Politika 2000+ - Marco Hirt - E-Book

Politika 2000+ E-Book

Marco Hirt

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Beschreibung

Die Schweizer Politik steht derzeit vor einigen schwierigen Herausforderungen – sowohl in der Außen- wie auch in der Innenpolitik. Es scheint also gerade der richtige Zeitpunkt zu sein für eine Publikation zur politischen Situation und Zukunft der Schweiz (inmitten des großen Problems).

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Die Schweizer Politik steht derzeit vor einigen schwierigen Herausforderungen – sowohl in der Aussen- wie auch in der Innenpolitik. Es scheint also gerade der richtige Zeitpunkt zu sein für eine Publikation zur politischen Situation und Zukunft der Schweiz (inmitten des grossen Problems).

Autor: Marco Hirt, geb. 4.3.1965. Publizist und Philosoph. Lebt in der Region Bern. Weitere Publikationen: "Postmoderne Ontologie" (2003).

Hirt Verlag + Publikation

INHALT

Vorwort

Die Schweiz von gestern – Ihre Geschichte(n), ihre Vorstellungen, ihre Mythen

1.1. Gründung und Mythen

1.2. Reformation und Religionskriege

1.3. Napoleon und die ersten Staatsgründungsversuche

1.4. Bundesstaat in der viersprachigen modernen Schweiz

1.5. Demokratische und sozialpolitische Reformen

1.6. Und schliesslich: die jüngste Vergangenheit

Die Schweiz von heute – In einer Sackgasse

2.1. Mein Parteiprojekt und mein politisches Engagement

2.2. Wahlbeteiligung, Zauberformel, Parteiensystem

2.3. Die umstrittene SVP und ihr Rechtspopulismus

2.4. Die FDP und ihre schwierige neue Bedeutung

2.5. Die CVP als Entscheidungsträgerin in der Mitte

2.6. Die unterschätzte SPS und die Bedeutung der Soziologie

2.7. Die GPS und das eigentliche Thema der Zeit

2.8. Paradies perdu und/oder europäisches Vorbild?

2.9. Vom grossen Süd-/Nordkonflikt in der Welt

Die Schweiz von morgen - 13 Punkte zur Schweizer Politik

3.1. Eidgenossenschaft in der Innenpolitik (Punkt 1)

3.2. Neutralität in der Aussenpolitik (Punkt 2)

3.3. Soziale Marktwirtschaft (Punkt 3)

3.4. EU-Beitritt mit Sonderstatus (Punkt 4)

3.5. Ziel der Vollbeschäftigung (Punkt 5)

3.6. Wahl- und Stimmrecht für Ausländer (Punkt 6)

3.7. Wahl- und Stimmpflicht für Schweizer (Punkt 7)

3.8. Umfassende Schulreform (Punkt 8)

3.9. Vernünftiger Natur- und Umweltschutz (Punkt 9)

3.10. Religionsfreiheit (Punkt 10)

3.11. Neue Medienpolitik (Punkt 11)

3.12. Klarere, strengere und fairere Rechtsgrundsätze (P. 12)

3.13. Förderung der Wissenschaft der Soziologie (Punkt 13)

3.14. Ferner: zum Schweizer System (Rechtssetzung)

3.15. Ferner: zur Europa- und Weltpolitik

Kleiner Exkurs zur Geschichte der Schweizer Intellektuellen

4.1. Mystiker und Wunderheiler (13.-16. Jh.)

4.2. Mathematiker, Naturforscher, Philologen (17./18. Jh.)

4.3. Aufklärer und Schriftsteller (18. Jh.)

4.4. Die Staatstheoretiker (18./19. Jh.)

4.5. Die Friedensnobelpreisträger (19. Jh.)

4.6. Der Strukturalist und die Psychiater (19./20. Jh.)

4.7. Einstein und die Weltschriftsteller (20. Jh.)

4.8. Speziell: Troxler und die fehlende Anerkennung

4.9. Speziell: Das Beispiel von Hebler

4.10. Speziell: Gebser und das integrale Bewusstsein

4.11. Und noch einmal Frisch und Dürrenmatt

Die Definition und Deklarierung meiner Philosophie

Nachwort

Zweites Nachwort (zur zweiten Auflage)

Vorwort

Wie will die Schweiz die schwierigen Herausforderungen dieser Zeit meistern? Ich meine, dass radikale Veränderungen in der heutigen Politik notwendig sind, sowohl national wie auch international betrachtet; dabei habe ich bezüglich der Schweiz wirklich die Politik im Auge und nicht das System, welches zwar nicht perfekt, aber doch eigentlich ausreichend erscheint. Bei der Arbeit an diesem Buch habe ich gemerkt, wie schwierig es ist, ein Buch über ein bestimmtes Land zu schreiben, v.a. wenn es das eigene Heimatland ist. Man muss dabei sehr gut aufpassen, die schönen und guten Seiten des Landes, ebenso wie die fragwürdigen und schlechten Seiten, nicht zu überziehen. Ich habe versucht, meine persönlichen und auch kritischen Erfahrungen so gut wie möglich von einer neutraleren Sichtweise zu trennen. Dies ist ein eher politisches als philosophisches Buch, gleichwohl spanne ich auch in diesem Buch einen Bogen zur Philosophie: mit einer kleinen Definition und Deklarierung meiner Philosophie. Im Frühjahr 2015 verspürte ich den Wunsch, meine philosophische Arbeit ein bisschen zu planen, und so habe ich denn auch für die Zukunft meines Werkes eine relativ exakte Planung vorgenommen. Geplant sind demnach, insgesamt fünf Bücher: drei grössere (philosophische) und – je dazwischen – zwei kleinere (andere) Publikationen (konkret: diese politische und ferner auch eine biographische Publikation). Dies hier ist – nach meinem ersten Buch "Postmoderne Ontologie" (2003) – nun also meine zweite (kleinere) Publikation, deren Thema die Schweizer Politik ist. Ein schwieriges, aber bedeutendes und notwendiges Thema zu dieser Zeit (zumal ich mich auch über fast fünf Jahre sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigt habe). Diese Schrift wendet sich primär an ein Schweizer Publikum, wird in meinem Gesamtwerk aber auch bedeutend sein für die Darstellung meiner Auffassungen und Einschätzungen in Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Kultur oder Medien sowie auch Ethik.

Nach der Publikation meines ersten Buches und einer anschliessenden – etwas speziellen – mystischen Phase geriet ich in eine kleinere Sackgasse mit der reinen Philosophie. Daraus entstand gegen Ende des Jahres 2010 ein politisches Parteiprojekt, inkl. einem 13-Punkte-Programm zur Schweizer Politik (siehe: im dritten Kapitel), welches ich aber nach anderthalb Jahren schon wieder verworfen habe, sowie ein längerer Internettext zu den eidgenössischen Wahlen 2015 (siehe: im zweiten Kapitel). Ergänzend gegeben sind eine kurze Darstellung der Schweizer Geschichte (siehe: im ersten Kapitel) sowie (wieder auf die philosophischen Themen zurückführend) ein kleiner Exkurs über die Intellektuellen (und Philosophen) in der Schweiz (siehe: im vierten Kapitel). Am Ende werde ich noch eine Definition und Deklarierung meiner Philosophie machen, inklusive einer Erörterung meiner ethischen Position (siehe: im fünften Kapitel). Insgesamt liefert das Buch v.a. einen Einblick in mein politisches Engagement (2010-2016) und in die politischen Gedanken, die ich mir in dieser Zeit machte.

Es besteht natürlich und grundsätzlich die Frage, ob ein Philosoph überhaupt etwas zur nationalen Politik veröffentlichen soll, oder ob ein Philosoph nicht eigentlich darüber stehen sollte, denn die Philosophie zielt ja eher auf die grösseren Themen und Bereiche (damit meine ich v.a. Fragen, welche über das aktuelle politische Tagesgeschäft hinausgehen). In der Schweiz hat die politische Äusserung von Intellektuellen und Philosophen aber sozusagen eine Tradition, jedenfalls kann man dazu sehr bedeutend etwa Ignaz Paul Vitalis Troxler erwähnen, welcher mit seiner Schrift "Die eine und wahre Eidgenossenschaft im Gegensatz zur Centralherrschaft und Kantonsthümelei, sowie zum neuen Zwitterbunde beider, nebst einem Verfassungsentwurf" (1833) einen bedeutenden Beitrag zur Begründung des Schweizer Bundesstaates lieferte! Die grossen Schweizer (Welt-) Schriftsteller des 20. Jahrhunderts zeigten sich ebenfalls sehr politisch, wobei nebst den (kritischen) Äusserungen von Frisch und Dürrenmatt etwa auch eine nationalistische Rede von Carl Spitteler (mit dem Titel: "Unser Schweizer Standpunkt", 1914) berühmt wurde. Als (sehr kritischer) politischer Schweizer Philosoph des 20. Jahrhunderts kann Hans Saner angeführt werden. Es ist also durchaus nichts Aussergewöhnliches, wenn sich Schriftsteller und sogar eben auch Philosophen sehr konkret zur Schweizer Politik äussern. Zudem ist die aktuelle politische Situation der Schweiz derzeit auch sehr speziell: die Schweiz ist aussen- wie innenpolitisch so stark herausgefordert, wie vermutlich überhaupt noch nie in der bisherigen Zeit ihres Bundesstaates (seit 1848). Dies wage ich zu behaupten, trotz immerhin zwei gut überstandenen Weltkriegen, einem (weiteren) Kalten Krieg in Europa und der Welt, einer grossen Weltwirtschaftskrise und einem blutigen Generalstreik mit revolutionärer Tendenz. Dies alles hat der Schweizer Bundesstaat bereits überstanden, aber die neuste Herausforderung ist immer die grösste – und vielleicht ist sie dies auch wirklich. Was ich nun zu dieser heutigen Zeit und den aktuellen Themen zu sagen habe, wird nachfolgend dargelegt.

1. Kapitel

Die Schweiz von gestern Ihre Geschichte(n), ihre Vorstellungen, ihre Mythen

Es gibt Zeiten, in welchen die Geschichte eines Landes wichtiger ist, als in anderen Zeiten, und die heutige Zeit ist so eine Zeit – das zeigen auch die vielen geschichtlichen Publikationen heute. Die Schweiz von gestern ist ein Land der Geschichte(n) und der Vorstellung(en) – und (bis heute!) auch ein Land der Mythen. Sogar ein bedeutender Berg in der Urschweiz, im Kanton Schwyz, trägt diesen Namen: Mythen. Die Schweiz ist ein spezielles Land – darin ist man sich im Ausland wie im Inland einig. Manchmal wird sie deswegen sogar als Sonderfall in der Politik Europas und der Welt insgesamt betrachtet. Ziemlich alt ist sie, diese Schweiz von gestern, jedenfalls gibt es die Schweiz von gestern schon ziemlich lange – ganz so alt, ist sie nun aber auch wieder nicht, wurde das Schweizerland, wie wir heute sagen, doch erst im späteren Mittelalter begründet (genau: anno 1291 – und vorzeiten war dort, wo sich die alte Eidgenossenschaft später begründet hat, in der Urschweiz, ganz einfach nur sehr viel Wald, weswegen die Urschweizer Orte auch als Waldstätte bezeichnet werden). Die alten Eidgenossen scheinen ein urchiges und kauziges Völklein von Bergbauern und Sennen gewesen zu sein. Die Waldstätte der Urschweiz – Uri, Schwyz und Unterwalden – sind vermutlich im 7./8. Jahrhundert besiedelt worden; vorher kennt man im Gebiet der heutigen Schweiz etwa die Pfahlbauer, die Kelten (Helvetier), die Römer sowie die Germanen (Alemannen) – und vier der fünf grössten heutigen Schweizer Städte waren auch bereits römische Siedlungen: Basilea, Genava, Lousonna und Turicum, und auch in der Stadt Bern gibt es römische Spuren, obwohl die Schweizer Hauptstadt erst eigentlich 1191 von den alemannischen Zähringern gegründet wurde, die aus Freiburg im Breisgau kamen. Die Schweiz war und ist wohl immer – gestern, heute und (vermutlich auch) morgen – ein Land ohne Meerzugang, mit wenigen Rohstoffen und einer exponierten Lage mitten in Mitteleuropa – und doch auch wiederum einigermassen gut versteckt hinter den Bergen, dem Hauptmerkmal der Schweiz. Auch die Schweizer Bergwelt schuf und schafft ihre Mythen – vom Gotthard und vom Matterhorn, vom Heidi und von der Eigernordwand. In der Schweiz droht alles immer wieder zum Mythos zu werden – selbst in unserer (sogenannt) aufgeklärten, (spät-) modernen Zeit (und manchmal ist es gar nicht so einfach, auch und gerade in der Politik über diese ganzen Mythen und deren Nebeldunst hinauszusehen). Ich möchte nun eine kurze Erörterung der Schweizer Geschichte in fünf verschiedenen Schritten unternehmen, mit den folgenden Abschnitten: 1. Gründung, 2. Reformation, 3. Napoleon, 4. Bundesstaat, 5. Demokratie.

1.1. Gründung und Mythen

Die ganze Geschichte der Schweiz ist speziell, und das beginnt schon bei der Gründung des Landes: kaum eine andere heutige Nation hat eine derart mythenreiche Frühgeschichte – vom Rütlischwur mit den drei Eidgenossen über Tell bis Winkelried. Der Vorteil davon besteht darin, dass man überhaupt eine Vorstellung hat von den ersten Anfängen und frühesten Gründen des heutigen Landes (was längst nicht in allen Ländern der Welt ebenso bedeutend der Fall ist [freilich kann dies umgekehrt auch zu einer falschen Klarheit verführen]). Die Freibriefe von Uri (1231), Schwyz (1249) und Unterwalden (erst 1309) waren der Beginn eines langen Unabhängigkeitsstrebens der alten Eidgenossen. Bedeutend zu dieser Zeit war auch die Öffnung des Verkehrs über den Gotthard. Die Eidgenossen – wie könnte es denn anders sein – hegten wohl auch künftige ökonomische Interessen bzw. diese führten vermutlich auch erst mit dazu, dass man überhaupt daran denken konnte, konsequent einen eigenständigen Weg zu gehen. Ohne die Gotthardverbindung zwischen Nord und Süd hätte es in Europa vermutlich nie ein Land namens Schweiz gegeben. Diese Verbindung war nicht nur in dieser frühen Zeit bedeutend, sondern auch in den späteren Zeiten. Nach dem Tod des mächtigen und den schweizerischen Talschaften freundlich gesinnten Rudolf von Habsburg, im Juli 1291, wurde – der legendären Urkunde des Bundesbriefs zufolge – im August desselben Jahres die Eidgenossenschaft der drei Waldstätte begründet. Rudolf hatte den Schwyzern auch das Schweizerkreuz gegeben (die Innenstadt von Wien hat dieses Symbol noch heute, allerdings war es natürlich auch ein im Mittelalter viel verwendetes Ritterzeichen; offizielles Staatssymbol wurde es in der Schweiz aber erst 1815, erstmals im Kampf gesichtet als Zeichen der eidgenössischen Truppen aber schon 1339 – im Laupenkrieg). In der frühen Schweiz gab es drei Grundzeichen: des Stiers (Uri), des Kreuzes (Schwyz) und des Schlüssels (Unterwalden). Im Zentrum scheint ursprünglich der Ort Uri gewesen zu sein, denn die Rütliwiese liegt auf Urner Gebiet (die Gebiete der Schweiz werden früher als Orte, später als Stände und heute als Kantone bezeichnet). Vermutlich durch die zunehmende Verbindung mit Zürich scheint das politische Zentrum dann aber auf Schwyz übergegangen zu sein, denn dessen Fahne wurde in den Schlachten von den Schweizern verwendet (und der Name dieses Ortes ging ja letztlich sogar auch auf den Namen der Schweizer Nation über). In Unterwalden liegt interessanterweise dagegen der geografische Mittelpunkt der heutigen Schweiz (seit 1815 – seit dem Wiener Kongress in jenem Jahr, also mittlerweilen seit genau 200 Jahren – gab es nämlich keine Gebietsveränderungen mehr in der Schweiz, und dies über zwei schlimme Weltkriege im 20. Jahrhundert hinweg: dies ist sicher ein wesentlicher Grund für die Stabilität und Konservativität der heutigen Schweiz]). Nach dem ersten grossen historischen Datum der Gründung 1291 folgten die grossen und sieg-reichen Verteidigungsschlachten gegen die Habsburger, die ihre Interessen in der Region verteidigen wollten: 1315 bei Morgarten und 1386 bei Sempach; dazu kommen die Mythen von Tell, dem Tyrannenbefreier (und/oder -mörder) sowie Winkelried, dem grossen Schlachthelden.

Ob all diese alten Mythen der reinen Wahrheit entsprechen, das können wir heute kaum noch richtig nachvollziehen, es gibt immer mehr Historiker, die einiges davon in Zweifel ziehen, aber klar ist jedenfalls, dass diese Mythen eben irgendwie zur mythenreichen Schweizer Geschichte gehören (was wohl niemand bezweifeln wird). Fast ein Mythos sind heute auch bereits die alten Landsgemeinden sowie die Tagsatzung (als erste, wenn auch, in heutigen politischen Verhältnissen betrachtet, relativ lockere Landesregierung) – dies waren die beiden Hauptregierungselemente der alten Eidgenossenschaft. Die Landsgemeinde wird manchmal als die erste modernere Form von Demokratie betrachtet, auch wenn es etwa bei den Wikingern noch früher schon Volksversammlungen gegeben haben soll: allerdings muss man auch sagen, dass es die Landsgemeinde in jener Zeit nur in einigen wenigen Kantonen gab, während die anderen Gebiete wenig demokratisch bis teils sogar feudalistisch regiert waren (und auch die teils bis heute noch abgehaltenen Landsgemeinden selber haben eigentlich einen eher feudalistisch anmutenden Auftritt, ferner sind auch die Abstimmungen nicht geheim, sondern offen, was in einer heutigen Demokratie vielleicht als problematisch eingeschätzt werden könnte [man kann sich natürlich auch darüber streiten, ob das wahre Vorbild eher eine offene oder geheime Demokratie sein sollte – es kommt immer auch auf die genauen Umstände von politischen Strukturen an, so sprach auch etwa der französische Demokratietheoretiker Tocqueville von einer Mehrheitstyrannei, und gerade solches sollte sich in einer gut funktionierenden und organisierten Demokratie ja nicht unbedingt begründen, ebenso wenig wie eine Ochlokratie, also: eine Pöbelherrschaft, wie die alten Griechen zu einer anderen Unform der Demokratie sagten]). Sicher ist nur, dass die Landsgemeinden zu den bemerkenswerten Früherscheinungen von Demokratie gehören (und dass die Demokratie die beste aller bisher je ausprobierten Regierungsformen ist, was nicht ein Schweizer gesagt hat, sondern der Brite Winston Churchill nach dem Zweiten Weltkrieg, und dies – jedenfalls hat man sich das damals so vorgestellt – vor einer grossen Friedenszeit). Zusammengefasst erzählt uns diese erste Phase der Eidgenossenschaft also v.a. von deren Gründung und von den alten Verteidigungsschlachten.

Neue Orte/Kantone in dieser Zeitperiode: Uri (1291), Schwyz (1291), Unterwalden (heute: Ob- und Nidwalden, 1291 [getrennt seit 14./15. Jh.]), Luzern (1332), Zürich (1351), Glarus (1352), Zug (1352), Bern (1353).

1.2. Reformation und Religionskriege

Die Eidgenossenschaft konnte sich in der Folge friedlich (mit dem Zuzug weiterer Orte) wie auch kriegerisch (durch weitere Schlachterfolge, z.B. mit der Eroberung des Aargaus 1415, dem alten Stammland der Habsburger, sowie des Thurgaus 1460) ausdehnen, bis die Eidgenossen zur Zeit ihrer grössten Ausdehnung und nach einer dreijährigen Vorherrschaft über Mailand 1515 eine grosse und entscheidende Schlacht bei Marignano gegen die Franzosen verloren. Dieses Ereignis gilt als das Ende der Schweizer Eroberungspolitik der frühen Zeit sowie de facto als der Anfang der Schweizer Neutralitätspolitik. Die Schweiz revidierte hier also grundlegend ihre aussenpolitische Vorstellung von sich selber. Neben der militärischen Niederlage war aber auch die aufkommende Reformation ein bedeutender Grund für diese Neuorientierung bzw. die schwierigen religiösen Auseinandersetzungen in der Schweiz. 1505 fragte Papst Julius II. die Tagsatzung an, ob sie ihm eine Schweizer Garde gewähren wolle: im folgenden Jahr war diese bereits im Einsatz. Und 1522 scheiterte der Fürstbischof von Sitten, Matthäus Schiner, nur sehr knapp bei der Papstwahl in Rom (so nahe war sonst nie ein Schweizer am Papststuhl)! Nur drei Jahre später schrieb Huldrych Zwingli 1525 sein evangelisches Glaubensbekenntnis, was als eines der wichtigsten Daten in der Schweizer Reformation betrachtet werden kann. Die Glaubensdifferenzen zwischen den katholischen und den reformierten Orten führten zu harten Auseinandersetzungen (welche letztlich bis zum Sonderbundskrieg 1847 andauern sollten!). Eine gemeinsame Aussenpolitik war in dieser Zeit in der Eidgenossenschaft kaum mehr möglich, und daher war es wohl auch vernünftig, sich gegen aussen möglichst neutral zu verhalten. Das machte die Eidgenossenschaft auch weitgehend. Eine andere Sache sind die Schutzbünde der katholischen Orte: Verbände derselben schlossen 1529 ein Bündnis mit Österreich, 1565 mit dem Papst und 1587 mit Spanien (aber dies eben nicht im Namen der ganzen Eidgenossenschaft, sondern: eines Sonderbundes). Die Reformation gewann in der Schweiz zwar rasch an Boden, jedoch erhielt sich demgegenüber eben auch eine starke Gruppe von katholischen Orten, was im Konfessionsstreit lange zu einem Patt führte – und zu verschiedenen Bürgerkriegen (nachdem schon der Alte Zürichkrieg 1440-1450 die eidgenössischen Orte im Krieg gegeneinander aufgebracht hatte [zur langen Zeit der Reisläuferei bekämpften sich Eidgenossen teils auch in ausländischen Kriegen]). Der militärische Aspekt der frühen Eidgenossenschaft lässt sich am Besten wohl aufgrund der anfänglichen Bedrängnis durch die Habsburger erklären, dagegen versöhnten sich die Eidgenossen aber auch immer wieder mit ihren Kriegsgegnern, was jeweils eine ewige Richtung genannt wurde: so 1474 mit Österreich oder 1516 mit Frankreich. Es wäre sicher falsch, zu sagen, die alten Eidgenossen seien grundsätzlich ein kriegerisches Volk gewesen (und dass die Schweizer bekannt waren für ausländische Kriegsdienste würde ich auch damit erklären, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Schweiz zu jener Zeit nicht die Besten waren, so dass sich auch eben relativ viele Schweizer veranlasst sahen, in fremde Dienste zu treten – vielleicht galten die Schweizer zu jener Zeit in Europa als besonders urchige und zähe Naturburschen [bekannt ist dagegen aber auch, dass sie als besonders heimwehleidig galten, was sich etwa darin zeigte, dass sie in der Ferne besonders gerne ihre heimatlichen Lieder sangen]).

Während die katholischen Orte innerhalb der Eidgenossenschaft ein Grüppchen für sich bildeten, sahen sich auch andere Gebiete für eher eigenständig, vorab die Republik Bern, welche langezeit als bedeutendster Stadtstaat nördlich der Alpen galt. Es war also möglich, ein Mitglied der Eidgenossenschaft und gleichzeitig aber auch ein eigener und selbstständiger Staat zu sein. Solche Verhältnisse würden wir im heutigen (staats-) politischen Verständnis vermutlich als ein bisschen anarchistisch bezeichnen, aber so verhielt sich das damals. Und auch im übrigen Europa gab es natürlich noch nicht die klaren Nationalstaaten, wie wir sie heute kennen, sondern in weiten Teilen auch relativ unstabile Fürstentümer (etwa in Deutschland oder Italien), von denen viele untergegangen sind, während sich die Eidgenossenschaft bis heute erhalten hat. Das 'anarchistische Element' gilt auch nur auf der Staatsebene, nicht auf der Kantons- bzw. Standesebene oder auf der Gemeindsebene, denn hier war die Schweiz, je nach Region, teils bereits verhältnismässig gut organisiert. Die Religionsstreitigkeiten aber gehörten zu den schlimmeren innerhalb Europas (vielleicht auch oder v.a. deshalb, weil hier beide Gruppen ähnlich bedeutend waren, und es auch bis heute sind, während in den meisten anderen Ländern die Katholiken oder die Reformierten relativ rasch und klar die Oberhand gewannen [oder sich sogar ein dritter Weg konstituierte wie in England mit der Anglikanischen Kirche]). Nach einem Bürgerkrieg kam jeweils auch wieder die grosse Versöhnung: so ein erstes Mal 1529 bei der legendären (oder mythischen) Kappeler Milchsuppe, welche bis heute als grosses friedensstiftendes Symbol in der Schweizer Innenpolitik gilt (auch wenn dieser Frieden letztlich nicht allzu lange hielt). Diese innenpolitischen Auseinandersetzungen und Bürgerkriege waren sicher eben auch mit dafür verantwortlich, dass die Eidgenossen nun vorerst einmal viel mehr zu tun hatten mit ihrer Innenpolitik als mit der Aussenpolitik. Vielleicht konnten die Eidgenossen gerade deswegen im 17. Jahrhundert ihren grössten aussenpolitischen Erfolg feiern: 1648 (erst!) gelang es nämlich der Schweiz während des Westfälischen Friedens ihre tatsächliche und verbriefte Unabhängigkeit zu erreichen (vorher wurde die Selbstverwaltung der Eidgenossenschaft zwar geduldet, bildete aber eigentlich noch gar kein offiziell anerkanntes eigenständiges politisches Gebiet [dieser frühe, etwas lockere staatspolitische Zustand mag dazu geführt haben, dass die eigentliche Verstaatlichung der Schweiz auch nach dieser offiziellen Unabhängigkeit weiterhin etwas zäh vor sich ging]). Während die erste Zeitperiode (etwa von 1291 bis 1515) also ein selbstbewusstes bis -herrliches Auftreten gegen aussen brachte, ging es in der zweiten Zeitperiode (etwa von 1515 bis 1798) um die innere Auseinandersetzung und Festigung (die letztlich nur halbwegs gelungen ist, aber immerhin so weit ging, dass das Schweizerland über alle Turbulenzen hinweg bestehen blieb).

Neue Orte/Kantone in dieser Zeitperiode: Freiburg (1481), Solothurn (1481), Basel (heute: Basel-Stadt und Basel-Landschaft, 1501 [getrennt seit 1833]), Schaffhausen (1501), Appenzell (heute: Appenzell-Ausserrhoden und -Innerrhoden, 1513 [getrennt seit 1597]).

1.3. Napoleon und die ersten Staatsgründungsversuche

Ein gewaltiges Ereignis in der europäischen Politik sollte die vorangegangene Zeitperiode der inneren Zerwürfnisse in der Schweiz beenden (oder zumindest einmal unterbrechen). Dieses Ereignis hatte einen Namen, es hiess: Bonaparte (so unterzeichnete Napoleon jeweils seine Korrespondenz). Im 18. Jahrhundert fand in einer bis dahin eher ärmlichen Schweiz ein erstes grosses Wirtschaftswunder statt – zur Zeit der Weber, Sticker und Färber, also: der Textilindustrie. In einem interessanten Buch über die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz steht dies geschrieben: "Ende des 18. Jahrhunderts war nach Meinung der Zeitgenossen die Schweiz das am Meisten industrialisierte Land des europäischen Festlandes, was heisst, dass sie weltweit nach England den zweiten Rang belegte." [Lorenz Stucki: "Das heimliche Imperium – wie die Schweiz reich wurde", 1968]. Häufig waren es Bauersleute im Nebenverdienst, welche dieses Wirtschaftswunder möglich machten: bis ins 19. Jahrhundert hinein arbeiteten noch über 80% der Schweizer in der Landwirtschaft (heute sind es noch rund 3%); im 19./20. Jahrhundert fand eine grosse Umwälzung von der früheren Landwirtschafts- zu einer Industrie- und schliesslich Dienstleistungsgesellschaft statt. Wichtig war aber schon früh auch ein gutes Netz von Schweizer Händlern in der ganzen Welt. Die frühere Reisläufernation war zu einer Händlernation geworden (zumindest, was die Tätigkeiten im Ausland betraf, und zuweilen waren es sogar Reisläufer selber, die sich im Ausland niedergelassen hatten und sich nach dem jeweiligen Krieg als Händler betätigten). Mit dem Wirtschaftswunder war noch lange nicht die heutige breit abgestützte Wohlstandsgesellschaft erreicht – diese ergab sich durch einen verbesserten sozialen Ausgleich erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Der wirtschaftliche Aufschwung in jener Zeit führte zu einer noch grösseren Vernachlässigung der Politik: um die Jahrhundertwende vom 18. ins 19. Jahrhundert, zur Zeit des grossen Napoleon Bonaparte, befanden sich gleich drei fremde Armeen in der hilf- und verteidigungslosen Schweiz: die Franzosen, die Österreicher und die Russen. Für die Schweiz war jene Zeit vermutlich chaotischer als beide Weltkriege zusammengenommen. Die ganzen Wirren der französischen Revolution hatten voll auf ein Land eingewirkt, welches damals noch relativ schwache nationale Strukturen hatte (und es daher viel stärker direkt betrafen, als dies in vielen anderen europäischen Ländern der Fall war [dies war ein Nachteil in jener Zeit, ein Vorteil aber in der späteren und heutigen Zeit]). Es war schliesslich der französische Kaiser, welcher die Herrschaft in der Schweiz übernahm und die Schweiz auf den Weg zu einem Bundesstaat führte (vorherige Bundesprojekte waren 1554/55, 1655 und 1776 gescheitert). Die Französische Revolution und Napoleon im Besonderen wirkten in dieser Zeit verfassungsbildend (es war