Gila, Jean und Magnolia     Die ersten zwei gemeinsamen Jahre - Jean Lupo - E-Book

Gila, Jean und Magnolia Die ersten zwei gemeinsamen Jahre E-Book

Jean Lupo

0,0

Beschreibung

Dieses Buch beginnt mit einem frohsinnigen und vitalen Paukenschlag, mit einem der angenehmen Art. Durch das Fenster des Badezimmers, beim morgendlichen Duschen, hört es Jean, dass er quasi soeben Vater geworden ist. Die Freude in der Familie ist groß. Mutter und Baby sind wohlauf. Es ist eine Tochter, die den Namen Magnolia erhält. Und wie die zwei Lieben von der Klinik entlassen werden, dürfen sie auch gleich in die von Jean inzwischen hergerichtete neue Wohnung einziehen. Gila blüht auf in der Rolle als gutherzige Mutter, ebenso wie auch Magnolia scheffelweise Fortschritte macht. Nach nicht mal neun Monaten kann sie sich auf ihren zarten Beinchen fortbewegen, ohne die schützende Hand der Mutter. Nach einem guten Jahr ist sie vollkommen sauber, sie benötigt keine Windel mehr. Zu diesem Zeitpunkt betreut Gila bereits zwei Kinder. Roby, die Tochter von Adam, und Sladjana, also das Kind von Jeans Bruder, war an jedem Wochentag bei Gila in der Gewürzstraße, und so lebten und wuchsen die beiden Mädchen wie Schwestern heran. Jean arbeitet zu dieser Zeit schon mehr als zwei Jahre bei der Firma Zentner & Gramm. Er hat in jener Entwicklungsphase einen steil ansteigenden Prozess hinter sich gebracht und wird als der kommende Meister eines bedeutungsvollen Produktionszweiges gehandelt. Zielstrebig und unbeirrbar geht er seinen Weg, ist nicht aufzuhalten und so sieht auch hier die Zukunft sehr rosig aus. Und doch stimmt nicht alles zu Hause in der Gewürzstraße. Jean spielt seit vier Jahren in der ersten Mannschaft des Vereins, den sein Vater einst gegründet hat. Er hatte Anfang 69 gar die Chance, um in die zweithöchste Liga zu wechseln, brachte es aber nicht übers Herz, Gila alleine zu lassen. Damals war der normale Bundesbürger erst mit 21 Jahren volljährig, Gila jedoch war erst 18 Jahre und sieben Monate alt. Ihr Vater hätte sie eher angebunden, als dass er sie aus dem Elternhaus hätte wegziehen lassen. Gila versprach Jean, nicht mehr kriegerisch gegen den Fußball eingestellt zu sein, er könne spielen so lange er möchte, wenn er nur in Altenstadt bliebe. Dass dies nicht mehr als ein hohles Versprechen war zeigte sich bald, ja sie kämpfte wie zu allen Zeiten gegen den von ihr ungeliebten, ja verhassten Fußball an, mit allen nur möglichen Finessen. Dem Leser wird demgemäß Krieg und Frieden zugesichert. Ein paar Urlaubsreisen runden das teils heitere und doch auch zuweilen listige Geschehen ab. Und die Geschichte wird sich fortsetzen, sie ist schon in Bearbeitung.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 956

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Gipfelkreuz Lusen Naturschutzgebiet Bayrischer Wald

Restaurant Gasthaus Zum Hirschen Schwarzenberg Vorarlberg

Vorwort und Dankempfindungen

Das Ethos hat gar mancherlei Gesichter. Schon unser verstorbener Vater sagte einst am Anfang der Sechziger: Jeder Mensch hat seine eigene Ethik. Hätte er keine Ethik, dann wäre für ihn auch kein Handeln möglich und einfach nicht zu handeln, dazu ist der Mensch nicht imstande.

Freilich wusste er was er sagt und ich wiederum wusste was er meint, wenn auch mit etwas Verspätung, er sah das Leben in vielen Facetten. In zwei Weltkriegen stand er an der Front, zunächst 1918 und schließlich in den Vierzigerjahren, beide Male an der Westfront, beide Male in Frank-. reich.

Desweiteren war er ein Bergmann, war sozusagen unter Tage zu Hause. Ein Bergwerk ist weiß Gott kein Schlaraffenland. Bergmänner sind eine urwüchsig raubeinige Gangart gewöhnt. Und was hier vielleicht nicht ganz glaubwürdig erscheint ist die Tatsache, dass es gewiss alles andere als ein Honigschlecken ist, von der Schulbank direkt in den ersten Weltkrieg einbezogen zu werden, was heißen will, als vierzehnjähriges Bübchen dem möglichen Tod ins Auge zu schauen. Das Gewehr oder was immer er als Waffe in die Hände bekam, es muss ihm doch bleischwer vorgekommen sein. Und gleich danach, nahtlos kann man hier ohne jegliche Übertreibung konstatieren, ineinander verwoben und verschlungen also, folgte der aus meiner Sicht sadistische Gang zu den Knappen. Dabei kam er noch gut weg, insofern er es von seiner ihm zur Verfügung stehenden Perspektive betrachtete. Beim Blick in den historischen Rückspiegel quasi, leuchtet dies einem jeden Menschen ein. Nur zu gut wusste er, dass es vor seiner Zeit Schlimmeres gab. Er musste lediglich eine oder zwei Generationen zurückblicken, zum Ende des 19 Jahrhunderts hin, er selbst war 1903 zur Welt gekommen, da freilich gab es ihn noch, den befangenen Grubenjungen, den mit Säuberungsarbeiten eingeteilten Knaben, welcher auch Sauberjunge genannt wurde, ehrerbietige Helfer, um es mal in der Vielzahl auszudrücken, Halbwüchsige oder Minderjährige, welche in den Stollen und Schächten Säuberungsarbeiten durchzuführen hatten. Es waren Dreikäsehochs, die je nach ihrer körperlichen Verfassung und dem jeweils betrieblichen Bedarf eingesetzt wurden, in ihren Burschenjahren, nicht selten parallel zur Schulbank.

Von seiner pfälzischen Heimat ging Vater temporär ins Saargebiet. Doch bald schon war das Saarland eher den Franzosen untergeordnet. Es war aus dem Deutschen Reich ausgegliedert, war 15 Jahre ein sogenanntes Völkerbundsmandat. Von Frankreich jedoch hatte er vorläufig genug. Es zog ihn, wie viele andere Arbeitswillige nach Kriegsende und am Anfang der Zwanzigerjahre nach Differdingen im Großherzogtum Luxemburg. Der Abbau und der legendäre Lockruf der dort sich befindenden Minette, ein bräunliches Eisenoolitherz, ein Eisenerz sedimentären Ursprungs um es fachmännisch zu formulieren, wurden mittels vieler Fachkräfte aus dem Ausland vorangetrieben. Für die hier systematisch strukturierte Epoche war es in etwa vergleichbar mit dem sagenumwobenen Eldorado einst in Alaska, zwar war es kein Goldfieber das hier ausgebrochen war, nein es waren Arbeitsplätze die anderswo fehlten und gerade deshalb bleibe ich dabei, es war mit dem Goldfieber das von Alaska ausging vergleichbar. Selbst in den heutigen Tagen beträgt der Ausländeranteil in Differdingen, der noch immer starken Stahlindustrie wegen, über 50 Prozent. Klingt dies nicht unglaublich? Und unser Vater war dabei, ein echter Pionier.

Wie in allen Schichten der Bevölkerung, so gab und gibt es auch hier ehrliche, rechtschaffene und offenherzig treue Seelen, aber auch die dunklen Gestalten waren und sind im Bergwerk Seite an Seite. Eines aber vereint sie alle, das überaus harte Schicksal ein Bergmann zu sein.

Nachdem seine Frau viel zu früh verstorben war, verrichtete er auch in seiner neuen Wahlheimat Württemberg Pionierarbeit. Auch hier war ein Lockruf vorausgeeilt. In dem Geislinger Stadtteil Altenstadt wurde 1937 ein neues Bergwerk eröffnet. Es war dies die Grube Karl. Hier waren alle vereint, Pfälzer, Saarländer, Westfalen und Schlesier, Rheinländer sowie auch Polen. Dass unter diesen Kumpels, die in der explizit dafür erbauten Bergwerksiedlung, es gab sowohl eine vordere als auch eine hintere Siedlung für die harten Jungs und ihre Familien, die somit nicht nur unter Tage, nein die auch entsprechend der geplanten Unterbringung ganz unter sich waren, dass also hier eine komplett andere Ethik herrschte als in den von den Einheimischen bewohnten restlichen Teilen der Stadt, nun darüber kann es gewiss keine Zweifel geben. Auch hier gab es gewisse Normen einzuhalten. Und doch sind die Regeln und vor allem die Vorstellungen der Menschen prinzipiell verschieden. Und trotzdem scheint es mir beim tieferen Nachdenken auf das Gleiche hinauszulaufen.

Die subjektiven Vorstellungen bestimmen das subjektive Wollen des Menschen. Der jeweils Handelnde bedient sich seiner Mittel und Verfügbarkeiten. Am Ende und nicht nur am unmittelbaren Ende steht ein subjektives

Wollen des Einzelnen und wenn es noch so uneinheitlich und verschiedenartig ist oder aussieht, so ist und bleibt es doch ein subjektives Wollen. Nicht immer gelten die objektiven Tatsachen. Deswegen komme ich zu der Behauptung die buchstäblich lautet: Wer den Zweck will, der will auch die dazu fiktiven und notwendigen und als verfügbar erachteten Mittel. Denn der Gegenstand unseres Wollens sind jene Dinge wie sie uns erscheinen und nicht immer oder in den seltensten Fällen so wie sie sind. Somit ist es mit verhältnismäßig wenigen Worten geklärt, um so auf meine oder unsere Story zu kommen, wie die Fronten zwischen dem Siedlungsbandit Jean und dem Tyrannen der C. G. Jungstraße verlaufen, respektive verliefen. Doch es gab Ausnahmen. Da wäre zum einen Frau M. Räuschle besonders zu loben, also die Schwiegermutter in spe und zum anderen die noch blutjunge Gesine, welche im Herbst gerade mal dreizehn wurde. Anabella und Iliana verhielten sich eher neutral, gleichwohl oder gerade weil auch sie kaum einen Funken zur ausgelassenen Freude verzeichnen konnten. Horatio Räuschle, der Sohn und gleichfalls auch das älteste Kind, er war extrem gegen mich eingestellt, sobald er mich aber sah, da glühten seine Absätze, er flüchtete rasch in sein Zimmer, hatte eine unglaubliche Angst vor mir, was freilich seinen schon etwas zurückliegenden Grund hatte. Ein herzliches Dankeschön geht somit an die inzwischen Verstorbenen, sie lagen mir ganz nah am Herzen. Auch für die aus meiner Herkunftsfamilie Verstorbenen habe ich ein von Herzen kommendes Dankeschön übrig, sie hatten es sich verdient.

Aber es gibt ja nicht nur die Dahingeschiedenen. Nein gewiss gibt es auch Menschen an meiner Seite, für die ich ein dickes Lob ausspreche und denen ich zum Dank verpflichtet mich fühle. Zuvorderst denke ich dabei an meine liebe Frau Agathe, ebenso an meine liebe und tüchtige Tochter Magnolia, die in diesem Buch eine wichtige Rolle spielt und den Schwiegersohn Finnlay Malte, an Stefan von Richthofen und an die Schwiegertochter Almera mit den Söhnen Sandro und Finn sowie der Tochter Lena Alisa und freilich auch möchte ich Almeras Lebensgefährten Elbert Loris mit einem Dankeschön zieren. Ein herzliches Dankeschön geht an Gesines Tochter Saphira, die sich intensiv für mich einsetzte, als ich im Oktober 2017 krankheitsbedingt, kurzfristig für einen Tag in die Uni-Klinik Ulm eingeliefert wurde. Dank auch an den Lebensgefährten Michael und die vier süßen Kindern. Nicht vergessen möchte ich zum Schluss hin Mabelle Kellison und ihren Partner Jürgen, Mabelle wohnt seit über 10 Jahren unter meinem Dach und auch Jürgen macht sich nützlich.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Willst du immer weiter schweifen? Sieh das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen, denn das Glück ist immer da.

Zuvor jedoch heißt es: Wichtige Nachrichten gehen auch durch verschlossene Türen! (Johann Wolfgang von Goethe)

Handlungszeitraum: Frühjahr 1970

Kapitel 2: Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird. Wenn es aber besser werden soll, muss alles anders werden. (Georg Christoph Lichtenberg)

Die erste Ouvertüre der dreiköpfigen Familie im definitiv ersten Fragment der Siebziger! Frühsommer 1970

Kapitel 3: Bedenke stets, dass alles vergänglich ist, dann wirst du im Glück nicht zu fröhlich und im Leid nicht zu traurig sein. (Sokrates)

Gott gibt uns Leid, aber auch Schultern, um es zu tragen (jüdisches Sprichwort)

Eile geht dem Unglück entgegen! (alte Weisheit)

Kapitel 4: Fortes fortuna adiuvat (Simonides von Keos) etwas abgeändert sagt dies unser Freund Friedrich von Schiller:

(Dem Mutigen hilft Gott) oder aber und vor allem:

Die eigentliche Aufgabe eines Freundes ist es, beizustehen, aber, auch wenn er im Unrecht ist.

Kapitel 5: Alle Erfolge werden zuweilen wertlos, wenn die eigene, einst große Liebe zur Neiderin wird (altes Sprichwort) und auch:

Ein gewisses Maß an Unkenntnis voneinander, ist die beste Voraussetzung für eine lange Freundschaft. Hermann Bahr

Kapitel 6: Die Liebe ist so unproblematisch wie ein Fahrzeug, problematisch sind nur die Lenker, die Fahrgäste und die Straßen (Franz Kafka)

1. Kapitel

Willst du immer in die Ferne schweifen?

Sieh das Gute liegt so nah.

Lerne nur das Glück ergreifen

Denn das Glück ist immer da.

Johann Wolfgang von Goethe

Doch zunächst heißt es:

Wichtige Nachrichten gehen auch durch verschlossene Türen

(Johann Wolfgang von Goethe)

Zuerst werde ich mich äußern zu den Nachrichten, die einen auch durch verschlossene Türen erreichen und dann erst werde ich zu dem Guten kommen, das laut Goethe so definitiv nahe liegt

Wir schreiben den vierundzwanzigsten Januar neunzehnhundertsiebzig, ein Samstag, genaugenommen der vierte des angebrochenen Jahres und es ist ungefähr neun Uhr und zwanzig Minuten. Ich stehe im Bad unter der Dusche, selbstverständlich zu Hause bei Mutter in den Butzwiesen und höre plötzlich laute Stimmen und stutze, werde ein bisschen misstrauisch und augenblicklich gibt mir meine Ratio den Befehl: Jean aufhorchen, genau aufhorchen, die Brause temporär abstellen und konzentriert hellhörig sein. Irgendwo, in nächster Nähe wie ich meine, findet eine merkwürdig klingende Unterhaltung statt und der Diskussionsstoff ist unzweifelhaft der eines Kindes, respektive eines Babys und kurze Zeit später klopft auch schon Mutter gegen die Tür des Badezimmers und schreit offensichtlich von der Glückseligkeit gerührt und etwas aufgeregt: „Jean! Jean! Das Baby ist da!“

Also zuerst war Onkel Pablo am geöffneten Küchenfenster und schaute ungläubig und verwirrt hinaus, weil gestern waren noch die letzten Schneereste weggetaut und nun, quasi über Nacht war augenscheinlich der Winter wieder zurückgekehrt und dies in alter Stärke. Wieder war die Landschaft in ein märchenhaftes, beeindruckendes Weiß eingetaucht, eine geschlossene Schneedecke war das direkte Beweisstück der Natur und in dem Moment, als Onkel Pablo das Fenster öffnete, hatte es zum wiederholten Male zu schneien begonnen. Onkel Pablo war von den teils rieselnden und partiell auch tanzenden Flocken fasziniert wie ein kleines Kind. Mit infantil anmutenden Augen verfolgte er die von Frau Holle auf die Reise geschickten, staunenswert herunter segelnden Teilchen. Und wie er so verträumt der kalten Winterluft am geöffneten Fenster heiter und löblich trotzte, näherte sich zeitgleich irgendeine Frau aus der näheren oder weiteren Nachbarschaft. Die Frau hatte ursprünglich vor, dem offiziellen Fußweg folgend um das Haus herum zur Haustür zu gelangen und den Klingelknopf Lupo/Dienscher zu betätigen. Sie war futurologisch und recht zukunftsorientiert eingestellt, hatte dementsprechend schon seinerzeit ein Telefon und war vom Krankenhaus benachrichtigt worden, mit der höflichen Aufforderung gewiss, die grandiose unübertreffliche Meldung an die richtige Adresse weiterzutragen. Da sie aber Onkel Pablo am Fenster sah, den sie freilich zur Genüge kannte, ersparte sie sich den Weg ums Haus herum zur Südseite des Mehrfamilienhauses und zur Hausglocke und schrie sozusagen von der Nordseite aus sukzessive immer lauter und lauter werdend, weil Onkel Pablo seit vielen Jahren an einer unglückseligen Schwerhörigkeit zu leiden hatte, die Freude bringende Nachricht von der Straße, respektive vom Gehweg hinauf in den ersten Stock des Hauses mit der Hausnummer 69. Dies bekam dann der Tonlage entsprechend auch Mutter mit, begab sich selbst ans Küchenfenster, und so wurde die ganze Story schlussendlich ein zweites Mal herauf posaunt. Und da das Küchenfenster quasi das Nachbarfenster des Badefensters war, sie waren unmittelbar nebeneinander angebracht, zumindest sah dies von der Außenseite so aus, dementgegen aber im Innern eine Trennwand dazwischenstand, hörte ich immer wieder auch die einzelnen Wortfetzen und gegen Ende der eigentümlichen Unterhaltung noch ein kleines bisschen mehr, wennschon das Badefenster geschlossen oder nur einen Spalt weit schräg geöffnet war, ganz präzise weiß ich es heute selbst nicht mehr. Jedenfalls ist es determinativ so wie es das Goethe-Zitat uns lehrte: Wichtige Nachrichten gehen auch durch verschlossene Türen!

Wie die Nachricht im Detail in die Wohnung gelang war zunächst mal irrelevant und zweitrangig, es interessierte mich nur am Rande, der glanzvolle Inhalt der Botschaft war die ausschlaggebende Quintessenz. Vater! Ich bin Vater! Und vor allem ist Gila Mutter! Und was das Wichtigste überhaupt ist, auch dieses Signal kam von Seiten des Krankenhauses bei uns in den Butzwiesen an, das Kind ist gesund! Und als welches Geschlecht ist unser Teddy zur Welt gekommen? Teddy ist in Wirklichkeit ein kleines, eben erst geborenes Mädchen, womit wir uns von dem so warmherzig klingenden Namen „Teddy“ endgültig aber auch dankend verabschieden können, der Name hat uns weiß Gott viel Freude und Spaß bereitet. Aber es ist nun mal Fakt, ab sofort wird der Name Teddy nicht mehr fallen, gleichwohl wir uns so sehr daran gewöhnt hatten und ihn für angenehm vertraulich und einfühlsam hielten. Welch wunderbare Erinnerungen, so wie zum Beispiel unsere Hochzeitsreise in die Oberpfalz und weitere enthusiastische Anliegen und weltentrückte, schwärmerische und zärtliche Engagements, waren mit dem Namen Teddy verknüpft.

An dieser Stelle will ich ein bisschen zurückschauen. Ich kann unmöglich davon ausgehen, dass jeder Leser die Vorgeschichte kennt. Es gibt möglicherweise den einen oder anderen Leser, der nicht all meine Bände gelesen hat. Es wird hier über eine prekäre und knifflige Liebesgeschichte geschrieben. Zwei grundverschiedene Welten prallten hier unsanft aufeinander, besonders dann, wenn man die Dinge aus der Betrachtungsweise des Schwiegervaters und des ältesten Kind Horatio sieht. Herr Eugen Räuschle, also der hier beschriebene Schwiegervater ist zu diesem Zeitpunkt noch ein Kaufmann bei der Firma Habermeier und wohnt in einem eigenen Haus in der Carl Gustav Jungstraße, welche grob gesehen im Stadtzentrum sich befindet. Er ist einer jener Alteingesessenen, die sich selbst so gerne als Platzhirsch sehen, die sich nach außen hin stark fühlen oder als stark verkaufen. Er war ein großspuriger Wichtigtuer und Maulheld, einer jener hochmütigen Sorte, einer der wenn’s wirklich drauf an kommt den Schwanz einzieht.

Auf der anderen Seite gab es nach Südwesten hin, am Rande der Stadt und am Fuße des Michelsbergs einen Stollen, ein Bergwerk das 1937 explizit ins Leben gerufen wurde, der Führer ließ nichts aus um nach Eisenerz zu suchen, er führte nichts anderes im Schilde als die Mobilmachung. Und da die von allen Himmelsrichtungen kommenden Bergarbeiter dringend eine Unterkunft benötigten, wurde auf die Schnelle eine entsprechende Siedlung gebaut. Es war dies eine zweigeteilte Siedlung, es hieß oder man sprach von der vorderen und von der hintere Siedlung. Diese zweigeteilte Siedlung war getrennt durch den ABV-Kanal. In diesem Kanal floss ein Teil des Filswassers. Die Fils ist ihrerseits ein rechter Nebenfluss vom Neckar. Die drei Buchstaben A, B und V bildeten das Kürzel für die Altenstädter- Baumwoll-Verarbeitung. Das Regulieren des Wassers, damit nicht zu viel und nicht zu wenig in den Kanal strömt, dies freilich wurde noch manuell getätigt. Zwischen dem konventionellen Flussbett, also dem von der Natur geschaffenen Bett, welches nordwestlich an der Siedlung entlangläuft und der Knappschaftsstraße die südwestlich ins obere Filstal hinausführt und der nordwestlich zum Darwinplatz verlaufenden Frauenstraße, exakt hier eingebettet lag und liegt noch immer und in concreto die Bergwerksiedlung.

Die Bergmänner kamen von überall her, da zählten die Saarländer und die Pfälzer dazu, die Rheinländer und Westfalen sowie auch viele Polen und Landsleute aus Schlesien.

Für die Heimischen waren natürlich alle Bergarbeiter gleich, es wohnt dort draußen nichts Rechtes, es ist ein Gesindel, ein Lumpenpack und der Abschaum der Gesellschaft ja sowieso. Viele Schwaben gab es die behaupteten, dass diese Teufelsbrut nicht mal die Deutsche Sprache beherrsche. Und teilweise hatten sie sogar Recht. Aus diesem Vielvölkergemisch entwickelte sich eine neue Sprache, etwas despektierlich und pejorativ geringschätzig hieß es von den Schwaben ausgehend ganz einfach das “Siedlungsdeutsch“. Da die Pfälzer und die Saarländer das größte Kontingent bildeten kam auch ein entsprechendes Zwischendrin dabei heraus. Halb pfälzisch und halb saarländisch, zuweilen flossen auch noch Teile der rheinländischen Kultur hinzu und von jedem halt ein klein wenig. Dem Schwaben war das schlichtweg egal, es wurde ja eh der ganze Haufen über einen Kamm geschert. Ein bisschen hatten sie ja auch Recht. Es waren schon dubiose Gestalten dabei, Unerschütterliche und teils Kaltblütige, selbst noch in der zweiten Generation, als Cosimo, Adam und ich heranwuchsen gab es sie noch, die Gefühlskalten und die Herzlosen. Die meisten aber waren diszipliniert, beherrscht und charakterfest, willensstark sowie auch an einer gesunden Moral orientiert. Ein Bergmann muss sich seiner Arbeit wegen nicht schämen, das war schon immer die weitläufige Meinung unseres Vaters. Unter den Bergleuten gab es auch sehr gute Fußballspieler und da das Integrieren größtenteils von den Einheimischen unterbunden wurde und demgemäß nicht wunschgemäß ablief, gründete unser Vater mit noch zwei anderen Herren einen neuen Fußballverein. All die schriftlichen Dinge machte Vater, besonders mit der amerikanischen Besatzungsmacht hatte er seine liebe Mühe. Bevor das Bergwerk wieder geschlossen wurde, Anfang der Sechziger war es dann so weit, da verlor ich wenige Jahre zuvor noch, anno achtundfünfzig einen meiner Lieblingsbrüder, es war dies Hans, ein herzensguter Mensch. Er wurde lediglich dreißig Jahre alt. Drei Jahre später musste ich dann den nächsten Schicksalsschlag schlucken. Unser Vater verstarb im Geislinger Krankenhaus. Und nochmal vier Jahre später, wir schrieben das Jahr fünfundsechzig, als Cosimo und ich mit einem VW-Käfer in Bayern unterwegs waren. Nachts um kurz vor ein Uhr knallte Cosimo mit Karacho unter die Vorderachse eines Bundeswehlasters. Noch in der Nacht, quasi an meiner Seite im Operationssaal einer Klinik in Neuburg an der Donau liegend, verstarb dann auch Cosimo noch, womit auch mein zweiter Lieblingsbruder dahinschied.

Als dann ein weiterer Bruder heiratete, es handelt sich hierbei um den Nächstälteren aus meiner Sicht, Adam heißt er namentlich, da begann zeitgleich die Lovestory zwischen Gila und Jean. Es hatte zwar eine Vorgeschichte gegeben, ein hin und her doch ab diesem Tag wurde es ernst mit uns beiden. Zwei Tage zuvor hatte ich sie eingeladen, mein bester Freund, der Dicke, wie er allseits genannt wurde, als Petko Huspler wurde er einst getauft, er war es der sie über die Frankfurterstraße lockte, und nur so konnte es zu dieser Einladung kommen. Sie war auf dem Weg zur Berufsschule und wir waren auf dem Weg zum Arbeitsamt, hofften auf einen neuen Job und holten unser Stempelgeld ab.

Und der Dicke war es schließlich auch der ihr vorgaukelte, dass es am Samstag eine Party geben würde. Und für eine Party hatte sie auch zugestimmt, meine einstige und immer leicht noch flackernde Liebe, ja im Herzen war es gar eine heiße Liebe, es war, so fühlte ich es eindeutig, die Person die mich ein Leben lang begleiten wird. Natürlich war sie etwas empört, nachdem wir sie abgeholt hatten, damals mit dem Auto das ich inzwischen zu Schrott gefahren habe. Es war dies im April 67, also vor knapp drei Jahren. Sie war zu Recht ein wenig ungehalten, und ich selbst hatte es ja ebenso als bedenklich erachtet, als der Dicke aus dem hohlen Bach raus eine Party ansprach, die nirgendwo auf dem Programm stand. Ich halte nichts von Lügen, auch wenn es eher nur ein Geflunker war und ich selbst nichts Besseres zu bieten hatte. Sie hatte zugestimmt, als ich ihr anbot uns am Samstag zu treffen. Was es denn Besonderes gäbe, so hatte sie gefragt und da weder der Dicke als auch ich eine Antwort parat hatten, da wurde dieses Geflunker des Dicken ins Leben gerufen.

Selbstverständlich war es für mich zunächst eine Erleichterung, uns nach einer vierzehntägigen Pause wiederzusehen, nur das und nichts anderes war wichtig. Wir werden sie abholen, also der Dicke und ich und selbst dann, wenn sie vor vollendenden Tatsachen stehen und die Wahrheit gesagt bekommt, wenn sie weiß, dass es zu einer Hochzeit und zu keiner Party geht, selbst dann kann ich immer noch umpolen und kann mit ihr woanders hingehen. Hauptsache sie kommt, ganz so wichtig war mir der ältere Bruder nun auch wieder nicht, auch wenn es der Tag seiner Hochzeit war, Sladjana hieß sein Glück. Die beste Lösung aber wäre die, wenn Gila die gegenwärtige Konstellation so hinnimmt wie sie ist, wenn sie sich damit einverstanden erklärt. Es war dann ein bisschen schwierig, die etwas abstruse Notlüge aufzuklären, aber darüber habe ich eingehend schon berichtet, es war dies bereits zum Ende des fünften Buches hin.

Zuvorderst wollte ich sie zurückgewinnen, wollte es vergessen machen, wollte, dass unsere erste Romanze fortgesetzt wird, egal wie. Schlimmer hätte es für den alten Räuschle kaum werden können, seine älteste Tochter, jene die also nach Horatio als zweites Kind des Räuschle-Ehepaares das Licht der Welt erblickte, hatte sich einen stadtbekannten Schläger geangelt, so zumindest sahen es ihre Geschwister und somit auch die Eltern. Ausgerechnet einer aus der Bergwerksiedlung musste es sein, ausgerechnet von dort wo von vornherein nichts Rechtes herkommt. Das nun sind die zwei bereits angesprochenen Welten, die so unverhofft aufeinanderprallten, als Gila sich mit Jean vereinte und somit die Sorgenfalten ihres Vaters größer werden ließ. Ihm heimzahlen wollte sie gar Vieles, dem Tyrannen der Carl Gustav Jungstraße. Ihr Vater aber, der alte Patriarch wollte mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unsere Hochzeit verhindern. Er trieb es gar auf die Spitze, nie im Leben werde er seine Zustimmung geben und dementsprechend sahen wir uns vor dem Familiengericht wieder.

Wir schrieben zu diesem Zeitpunkt das Jahr achtundsechzig und ich glaube so mancher Leser wird sich verblüfft fragen, wieso denn mussten wir vors Familiengericht? Gila war doch achtzehn, da ist sie doch den Erwachsenen zuzurechnen. Dies jedoch ist ein Irrtum, insofern man es aus der Sicht von damals betrachtete. Vor 1975 wurden Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland erst mit einundzwanzig Jahren volljährig. Im Bundestag, welcher in diesen Jahren noch in Bonn beheimatet war, wurde 1974 beschlossen, den Eintritt der Volljährigkeit herabzusetzen. Also all die Paare die vor 1975 heiraten wollten, die mussten sich das Einverständnis ihrer Eltern holen, um tatsächlich ihren Plan vorzeitig vollenden zu können.

Es kam also zu der stressigen Nervenschlacht, sowohl das Elternpaar Räuschle als auch das junge Paar das Gila und Jean bildeten, sahen sich 1968, in der zweiten Jahreshälfte vor dem Familiengericht, wieder. Wir hatten einige Anhaltspunkte und Dokumentationen zusammengetragen und waren uns fast sicher das Recht zugesprochen zu bekommen, Gründe hierfür hatten wir mehr als genug, hatten eine fest zugesicherte Wohnung anzubieten, zudem hatte ich endlich eine nutzbringende und ertragreiche Arbeitsstelle und noch mancherlei mehr, doch es gab letzten Endes ein böses Erwachen. Und da der Richter von mir gefragt wurde, wenn schon diese hier vorliegende Gründe nicht ausreichen, welchen Grund in Gottes Namen er denn sehen möchte, damit wir endlich eine Ehe schließen können, da sagte der hoch angesehene Herr doch allen Ernstes, ein wirklich schwerwiegender Grund würde dann vorliegen, wenn die Braut schwanger wäre. Ich bedankte mich mit den Worten: „Vielen Dank Herr Richter für diesen ausschlaggebenden Hinweis, wir werden ab sofort das sexuelle Trainingslager ansteuern oder aufsuchen!“

Dieses im Gerichtssaal provokant ausgerufene Trainingslager, der Spruch und die Verhandlung ist ein Bestandteil des letzten Buches, es geschah dies wie gesagt schon im Herbst 1968. Bei dieser Gelegenheit will ich gerne nochmal einen Blick zurückwerfen auf das letzte Buch, ich mache es mit Freuden.

Im ersten Kapitel ging es um die elterliche Wohnung. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben, was sich mein älterer Bruder Adam arglistig ausgebrütet hatte. Es tut mir leid aber ich muss hier etwas weiter ausholen als ich es zunächst dachte.

Ich habe ja schon darauf hingewiesen, dass es das Bergwerk von Vaters Seite aus war, dass es ihn ausgerechnet nach Württemberg verschlagen hat. Mutters Weg war gewiss auch nicht einfacher, ich werde es bestimmt noch erwähnen. Seit dieser Zeit, genaugenommen seit 1937 also, wohnten wir immer in der Siedlung. Eine Wohnungsbaugesellschaft, die SBV, hatte dafür gesorgt, dass alle Neuankömmlinge eine entsprechende Wohnung erhielten. Wir wohnten in der vorderen Siedlung in der Gelertstraße zehn.

Mit zunehmender Zeit wurde es von der Geschäftsleitung, die irgendwo im Rheinland ihr geschäftliches Domizil hatte, angezweifelt, ob es noch Sinn macht das Bergwerk fortzuführen. Der Ertrag und die Gesamtkosten hielten sich die Waage, die Knappen mussten in extenso bangen, jenen in der Tat harten und steinigen aber dennoch geliebten Job zu verlieren. Zuvor aber, 1958 um es ein bisschen präziser zu sagen, kam es zu einem Aufsehen erregenden Unfall. Drei Bergmänner hatte es im wahrsten Sinne des Wortes zerrissen. Einer der Dreien bohrte am frühen Morgen, kaum dass die Schicht begonnen hatte, in das braune Gestein und stieß dabei nichtsahnend auf eine Ladung Dynamit, die aus irgendeiner vorigen Schicht dort hineingebracht oder hineingelegt wurde. Durch dieses Detonieren, durch die so nie und nimmer gewollte Sprengung riss es die Männer buchstäblich in Stücke. Nur bei einem der Dreien war der Sarg vor dem Begräbnis mal für eine Zeitlang geöffnet, damit Angehörige sich verabschieden konnten, jedoch es waren sehr sehr wenige nur, die es tatsächlich wagten in den Sarg hineinzuschauen. Die beiden Anderen ließen sich auch stückchenweise nicht mehr zusammenflicken, nicht mehr ansehnlich. Einer der beiden war mein Lieblingsbruder Hans, wie ich es eingangs schon schrieb. Es wurde geforscht und rekognosziert, es kamen Gutachter und eine ganze Spezialeinheit aus Oberhausen im Rheinland, doch niemals gab es für diesen Unfall eine Aufklärung.

Noch in der ersten Hälfte der Sechzigerjahre war es dann so weit, das Bergwerk wurde geschlossen. Sogar die Abendschau berichtete darüber, es wurde durch den Süddeutschen Rundfunks, also durch SWR 3 ausgestrahlt.

Derweil begann die Wohnungsbaugesellschaft zu konzipieren und einen Entwurf zu erstellen, sie wollten eine neue, eine modernere Zukunft gestalten. Schon bald war ein konkreter Plan gefertigt, die kleinen Häuschen der vorderen Siedlung müssen wohl oder übel weichen. Niemand sprach davon, dass sie in die eigenen Taschen wirtschaften wollten, gutgläubig nahm man es hin und viele freuten sich auf das Neue, auf das kommende Zeitalter. Es war die Rede von einer schöneren Wohnkultur, von einem besseren Lebensstil, endlich wird die Familie ein richtiges Badezimmer haben. Der Komfort von morgen streute seinen Reiz weit voraus, es kam uns vor wie eine kurz bevorstehende Gaumenfreude. Eigentlich sprach niemand davon, dass die Wohnungsbaugesellschaft nur daran interessiert sei mehr Umsatz anzustreben, zumindest kam so was nicht an meine Ohren. Und doch gab es auch eine andere Sichtweise. Wir waren, als dieser Plan zum Tragen kam, zu dritt und alle drei verdienten recht gut. Und doch gab es auch andere Menschen. Einfache Mieter oder in die Jahre gekommene Rentner, die ein geringeres Einkommen hatten und Eltern die ihre Kinder zu versorgen hatten. Für einige war es eine Herkulesarbeit, die geforderte Miete bezahlen zu können, sie schämten sich ihrer Not wegen nicht, aber ihr stummes Verhalten war ein markantes Zeichen. Vordergründig sei dies notwendig für die Stadt, so die Herren dieser Gesellschaft, denn es ist, so drückten sie sich aus, ein schauderhaftes Gesicht für die Stadt, insofern man als Autofahrer von der Autobahn kommend nach Geislingen fährt. Es sollen neue Wohnungen geschaffen werden, mehrgeschossige Häuser und sie würden, so ihr vollmündiges Versprechen, alle Mieter berücksichtigen. Für alle Mieter und für alle Angehörigen gäbe es eine adäquate Lösung. Nun schön, von 66 an wohnten wir dann tatsächlich in einem dieser neuen Blöcke. Die Wohnungen waren selbstredend teurer wie die bisherigen und dennoch kamen wir miteinander klar. Solange ich ledig war, solange gab ich auch artig meinen Zahltag zu Hause bei Mutter ab. Lediglich die Überstunden und die Extrazuwendungen, nur meine mit viel Arrangement mir erworbenen Zahlungen, nur die behielt ich a priori für mich. Ein überproportionales Jobben muss auch gebührlich belohnt werden, so mein stetes Denken, sonst könnte ich mir das Arbeiten auch sparen. Demgemäß floss ein ansehnlicher Teil in Mutters Kasse, eigentlich der gesamte Grundlohn, um die neue Einrichtung, um die neuen Teppichböden und die neuen Vorhänge zu bezahlen. Auch wenn ein Teil meines Zahltags abgezwackt wurde, um meine Schulden so nach und nach zu begleichen, Schulden die durch das Schlägern entstanden waren. Hauptsächlich ging es um den Falschspieler am Kartentisch, den ich in einer Dezembernacht anno 65 halbtot schlug und doch war es ein enorm hoher Betrag, der für Mutter übrigblieb.

Und wie schon gesagt, am vierten März 67, als mein Bruder seine kirchliche Trauung feierte und der Dicke und ich mit Gila zur Knappenstube kamen, also seit dem neuerlichen Startschuss unserer Liebe, hatten wir eine Person mehr im Haus. Adams Frau Sladjana saß mit am Tisch in der Küche, im Wohnzimmer auf der Couch um fern zu sehen und auch in der Nacht musste irgendwie eine Möglichkeit gefunden werden, denn selbstverständlich war sie auch in der Nacht in der Wohnung. Sie waren von diesem Tag an verheiratet und Verheiratete teilen sich gewöhnlich die Wohnung. Natürlich ging auch Sladjana zur Arbeit und verdiente ihr Geld. In welchem Maße Adam und Sladjana die Mutter unterstützten, nun das weiß bzw. wusste ich nicht. Das war auch gar nicht das Problem, nein das Problem war ganz anderer Natur. Egal wie hoch auch immer das erarbeitete Geld der einzelnen Personen ist oder sein mag, nicht das Geld war der heikle Punkt, nein es war dies der zur Verfügung stehende Platz, die Quadratmeter der Wohnung wuchs deshalb nicht an, die Wohnung blieb immer auf demselben Stand, immer gleich groß.

Aber auch damit hatte ich kein Problem. Es war nun mal nur eine Dreizimmerwohnung mit Küche und Bad. Weswegen sich Adam, so als sei es das Natürlichste der Welt, das Schlafzimmer der Mutter unter den Nagel riss und ich infolgedessen Seite an Seite mit der Mutter schlief. Na und! Wir beißen uns nicht und machen nichts Unseriöses, auch wenn es ein wenig komisch klingen mag. Nie im Leben wäre es mir eingefallen, dass der eine Teil den anderen Teil abnabeln könne. Nie im Leben wäre es mir eingefallen, daran was zu ändern oder den Status ändern zu wollen. Adam war nicht der erste unter den vielen Kindern, welcher eine neue Familie gründete. Wie auch immer sie hießen, zuerst Hans, dann Mia und später Berna heirateten und suchten eine eigene Möglichkeit, eine eigene Wohnung. Auch Alfrun verließ das Elternhaus und schaute sich in der Welt um, sie zog es in den Schwarzwald. Also alle Kinder, wie immer sie auch hießen, alle zog es hinaus in die Welt und selbiges, so glaubte ich, wird auch Adam tun, insofern er wieder von der Bundeswehr heimkehrt. Doch denke nie gedacht zu haben, denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken, denn wenn du denkst du denkst dann denkst du nur du denkst, aber denken tust du nie. So ähnlich könnte es ausgesehen haben, in Adams Kopf. Diesen Vers habe ich übrigens das erste Mal von meinem Schwager Adamo gehört.

Für mich war es klar, dass wenn es eine Veränderung geben wird, dass dann Adam derjenige sein wird, der sich nach einer anderen Wohnung umgucken muss. Es war für mich klar weil ich es anders nicht kannte, es war für mich wie in den Stein gemeißelt, wie die zehn Gebote die Moses vom lieben Gott in die Hände bekam, alles andere war ausgeschlossen. Ausgerechnet im Gasthaus Saalbau hörte ich Andeutungen die in eine für mich überraschende Richtung gingen. Ich mochte es zunächst gar nicht glauben, hielt es für einen geschmacklosen Scherz. Da sich diese oder solche Weissagungen so peu a peu wiederholten und ich dies aus verschiedenen Mündern zu hören bekam, da wusste ich woher der Wind kommt, es scheint tatsächlich wahr zu sein, der egoistische Adam will uns aus der Wohnung ekeln, Mutter und mich. Klar doch, Sladjana ist schwanger und im Sommer wird sie Mutter werden und das Kind wird kein Baby bleiben. Es wird wachsen und gedeihen, insofern es, was ich ihnen freilich gönnte, gesund ist. O ja, es möge gesund sein und bleiben, der Herr wird ein Auge darauf werfen damit das Kind heranwachsen kann, dass es aufblühen möge, dass es erstarkt und sich kontinuierlich weiterentwickelt. Das Kind wird ja auch nicht dafür verantwortlich sein wenn der Vater in der Kneipe Sprüche klopft. Jedenfalls nahm ich das Geschwätz jetzt nicht mehr auf die leichte Schulter, nein ich rechnete damit dass es die bittere Wahrheit sein wird, nichtsdestotrotz war ich nach wie vor etwas bedrückt, leicht frustriert weil es gegen den regelmäßigen und beständigen Familienritus verstieß. Seine Frau Sladjana nahm zu, das Bäuchlein wurde größer und größer und irgendwann muss er doch die Katze aus dem Sack lassen. Freilich war er nicht jeden Tag zu Hause, wie auch, wenn er seinen Militärdienst leistet. Doch wenn er zu Hause war und das war zum Wochenende hin gar nicht mehr so selten, die Grundausbildung hatte er schon hinter sich, dann roch ich es, ich spürte es förmlich, da liegt Ungemach in der Luft und an meinen großen Bruder Jesus mich erinnernd dünkte es mir, als seien Schädlinge in seinen Pflanzenkulturen, was ist los im Weinberg Gottes? Und dann war es auch schon so weit, der Tag X war gekommen.

Wie es öfter mal vorkam so auch an diesem Sonntag, ich hatte Gila zu Hause abgeholt und zusammen wollten wir wie abgemacht bei den Lupos zu Mittag essen. Kaum hatten wir die Wohnungstür von innen zugemacht da bemerkten wir, dass alles was die Familie zu bieten hatte, gleich nach der Wohnungstür versammelt in der Garderobe stand. Sie hatten auf uns gewartet, Sladjana, Adam und unsere Mutter, die freilich am wenigsten dafür konnte. Nein es war das Werk Adams, lange genug hat er es in den Kneipen, in der Knappenstube und im Saalbau angekündigt, er würde die Wohnung übernehmen und Mutter muss sich mit ihrem Jean wo anders umschauen müssen. Er müsse mit mir was besprechen, so ließ er es nun verlauten. Und wie mit der Pistole geschossen kam es aus mir raus, also doch! Es kam zu einem hitzigen Wortgefecht, dabei vielen nicht mal gar so viele Wörter, nein schon bald ließen wir die Fäuste reden.

Jahrelang hatte mich Adam drangsaliert, er hatte mich unterdrückt und geknechtet, er hatte mir das Leben verbittert und einige Male misshandelte er mich förmlich, natürlich nicht sexuell, nein um Gottes willen nein, so etwas gab es bei den Lupos nicht, es ist dies undenkbar. Nein er tyrannisierte mich auf andere Weise, er rang mich zumeist nieder um mich dann in den Schwitzkasten zu nehmen und mir die Luft abzudrehen. Nicht nur einmal kam es so, dass Mutter mir mit ihrem Einschreiten das Leben rettete. Dreizehn Jahre ging das so. Einen Tag bevor unser Vater im Krankenhaus starb, am Abend davor, als er mich wieder mal quälen und peinigen wollte, um sein Spielchen von einst fortzusetzen, so als sei es gestern gewesen ist es mir noch in Erinnerung, es war dies am 29. März 1961, ein Tag vor Gründonnerstag, da nahm sie ihn unerbittlich streng an die Kandare, nie mehr, so sagte sie es eindringlich, nie mehr will sie so etwas von dir sehen. Jederzeit kann euer Vater sterben und ich werde mich allein um euch kümmern müssen, deswegen merk es dir ein für alle Mal, es war dies heute das letzte Mal, verspreche es mir hoch und heilig, dass du ihn für ewig in Frieden leben lässt. Er versprach es Mutter und ich hatte meine Ruhe bis zur Neujahrsnacht 65/66. Und in der Nacht noch, früh am Morgen des Gründonnerstag 1961 starb unser Vater. Gott möge ihm hoffentlich gnädig sein.

Ich war natürlich unter Freunden in der Kneipe, es war die Knappenstube in welcher wir am Silvesterabend uns zusammengefunden hatten und kurz vor dem Jahreswechsel war ich schnell nach Hause gespurtet, nach Hause zu Mutter. Sie, so war schon immer mein Denken, sie soll die Erste sein der ich gleich nach dem Mitternachtsgong, zum neuen Jahr die Hand reiche, um ihr ein gesundes neues Jahr zu wünschen. Kurz vor halb ein Uhr machte ich mich wieder auf den Weg. Die Nacht war längst noch nicht vorbei und in der Knappenstube war die Kapelle noch am Musizieren. Und so lief ich gemächlich von der Gelertstraße zur Augustusstraße, lebenslustig und von jugendlicher Freude bestimmt, da ein neues Jahr soeben angebrochen war. Aus weiter Ferne hörte ich und sah es auch schemenhaft, wie von der Augustusstraße her kommend meine Freunde der A-Jugend mir scheinbar entgegenkamen. Doch aus dem Stimmengewirr hob sich eine Stimme besonders hervor. Völlig unerwartet, so bin ich geneigt zu sagen, hörte ich Adams Stimme heraus. Wo mag der denn so plötzlich herkommen, so dachte ich noch in der Höhe wo die Artemisstraße in die Augustusstraße mündet. Er kam von ganz woanders her, er war zuvor nicht in der Knappenstube. Aber er war es, es war mein Bruder Adam, der das lauteste Organ hatte, wie immer eben. Doch was ich nicht wusste war das Faktum, dass er im Beisein meiner Freunde verlauten ließ: „Aha, sieht nur dort oben kommt mein Bruder Jean, dem werde ich jetzt die Gosche voll schlagen!“ Akkurat das waren seine Worte.

Warum das denn, so wurde er mehrstimmig gefragt? Und wieder schreibe ich hier seinen Originalkommentar: So halt!“ Doch geschickt wehrte ich seinen Angriff ab und konterte mit einem satten Kinnhaken. Und ich glaubte meinen Augen nicht trauen zu können, er wurde von der Wucht des Schlages vom Boden weg über den Gartenzaun der Frau Mogeleimer getragen, welche in der Murrstraße Nummer eins wohnte. O du gütiger Gott, wie lange habe ich auf diesen Augenblick warten müssen, so fragte ich mich immer wieder und wieder, ich konnte mein Glück kaum fassen. Zum ersten Mal war das Resultat gedreht worden, zum ersten Mal war Adam der Verlierer.

Er rappelte sich schon nach wenigen Sekunden, na mögen es zwanzig oder dreißig Sekunden gewesen sein, wieder hoch, war sichtlich zerknirscht, welch eine Schmach! Die Straßenlaterne genügte mir um sein boshaftes Starren zu erkennen, ja ich wusste, diese Nacht ist längst noch nicht rum. Stampfend strebte er das Zuhause an, wutschnaubend und zornrot. Doch akribisch liefen auch meine Gedanken auf Hochtouren. Ich wusste es, mein Bruder Adam hat noch was vor, er kann diese Niederlage nicht akzeptieren. Der Impetus in mir deutete es an, Jean sei auf der Hut. Dieses “Inakzeptabel-Sein“ des Bruders verriet es mir, seine Gedanken waren am Weben und am Stricken und Gott sei Dank, ich hatte den richtigen Impuls gespürt und wusste, er hat noch was vor. Kurze Zeit später war er mit seinem Schlachtmesser unterwegs und suchte mich überall. Adam konnte mich nicht finden. Wie soll er mich finden?, war ich doch die ganze Zeit, um nicht sagen zu müssen die ganze Nacht, hinter ihm. Ich sah ihn durchs Küchenfenster, sah die flehende Mutter, die er zur Seite schubste und er schrie: „Ich bringe ihn um. Merk dir eins, dein Jean wird heute Nacht noch sterben. Der Tod lauert an jeder Ecke!“

Am nächsten Morgen beim Frühschoppen, wiederum in der Knappenstube, da meinte er wir müssen uns mal zusammentun und uns richtig aussprechen. Ich stellte mich innerlich auf ein langes Gespräch ein, ja ein Gespräch tut gut und da kann dann auch ich mal das Wort übernehmen. Aber was soll ich sagen. Seine große Rede die er halten wollte ist ein bisschen knapp ausgefallen, lediglich sagte er: „Das von heute Nacht war Scheiße!“

So wie damals in dieser ominösen Nacht, so knisterte es auch im Frühjahr achtundsechzig wieder. Wochenlang schon knirschte und knisterte es, ich fühlte es förmlich, es lag ein böses Gemisch in der Luft. Und dann wurden wir empfangen, dort an der Garderobe in der Gelertstraße, wie gesagt gleich hinter der Wohnungstür. Sie hatten uns gesehen, hatten gesehen wie wir auf dem Gehsteig der Knappschaftsstraße entlanggingen und nun hatten sie uns erwartet. Es schmerzte ihn seine Niederlage noch immer und er sann nach einer Revanche. Die Angelegenheit der Wohnung wegen war gar nicht so das Wichtigste, dies freilich auch, doch die Revanche war es, die Revanche wollte er unbedingt. Und kein Zeitpunkt wird je günstiger sein, um endlich einen Grund vorweisen zu können und um mir den Kinnhaken, den er vor knapp zweieinhalb Jahren einstecken musste, nun endlich heimzuzahlen.

Da er den Kinnhaken noch immer in bester Erinnerung hatte und meine Boxkünste inzwischen respektierte, ließ er sich erst gar nicht mehr auf ein Gefecht mit den Fäusten ein. Er klammerte und so ging sein Vorhaben ins Ringen über. Aber was in des Gottes Namen soll ich sagen, auch dieses Mal zog er erneut den Kürzeren, am Ende war er geschultert worden. Und wieder war es eine Genugtuung für mich, ein in dieser Form noch niemals zuvor verspürtes Wohlbehagen keimte in mir auf. Die Zufriedenheit in mir war auf einen Schlag so groß, dass ich quasi von oben herab zu verstehen gab, dass er die Wohnung haben könne. Es war ein enthusiastisches Glücksgefühl in mir entstanden, eine frohlockende Ergötzung, so als wäre der Wonnemond aufgegangen. Und so schob ich verbal noch ironisch hinterher, was Schlechteres als mit ihm unter einem Dach zu wohnen kann ja ohnehin nicht kommen. Inzwischen lag er schwer atmend auf dem Sofa, ein geschlagener Held, ein unterlegener Soldat. Und meine Worte die ich ihm an den Kopf warf die müssen für ihn geklungen haben wie das Auszählen des Ringrichters. Was ich selbst nicht für möglich hielt das waren meine eigenen Worte. Du hast es ein zweites Mal probiert und bist wieder gescheitert und aus diesem Hochgefühl heraus sagte ich wortwörtlich, dass er die Wohnung haben könne, es wird sich für Mutter und mich ein Türchen aufmachen lassen, lass die Zeit kommen, mit der Zeit wird jede Frucht reif und unser Herrgott wird uns nicht im Stich lassen. Gila und ich verließen kurze Zeit später wieder das Haus, da er noch immer schachmatt auf dem Sofa lag, feierte ich innerlich meinen Sieg. Er hatte an seinem Déjà-vu Erlebnis zu knabbern und in uns herrschte eitel Sonnenschein.

Nicht lange danach sah ich meinen Lehrer in Sachen Boxen, nein diesmal war es nicht Hildeger Polycarp, nicht der Fachmann und Gentleman des Boxsports, nein ich muss noch weiter zurück in die Vergangenheit, es war dies als mein lieber Bruder Cosimo noch lebte, schon damals hatte ich einen Fürsprecher, es war dies Jason Kallistus, der mir im Gasthaus zum Saalbau beibrachte, wie man sich gewinnbringend und erfolgreich durchsetzt, auch gegen größere und schwerere Kaliber. Als er die Story des Tages vernahm, da schlug er sich lachend und johlend mit den Händen auf seine Oberschenkel, er hatte einen Riesenspaß an der Nachricht. Gut Junge, so sagte er, ich wusste es schon immer, du bist einer der besten Schüler die ich je an meiner Seite hatte. Natürlich war Jason kein Pädagoge, nein er war natürlich ein Schläger, einer der übelsten Sorte.

Was mir wie ein Dorn im Auge wehtat, das war, dass wenn Mutter und ich ausziehen, dass dann viele Dinge stillschweigend in Adams Besitz übergehen werden, Gegenstände an die man eventuell gar nicht denkt. So zum Beispiel meine elektrische Eisenbahn. Einst wurden die ersten Teile mir zu Weihnachten geschenkt, es war dies mein Wunsch gewesen. So nach und nach kauften wir allerlei dazu und aus dem kleinen Oval mit einer Ausweichmöglichkeit am Bahnhof, das ich als Siebenjähriger zu Weihnachten geschenkt bekam, wurde immer mehr und mehr. Er wird sicherlich froh sein wenn keiner über die Eisenbahn spricht, wenn sie unbeachtet bleibt. Beim letzten Aufbau der Bahn hat er aus Gips ein Gebirge geformt, weshalb er die Bahn als die ihm gehörende anschauen wird. Aber der von Vater und Mutter so akzeptierte Wunsch von mir, der lässt es mich ganz anders sehen. Zumindest gehört mir doch ein Teil davon, oder was meinst du Jason?

Warum verkaufst du sie nicht?

Verkaufen? Wie meinst du das, an wen um Gottes willen, an wen soll ich die Bahn verkaufen?

Er bot mir schlussendlich ein Tauschgeschäft vor. Stück für Stück wirst du immer am Sonntagmorgen, wenn du zu Gila unterwegs bist, für ein paar Minuten bei mir vorbei schauen. Einzelne Teile, ganz unauffällig. Ich bekomme von dir mal einzelne Schienen oder Weichen, vielleicht auch mal eine Lokomotive oder einen Transformator oder weiß der Himmel was und im Gegenzug bekommst du von mir immer neue Gläser. Es ist dir ja bekannt, dass Hajo ein Glasbläser ist, du warst ja selbst schon dort. Beste Qualität kann ich dir sagen, Gläser Vasen oder Ziergegenstände aus Glas, die Frage ist nur, wo willst du alles bunkern?

Natürlich war dies das kleinste Problem. Es war dann Gila die die guten Stücke in Verwahrung nahm und am Ende waren wir alle froh. Ich weiß nicht wenn Adam dies bemerkte, jedenfalls war etwa die Hälfte verschwunden. All diese Dinge handelten sich 68 ab. Es waren dies kleine Lichtblicke in einer für mich traurigen Zeit. Laut Gila musste ich für ein halbes Jahr einen Liebesbeweis verrichten. Schweren Herzens habe ich nach langem Tauziehen nachgegeben. Es ist doch ein völlig überflüssiger Quatsch. So etwas hat die Welt noch nicht gehört und gesehen, ein halbes Jahr Fußballverzicht um zu beweisen, dass ich sie liebe. Und dies eine Woche nach der Verlobung. Vielleicht wäre es besser gewesen den ganzen Bettel hinzuwerfen, doch ich glaubte auf dem richtigen Weg zu sein, ich befand mich in einer von Gott so gewollten Sphäre, es war der Weg den ich zu gehen hatte, ich glaubte Gottes Auftrag verstanden zu haben und erfüllen zu müssen. All dies ist mittlerweise Geschichte. Über das Familiengericht habe ich auch schon geschrieben, ebenso wie über das sexuelle Trainingslager.

Das Verwunderliche aber war, dass es da noch Schnellere gab. Die erst fünfzehnjährige Iliana erwartete ein Kind. Es war im August 68, als Forest Parzival mich fragte, hey Jean, wie ist das nochmal, beim ersten Mal kann ein Mädchen nicht schwanger werden, bestätige das mal, Iliana zweifelt dies an. Die Hymen-Frage, ich habe davon berichtet. Einmal probiert und schon ist es passiert. Genau so erging es im Übrigen auch meiner Mutter. Mutter selbst hat es mir erzählt. Gewiss war sie etwas älter als Iliana. Sie hatte den Augsburger Plärrer besucht, ein Volksfest wie in München das Oktoberfest, dort fand das Kennenlernen statt. Es muss dies im August 1931 gewesen sein, denn mein Bruder Paco wurde im März 32 geboren. Bei der ersten Entbindung war sie also schon vierundzwanzig. Zuvor, so sagte sie es oft spaßeshalber, wusste sie nicht, dass es zweierlei Menschen gibt.

Als dann Forest ein paar Wochen später eine Wette anbot, derjenige der als erster zu Vaterehren kommt, der soll vom jeweils anderen einen Kinderwagen bezahlt bekommen. Ich hatte nur ein Abwinken übrig, es hatte also tatsächlich eingeschlagen.

1969 folgte dann mein einundzwanzigster Geburtstag. Anschließend, noch im Winter oder bereits im Frühjahr, ich weiß es selbst nicht akkurat, erfolgte durch meinen Meister der Firma Zegra, ich habe es an anderer Stelle schon erwähnt, ein Antrag auf Zurückstellung des Wehrdienstes, wie gesagt war ich ein Unabkömmlicher. Desweiteren sehe ich noch das Erwähnen einer neuen Freundschafts-Epoche für wichtig, einen ähnlich guten Freund wie zuvor den Dicken durfte ich kennenlernen. Sein Name war Dieter Berger, gewiss werde ich noch auf ihn zurückkommen.

Am ersten April 1969 ging dann unser Umzug über die Bühne. Es hieß sich jetzt zurechtzufinden in einer neuen Heimat. Erstmals in meinem jungen Leben war ich kein Geislinger Bürger mehr. In der Hauptstraße im Ort Kuchen zogen wir ein. Vom Regen in die Traufe, so heißt es so schön im Volksmund. Die Vermieterin war eine Bestie, doch eines war a priori klar, es werden harte Wortgefechte folgen, weil unsere Mutter nicht auf den Mund gefallen war.

Mit Gila machte ich von Kuchen ausgehend recht schöne Wanderungen. Und auch wenn wir nur drei Monate dort lebten, so war doch ausgerechnet hier das Wichtigste geschehen. Was Iliana und Forest in fünf Minuten produzierten, im Akkord sozusagen, das gelang jetzt auch endlich uns, endlich nach einem halben Jahr intensivstem Trainingslager. Eigentlich hatten wir schon gar nicht mehr damit gerechnet, es mag ja ohnehin nicht klappen, so viel und so oft wir es versuchten, der liebe Gott scheint mit unseren Plänen nicht einverstanden zu sein. Nach einem halben Jahr ungeschütztem Sex hatte das Schicksal sich gnädig gezeigt, ja wir werden Eltern. Und wie wir es auch drehen und begutachten wollten, es war exakt zur rechten Zeit.

Die Wohnung in Kuchen bestand im Grunde genommen nur aus einem großen Zimmer und einer kleinen Miniküche. Wobei das große Zimmer gleich mehrere Funktionen beinhalten sollte, es war quasi Wohn-Ess- und Schlafzimmer in einem. Diesen unnatürlichen und widerlichen Umständen gemäß war es geradezu diffizil geworden, unseren Babywünschen nachzukommen. Ach ja, eine Toilette gab es freilich auch noch. Nicht nur dass die Wohnung ärmlich oder gar erbärmlich war, nein sie war, wie man aus meinen Wörtern schlussfolgern konnte, recht überschaubar und so gab es kaum eine Gelegenheit, um wie vorher gewohnt auf ein Baby hinzuarbeiten. Ach wie gut, gut dass Mutter sich nichts gefallen ließ, auch nicht von dieser Beißzange von Vermieterin, mit welcher sie gefühlte stundenlange Rededuelle sich lieferte. Auf diese Weise kamen wir de facto einmal unserem Wunsch nach, und solange die beiden Frauen sich wie Hyänen verhielten und sich lautstark anwiderten, kam es zur erhofften fleischlichen Vereinigung. Es war nach Wochen der Entsagung wieder das erste Mal, das erste Mal in der Kuchener Einöde, in der Wohnung des Grauens, in welcher das einzige Wohlstandsmerkmal der Kühlschrank war. Ungefähr bereits zwei Wochen später, genau festlegen aber konnte ich mich nicht, noch gab es keinen Grund und keine Veranlassung um an was Außerordentliches zu denken, so um den siebten Mai rum, sollte Gila ihre Regelblutung bekommen. Ursprünglich wollten wir zu Fuß nach Kuchen pilgern, doch daraus wurde nichts, denn Gila überkam eine höchst unangenehme Übelkeit, sie fühlte sich nicht dazu fähig, den weiten Weg zu Fuß zurückzulegen. So nahmen wir die Gelegenheit des lokalen Bustransfers wahr, um auch den Hinweg schon mit dem Omnibus hinter uns zu bringen. Wir wollten an solch trainingsfreien Tagen stets beieinander sein, das perfide Fußballverbot war längst Geschichte. Vielleicht wird es ja im Laufe des Abends besser, so dachten wir zunächst, vielleicht stellt sich die Normalität wieder ein. Doch das Gegenteil war der Fall. Inzwischen waren wir schon eine Viertelstunde bei Mutter und da Gila nichts essen wollte und es ihr trotz alledem immer übel war, da kam der unverhoffte Spruch einer erfahrenen Frau, der Spruch meiner Mutter: „Die ist doch schwanger!“

Verblüfft schauten wir uns gegenseitig an, schauten entgeistert auf die vor uns stehende und Lebenserfahrung ausstrahlende Mutter, denn mit allem hatten wir in diesem Augenblick gerechnet, mit einer Grippe vielleicht oder sonst einem Virus, aber mitnichten an ein Baby.

Ich begann dann zu überlegen und rechnen und dachte mir, welch ein Tag war es als diese Kanaille von Weibsstück sich mit Mutter stritt. Rein rechnerisch, so ich das medizinisch-mathematische Maßband sorgfältig anlege, müsste das höchstwahrscheinliche Datum der 22. April gewesen sein, jedoch das war ein Dienstag und ich war im Training. Es müsste demnach der 23. April gewesen sein. Damals als die zwei Frauen sich stritten auf Teufel komm raus, an jenem Mittwoch also, es war ja ohnehin die einzige uns zur Verfügung stehende Chance. Durch diese eindeutige Grundwahrheit weiß ich noch heute wie alles zustande kam. Nicht nur das Geburtsdatum mitsamt der Uhrzeit ist wie in Stein gemeißelt in meinem Kopf, nein auch das Zeugungsdatum ist zu hundert Prozent aufgeklärt.

Diese Sachlage des Maientages ist in meinen Hirnzellen noch besonders gut erhalten und deshalb unvergesslich, weil es Gila niemals bis zur Toilette reichte, sie stand permanent spuckend am Spültisch der klitzekleinen und engen Küche und sie hatte Gelüste auf Essiggurken, während ich an der Schiebetür der Küche stand, entsetzt weil unfähig, irgendwie helfen zu können. Aber es war auch aus einem anderen Grund heraus ein nicht zu vergessendes Datum, denn zwei Tage zuvor gebar Iliana ihr Kind, sie war inzwischen sechzehn geworden. Iliana durfte sich an einem gesunden Knaben erfreuen. Sie gab ihm den Namen Thoralf.

Wir hatten unser erstes Nahziel völlig unerwartet erreicht und da ich ein fleißiger und ein gründlicher Mensch bin, hatte ich vom Arbeitsplatz aus telefonisch einen Termin bei meinem Rechtsanwalt eingeholt. Jetzt sieht die Lage wieder ganz anders aus. Der schwerwiegende Grund um eine Ehe gründen zu dürfen, so wie es der Richter damals vor einem halben Jahr sagte, er war erbracht. Dementsprechend bekam der alte Räuschle Ende Mai sein Brieflein, welchen er befürchtet und wir uns so hingebend erhofft hatten.

Es war dann um die Monatswende, schon mehr in den Juni hineingehend, als ich den omnipotenten Herrscher des Räuschle-Geschlechts erstmals wieder antraf. Ich holte gerade Gila ab, musste noch ein paar Minuten warten wegen den letzten kosmetischen Korrekturen die die Damen so gewöhnlich vornehmen bevor sie das Haus verlassen. Und plötzlich, ich stand an der Tür die zum Wohnzimmer der Räuschles hineinführt, da erblickte er mich. Du Jean, so sagte er mit einer außergewöhnlich verhaltenen und anständigen Stimme, ganz ungewohnt gewiss, halte an und höre mir mal zu. Ich habe jetzt endgültig genug, das pack ich gesundheitlich nicht mehr, nie wieder will ich von eurem Rechtsanwalt Post bekommen. Heiratet! In Gottes Namen heiratet!!!

Er hatte am selben Tag die Nachricht erhalten, für eine infrage kommende Ehe seiner Tochter Gila mit dem klagenden Bräutigam Jean Lupo, stünden jetzt neue, tragfähige Gründe zur Debatte. Er musste die Nachricht schlucken, die Nachricht, dass wir ein neues Verfahren anstreben, es wird, insofern er nicht freiwillig nachgibt, zu einer neuen Gerichtsverhandlung kommen. Nun also wirft er das Handtuch. Endlich gibt er seine Aufgabe, sein Unterliegen bekannt und er sieht in der Tat entkräftet, entnervt und überanstrengt aus. Was alles hat er und sein Sohn Horatio unternommen, welche Sticheleien waren auf ihrer Miste gewachsen und wie viel Sand hatten sie versucht in unser Liebesgetriebe zu streuen, um Gila und mich auseinander zu bringen. Sie haben es nicht geschafft, alles war vergebens, die Liebe war stärker. Die Einsicht kommt ein bisschen spät, du bist erst vor vier oder fünf Wochen Opa geworden und du wirst es zum zweiten Mal, das waren die Worte die er zurückbekam. Aber ich sah es dem Alten an, er ist fertig mit der Welt, er will wirklich nur seine Ruhe und seinen Frieden haben, einstweilen jedenfalls.

Nun aber, nachdem wir freie Fahrt hatten, quasi auf der Vorfahrtsstraße uns befanden, nun aber kommen in Gila erstmals Zweifel auf. Bei einer der schönen Wanderungen auf den Aussichtsberg Burren, fragte sie mich in dem kleinen Örtchen Grünenberg: „Sag Jean, glaubst du wirklich wir schaffen das alles. Können wir das meistern? Wir werden jeden Monat eine entsprechende Miete bezahlen müssen. Da kommen doch auch Versicherungen auf uns zu und es müssen Stromkosten bezahlt werden, desweiteren werde ich nicht arbeiten können, zumindest am Anfang nicht. Es werden Jahre vergehen bis aus dem Baby ein Kind wird, ein Kind das man in den Kindergarten bringt und wieder abholt, auch wenn es einmal zur Schule geht ist es noch nicht selbstständig. Vielleicht kann ich über Jahre hinweg kein Geld hinzuverdienen. Sei mal ganz ehrlich, glaubst du wirklich wir schaffen das?

Hoppla, so dachte ich, ein bisschen geht sie ja auch von sich selbst aus, sie war weiß Gott kein gesundes Kind, wenn die Sache so aussehen würde, dann kämen da bestimmt diffizile Zeiten auf uns zu. Da würde es immer wieder fürchterliche Klippen geben die nutzlos im Weg stehen und die umfahren werden müssen. Einen eigenen Hausstand zu gründen, da gehört ganz schön Vieles dazu, da kommen noch Fakten auf uns zu an die denkt man heute noch gar nicht.

Vor einem Jahr Gila, vor einem Jahr hätte ich dir noch unumwunden Recht gegeben, da hatte ich tatsächlich kein wirklich gut bezahltes und auch noch kein gesichertes Einkommen, da hätten wir in unseren Schwierigkeiten eventuell baden können. Gila dein Denken bezieht sich auf einen zurückliegenden Umstand. Das Schöne daran ist, dass du gedanklich aktiv bei der Sache bist, dass du nicht blind durch die Welt marschierst. Also vor einem Jahr noch hätte ich selbst kein positives Zeichen senden können, ich war selbst am Verzweifeln, wer so oft zum Arbeitsamt geht und sich mal hier und mal dort bemüht, für den muss doch irgendwann auch mal ein Glückstreffer möglich sein. Seit dem 13.November 67 aber hat sich das Blatt gewendet, es war dies ein Glückstag. Ich habe eine gute Arbeit und das Geld das ich verdiene ist das Schlechteste nicht. Hier und da muss ich mal mit einem Türken zusammenarbeiten, aber auch hier muss ich sagen, dass die Sterne günstig stehen. Ich will ja nicht immer nur in der Kraftstofffabrik der Mitläufer sein. Ich muss mich profilieren, muss mit Menschen sprechen und muss darauf achten, was und wie ich meine Meinung vertrete. Und wenn dann, einer der Altgedienten ausscheidet, dann musst du schon reife Früchte tragen. Ich muss also schon vorher zeigen was ich drauf habe. Ich muss mit meiner Arbeit auf mich aufmerksam machen. Muss permanent mitdenken, damit es so weit kommt, dass explizit diese Arbeit, welche andere als schwierig bezeichnen und die sie vor Angst nicht ausführen wollen, dass diese Arbeit bei mir zur Routine wird, das mach ich dann eben mal mit links. Sehr gerne zum Beispiel bin ich kurzerhand und charmant auftretend dort, wo geforscht wird. Wenn die Stammbelegschaft sieht und spürt, hey dieser Junge hat Interesse, dann ist das ein Pluspunkt. Solche Pluspunkte hole ich mir fast jeden Tag im Labor. Ich frage, welche Eigenschaft des Öles wird da überprüft. Und ich bekomme da immer eine anständige Antwort und lerne jeden Tag ein kleines bisschen dazu. Durch meinen Fleiß mache ich mich immer beliebter. Und ich sehe hier beachtliche Chancen. Ich glaube dass ich Glück gehabt habe. Ich habe in der Zwischenzeit schon dreimal den Lohn angehoben bekommen und deshalb bin ich guter Dinge, ja wir schaffen das Gila. Du musst dir keine Sorgen machen, auch wenn du keinen Zahltag haben wirst, dem Kind und uns wird’s an nichts fehlen.

Nach genau drei Monaten war das Gastspiel in Kuchen beendet. Die alten Frauen haben sich genug gestritten. Mutter hat sich Gedanken gemacht. Ihr blutet zwar das Herz, aber es ist nicht mehr rückgängig zu machen, die Zeit kann nicht zurückgedreht werden. Es muss demnach immer vorwärts gehen im Leben. Auch ihr Jüngster wird sie früher oder später verlassen, jetzt sowieso, jetzt nachdem Gila schwanger ist. Wo also soll sie hin? Sie wird eventuell ganz alleine sein, das mag ihr wie ein Trauma vorkommen. Sie war allein gelassen worden als sie zur Welt kam und nun? Wird sie wieder allein sein? Theoretisch benötigt sie eine kleine Küche, ein kleines Esszimmer und ein Schlafzimmer. Und in einem teuren Neubau muss sie auch nicht leben. Sie fand, was ich kaum glauben mochte, sie fand eine Lösung und ich bin ehrlich und kritisch und habe immer einen Verbesserungsvorschlag parat, aber darauf wäre ich in hundert kalten Wintern nicht gekommen. Wir ziehen wieder nach Altenstadt, so sagte sie. Okay, ja das machen wir, der Weg zum Fußballplatz wird für mich nicht mehr so weit sein und der Weg zu Gila auch nicht mehr. Zu klären wäre nur noch, wo in Altenstadt ziehen wir hin. „Wir werden“, so begann sie zu sprechen, „in die Butzwiesen zum Onkel Pablo ziehen!“

„O zu Onkel Pablo? Hast du das mit dem SBV abgesprochen? Warst du dort in der Platonstraße? Was meinen diese Herren dazu?

„Der SBV ist damit einverstanden. Im Gegenteil es ist ihnen sogar lieber so, sie wissen dann, dass sie jeden Monat pünktlich ihr Geld bekommen.

Nun muss ich wieder dem Leser helfen, überhaupt den Lesern die nicht alle meine Folgen gelesen haben. Onkel Pablo ist quasi der Schwager unseres Vaters. Er war mit Vaters Schwester Mafalda verheiratet. Pablo ist von Beruf ein Schuhmacher und ist ein gebürtiger Pirmasenser. Wenn es je in Deutschland so etwas wie eine Stadt der Schuhmacher gegeben hat, dann ist das garantiert Pirmasens. Soweit ich zurückdenken kann, soweit ist auch Tante Mafalda und Onkel Pablo in meiner Erinnerung wach. Wir Kinder hielten ihn immer für einen geistig Unterbemittelten, in Wirklichkeit aber war er ein psychisch Kranker, so gesehen ein Opfer des Krieges, beider Kriege, so muss ich sagen, denn er war um drei oder vier Jahre gar älter noch als unser Vater. Tante Mafalda war 66 verstorben und die Kinder, besser gesagt die beiden Enkel, beide Vollwaisen um es noch ein bisschen konkreter auszudrücken, waren schon ausgezogen. Deshalb wohnte er dort in den Butzwiesen ganz alleine. In einer Dreizimmerwohnung und es ist für mich bis heute ein Rätsel, wie überhaupt er die Miete aufbringen konnte. Er hat wohl das Handwerk der Schuhmacher erlernt, war also ein richtiger Pirmasenser Schlappenflicker, wie sie in nah und fern und bis weit über die Pfalz hinaus betitelt wurden.