Goethes schöne Mailänderin - Jens Korbus - E-Book

Goethes schöne Mailänderin E-Book

Jens Korbus

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Beschreibung

Im Oktober 1787 lernte Goethe auf seiner Italienreise in Castel Gandolfo die schöne Mailänderin Maddalena Riggi kennen. Es entstand, bei Spiel und Englischlernen, eine „wechselseitige Gewogenheit“. Maddalena war versprochen. Das Geschwätz machte Runde. Zwei Monate später löste der Bräutigam die Verlobung, und Maddalena wurde schwer krank. Im Februar 1788 begegnete Goethe ihr zufällig in der Kutsche Angelica Kauffmanns im römischen Karneval. Vor seiner Rückkehr nach Deutschland kam es noch einmal zu einer Begegnung. Eine Novelle um spontanes Aufflammen einer Liebesbeziehung, deren Zerstörung und einen Abschied zweier Menschen, die sich noch nahestanden.

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Dem Künstler Hanns Lansch gewidmet

Maddalena Riggi (‚Die Schöne Mailänderin‘) nach einem Gemälde von Angelica Kauffmann

ER WAR jetzt ein Jahr in Italien. Nach der Schiffsreise nach Sizilien, ein zweites Mal in Rom. In dieser Stadt, die ihn zu sich selbst und zu seinem Künstlertum zurückgebracht hatte. Reiffenstein, der Kunstfreund und Archäologe, Freund Winckelmanns, Hackerts und Angelica Kauffmanns, hatte ihn in seine Sommerresidenz in Frascati, nicht weit von Rom, eingeladen. Er hatte dort gezeichnet und kartiert, getuscht und Farbe aufgetragen und Carl Philipp Moritz sein Pflanzensystem erklärt. Das hatte ihn bewogen, das System auch für sich selbst aufzuschreiben. Er hatte viel gearbeitet, und dann war er von Frascati für einen Tag nach Albano gegangen und war von dem englischen Kunsthändler und Bankier Thomas Jenkins in dessen Sommerresidenz nach Castel Gandolfo eingeladen worden, in die Villa Torlonia, ein weitläufiges Prachtgebäude, das einmal einem Jesuitengeneral gehört hatte. Hier hatte er herrliche Sommertage verlebt, Castel Gandolfo lag dreißig Meilen südöstlich von Rom. Die Fahrt über die Via Appia war eine Kleinigkeit gewesen. Der Albaner See lag gleich nebenan. In dieser kleinen Stadt, die zur italienischen Region Latium gehörte, lag auch die Sommerresidenz der Päpste. Genau das Richtige für ihn! In Frascati hatte es ihm nicht so gut gefallen wie hier. Aber der großzügige Park rund um die Villen des römischen Adels war schön. Man konnte sich gut darin ergehen. Die Frauenfiguren aus Ton, die es dort zu kaufen gab, hatten drei Brüste, zwei für die Milch und eine für den Wein. Auch der Glockenturm San Rocco aus dem Jahre 1305 in der Altstadt hatte ihn fasziniert. – Die Villa Torlonia mit dem vorgebauten, großen Wasserbecken zum Kühlen. Aber es war ja Herbst. Dahinter die romanischen Bögen der Villa.

Die Stadt war schon bei den Römern ein Treffpunkt reicher Familien gewesen. Auf dem Markt lagen dicke Schinken in der Auslage, an den Decken hingen in langen Reihen Salsiccia, geräucherte Würstchen. Die Buden hatten dort Spanferkelscheiben auf Holzofenbrot angeboten. Essen war doch, neben der Sinnlichkeit, der Sinn des Lebens. Er hatte sich in Castel Gandolfo gleich mit Jenkins angefreundet, der sein Büro genau gegenüber seiner römischen Wohnung auf dem Corso hatte. Auch seinen redlichen Commis Carlo Ambrogio Riggi mochte er. Der hatte, aus Mailand stammend und in Rom ansässig, seine schöne junge Schwester Maddalena in die erlesene Gesellschaft eingeführt. Angelica Kauffmann, die begabteste Malerin Deutschlands hatte sie im Jahr 1795, also acht Jahre nach der Begegnung mit Goethe, gemalt. Das Bild zeigte sie in ihrer Üppigkeit noch schöner. – Der volle Busen halb entblößt, ein Ärmel ihres Kleides war linker Hand halb heruntergerutscht. Schöne, ziselierte Armringe um die beiden Handgelenke. Das volle, hellbraune Haar mittellang, keine Ohrringe. Den Kopf zur Seite geneigt, nicht den Betrachter anblickend. Das volle Gesicht in stolzer Selbstgefälligkeit nach innen. Ein kleiner Fettansatz unter dem Kinn. Augen und der üppige Mund im stolzen Wechselspiel. Sie war jetzt dreißig und schon sieben Jahre mit Volpato verheiratet. 1803 würde sie, nach Volpatos Tod, Francesco Fiaucci heiraten. Von der jugendlichen Ausstrahlung mit zweiundzwanzig gibt es kein Bild. Aber das „Anfragende“ ihres Wesens sieht man auf dem Bild von 1795 noch immer. Sie hatte braune Augen, wie Goethe selbst.

Man lebte gegen Ende des 18. Jahrhunderts, und die aufgeklärte Oberschicht, zu der Goethe auch gehörte, besonders aber der Adel, hatten ein ganz anderes Verhältnis zur Frau als das 19. Jahrhundert oder wir heute. Begabte Frauen, wie Angelica Kauffmann, waren vollkommen gleichberechtigt und suchten sich auch ihre Partner selbst aus. Im Adel war es üblich, dass nach der Zwangsehe und den Kindern Liebhaber genommen wurden. Von beiden Seiten. Maddalena Riggi kam aus der unteren Mittelschicht und war von Mailand nach Rom gegangen, weil sie durch ihren Bruder Carlo und dessen Arbeitgeber Thomas Jenkins leichter Verbindungen zur Oberschicht anknüpfen konnte, um „nach oben“ zu heiraten. Über ihren „Bräutigam“, der sich nach zwei Monaten zurückzog, ist nichts bekannt. Aber Goethe wäre eine willkommene Partie gewesen. Und Goethe hätte sie, die seinen Belehrungen so zugänglich wurde, bestimmt nach Deutschland mitgenommen. Er war ja mit Christiane Vulpius noch weiter unter seinem Stand geblieben. Aber Christianes Familie hatte mehr Gelehrte hervorgebracht als die ganze Familie Goethe.

Dieser Fremde, mit dem markanten Gesicht, zog sie an. Natürliche Haarfarbe, dunkelbraun wie ihre. Braune Augen und ein feingebildetes Ohr. Deshalb konnte er so gut zuhören. Über der Stirn wurden die Haare allerdings schon etwas licht. Das kam schon bei jungen Männern vor. Der Blick geradeaus, halb nach oben gerichtet. Zu den Göttern. Die Augenbrauen gerade. Die Nase fast markant, mit einem winzigen Höcker. Kleine rote Äderchen auf der Nase und den Wangen vom Wein. Das Kinn mit einem Grübchen in der Mitte. Die Lippen, kein bisschen sinnlich. So einer würde nicht nur an ihrem Körper Gefallen finden, sondern auch an ihrer bildungshungrigen Seele. Das war ein Mensch, der zu befehlen gewohnt war, der sich aber trotzdem einordnen konnte. Angelica Kauffmann hatte ihn auch gemalt. Er sah, so sagte er selbst, sich darauf kein bisschen ähnlich. Es ist immer ein hübscher Bursche, aber keine Spur von mir! Sein Gesicht hatte auf diesem Bild etwas Zurückgenommenes, Spitzmäusiges. So schüchtern, wie er auf dem Bild blickt, kann er im Leben gar nicht gewesen sein. Eher wirkt er dort wie ein Bübchen. Aber ein widerspenstiges! Angelica Kauffmann mochte Maddalena, und diese hatte auch einen Zugang zu der Frau gefunden, die so in sich selbst ruhte. Angelica war hier zum Mittelpunkt der italienischen und deutschen Kultur geworden. Alle wollten von ihr porträtiert werden. Und tatsächlich sahen alle Leute, die Angelica gemalt hatte, ihr selbst irgendwie ähnlich.