Ob's Unrecht ist, was ich empfinde - Jens Korbus - E-Book

Ob's Unrecht ist, was ich empfinde E-Book

Jens Korbus

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Beschreibung

Charlotte von Stein war zehn Jahre lang die engste Freundin Goethes in Weimar. Bis die Beziehung nach seiner Italienreise zerbrach. Goethe sah sich mit ihr als "verheurathet" an. Sie war mit einem anderen verheiratet. Der Mönch Dietmar erzählt ihre Geschichte jenseits aller gängigen Klischees.

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Seitenzahl: 56

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Die Geschichte der Charlotte von Stein

Inhaltsverzeichnis

MARIA MAUCH

LIEBE

FREUDE, LEID

ENTWICKLUNG

GEHEIMNISSE

BILLETS

WEIMAR

VERBORGENES

BEISAMMEN

GLAUBEN, LEBEN

KLOSTERALLTAG

BEZIEHUNGEN

WOLKEN

HEIMSTATT

Nachwort

MARIA MAUCH

Wenn man vom Blockhaus-Restaurant über den Campingplatz vom Mauchsee-Ufer in der Eifel zurück zum Parkplatz am Kloster geht, sieht man das Klostergebäude wie ein Schlösschen in der Ferne des Nachmittagslichtes liegen. Erst verschwindet es noch hinter Wiesen, Bäumen, Knüppelzäunen und grasenden braun-weiß-gefleckten Kühen, dann sieht man weit hinten die Türme über die Baumgipfel ragen. Ich weiß nie so recht, welches der Nordturm ist. Spaziergänger gehen in langen Reihen Hand in Hand oder mit Rucksäcken diesen meditativen Weg, und wenn es nicht zu viele sind, ist es, zumindestens im Frühjahr oder Sommer, ein Erlebnis. Bald sieht man rechts das Seehotel – für seine Forellen berühmt – und auf den abgetrennten Arealen, wo die Kühe schon gegrast haben, wirkt das Gras dunkler. – Das Kloster ist fast tausend Jahre alt, und manchmal mache ich mir das Vergnügen, den Weg am See entlang zum Blockhaus-Restaurant und zurück in meiner Mönchskutte zu wandern. Nicht um dem Klosterleben zu entkommen, sondern um etwas von der Ruhe und Heiterkeit der Spaziergänger mitzunehmen. Denn sonst lebe ich nach der Benediktiner-Regel „ora et labora“. Die Benediktiner-Abtei Maria Mauch wurde im Jahr 1093 gegründet. Sie blühte in der Salier-Zeit unter den Äbten Gilbert, Albert und Gregor auf. 1802 wurde sie von den Franzosen nach der Französischen Revolution aufgelöst, säkularisiert, wie man damals sagte. Napoleon wollte keine Klöster. Schon Danton und Robespierre waren der Adel und der geistliche Stand fremd gewesen. Das Inventar wurde von den französischen Kommissaren peinlich genau aufgelistet und enteignet. Die beweglichen Dinge wurden danach in meine Heimatstadt Koblenz, der Hauptstadt des Rhein-Mosel-Departements versteigert und brachten hohe Gewinne. Erst 1892 konnte der Prior Willibrod nach einer Audienz bei Wilhelm II. das Kloster wieder in Besitz nehmen. Insgesamt leiteten es einundvierzig Äbte. Wir haben eine große Gärtnerei, eine Buchhandlung, einen Kunst-Verlag, einen Bootsverleih, Fischfang, Obstbau, Biobauernhof sowie verschiedene Handwerkerbetriebe. Auch ein großes Hotel ist da, wenn man die Ruhe und Abgeschiedenheit am Maar genießen will. Das Klostergebäude wird von der Klausurmauer umschlossen. Aber ausbüchsen will keiner. Wohin auch, wozu auch? Alle Räume des Klosters sind um den Kreuzgang angeordnet. Die wichtigsten Gemeinschaftsräume liegen im Erdgeschoss. Auf der Südseite liegt das Refektorium, der Speisesaal. Bei den Lesungen während der Mahlzeit stehen meistens die Leiden der Märtyrer an. Ich gehe gerne in den Kreuzgarten hinter dem Klostergebäude, meditiere über die schönen romanischen Rundbögen. Gebet und Arbeit prägen meinen Tagesablauf. Die hohe, offene Bibliothek mit den haushohen Holzregalen und der gusseisernen Wendeltreppe stammt schon aus dem 19. Jahrhundert. Durch die Säkularisation gingen die meisten der alten Bände und Handschriften verloren. Die Bibliothek zählt heute circa zweihundertsechzigtausend Bände. Hier sitze ich an meinem Schreibpult und forsche und arbeite. Ich stamme aus dem ärmsten Stadtteil von Koblenz, Koblenz-Lützel. Und nach dem Hauptschulabschluss sah meine sechsköpfige Familie keine andere Möglichkeit, als mich ins Kloster zu geben. Ich wollte es damals auch, denn etwas in meinem Inneren hatte mich schon immer zur Spiritualität hingezogen. Während meiner Forschungen über eine neue, strengere Auslegung des Neuen Testaments habe ich die Schriften Goethes im Regal gefunden und mich in sie vertieft. Ja, ich wurde geradezu fortgerissen. Goethe fing an, mich zu beschäftigen. Besonders seine Beziehung zu Charlotte von Stein. Meine Mutter hieß auch Charlotte, vielleicht kommt es daher. – Die Geschichte dieser Beziehung ist so abenteuerlich, dass sie mich, einen Mönch, der die Freuden der seelischen und körperlichen Liebe zu einer Frau nie erlebt hat, immer wieder aufzuwühlen begann. Und ich musste es versteckt tun. Mein Forschen darüber gilt hier als Sünde.

LIEBE

Ich versuche mir vorzustellen, wie Goethe und Frau von Stein, ich sage besser Charlotte, miteinander umgegangen sind. Goethe, mit nichts als dem Götz und dem Werther im Gepäck und im Nimbus, muss sich gleich nach seiner Ankunft in Weimar, am 7.11.1775 an Charlotte angeschlossen haben. Am 11.11.1775 begegnete er ihr zum ersten Mal in ihrem Wohnhaus in der Scherfgasse. Was bringt überhaupt mich, einen Klosterbruder, mich in eine weltliche, sündige, ehebrecherische Beziehung vor fast zweihundertfünfzig Jahren einzumischen? – Von dieser ungeklärten Liebesbeziehung ging ein solcher Magnetismus für mich aus, dass ich begann, auf eigene Faust nachzuforschen und meinen Klosterbrüdern gegenüber Schweigen zu bewahren. Ich kannte mit vierzehn in der neunten Klasse ein Mädchen, das Anastasia hieß. Aber bis auf ein paar flüchtige Gespräche auf dem Pausenhof sind wir uns nicht nähergekommen. Ob Goethe vor Charlotte von Stein die Freuden der körperlichen Liebe genossen hat, habe ich bei meinen Forschungen schwer herausgefunden. Ich denke, bei seinen früheren Freundinnen, Käthchen, Gretchen, Friedericke und Lilli hatten sie keine Rolle gespielt. Aber sicher mit Charlotte von Stein. Soweit bin ich inzwischen mit meinen Forschungen gediehen. Als er ihr im Dämmerlicht des späten Nachmittags in ihrem Haus zusammen mit dem Herzog gegenübertrat, muss es wie ein Körperschlag gewesen sein. Sie war sich auf den ersten Blick ganz sicher: Der würde noch ihr Alter verschönen, den würde sie lebenslang an sich binden, mit ihrem Geist, ihrem Esprit, ihrer Klarheit, ihrem Wissenshunger, ihrer Lebenskenntnis und wenn es sein musste, auch mit ihrem Körper. – Sie wusste nicht, wie sehr sie sich irren sollte.

Sie hatte doch einen schönen Mann. 1775 hatte ihn ein Künstler in Öl gemalt. So wie er aus dem Halbdunkel mit verschleiertem Blick auf die Betrachter schaute! – Stolz, auch etwas verbittert und zurückgenommen. Ein feines, ätherisches, fast vergeistigtes Gesicht mit müden Augen, starken Augenbrauen und weitzurückliegendem Haaransatz. Jemand, der sich seines alten Adels bewusst war, der aber sein Gegenüber auch einzuschätzen wusste. Ich kann mir vorstellen, dass er sich sogar ab und zu mit seiner Frau gestritten hat.

„Was hast du bloß? Was habe ich dir eigentlich getan? – Ich bin doch sowieso fast das ganze Jahr unterwegs!“

„Nichts, gar nicht!“ Und dabei dachte sie: Er kann die Begriffe nicht richtig im Kopf zusammensetzen. Goethe kann es. Ich brauche einen Liebhaber. Knebel ist nur zur Freundschaft fähig. „Es bleibt alles beim Alten!“ sagte sie. „Über alles andere können wir uns unterhalten, wenn du mit dem Herzog wieder zurück bist!“ Es sieht alles so aus, als sei sie froh, dass sie mich los ist, wird er gedacht haben. Woher ich, ein Mönch, der nie einer Frau nahe gekommen ist, das alles wissen will? Ich vertraue einfach auf meine Empathie, und die benutze ich auch hier im Kloster gegenüber den anderen Brüdern, damit man mich in Ruhe lässt.