Gott wieder finden und warum es gar nicht nötig ist, ihn zu suchen - Zacharias Heyes - E-Book

Gott wieder finden und warum es gar nicht nötig ist, ihn zu suchen E-Book

Zacharias Heyes

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Beschreibung

Wer sich auf die Suche nach Gott machen möchte, dessen Aufgabe ist es gar nicht so sehr, ständig im Suchmodus zu laufen, sondern in der inneren Bereitschaft von Gott gefunden zu werden und ihn mitten unter den Menschen zu finden. Dieses Buch möchte diesem Gedanken genauer nachgehen. Nicht wenige Generationen sind geprägt von einer christlichen Erziehung, die dem Menschen vermittelte, wie man zu sein hatte, was man zu tun und zu lassen hatte als "guter" Christ. Bis heute ist zudem bei vielen Christen die Vorstellung präsent, dass Jesus am Kreuz sterben musste, weil Gott ein Opfer brauchte, das ihn wieder versöhnlich stimmte. Der Gedanke, dass Gott den Menschen immer wieder sucht und findet, kann und darf entstressen. Er macht frei, auch von den traditionellen Gedanken, Gott gegenüber eine "Bringschuld" zu haben. Dieses Buch möchte zunächst anhand von biblischen Figuren aufzeigen, wie Gott den Menschen findet, oft auch unerwartet, und wie der Mensch sich finden lässt. Ein zweiter Teil geht der Frage nach, welche Konsequenzen sich für den Menschen daraus ergeben bzw. wo und wie er sich heute finden lassen darf und Gott finden kann. Ein dritter Teil fragt, was dies für Kirche heute bedeutet, welche Horizont- und Grenzerweiterungen darin liegen können und zu welchem Pilgerweg Kirche heute aufgerufen ist.

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Seitenzahl: 201

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Zacharias Heyes

Gott wieder finden

und warum es gar nicht nötig ist, ihn zu suchen

Vier-Türme-Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2018

Inhalt
Vorwort
Gott findet den Menschen - Biblische Schlüsselerfahrungen
Adam und Eva
Abraham
Mose
David
Maria
Josef
Zachäus
Die Frau am Jakobsbrunnen
Die Jünger
Jesus
Gott entdecken: Nicht suchen - finden!
Gott finden in mir
Gott finden im anderen
Wo ist Kirche? - Randbemerkungen
Unterwegs
Kloster
Pilgern
Mit-Leben
Rituale
Für den Zeitgeist
Barmherzigkeit
Statt eines Schlusswortes

Vorwort

Als wir Mönche von Münsterschwarzach von November 2016 bis November 2017 das 1200-jährige Bestehen der Abtei Münsterschwarzach feierten, gestaltete Pater Meinrad Dufner in unserer Abteikirche eine Ausstellung. Diese Ausstellung war weniger eine historisch-chronologische Darstellung der 1200-jährigen Geschichte unserer Abtei als vielmehr eine Aktualisierung und »Verheutigung« des christlichen Glaubens. Mit einbezogen war auch der Chorraum beziehungsweise die Altarwand. Dort hatte Pater Meinrad links neben der großen Figur des auferstandenen Christus eine lange Strickleiter von der Decke hinuntergelassen. Unschwer war diese als Himmelsleiter zu deuten. Das Besondere daran war ihre äußere Gestaltung und die Interpretation des Kunstwerkes. Sie war in eine goldene Rettungsfolie gewickelt, wie sie den meisten von uns aus den Erste-Hilfe-Kästen in PKWs bekannt ist. Schon vom Eingang der Kirche aus war diese goldene Leiter zu sehen, leuchtete den Besuchern entgegen und zog ihre Blicke auf sich. Nicht wenige hatten den Eindruck, dass diese Leiter dort ihren festen Platz hat, so sehr wurde sie als zum Raum passend und als zu unserer Glaubensgeschichte und Lebensgeschichte zugehörig betrachtet.

Die Himmelsleiter erinnert zunächst an die Erzählung über den Stammvater Israels – Jakob – im Alten Testament. Jakob hatte seinem Bruder Esau den Erstgeburtssegen des Vaters Isaak gestohlen. Esau wollte sich deshalb an Jakob rächen und dieser musste fliehen. In Haran schlug Jakob sein Nachtlager auf, legte sich auf einem Stein schlafen und hatte nun den Traum von der »Himmelsleiter«. In diesem Traum erblickte er eine Leiter, die von der Erde bis zum Himmel reichte und auf der die Engel Gottes auf- und niederstiegen. Von diesem Traum war Jakob so beeindruckt, dass er nach dem Aufwachen sagte:

»Wirklich, der Herr ist an diesem Ort und ich wusste es nicht.«

Genesis 28,16

Plötzlich hatte er Angst und meinte dann:

»Wie Ehrfurcht gebietend ist doch dieser Ort! Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels.«

Genesis 28,17

Den Stein, auf dem er geschlafen hat, salbt er mit Öl und stellt ihn auf. Sollte sein Gott sich ihm als einer erweisen, der ihn am Leben hält, seine Lebenssituation heil überstehen lässt, dann wollte er an diesen Ort zurückkehren und dem Herrn ein Haus bauen. Jakob versteht, dass der Ort, an dem er gerade ist, Ort der Gegenwart Gottes ist. Er ist an diesem irdischen Platz anwesend und nicht nur »oben« im Himmel.

Ich erinnere mich daran, als ich das erste Mal an einer Führung durch diese Ausstellung von Pater Meinrad teilnahm, dass mir diese noch einmal neu die Augen für meinen Glauben geöffnet hat. Das lag vor allem an dem, was mein Mitbruder erzählte. Er meinte, das Christentum sei eine Religion, deren wesentliches Merkmal es ist, dass der Mensch sich nicht ständig mühen muss, um zu Gott zu kommen, sich einen Zugang zu Gott zu erschließen, Leistungen zu erbringen, damit Gott ihn annimmt. Anders gesagt: Er muss sich nicht ständig den Kopf zerbrechen, wie er zu Gott aufsteigen kann beziehungsweise wie weit er auf der Himmelsleiter Gott schon entgegengeklettert ist. Das Christentum geht vielmehr von der Prämisse aus, dass die grundlegende Bewegung von Gott zum Menschen geht. Er ist, wenn man in dem Bild bleiben möchte, vom Himmel herabgestiegen und schon längst zum Menschen gekommen.

Das entscheidende Ereignis ist die Menschwerdung Gottes in Jesus. Christen glauben, dass in Jesus Gott selbst Mensch geworden ist. Er war den Menschen nahe, hat ihnen seine Liebe, seine Freundschaft geschenkt, hat sie geheilt und aufgerichtet. Den Menschen, denen Jesus begegnet ist, wurde durch diese Begegnung neue Zuversicht, Hoffnung und Kraft geschenkt. In ihm als Mensch hat Gott den Menschen gefunden. Gottes Sehnsucht ist es, unter den Menschen spürbar nahe und anwesend zu sein, weil er die Menschen liebt.

Das Gold der Rettungsfolie, die Pater Meinrad um die Leiter gewickelt hatte, hat nicht nur eine praktische Funktion, sondern auch eine symbolische. Als unendlich kostbares Edelmetall verweist es auf die kostbare Würde des Menschen, die er als Geschöpf Gottes für Gott hat: Für ihn ist der Mensch unendlich mehr wert als Gold.

Wer sich auf die Suche nach Gott machen möchte, dessen Aufgabe ist es gar nicht so sehr, ständig im »Suchmodus« zu laufen, sondern in der inneren Bereitschaft zu sein, von Gott gefunden zu werden und ihn mitten unter den Menschen zu finden.

Nicht wenige Generationen sind aber geprägt von einer christlichen Erziehung, die dem Menschen vermittelte, wie er zu sein hatte, was »man« also zu tun und zu lassen hatte als »guter« Christ, weil der liebe Gott einen eben nicht lieb hatte, wenn man bestimmte Dinge tat oder nicht tat. Bis heute ist bei vielen Christen daher noch immer die Vorstellung präsent, dass Jesus am Kreuz sterben musste, weil Gott ein Opfer brauchte, das ihn versöhnte. Die Sünde der Menschen – so die Vorstellung – hatte ihn erzürnt, beleidigt, verletzt, sodass dies notwendig geworden war.

Dagegen entstresst der Gedanke, dass Gott den Menschen gefunden hat und ihn auch heute noch immer wieder sucht. Dass der Mensch sich finden lassen darf. Dieser Gedanke macht frei.

Mit diesem Buch lade ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein, mit mir einen Weg zu gehen. Einen Weg, Gott (wieder) zu finden. Mitten in Ihrem Leben. Mitten in Ihrem Alltag.

Dieser Weg beginnt im ersten Teil bei biblischen Menschen und ihren Erfahrungen mit Gott – Schlüsselerfahrungen. Mit Jesus wird deutlich: Gott ist nicht nur beim Menschen und ihm nahegekommen, sondern im Menschen, er ist Mensch geworden und als solcher wurde er für andere erfahrbar. Im zweiten Teil führt der Weg deshalb weiter zur Entdeckung Gottes in mir und im anderen. Denn in Jesus zeigt sich: Wer Gott finden will, muss den Menschen suchen. Der Weg mündet dann im dritten Teil in die Herausforderungen für die Kirche, die sich daraus ergeben: Ist Gott mitten im Leben, mitten im Alltag, mitten in und bei den Menschen, dann muss genau dort auch Kirche sein. Sie muss zu den Menschen aufbrechen. Und bei ihnen sein. Das aber hat auch Konsequenzen für Gottesdienst, Ritual und Gestalt von Kirche heute. Es geht um die Frage: Verwaltet Kirche Tradition, Ritus, Formen oder lässt sie sich ein auf die Bedingungen des Lebens der Menschen heute? Erstarrt sie oder findet sie mit den lebendigen Menschen den lebendigen Gott?

Ich wünsche Ihnen eine spannende und überraschende Entdeckungsreise!

Gott findet den Menschen – Biblische Schlüsselerfahrungen

Adam und Eva

Der erste Schöpfungsbericht des Alten Testaments erzählt im Buch Genesis, dass Gott am sechsten Tag den Menschen erschuf. Von ihm heißt es, dass er als Abbild beziehungsweise Ebenbild Gottes geschaffen wurde. Damit ist etwas ausgesagt, das bis heute die Grundlage der einzigartigen Würde eines Menschen ist: Zusammen mit der ganzen Schöpfung ist er nicht nur ein »Zufallsprodukt« oder eine Laune der Evolution, sondern er entspringt dem Willen Gottes. Während diese Erzählung vor allem in den USA fundamentalistische Strömungen dazu motiviert hat, sie wörtlich zu nehmen und infolgedessen die Evolutionstheorie gänzlich abzulehnen, werden auch in der modernen Forschung Stimmen laut, dass der Schöpfung trotz aller Zufälligkeit ein Sinn, eine Idee, ein Plan zugrunde liegen müsse. Hier begegnen sich Evolutionstheorie und biblische Erzählung. Der Sinn der biblischen Erzählung ist nicht, einen genauen chronologisch-wissenschaftlichen Bericht über die Entstehung der Welt zu geben, sondern eben die Frage zu beantworten: Was ist die Idee dahinter? Und während die Evolutionstheorie die Frage beantwortet, wie die Schöpfung, die Erde, das Universum, der Kosmos entstanden ist und welche Prozesse sich wann wie ereignet haben, gibt die Erzählung der Bibel eine Antwort auf die Frage nach dem Warum beziehungsweise Wozu, nach dem Sinn des Ganzen.

Die Schöpfungserzählungen (es sind nämlich zwei: Genesis 1,1–2,4a und Genesis 2,4–25) reflektieren die Frage des Ursprungs der Welt. Sie sind auf dem Hintergrund des Weltbildes ihrer Entstehungszeit (etwa 500 v. Chr.) geschrieben und dementsprechend finden sich darin Sätze, die den Lesern heute fremd vorkommen. Dazu gehört für mich zum einen die Anweisung Jahwes, dass der Mensch sich die Schöpfung untertan machen, beziehungsweise nach einer neuen Übersetzung der Bibel »unterwerfen« soll. Zweitens die Aussage, dass die Frau aus dem Mann – nämlich aus der Rippe Adams –entstanden ist. Doch im Umgang mit diesen Geschichten ist es wichtig, die eigentliche Aussage beziehungsweise Aussageabsicht herauszufiltern und zu erkennen. Leider ist der Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, lange Zeit wörtlich genommen worden. Gemeint ist damit aber eigentlich ein Umgang mit der Schöpfung, der die Ressourcen der Erde schützt und allen dient. Es meint also weniger, dass der Mensch die Welt zu seinen Zwecken nutzen sollte, sondern die Verantwortung dafür hat, dass alle Lebewesen –Menschen, Tiere, Pflanzen – gut leben können.

Die meisten Gesellschaften waren in der Vergangenheit davon geprägt – und viele sind es heute noch –, dass die Frau eher die Dienerin des Mannes ist als ein gleichwertiges Gegenüber, auch aus dem biblischen Verständnis, dass die Frau aus der Rippe des Mannes genommen ist. Im sogenannten zweiten Schöpfungsbericht (Genesis 2,4–25) heißt es aber auch, dass Gott den Menschen als Mann und Frau schuf. Das ist eine sehr deutliche Aussage. Da gibt es keine Unterschiede, sondern nur ein »und«. Ein Miteinander und ein Aufeinander-bezogen-Sein. Als es vor Kurzem um die Erlaubnis in Deutschland ging, dass auch gleichgeschlechtliche Paare die Zivilehe eingehen dürfen, haben sich Bischöfe und Politiker immer wieder auf diese Aussage bezogen und darauf gepocht, dass die Ehe die lebenslange Verbindung von Mann und Frau sei, weil Gott den Menschen eben als Mann und Frau geschaffen habe. Zur Entstehungszeit des Textes war diese Form des Zusammenlebens sicher normal. Die im Jahr 2016 erschienene neue Einheitsübersetzung der Bibel spricht an dieser Stelle spannenderweise davon, dass Gott »männlich und weiblich« schuf. Darin klingt für mich an, dass Gott männliche und weibliche Eigenschaften in die Schöpfung und in den Menschen hineingelegt hat, die sich auch im Menschen in unterschiedlicher Art ausprägen und die aufeinander bezogen sind. Das Thema, das hierin für mich ebenfalls mitschwingt, ist das Leben all der Menschen, die nicht mehr in das klassische Rollenbild einer Mann-Frau-Beziehung passen, all derer, die homosexuell empfinden, leben und lieben, all der Intersexuellen, die sich nicht eindeutig als Mann oder Frau empfinden und der Transgender, die das Gefühl haben, in einem falschen Körper geboren worden zu sein. Diese Themen müssen aus meiner Sicht theologisch durchdacht werden unter Berücksichtigung wissenschaftlicher und psychologischer Erkenntnisse. Wenn christlicher Glaube aufgrund des Schöpfungsberichtes bisher davon ausgegangen ist, dass der Mensch entweder eindeutig als Mann oder als Frau vorkommt und beide eindeutig aufeinander bezogen sind, stellt sich nun neu die Frage, wie diese Themen von der Bibel her einzuordnen sind.

Zwar respektiert die katholische Kirche Menschen, die nicht heterosexuell veranlagt sind, aber sie verbietet ihnen ihr Empfinden, ihre Liebe, ihr Leben zu leben und zu gestalten. Ich halte die Auslegung der Schöpfungserzählung, dass allein Mann und Frau füreinander geschaffen sind, in dieser Hinsicht nicht für die einzig richtige. Das Entscheidende und Grundlegende in der Erzählung der Bibel von der Erschaffung des Menschen ist: Gott hat einen Prozess initiiert, dass der Mensch als sein Abbild lebt auf der Erde. Als Abbild Gottes ist ihm Achtung und Respekt entgegenzubringen. Egal, welcher Rasse, Kultur, Nation ein Mensch angehört, egal, welche sexuelle Identität er hat. Menschen sind immer aufeinander bezogen, er soll also einen Partner, eine Partnerin haben, die ihm »ebenbürtig« ist. In diesem Menschen, auf den er bezogen ist, darf und soll er Gottes Größe, Gottes Schönheit erkennen. Gott erschafft den Menschen und legt sich selbst in ihn hinein. Interessant ist, dass Gott im Schöpfungsbericht in der Mehrzahl von sich spricht. Es heißt dort:

»Lasst uns Menschen machen …«

Genesis 1,26

Entweder soll damit die Autorität Jahwes betont werden oder aber es ist ein Hinweis auf eine alte Überzeugung: Der frühe jüdische Glaube hat Jahwe immer eine Gattin zugeschrieben – Aschera. Im jüdischen Tempel ließ König Manasse sogar ein Bildnis von ihr aufstellen. Erst als sich Israels Religion immer mehr zum Ein-Gott-Glaube an Jahwe entwickelte, wurde Aschera nach und nach aus allen Bezügen getilgt. Im Buch Hosea findet sich eine Formel, die Gott gegenüber Aschera ausspricht, die im Judentum als Scheidungsformel bekannt war. Diese mag auch wieder den Prozess hin zum Ein-Gott-Glauben reflektieren. Wichtig bleibt, dass Gott selbst Beziehung ist – männlich und weiblich. Im christlichen Glaube findet sich dies wieder in der Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes: Gott ist in sich Beziehung der drei göttlichen Personen Vater, Sohn und Geist. Wenn wir heute auf die Spur Gottes kommen wollen, ist das Aufeinander-Bezogen-Sein, in Beziehung miteinander zu sein, im anderen Gottes Abbild und damit Gott zu erkennen, wesentlich.

Abraham

Abraham ist eine der prägendsten Gestalten in der Bibel und der Religionsgeschichte. Bis heute gilt er Juden, Muslimen und Christen als Stammvater. Sein Sohn Ismael, den er mit seiner Magd Hagar zeugte, gilt als der Vorläufer Mohammeds, des Gründers des Islam. Abrahams zweiter Sohn Isaak, den er gemeinsam mit seiner Frau Sara zeugte, ist der Vater von Jakob, dessen zwölf Söhne wiederum als Begründer der zwölf Stämme Israels und damit des Judentums gelten. Aus dem Volk Israel stammt Jesus ab, auf den das Christentum sich bezieht und begründet.

Damit steht Abraham am Beginn der langen Glaubensgeschichte von Muslimen, Juden und Christen, die immer wieder in ihrem Leben dem Gott Abrahams vertraut haben. Heute gehören etwa 4 Milliarden Menschen einer der drei sogenannten abrahamitischen (Welt-)Religionen an (2,3 Milliarden Christen, 1,57 Milliarden Muslime, 15 Millionen Juden). Wenn auch die religiöse Praxis sehr unterschiedlich ist, so wird allein anhand der Zahlen deutlich, welche Wirkungsgeschichte diese drei Religionen bis heute haben.

Zunächst in eine Familie von Nomaden in Ur in Chaldäa (heute im Süden des Irak) hineingeboren, war Abraham es gewohnt umherzuziehen, also nicht dauerhaft sesshaft zu sein, weil Ziegen und Schafe Weiden finden mussten. Er kannte sich daher wohl in der Wüste und den Steppen gut aus. Als seine Heimatstadt Ur von feindlichen Truppen besetzt wird, flieht seine Familie nach Haran in der heutigen Türkei.

Da seine Heimatstadt Ur in Chaldäa liegt und dieses Gebiet wiederum Wohngebiet der Babylonier war, wird Abraham auch mit der Religion der Babylonier in Berührung gekommen und auch von dieser beeinflusst gewesen sein, auch wenn nichts weiter über seine religiöse Praxis berichtet wird. Die Babylonier kannten ähnlich wie die Griechen und die Römer einen Götterhimmel mit vielen Göttern, die jeweils für unterschiedliche Dinge zuständig waren. Zu den babylonischen Göttern zählen unter anderen der Gott Sin, der für den Lauf des Mondes verantwortlich war, und die Göttin Istar, Göttin des Krieges und der Liebe.

Als Abram, wie er an dieser Stelle der Bibel noch genannt wird, nun in Haran ankommt, spricht plötzlich Gott zu ihm. Er hat hier keinen weiteren Namen, sondern es ist nur von »Gott« die Rede, der ihm folgenden Auftrag gibt:

»Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.«

Genesis 12,1–3

Dieser Auftrag Gottes an Abraham wird immer wieder zitiert, wenn Menschen heute vor Aufbrüchen stehen, neue Lebensabschnitte beginnen oder sich innere Wandlungen vollziehen. Darin wird deutlich, was sich wie ein roter Faden durch die ganze Bibel zieht: die Überzeugung und Aussage, dass Gott Menschen findet, sie anspricht und ihnen Aufbrüche zumutet und zutraut. Damit ist er ein Gott des Aufbruchs und des Weges. In meinen seelsorglichen Gesprächen wird mir immer wieder deutlich, dass sich das bis heute nicht geändert hat: Immer wieder werden Menschen zu inneren und äußeren Aufbrüchen, Veränderungen, plötzlichen Wandlungen in ihrem Leben gerufen. Sie ereignen sich einfach, und die Menschen müssen sich ihnen stellen. Davon wird später noch die Rede sein.

Hier nun wird Abraham gerufen und aufgefordert, das alte, bekannte Land zu verlassen und in ein neues zu gehen. Damit verbunden ist, dass er diesen Gott, der ihn anspricht, neu kennenlernt. Wie auch immer diese Ansprache von Abraham wahrgenommen wurde – ob als eine innere, ihm zugewandte Stimme oder eine Lichterscheinung oder etwas ganz anderes –, deutlich wird: Er erlebt hier eine Begegnung, die sein Leben verändert. Er ist zu diesem Zeitpunkt 75 Jahre alt – ein Alter, in dem andere ihren Ruhestand genießen. Nun bricht er noch einmal auf – von Gott inspiriert.

Abraham wagt diesen Aufbruch mit seiner ganzen Familie, mit allen Angestellten und Bediensteten. Mit ihm unterwegs ist auch Lot, sein Neffe. Beide nehmen ihren gesamten Besitz mit sich. Nach heutigen Verhältnissen war Abraham Milliardär: Er besaß Vieh, Silber und Gold in einer recht großen Menge. Aber auch Lot war reich, hatte Schafe, Ziegen, Rinder und Zelte. Da beide sich nicht am gleichen Platz niederlassen wollten, um Konkurrenzkämpfe zu vermeiden, trennte sich Abraham von Lot. Als diese Trennung vollzogen war, begegnet Gott Abraham erneut. Dieses Mal sagt er zu ihm:

»Blick auf und schau von der Stelle, an der du stehst, nach Norden und Süden, nach Osten und Westen. Das ganze Land nämlich, das du siehst, will ich dir und deinen Nachkommen für immer geben. Ich mache deine Nachkommen zahlreich wie den Staub auf der Erde. Nur wer den Staub auf der Erde zählen kann, wird auch deine Nachkommen zählen können. Mach dich auf, durchzieh das Land in seiner Länge und Breite; denn dir werde ich es geben.«

Genesis 13,14–18

Gott verheißt Abraham eine unendliche Menge an Nachkommen: so viele, wie Staub auf der Erde ist. Diese Aussage ist sicherlich nicht biologisch zu verstehen, sondern bezieht sich auf die zahlreichen Gläubigen, die sich auf Abraham berufen. Auch hier ist es also Gott, der den Menschen findet und ihm einen Auftrag gibt.

Doch zunächst bleibt das Versprechen Gottes unerfüllt. Abraham leidet, weil seine Frau ihm keine Kinder gebärt. Er, der bis jetzt den Auftrag Gottes befolgt hat, bleibt kinderlos. Doch wieder findet Gott Abraham und spricht ihn erneut an. Jetzt heißt es:

»Nach diesen Ereignissen erging das Wort des Herrn in einer Vision an Abram: Fürchte dich nicht, Abram, ich bin dein Schild; dein Lohn wird sehr groß sein. Abram antwortete: Herr, mein Herr, was willst du mir schon geben? Ich gehe doch kinderlos dahin und Erbe meines Hauses ist Eliëser aus Damaskus. Und Abram sagte: Du hast mir ja keine Nachkommen gegeben; also wird mich mein Haussklave beerben. Da erging das Wort des Herrn an ihn: Nicht er wird dich beerben, sondern dein leiblicher Sohn wird dein Erbe sein. Er führte ihn hinaus und sprach: Sieh doch zum Himmel hinauf und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst. Und er sprach zu ihm: So zahlreich werden deine Nachkommen sein. Abram glaubte dem Herrn und der Herr rechnete es ihm als Gerechtigkeit an.«

Genesis 15,1–6

Dieses Mal glaubt Abraham Gott. Er vertraut ihm, dass er Nachkommen haben wird. Das rechnet Gott ihm als Gerechtigkeit an. Deshalb gilt Abraham bis heute als der Gerechte und damit als das Vorbild an Glauben und Vertrauen. Wenn er als Stammvater der drei abrahamitischen Religionen bezeichnet wird, dann gehört dies dazu: Er hat den Grund gelegt, dass Menschen bis heute diesem Gott vertrauen, weil Gott, wie die weitere Geschichte Abrahams zeigen wird, sich seinerseits als vertrauenswürdig erwiesen hat. Vor Gott gerecht zu sein, meint nichts anderes, als von Gott angenommen zu sein, vor Gott aufrichtig stehen zu können, sich von ihm als geliebt zu erfahren.

Die Frage, wie wir angesichts der Erfahrung unserer Schwächen, Fehler und Unzulänglichkeiten – was die Kirche als »Sünde« bezeichnet hat – gerecht sein beziehungsweise wie wir bei Gott Annahme finden können, hat Menschen immer wieder zum Nachdenken gebracht. Nicht zuletzt war dies auch eine der zentralen Fragen Martin Luthers. Er ist beinahe daran verzweifelt, dass er immer wieder seine Unzulänglichkeit spürte und wusste: Durch Taten kann ich vor Gott nicht gerecht werden, weil ich immer wieder Ungerechtes tue. Bis er erkannte: Wenn ich Gott vertraue – Glaube heißt nichts anderes als »Vertrauen« –, dann bin ich gerecht. Das meint, Gott möchte, dass der Mensch mit ihm in Kontakt tritt. Er möchte auf sein Zugehen, seine Ansprache des Menschen eine Antwort. Der Gott Abrahams ist ein Gott der Beziehung, der mit seinen Geschöpfen in Kontakt treten will. Deshalb findet er den Menschen immer wieder und geht ihm nach, überlässt ihn nicht sich selbst und seinem Schicksal.

Mit den oben zitierten Aussagen Gottes an Abraham sind alle Menschen angesprochen. In Abraham, dem Stammvater des Glaubens, wird deutlich, wozu wir eingeladen sind: Gott zu glauben und ihm zu vertrauen.

Die Aussage Gottes, dass Abraham die Sterne am Himmel zählen soll, wenn er sie zählen kann, ist eine Einladung: Abraham wird unendlich viele Nachkommen haben, aber darin drückt sich auch die Weite und Großzügigkeit Gottes aus. Nicht nur, dass Gott ihn die Weite des Landes nach Norden, Süden, Osten und Westen erblicken lässt, er verweist ihn auch noch auf die unendliche Größe des Himmels und die unendliche Anzahl der Sterne. Wenn Gott, so der Glaube der Bibel, dies alles erschaffen hat, welche Weite, Größe und Unendlichkeit scheint hier auf!

Wenn ich diese Unendlichkeit des Kosmos betrachte, überfällt mich manchmal das Gefühl von Verlorenheit und Einsamkeit, denn aus der Weite des Kosmos betrachtet, ist der Mensch wahrscheinlich nicht einmal so groß wie eine Stecknadel. Umso faszinierender finde ich es, dass Gott es ist, der diese unendliche Weite hat entstehen lassen und zugleich auch der ist, der den Menschen anspricht, jeden Einzelnen sieht und wahrnimmt. Nicht allgemein und global, sondern wie es beim Propheten Jesaja heißt:

»Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; mein bist du.«

Jesaja 43,1

Es ist meine tiefste Überzeugung, dass dies wirklich so ist: Gott kennt jeden Menschen durch und durch. Ich darf glauben, dass Gott mich so geschaffen hat, wie ich bin – so und nicht anders hat Gott mich gewollt. Jesus wird es später anders sagen, aber das Gleiche meinen:

»Bei euch sind aber alle Haare auf dem Haupt gezählt.«

Matthäus 10,30

Der große Gott hat den Menschen bis ins Kleinste hinein wohlwollend im Blick.

Für Abraham wird das noch einmal daran deutlich, dass er jetzt einen neuen Namen von Gott bekommt. Nun, wo ihm der Auftrag Gottes deutlich ist und er ihm sein Vertrauen geschenkt hat, wird aus seinem ursprünglichen Namen »Abram« »Abraham«. Die Bibel erzählt hierzu:

»Als Abram neunundneunzig Jahre alt war, erschien ihm der Herr und sprach zu ihm: Ich bin Gott, der Allmächtige. Geh deinen Weg vor mir und sei rechtschaffen! Ich will einen Bund stiften zwischen mir und dir und dich sehr zahlreich machen. Abram fiel auf sein Gesicht nieder; Gott redete mit ihm und sprach: Das ist mein Bund mit dir: Du wirst Stammvater einer Menge von Völkern. Man wird dich nicht mehr Abram nennen. Abraham (Vater der Menge) wirst du heißen; denn zum Stammvater einer Menge von Völkern habe ich dich bestimmt. Ich mache dich sehr fruchtbar und lasse Völker aus dir entstehen; Könige werden von dir abstammen. Ich schließe meinen Bund zwischen mir und dir samt deinen Nachkommen, Generation um Generation, einen ewigen Bund: Dir und deinen Nachkommen werde ich Gott sein.«

Genesis 17,1–7

Hier nun also wird ein Bund geschlossen zwischen Abraham und Gott. Abraham ist jetzt 99 Jahre alt. Diese Zahl lässt sich eher symbolisch verstehen, als dass sie das reale Lebensalter angibt. Die 99 ist ein Schritt, eine Zahl vor der 100. Sie steht für die Fülle des Lebens. An der Schwelle dazu steht Abraham, als Gott seinen Bund mit ihm schließt. Weil Abram sich auf das Abenteuer mit Gott einlässt, schließt er seinen Bund mit ihm. Wer einmal von Gott gefunden worden ist, wer einmal eingewilligt hat, sich finden zu lassen, sich ansprechen zu lassen, der darf wissen: Gottes Treue zu ihm ist unverbrüchlich.