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Als Jack Campbell die süße Claire Woods vor zwei üblen Verbrechern rettet, verliebt er sich stürmisch in sie. In seiner kleinen Fischerhütte erleben sie leidenschaftliche Stunden der Lust. Jack möchte, dass Claire für immer bleibt - doch seine Traumfrau hält die Standesunterschiede zwischen ihnen für unüberbrückbar …
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Seitenzahl: 189
IMPRESSUM
Gib uns eine Chance erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2000 by Ann Major Originaltitel: „Midnight Fantasy“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARABand 173 - 2001 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Sabine Stitz-Schilasky
Umschlagsmotive: HAKINMHAN, Kostyazar / GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 04/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733756543
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Geh mir aus den Augen, du Bastard!“ Wie wollte er diese Worte jemals vergessen?
Sie dröhnten in seinem Kopf, als er mit verbundenen Augen auf der Ladefläche eines Transporters lag. Dem Rumpeln nach zu urteilen, verließ der Wagen jetzt die Straße. Obwohl er sehr benommen war, zwang er sich, auf alles zu achten, was mit ihm passierte.
Wieder sah er das wutverzerrte Gesicht seines Vaters vor sich.
„Du bist ganz sicher nicht mein Sohn!“
Er hatte sich einfach umgedreht und war gegangen. Dieser Rausschmiss bestätigte ihm nur, was man ihm sein Leben lang beigebracht hatte: Er war ein nichtswürdiger Niemand.
Wer in der Gosse geboren war, landete auch immer wieder in der Gosse!
Durch die offenen Fenster drang feuchte, modrige Luft in den Transporter.
Er bekam Angst. Todesangst. Ohne Zweifel waren sie in den Sümpfen. Hier lauerten Alligatoren und Schlammlöcher, in denen ausgewachsene Männer binnen Sekunden versinken konnten.
Er hörte Musik, die aus einer Bar irgendwo in der Nähe kommen musste.
Der Wagen beschleunigte jetzt.
Seine Hände und Füße waren gefesselt. Hilflos kullerte er auf einem Haufen Abfall herum.
„Die Alligatoren freuen sich schon auf dich“, rief der Fahrer höhnisch. Er hatte ihn nur kurz gesehen. Trotzdem hatten sich dieses teigige Gesicht und das Spinnen-Tattoo am Hals für immer in sein Gedächtnis eingebrannt. Aber dieses Immer würde wohl nicht mehr lang dauern.
Ihm brach der kalte Schweiß aus.
Konnte Todesangst sich steigern? Ja, sie konnte! Zumindest tat sie das bei ihm, als ihm jetzt der andere Mann mit dem Stiefel in die Seite trat.
„Weißt du, was die mit dir machen? Die ziehen dich runter in eine ihrer Höhlen. Und da fressen sie dich Stück für Stück auf. Das dauert, sag ich dir.“
Was hier passierte, war vollkommen wahnsinnig! Das durfte nicht wahr sein!
Noch gestern Abend hatte er mit seinem Vater in einem der besten Restaurants von New Orleans gesessen. Jetzt, keine vierundzwanzig Stunden später, steckte ein Knebel in seinem Mund, der mit jedem Schlucken einen abscheulichen Geschmack seine Kehle hinuntertrieb.
Mit einem Ruck hielt der Wagen an, und die hinteren Türen wurden aufgerissen. Seine beiden Entführer schleiften ihn nach draußen und zogen ihn über modrigen Boden. Sein Kopf schlug gegen einen Baumstumpf. Er verlor das Bewusstsein.
Als er wieder zu sich kam, waren sie im Wasser. Er versuchte sich aufzurichten, aber der Untergrund war zu rutschig, die Tritte, die ihn wieder hinunterzwangen, zu hart.
Mit letzter Kraft kämpfte er. Seine Lunge brannte, weil er keine Luft bekam.
Doch auf einmal wurde er nicht mehr festgehalten. Sein Kopf durchbrach die Wasseroberfläche. Er würgte Wasser und Muschelschalen hervor.
Von irgendwoher kam ein Schuss. Dann war alles still.
Langsam sank er in den weichen Schlamm ein. Um ihn herum wurde alles dunkel und merkwürdig friedlich.
Ob sie sich wohl auch so gefühlt hatte, als ihr Wecker schrillte und sie nicht aufstehen konnte?
In diesem Moment war er wieder der kleine Junge mit den nassen Pyjamahosen, der vor dem Bett seiner Mutter steht. Er hört dem lärmenden Klingeln des Weckers zu, bis es seinen ganzen Körper ausfüllt.
Er hatte seinen Teddy unter dem Arm gehalten und die üblichen Entschuldigungen gemurmelt, sie angefleht. „Mommy! Es … es tut mir leid. Ich … ich schäme mich so …“
Wie jeden Morgen hatte er ihr versprochen, dass es nie wieder passieren würde. Aber an diesem Morgen hatte sie nicht geflucht, hatte ihn nicht ausgeschimpft. Sie hatte einfach nur dagelegen.
Irgendwann – es mochte Stunden später gewesen sein – war er dichter an sie herangegangen und hatte sie geschüttelt. „Wach doch auf, Mommy.“
Aber sie war so steif und kalt gewesen! Wie die Fensterscheiben seines Kinderzimmers im Winter.
Der Wecker schrillte immer weiter.
Nach der Beerdigung hatten seine Tanten ihn zu seinem Vater gebracht. Der Mann mit den schwarzen Haaren und den funkelnden grauen Augen, den er an diesem Tage zum ersten Mal sah, hatte ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen.
Danach verbrachte er mehrere Jahre in fürchterlichen Pflegefamilien, mit allem, was dazugehörte: Probleme in der Schule, wenig Essen, viel Prügel.
Dann hatte sein Vater einen plötzlichen Sinneswandel gehabt und ihn zu sich genommen. Aus lauter Dankbarkeit und Freude hatte er alles getan, um von ihm geliebt zu werden.
Am Ende hatte er ihn in die Firma aufgenommen. Er hatte gern und gut mit seinem Vater zusammengearbeitet.
Alles schien sich zum Besten gewandelt zu haben. Bis er eines Abends länger als alle anderen im Büro geblieben war. Dabei stieß er im Computer auf etwas sehr Ungewöhnliches …
Jemand riss an seinen Schultern und trommelte auf seinen Brustkorb ein, bis er nach einem schmerzenden Würgen wieder hören und halbwegs sehen konnte.
Eine Stimme, die durch seine wassergefüllten Ohren gedämpft wurde, fluchte heiser. Dann nahm ihm der Mann, der zu dieser Stimme gehörte, die Augenbinde und den Knebel ab.
„Verdammt! Hey, du lebst ja noch!“
Eine Taschenlampe leuchtete ihm ins Gesicht. „Du siehst aber übel aus.“
„Oh Mann“, stöhnte er, griff nach dem Licht und richtete den Strahl auf seinen Retter.
Vor ihm hockte ein Mann mit zerfurchter brauner Haut. Er hatte weißes Haar und dunkle Augen, deren Glanz lang zuvor erloschen sein musste.
„Du siehst aber auch nicht berauschend aus“, sagte er. Er war froh, seinen Mund wieder benutzen zu können.
„Dieses nicht-berauschende Etwas nennt sich Frenchy“, grinste der Mann, wobei er zwei unvollständige Reihen gelber Zähne entblößte. „Frenchy LeBlanc. Dir haben sie aber übel mitgespielt. Soll ich dich ins Krankenhaus bringen oder zur Polizei?“
„Nein, nirgendwohin, ich bin schon in Ordnung.“
„Und, hast du einen Namen?“
Er überlegte einen Moment, dann leuchtete dieser Name aus seiner Kindheit auf. „Jack …“
„Jack. Und wie weiter?“
Er musste einen Nachnamen finden! „Campbell. Jack Campbell.“
„Mann, das ist aber ein echt unauffälliger Name. So heißen doch auch die Typen, von denen sie Bleistiftzeichnungen in die Zeitungen setzen. Da weiß man gleich, dass die wahrscheinlich ganz anders aussehen und ganz anders heißen.“
Der alte Mann musterte ihn. „Du hast aber verdammt gepflegte Hände für so einen kräftigen Burschen. Außerdem siehst du ‚n bisschen zu verprügelt aus für jemanden, der Augen hat, als wenn er Schwierigkeiten kennt … Dein Anzug war mal teuer, ehe du damit baden gegangen bist.“
Jack sagte nichts.
„Vielleicht solltest du mal richtig arbeiten.“
„Wenn du mich beleidigen willst, dann …“
„Ich beleidige niemanden. Ich bin Fischer und brauche jemanden für mein Boot. Das ist keine Beleidigung, sondern ein Angebot. Schließlich bist du derjenige, der hier bleiben und keine Antworten geben will.“
Jack sah hinauf in die Kronen der Zypressen. Er hatte eine teure Ausbildung bekommen, seinen Job gut gemacht. Und er konnte nie mehr zurück!
„Ich habe immer nur im Büro gearbeitet. Ich hatte nie Zeit zum Fischen“, sagte er und dachte bei sich: Ich wollte nie fischen!
Frenchy nickte nachdenklich. „Ich nehm es keinem übel, wenn er diese Arbeit nicht will. Aber wenn du dich zu Höherem berufen fühlst, kann ich dir nicht helfen.“
„Ich hab doch gar nicht gesagt, dass ich nicht will!“
„Dann hast du jetzt einen Job.“
„Wenn du mir alles beibringst – danke!“
Seine Stimme war immer noch so heiser, dass der alte Mann sich vielleicht mehr von seiner Antwort versprechen könnte, als er geben wollte. Egal!
„Danke, Frenchy!“, sagte Jack, nachdem er sich geräuspert hatte, in einem klaren, tiefen Ton.
Fünf Jahre später …
Es war Mitternacht, und der Vollmond schien durch die riesigen, gespaltenen Eichen und die langen Gräser auf den Friedhof. Jack stand über dem frisch aufgeschütteten Grab von Frenchy, an dessen Ende der Grabstein schon errichtet war.
Er hatte ihm nicht mehr sagen können, dass er ihn brauchte, dass er der beste Freund gewesen war, den er jemals gehabt hatte.
Er hatte ihn nur im Arm gehalten, als er auf dem Fischerboot plötzlich umgekippt war und seine Augen sich nicht mehr öffnen wollten.
Frenchys Haut war so kalt gewesen wie die seiner Mutter, an jenem Morgen, als der Wecker nicht aufhören wollte zu klingeln.
Warum hatte Jack auch ihm nicht sagen können, dass er ihn liebte?
„Verdammt, Frenchy! Warum verlässt du mich genauso wie all die andern? Und warum macht es mir so viel aus? Ich wäre jetzt tot, wenn du nicht gewesen wärst!“
Frenchy lag direkt neben seinem Sohn, der gestorben war, kurz bevor er Jack aus dem Sumpf gerettet hatte.
Diese Nacht wäre eine ideale Nacht zum Fischen! Der Mond war klar und voll, die Luft mild. Aber ohne Frenchy mochte Jack nicht einmal daran denken. Außerdem hatte er die letzten Nächte durchgemacht, und seine Augen brannten von zu viel Alkohol, zu wenig Schlaf und nicht-geweinten Tränen.
Bevor er zu seinem Motorrad ging, das an dem Friedhofszaun angekettet war, flüsterte er: „Werde mein Geist, Frenchy! Sprich zu mir! Ich kann ohne deinen Rat nicht leben!“
Was hatte Frenchy zu ihm gesagt? „Du brauchst keinen alten Mann, der dir auf die Sprünge hilft. Du brauchst eine Frau, wie alle kindischen Männer.“
„Das ist ja ein toller Rat von einem, der schon durch vier Ehen gerasselt ist“, hatte Jack geantwortet.
„Ich bin dafür auch alt genug. Ich darf das. Schließlich gibt es keine bessere Kur für schlechte Angewohnheiten, als jemanden zu finden, der einem dauernd sagt, dass sie schlecht sind. Aber bevor wir Kerls uns entscheiden, das zu glauben, muss diejenige auch die letzte Chance sein. Ich sage dir, das Leben ist ein ewiger Kreislauf: Wir machen eigentlich mit jeder Frau das Gleiche durch, nur dass wir immer meinen, woran es jetzt hapert, das wird bei der nächsten besser. Pustekuchen!“
„Und warum kommst du mir so weise?“
„Weil ich glaube, dass es für dich höchste Zeit ist zum Heiraten. Du wirst langsam launisch.“
„Vielleicht werde ich tatsächlich langsam launisch. Aber du bist launisch, solange ich dich kenne.“
„Und ich stehe dazu! Aber das sage ich dir: Du gehörst hier nicht her! Außerdem bist du zu schade für die reichen Miezen, die dich für ein billiges Vergnügen auf die Rückbank ihrer Sportwagen locken.“
Jack weinte bitterlichst. Um diese Zeit, an diesem Ort durfte er das: Es war niemand mehr da, der ihn hören oder sehen könnte.
Frenchy hatte recht gehabt: Diese schäbigen Abenteuer waren nicht das, was er wollte! Der alte Mann würde ihm hoffentlich für immer im Kopf herumspuken. Wenn es nur nicht so verdammt wehtäte!
Er hatte zu viele von diesen Erlebnissen vor Shortys Bar gehabt, nach denen man sich leer fühlte. Diese Frauen, die alle nur das eine wollten, die man hinterher abfahren ließ.
Anfangs war es ihm recht gewesen, dass er benutzt wurde. Er hatte so oder so nichts zu geben. Aber nun, da Frenchy weg war, war auf einmal alles anders.
Er fühlte sich so schuldig, weil er ihm nie gedankt hatte. Deshalb würde er sein Erbe annehmen und sich um seine Boote und seinen Laden kümmern!
„Fang bloß nicht mit diesem Kreislauf-Quatsch an!“, rief er dem Grab zu, als er sich auf sein Motorrad schwang.
Dieser Körper, der sich auf das Zweirad schwang, hatte beinahe keine Ähnlichkeit mehr mit dem, der hier vor fünf Jahren im Sumpf gelegen hatte. Seine Haut war sonnengegerbt, gezeichnet von harter, körperlicher Arbeit. Zugleich machte ihn diese Beanspruchung reizvoll – auf eine verschrobene Art attraktiv.
Seine gebrochene Nase war flacher, als sie ursprünglich angelegt war. Vielleicht machte ihn dieses verwegene Aussehen, das ihm seine Verletzungen aus jener Nacht eingetragen hatten, besonders reizvoll für die verwöhnten reichen Töchter, die regelmäßig in Shortys Bar kamen, um sich ihr kurzweiliges Vergnügen abzuholen.
Irgendwie hing das alles zusammen: Sex, Gewalt, Tod. Aber es war nicht richtig, dass das so dicht beieinanderlag!
Wäre er doch nur mit den anderen Leuten mitgegangen, die sich sicherlich nach der Beerdigung noch unsäglich betrunken hatten!
Jetzt war er hier. Der Abend war lau. Und die Beerdigung war durch und durch peinlich gewesen. Alle „Freunde“ von Frenchy hatten sich sinnlos betrunken und angefangen, auf dem Friedhof mit den Barmädchen aus Shortys Bar zu tanzen. Dann waren sie dorthin gezogen, um weiter zu feiern.
Wenn es jemanden gab, der für den schlechten Ruf der Krabben-Fischer sorgte, dann waren es diese Leute! Zu ihnen gehörte Jack, und eigentlich auch wieder nicht.
Sie waren so gallig und misstrauisch gewesen, als sie erfuhren, dass Frenchy ihn zum alleinigen Erben eingesetzt hatte, dass sie fast explodiert waren!
Dann waren natürlich die üblichen Anschuldigungen gefolgt: Jack war allein mit ihm auf dem Boot, als er starb. Frenchy hat allein mit ihm gelebt, bevor er starb …
Das Übliche eben. Nur, dass es wehtut, egal wie sehr man sich wehrt.
Wer dachte an Jacks Wut? An seinen Schmerz?
Alles, was von fünf Jahren mit Frenchy blieb, war Wut, Ärger und die Trauer um verlorene Hoffnungen, die sie miteinander geteilt hatten.
Frenchy hatte während dieser Zeit weit mehr Geld angesammelt, als alle vermutet hatten, was unter den anderen Fischern die Wut auf Jack umso größer machte. Wenn es hieß, dass Not erfinderisch machte, machte es Neid schon längst.
All diese Verdächtigungen und Missgünsteleien trugen ihm natürlich Besuche des Sheriffs ein, die allerdings für diesen weit unangenehmer ausgefallen sein dürften als für Jack selbst. Die Findeltiere, die er gewohnheitsmäßig in größeren Mengen beherbergte, mochten nämlich keine unangemeldeten Besucher.
Jack wiederum hatte ein gespaltenes Verhältnis zu den sogenannten „Gesetzeshütern“, weshalb er das Hilfsangebot des Sheriffs, der ihn vor Rusty und Hank warnen wollte, nicht ernst nahm.
„Wir mussten die heute Abend entlassen, Jack. Die werden bestimmt eine Mordswut auf dich haben. Die sagen, du hättest Frenchy umgelegt.“
Sie wären ja nicht die Ersten, die ihn fälschlich anklagten! Jack ließ sich keine Angst mehr machen!
Er fuhr sein Motorrad vom Friedhofstor. Ihm war kalt, und er versuchte immer noch, Frenchys Stimme heraufzubeschwören, als sich der Himmel auf einmal besann, sein Licht zu wechseln.
Jack trat das Gaspedal durch. Seine Augen waren halb geschlossen. Er wartete auf ein Zeichen von Frenchy. Aber vielleicht hatte er die Nächte zuvor auch nur zu viel getrunken und sollte jetzt schleunigst ins Bett.
Zwei Wagen rauschten mit hoher Geschwindigkeit an ihm vorbei. Das sind wieder diese Jugendlichen, die Rennen veranstalten, dachte er noch. Aber im Augenwinkel hatte er eine sehr verschreckte Blondine gesehen, und er fragte sich, wo denn wohl der Sheriff bliebe, wenn tatsächlich etwas nicht mit rechten Dingen zuging.
Warum fürchtete er um diese junge, unschuldige Frau?
So ein Auto und das Aufblitzen einer teuren Halskette sollten ihn abschrecken. Warum taten sie es nicht? Waren es ihre langen blonden Haare, die im Fahrtwind flogen?
Wahrscheinlich bemerkte sie ihn nicht einmal.
Da drehte sie plötzlich den Kopf in seine Richtung. Diesen Blick hätte er unter Tausenden wieder erkannt: Angst! Dieser Blick machte sie anders als die anderen Frauen, die zu Shortys Bar kamen.
Sie hatte Angst! Diese Angst kannte er, und sie verband sie beide auf eine eigentümliche Weise.
Und sie war jung, wenn auch viel älter, als er gewesen war, als diese Angst zu einem festen Bestandteil seines Lebens geworden war.
Nichtsdestoweniger würde er diesen Blick ernst nehmen, zumal er jetzt die beiden im folgenden Wagen erkannte: Es waren Rusty und Hank.
Er wusste, dass die zwei jede Menge Unheil verhießen. Die beiden waren keinen Deut besser als die zwei, die fünf Jahre zuvor versucht hatten, ihn in den Sümpfen zu ertränken.
Er fuhr hinterher.
Sie kamen an Frenchys Restaurant vorbei. Das heißt: an seinem Restaurant.
Beide Wagen beschleunigten. Für ein Motorrad war das hier nicht weiter gefährlich, aber für ein Auto konnte eine solche Geschwindigkeit auf dieser kurvigen Strecke zur tödlichen Falle werden!
Er sah ihre Bremslichter aufflackern.
Hatte sie womöglich ein Tier angefahren? Das musste er sofort überprüfen.
Streunende Tiere rührten bei ihm an einen wunden Punkt. Deshalb nahm er sie auch alle bei sich auf: Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass sich niemand um sie kümmern würde. Das lag wohl daran, dass er so lange Zeit selbst ein Streuner gewesen war.
Jetzt bog ihr Wagen auch schon schleudernd von der Straße ab und rauschte in eine schmale Durchfahrt, die zu zwei Strandhäusern führte.
Hinter ihr bog der Truck ein, den Rusty und Hank fuhren, und rammte die Stoßstange ihres Sportwagens.
Sie taumelte aus dem Auto.
Rusty und Hank waren sofort bei ihr.
Jack bremste sein Motorrad oberhalb der Einfahrt so scharf, dass sein Stiefel knöcheltief im Muschelkalk versank und weißer Staub hinter ihm aufstieb.
Diesen grausam billigen Spaß wollte er denen gehörig verderben! Hörte er da irgendwo Frenchy, der ihn anfeuerte?
Eigentlich hätte dies der glücklichste Abend in Claire Woods Leben werden sollen. Alles war schon perfekt geplant gewesen. Trotzdem hatte North sie einfach wegfahren lassen!
Es war der Abend ihrer Verlobung gewesen. Alle hatten gefeiert. Es wäre so schön gewesen, wenn nicht am Nachmittag plötzlich ihre Schwester Melody per Helikopter eingeflogen wäre. Wieder einmal hatte sie alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen!
Selbst North hatte nur noch Melody angestarrt und sich nicht von der Stelle gerührt, als Claire fluchtartig das Haus verließ und ins Auto stieg. Irgendwie hatte sie fest damit gerechnet, dass er ihr hinterherfahren würde.
Unterwegs hatte sie dann Angst bekommen, aber zugleich eine solche Wut, dass sie nicht mehr zu bremsen gewesen war.
Erst als diese beiden Typen ihr nachsetzten, war ihr mulmig geworden. Sie hatte das Strandhaus ihrer Eltern angesteuert, weil sie schon zu weit weg war von zu Hause.
Warum hatte sie sich überhaupt auf diese Verlobung eingelassen? Nun gut, North war der reichste Rancher in ganz Texas, und ihre Schwester Melody hatte vor dem Traualtar die Hochzeit mit ihm platzen lassen.
Claire hatte ihn hinterher zu trösten versucht, nicht aber zu verführen.
Das wiederum war die Idee von Dee-Dee gewesen, ihrer Mutter. Dee-Dee wollte unbedingt eine Traumhochzeit – koste es, was es wolle.
Nun war also Claire der Preis, den Dee-Dee zu zahlen bereit war. So wie Claires Leben der Preis war für den Verlust von Harry, dem einzigen Sohn, den ihre Eltern je gehabt hatten. Er war kurz vor Claires Geburt gestorben.
Aber so sehr Claire auch versucht hatte, den verlorenen Harry zu ersetzen, so war sie doch auf der Strecke geblieben. Sie konnte nicht perfekt sein, weil ihre Schwester Melody schon perfekt war.
Welche Eltern brauchten schon zwei perfekte Töchter? Claires Eltern jedenfalls nicht. Sie hatten Melody, die wild und aufregend war. Claire konnte daneben nur brav und unscheinbar sein.
Deshalb hatten sie das mit North eingefädelt: Sie wollten, dass es diesmal klappte, und Claire war ja so zuverlässig. War sie das?
Sie war weggelaufen, heute Abend. Sie hatte nicht daran geglaubt, dass North und sie sich lieben könnten. Er hatte ihr doch gesagt: „Ich werde dich niemals lieben, wie ich Melody geliebt habe. Aber ich denke, es wird mit uns beiden besser funktionieren.“
Das war genauso wenig das, was sie hören wollte, wie die ewigen Belehrungen ihrer Mutter.
„Eine Frau in einem offenen Wagen bei Nacht ist Freiwild.“
„Wenn eine Frau nachts allein unterwegs ist, sieht das wie eine Aufforderung zum Tanz aus“, hatte Sam, ihr Vater, gesagt.
Wahrscheinlich hatten sie alle beide recht. Sollten sie sich doch darin sonnen, falls sie jemals lebend aus diesem ganzen Debakel herauskommen würde!
Im Moment sah es allerdings eher so aus, als steckte sie in erheblichen Schwierigkeiten. Da nützten selbst die tollsten Ratschläge nichts.
Das Herz pochte ihr im Hals, als ihr Motor in der Einfahrt zum Strandhaus ihrer Eltern den Dienst versagte.
Warum war North ihr denn bloß nicht nachgefahren?
Wollte er sich zeitlebens damit herausreden, dass sie einfach „verwöhnt“ war?
Das reichte ihr nicht!
Selbst wenn er immer wieder betonte, dass es Zeit würde, dass Melody und sie endlich erwachsen würden, so hätte ganz und gar nichts dagegen gesprochen, dass er sich heute Abend Sorgen gemacht hätte und ihr gefolgt wäre!
Und dann diese endlosen Diskussionen über die Hochzeitsfeier! Was konnte denn Claire dafür, dass ihre Mutter sich nichts sehnlicher wünschte als eine perfekte Trauung?
Wieso machte ihn das so wütend?
Sie wollte es doch nur allen recht machen, North eingeschlossen. Sie wollte den Schaden gutmachen, den Melody angerichtet hatte.
Sie war doch nur von der Verlobungsfeier verschwunden, weil Melody unangekündigt aufgetaucht war. Sie hatte einen sehr aufregenden Tanz aufs Parkett gelegt. Und North, Claires Bräutigam, war so gefesselt gewesen, dass er scheinbar völlig vergaß, mit wem er sich gerade verlobt hatte.
Eigentlich war sie nur halbherzig weggerannt. Sie hatte gehofft, dass North sie abfangen würde, bevor sie im Wagen war. Aber er war ihr nicht einmal aus dem Haus gefolgt. Der begehrteste Junggeselle in Texas hatte es offensichtlich nicht nötig, seinen launischen Bräuten hinterherzujagen!
Wollte er sie im Dutzend sammeln? Oder war er einfach zu unglücklich mit Claire?
Ihre Familie hatte damals geglaubt, dass es gut wäre, wenn sie versuchten, ihn über die Enttäuschung, die Melody ihm bereitet hatte, hinwegzutrösten. Claires freundliches und gutmütiges Wesen war da sehr gelegen gekommen.
Irgendwie hatte sich daraus ergeben, dass alle Leute meinten, North interessiere sich nun für Claire Woods. Ihre Beziehung fußte auf einem Gerücht, gegen das sie sich nicht wehren konnten oder wollten.
Eine feste Stütze dieses Gerüchts war natürlich Claires Mutter Dee-Dee, die ihr Ansehen in der Gemeinde wiederherstellen musste, indem sie den zweiten „Hochzeitsversuch“ noch pompöser ausfallen ließ als den ersten.
Trotzdem war Claire hier, jetzt, allein. Fernab von allen Gerüchten, Plänen, Erwartungen, blieb ihr nur die blanke Panik angesichts dieser beiden finsteren Gestalten, die aus dem Geländewagen stiegen. Sie hatten gerade ihr Auto gerammt.
Wenige Minuten vorher hatte sie sich noch ausgemalt, dass sie einfach umkehren, sich bei North entschuldigen und die Peinlichkeiten dieses Abends vergessen könnte.
Die beiden Männer kamen auf eine Weise auf sie zu, dass ihr diese Möglichkeit für immer genommen schien.
Claire hatte immerzu Fantasien gehegt von wilden Männern, mit denen sie wilde Abenteuer erleben würde, aber das war anders gewesen!