Geschichte der Philosophie - Marco Hirt - E-Book

Geschichte der Philosophie E-Book

Marco Hirt

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Beschreibung

In diesem Buch liefere ich eine Darstellung der Philosophiegeschichte - von der Ur-Idee bis zum Welt-All. Dazwischen liegt ein weites Feld der Menschheits-, Kultur- und Ideengeschichte, oder eben: die Philosophiegeschichte (inkl. Religion und Wissenschaft), gegliedert in die Zeitepochen der Antike, des Mittelalters (Christentum), der Neuzeit (Wissenschaft, 17./18. Jh.) sowie deren Moderne: Moderne I (Aufklärung/Liberalismus, 18./19. Jh.), Moderne II (Sozialismus, 19./20. Jh.), Moderne III (oder: Spätmoderne, Existentialismus, 20./21. Jh.). Angeführt ist eine Tafel zu den Philosophen nach Richtungen sowie eine Zusammenfassung meiner eigenen Philosophie (auf den Punkt gebracht).

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Dies ist eine Darstellung der gesamten Philosophiegeschichte, von den Urzeiten bis zur Aktualität, aus meiner Sicht und meinem Erleben der Philosophie (als philosophische Betrachtung der Menschheits-, Kultur- und Ideengeschichte [mit Einbezug der Religion (und der Wissenschaft)]).

Autor: Marco Hirt, geb. 4.3.1965. Publizist und Philosoph. Weitere Publikationen: "Postmoderne Ontologie" (2003), "Politika 2000+" (2016), "Vom Sein, vom Wahren und vom Guten" (2017).

Hirt Verlag + Publikation

INHALT

Vorwort

Antike

Vom Polytheismus zur Philosophie, oder: vom Mythos zum Logos * * * Solon: die Frage nach der guten/gerechten Ordnung * * * Die Philosophen und der verborgene Urgrund der Dinge * * * Buddha, Laotse und Konfuzius in Ostasien * * * Protagoras: Der Mensch als das Mass aller Dinge * * * Sokrates, der heilige Fragensteller der Philosophen * * * Platon, Hüter der Ideen und Gründer der Akademie * * * Aristoteles, der Begründer der systematischen Wissenschaft * * * Vom Ende der grossen Klassik * * * Hellenismus: drei Schulen und der Untergang * * * Die Stoa in der römischen Philosophie.

Mittelalter (Christentum)

Jesus Christus, der Messias der christlichen Religion * * * Paulus und seine Kritik der hellenistischen Philosophie * * * Justinus und der Christus als ganzer Logos * * * Patristik der Kirchenväter mit Augustinus * * * Mohammed und der Islam * * * Grosses (auch: Morgenländisches oder Griechisches) Schisma – die Trennung von Ost- und Westkirche * * * Forderung nach Einsicht und Vernunft im Glauben (Anselmus von Canterbury) * * * Averroës und die Wiederentdeckung des Aristoteles * * * Scholastik der Kirchenlehrer mit Thomas von Aquino * * * Anfänge einer neuen Wissenschaft und empirische Erkenntnis (Roger Bacon, Duns Scotus, Wilhelm von Ockham) * * * Das neue Zeitalter der Renaissance * * * Die Märchenwelt zwischen den Zeiten.

Neuzeit (Wissenschaft, 17./18. Jh.)

Indisch-arabisches Zahlensystem in Europa * * * Die neue Bedeutung der Mathematik * * * Das heliozentrische Weltbild * * * Kepler und die Planetenbewegungen * * * Galilei – Bewegung und Trägheit * * * Empirismus vs. Rationalismus * * * Wissenschaftsphilosophen (F. Bacon, Descartes, Laplace) * * * Von der Alchemie zur Chemie * * * Newton und das mechanische Universum der Physik * * * Wissenssammlung / Enzyklopädie.

Moderne I (Aufklärung – Liberalismus, 18./19. Jh.)

Hobbes und der (sogenannt) aufgeklärte Absolutismus * * * Parlamentarismus in England (Bill of Rights) * * * Politischer Liberalismus von Locke * * * Französische Aufklärung und Revolution (Montesquieu, Voltaire, Rousseau) * * * Die Materialisten (L'homme machine) * * * Smith und der Wirtschaftsliberalismus * * * Immanuel Kant, der Satz der reinen Vernunft und der deutsche Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) * * * Die utilitaristische Wohlstandsformel * * * Die Erkenntnistheorie in der neuzeitlichen und modernen Philosophie.

Moderne II (Sozialismus, 19./20. Jh.)

Ein merkwürdiges Paar * * * Die utopischen Sozialisten * * * Comte – oder: die Soziologie als Wissenschaft * * * Darwin und die Affen * * * Marxismus und Sozialdarwinismus * * * Individualismus und Kulturkritik (Stirner, Kierkegaard, Nietzsche) * * * Analytische Philosophie von Frege * * * Psychoanalyse mit Freud * * * Einstein, der Relativismus und die Weltformel * * * Neopositivismus und Neoliberalismus * * * Kulturkritik (Kritische Theorie und Poststrukturalismus).

Moderne III (Existentialismus, 20./21. Jh.)

Existentialismus im 20. Jahrhundert * * * Die ökologische Problematik * * * US-Philosophie: Pragmatismus, Analytik & Co. * * * Public Philosophers und Medienphilosophie * * * Aktuelle Philosophie – Trends, Tendenzen, Exoten * * * Multi-Media-Freestyle-Flow-Bewusstseinserweiterungsphilosophie * * * Intensität und/oder Akzeleration * * * Neuer Atheismus und Neue Religiosität * * * Millenniumswechsel als religiöses Ereignis * * * Demokratiekritik und Libertarian Crossover * * * Populär- und Vulgärphilosophie und -wissenschaft * * * Diskurs-, Bewusstseins-, Verantwortungs- und Öffentlichkeitsdebatten (sowie Flüchtige Moderne) * * * Frauenfrage in der Philosophie.

Meine Philosophie (auf den Punkt gebracht)

Nachwort

Vorwort

In der Ur-Idee ist der Mensch Seele, und der Geist ist etwas, was in der äusseren Natur liegt. Die Religion entspricht der Verbindung von Natur und Kultur, Gott und Mensch. Die Weisheit in der Religion ist das (Da-) Sein im lebendigen Glauben (siehe: Jesus Christus).

Unter dem Titel von einer 'Philosophischen Betrachtung der Menschheits-, Kultur- und Ideengeschichte (mit Einbezug der Religion [und der Wissenschaft])' habe ich diese philosophiegeschichtliche Abhandlung auf meiner Website (schepart.ch) publiziert bzw. geschrieben und bearbeitet. Das Format von einer Webseite über die Philosophiegeschichte wurde im Lauf der Jahre ständig erweitert und ausgebaut, und ich beschloss eine weitere Erweiterung im Winter/Frühling 2017-2018 mit diesem Buch zu kombinieren, d.h. ich habe dieses Buch eigentlich im Internet verfasst (eben als Erweiterung der Webseite zur Philosophiegeschichte). Es dürfte somit – dies als Detail am Rande – das erste philosophische Buch sein, welches direkt im Internet geschrieben und bearbeitet wurde. Dies gehört also – wie einige andere Webprojekte zur Philosophie (z.B. meine ausführliche Liste mit Philosophen aus aller Welt und aus allen Zeiten) – zu meinen Pionierleistungen im Bereich der Webphilosophie. Mein Verhältnis zum Internet ist/war immer ein besonderer, da ich zur letzten Generation der (reinen) Bücherphilosophen ebenso gehöre wie zur ersten Generation der Internetphilosophen.

Sicher ist mein Beitrag zur Philosophiegeschichte ein spezieller – und hoffentlich auch speziell interessanter – Beitrag. Ich wich in verschiedenen Punkten von den gängigen Standardwerken der Philosophiegeschichte ab. Einerseits liess ich – wenn auch gut dosiert – auch eigene Standpunkte in den Text einfliessen (eine Zusammenfassung meiner Philosophie ist zudem am Ende des Textes, in Kapitel 7, gegeben [ebenso auf einer anderen Seite meiner Website – auch dieser Text ist hier 1:1 von der Website übernommen]). Andererseits äusserte ich mich auch zur aktuellsten Gegenwart der Philosophie, was üblicherweise eher vermieden wird, weil die aktuelle Philosophie in ihrer ganzen Vielfalt immer äusserst schwierig zu bewerten ist. Ich habe diese Bewertung nicht gescheut, denn es ist mir wichtig, zu zeigen, in welchem ganz konkreten Umfeld und Zusammenhang meine eigene Philosophie steht – historisch wie aktuell.

Anmerkung. Die gestalterischen und unterhaltenden Elemente auf der Website sind in diesem Buch nicht gegeben, in welchem ich mich auf den reinen Text konzentriert habe (dies betrifft v.a. Links auf Webseiten, Webvideos und andere Webinhalte).

Zum Hauptthema der Philosophiegeschichte habe ich – wie erwähnt – eine Kurzdarstellung meiner eigenen Philosophie angeführt. In jedem neuen Buch habe ich bisher meine Gesamtphilosophie zusammengefasst und ergänzt, so auch in diesem. Die neuste Zusammenfassung ist daher auch bis hierhin die bedeutendste Darstellung meiner Philosophie überhaupt.

Verweisen möchte ich hier auch bereits auf das Nachwort, in welchem der zweite Teil der Erklärung des Untertitels ('Von der Ur-Idee zum Welt-All') gegeben ist.

1. Kapitel

ANTIKE

Vom Polytheismus zur Philosophie, oder: vom Mythos zum Logos * * * Solon: die Frage nach der guten/gerechten Ordnung * * * Die Philosophen und der verborgene Urgrund der Dinge * * * Buddha, Laotse und Konfuzius in Ostasien * * * Protagoras: Der Mensch als das Mass aller Dinge * * * Sokrates, der heilige Fragensteller der Philosophen * * * Platon, Hüter der Ideen und Gründer der Akademie * * * Aristoteles, der Begründer der systematischen Wissenschaft * * * Vom Ende der grossen Klassik * * * Hellenismus: drei Schulen und der Untergang * * * Die Stoa in der römischen Philosophie.

Der Beginn der Geschichte des bewussten Menschen soll etwa in einer Urzeit vor rund 300'000 Jahren liegen, wo sich in Afrika ein archaischer Homo sapiens aus dem Homo erectus entwickelt haben soll. Ob es ein paar Jahre früher oder später gewesen ist, das ist hier weniger von Belang (wir haben bereits gelernt, etwa in Jahrtausenden und sogar mehreren Jahrtausenden zu denken, was aber darüber hinausgeht, ist für uns ganz einfach unvorstellbar lange her). Für die Philosophie fängt die (philosophische) Menschheitsgeschichte sehr viel später an, nämlich mit der Entwicklung von fixen Ideen. Mit 'fix' ist hier nicht unveränderlich gemeint, sondern festgeschrieben und nachvollziehbar. So verstanden, ist die Philosophie natürlich sehr schrift- und textbezogen (vermutlich aber gibt es so etwas wie Philosophie – im Sinn vom Ergründen der Welt, in der wir leben – schon so lange, wie es so etwas wie Menschen gibt). Die Schrift ist vermutlich 6600 v. Chr. (in China [Jiahu-Schrift]), 5500 v. Chr. (in Rumänien [Vinca-Schrift]) oder im 4. Jahrtausend v. Chr. (in Mesopotamien) entstanden; die Forscher streiten sich darüber, welche frühe Zeichen bereits als Schrift gedeutet werden können. Noch später setzt die Geschichte der Philosophie ein – entweder in der Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. im ägyptischen Altertum, wo es schon Weisheitsdichtungen gab, oder aber im 7./6. Jahrhundert v. Chr. im antiken Griechenland, wo wir von einer schulmässigen Entwicklung der Philosophie sprechen können. Auch darüber können sich die Forscher streiten.

Das ethisch-moralische Konzept vom Edlen stammt hingegen vom chinesischen Moralphilosophen Konfuzius (und kommt v.a. bei Platon in der Klassik wieder zum Tragen [und damit auch in seiner antiken Akademie wie auch später in den neuzeitlichen und modernen Universitäten (v.a. in deren früheren Geschichte, inkl. ihren exquisiten Gelehrtenkreisen wie etwa der Royal Society in England, gegründet 1660 – bis heute haben sich die Universitäten, wenn auch nicht mehr so streng wie früher, einen gewissen Charakter des Elitären bewahrt)]); in der vorsokratischen griechischen Antike gab es dagegen allerhand Philosophen – so etwa Heraklit, welcher der Dunkle genannt wurde, oder den Kyniker (bzw. Zyniker) Diogenes von Sinope, welcher sich von der Gesellschaft distanzierte und absichtlich in ärmlichsten Verhältnissen gelebt (und in einem Fass gehaust bzw. geschlafen) hat, aber auch etwa Empedokles, welcher sich für gottgleich hielt, oder Chrysipp, der am Lachen über einen seiner eigenen Witze gestorben sein soll (alles immer der Überlieferung nach), oder auch Sokrates natürlich, auch sehr speziell auf seine Art und Weise. Die frühen Philosophen waren – obwohl teils bereits schulmässig gruppiert – gesamthaft betrachtet, alles andere als eine homogene Gruppe (und daher stimmt wohl auch die landläufige Vorstellung, die man von einem [antiken] Philosophen hat, nicht unbedingt).

Interessant: schon vor dem eigentlichen Beginn der (schulbuchmässigen) Philosophie können wir also der Philosophie – in der Person von Solon, welchen die Frage nach der guten/gerechten Ordnung (grch. eunomia) beschäftigte – einen praktischen Erfolg zuschreiben (auch wenn man ihn erst rückwirkend der Philosophie zurechnen kann). Wenn Regierungsformen der Weisheit zugerechnet werden können, so gilt dies vermutlich auch für frühe Gesetzgebungen überhaupt (insofern sie philosophische Elemente aufweisen und einer philosophischen Leistung entsprechen). Einer der ersten bekannten Gesetzestexte stammt von Hammurapi I. (von Babylon, um 1810-1759 v. Chr.): der Codex Hammurapi. Philosophie heisst natürlich nicht nur Regierungskritik (wie es heute oft verstanden wird), sondern auch – und eigentlich sogar – Regierungkunst (daher ist auch die Rechtsphilosophie ein nicht unbedeutender Zweig der Philosophie bis heute). Platon bestreitet zwar ausdrücklich, dass Staatsreden und -schriften wie jene Solons philosophisch seien – ich fasse jedoch die Philosophie weiter (man könnte vielleicht von einem engeren und einem weiteren Kreis der Philosophie sprechen – für mich ist Philosophie ganz wesentlich [aber natürlich nicht nur] Ideengeschichte und -entwicklung [und da gehört ein bisschen mehr dazu, als fundamentalistische Philosophen vielleicht eingestehen würden]).

Solche direkt auffallenden und einzusehenden Erfolge sollten in der weiteren Antike wie auch im Mittelalter allerdings selten bleiben (ganz im Gegensatz zur Neuzeit, wo der praktische Erfolg der Philosophie – u.a. mit der Entwicklung der Wissenschaften und mit der bürgerlichen Revolution – ganz neue Dimensionen angenommen hat).

Die Mythologie der alten Griechen. Den ersten Philosophen und ihrer Suche nach dem Urgrund der Welt vorausgehend, muss man erwähnen, dass die griechische Mythologie insofern eine besondere ist, als dass in ihr die Götter gar nicht am Anfang des Weltentstehungsprozesses stehen, sondern andere Kräfte, Mächte und Gewalten, welche auch die Götter geschaffen haben: nach Hesiod – dem Hauptdichter und -deuter dieser Mythologie neben Homer (und später bei den Römern, welche die griechische Götterwelt übernahmen, auch Vergil und Ovid) – sind dies in erster Linie: Chaos (d.h. Nichts, Leere [was nicht das Selbe ist, aber trotzdem]), Gaia, Tartaros, Eros, Nyx, Erebos, Uranos, Ourea, Pontos und schliesslich die Titanen (welche die eigentlichen Götter hervorbrachten – die Titanen Kronos, seinerseits der Sohn von Uranos [Himmel] und Gaia [Erde], und Rhea sind die Eltern des Göttervaters Zeus und der weiteren Götter). Wie authentisch die Darstellung der Götterwelt durch die Dichter ist, das können wir heute eigentlich nicht mehr sagen und nachvollziehen. Es gibt aber jedenfalls Stimmen, welche die Authentizität schon in der frühen Antike angezweifelt haben. "Alles", wetterte Xenophanes, ein Vertreter der frühen Urgrundphilosophen (und der eigentliche Religionsphilosoph unter diesen), "haben Homer und Hesiod den Göttern angehängt, was bei den Menschen Schimpf und Schande ist: Stehlen, Ehebrechen und Betrügen." Es wurde also unter den antiken Philosophen schon bemängelt, was später die monotheistischen Religionen am Polytheismus ebenfalls bemängelt haben: dass diese Götter – insbesondere in der griechischen Mythologie – zu menschlich seien bzw. sich zu wenig von den Menschen abheben würden (oder sogar noch schlimmer als die Menschen seien, indem sie Dinge tun würden, die unter den Menschen eigentlich verpönt sind). Das ist bedeutend, wenn man nachfolgend die ganze Bewegung der Philosophen betrachtet, welche diese polytheistische Götter- und Mythenwelt ja auch bereits in Frage stellte und nach anderen (philosophischen und/oder wissenschaftlichen) Urgründen der Welt suchte. (Kleine Anmerkung zu den polytheistischen Religionen: wenn diese heute als Einheiten geschildert werden, so entspricht dies vermutlich nicht wirklich deren Ausprägungen in der Vergangenheit [und auch in der Gegenwart, wo sie vereinzelt noch bestehen]: diese sind oft lokal geprägt und verschieden; in diesem Sinn war das Werk der [Mythen-] Dichter vermutlich auch ein Versuch der Vereinheitlichung einer zusammenhängenden, aber eben nicht einheitlichen Mythologie gewesen, welche schwierig ist, und es finden sich denn auch teils im Werk desselben Dichters sogar widersprechende mythologische Fakten [die Kultur der alten (polytheistischen) Götterwelten ist ähnlich wie die Sprachkultur zu sehen: mit überregionalen Zusammenhängen, aber eben auch mit ganz stark lokal geprägten Ausprägungen]. Wir können uns ferner auch vorstellen, dass in einer kulturell niedergehenden Religion die Werke der Dichter über die Religion – in welcher Intention sie auch geschrieben sind– mit der Zeit bedeutender werden können als die Religion selber, und das ist das, was hier zumindest in Teilen der Gesellschaft geschah; zumal in einer Religion, welche zuvor keine eigentliche Schriftreligion gewesen ist.)

Wenn man das bunte Treiben der altgriechischen Götter betrachtet (wie es von den Dichtern beschrieben wurde*), dann kann man vermutlich leicht einsehen, warum die Philosophen seit jeher einen relativ schweren Stand hatten und die meisten Leute sich eher für diese Götter- und Heldengeschichten interessierten als für die schwerfällige Nüchternheit der Philosophen. Und so kam es, dass die Philosophen in der Gesellschaft stets ein bisschen abseitsstanden und schliesslich auch eine Akademie gründeten, in welcher sie mehrheitlich unter sich waren. Im Mittelalter gingen sie gegenüber der neuen Religion vorerst fast gänzlich verloren, bis sie in den Bibliotheken der Klöster wiederentdeckt wurden, am Beginn der Neuzeit kurz aufblühten, um dann von den Wissenschaftlern wieder in den Schatten gestellt zu werden. Aber: wie hat eigentlich alles begonnen?

* Interessant ist dazu auch der Vergleich der Dichtungen der Antike und der Neuzeit. Lange noch waren die grossen Dichtungen in der Neuzeit, als Erbe der Renaissance quasi auch, im Stile der alten Götter- und Heldendramen angelegt – bis zu Shakespeares Hamlet (1602) und Goethes Faust (1808) und darüber hinaus! Die drei Grossen der Klassik der deutschen Literatur zeigen die unterschiedlichen Tendenzen jener Zeit: Goethe die alte Klassik in alter Form, Lessing – früher, notabene – eine neue Klassik in alter Form, Schiller eine neue Klassik in neuer Form.

Die Bewegung der Philosophen. Obwohl das menschliche Denken natürlich eben früher angesetzt werden muss, gibt es gute Gründe dafür, den Anfang der eigentlichen Philosophie bei Thales zu sehen. Meist hören wir zu diesem Anfang: dass vereinzelte Denker im alten Griechenland den Rahmen des mythisch-polytheistischen Weltbildes gesprengt, und damit begonnen hätten, eigenständig über die Welt nachzudenken. Das kann man so sagen – es wird auch oft gesagt, die Philosophen hätten den Mythos, welcher im alten Polytheismus in einem wilden Geflecht mit anderen Mythen stand, durch einen klaren Logos ersetzt. Auch das stimmt in einem gewissen Sinn. Es gibt drei besondere Gründe dafür, warum diese Bewegung der Philosophen – man kann es durchaus so nennen – anders war als alles, was vorher in der Menschheits-, Kultur- und Ideengeschichte geschehen ist. Erstens hat es eben überhaupt eine Bewegung des Denkens gegeben, in welcher sich die einen auf die anderen bezogen (und aus dieser Bewegung heraus auch Richtungen und Schulen), während es vorher vereinzelte Weise gewesen waren, die meist im Nachhinein als solche bezeichnet wurden. Zweitens ist man nicht mehr, wie in der vorherigen mythischen Religion, von der Moral ausgegangen, und drittens wurde damit ein neues gesellschaftliches Gewicht des Denkens eingeführt (vielleicht kann man das vergleichen mit der Bewegung der Propheten in der altisraelitischen Religion, welche auch eine eigenartige und eigenständige Bewegung begründeten, mitunter gegen die öffentliche Meinung der Zeit). Bis dahin war die Weisheit eine reine Frage der Moral des Einzelnen im Allgemeinen oder auch der Entscheidung zur Gerechtigkeit von richterlicher Gewalt (siehe: etwa bei Salomos weisem Urteil). Die Philosophen aber hatten einen ganz anderen Ansatz: sie suchten nach einem Urgrund der Welt, welcher gleichzeitig den Logos – etwa: Gedanke, Sinn, Begriff, (Natur-) Gesetz, (All-) Vernunft – der jeweiligen Philosophie bildete und bestimmte. Man kann die Begriffe vom Urgrund und vom Logos nicht getrennt betrachten – die heutigen Wissenschaften haben ja übrigens auch immer noch so etwas wie einen Urgrund und Logos – den (Untersuchungs-) Gegenstand, welcher die Wissenschaft formt: zu einer physikalischen, chemischen, biologischen, psychologischen, soziologischen Sichtweise (usw. usf., etc. etc.). Die Urgrundphilosophen gingen also von der ethischen Erwägung quasi zum reinen Denken über. Wieso dies? Die üppigen Mythen der antiken Götterwelt genügten ihnen zur Welterklärung nicht mehr, und so fragten sie sich eben, was denn diese Welt im Innersten wirklich zusammenhält. Ist dies nun weise? Da man ja so auch vorerst zu keinem wirklichen Schluss kam, sondern alle Philosophen sich nur gegenseitig widersprachen und je einen anderen Urgrund sahen? Man kann die Weisheit davon so verstehen (was leider – glaube ich – keiner dieser alten Philosophen ausdrücklich formuliert hat): bevor wir wissen können, wie wir in der Welt handeln sollen, müssen wir doch wissen, in was für einer Welt wir überhaupt leben. Daher diese grundsätzlichen Gedanken über die Welt und diese vorläufige Zurückstellung der moralischen Fragen (die reine Religion bestand ja neben der Philosophie auch weiter). Und... das ist ja auch der Punkt, an welchem bereits die reine Wissenschaftlichkeit entsteht, welche eben die moralischen Fragen (aus genau diesem Grund) zurückstellt – und damit auch diese letztlich nicht unproblematische Trennung von Wissenschaft und Religion/Moral. Es war nicht so, dass die frühen Philosophen die Moral ausgeschlossen hätten, aber es gab doch eben diese Tendenz zum reinen Denken, jenseits aller vorgefassten ethischen Sätze, und diese Trennung von Wissen und Moral. Obwohl bei den Urgrundphilosophen so viel vom Logos die Rede ist, hat dies noch wenig zu tun mit einer eigentlichen oder durchgehenden Logik – das Kausalprinzip etwa, eines der Grundprinzipien der späteren wissenschaftlichen Logik, kam erst nach und nach in die Philosophie hinein (und wurde erst bei Aristoteles richtig formuliert, in der Klassik der griechischen Antike). Anfänglich stand der Logos noch irgendwie zwischen dem Mythos und der Logik, und wir können vielleicht auch sagen, dass bei den allerersten Philosophen der Urgrund und der Logos identisch betrachtet werden können, während bei den späteren, sich der Logos eigenständig machte, als eine Art ewige, unveränderliche und hinter allem stehende Weltvernunft (v.a. etwa mit Heraklit, Parmenides und Anaxagoras), während der Urgrund einer bestimmten Philosophie auch eine andere oder spezifischere Gestalt haben konnte (besonders etwa bei den Sophisten [mit Protagoras und anderen], und auch etwa bei den Atomisten war dies der Fall [Leukipp und Demokrit]). Ebenfalls ein bedeutender Begriff ist jener vom Nous – dies scheint so etwas wie eine allgemeine Auffassung von einem individuell wirksamen Intellekt zu sein. Manchmal wird Nous ähnlich wie Logos verwendet, jedoch hat dieser (ältere) Begriff doch oft eine individuellere Note.

Logos und Nous bilden quasi ein ähnliches Begriffspaar wie in der hinduistischen Religion Brahman und Atman (das ist kein gleiches, aber ein ähnliches Prinzip [eine Verbindung zwischen dem Universellen und dem Individuellen, die in der griechischen Philosophie, in welcher es praktisch nur um Ideen ging, schon vor Platon, wenn auch nicht spezifisch als solche, herausgehoben wird]). Da die Philosophen – wie sie das in allen Zeiten getan haben – die Begriffe einerseits teils verschieden verwendeten und andererseits auch Aussagen machten, die begrifflich nicht genau deklariert wurden (besonders in der Antike), muss man in einer Gesamtschau herausspüren, was die einzelnen Begriffe eigentlich bedeuten.

Das grösste Problem der Philosophie (wie auch der späteren Wissenschaft) ist schon angetönt worden: wie kann die Ethik in die Logos-Philosophie, welche sich vom religiösen Mythos losgelöst hat, einbezogen werden? Die antike Philosophie konnte dieses Problem – trotz dem platonischen Guten und dem aristotelischen Mittelmass* – eigentlich nie wirklich befriedigend lösen (und daher rückte in der römischen Philosophie das reine Recht und im Christentum eine verstärkte Religion in den Vordergrund, die Philosophie dagegen in den Hintergrund).

* Auch diese beiden Haltungen enthalten ja einen unaufgelösten Gegensatz, es sei denn, man betrachte das Mittelmass als das Gute, wie es Aristoteles sicher vorsah: nach dem platonischen Aufstieg zum ideell absolut Guten, die Rückkehr zum aristotelischen Mittelmass. Doch darin bleibt dann wiederum die Frage, zu welchem Handeln dieses ausgeklügelte Prinzip denn nun eigentlich führen soll. Das Problem taucht spätestens dann auf, wenn wir an einer Wegkreuzung stehen, an welcher wir uns zwischen dem einen oder anderen Weg entscheiden müssen. Immerhin hat Aristoteles darauf aufmerksam gemacht, dass es eine grosse Unterscheidung gibt zwischen der logischen bzw. theoretischen und der ethischen bzw. praktischen Philosophie, doch mit dieser Unterscheidung ist das Grundproblem noch nicht gelöst. (Schauen wir uns nun aber an, was die antike Philosophie demgegenüber, d.h. diesem Problem gegenüber, wirklich gebracht und geleistet hat.)

Thales von Milet, die apollonischen Weisheiten und die Urgrundphilosophie. Thales, der erste (so bezeichnete) Philosoph, ging durchaus noch von einer polytheistischen Welt voller Götter aus, jedoch soll er auch die Selbsterkenntnis begründet haben. Die Herkunft der drei sogenannten apollonischen Weisheiten, den Inschriften, welche der Überlieferung nach am Eingang des Apollon-Tempels von Delphi geschrieben standen, die teils sogar eben Thales zugeschrieben werden, ist aber nicht gesichert: jedenfalls hat Thales diese apollonischen Weisheiten unterstützt ("Ei" [Du bist], "Erkenne dich selbst!" [Gnothi seauton], "Nichts im Übermass!" [Meden agan] – der mittlere Spruch wird v.a. auch Chilon zugeschrieben, einem anderen der sieben Weisen*]). Dass Thales die Selbsterkenntnis begründet haben soll, behauptet Diogenes Laertios, ein Philosophiehistoriker, welchem wir immerhin die meisten Auskünfte über die frühen Philosophen verdanken. Thales war auch ein bedeutender Mathematiker und nicht der einzige solche unter den frühen Philosophen (siehe auch: Pythagoras). Philosophisch bedeutender ist seine Idee davon, dass das Wasser der Ursprung aller Dinge sei. Diese Behauptung steht am Anfang der Urgrundphilosophie der ersten Philosophen. Die Weltbegründung wurde nicht mehr durch ein mythologisches Ereignis gesehen, sondern ein allumspannender Urgrund soll für das Dasein der Welt verantwortlich sein. Man fragte sich quasi auch, ob es nun ein Jenseits der Götter gebe oder nicht bzw. woraus denn die Dinge im reinen Diesseits beschaffen sind (und dies eben vollkommen unabhängig von religiösen Erwägungen). Diese Weltsicht und Anschauung führte zu einer materialistischen Philosophie – die philosophische Uridee der Welt wird in einer materialistischen Erwägung begründet und in einem materiellen Element gesehen. "Das Prinzip aller Dinge ist Wasser; aus Wasser ist alles, und ins Wasser kehrt alles zurück." Die spätere Wissenschaft hat gezeigt, dass dies (immerhin) für die lebenden Dinge gilt, jedoch nicht für die nicht-lebenden Dinge (und... Wasser ist nach der modernen Elementenlehre eine Verbindung aus dem häufigsten Element im Universum [Wasserstoff] und dem häufigsten Element auf der Erde [Sauerstoff]). Im Wirkungsort von Thales gab es bereits die erste kleine philosophische Bewegung oder Schule: jene der Milesier (d.h. der Philosophen aus Milet, einer antiken Stadt an der Westküste der heutigen Türkei). Zu diesen Milesiern gehören v.a. auch Anaximander und Anaximenes, welche je eigene, andere Urgründe vorbrachten: Anaximander das Unbestimmte (oder auch: das Unbegrenzte, Unendliche, grch. Apeiron), Anaximenes die Luft. Und so war sowohl die Bewegung wie auch der Streit der Philosophen eröffnet. Anaximander führte zu einem ideellen Urgrund, Anaximenes sah ein anderes materielles Element. Und damit war eigentlich schon klar: man kann die Philosophie eher materialistisch oder eher idealistisch begründen, und man kann in diesen verschiedenen Grundarten auch je verschiedene Urgründe zu einer eigentlichen oder eigenständigen Richtung vorbringen. Dieses Grundthema beschäftigt ja die Philosophie auch eigentlich bis heute. Alle diese frühen Erwägungen werden im Rahmen einer Naturphilosophie gesehen (welche noch nicht eine eigentliche Wissenschaft war [die Philosophie als Wissenschaft wurde erst von Aristoteles in der griechischen Klassik begründet]). Die Grundfrage der ersten Philosophen war demnach: wie ist die Natur (bzw. eben der Ursprung oder Urgrund) beschaffen? Von vielen der ganz frühen Philosophen haben wir keine eigenen schriftlichen Überlieferungen: dazu gehören auch etwa Thales und Pythagoras, während von Anaximander der erste Satz der Philosophen überhaupt überliefert ist, welcher auch der erste Prosasatz – also der erste Satz der Weltliteratur, welcher nicht in lyrischer Form verfasst wurde! – überhaupt sein soll (von ihm gibt es aber eben auch nur diesen einen Satz, und dies erst noch in fragmentarischer Form) und von Anaximenes schliesslich das erste gesicherte philosophische Werk (mit dem Titel "Peri physeos", dt. 'Über die Natur', dem [nachträglich gesetzten] Standardtitel praktisch aller frühen Werke der Naturphilosophie).

* Den sieben Weisen werden sieben Sprüche zugeordnet. Die Zuteilung kann leicht verschieden sein – der spätantike gallo-römische Dichter Ausonius beschrieb folgende Zuteilung: Chilon – Gnothi seauton ("Erkenne dich selbst!"), Solon – Hora telos makrou biou ("Schau auf das Ende eines langen Lebens!"), Pittakos – Gignoske kairon ("Erkenne den rechten Zeitpunkt!"), Bias – Hoi pleistoi kakoi ("Die meisten sind schlecht"), Periander – Melete to pan ("Bedachtsamkeit vermag alles"), Kleobulos – Metron ariston ("Mass ist das Beste"), Thales – Engya, para d'ata ("Bürgschaft bringt Unheil"). Nicht allzu viel Besonderes eigentlich, aus heutiger Sicht – das sind (grösstenteils, mit ein paar Abstrichen oder Fragezeichen) gutbürgerliche und mittelständische Lebens-, Mass- und Verhaltensweisen, abgesehen von ein paar elitären Zwischenrufen, die es hier auch gibt, aber es ist doch interessant zu sehen, was – (schon) vor dem Auftritt der eigentlichen Philosophen – in der Antike als weise galt. Seinen Vers beendete Ausonius (um 310-395) mit den Worten: "Ich hab' gesprochen, trete ab; und Solon / Der die Gesetze gab, tritt auf." (Eine interessante frühe politische Wendung in der Weisheitsauffassung also.)

Trotzdem – d.h. trotz den sieben alten Weisen und trotz den drei Milesiern als erste Urgrundphilosophen – gelten heute eigentlich v.a. Thales und Pythagoras – die beiden Mathematiker (welche auch und v.a. auch durch ihre mathematischen Sätze in Erinnerung geblieben sind) – als die ersten heute noch weitherum bekannten Grössen der uralten Naturphilosophie. Pythagoras stammte aus Samos und war der erste nachmilesische Philosoph, auch der erste, welcher sich selber als Philosophus bezeichnete, und der erste, welcher eine eigene philosophische Schule und/oder Sekte begründete (in welcher auch die [ägyptische] Wiedergeburtslehre eine zentrale Rolle spielte; die pythagoräische Schule hatte also auch religiöse Züge, die sich aber von der polytheistischen Hauptlehre im antiken Griechenland abhob). Danach kam Heraklit, welcher das Feuer als Urgrund bezeichnete, womit die vier alten Grundelemente, welche Empedokles dann zusammenstellte, beisammen waren: Erde (von keinem Philosophen als alleiniger Urgrund behauptet! [es sei denn nachmalig, in einem grösseren Rahmen, von Ptolemäus quasi, mit dessen geozentrischem Weltbild]), Wasser, Luft und Feuer. Der Weg zum antiken Elementensystem war also übrigens genau gleich wie jener zum modernen Periodensystem der Elemente: zuerst wurden die einzelnen Elemente erhoben und daraus dann ein Gesamtsystem begründet. Aristoteles übernahm in der Klassik die Vierelementenlehre von Empedokles, fügte aber ein fünftes, diffuses Element bei: den Äther (was vielleicht auch bedeutete, dass er erkannte, dass dieses antike Elementensystem noch nicht der Weisheit letzter Schluss war, obwohl er es selber nicht auf eine andere Weise verbessern konnte). In der neuzeitlichen Wissenschaft wurde ein ganz anderes Elementensystem begründet, welches zum heutigen Periodensystem der Elemente führte. Auch die alten Chinesen kannten in deren Naturphilosophie eine Elementenlehre mit fünf Elementen: Holz, Feuer, Metall, Wasser, Erde [im Vergleich zu Aristoteles also mit Holz und Metall statt Luft und Äther]. Die altchinesische Elementenlehre wird etwa im Rahmen der Feng-Shui-Lehre noch immer verwendet. Die erste grosse Leistung der antiken Philosophie – falls man nicht schon Solon und die Demokratie anrechnen möchte – war also diese elementare Auseinandersetzung mit der Welt, die bis zur heutigen komplexen Elementenphysik und -chemie führte. (Eine rein religiöse Weltauffassung würde vermutlich nie dem Wasser, dem Wasserstoff und/oder dem Sauerstoff [und schon gar nicht dem Phosphor oder dem Einsteinium, u.a.], eine solch grosse Bedeutung geben.)

Anaximander, der erste philosophische Satz und das Urbild der Welt. Der erste Satz der Philosophie, den wir genau kennen, ohne die spätere Vermittlung durch Historiker, ist ein seltsamer (philosophischer) Satz, denn es ist ein Satz, welcher eher etwas (neu-) religiös (und fast schon etwas offenbarerisch) tönt, eher als nach reiner Philosophie wie wir sie in der griechischen Antike erwarten würden. Ein weiteres Beispiel für die bedeutende Spannung zwischen Wissen/Weisheit und Ethik/Moral in der frühen Philosophie und in der Philosophie überhaupt. Die drei bedeutendsten Übersetzungen dieses ersten philosophischen Satzes in der deutschen Philosophie sind die folgenden: "Woher die Dinge ihre Entstehung haben, dahin müssen sie auch zugrunde gehen, nach der Notwendigkeit, denn sie müssen Busse zahlen und für ihre Ungerechtigkeit gerichtet werden gemäss der Ordnung der Zeit." (Nietzsche). "Woraus aber das Werden ist den seienden Dingen, in das hinein geschieht auch ihr Vergehen nach der Schuldigkeit; denn sie zahlen einander gerechte Strafe und Busse für ihre Ungerechtigkeit nach der Zeit Ordnung." (Diels). "Entlang dem Brauch, gehören nämlich lassen sie Fug [Anm. Schicklichkeit] und somit auch Ruch [Anm. Besorgung], eines dem Anderen im Verwinden des Un-Fugs." (Heidegger). Typisch heideggerisch, natürlich: sprach- und sinnspielerisch, und auch ein bisschen nebulös. Wie nahe diese verschiedenen Übersetzungen am tatsächlichen Sinn dieses ersten philosophischen Satzes liegen, entzieht sich meiner Kenntnis – der Satz erscheint schwer übersetzbar (selbst wenn man des Griechischen mächtig ist – und einige scheinen noch das Ihre dazugetan oder weggenommen zu haben, wie das ja fast immer der Fall ist bei Übersetzungen). In einer Verständnisübersetzung würde ich diesen Satz etwa so einschätzen: 'Die Dinge kommen und gehen, sie beziehen sich aufeinander und (be-) wegen einander – dies ergibt die Ordnung der Zeit.' Von Anaximander stammt aber nicht nur der erste Satz der Philosophie, sondern auch die erste geographische Weltkarte, d.h. das erste eigentliche Weltbild, überhaupt – mit der Vorstellung, dass die Welt ein zusammenhängendes Ganzes ist (inkl. der [hier noch zweidimensionalen] Globus-Idee). Die antike Idee der Welt, wie sie von Anaximander gegeben ist – dass die Erde eine flache Scheibe ist, welche vom Meer (entsprechend: dem griechischen Titanen Okeanos) strommässig umflossen wird – hielt sich bis tief in das Mittelalter hinein und fast bis an die Neuzeit heran! (Der grosse Mythen- und Legendendichter Homer schilderte übrigens Okeanos, gemeinsam mit seiner Frau und Schwester Thetis (in der griechischen Mythologie die Tochter von Uranos und Gaia), als den Vater der Götter und Schöpfer der Welt – dies könnte auch Thales in seiner Urgrundphilosophie beeinflusst haben, so dass also vielleicht auch Homer bedeutend an der Entstehung der Urgrundphilosophie beteiligt ist bzw. an der Urgrundsuche in diesem ganzen polytheistischen Mythendurcheinander, welches eben die Legendendichter etwas zu ordnen versuchten, und welches eben die Urgrundphilosophen dann aufgebrochen haben.)

Die griechische Philosophie vor ihrer Klassik. Die vorklassischen Philosophen werden Vorklassiker, Vorsokratiker oder Urgrundphilosophen genannt. Jeder dieser frühen Philosophen sah einen anderen Urgrund für sein philosophisches Denken (bzw. für sein Denk- und/oder Gedankensystem):

Thales (aus Milet [in Kleinasien]) das Wasser,Anaximander (aus Milet [in Kleinasien]) das Unbestimmte (oder auch: das Unbegrenzte, Unendliche, grch. Apeiron),Anaximenes (aus Milet [in Kleinasien]) die Luft,Pythagoras (aus Samos) die Zahl,Alkmaion (aus Kroton [in Unteritalien]) die Gleichheit bzw. den Ausgleich,Xenophanes (aus Kolphon [in Kleinasien], welcher nach Elea übersiedelte) den (einen) Gott,Heraklit (aus Ephesos [in Kleinasien]) das Feuer (und/oder auch die Bewegung oder das Fliessen [oder modern: der Flow] – er ist derjenige, welcher den Begriff des Logos eingeführt haben soll),Parmenides (aus Elea [in Unteritalien]) das Sein (er begründete die bedeutende Schule der Eleaten),Anaxagoras (aus Klazomenai [in Kleinasien], welcher nach Athen übersiedelte [und also die Philosophie nach Athen brachte]) den Geist (sowie ein Prinzip von [Ur-] Mischung und Trennung),Empedokles (aus Akragas [auf Sizilien]) die Elemente (Vier-Elementen-Lehre [Erde, Feuer, Wasser, Luft], dazu zwei Prinzipien: Liebe und Streit),Protagoras (aus Abdera) den Menschen,Demokrit (aus Abdera) die Atome,Sokrates (aus Athen) den Zweifel (mit ihm begann die grosse, aber kurze Klassik der griechischen Philosophie in Athen [mit Sokrates, Platon und Aristoteles]).

Kurz gesagt: die frühen Urgrundphilosophen sahen den Urgrund v.a. in den Elementen der natürlichen Physik. Empedokles führte dies zusammen zu einer eigentlich (früh-) physikalischen Elementenlehre, und Protagoras führte diese ganze materialistische Philosophie wieder zurück auf den Menschen. Er war es demnach auch, welcher – über Sokrates – mit seinem Homo-Mensura-Satz, wonach der Mensch das Mass aller Dinge sei, die Klassik der griechischen Philosophie in Athen einleitete. Wir finden bei diesen frühen Philosophen – wie natürlich auch bei manchen späteren – einiges, was uns erstaunlich einleuchtend und modern vorkommt, dagegen aber auch wiederum anderes, was uns heute eher dunkel und unverständlich vorkommt. Man muss alle Philosophie (und Ideologie überhaupt) immer auch in der Zeit sehen, in welcher sie entstanden ist. Man kann manches sehr grob missverstehen, wenn man es 1:1 von irgendeiner Vergangenheit in die heutige Zeit hinein überträgt, ohne es auch adäquat zu interpretieren. Wir sprechen hier von einer Zeit, die etwa zwischen dem 7. und dem 5. Jahrhundert vor Christi Geburt liegt (es war aber eben bereits eine Zeit von erstaunlich dichtgedrängter Philosophie: zwischen der Geburt von Thales und dem Tod von Protagoras – mit all den weiteren Urgrundphilosophen dazwischen [von denen hier nur einige der Bedeutendsten erwähnt sind] – liegen nur rund 200 Jahre!).

Eigentlich ist jeder der Vorklassiker auf seine Art und Weise bedeutend und interessant, und würde einer fehlen, so würde ein wichtiges Glied in der Kette fehlen. Die bedeutendsten Vorklassiker insgesamt sind aber vielleicht Heraklit (um 520-460 v. Chr.), welcher gegenüber allzu starren Ideologien die Bedeutung der physikalischen Bewegung und Veränderung hervorhob, Parmenides (um 520-460 v. Chr.), welchen Platon sogar als grössten philosophischen Meister vor ihm selber bezeichnete*, ferner Empedokles (um 495-435 v. Chr.), welcher das erste eigentliche System in der Philosophie geschaffen hat, und schliesslich eben Protagoras (um 490-411 v. Chr.), mit der grossen Wende zur Betrachtung des Menschlichen – mit der vielleicht bedeutendsten Wende innerhalb der Ära der antiken griechischen Philosophie. Erwähnenswert ist hierzu auch die folgende Gelehrten- und Entwicklungsreihe der gesamten antiken griechischen Philosophie (beschrieben im Werk des Philosophiehistorikers Diogenes Laertios): Xenophanes, der Religionsphilosoph des All-Einen, war der Lehrer von Parmenides, dem 'Ontologen', dessen Schüler Zenon (von Elea) war der Lehrer von Leukipp, dem Atomisten, dessen Schüler Demokrit war der Lehrer von Protagoras, dem Sophisten (und 'Humanisten') – und auf diesen folgten die Klassiker (Sokrates – der 'Hyper-Sophist' – Platon und Aristoteles, von denen der Eine der Lehrer des Anderen war) und danach die Hellenisten oder Nachklassiker, welche sich gegen die Klassik wandten (Pyrrhon, Epikur und Zenon [von Kition]).

* Vielleicht v.a. deswegen, weil die Schule von Parmenides die grösste und bedeutendste vor Platons Akademie war. Dagegen ist aber die gleichnamige Schrift von Platon ("Parmenides") wenig schmeichelhaft ausgefallen und hat Parmenides eher auf eine satirische Art und Weise behandelt. Es scheint dabei fast ein bisschen so, als ob er ein bisschen Mühe mit Parmenides und/oder diesen nicht so ganz recht verstanden hatte. Platon behauptete ja die Idee des Guten als höchstes Prinzip – dies war schwierig zu vereinen mit dem Prinzip vom Sein als Urgrund bei Parmenides (auch sprach Platon ebenfalls vom Nicht-Sein, was nach Parmenides nicht zulässig ist; es zeigt sich bei diesen beiden und ihrer Kombination die ganze Schwierigkeit zwischen Metaphysik und Ethik [eine Frage, die v.a. in der Moderne vollends aufbrechen sollte]).

Wenn wir von den bedeutendsten und bekanntesten altgriechischen Philosophen sprechen, müssen wir auch von den bedeutendsten unterschlagenen altgriechischen Philosophen sprechen. Wenn ich heutige Philosophiegeschichtsbücher betrachte, fallen mir dazu v.a. drei Namen ein: Solon, der (Vor-) Begründer der Demokratie (den die Meisten eher als Politiker sehen denn als Philosoph), Alkmaion, der Philosoph der Gleichheit und des Ausgleichs, sowie Xenophanes, der Religionsphilosoph, später aber auch etwa Zenon von Elea mit seinen (v.a. für die physikalische Bewegungslehre) bedeutenden Paradoxien oder auch Xenophon als bedeutender Bestätiger von Sokrates (er ist ferner der erste Verfasser einer wirtschaftlichen Schrift!, was einigermassen bedeutend ist, wenn wir die grosse Bedeutung dieses Themas in der heutigen Zeit betrachten [Xenophon wies in seiner Schrift zur Hauswirtschaft darauf hin, dass der (politische) Frieden eine wichtige Voraussetzung für einen blühenden Handel ist]).

Ost-/West-Vergleich (Antike). Etwa zur Zeit von Xenophanes, Parmenides und Anaxagoras (um 500 v. Chr.), welche zu den bedeutendsten griechischen Vorklassikern gehören, gab es auch im (sogenannten) Osten der Welt eine bedeutende philosophische Kulturentwicklung: mit Laotse, Konfuzius und Buddha, die Zeitgenossen gewesen sein sollen (wobei heute nur schwerlich bestimmbar ist, wer hier, inkl. Anderen wie etwa Mahavira, genau wen – und wie – beeinflusst hat). Die östliche oder (indisch-) chinesische Klassik liegt also zeitlich vor der griechischen Klassik (demgegenüber liegt der Anfang der eigentlichen griechischen Philosophie vor dem Anfang der eigentlichen [von der reinen und/oder frühreren Religion weitgehend losgelösten fern-] östlichen Philosophie: im Osten sind die Religion und die Philosophie zwar traditionell enger miteinander verbunden als im Westen, trotzdem kann man dies vermutlich so sagen*). Konfuzius (551-479 v. Chr.) gilt als erster grosser Moralphilosoph überhaupt, welcher seine Philosophie in erster Linie auf die reine Moral ausgerichtet hat. In seinem Werk findet sich auch eine der frühesten bekannten Formulierungen der Goldenen Regel, wie sie aus vielen althergebrachten Religionen bekannt ist (und demnach so etwas wie die Urmoral der Welt beschreibt). Laotse (im 6. Jh. v. Chr.) ist der Philosoph des Nichtmachens (nicht zu verwechseln mit dem Nirwana von Buddha [Befreiung von der ewigen Wiedergeburt]). Die genaue Übersetzung ist hier recht schwierig: richtig spricht der im Ost-/West-Kulturverständnis verdienstvolle deutsche Sinologe Richard Wilhelm von Nichtmachen, und nicht etwa von Nichthandeln. Eine kleine, aber feine Nuance; im Schlusssatz seines "Tao Te King" sagt Laotse, der Sinn sei zu fördern, ohne zu schaden, und der Berufene soll wirken, ohne zu streiten. Es ist also eindeutig nicht von einem Nichthandeln die Rede (ebenso wie das Nirwana von Buddha auch nicht mit dem Nichts gleichsetzt werden kann, wie es in der westlichen Rezeption manchmal geschieht). Wilhelm übersetzt Tao als Sinn und Te als Leben, ich hätte – wie mir scheint noch etwas korrekter – Tao als Sinn und Te als Sein übersetzt. Bedeutend ist auch der wenig später aufgetretene Mozi, der eine Philosophie der universellen Liebe begründete (ein Thema, welches wir später – in etwas anderer Form – bei Jesus Christus wiederfinden [interessant auch: dass die chinesischen Kaiser als Tianzi bezeichnet wurden, d.h. Sohn des Himmels]). Ganz unterschiedlich sind indes Entwicklung und Wert der weiteren Philosophie verlaufen: im Osten sind die drei grössten Denker der damaligen Zeit – eben: Laotse, Konfuzius und Buddha – auch die drei grössten Denker überhaupt geblieben, bis heute, im Westen hat sich dagegen eine lange und nicht enden wollende Reihe von grossen Denkern ergeben, in welcher es sehr schwierig geworden ist, die grössten davon herauszufinden und -zuheben (vielleicht etwa: Platon, Aristoteles, Augustinus, Thomas von Aquino, Hobbes, Descartes, Locke, Rousseau, Kant, Hegel – aber wie viele weitere könnten einen Anspruch darauf hegen, in diese Liste aufgenommen zu werden [inkl. auch Wissenschaftlern wie Newton, Darwin oder Einstein, u.v.a., welche ebenfalls in einer bedeutenden Verbindung zur Philosophie stehen]).

* Es ist zu erwähnen – wenn hier vom Osten und vom Westen, und von östlicher und westlicher Philosophie die Rede ist v dass es auf dem Globus eigentlich ja gar keinen Westen und gar keinen Osten gibt, sondern: das sind immer Bezeichnungen von einem gewissen Punkt aus gesehen. So wie diese Bezeichnungen allgemein in unseren Breitengraden verwendet werden, liegt eine eurozentristische Sichtweise vor (die natürlich einen gewissen Sinn macht, wenn man die Philosophie der Vergangenheit betrachtet).

Die Philosophen der chinesischen Klassik hatten zwar nicht die analytische Kraft der griechischen Klassiker, aber ihre punktuelle Trefflichkeit – d.h. wie sie gewisse Dinge teils kurz und knapp auf den Punkt gebracht haben – ist in der Philosophiegeschichte vermutlich unerreicht bis heute. Zwei der schönsten Passagen von Laotse und Konfuzius verdeutlichen dies und erklären alleine fast eine ganze Welt (Metaphysik, Physik, Ethik). "Der Sinn erzeugt die Eins. Die Eins erzeugt die Zwei. Die Zwei erzeugt die Drei. Die Drei erzeugt alle Dinge. Alle Dinge haben im Rücken das Dunkle und streben nach dem Licht, und die strömende Kraft gibt ihnen Harmonie." (Laotse – von der Atom- zur Quantentheorie, quasi, und darüber hinaus.) "Wer den Willen des Himmels nicht kennt, kann kein Edler sein. Wer die Regeln sittlichen Verhaltens nicht kennt, hat im Leben keinen festen Stand. Wer nicht Worte richtig zu verstehen weiss, kann die Menschen nicht erkennen." (Konfuzius – ein moralisches Lehr- und Meditationsstück erster Güte in nur drei Sätzen.)

Exkurs – Östliche Philosophie in den anderen Zeitepochen. Interessanterweise gab es in jeder der Hauptepochen in der Philosophie je eine bedeutende ausserwestliche Phase. In der Antike ging sie – wie beschrieben (im 6./5. Jahrhundert vor Christus) – von den Chinesen aus, im Mittelalter (im 9.-12./13. Jahrhundert) von den Muslimen und in der Neuzeit (im 19./20. Jahrhundert) von den Hindus. Die arabische und die muslimische Kultur diente im Mittelalter – zu einer Zeit, in welcher sowohl die chinesische wie auch die muslimische Kultur höher entwickelt waren als die europäische – als bedeutende Zwischenstation zwischen Indien und Europa in der Mathematik, und als bedeutende Weiterentwicklung in allen Wissenschaften (etwa u.a. mit Al-Kindi, Ar-Razi, Al-Farabi, Al-Hazen, Al-Biruni, Ibn Sina [lat. Avicenna], Ibn Tufail, Ibn Ruschd [lat. Averroës] oder At-Tusi). In der Neuzeit waren es – nicht zuletzt wohl aufgrund der Kolonialisierung und Befreiung Indiens – die Hindus bzw. die Inder, welche eine ganze Reihe von vielbeachteten Persönlichkeiten hervorbrachten (Ramakrishna, Tagore, Vivekananda, Gandhi, Aurobindo – Krishnamurti [Theosophie]). Das bedeutet natürlich nicht, dass es in den anderen Kulturen je keine Denker gab, aber diese traten eher vereinzelt auf, während hier die Rede ist von kulturgeschichtlich bedeutenden grossen Bewegungen. In der neueren Zeit sind nebst den Indern sowie auch den Afrikanern (Wiredu, Hountondji, Oruka, Appiah, Eze – erste afrikanische Philosophen nach Zera Yacob [im 17. Jh., in Äthiopien]) etwa Nishida Kitaro in Japan oder Mohammed Iqbal für den arabischen Raum herausragend zu nennen.

Die Griechische Klassik – I. Sokrates und der grosse Zweifel. Es brauchte nicht nur die Hinwendung der (sogenannten) Sophisten zum Menschen – mit dem Homo-mensura-Satz von Protagoras ("Der Mensch ist das Mass aller Dinge") – sondern auch einen gewissen (sagenumwobenen) Sokrates, um die griechische Philosophie in Athen zu ihrer Klassik und Hochblüte zu bringen. Sokrates übernahm von den Sophisten den Zweifel an allem, welchen sie mit ihren rhetorischen Künsten gesät hatten – der Sophist Gorgias nahm eigentlich schon den späteren Skeptizismus voraus – und machte ihn zu seinem Logos. Mit dem Zweifel beginnt alle wahre Philosophie – so könnte man das Credo von Sokrates (469-399 v. Chr.) formulieren, wie es besonders vom römischen Philosophen Cicero hervorgehoben wurde: als radikalen Zweifel an allem bzw. an allem Bisherige (wie ihn später Descartes übrigens, am Beginn der Neuzeit und deren Wissenschaft, quasi in einer grossen Schauinszenierung der eigenen Philosophie nachahmte [nach dem Motto: ich zweifle an allem, komme dann aber aus dem reinen Zweifel heraus doch zu diesem und jenem Schluss]). Ich muss an dieser Stelle sagen, dass ich mir nicht sicher bin, ob es diesen Sokrates tatsächlich gegeben hat, oder ob er nicht vielmehr ein Kunstprodukt von Platon ist. Es ist ja schon seltsam, wie Platon praktisch alle seine (eigenen?) Ideen durch Sokrates zum Ausdruck brachte (welcher in praktisch allen Werken von Platon die Hauptfigur ist, immer in der Diskussion mit anderen Menschen/Philosophen). Es sieht daher in seinen Werken so aus, als wäre Platon selber nur ein reiner Stellvertreter von Sokrates. Wenn es also Sokrates gegeben hat, dann hat Platon praktisch keine eigenen Ideen vorgebracht, sondern nur jene von Sokrates wiedergegeben (d.h. wenn es einen grossen Sokrates gegeben hat, dann kann es keinen grossen Platon geben, oder höchstens als Begründer der Akademie – und umgekehrt: man redet ja in der Philosophie immer eben über den grossen Platon und meint eigentlich aber die Ideen und Diskussionen von Sokrates.) Es stellt sich hier also die Frage: Sokrates und/oder Platon? Vielleicht ist Sokrates nur, aber immerhin!, ein von Platon künstlich erschaffener (hochstilisierter Hyper-) Sophist. Für die These des Kunstproduktes spricht, dass Platon wohl auch sonst zu solchen gegriffenen hat – etwa mit der untergegangenen alten (Super-) Welt von Atlantis (die es wahrscheinlich, entgegen der Behauptung von Platon, nicht gegeben hat, die aber einen Fantasy-Effekt entwickelte, der bis heute anhält) – dagegen aber, dass Sokrates (zum Glück!) nicht nur bei Platon bedeutend erwähnt ist, sondern auch bei seinem Zeitgenossen Xenophon, welcher sich ebenfalls als Schüler von Sokrates ausgibt (ferner ist es für alle späteren Historiker der Antike keine Frage gewesen, dass Sokrates eine reale Figur war, und dass er direkt oder indirekt fast alle späteren Schulen beeinflusst hat). So können wir also davon ausgehen, dass es Sokrates tatsächlich gegeben hat* – ich möchte aber diesen Zweifel trotzdem einmal so anbringen. Es wird tatsächlich ja übrigens auch nie gesagt, selbst unter Philosophieprofessoren und -insidern nicht, Sokrates sei der Begründer der Ideenlehre, sondern dies wird immer Platon zugeschrieben: in dessen Büchern stammt natürlich aber eben diese Ideenlehre einzig und alleine von Sokrates. Es gibt die klare Vorstellung: hier ist der Zweifel von Sokrates sowie dessen Diskussionsmethoden – wie sie eben auch Xenophon in dessen "Erinnerungen an Sokrates" schildert** – und da ist die Ideenlehre von Platon; aber das hat eigentlich in dieser Art nichts mit den platonischen Werken, wie wir sie zu lesen bekommen und wie sie deklariert sind, zu tun. Wenn es Sokrates tatsächlich gegeben hat, dann entsprechen die Werke Platons vielleicht einer schlecht deklarierten Vermischung von sokratischen und eigenen Ideen. Ob aber nun künstlich, übertrieben oder realistisch. Es spielt letztlich keine Rolle, ob Sokrates ein Mensch oder nur eine Idee bzw. ein Mythos (bzw. der Mythos im Logos) war, oder eben tatsächlich sogar, wie es berichtet ist, ein Märtyrer und Heiliger der Philosophie: er gehört so oder so zu den bedeutendsten Philosophen der Welt! Mit Sokrates und seinem grossen Zweifel an allem sowie einer geheimnisvollen Spannung zwischen den Figuren von Sokrates, dem Hyper-Sophisten, und Platon, dem Begründer der Ideenlehre, begann die grosse Klassik der griechischen Philosophie, bestehend aus Sokrates, Platon und Aristoteles, von welchen jeweils der Eine auch der Lehrer des Folgenden war. Kompliziert, wie die Philosophie zuweilen nun einmal ist. (Lassen wir im Folgenden den Zweifel beiseite, und sprechen wir über Platon und Sokrates, wie die Philosophie im Allgemeinen über sie spricht, als zwei verschiedene Persönlichkeiten: die Philosophie Platons besteht ja übrigens eben nicht im Zweifel, sondern in einem mehr oder weniger klaren Ideensystem. Ich möchte im Besonderen die Ideen-, Gottes-, Seelen- und Staatslehre Platons betrachten.)

* Auch wenn es ihn tatsächlich gegeben hat (oder hätte), bleibt er eine höchst mysteriöse und umstrittene Figur. Interessanterweise sind nämlich auch viele überlieferte Vorstellungen, die wir von Sokrates haben, falsch (und teils auch nachweislich von Philosophen falsch weitergegeben). Landläufig hat man die Meinung, Sokrates sei ein Strassenphilosoph gewesen bzw. einer, welcher die Leute auf der Strasse angesprochen und sie in philosophische Gespräche verwickelt habe. Das ist vollkommen falsch: Sokrates sprach nur mit Leuten in einem erlesenen Zirkel von Philosophen oder der Philosophie nahestehenden Leuten (es sieht fast so aus, als seien dies Leute der Akademie). Und ein weiterer Hauptpunkt in der Auffassung von Sokrates ist vollkommen falsch, was er in diesem Fall sogar selber verschuldet hat. Manche Gelehrte sprechen von der Hebammenkunst (grch. Mäeutik oder Maieutik), wenn sie über Sokrates reden. Dieser selber hat seine Philosophie so bezeichnet, und gemeint, er lehre die Leute nicht die Wahrheit, sondern hole diese mit einer geschickten rhetorischen Technik aus den Leuten hervor. Diese würden dann, fast unbemerkt, selber auf die Wahrheit kommen. Tatsächlich aber sieht es – wenn man die Schriften von Platon wirklich liest – ganz anders aus: die anderen Figuren sagen in diesen sehr unnatürlich anmutenden Gesprächen fast gar nichts, während Sokrates die ganze Zeit redet und philosophiert, Gedanken formt und Schlüsse zieht, worauf die Anderen dann jeweils 'Ja' sagen, oder 'So ist es' (es ist also genau das Gegenteil von dem, was Sokrates selber über seine Kunst und Art des Philosophierens sagt – seltsam, aber so ist das).

** Der allerlogischste Schluss wäre daher, dass Platon die Figur von Sokrates aus dem Werk von Xenophon übernommen und dieser seine eigene Ideenlehre in den Mund gelegt hat. Dagegen spricht, dass Xenophon und Platon ziemlich exakte Zeitgenossen gewesen sein sollen, und dass Sokrates in praktisch allen Werken von Platon, auch den frühesten, erscheint. Das einzige bedeutende Werk Platons, in welchem Sokrates nicht die Hauptfigur und der Ideenbegründer ist, scheint das Buch "Nomoi" zu sein – dort hat ein unbekannter (namentlich nicht genannter) Athener dieselbe Rolle. (Eine weitere Möglichkeit wäre, dass gar Platons Schüler, die Akademiker, die platonischen Schriften verfasst und die Figur des Sokrates im Namen von Platon eingeführt haben. Wir können weder bei Platon noch bei Aristoteles mit letzter Genauigkeit sagen, welche Schriften von ihnen selber oder allenfalls von ihren Schülern verfasst wurden – in den Werken beider grosser Klassiker gibt es unerklärlich erscheinende, nicht deklarierte Widersprüche [die bedeutendsten, u.a., betreffen: Philosophenkönige vs. reine Gesetzesregierung in zwei verschiedenen Schriften zur Politik bei Platon sowie gar drei verschiedene Schriften zur Ethik mit teils unterschiedlichen Aussagen bei Aristoteles. Bei Sokrates ist es dagegen wenigstens klar, dass er keine eigenen Schriften verfasst hat.)

P.S. Wenn irgendjemand das Verhältnis von Platon und Sokrates genauer klären könnte, müsste es eigentlich Aristoteles sein. Hier drei Stellen aus seiner Metaphysik, welche auch einen kurzen und kleinen Einblick in die Ideenlehre geben (denn auch darin kommt Sokrates vor, wenn auch meist nur als abstraktes Beispiel für irgendetwas [wie im zweiten Zitat, u.a.]): "Und da sich nun Sokrates mit den ethischen Gegenständen beschäftigte und gar nicht mit der gesamten Natur, in jenen aber das Allgemeine suchte und sein Nachdenken zuerst auf Definitionen richtete, so brachte dies den Platon, der seine Ansichten aufnahm, zu der Annahme, dass die Definition etwas von dem Sinnlichen Verschiedenes zu ihrem Gegenstande habe; denn unmöglich könne es eine allgemeine Definition von irgend einem sinnlichen Gegenstande geben, da diese sich in beständiger Veränderung befänden. Diese Begriffe also nannte er Ideen des Seienden, das Sinnliche aber sei neben diesen und werde nach ihnen benannt; denn durch Teilnahme an den Ideen existiere die Vielheit des den Ideen gleichartigen." – "Denn was ist denn das werktätige Prinzip, welches im Hinblick auf die Ideen arbeitet? Es kann ja auch etwas einem andern ähnlich sein, ohne diesem nachgebildet zu sein; also mag es nun einen Sokrates geben oder nicht, so kann es jemand geben wie Sokrates, und dasselbe gälte offenbar auch, wenn es einen ewigen Sokrates gäbe." – "Sokrates aber setzte das Allgemeine und die Begriffsbestimmungen nicht als abgetrennte, selbständige Wesenheiten; die Anhänger der Ideenlehre aber trennten es und nannten dieses Ideen der Dinge." Alles klar? (Nein, nichts ist klar.)

Die Griechische Klassik – II. Platon, Teil 1: Ideen- und Gotteslehre. Ideenlehre. Platon (428 od. 427-348 od. 347 v. Chr.) ist vermutlich der heute bekannteste ältere Philosoph (vor der Neuzeit [also: Antike plus Mittelalter]). Dies kommt nicht unbedingt daher, dass die Leute seine Philosophie besonders gut kennen würden, sondern eher daher, dass er durch den Begriff vom Platonischen in unserer heutigen Sprachkultur vorkommt. Unter dem Platonischen begreifen wir etwas, was sich im rein Ideellen abspielt bzw. in einem reinen Ideenbereich. Dies führt uns direkt zur Ideenlehre Platons, welche dem bedeutendsten Teil seiner Philosophie entspricht. Die Idee ist für Platon nicht eine Inspiration oder Intuition im Geist, wie wir das heute sehen würden, sondern: es ist ein Begriff, welcher in einem quasi ewig-ideellen Raum hinter den Dingen liegt – ein Begriff vom Wahren hinter den Dingen. Von allem Seienden, so meinte Platon, gibt es eine wahre Idee, und dieser Idee zu entsprechen oder näherzukommen ist auch der Sinn vom Seienden. Für den Menschen würde dies bedeuten: der Idee vom Menschen bzw. Menschlichen näherzukommen. Die Erfassung der wahren Idee entspricht der reinen Vernunfterkenntnis. Und hier kommen wir vielleicht auf eine ästhetische Höhe der Philosophie, welche zuvor und danach nicht mehr erreicht wurde. Die beste – und das heisst gleichzeitig: die wahrste – aller Ideen ist die Idee vom reinen Guten (bzw. vom Besten). Damit schafft Platon aber – was ihm Aristoteles auch vorgeworfen hat – eine Art ideelles Jenseits gegenüber einem materiellen Diesseits (d.h. seine Philosophie hat religiöse Züge [wie besonders auch im Neuplatonismus bei Plotin zu sehen ist, welcher die Philosophie als einen fast mystischen Aufstieg zum Prinzip vom Einen aufgefasst hat]). In Platons Ethik – mit vier (später so genannten) Kardinaltugenden (Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mässigkeit*) – entspricht die Gerechtigkeit der höchsten Tugend (d.h. sie entspricht der besten und wahrsten Auffassung von Ethik und Moral). Für seine Erhebung der Idee des Guten und der Tugend der Gerechtigkeit wird Platon bis heute geschätzt, geliebt und verehrt. Gotteslehre. Im Zentrum der Gotteslehre von Platon steht der Demiurg, ein Schöpfergott, welcher die Weltseele gebildet hat