Bath oder Tunbridge Wells verbringen müsse. Daher waren die Gesellschaften, die Max gab, entweder Junggesellenpartys oder solcher Art, dass sie es ihm unmöglich machten, seine Tante zu bitten, das Amt der Dame des Hauses zu übernehmen.
Sie war erstaunt, dass es ihn freute, in einem ungeheuer großen Palais allein zu leben. Sie staunte auch, da sie selbst eine Frau mit geselliger Veranlagung war, dass er so wenig Wert auf die allgemein beliebten Vergnügungen der großen Welt legte. Man würde auf Bällen, Redouten und Maskenbällen vergebens nach Mr. Ravenscar Ausschau halten: zehn zu eins würde er sich aber bei einem Hahnenkampf befinden oder sich in irgendeinem obskuren Wirtshaus mit Preisboxern unterhalten. Er war Mitglied einer Anzahl vornehmer Klubs, besuchte aber selten einen derselben. Seine Tante hatte gehört, dass er häufig bei Brooks zu sehen war, wo sehr hoch gespielt wurde, und sie wusste auch, dass seine Freunde ihn um seine Pferde beneideten; aber das waren bestimmt seine einzigen Extravaganzen. Während die Stadt von Lebemännern und Dandys wimmelte, und selbst Herren, die diese Höhen der letzten Mode nicht anstrebten, Stunden damit verbrachten, Westen zu entwerfen, und Vermögen für Ringe, Uhranhänger, Schuhschnallen und Krawattennadeln ausgaben, verschwendete Mr. Ravenscar weder Zeit noch Geld für etwas anderes als seine Stiefel (die zugegebenermaßen hervorragend waren) und wurde nie mit einem anderen Schmuckstück gesehen als mit dem schweren goldenen Siegelring, der seine linke Hand schmückte.
Er war jetzt fünfunddreißig Jahre alt, und es war bereits eine beträchtliche Zeit verstrichen, seit auch die optimistischste Mutter, die auf das Ehestiften aus war, sich Hoffnungen gemacht hatte, dass er ihrer Tochter das Taschentuch zuwerfen könnte. Es hatte eine Zeit gegeben, zu der er der gesuchteste Mann in London war; er wurde mit Einladungen überschüttet; die listigsten Fallen waren ihm gestellt worden; aber die Gleichgültigkeit, mit der er alle heiratsfähigen jungen Damen betrachtete (eine Gleichgültigkeit, die zu verbergen er sich nie bemühte), seine kühle Reserviertheit und seine Gewohnheit, bei jeder Gelegenheit nur das zu tun, was ihm beliebte, hatte die enttäuschten Damen schließlich doch überzeugt, dass nicht das geringste von ihm zu erhoffen war, nicht einmal ein hübsches, kostspieliges Schmuckstück, um jenen Damen eine Aufmerksamkeit zu erweisen, die sich für seine Freundinnen hielten. Mr. Ravenscar verschenkte nichts. Es war zwecklos zu hoffen, dass er sich galant erbieten würde, einen Verlust bei Whist oder Silberloo wettzumachen, viel wahrscheinlicher war es, dass er sich durch ihre Verluste bereichert vom Spieltisch erheben würde. Es war ein geringer Trost, dass weniger tugendhafte Damen, deren Namen von Zeit zu Zeit mit dem seinen genannt worden waren, es nie erreichen konnten, mit Schmuckstücken, die er ihnen geschenkt, zu paradieren: Es bewies bloß, dass er abscheulich geizig war, ein unerhörter Fehler. Man hielt ihn für einen stolzen, unangenehmen Menschen; seine Manieren waren keineswegs verbindlich; obwohl die Herren behaupteten, er wäre ein ausgezeichneter Sportsmann, peinlich genau in allen Dingen des Spiels und der Bereinigung von Spielschulden, waren die Damen eher geneigt, ihn für einen Wüstling zu halten, mit einer ausgesprochenen Neigung für schlechte Gesellschaft.
Lady Mablethorpe, die sich auf seine Hilfe verließ und jahrelang seinem Rat gefolgt war, verurteilte seine Unhöflichkeit, verabscheute seine Herzenskälte, hatte ein wenig Angst vor seiner gelegentlich scharfen Zunge, und hoffte im Übrigen, dass ihm irgendjemand eines Tages die verdiente Lektion erteilen werde. Es würde ihm recht geschehen, wenn er am St. James Square eine Menge Geld verlöre: etwa zehntausend Pfund, die ein weniger widerlich egoistischer Mensch seinem unglücklichen jungen Cousin bestimmt angeboten hätte.
Mr. Ravenscar wurde es erspart, auf seinen Namen und Reichtum zu pochen, da er vor dem Haus der Lady Bellingham auf dem St. James Square einen Bekannten traf, der sich bereit erklärte, ihn bei der Dame des Hauses einzuführen. Mr. Bakeley Crewe sagte vorher, das alte Mädchen werde begeistert sein, ihn willkommen zu heißen, er versicherte ihm, dass korrekt gespielt werde, dass der Wein recht erträglich sei und die Soupers die besten in ganz London. Außerdem wäre es Lady Bellingham gelungen, Mrs. Sturt und Mrs. Hobart völlig in den Schatten zu stellen. Die Türe wurde ihnen von einem kräftigen Individuum mit groben Gesichtszügen und einem richtigen Boxerohr geöffnet. Sie betraten die weite Halle. Mr. Crewe nickte dem Türsteher auf familiäre Art zu und sagte kurz: «Ein Freund von mir, Wantage.»
Mr. Wantage starrte den Fremden mit beifälligem und nachdenklichem Interesse an, ehe er sich anschickte, ihm aus dem Mantel zu helfen. Mr. Ravenscar erwiderte das Interesse mit Zinsen. «Wann haben Sie im Ring gekämpft?», fragte er.
Mr. Wantage schien hocherfreut. «Ach, das ist jetzt lange vorbei», sagte er. «Genau gesagt, bevor ich in die Armee eintrat. Komisch, dass Sie es sogleich gemerkt haben.»
«Das war nicht schwer», erwiderte Mr. Ravenscar und schob seine Spitzenmanschetten zurecht.
«Ich habe mir gedacht, Sir, dass auch Sie sich ausgepellt sehr vorteilhaft ausnehmen würden», bemerkte Mr. Wantage.
Mr. Ravenscar lächelte flüchtig, antwortete aber nicht. Mr. Crewe, der den Sitz seines Satinrocks geprüft und zu seiner Zufriedenheit befunden, die Spitzen zurechtgezupft und seine ganze Erscheinung sorgfältig im Wandspiegel betrachtet hatte, begab sich nun zur Treppe; Ravenscar folgte ihm durch eine Reihe von Salons in den ersten Stock, nachdem er sich umgesehen und festgestellt hatte, dass das Haus mit erstklassigster Eleganz eingerichtet war.
Sie betraten die Spielzimmer durch die erste Türe, an die sie gelangten, und befanden sich in einem Raum, der dem Bassettspiel gewidmet war. Ungefähr ein Dutzend Personen saßen um einen Tisch. Die meisten waren dermaßen mit ihren Karten beschäftigt, dass der Eintritt der Neuankömmlinge unbeachtet blieb. Eine tödliche Stille lastete über dem Raum, in scharfem Gegensatz zu dem lebhaften Getöse, das aus dem anstoßenden Salon drang, in den Mr. Crewe seinen Freund nun geleitete. Es war ein vornehmer Raum, der die Vorderfront des Hauses einnahm. Die Wände waren mit strohfarbenem Seidensatin bespannt und mit einer Reihe von Sesseln und Tischen ausgestattet, auf welchen sich Untersätze für die Geldrollen und die Gläser der Pointierenden befanden. An einem Ende des Zimmers war eine Pharobank in vollem Gang, der eine etwas stark geschminkte Dame in einer purpurfarbenen Seidentoilette und einem reich mit Straußfedern geschmückten Turban präsidierte. Am anderen Ende, näher zum Kamin, hatte sich eine laut lärmende Gesellschaft um einen E.-O.-Tisch versammelt, der von einer hochgewachsenen jungen Frau mit kastanienbraunem Haar, das im Kerzenlicht schimmerte, und einem Paar lachender dunkler Augen unter schmalen gewölbten Brauen, in Gang gehalten wurde. Ihr üppiges Haar war sehr einfach coiffiert, hochgekämmt, und ohne Puder ringelte es sich in weichen Locken. Eine der Locken war, als sie sich über den Tisch beugte, nach vorne gerutscht und lag auf ihrem weißen Busen. Sie sah auf, als Mr. Crewe sich ihr näherte, und Mr. Ravenscar, der sie leidenschaftslos betrachtete, bereitete es keine Schwierigkeiten zu verstehen, weshalb sein junger Verwandter den Kopf in so beklagenswerter Weise verloren hatte. Die Augen der Dame waren die ausdrucksvollsten und schönsten, die er je gesehen. Ihre Wirkung auf einen leicht entflammbaren Jüngling musste, wie er dachte, verheerend sein. Als Kenner weiblicher Reize konnte er nichts anderes tun, als dem Anblick den Miss Grantham bot, Beifall zu zollen. Wahrhaft königlich gewachsen, trug sie ihren Kopf hoch, sie besaß zarte Gelenke und wohlgeformte Fesseln. Sie sah aus, als verfügte sie über eine Menge Humor, und ihre Stimme erwies sich beim Sprechen als dunkel und angenehm. Neben ihr, über eine Sessellehne gebeugt, beobachtete ein Dandy in einem gestreiften Rock und mit gepuderter Perücke das Wirbeln der Roulette auf nachlässig kühle Art; auf der anderen Seite hatte Mr. Ravenscars Cousin für nichts Augen als für Miss Granthams liebliches Antlitz.
Miss Grantham, die bemerkt hatte, dass ein Fremder Mr. Crewe quer durch das Zimmer auf dem Fuße folgte, betrachtete ihn kritisch. Durch den Zwang geschult, einen Mann rasch zu beurteilen, fiel es ihr diesmal jedoch schwer, Mr. Ravenscar richtig zu platzieren. Sein einfacher Rock, das Fehlen jeglicher Juwelen oder Spitzenkrausen deutete nicht auf eine dicke Banknotenrolle; doch sein Gehaben war von einer so unbewussten Sicherheit, als wäre er gewohnt, unbeirrt seinen Weg zu gehen und in jeder Gesellschaft das zu tun, was ihm beliebte. Wenn sie ihn auf den ersten Blick für einen Landjunker gehalten hatte, wurde dieser Eindruck rasch korrigiert. Er mochte zwar sorglos gekleidet sein, aber sie sah sogleich, dass kein Landschneider diesen einfachen Rock angefertigt hatte.
Sie wandte ihren Kopf dem Dandy in mittleren Jahren zu, der sich über die Sessellehne beugte. «Wer ist unser neuer Freund, Mylord? Ein Puritaner, der sich in unsere Mitte verirrt hat?»
Der Dandy hob langsam sein Monokel, dann ließ er es wieder sinken. Unter seiner kunstvollen Maquillage war sein schmales, schönes Gesicht seltsam gefurcht. Seine Brauen hoben sich. «Das ist kein Puritaner, meine Liebe», sagte er mit hoher gelangweilter Stimme. «Das ist in Wirklichkeit eine ungemein fette Taube. Tatsächlich, es ist Ravenscar.»
Diese Erklärung bewirkte, dass sich der Kopf des jungen Lord Mablethorpe mit einem Ruck herumdrehte. Er starrte seinen Cousin ungläubig an, dann stieß er lediglich hervor: «Max!» Aus seinem Ton war Erstaunen mit einer Mischung von Argwohn zu hören. Sein schönes Gesicht errötete knabenhaft und ließ ihn jünger denn je und nicht wenig schuldbewusst erscheinen.
Er erhob sich und sagte in fast verteidigendem Ton: «Ich hatte nicht erwartet, dich hier zu sehen.»
«Warum nicht?», fragte Ravenscar gelassen.
«Ich weiß nicht. Das heißt, ich habe nicht geglaubt ... Kennst du Lady Bellingham?»
«Ich zähle auf Crewe, mich ihr vorzustellen.»
«Oh! Dann hat dich also Crewe hierhergebracht», sagte Seine Lordschaft, ein wenig erleichtert. «Ich habe geglaubt ... zumindest habe ich mich gefragt ... aber das hat nichts zu sagen.»
Mr. Ravenscar betrachtete ihn mit freundlicher Überraschung. «Du scheinst durch meine Ankunft hier völlig unerklärlicherweise irgendwie in Verlegenheit, Adrian. Was habe ich getan, um mir deine Missbilligung zuzuziehen?»
Lord Mablethorpe errötete heftiger denn je und ergriff seinen Arm mit einer raschen, freundschaftlichen Gebärde. «O Max, du Narr! Natürlich hast du nichts getan. In Wirklichkeit bin ich sehr froh, dich hier zu sehen. Ich möchte dich mit Miss Grantham bekannt machen. Deb! Das ist mein Cousin, Mr. Ravenscar. Ich glaube, Sie werden von ihm schon gehört haben. Er ist ein hervorragender Spieler, soviel kann ich Ihnen verraten!»
Als Miss Deborah Grantham dem Blick seiner harten grauen Augen begegnete, konnte sie sich nicht entscheiden, ob er ihr sympathisch war. Sie nahm seine Verbeugung mit einem leichten Knicks zur Kenntnis und sagte achtlos: «Sie sind willkommen, Sir, und befinden sich ganz bestimmt in dem richtigen Haus. Sie kennen Lord Ormskirk, wie ich glaube?» Der ältliche Dandy und Ravenscar tauschten ein Kopfnicken aus.
Ein großer, schlaksiger Mann, auf der andern Seite des Tisches, sagte augenzwinkernd: «Seien Sie nur ja nicht schüchtern, Mr. Ravenscar; wir sind alle äußerst begierig, Ihr Geld zu gewinnen. Aber ich warne Sie, Miss Granthams Glück hält – nicht wahr, mein Liebling? –, und die Bank hat während der letzten Stunde ständig gewonnen.»
«Es ist allgemein üblich, dass die E.-O.-Bank gewinnt», bemerkte eine metallische, leicht höhnische Stimme neben Ravenscar. «Ihr Diener, Ravenscar.»
Mr. Ravenscar, der diese Begrüßung erwiderte, schwor sich insgeheim zu, seinen Cousin aus dieser Gesellschaft, in die er gelockt worden war, zu befreien, und wenn er ihn k. o. schlagen und entführen müsste. Der Earl of Ormskirk, Sir James Filey und – wie ihn sein rascher Blick durch das Zimmer belehrt hatte – alle die abgebrühtesten Spieler, die Pall Mall und seine Umgebung frequentierten, waren keine angemessene Gesellschaft für einen so jungen Menschen, der kaum aus den Windeln heraus war. In diesem Augenblick hätte es Mr. Ravenscar ungemeines Vergnügen bereitet, Miss Grantham gemeinsam mit ihrer Tante am Pranger stehen zu sehen, ebenso wie jede andere brelandière, die grüne junge Leute in diesen eleganten Spielsalons ruinierten.
Nichts von alldem war in seinem Gesicht zu lesen, als er Miss Granthams Einladung akzeptierte, ebenfalls zu pointieren. E.-O.-Tische hatten nicht den geringsten Reiz für ihn, da er jedoch auf den St. James Square gekommen war, um sich mit Miss Grantham auf ungezwungenen Fuß zu stellen, und der Meinung war, er könne dies am raschesten dadurch erreichen, dass er so viel Geld wie möglich in ihrem Haus verspielte, verbrachte er die nächste halbe Stunde damit, tollkühne Einsätze zu machen.
Inzwischen hatte auch die ältere Dame am Pharotisch, Lady Bellingham, seine Identität entdeckt und befand sich in angenehmer Erregung. Einer ihrer Nachbarn teilte ihr mit, dass Ravenscar im Jahr über zwanzig- oder dreißigtausend Pfund verfüge, dämpfte diese frohe Botschaft aber, indem er hinzufügte, man behaupte, er habe bei allen Glücksspielen verteufeltes Glück. Falls dies stimmte, so bewährte es sich heute nicht. Mr. Ravenscar hatte in der kurzen Zeit, die er an dem E.-O.-Tisch verbrachte, nahezu fünfhundert Guineen verloren. Während er für das Umlaufen der kleinen Kugel ein Interesse heuchelte, das zu empfinden er weit entfernt war, bot sich ihm die Gelegenheit, die er gesucht hatte, um Miss Grantham zu beobachten. Er bemerkte die verliebten Aufmerksamkeiten seines Cousins der Dame gegenüber gleichfalls, ein Schauspiel, das ihm körperliches Unbehagen bereitete. Adrians offenherzige blaue Augen beteten sie hemmungslos an; er schenkte allem übrigen wenig Aufmerksamkeit; und seine Haltung Lord Ormskirk gegenüber erinnerte Ravenscar lebhaft an einen Hund, der einen Knochen bewacht.
Ormskirk schien dies leicht zu amüsieren. Er machte Adrian gegenüber verschiedentlich provozierende Bemerkungen, als ob es ihm ein sadistisches Vergnügen bereite, den Jungen zu quälen. Einige Male schien Adrian am Rande eines leidenschaftlichen Ausbruchs, aber Miss Grantham vermittelte jedes Mal, sie schob Seiner Lordschaft vergiftetes Rapier mit beachtlicher Geschicklichkeit beiseite, warf ihm eine lachende Erwiderung zu und besänftigte Adrian mit einem raschen vertraulichen Lächeln, das ihm zu versichern schien, dass zwischen ihm und ihr ein heimliches Einverständnis bestehe, welches Ormskirks ausfällige Bemerkungen nicht zu beeinträchtigen vermochte.
Ravenscar billigte ihr zu, eine sehr kluge junge Dame zu sein, was seine Sympathien für sie jedoch keineswegs erhöhte. Sie hielt zwei ganz verschiedene Anbeter mit leichtester Hand am Zügel, und bisher hatten sich diese nicht verwirrt. Mochte Adrian auch leicht zu behandeln sein, so war Ormskirk von ganz anderem Schlag, überlegte Ravenscar mit grimmiger Befriedigung.
Seine Lordschaft, der den Fünfzig näher war als den Vierzig, war zweimal verheiratet gewesen und neuerdings Witwer. Es wurde allgemein angenommen, dass er beide Frauen ins Grab getrieben habe. Er besaß mehrere Töchter, keine von ihnen war bisher aus dem Schulzimmer entlassen worden, und einen Sohn, noch immer in kurzen Hosen. Die Aufsicht über seinen Haushalt führte seine Schwester, eine farblose, stets zu Tränen geneigte Dame, was vielleicht die Tatsache erklärte, dass Seine Lordschaft so selten zu Hause anzutreffen war. Seine beiden Ehen waren sehr klug gewählt, wenn auch wenig aufregend gewesen, und da er seit Jahren der Gewohnheit frönte, seine Vergnügungen in den Armen einer langen Reihe schöner Kokotten zu suchen, war es im höchsten Grade unwahrscheinlich, dass er das Wagnis einer dritten Ehe in Betracht ziehen würde. Sollte er dennoch daran denken, dann würde er seine Braut nicht in einem Spielsalon suchen, so viel wusste Mr. Ravenscar. Seine Absichten in Bezug auf Miss Grantham waren, genau betrachtet, schändliche; und nach der kühlen Art seiner Besitzerrechte war er ihrer sehr sicher, zu sicher, um durch die Dummejungenliebe eines jüngeren Bewerbers in Aufregung zu geraten.
Doch Ravenscar kannte Ormskirk zu gut, um sich nicht beunruhigt zu fühlen. Sollte sich Miss Grantham dafür entscheiden, dass eine Ehe mit Adrian nutzbringender wäre als eine weit elastischere Bindung an Ormskirk, dann würde sich Adrian einen äußerst gefährlichen Feind zuziehen. Seine große Jugend würde keinen Moment von jemandem in Betracht gezogen werden, dessen Stolz es war, dass er sowohl mit dem Degen als auch mit der Pistole tödlich traf. Es war Ravenscar wohlbekannt, dass Ormskirk im Duell drei Männer getötet hatte; und er begann sich darüber klarzuwerden, dass die Aufgabe, seinen Cousin aus Miss Granthams Netzen zu befreien, eine Sache von weit größerer Dringlichkeit war, als er zunächst angenommen.
Der dritte Gentleman, der scheinbar Ansprüche auf Miss Granthams Gunst erhob, war der Mann, der Mr. Ravenscar, als dieser sich dem Tische näherte, so fröhlich begrüßt hatte. Er schien mit der jungen Dame auf ungemein vertrautem Fuß zu stehen, was jedoch weder Ormskirk noch Adrian übelnahmen. Er war ein liebenswürdiger Mensch, mit lachenden Augen und von gewinnendem Wesen. Mr. Ravenscar wäre sehr überrascht gewesen zu erfahren, dass er kein Glücksritter war. Miss Grantham nannte ihn Lucius; und er nannte Miss Grantham «Liebling», mit einer so lässigen Familiarität, dass sie auf eine lange Freundschaft oder eine weit zärtlichere Beziehung schließen ließ. Miss Grantham, fand Mr. Ravenscar, war viel zu freigebig mit ihrer Gunst.
Um ein Uhr morgens erhob sie sich von dem E.-O.-Tisch und bat Mr. Lucius Kennet, ihren Platz einzunehmen. «Oh, ich bin müde und möchte mein Souper», sagte sie. «Mylord, wollen Sie mich zum Souper hinunterführen? Ich schwöre, dass ich völlig verhungert bin.»
«Mit dem größten Vergnügen der Welt, meine Liebe», sagte Lord Ormskirk in seiner gedehnten Sprechweise.
«Aber, Deb, natürlich werde ich Sie hinunterführen», sagte Lord Mablethorpe und bot ihr seinen Arm.
Sie stand zwischen ihnen, lachende Bestürzung in den Augen, und blickte von einem zum anderen. «Oh, ich bin überwältigt, aber wahrhaftig, wahrhaftig ...»
Da trat Ravenscar vor. «Madame, Sie befinden sich zwischen zwei Feuern. Gestatten Sie mir gnädigst, Sie zu retten. Darf ich mir die Ehre geben, Sie zum Souper zu führen?»
«Indem Sie das Eisen aus der Glut ziehen?», sagte sie in spöttischem Ton. «Mylords!» Sie machte einen tiefen Knicks vor ihnen. «Bitte vergeben Sie mir.»
«Mr. Ravenscar gewinnt überall», sagte Sir James Filey mit seinem spöttischen Lächeln. «Das ist der Lauf der Welt.»
Ihre Augen blitzten ärgerlich auf, doch sie gab vor, nichts gehört zu haben, und schritt an Ravenscars Arm aus dem Zimmer.
In dem Speisesaal im Erdgeschoß befanden sich bereits mehrere Personen, doch Ravenscar fand für Miss Grantham Platz an einem der kleinen Tische, die an die Wand gerückt waren, und nachdem er sie mit gepökeltem Lachs und einem Glas eisgekühltem Champagner versorgt hatte, setzte er sich ihr gegenüber, ergriff Messer und Gabel und sagte: «Sie müssen mir gestatten, Ihnen zu sagen, Miss Grantham, dass ich mich über das unglückliche Abschneiden der beiden Lords glücklich preise.»
Ihre Mundwinkel hoben sich. «Das ist reizend von Ihnen, Sir. Ich hatte die merkwürdige Vorstellung, dass es Ihnen nicht liegt, liebenswürdige Worte zu sagen.»
«Das hängt lediglich von der Gesellschaft ab, in der ich mich befinde», erwiderte er.
Sie sah ihn forschend an. «Was hat Sie hierhergeführt?», fragte sie plötzlich.
«Neugierde, Miss Grantham.»
«Ist sie jetzt gestillt?»
«Oh, noch nicht, Ma’am! Darf ich Ihnen etwas von diesen grünen Erbsen servieren? Sie sind exzellent!»
«Ja, wir sind stolz auf die Qualität unseres Soupers», sagte sie. «Warum haben Sie E. O. gespielt? Spielen Sie sonst nicht eher Pharo?»
«Wieder aus Neugierde, Miss Grantham. Meine Gewohnheitssünde.»
«Neugierde, einen weiblichen Croupier zu sehen, Sir?»
«Stimmt», gab er zu.
«Sind Sie deshalb gekommen?»
«Natürlich», sagte er kaltblütig.
Sie lachte. «Nun, ich habe Sie nicht für einen Spieler gehalten, als ich Sie zuerst sah.»
«Haben Sie mich für einen Einfaltspinsel gehalten, Miss Grantham?»
Ihre Augen zwinkerten in bezaubernder Weise. «Nun ja, einen Augenblick habe ich das tatsächlich getan. Aber Lord Ormskirk hat alle meine Hoffnungen vernichtet. Das Glück des reichen Mr. Ravenscar im Würfel- oder Kartenspiel ist ja sprichwörtlich.»
«Es hat mich heute Abend verlassen.»
«Ach, Sie machen sich nicht das geringste aus diesem törichten Spiel. Ich wäre froh, wenn Sie die Pharobank meiner Tante nicht sprengen.»
«Wenn Sie der gewichtigen Person vor Ihrer Türe Auftrag geben, mich Ihr Haus stets betreten zu lassen, so verspreche ich, wenn ich wiederkomme, alles zu tun, was in meiner Macht steht.»
«Sie müssen doch wissen, dass dem reichen Mr. Ravenscar immer und überall die Türen offenstehen ... besonders aber Türen wie diese.»
«Machen Sie es also Ihrem Diener klar, denn sonst könnte es auf Ihrer Türschwelle zu einem heftigen Wortwechsel kommen.»
«Ach, dazu ist Silas zu klug. Nur Polizeibeamten und ihren Spionen wird der Eintritt verwehrt, und die riecht er schon auf sechzig Schritte Entfernung.»
«Was für eine wertvolle Errungenschaft muss er für Sie sein.»
«Es wäre mir unmöglich, mir ein Leben ohne ihn vorzustellen. Er war bei meinem Vater Sergeant; ich kenne ihn seit meiner Geburt.»
«Ihr Vater war Offizier?», sagte Mr. Ravenscar und hob leicht die Brauen.
«Ja, einst.»
«Und dann?»
«Sie sind schon wieder neugierig, Mr. Ravenscar?»
«Sehr.»
«Er war ein Spieler. Wie Sie bemerken werden, liegt das im Blut.»
«Das erklärt natürlich auch Ihre Anwesenheit hier.»
«Oh, ich bin seit meiner Kindheit mit Spielsalons vertraut. Ich kann innerhalb von zehn Minuten, nachdem er das Zimmer betreten hat, einen Griechen oder einen Captain Sharp erkennen; ich könnte bei einer Pharobank teilen; ich würde falsche Würfel ebenso rasch erkennen wie Sie selbst; und der Mann, der mich beim Kartenspiel betrügt, muss erst geboren werden.»
«Sie setzen mich in Erstaunen, Miss Grantham, Sie sind tatsächlich vielseitig.»
«Nein», sagte sie sehr ernst. «Es gehört zu meinem Beruf, um diese Dinge zu wissen. Ich bin keineswegs vielseitig. Ich singe weder, noch spiele ich Klavier, oder male Aquarelle. Das sind vielseitige Kenntnisse.»
«Stimmt», sagte er. «Aber weshalb es beklagen? In gewissen Zirkeln mögen sie de rigueur sein, doch sie wären hier, wie ich mir vorstelle, für Sie von wenig Nutzen. Sie waren sehr klug, Ihre Zeit nicht mit derlei Geringfügigkeiten zu verschwenden. Sie sind für Ihr Milieu bereits vollkommen, Ma’am.»
«Für mein Milieu», wiederholte sie und errötete ein wenig. «Zum Teufel! Ihr Cousin ist weit höflicher.»
«Ja, das glaube ich auch», erwiderte Ravenscar und füllte ihr Weinglas neuerlich. «Mein Cousin ist sehr jung und sehr eindrucksfähig.»
«Ich bin überzeugt, Sir, dass Sie bestimmt nicht eindrucksfähig sind.»
«Nicht im geringsten», sagte er fröhlich. «Aber wenn Sie es wünschen, bin ich gerne bereit, Ihnen jede Anzahl von Komplimenten zu machen.»
Sie biss sich auf die Lippen. Nach einem Augenblick sagte sie mit einem Anstrich von Gereiztheit im Ton: «Das wünsche ich keinesfalls.»
«In diesem Fall», sagte Ravenscar, «habe ich den Eindruck, dass wir uns außerordentlich gut verstehen werden. Spielen Sie Pikett?»
«Gewiss.»
«Aha, aber ich meine, spielen Sie es gut genug, um sich auf einen Rubber mit mir einzulassen?»
Miss Grantham betrachtete ihn mit beträchtlicher Feindseligkeit. «Es wird behauptet», sagte sie kühl, «dass ich ziemlich viel Verständnis habe.»
«Das haben auch viele andere, die ich nennen könnte, das macht sie aber noch nicht zu guten Kartenspielern.»
Miss Grantham setzte sich sehr gerade in ihrem Sessel auf. Ihre prächtigen Augen blitzten. «Meine Geschicklichkeit im Kartenspiel, Mr. Ravenscar, ist bisher niemals in Frage gestellt worden.»
«Aber Sie haben bis jetzt noch nie mit mir gespielt», meinte er.
«Das ist etwas, das man korrigieren kann», erwiderte sie.
Er hob die Augenbrauen. «Sind Sie überzeugt, Miss Grantham, dass Sie es wagen würden?»
Sie lachte zornig auf. «Wagen?! Ich? Ich bin zu jeder Zeit, die Ihnen passt, dazu bereit, Mr. Ravenscar, und die Höhe des Einsatzes können Sie selbst bestimmen.»
«Dann gleich heute», sagte er prompt.
«Und zwar sogleich», sagte sie und stand auf.
Er erhob sich gleichfalls und bot ihr seinen Arm. Seine Miene war völlig ernst, sie hatte aber dennoch den Eindruck, dass er sie heimlich auslachte.
Auf der Treppe begegnete ihnen Lord Mablethorpe, der sich zum Souper begeben wollte. Seine Miene verdüsterte sich, als er Miss Grantham erblickte. Er rief aus: «Sie haben Ihr Souper doch bestimmt noch nicht beendet! Ich war überzeugt, Sie noch im Speisesaal anzutreffen. Oh, Deb, bitte kommen Sie zurück. Kommen Sie und trinken Sie ein Glas Wein mit mir.»
«Du kommst zu spät», sagte Ravenscar. «Miss Grantham hat mir die nächste Stunde versprochen.»
«Die nächste Stunde! Ach, Max, das wäre zu arg. Du willst mich bloß verspotten.»
«Aber keineswegs: Wir beabsichtigen einen oder zwei Rubber Pikett zu spielen.»
Adrian lachte. «Oh, arme Deb! Spielen Sie nicht mit ihm: Er wird Sie gewiss ausplündern.»