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Bootleg Springs – die erfolgreiche Reihe der Bestsellerautorinnen Claire Kingsley und Lucy Score!
Für Personal Trainer Jonah Bodine ist Bootleg Springs aufregender als ihm lieb ist – bis vor kurzem hat er noch nichts von seinen Halbgeschwistern geahnt. Hinzu kommen die ungeklärte Rolle seines Vaters in einem Vermisstenfall und der unerträgliche Kleinstadttratsch. Jonah nimmt sich eine Auszeit von all dem Trubel und flüchtet in eine einsame Hütte am See. Diese Idylle wird jedoch ruiniert, als seine Halbschwester ihm eine Mitbewohnerin aufhalst. Eine äußerst attraktive Mitbewohnerin …
Shelby Thompson ist in Bootleg Springs auf der Suche nach Antworten und wird von Scarlett Bodine überredet, sich ein Haus mit dem gutaussehenden Trainer Jonah zu teilen. Ein unverbindlicher Sommerflirt kommt ihr da gerade recht. Doch während sich das Verschwinden von Callie Kendall langsam aufklärt, wird Shelby von ihrer Vergangenheit eingeholt. Es fällt ihr immer schwerer ihre Geheimnisse zu bewahren und die Gefühle für Jonah zu kontrollieren.
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Seitenzahl: 507
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Bootleg Springs – die erfolgreiche Reihe der Bestsellerautorinnen Claire Kingsley und Lucy Score!
Für Personal Trainer Jonah Bodine ist Bootleg Springs aufregender als ihm lieb ist – bis vor kurzem hat er noch nichts von seinen Halbgeschwistern geahnt. Hinzu kommen die ungeklärte Rolle seines Vaters in einem Vermisstenfall und der unerträgliche Kleinstadttratsch. Jonah nimmt sich eine Auszeit von all dem Trubel und flüchtet in eine einsame Hütte am See. Diese Idylle wird jedoch ruiniert, als seine Halbschwester ihm eine Mitbewohnerin aufhalst. Eine äußerst attraktive Mitbewohnerin …
Shelby Thompson ist in Bootleg Springs auf der Suche nach Antworten und wird von Scarlett Bodine überredet, sich ein Haus mit dem gutaussehenden Trainer Jonah zu teilen. Ein unverbindlicher Sommerflirt kommt ihr da gerade recht. Doch während sich das Verschwinden von Callie Kendall langsam aufklärt, wird Shelby von ihrer Vergangenheit eingeholt. Es fällt ihr immer schwerer ihre Geheimnisse zu bewahren und die Gefühle für Jonah zu kontrollieren.
Lucy Score ist New York Times- und USA Today-Bestsellerautorin. Sie wuchs in einer buchverrückten Familie in Pennsylvania auf und studierte Journalismus. Wenn sie nicht gerade ihre herzzerreißenden Protagonist:innen begleitet, kann man Lucy auf ihrer Couch oder in der Küche ihres Hauses in Pennsylvania finden. Sie träumt davon, eines Tages auf einem Segelboot, in einer Wohnung am Meer oder auf einer tropischen Insel mit zuverlässigem Internet schreiben zu können.
Claire Kingsley schreibt Liebesgeschichten mit starken, eigensinnigen Frauen, sexy Helden und großen Gefühlen. Ein Leben ohne Kaffee, E-Reader und neu erfundene Geschichten ist für sie nicht vorstellbar. Claire Kingsley lebt mit ihrer Familie im Pazifischen Nordwesten der USA.
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Lucy Score, Claire Kingsley
Gin Fling
Aus dem Amerikanischen von Juna-Rose Hassel
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Grußwort
Informationen zum Buch
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Widmung
1: Jonah
2: Shelby
3: Shelby
4: Jonah
5: Jonah
6: Shelby
7: Jonah
8: Shelby
9: Shelby
10: Jonah
11: Shelby
12: Jonah
13: Jonah
14: Jonah
15: Jonah
16: Shelby
17: Jonah
18: Shelby
19: Jonah
20: Shelby
21: Jonah
22: Shelby
23: Jonah
24: Shelby
25: Jonah
26: Shelby
27: Shelby
28: Jonah
29: Shelby
30: Shelby
31: Jonah
32: Jonah
33: Ganz Bootleg Springs
34: Shelby
35: Jonah
36: Shelby
37: Shelby
38: Jonah
39: Shelby
40: Shelby
41: Shelby
42: Shelby
43: Jonah
44: Shelby
45: Jonah
46: Shelby
47: Jonah
48: Shelby
49: Shelby
50: Shelby
51: Jonah
52: Shelby
53: Shelby
54: Jonah
55: Shelby
56: Shelby
57: Jonah
58: Jonah
59: Shelby
Epilog: Shelby
Danksagungen
Impressum
Lust auf more?
Für Claire Kingsley, weil du dich mit mir auf diese Reise begeben hast. Du bist meine Seelenverwandte, meine Bücherschwester, und ich bin so dankbar für deine Freundschaft.
1
Aktiviere die Pobacken«, sagte ich zum neunzehnjährigen Star des College-Baseballteams.
»Mann, wenn ich sie noch mehr anspanne, werden sie zu Stein«, beklagte sich Eric, während er die Stange vom Boden hochhievte.
»Aus meiner Perspektive sieht es so aus, als würde er es ganz gut machen«, warf Mrs. Morganson von ihrem Aussichtspunkt direkt hinter ihm ein.
Heute war Kreuzhebentag.
Einmal pro Woche verwandelte ich den Kraftraum der Bootleg Springs High School in ein offenes Fitnessstudio für alle Altersstufen und Niveaus. Der Raum war rappelvoll mit Geräten und roch nach verschwitzten, ungeduschten Jugendlichen. Die kleinen Fenster unter der abgehängten Decke ließen nur wenig Sonnenlicht ein.
Aber es funktionierte.
Eigentlich war ein Desaster vorprogrammiert gewesen. Ich trainierte College-Kids, die den Sommer hier verbrachten, Neulinge mittleren Alters, die gerade erst mit Fitness anfingen, ein paar Gewichtheber mit langjähriger Erfahrung sowie eine Reihe älterer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Einige kamen tatsächlich zum Trainieren her. Andere nahmen nur teil, um etwas fürs Auge zu haben.
Doch egal wer auftauchte, wir hatten alle verdammt viel Spaß.
»Gut gemacht«, sagte ich und schlug Eric auf den Rücken, als er die Hantelstange mit einem lautstarken Klappern fallen ließ. Der Junge war um einiges stärker, als seine lange, schlaksige Figur vermuten ließ.
»Wohoo!«, jubelte Mrs. Morganson. Minnie Faye, Besitzerin und Betreiberin von Minnie’s Meow Meow House, stieß ihre Freundin mit dem Ellbogen an. »Nicht dass sie uns rausschmeißen wie bei der Autowaschaktion des Footballteams«, warnte sie.
Beide Frauen bückten sich, um ihre bedeutend leichteren Hantelstangen hochzuheben. Ich zwinkerte ihnen zu, als sie eine schwungvolle Show aus ihrer Hebeübung machten.
»Wie läuft’s, D?« Für ihre Freunde hieß sie Doris, für ihre Fitnessfreunde D, und sie starrte gerade ihre Hantelstange an.
»Ich wollte heute einen persönlichen Rekord aufstellen.« Frustriert wischte sie sich mit dem Saum ihres T‑Shirts den Schweiß von der Stirn. Doris war sechsundfünfzig und hatte vor drei Jahren eine Herztransplantation über sich ergehen lassen müssen. Sie war mir ungefähr einen Tag lang nachgejagt, nachdem ich letztes Jahr beschlossen hatte, meine Arbeit als Personal Trainer nach Bootleg zu verlagern.
In einem Städtchen von dieser Größe sprach sich so etwas schnell rum.
Da irgendjemand sein Leben gelassen hatte, damit sie hier sein konnte, wollte sie denjenigen nicht enttäuschen, wie sie sagte. Damals hatten wir dann unseren ersten gemeinsamen Workout. Einen Spaziergang durch den Park am See.
Wir hatten klein angefangen, ganz langsam, doch ihre Entschlossenheit ließ niemals nach. Sie hatte schon vor der Transplantation mit dem Rauchen aufgehört. Danach hatte sie mit dem Walken angefangen. Schon bald ließ ich sie joggen und in meinen Pop‑up-Bootcamps abhängen. Dann entdeckte sie ihre tiefe Leidenschaft fürs Gewichtheben. Irgendwann zog sie auch ihren Mann Josh mit hinein. Josh hatte elf Kilo abgenommen und mit dem Rudern angefangen. Doris hatte knapp fünf Kilo magere Muskeln zugelegt und funkelte gerade die Hantelscheiben an ihrer Stange an, die zwischen ihr und ihrem neuen persönlichen Rekord standen.
»Wie viel hast du da drauf?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte.
»Neunzig Kilo. Ich krieg das verdammte Ding nicht vom Boden hoch.« Sie trat mit der Spitze ihrer Sneakers gegen die Hantelstange.
»Weißt du was? Geh dir was zu trinken holen. Ich verringere einstweilen das Gewicht ein wenig, und wir überprüfen deine Tagesform anhand von achtzig oder neunzig Prozent deines Maximums. Okay?«
Seufzend zuckte sie mit den Schultern. »Ja. Okay.«
»Nicht jeder Tag ist für einen persönlichen Rekord geeignet«, ermahnte ich sie.
»Jaja.«
»Sie ist gestern Abend extra früh zu Bett gegangen, damit sie für das Gewichtheben ausgeruht ist«, sagte mir Josh, als Doris weg war. »Sie wird sauer sein, wenn sie ihren letzten Rekord nicht brechen kann.«
»Als ob ich das nicht wüsste«, erwiderte ich und entfernte von jeder Seite der Hantelstange eine Scheibe. Ich tauschte mehrere aus und baute alles wieder zusammen.
»Das sieht aus, als wäre es mehr …«
»Halt die Klappe«, sagte ich, als Doris zurückkehrte. Josh beschäftigte sich mit seiner eigenen Stange und spielte den Unbeteiligten.
»Bereit?«, fragte ich sie.
»Ja. Ich weiß nicht, was mein Problem ist. Wahrscheinlich fühle ich mich einfach schwach. Vielleicht sind es Allergien?«
»Vielleicht«, antwortete ich und bedeutete ihr, hinter die Hantelstange zu treten.
»Wie viel ist das?«, wollte sie wissen, während sie ihr Stirnband aufsetzte, das ihren wild gelockten Bob bändigen sollte.
»Mach dir keine Gedanken um Zahlen. Ich will nur deine Tagesform checken. Wir bringen dich dorthin, wo du hinwillst, wenn es so sein soll«, versprach ich ihr.
»Ich weiß, ich weiß. Vielleicht nicht heute, aber irgendwann erreichen wir das«, zitierte sie seufzend eine meiner vielen Motivationsreden. »Nur will ich einfach, dass es heute ist. Heute ist der Tag, weißt du?«
»Dein Jahrestag?«
»Vor drei Jahren stand ich an der Schwelle des Todes und wachte mit einer neuen Pumpe auf.« Sie klopfte sich mit der Faust auf die Brust. »Ich würde der Spenderfamilie wirklich gern eine Mail schreiben, um ihnen mitzuteilen, dass ich heute einen großen persönlichen Rekord aufgestellt habe. Sie wissen lassen, dass ein Teil von ihm immer noch weiterlebt.«
Ich legte ihr die Hand auf die Schulter und drückte sie. »Hey, ich weiß, das ist das Ideal, aber lass uns zuerst mit der Realität arbeiten. Okay? Vielleicht ist es etwas ganz Einfaches.« Es war relativ einfach. Der Jahrestag, der Wunsch, der Familie des Mannes zu berichten, dessen Herz sie erhalten hatte.
Doris hatte sich psychisch unter Druck gesetzt.
Seit unserem letzten Kraftsporttag waren vier Wochen vergangen, und ich wusste, dass sie neunzig Kilo stemmen konnte. Sie war sich nur nicht sicher.
Noch immer enttäuscht nickte sie. »Ja. Okay. Mal sehen, ob du deinen magischen Trainerzauberstab schwingen kannst.«
Sie bückte sich aus den Hüften und griff nach der Stange.
»Benutze den Kreuzgriff«, wies ich sie an. »Dann hast du nicht das Gefühl, dass dir die Stange aus der Hand rollt.«
Wieder nickte sie und passte ihren Griff an.
»Das wird jetzt ein wenig einfacher, weil es nicht deine maximale Leistung ist. Deshalb konzentriere dich auf die Form. Auf drei – eins, zwei, drei!«
Die anderen spürten wohl, dass etwas Großes in Gange war, sie hielten in ihren Tätigkeiten inne und stellten sich hinter Doris. Mit angehaltenem Atem sahen sie zu.
Sie riss das Gewicht mit angespanntem Gesicht, die Sehnen an ihrem Hals traten hervor. Die Stange hob sich. Langsam, Zentimeter für Zentimeter.
»Los, los, los! Zieh!«, schrie ich.
»Zieh!«, erscholl es von den anderen in unterschiedlichen Stimmlagen.
Doris richtete sich auf, streckte sich zu voller Länge und umklammerte mit rotem Gesicht die Stange. Die Übrigen jubelten hinter ihr. Sie ließ das Gewicht fallen und beugte sich vor.
»Warum zum Teufel macht ihr einen solchen Krach, Leute?« Sie stieß den Atem aus und wischte sich mit dem Arm über die Stirn. »Heilige Scheiße. Mir wird ganz anders. Das hat sich wie tausend Kilo angefühlt, verdammt noch mal.«
»Das liegt daran, dass es siebenundneunzig waren«, sagte ich zu ihr.
»Sieben und was?« Sie blinzelte.
»Siebenundneunzig Kilo.«
»Siebenundneunzig? Ich habe siebenundneunzig Kilo gehoben?«
Ich nickte und grinste.
»Siebenundneunzig«, flüsterte sie noch einmal vor sich hin.
Josh zog sie von hinten in eine feste Umarmung. »Siebenundneunzig«, wiederholte er.
Sie drückte seine Hand und rechnete die Gewichte vor ihr zusammen. »O mein Gott. Das sind siebenundneunzig Kilo! Ich habe verdammte siebenundneunzig Kilo gehoben!« Sie löste sich aus Joshs Umarmung, drehte sich um und warf sich ihm in die Arme. »Ich habe es geschafft! Heilige Scheiße!«
»Du hast es geschafft!« Er presste die Augen fest zu, während er seine Frau festhielt, die nicht nur überlebt hatte, sondern lebte. Auch für mich fühlte es sich wie ein Pfeil in meinem Herzen an, deshalb lenkte ich mich damit ab, mein Handy herauszuziehen und diesen Moment festzuhalten.
Es wurde gefeiert, als hätte sie einen Touchdown erzielt, mit dem der Super Bowl gewonnen wurde.
Sie wurde von einem zum anderen gereicht, wurde umarmt, dass die Knochen nur so knackten, und feierlich abgeklatscht. Alle feierten, als wäre es ihr eigener persönlicher Sieg und als würde im Hintergrund Musik ertönen.
»Du hast mich angelogen«, sagte Doris, als sie zu mir zurückkam und die Hände in die Hüften stemmte. Ihr Gesicht war vor Glück gerötet.
»Nur ein bisschen«, erwiderte ich.
»Du wusstest, dass ich mich zu sehr unter Druck gesetzt habe, und du hast mich ausgetrickst, damit ich es hinkriege«, beharrte sie. Ihr Blick war plötzlich verschleiert.
Ich schüttelte den Kopf. »Du hast es hingekriegt. Und jetzt stell dich neben deine Hantelstange, damit wir deine persönliche Bestleistung auf einem Foto festhalten können. Das kannst du dann an die Familie deines Herzens schicken.«
Ihre Unterlippe zitterte.
Nicht wenige der Umstehenden hatten Tränen in den Augen.
»Tu das nicht«, sagte ich, während ich auf sie zeigte. »Wenn du es tust, fangen alle damit an, und dann wird es sich in ganz Bootleg herumsprechen, dass ich meine Schüler zum Weinen bringe. Du ruinierst mein Geschäft, wenn du jetzt heulst.«
Eine Träne trat aus ihrem Augenwinkel, während sie mich in eine feste Umarmung schloss.
»Danke, Jonah«, flüsterte sie.
»Ich bin wirklich verdammt stolz auf dich, D«, flüsterte ich zurück.
»Ich auch.«
Das war ein guter Start ins Wochenende. Ds persönlicher Rekord munterte mich so auf, dass ich mein eigenes Leben vorübergehend vergaß.
Die Leiche, die die Ermittler gefunden hatten, und die Fragen, die sie aufwarf. War meine DNA befleckt? Hatte mein Vater ein junges Mädchen ermordet? Und was bedeutete dies für seine Nachkommen? Für mich. Meine Brüder und meine Schwester. Was für ein Vermächtnis hatte er uns hinterlassen?
Das war das Gute in der Welt. Menschen wie Doris und Eric und Mrs. Morganson. Sie waren das Gute. Ich wollte lieber die Zeit genießen, anstatt mir über Dinge Gedanken zu machen, die ich nicht in Ordnung bringen konnte.
»Weißt du, Jonah«, begann Mrs. Morganson, als sie zu mir trat, während ich die Stangen abwischte. »Du solltest wirklich darüber nachdenken, ein Fitnessstudio aufzumachen. Wurzeln zu schlagen.«
»Bestimmt würde sich June Tucker riesig über eine weitere lokale Investition freuen«, fügte Minnie Faye mit Unschuldsmiene hinzu.
»Meinst du?«, sagte ich leichthin.
Der Gedanke war mir auch schon gekommen.
Aber im Endeffekt hatte ich noch nicht entschieden, ob ich in Bootleg Springs bleiben würde oder nicht. Ich lebte seit einem Jahr hier. Hier hatte ich Familie, ein junges Unternehmen, das Kurse und persönliches Training anbot. Doch das hieß nicht, dass dieses Städtchen in West Virginia mein Zuhause war. Sobald der Callie-Kendall-Fall gelöst war, würde ich das entscheiden.
Gehen oder bleiben.
»Denk darüber nach«, empfahl mir Mrs. Morganson. »Ein eigenes Reich, das du gestalten kannst, wie du willst. Ein fester Zeitplan. Wetten, dass ein Fitnessstudio in Bootleg echt gut laufen würde, weil man dort dann diesen ganzen Schnaps abbauen könnte.«
»Ich werde darüber nachdenken«, versprach ich. »Wenn die Damen mich jetzt entschuldigen – ich werde Ds Sieg mit einem Eiweißomelett feiern, bevor der nächste Kurs anfängt.«
2
Im Brunch Club wurde nobles Frühstück serviert, dazu als Beilage brandheißer Klatsch und Tratsch. Die Einwohner von Bootleg Springs drängten sich an der schicken Betonbar des Restaurants zusammen oder beugten sich in gepolsterten Nischen vor, um die neuesten Gerüchte des Städtchens aufzuschnappen, während sie Ziegenkäsefrittata oder Fried Chicken Biscuits mit Mango-Chia-Smoothies genossen.
Da ich von Natur aus alles beobachtete, konnte ich von der Menschenmenge gar nicht genug kriegen.
»Habt ihr gehört, dass Moe Daileys Bluthund wieder ausgerissen ist? Hat Lacey Dickersons reinrassigen Shih Tzu geschwängert«, schrie Mrs. Varney über den Lärm des Restaurants hinweg. In Anbetracht des sonnigen Frühlingsmorgens trug sie eine abgeschnittene schwarze Gummizughose, die knapp unter ihren Brüsten endete.
Wir hatten uns zu siebt in eine große Ecknische hinten im Restaurant gequetscht. Ich war mit einem Abstand von mindestens drei Jahrzehnten die Jüngste.
»Ich habe etwas für deine Aufzeichnungen, Shelby.« Der alte Jefferson Waverly, der einzige männliche Teilnehmer unseres Treffens, stach mit der Gabel in meine Richtung. »Bootleg Springs hat ein gutes Gedächtnis und versteht etwas von Karma.«
»Mm‑hmm.« Die Gruppe nickte begeistert. Sie warteten darauf, dass ich es aufschrieb, und ich tat ihnen den Gefallen. Der Breakfast Club – nicht zu verwechseln mit dem Brunch Club – hatte mich adoptiert. Er bestand aus einer Reihe älterer Herrschaften aus Bootleg, die gute Ratschläge verteilten und Unfug trieben. Vor allem an Bingo-Abenden.
Ich war mit einer sehr genauen Zielsetzung in die Stadt gekommen und hatte rasch gemerkt, dass es nicht ausreichen würde, einfach an der Seitenlinie herumzuhängen und zu beobachten. Nein, diese Kleinstadt brauchte Teilhabe mit vollem Kontakt, ehe sie Fremde in die Arme schloss. Das hier war teilnehmende Beobachtung vom Feinsten. Ich war Jane Goodall, und die Bootlegger waren meine Forschungsobjekte.
Nach und nach hatten sie mich als eine der Ihren akzeptiert. Na ja, die meisten zumindest. Es gab ein paar Sonderfälle, die mich noch hinhielten. Aber ich würde sie mürbe machen. Das gelang mir immer.
Indem ich mich ins Kleinstadtleben einbinden ließ, hatte ich mehr als nur den Einblick gewonnen, nach dem ich strebte. Diese ausgekochten Bürger nahmen meinen ursprünglichen Plan und meine thematisch enge These, übergossen das Ganze mit Selbstgebranntem und zündeten es an.
Anstatt ein paar Dutzend direkte Interviews durchzuführen, hatte ich vor etwa zwei Tagen auf ihr Geheiß eine Online-Umfrage gestartet und der ganzen Stadt zugänglich gemacht. Sie umfasste kurze Persönlichkeitsanalysen, Fragen darüber, wie sich der Einzelne zur weiteren Gemeinde verhielt, sowie Rollenidentifikationskennzeichen und Bewertungssysteme für Mitgefühl, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe.
Im Grunde sollte meine kleine nerdige Umfrage bis ins Kleinste zerlegen, aus was für Menschen Bootleg Springs bestand und warum ihr Zusammenspiel so gut funktionierte. Das letzte glänzende Beispiel für gemeinsamen Aktivismus hatte darin bestanden, dass sich die Stadt verbündet hatte, um eine Meute übereifriger, respektloser Journalisten zu vertreiben. Ebendiese Bürger halfen mir nun, Antwort für Antwort meinen Doktortitel zu erlangen.
»Dann haben sie wohl bald einen Wurf Fellnasen«, überlegte Granny Louisa. Ihre Lebenspartnerin Estelle gab ihr ein High five. Im Gegensatz zur lilienweißen Louisa, die das wilde West Virginia verkörperte, war Estelle dunkel und vornehmes South Carolina.
»Besser als Rotznasen«, gackerte Jefferson. Alle am Tisch – gute Südstaatenladys – warfen ihre Servietten auf den Tisch und funkelten ihn an. Jefferson kicherte.
»Jedenfalls geschieht es ihr recht, nachdem sie den armen Jonah junior beim Abschlussball hat sitzenlassen«, kommentierte Gertrude alias Gram-Gram, während sie ihre Hafergrütze löffelte.
Die Übrigen am Tisch schnalzten mitfühlend und verliehen ihrer Besorgnis Ausdruck, der Mann könnte nie eine vernünftige Partnerin finden. Ich machte mir ein paar Notizen. Die Älteren in Bootleg Springs hatten ein gemeinsames Interesse am Liebesleben derer, die sie für die »lieben Kleinen« erachteten. Da drei der fünf Bodines nun unter der Haube waren, schienen sie ein Full House anzustreben.
Bei dem »armen« Jonah junior, von dem sie sprachen, handelte es sich um Jonah Bodine – unehelicher Sohn des verstorbenen Jonah senior und einer jener, die noch immer keine hohe Meinung von mir hatten. Er war wenige Tage nach der Beerdigung seines Vaters in der Stadt aufgetaucht, nachdem er der Todesanzeige entnommen hatte, dass er vier Halbgeschwister hatte. Laut Myrt Crabapple war Jonah seinem Vater und seinen Brüdern »wie aus dem Gesicht geschnitten«.
Was hieß, dass Jonah sehr, sehr attraktiv war.
Er war groß. Schlank. Stark. Muskulös, aber nicht so, dass es nach Steroiden aussah. Er hatte ein unbeschwertes Lächeln und eine Augenfarbe, die aussah wie Gras nach einem guten Regen. Er war … hier.
»Nun, wenn man von diesem gut aussehenden Teufel spricht«, sagte Estelle und deutete mit ihrem Bacon Richtung Tür.
Mein kleines nerdiges Herz beschleunigte sich anerkennend.
In Shorts und einem verschwitzten T‑Shirt trat er ein. Großmütig sah ich darüber hinweg, dass meine Brunch-Kolleginnen und ‑Kollegen sich lauthals darüber beschwert hatten, weil ich in meinen Laufklamotten und mit all den Wehwehchen, die ich versuchte zu verbergen, zu unserem Essen erschienen war. Derlei Bedenken schienen sie bei einem verschwitzten Jonah nicht zu haben.
Jede Frau im Restaurant hielt den Atem an, als er sich mit dem Saum seines T‑Shirts die Stirn abwischte. Beim Aufblitzen seiner Bauchmuskeln stieß ich mit der Kaffeetasse gegen die Untertasse. Das lautstarke Klappern lenkte die Blicke von Jonahs sehr hübschem Eightpack ab, und alle schauten zu meinem geröteten Gesicht herüber.
Jonah ließ sein T‑Shirt wieder los und sah mich an. Das freundliche Lächeln versteinerte. Starke Kiefer, leichte Vertiefungen unter den Bodine’schen Wangenknochen. Der Blick kühl, irritiert. Meine Tischgenossen merkten auf.
»Brrrr. Liegt es an mir oder ist es hier drin gerade echt kalt geworden?«, meinte Mrs. Varney. Sie glaubte wohl, sie würde flüstern.
Ich begegnete Jonahs ausdruckslosem Gesicht mit einem strahlenden Lächeln. Dass er eine so große Abneigung gegen mich hegte und sich trotzdem nicht dazu herabließ, unhöflich zu werden, sagte viel über den Mann aus.
Myrt winkte ihn herüber, und ich merkte, dass er einen Moment zögerte. Seine negativen Gefühle mir gegenüber schienen so groß zu sein, dass er in Erwägung zog, den Stadtältesten aus dem Weg zu gehen. Interessant. Der analytische Teil meines Gehirns wollte testen, welche Situationen unangenehmer waren als eine zivilisierte Unterhaltung mit mir und welche angenehmer. Rasch kritzelte ich einen Vermerk an den Rand meines Notizblocks, um später darüber nachzudenken.
Er kam ans andere Ende des Tisches geschlendert. »Meine Damen. Jefferson«, sagte er und nickte, wobei er weiteren Blickkontakt mit mir demonstrativ mied.
»Wir haben uns unterhalten und finden, es ist an der Zeit, dass du Räumlichkeiten für ein Fitnessstudio suchst«, verkündete Louisa.
Die übrigen Damen nickten nachdrücklich.
»Das scheint die Stimmungslage des Tages zu sein«, antwortete Jonah kryptisch.
»Ich weiß, dass keiner von uns auch nur einen Tag älter aussieht als fünfzig«, sagte Gertrude, während sie ihr weißes Haar tätschelte. »Aber wir sollten nicht über Baumwurzeln und frei laufende Hühner stolpern, um zu unserem Happy-Hour-Workout zu gelangen.«
Den Namen »Happy Hour« hatten die über Sechzigjährigen Jonahs Seniorenfitnesskurs verpasst.
»Mona Lisa McNugget Nummer fünf ist auf jeden Fall abenteuerlustiger als Nummer vier«, bemerkte Jefferson.
»Willst du etwa gerade erreichen, dass ich mich hier sesshaft mache, Gram-Gram?«, fragte Jonah augenzwinkernd. Große Güte, hatte er ein hübsches Lächeln. Kein Wunder, dass die Damen voll auf ihn abfuhren. Herrgott, das tat ich auch, und zu mir war er nicht mal nett.
Gertrude, Cassidys und Junes Großmutter, setzte eine Unschuldsmiene auf und machte ihrem Ruf, eine notorische Lügnerin zu sein, alle Ehre. »Keine Ahnung, wovon du redest. Ich sorge mich nur um dein Wohlergehen. Stell dir mal vor, Estelle hier macht einen Hechtsprung über das Huhn im Park und bricht sich die Hüfte.«
Alle am Tisch außer mir klopften auf Holz.
»Was ist mit der Turnhalle der Highschool?«, hakte Jonah nach. Er war Personal Trainer, und ich bezweifelte, dass es in dieser Stadt auch nur eine einzige Frau gab, die kein Interesse daran gehabt hätte, von ihm persönlich trainiert zu werden. Ich hatte ein oder zwei seiner Bootcamps mitgemacht, ehe er bedauerlicherweise fehlinformiert wurde und beschlossen hatte, mich nicht zu mögen. Es war eine Schande. Er war ein hervorragender Lehrer, und ich hatte Bedarf an sportlicher Unterweisung.
»Wir glauben einfach, dass du – vor allem mit den Sommerfrischlern – ein besseres Geschäft machen würdest, wenn du einen eigens dafür vorgesehenen Trainingsraum hättest«, beharrte Mrs. Varney.
»Ich werde darüber nachdenken«, versprach er, während er alle anlächelte. Mich überging er dabei.
Ich fragte mich, ob er wirklich darüber nachdenken würde. Der Mann war hierhergekommen, um Geschwister kennenzulernen, denen er noch nie begegnet war, und hatte herausgefunden, dass sein biologischer Vater der Hauptverdächtige in einem jahrealten Vermisstenfall war. Ohne Vater aufzuwachsen und dann zu erfahren, dass der Mann unter Umständen kriminell war? Jonah hätte wohl kaum einen Grund, in Bootleg zu bleiben, es sei denn, er zementierte seine Beziehungen zu den übrigen Bodines. Keinen Grund, Immobilien zu erwerben.
»Mach das, Jonah«, beharrte Myrt. Sie klimperte mit den Wimpern, und ihr Glasauge glänzte im Licht des Kronleuchters, der über dem Tisch hing.
»Magst du mit uns frühstücken?«, bot Estelle an.
»Das würde ich sehr gern, meine Damen – und Jefferson –, aber ich muss mich um eine Familienangelegenheit kümmern. Euch allen ein wundervolles Wochenende«, sagte Jonah und strebte dann zur Theke, wo seine To‑go-Bestellung auf ihn wartete.
Ich wäre jede Wette eingegangen, dass sie aus Eiweiß und Gemüse bestand. Eklig. Der Mann war der Inbegriff der Gesundheit, und das sah man ihm an. Gerüchte besagten, dass ihm noch nie ein Stück Speck über die Lippe gekommen sei.
»Henrietta Van Sickle sollte bald wieder kommen, um ihre Vorräte aufzufrischen«, verkündete Jefferson und brachte damit den Klatsch-und-Tratsch-Teil der Mahlzeit wieder in Gang.
»Meinst du, Gertrude wird sie wieder zum Reden bringen?«
»Du meinst, die arme Frau dazu zwingen, zu verlangen, dass man sie in Ruhe lässt?«
»Ich bin eine angenehme Gesprächspartnerin«, schnaubte Gertrude.
»Du hast mit deinem Wagen den Ausgang des Lebensmittelgeschäfts blockiert, bis die Frau dich darum bitten musste, wegzugehen«, widersprach Louisa.
»Das zählt trotzdem. Sie hat mit mir gesprochen.«
Ich war in Charlotte aufgewachsen und hatte die letzten Jahre in Pittsburgh verbracht. Die Vorstellung, dass sich einmal im Monat eine Einsiedlerin in die Stadt stahl, um Vorräte einzukaufen, erregte mein Interesse.
Um ehrlich zu sein, erregte alles in Bootleg Springs mein Interesse. Einschließlich Jonah Bodine, dachte ich, während ich träge zusah, wie er aus dem Restaurant hetzte. Er warf mir einen letzten Blick zu, ehe er im Frühlingssonnenschein verschwand.
»Shelby, Liebes. Meinst du nicht, es ist an der Zeit, mit dem Jungen ins Reine zu kommen?«, wollte Estelle wissen.
Ich zuckte mit den Schultern und machte mich wieder über meine Eier Benedikt her.
»Ich stimme dir zu. Die Bodines sind praktisch das Herz dieses Städtchens. Du brauchst sie, wenn du deine hochtrabende Arbeit schreiben willst«, meldete sich Mrs. Varney zu Wort.
Da hatten sie nicht ganz unrecht.
»Dein Bruder hat die Tür einen Spalt für dich geöffnet, als er bei June Tucker eingezogen ist«, bemerkte Jefferson. »Nutze das zu deinem Vorteil. Zeig den Bodines, dass sie sich in dir getäuscht haben.«
»Und ich weiß auch schon, wo genau du anfangen musst«, sagte Gertrude listig.
Frage: Was ist das Nachbarschaftlichste, was du je für jemanden in deiner Gemeinde getan hast?
JEFFERSON WAVERLY: Ich bin Wade Zirkel an einem Stoppschild hinten reingefahren, um meine Unterstützung für dieses Bodine-Mädchen zu demonstrieren. Dem Sheriff hab ich damals gesagt, es sei ein Unfall gewesen, der auf meine Gleitsichtbrille zurückzuführen war. Aber dieser Zirkel-Typ weiß Bescheid.
3
Die Geräusche, die aus dem Cottage herausdrangen, legten nahe, dass der Zeitpunkt meines Besuchs nicht günstig war. Jemand fluchte. Etwas klingelte. Und etwas anderes jaulte.
Energisch klopfte ich an die Tür und drückte auf die Klingel.
Es krachte. Weitere Flüche folgten, und dann ging die Tür auf.
»Was zum Teufel willst du?«
Scarlett Bodine funkelte mich an und pustete sich dabei das mahagonifarbene Haar aus dem Gesicht. Am Hosenbein ihrer Jeans hing eine Katze.
Durch mein Lächeln signalisierte ich, dass ich mit guten Absichten hergekommen war, und hielt ihr einen Teller Donuts und Frühstücksgebäck hin, die ich im Brunch Club zum Mitnehmen bestellt hatte. »Hi!«, sagte ich gut gelaunt.
Scarlett entfernte die Katze von ihrem Bein und schob sie mit ihrem Arbeitsstiefel zurück ins Haus.
Irgendwo hinter ihr konnte ich ihren Freund Devlin telefonieren hören.
»Ich wiederhole: Was zum Teufel willst du?«, fragte sie kühl.
Doch ich bemerkte, dass ihr Blick von den Leckereien angezogen wurde, die nach meinem schrecklichen Lauf heute Morgen allmählich schwer auf meinen geschwächten Armen lasteten.
»Scarlett, ich glaube, wir hatten einen schlechten Start«, begann ich fröhlich.
»Wenn du meinst, es war ein schlechter Start, weil du ein mieses, fieses, dreckiges Klatschmaul von einer Reporterin bist, die versucht, meine Familie zu unterwandern, und im Dreck herumwühlt, dann ja. Dann hatten wir einen schlechten Start.«
Unerschrocken entfernte ich die Plastikhülle von dem Tablett mit Kohlehydraten, damit der Duft sich verbreiten und ihr Gehirn überwältigen konnte. Die olfaktorische Wirkung war auf meiner Seite. Niemand konnte wütend bleiben, wenn ihm Zucker in die Nase stieg. »Ich bin keine Reporterin. Ich schreibe nicht über Callie Kendall. Und ich schwöre dir, dass ich deine Familie nicht unterwandern will.«
Scarlett sah mich misstrauisch an. Doch der Duft von Spritzkuchen lenkte sie ab. Das schmeckte für mich nach Sieg.
»Du schreibst für Zeitschriften«, bemerkte sie. »Du bist mit den übrigen seelenlosen, herzlosen, Slippers tragenden Journalistenheinis hier aufgetaucht. Es ist mir egal, ob dein Riesenbruder mit einer meiner besten Freundinnen der Welt zusammen ist. Das erfordert nicht, dass ich nett zu dir bin.«
Sie schnappte sich ein Gebäckstück vom Tablett.
»Ich schreibe tatsächlich freiberuflich«, räumte ich ein. »Für wissenschaftliche Psychologiezeitschriften. Ich schreibe eine Doktorarbeit mit Feldstudien zum Thema Bindungen zwischen Nachbarn in kleinen Gemeinden und dass solche Beziehungen oft so stark und so verbindlich sein können wie biologische oder romantische Beziehungen.«
Scarlett biss eine Ecke von ihrem Spritzkuchen ab und blinzelte. »Was?«
»Ich mache meinen Doktor in Sozialarbeit und schreibe meine Arbeit über Bootleg Springs. Darüber, wie deine Stadt ein Rudel seelenloser, herzloser, Slippers tragender Journalistenheinis fortgejagt hat. GT kann das bezeugen«, versprach ich und hoffte, dass es meinem Bruder nichts ausmachen würde, für meinen Charakter zu bürgen, wenn es sein musste.
Ich würde so lange in Bootleg Springs bleiben, bis ich alles hatte, was ich brauchte, um die beste verdammte Doktorarbeit zu schreiben, die je über die Psychologie von Kleinstädten verfasst worden war. Und die Bodines konnten sich gleich mal an diesen Gedanken gewöhnen. Denn ich würde das Städtchen nicht ohne ihren Beitrag zu meiner Studie verlassen.
Scarlett beäugt mich immer noch, als würde sie mir nicht so weit trauen, wie sie mich werfen konnte. »Du darfst hereinkommen«, sagte sie schließlich. »Aber eine falsche Bewegung, ein Wort, das mir nicht gefällt, und ich werde dich mit der Schrotflinte meines Daddys von meinem Anwesen jagen. Sie ist nicht geladen, sieht aber trotzdem echt gefährlich aus. Und ich kann verdammt hart damit zuschlagen.«
»In Ordnung.«
Ich folgte ihr nach drinnen. Das Cottage war hinreißend, winzig und … bis unter die Dachsparren vollgestopft. An einer Wand des schmalen Flurs standen Kartons. Ich drehte mich auf die Seite und schlängelte mich an ihnen vorbei, das Tablett in die Höhe gehoben, wobei mein Rücken und meine Schultern vor Protest brüllten. Dann öffnete sich der Raum zu einer Miniküche und einem winzigen Wohnzimmer. Beides quoll über vor Zeug. Noch mehr Kartons, einige von ihnen beschriftet, andere waren geöffnet, und der Inhalt quoll heraus.
Zwei Kleiderständer mit schicken Anzügen umrahmten die kleine Couch wie Buchstützen. Plastiktüten und Ablageboxen stapelten sich vor dem Fernseher zu einer Wand.
Die Katze schlängelte sich zwischen Bücher- und Zeitschriftenstapeln hindurch und grub dann ihre Krallen in einen Karton, der mit Fallakten 2010 beschriftet war.
»Lass das, Jedidiah«, befahl Scarlett, während sie eine Sprühflasche herauszog und auf die Katze zielte.
Der Kater sah sie an, und ich schwöre, er grinste. Er malträtierte weiterhin den Karton, bis Scarlett ihm direkt in sein kleines Gesicht sprühte.
Er jaulte auf und rannte durch den Flur davon.
»Wenn du schon beim ersten Mal gehorcht hättest, dann hätte ich dir das nicht antun müssen«, rief sie ihm nach.
Devlin stand in der Küche, er war groß gewachsen und makellos gekleidet. Er presste sich das Telefon ans Ohr, ins andere hatte er sich den Zeigefinger gesteckt. Ein Schwall Anwaltssprech ergoss sich ins Telefon, und er lächelte mich zerstreut an. Dann drückte er Scarlett einen Kuss auf den Scheitel, ging ins Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich.
»Ich schenke dir einen Eistee ein. Aber nur, weil es höflich ist. Dann können wir hinaus auf die Veranda gehen, und du darfst probieren, mich für dich zu gewinnen, was dir zweifellos nicht gelingen wird, und dann werde ich keine andere Wahl haben, als dich von meinem Grundstück zu begleiten.« Sie schnaubte.
Ich war kein Fan von Eistee. Die Zähne schmerzten mir davon. Aber es fühlte sich nicht ungefährlich an, dies ihr gegenüber zuzugeben.
»Eistee wäre total toll«, sagte ich fröhlich.
Sie funkelte mich an und stapfte in die Küche, wo sie Gläser und eine Kanne Zuckerwasser herausholte. Sie stellte alles auf ein Tablett und trug es zur Schiebetür aus Glas. Ich schob sie für sie auf, was mir ein knappes Nicken einbrachte, und folgte ihr nach draußen.
Das war die Art von Erfahrung, die ich absorbieren und irgendwie in meine Dissertation einfließen lassen musste. Dieses Festhalten an Tradition und Etikette, während man sich gleichzeitig an der Grenze zur Unhöflichkeit bewegte. Es war faszinierend.
Ich fand mich auf einer abgeschirmten Veranda wieder, die zum funkelnden Wasser des Sees hinausging, an dem Scarletts Grundstück lag.
Meine Gastgeberin stellte den Tee auf einen kleinen Tisch für zwei. Ich stellte das Gebäck dazu, und wir setzten uns.
»Also, was zum Teufel willst du?«, fragte sie, während sie einschenkte. »Und denk nicht mal dran, mir auch nur eine einzige Frage über die Leiche zu stellen, die man diese Woche in New York gefunden hat.«
»Wie ich schon erwähnt habe, bin ich keine Reporterin.« Scarlett redete nicht um den heißen Brei herum. Das gefiel mir an ihr.
»Was du nicht sagst.« Sie griff nach einem weiteren Gebäckstück.
»Ich bin Doktorandin, keine Journalistin«, erklärte ich. »Ich arbeite an meiner Promotion in Sozialarbeit.«
Sie kaute und musterte mich dabei misstrauisch. Ich fühlte mich gezwungen, weiterzusprechen.
»Diese Referenzen, die Deputy Tucker gefunden hat? Das sind alles Artikel in Psychologiezeitschriften. Die akademische Welt legt sehr viel Wert auf Veröffentlichungen.«
»Dann bist du also keine dreckige Reporterin?«, wollte sie noch mal klarstellen.
»Nein, bin ich nicht«, bestätigte ich.
»Aber was willst du dann hier?«, fragte Scarlett, die sich sichtlich entspannte.
»Bootleg Springs hat es geschafft, eine rücksichtslose Meute Journalisten zu verjagen, und das in einer Zeit, in der sensationslüsterne Schlagzeilen das Einzige sind, was für die meisten Nachrichtenagenturen zählt. Diese winzige Stadt in West Virginia hat sich mit einigen der größten Publikationen und Blogs in dieser Gegend angelegt, und sie hat gewonnen.«
»Ja, verdammt, das haben wir.«
»Ich bin hier, um zu studieren, wie sich eure Gemeinde zusammengetan hat, wie eure sozialen Strukturen aussehen. Darüber schreibe ich eine Arbeit. Eine, die mir meinen Doktortitel einbringen soll.«
Scarlett nippte nachdenklich an ihrem Zahnweh-Tee. »Warum bist du dann genau da abgehauen, als Cassidy damit herausgeplatzt ist, dass du Reporterin bist?«
Ich blinzelte, weil ich mit dieser Frage nicht gerechnet hatte. Ich war keine gute Lügnerin. Aber ich wollte auch nicht, dass sich mein Privatleben in der ganzen Stadt herumsprach. »Ich musste mich um ein paar wissenschaftliche Dinge kümmern.« Das war nicht direkt gelogen. Ich hatte meinen wissenschaftlichen Betreuer aufgesucht. Nur dass auch noch andere Dinge auf meiner To‑do-Liste gestanden hatten. Dinge, die Scarlett Bodine meiner Meinung nach nicht zu wissen brauchte. Wie aufs Stichwort fing mein Rücken an zu schmerzen. Ich verlagerte ein wenig mein Gewicht auf dem Stuhl, um die Beschwerden zu lindern.
»Mm‑hmm«, meinte sie, während sie mich weiterhin wachsam ansah. »Warum machst du dich dann an Jonah ran? Was wolltest du von ihm, wenn es nicht um irgendwelche exklusiven Informationen über unseren Daddy ging?«
Mein Lachen überraschte uns beide.
»Ich fand ihn einfach süß«, gestand ich. So was von total süß.
»Natürlich ist er das. Alle meine Brüder sind süß. Du willst also damit sagen, dass du um des Flirtens willen mit ihm geflirtet hast?«
Ich nickte. »Ja, klar. Er ist so groß und hat diese wahnsinnig grünen Augen. Und ein wirklich schönes Lächeln.«
Halt die Klappe, Shelby, befahl ich mir. Ich spürte, wie ich rot wurde, weil ich bis über beide Ohren in Jonah Bodine verliebt war. Leider dachte er, ich sei eine miese, nichtsnutzige Was-auch-immer-man-hier‑im-Süden-sagte. Daher war es nicht notwendig, tatsächlich dieser Verliebtheit entsprechend zu handeln.
Ich war nicht unbedingt in der Position, mir einen Freund zuzulegen. Nach meinem Abschluss dann. Wenn ich den Rest meines Lebens auf der Reihe habe. Wenn ich mit dieser letzten Runde schlechter Nachrichten klargekommen bin. Aber vorerst konnte ich es ja genießen, Jonah aus der Ferne anzuhimmeln.
»Na schön. Warum bist du dann heute hergekommen? Außer um mir zu sagen, wie niedlich mein Bruder ist?«, wollte sie wissen, während sie ihren Stuhl nach hinten kippte. Der See glitzerte zwischen den Bäumen hinter ihr. Die frühsommerliche Brise blies warm durch die Abschirmung.
Ich holte tief Luft und wagte den Sprung. »Ich brauche eine Unterkunft. Das Gästehaus ist super und alles, aber ich brauche etwas Halbdauerhaftes, wo ich mich den Sommer über ein wenig ausbreiten kann.«
Scarlett schnaubte. »Was du nicht sagst. Die Bauarbeiten an unserem neuen Haus haben vor zwei Wochen begonnen, und ich zähle schon die Tage, bis Devlin einen Kleiderschrank, so groß wie ein Einkaufszentrum, hat, damit ich auf dem Weg zur Kaffeemaschine nicht dauernd über ein Dutzend Anzüge stolpere.«
»Glückwunsch«, erwiderte ich. »Wo du das gerade sagst – du kannst in Bootleg Springs fragen, wen du willst, wenn es um Immobilien oder Mietwohnungen geht, meinen alle, dass Scarlett Bodine die Ansprechpartnerin schlechthin ist.«
»Könnte sein, dass ich weiterhelfen kann«, sagte sie zugeknöpft. »Aber zuerst sollten wir Small Talk machen. Das gebietet die Höflichkeit.«
Scarlett: Kurze Frage an euch.
June: Warum kündigst du die Tatsache an, dass du eine Frage hast? Warum stellst du sie nicht einfach?
George: Was können wir für dich tun, Scarlett?
Scarlett: Deine Schwester. Shelby. Ist sie eine gemeingefährliche Irre, eine zwanghafte Lügnerin oder ein echt schlechter Mensch?
June: Ich finde diese Fragen besorgniserregend.
George: Shelby ist keins von diesen Dingen. Ich glaube, wenn du ihr einfach eine Chance gibst, wirst du sie echt mögen.
Scarlett: Würde ich sie als potenzielle Schwägerin haben wollen? Ich meine, könnte ich es ertragen, wenn sie für den Rest meines Lebens an Thanksgiving mit uns am Tisch sitzt?
June: Ich fühle mich nicht wohl mit der Richtung, in die diese Fragerei geht.
Scarlett: Sitzt ihr zwei etwa nebeneinander auf der Couch und schickt euch gegenseitig Nachrichten?
June: Wir versuchen gerade, unser Zeitfenster in den heißen Quellen auszunutzen. Du hast uns unterbrochen.
Scarlett: Tut mir leid, Juney! War nur so ein Gedanke, und ich muss wissen, ob ich es hinterher bereuen werde.
George: Ich habe es nie bedauert, sie als Schwester zu haben, falls das weiterhilft.
June: Mit welchem Bruder willst du sie denn verkuppeln?
Scarlett: Wer sagt, dass ich das vorhabe? Und jetzt entschuldigt mich bitte, ich habe eine neue Mieterin, die ich einweisen muss.
4
Was meint ihr? Ist der groß genug?«, fragte Bowie.
Ich spähte über seine Schulter. Bowie und ich waren im gleichen Alter, Halbbrüder mit einem gemeinsamen Vater, der uns auf unterschiedliche Weise enttäuscht hatte. Ich hätte erwartet, dass er das größte Problem mit mir hätte, als ich letztes Jahr in Bootleg Springs aufgetaucht war.
Doch es war Gibson gewesen, der Älteste von uns, dem es am schwersten gefallen war, mit mir warmzuwerden. Wenigstens wurde Gibson mit niemandem so richtig warm, deshalb nahm ich das nicht allzu persönlich.
Mit seiner üblichen schlechten Laune war es in den letzten paar Tagen noch bergab gegangen. Er hatte zu diesem Ausflug nicht mitkommen wollen und blickte gerade finster über Bowies andere Schulter.
»Geht es auch etwas größer?«, fragte er, während er sich die Stirn rieb, als wäre er lieber ganz woanders.
»Größe spielt definitiv eine Rolle«, stimmte Jameson zu, während er sich mit dem Ellbogen auf dem Glas abstützte. »Ein Auge sollte man schon damit ausstechen können.«
»Ja, aber Cassidy wird kein Riesending haben wollen, das sie in einer Schubkarre rumschieben muss. Nicht bei ihrer Arbeit. Du musst ihr etwas kaufen, was sie auch bei der Arbeit tragen kann. Etwas, das sie nicht daran hindert, einen betrunkenen Rasenmäherfahrer zur Strecke zu bringen oder Gram-Gram einzulochen«, merkte ich an.
Devlin beugte sich von rechts zu mir. »Jonah hat recht. Der hier steht zu sehr ab.«
»Sie sind hier die Expertin«, sagte Bowie zu der Frau vor ihm. »Ist der zu groß? Nicht groß genug? Steht er zu sehr ab?«
Die Juwelierin starrte uns mit großen Augen an. »Ähm, was macht Ihre künftige Verlobte noch mal?«
Bowie sang ein Loblied auf Cassidys Qualitäten als Deputy, und die Juwelierin verarbeitete diese neue Information. Sie nickte. »Ich habe da ein paar Ideen. Wenn Sie kurz warten würden, ich bin gleich wieder da.«
»Ich kann nicht fassen, dass du endlich einen Ring für Cassidy Tucker kaufst«, hänselte Jameson seinen Bruder.
Gibson schnaubte. »Ich dachte schon, die beiden Idioten schaffen es erst vor den Altar, wenn sie über achtzig sind.«
Mit den Händen in den Taschen meiner Shorts sah ich mich im Laden um. Wir waren extra nach Perrinville gefahren, damit Bowie nicht von irgendeinem großmäuligen Bootlegger verpetzt wurde.
Devlin beäugte ein Stückchen weiter eine Vitrine mit Ringen, die noch mehr glitzerten. »Scarlett hat gesagt, erst wenn sie dreißig ist«, rief ich ihm ins Gedächtnis.
»Ich werde dieser Frau in dem Moment, in dem sie dreißig wird, einen Ring an den Finger stecken«, sagte Devlin, der noch immer die Diamanten in der Vitrine musterte.
»Kann nicht schaden, sich schon mal ein paar anzuschauen«, meinte Bowie.
»Vielleicht bekommen wir einen Mengenrabatt, wenn wir ein ganzes Gebinde nehmen«, schlug ich vor.
»Willst du bei dieser Verlobungsaktion mitmachen?«, fragte mich Devlin.
»Nein danke. Das überlasse ich euch anderen.«
»Was ist los mit dir? Seit du hier aufgetaucht bist, hattest du kein einziges Date«, sagte Gibson. Er verschränkte die Arme und drehte der Vitrine voll gemeinsamer Zukunft den Rücken zu.
Ich würde nicht gerade behaupten, dass Gibs netter zu mir geworden war, je länger er mich kannte, allerdings wurde seine Neugier immer aggressiver.
Ich hätte ihm eine Antwort auf diese Frage geben können, doch ich hatte jede Menge von den Bodines gelernt. »Dasselbe könnte ich von dir sagen«, schoss ich zurück.
Bowie gluckste. »Gibs datet nicht. Alle paar Monate gabelt er bei einem seiner Auftritte irgendeine Glückliche auf, vögelt sie, bis sie etwas von dauerhafter Bindung von sich gibt, und zeigt ihr dann, wo die Tür ist.«
»Du machst nicht mal das«, erwiderte Gibson und ignorierte die Kritik unseres Bruders an seinem Sexleben.
Mein Gesicht musste irgendwie blöd entgleist sein, denn plötzlich schworen sich alle auf mich ein.
»Stehst du auf Typen?«
»Bist du verheiratet und versteckst dich hier vor deinem zänkischen Weib?«
»Bist du ein Mönch?«
»Diese Jeans betont deinen Hintern wirklich sehr schön«, sagte ich zu Jameson, der anerkennend schnaubte. »Doch keines dieser Szenarien trifft zu.«
»Was ist es dann?«, fragte Bowie.
Ich wollte diese Diskussion eigentlich nicht führen. Vor allem nicht mit einem Mann, der gerade einen Verlobungsring kaufte, um seine Zukunft zu besiegeln. »Ich war mit jemandem zusammen und dachte, es könnte etwas Ernstes daraus werden, und dann war … Schluss.«
»Sie hat dich verlassen?«
»Hattest du die Hosen voll?«
»Ist sie mitten in der Nacht aus deinem Bett gekrochen, hat deine Brieftasche gestohlen und die Stadt verlassen?«
Letzteres kam von Gibson, und wir warfen ihm alle einen langen prüfenden Blick zu. Er zuckte mit den Schultern. »Ich hab nicht gesagt, dass das mir passiert ist.«
»Das war seltsam spezifisch«, warf Devlin ein.
»Können wir jetzt bitte weiterhin Jonah auseinandernehmen?«, fragte Gibson.
»Richtig«, erwiderte Jameson, der sich allmählich für dieses Spiel erwärmte. »Ein Bruder nach dem anderen. Hast du dir per Post eine Braut bestellt, und die ist dann schreiend zurück nach Russland gerannt, als sie dein hässliches Gesicht gesehen hat?«
»Ihr seid echt schlimm. So richtig schlechte Menschen«, beharrte ich.
»Ich habe hier noch ein paar Optionen, die Ihnen vielleicht gefallen könnten«, sagte die Juwelierin, die mit einem Samtkissen voller glitzernder Klunker zurückgekehrt war.
»Einen Moment noch«, entgegnete Bowie. »Wir verhören gerade unseren Bruder. Gleich sind wir damit fertig.«
»Lassen Sie sich ruhig Zeit«, sagte sie liebenswürdig. Sie nahm ihre Brille ab und fing an, sie zu putzen, als wäre sie daran gewöhnt, dass Ringkäufer eine Pause einlegten, um Befragungen durchzuführen.
»Besser, du legst ein Geständnis ab«, warnte mich Devlin. »Ansonsten stülpen sie dir einen Sack über den Kopf und setzen dich unter eine nackte Glühbirne.« Er klang, als würde er aus Erfahrung sprechen.
Aber ich redete nicht gerne über Rene. Zu viele Gefühle kamen dann hoch, mit denen ich nie fertig werden würde. »Ihr wollt das nicht wirklich hören«, seufzte ich.
»Jetzt schon«, beharrte Gibson. Er nahm einen der Stühle vor der Schmuckvitrine, drehte ihn um und setzte sich hin, als würde er so lange warten, bis ich es ihm erzählte.
»Sie hieß Rene«, sagte ich widerwillig.
»Hat sie dich für deinen besten Freund verlassen, weil sie schwanger von ihm war?«, wollte Jameson wissen.
»Nein. Ich meine, sie hat mich tatsächlich verlassen, aber nicht wegen eines anderen.«
»Autsch. Das ist am schlimmsten. War es die übliche ›Ich muss mich auf mich selbst konzentrieren‹-Ansprache?«, fragte Bowie.
»Nein. Sie, äh … Wir waren erst eine kurze Zeit zusammen, da stellte sich heraus, dass sie …«
»Dass sie eigentlich ein Mann in einem Frauenkörper war?«, beendete Gibson den Satz. »Das ist mir mal passiert. Wir haben nicht miteinander geschlafen, falls du dich das jetzt fragst. Hatten nur ein paar Drinks.«
»Wie geht es Tony?«, fragte Bowie.
»Großartig. Lebt in Boise. Geht jedes Wochenende angeln. Zwei Kinder. Ich bekomme immer noch jedes Jahr eine Weihnachtskarte.«
»Zurück zu Rene«, sagte Devlin und führte uns damit wieder zu dem Thema, das ich gern gemieden hätte.
»Können wir noch mal auf Tony zurückkommen?«, fragte ich.
»Warum hat sie dich sitzenlassen?«, wollte Jameson wissen.
»Wir waren erst ein paar Wochen zusammen, als sie herausfand, dass sie krank war.«
»So was wie Kopfgrippe oder Herpes?«, fragte Bowie hoffnungsvoll.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Es war Krebs.«
»Shit«, sagte Gibson lapidar.
»Sie meinte, sie will nicht, dass ich das mit ihrer Krankheit auf mich nehmen muss«, erwiderte ich, während ich versuchte, die Erinnerung abzuschütteln. »Sie meinte, sie würde sich besser fühlen, wenn sie sich keine Gedanken darüber machen müsste, dass ich mir Sorgen um sie mache.«
»O Mann«, entfuhr es Jameson.
»Hast du später nie mit ihr darüber geredet?«, fragte Bowie.
Ich benetzte meine Lippen, weil ich diesen Teil der Geschichte hasste. »Sie, ähm … sie ist gestorben. Genau fünf Monate nach unserem ersten Date. Wir haben nicht zusammengelebt oder so. Haben nicht mal ›Ich liebe dich‹ gesagt. Aber ich dachte wirklich, das wäre etwas mit Zukunft, wisst ihr?«
Alle nickten düster.
Die Juwelierin schnäuzte sich geräuschvoll hinter dem Ladentisch. »Tut mir leid, dass ich gelauscht habe. Aber das ist eine so traurige Geschichte.«
»Mir war seitdem einfach nicht danach, jemanden kennenzulernen. Ich warte ab, bis es mir besser damit geht«, sagte ich zu ihnen.
Es steckte noch mehr dahinter. Meine Wut auf sie, weil sie mich ausgeschlossen hatte. Die Hilflosigkeit dessen, verdammt noch mal überhaupt nichts tun zu können. Die Tatsache, dass ich ihre Entscheidung nur akzeptieren konnte, sonst nichts. Zum letzten Mal traf ich sie auf einen Kaffee, direkt vor der ersten der Behandlungen, die einen letzten Ausweg bieten konnten. Sie hatte meine Hand gehalten und mir »Glück mit allem« gewünscht, als wäre ich kaum mehr als ein Fremder für sie. Als ich sie zum nächsten Mal sah, lag sie in einer Kirche und wirkte, als würde sie schlafen.
Zwei Wochen später hatte ich Jonah Bodines Todesanzeige gesehen, und Bootleg Springs klang allmählich wie eine gute Idee.
»Wollen wir nun zum Ringkauf zurückkehren?«, fragte ich heiser.
Devlin drückte meine Schulter. Jameson boxte mir gegen den Arm. Bowie zog mich einarmig an sich und ließ mich dann wieder los.
Gibson nickte mir knapp zu und gab mir einen Rat. »Vielleicht solltest du Scarlett nichts davon erzählen. Sonst setzt sie sich in den Kopf, dass du eine Frau brauchst.«
Alle schauderten. »Wenn sie auch nur eine Ahnung davon bekommt, dass du dieses traurige, ungeliebte Hundebaby bist, wird sie jede einzelne Junggesellin der ganzen Stadt bei dir anschleppen«, stimmte Bowie zu.
»Ich bin kein trauriges, ungeliebtes Hundebaby«, widersprach ich.
»Wollen Sie vielleicht einen Drink?«, fragte mich die Juwelierin, ihre Augen glitzerten hinter den Brillengläsern. »Meine Wohnung ist nur ein paar Blocks entfernt, und ich habe eine Kiste echt guten Wein.«
»Uh, danke. Vielleicht ein anderes Mal?«, sagte ich zu ihr.
Bowie hatte Mitleid mit mir und wechselte das Thema. »Jame, bist du dabei?«, fragte er, während er mit einer Handbewegung die Ringe auf der Theke einschloss.
Jameson zuckte mit den Schultern. »Nah.«
»Du denkst nicht daran, ihr einen Antrag zu machen?«, fragte ich überrascht. So wie er seine Freundin Leah Mae ansah, wirkte das ganz anders.
»Oh, ich werde ihr einen Antrag machen. Und zwar besser als diese beiden Anfänger hier. Ich habe mal mit einer Goldschmiedin zusammengearbeitet. Sie hilft mir dabei, einen ganz persönlichen Ring anzufertigen. Einen Teil der Arbeit kann ich sogar selbst erledigen.«
»Ach, leck mich«, beklagte sich Bowie. »Gibt es hier auch größere Diamanten?«
Frage: Wenn Sie auf einer Party sind, halten Sie sich dann bevorzugt in der Mitte des Raumes oder eher am Rand auf?
OPAL BODINE: Hängt davon ab, wo sich die Bar und die Snacks befinden.
5
Hey, Mom«, meldete ich mich am Telefon, während ich den Wagen in das Städtchen lenkte.
»Na, wenn das nicht mein lang verlorener Sohn ist, der da endlich mal an sein Handy geht«, scherzte meine Mutter durch die Freisprechanlage. Sie war nicht gerade begeistert gewesen von meinem plötzlichen Wunsch, quer durch das Land zu ziehen, um meine Halbgeschwister kennenzulernen. Doch ihr Wunsch, mich zu unterstützen, hatte gesiegt. Widerwillig hatte sie meinen Umzug akzeptiert, doch ich war schon so lange hier, dass sie bereits Andeutungen machte, ich solle wieder zurückkommen.
»Ich habe dir gestern eine E‑Mail geschrieben«, sagte ich trocken.
»In vierundzwanzig Stunden kann eine Menge passieren. Du könntest ein Mädchen kennengelernt haben. Du könntest endlich aufgehört haben zu versuchen, einen Südstaatenakzent anzunehmen, und beschlossen haben, nach Hause zu kommen. Du könntest ein altes Mütterchen davor bewahrt haben, dass ihr ein Dieb die Handtasche wegreißt.«
»Genau null von diesen Dingen sind passiert, Mom.«
Ich hielt für Mona Lisa McNugget an, die über die Rum Runner Avenue stolzierte. Ich lebte in einem Städtchen, in dem es ein frei laufendes Huhn gab. Das war immer noch neu für mich.
»Was machst du gerade?«, wollte meine Mom wissen.
»Zusehen, wie das Stadthuhn die Straße überquert.«
Sie lachte. »Ich kann mich bei der Hälfte der Dinge, die du mir erzählst, nicht entscheiden, ob du mich auf den Arm nimmst oder ob Bootleg Springs wirklich so verrückt ist, wie es klingt.«
Ich beobachtete, wie Minnie Faye in einem grünen Sweatshirt, auf das schielende Kätzchen gestickt waren, einer streunenden Katze nachjagte, die um zwei geparkte Autos herumschlich.
»Komm zurück, du flauschiges Ding«, schrie sie, während sie an mir vorbeischnaufte.
»Das habe ich gehört«, sagte Mom. »Und ich will es gar nicht wissen.«
»Weise Entscheidung. Was willst du denn wissen?«
»Deine E‑Mail besagt, dass du wieder umgezogen bist. Wohin dieses Mal? Zu einem Penner in einen Pappkarton auf dem Marktplatz? In eine Villa zu einem eklektischen Millionär, der eine Fantasiesprache spricht?«
»Sehr lustig, Mom. Ich habe dieses Mal meine eigene Wohnung«, erwiderte ich. Ich erzählte ihr nicht, dass ich aus Kartons lebte. Es hatte keinen Sinn, sie auszupacken, wenn ich sie aus was für Gründen auch immer ohnehin wieder einpacken würde.
»Kein Mitbewohner?«, fragte sie.
»Nein, nur ich. Ich kann nackt am Esstisch sitzen und mir die Zähne mit Zahnseide pflegen, wenn ich will.«
»Zahnhygiene ist wichtig«, sagte sie milde. »Schick mir Fotos, damit ich sicher sein kann, dass du nicht am Busbahnhof in einem Schließfach wohnst. Vom Haus. Nicht davon, wie du nackt deine Zähne pflegst.«
»Mach ich«, versprach ich. »Was gibt es bei dir Neues?«
Sie erzählte mir von den Kunden, die heute im Diner gewesen waren, und von der neuen Deko, die Phyllis, die Nachbarin gegenüber, zu Ehren des Flag Days in ihrem Garten installiert hatte.
Wir sprachen einmal pro Woche am Telefon oder per Videochat, E‑Mails schrieben wir uns öfter. Meine Mutter war lustig, klug und – meiner Meinung nach – viel zu gut für das Leben, das auf ihr lastete. Mein Vater – möge er in Frieden ruhen, wie sie in Bootleg Springs reflexartig hinzufügten – ließ die Collegestudentin Jenny Leland schwanger und partnerlos zurück. Sie gab ihren Traum von einem Abschluss in Psychologie auf und fing an zu kellnern. Sie kaufte in Garagenverkäufen und Secondhandläden ein, schnitt Coupons aus und baute für uns beide eine glückliche Von-der-Hand‑in-den-Mund-Existenz auf.
Am Ende bediente sie in einem Diner, in dem die Besitzer sie wie eine Familienangehörige behandelten. Ich hatte einen großen Teil meiner Kindheit dort in einer Nische oder eingerollt in dem schrankgroßen Büro verbracht. Inzwischen war sie dort Managementassistentin, schob jedoch immer noch Schichten, damit ihre Stammkunden glücklich waren. Das verschaffte ihr einen respektablen Lebensunterhalt. Aber ich wollte mehr für sie. Sie hatte mehr verdient.
Und sobald ich dort ankam, wo immer ich ankommen sollte, würde ich dafür sorgen, dass sie dieses Mehr bekam.
Nachdem sie mir ein weiteres Versprechen entlockt hatte, ihr ein Bild von meiner neuen Wohnung zu schicken, legten wir auf. Ich grinste vor mich hin, weil ich wusste, dass sie sich in das kleine gelbe Haus verlieben würde. Scarlett Bodine war ein Immobilienhai und eine durchtriebene Verhandlungsführerin. Ich hatte nachsehen müssen, ob ich mein Hemd noch anhatte, als wir fertig waren, über die Miete zu streiten.
Das Herumstreiten hatte sich angefühlt, als würde ich zur Familie gehören. Ebenso die Einladung zum Ringkauf, wie mir auffiel, während ich auf den Kiesweg abbog, der sich durch den Wald schlängelte. Devlin und Bowie hatten Ringe mit so großen Diamanten ausgesucht, dass sie es mit der Vorstellung von Jamesons individuell zugeschnittenem Design aufnehmen konnten. Die Juwelierin hatte die Einkäufe fröhlich eingetippt, während Jameson mit einer Skizze von Leah Maes Ring herumgeprotzt hatte. Gibson und ich, vereint auf dem gemeinsamen Nenner, glückliche Singles zu sein, grunzten und nickten anerkennend.
Es war nicht so, dass ich Verbindlichkeiten aktiv mied. Aber wenn ich mir meinen Lebensstil so ansah – ein Geschäft ohne festen Sitz und eine Mietwohnung für drei Monate, die ich von sechs heruntergehandelt hatte –, kam ich ins Nachdenken.
Die meisten meiner Halbbrüder schienen es darauf anzulegen, Wurzeln zu schlagen. Zu heiraten, sich niederzulassen. Aber ich wartete immer noch auf … etwas.
Zwischen den Bäumen kam das Haus in Sicht. Es war ein Cottage mit zwei Schlafzimmern. Die Räume waren klein, die Fenster riesig und luden den Wald praktisch nach drinnen ein. An windigen Tagen konnte ich einen Blick auf das Glitzern des Sees durch das Laub erhaschen. Das Beste war der Uferpfad, der direkt über das Anwesen führte, bequem gelegen zum Joggen.
Ich dachte darüber nach, zusammen mit der Laufgruppe, die ich organisiert hatte, nach der Joggingrunde hier zu kochen. Ich fand die Idee gar nicht so schlecht. Bier, ein Grill, mit netten Leuten eine gute Zeit verbringen.
Als ich um das Haus herumfuhr, stellte ich fest, dass ich nicht allein war. Die Haustür stand weit offen, und zwei Fahrzeuge parkten auf dem Ring aus Kies bei der Veranda. Eins davon war Scarletts Pick‑up.
Ich parkte dahinter und stieg aus, als sie gerade die Stufen der vorderen Veranda heruntergehüpft kam. Fröhlich winkte sie. »Hey, Jonah! Ich hab mich schon gefragt, wann du zurückkommst.«
Sie zog einen Karton von der Ladefläche ihres Trucks, und ich nahm ihn ihr ab. »Ziehst du mit ein?«, fragte ich.
»Nicht ich. Aber wenn Devlin glaubt, er könnte auch nur noch ein einziges weiteres Paar Schuhe mit nach Hause bringen, schmeiße ich ihn womöglich raus, bis die Bauarbeiten erledigt sind.« Sie zwinkerte, und ich wusste, dass hinter ihren Scherzen nichts als Liebe steckte. Ich hatte das Gefühl, als würde sie über den Diamanten, den er heute gekauft hatte, in Ekstase geraten.
Sie hatte die Frage nicht beantwortet, die ich ihr indirekt gestellt hatte.
»Also, was machst du dann da?«, hakte ich nach, während ich einen Karton vom Truck nahm und ihr damit die Verandastufen hinauf folgte.
»Ich helfe deiner neuen Mitbewohnerin beim Einzug«, sagte sie munter.
Ich verpasste eine Stufe und schlug mit dem Schienbein gegen die Veranda. »Meiner was?« Ich zuckte zusammen.
»Hey, Scarlett, willst du die Kaution jetzt haben oder … oh, hi, Jonah. Komm doch rein.«
Shelby Thompson – oder laut Cassidy Tucker die ausgebuffte Reporterin Shelby Thompson – stand in meiner Haustür, lächelte mich an und bat mich in mein eigenes verdammtes Zuhause. Sie war klein, hatte Kurven und lächelte ständig. Sie hatte dickes braunes Haar und einen schweren Pony, der ihre großen Augen umrahmte. Grün und Braun ließen mich an den Waldboden denken. Cremefarbene Haut, dichte Augenbrauen. Sie war hübsch auf eine Das-Mädchen-von-nebenan-Art.
Bis sie lächelte. Dann merkten die Leute, dass sie mehr als nur hübsch war.
Natürlich konnte nichts davon die Tatsache wiedergutmachen, dass sie zu der Horde Journalisten gehört hatte, die wie die biblische Heuschreckenplage in Bootleg Springs eingefallen waren, um über diesem ganzen Callie-Kendall-Fall ein Stück von den Bodines abzubekommen. Sie hatte mit mir geflirtet, und ich hatte zurückgeflirtet. Ich war sauer, weil sie glaubte, sie könnte durch mich an den Rest der Familie rankommen. Dass ich irgendwie das schwache Glied war.
Außerdem war ich sauer, weil sie es irgendwie geschafft hatte, in der Stadt wieder gut angesehen zu sein, dass man einfach davon ausgegangen war, dass wir vergeben und vergessen.
»Jetzt, wo ihr beide da seid, können wir über das Arrangement sprechen«, sagte Scarlett und führte uns nach drinnen.
Shelby runzelte die Stirn. »Das Arrangement? Ich dachte, alles wäre besprochen.«
»Was macht ihr zwei in meinem Haus?«, wollte ich wissen, während ich den Karton auf der Veranda fallen ließ.
»Deinem Haus?« Shelby blinzelte und sah Scarlett an.
Scarlett gab ihr teuflisches Südstaatenmädchenlächeln zum Besten, das sie als Meisterin der Manipulation auswies. »Das sind so gute Neuigkeiten für euch beide«, sagte sie, während sie die Hände vor der Brust faltete.
Ich wusste gleich, es wäre schlimm.
»Jonah, erinnerst du dich, dass du, als du den Mietvertrag unterschrieben hast, zugestimmt hast, dass ich notfalls das zweite Schlafzimmer vermieten kann?«
Ich erinnerte mich vage an so etwas. Doch Scarlett hatte Selbstgebrannten ausgeschenkt, als sie die Unterlagen durchgegangen war, und alles war ein wenig unscharf geworden. So unscharf, dass Devlin mich hatte nach Hause fahren müssen.
»Das weiß ich nicht mehr«, wich ich aus.
»Ich schicke dir eine Kopie des Mietvertrags per E‑Mail und markiere die relevante Passage«, versprach sie. »Bis dahin kannst du ja deiner neuen Mitbewohnerin schon mal Hallo sagen!«
»Moment mal«, begann Shelby. »Er wohnt hier?«
»Und du jetzt auch.« Scarlett warf ihr einen Schlüssel zu. »Ist das nicht großartig?«
Shelby ließ den Schlüssel fallen, und als sie ihn aufhob, schien sie langsam. »Du hast nichts davon gesagt, dass Jonah hier lebt.«
»Ich habe so das Gefühl, als würdet ihr miteinander auskommen wie zwei Würstchen im Schlafrock.«
»Wovon zum Teufel redest du da, Scarlett? Außerdem sollte ich ein Mitspracherecht haben, mit wem ich ein Haus teile«, unterbrach ich sie.
»Na, weißt du, Würstchen im Schlafrock sind …«
»Scarlett Bodine, du führst doch was im Schilde«, sagte ich und zeigte mit dem Finger auf sie.
Sie war immun gegen meine Strenge. »Ich dachte, ihr zwei würdet euch freuen wie die Schneekönige. Jetzt braucht ihr nur noch für die Hälfte der Miete aufzukommen.«
»Mit ihr wohne ich nicht zusammen«, entgegnete ich.
»Sie hat einen Namen. Er lautet Shelby, und ich bin auch nicht erpicht darauf, deine Mitbewohnerin zu sein.« Shelby verschränkte die Arme. Durch ihre Brille hindurch sah sie mich missbilligend an.
»Scarlett, kann ich kurz draußen mit dir reden?«, sagte ich, während ich meine Schwester am Arm packte und zur Tür schleifte. Sie war mir anscheinend gewogen, da sie nicht zum Schlag ausholte oder versuchte, mir in die Eier zu treten.
Ich ließ die Fliegengittertür hinter uns zufallen. »Was spielst du da für ein Spiel?«
»Spiel?« Sie schnappte nach Luft. »Jonah Bodine junior, wie kannst du es wagen, zu unterstellen, dass ich eine Art Spiel spiele, wo ich dir dieses Haus zu einem Rabatt überlassen habe. Ich stelle die Familie über das Geschäft, und du erwartest was von mir? Dass ich das Geldverdienen ganz einstelle? Würdest du dich dadurch besser fühlen, Jonah? Echt jetzt?«
Sie stach mir in die Brust, und ich trat einen Schritt zurück.
»Ich erwarte nicht von dir, dass du kein Geld verdienst …«
»Genau so hört es sich aber gerade an. Es klingt, als würdest du versuchen, meine Großzügigkeit auszunutzen. Ich hätte dir dieses Haus nicht vermieten müssen, oder?«
»Nein, aber …«
»Und du erwartest auch nicht von mir, dass ich mein Geschäft aufgebe und aufhöre, zahlende Mieter in meinen Häusern unterzubringen, oder?« Sie trat einen Schritt auf mich zu. Sie war fast dreißig Zentimeter von mir entfernt, doch ich war Manns genug zuzugeben, dass mir meine Schwester höllische Angst einjagte.
Sie war unberechenbar. Und das machte sie gefährlich. Außerdem biss sie.
»Nein, aber …«