Selbst verständlich - Zacharias Heyes - E-Book

Selbst verständlich E-Book

Zacharias Heyes

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Beschreibung

Das benediktinische Leben läuft nach den immer gleichen Routinen ab. Es gibt genaue Vorschriften für Gebets- und Essenszeiten, für Arbeit und Freizeit. Scheinbar bleibt kein Platz für Spontanität und eigene Ideen. Pater Zacharias Heyes, Mönch der Abtei Münsterschwarzach, hat sich ganz bewusst für ein solches Leben entschieden. Für ihn bringen Rituale und Routinen eine innere Ordnung mit sich, die das eigene innere Chaos beherrschen und in Klarheit umformen kann. Pater Zacharias Heyes geht in diesem Buch den Vor- und Nachteilen von Ritualen und Routinen nach. Er bietet praktische Übungen an, die der Leser in seinen eigenen Alltag integrieren kann. Zudem ermutigt er dazu, sich selbst auf die Suche nach Ritualen zu machen, die zum jeweils eigenen Lebensentwurf passen.

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Seitenzahl: 150

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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2018

ISBN 978-3-7365-0156-0

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024

ISBN 978-3-7365-0620-6

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher

Lektorat: Marlene Fritsch

Covergestaltung: wunderlichundweigand

www.vier-tuerme-verlag.de

Zacharias Heyes

Selbst verständlich

Wie Rituale helfen, wieder bei sich selbst anzukommen

Vier-Türme-Verlag

Inhalt
Vorwort
Das war schon immer so
Halte-Stellen
Kreislauf
Rituale halten Leib und Seele zusammen
Bitte berühren!
Alle Jahre wieder
Warum es wichtig ist, Ja und Amen zu sagen
Der rote Faden
Die Seele weiß
Ohren auf!
Immer besonders
Wer O sagt, muss auch L sagen
Der Rhythmus macht die Musik
Jetzt mal ordentlich!
Gutes bleibt
Hetz dich nicht!
Selbstverständlich, jeden Tag – Rituale vom Morgen bis zum Abend
Der Morgen – Leben erwacht
Der Mönch: Das Morgenritual
Rituale
Hör auf … mit dem Wecker zu diskutieren
Hör auf … den neuen Tag
Hör auf … das Glück in der Zukunft zu suchen
Hör auf … dich selbst zu bemitleiden und die Verantwortung für dich zu delegieren
Hör auf … zu plappern
Der Mittag – Leben unterbrechen
Der Mönch: Das Mittagsritual
Rituale
Hör auf … zu glauben, dass du nur gut bist, wenn du gestresst bist
Hör auf … deine Wut
Hör auf… deine Leidenschaften
Hör auf … und gönn dir eine Stärkung
Der Abend – Leben kommt zur Ruhe
Der Mönch: Das Abendritual
Rituale
Hör auf … deine Dankbarkeit
Hör auf … perfekt sein zu wollen
Die Nacht – Leben lassen
Der Mönch: Das Nachtritual
Rituale
Hör auf … es machen zu wollen
Hör auf … deine Träume
Hör auf ... das Schweigen
Nur Mut!
Lass es gut sein
Du darfst aufhören
Geh auf Suche
Gedanken zum Schluss

Vorwort

»Ich könnte ja so nicht leben. Jeden Tag das Gleiche. Das muss doch langweilig sein! Und Sie können mir nicht erzählen, dass Sie bei den Gebeten immer mit dem Herz dabei sind, das leiern Sie doch nur runter.« Diese Sätze höre ich immer wieder in Gesprächen. So faszinierend Besucher oft unser Leben empfinden, so gut es ihnen tut, im Kloster zu Gast sein zu können, sich zu erholen, einen Kurs zu besuchen oder im Gespräch Ratschläge für ihr Leben zu bekommen, die ihnen weiterhelfen, so sehr erschreckt sie oft andererseits die Vorstellung, dass wir Mönche jeden Tag nach der gleichen Routine leben, immer genaue Vorschriften für die Gebets- und Essenszeiten, für Arbeit und Freizeit einhalten – auch weil darin scheinbar wenig Raum für Spontaneität und eigene Ideen bleibt.

Im Lauf der Jahre, die ich schon Mönch bin, habe ich für mich immer mehr entdeckt, dass dieses nach außen hin routiniert und immer gleich wirkende Leben ganz viel innere Freiheit schenkt. Rituale und Routine haben nicht nur Nachteile, sondern sie öffnen Wege zu mir selbst. Nicht zuletzt deshalb, weil eine äußere Ordnung auch mein Inneres ordnet und strukturiert. Ich erfahre, dass ich wesentlicher werde und mein »inneres Chaos« sich neu sortiert.

In Ritualen steckt natürlich auch die Gefahr, dass sie irgendwann nur noch vollzogen werden, weil »man« das immer schon so gemacht hat – und zwar so und nicht anders. Dann sind sie einer Ordnung geschuldet, die rein willkürlich ist oder die nur aus traditionellen Gründen hochgehalten wird, aber eigentlich entleert ist. Das Tun bleibt rein äußerlich, hat aber keinen Bezug mehr zu dem Menschen, der es vollzieht. In solchen Fällen bringen Rituale uns nicht mehr mit uns selbst in Berührung. Doch darum geht es eigentlich in Ritualen: Mit mir selbst in Berührung zu kommen – mit meinem tiefsten Inneren. Als Mönch kann ich auch sagen: Es geht dabei darum, mit Gott in Berührung zu sein. Und dann ist ein Ritual eben der Ausstieg, die Unterbrechung der ganz alltäglichen Routine, das Innehalten, um mich für eine bestimmte Zeit aus dem Stress des Alltags herauszunehmen, das Durchatmen, um neue Kraft zu schöpfen.

Ein solches Tun ist bestimmt von der Frage: Woraus lebe ich? Lasse ich mich leben und bestimmen von meinem Alltag, von dem, was von mir erwartet wird, vom Leistungsdruck, oder lebe ich aus mir, aus meiner inneren Kraft? In diesem Sinn machen Rituale frei. In diesem Sinn sind sie selbst-verständlich, weil sie mich mit mir selbst in Berührung bringen.

Ich bin davon überzeugt, dass alle, die an unseren Ritualen teilnehmen, spüren, ob wir eine lebendige Gemeinschaft sind und ob das Ritual, das wir vollziehen, in Verbindung mit uns selbst steht. Unser Ordensgründer Benedikt von Nursia sagt, dass Herz und Stimme im Einklang sein sollen. Was wir singen und beten, soll aus dem Herzen kommen. Von daher stellt sich auch bei uns immer wieder die Frage nach der kritischen Überprüfung von Ritualen, Riten und Routinen.

Dazu erzählte mir vor einiger Zeit mein Supervisor Folgendes: Mit seinem Team hatte er über viele Jahre hinweg eine Sommerakademie veranstaltet. Diese war über all die Zeit, in der es sie gab, ein großer Erfolg. Dann aber hatten das Team und er den Eindruck, dass sich das Konzept totgelaufen hatte. Also beschlossen sie, die Akademie zu beenden und gaben dies bekannt. Es folgte ein Sturm der Entrüstung. Die meisten der Gäste, die jedes Jahr wiederkamen, sagten, sie könnten doch jetzt nicht aufhören und ohne diese Akademie würde etwas Wichtiges in ihrem Leben fehlen. Er nahm diese Kritik sehr ernst und beschloss mit seinem Team, sich im nächsten Jahr in den beiden Wochen, die die Akademie normalerweise dauert, Zeit zu nehmen, um sich in ein Tagungshaus zurückzuziehen und ein neues Konzept, eine neue Idee zu entwickeln. Diese Zeit wurde sehr fruchtbar für sie und sie erarbeiteten gemeinsam ein neues Projekt. Sie hatten erkannt: Wir könnten diese Akademie auch einfach weiterführen wie bisher, aber dann würden wir eine äußere Form am Leben erhalten, die so nicht mehr lebbar ist, weil sie nicht mehr »gefüllt« ist.

Bevor ich mich entschieden habe, ins Kloster einzutreten, habe ich in der Abtei Münsterschwarzach sechs Wochen mitgelebt. Ich habe versucht zu ergründen, warum die Mönche hier so leben, wie sie leben, und zu verstehen: Welchen Sinn ergibt es, mehrere Male am Tag in der Kirche zum Gebet zu sein? Welchen Sinn kann es haben, morgens um fünf Uhr aufzustehen, obwohl das doch gar nicht meine Zeit ist, und es trotzdem zu tun? Warum kann ich mir vorstellen, so zu leben und nicht anders?

Diese Frage ist geblieben. Ich stelle sie mir auch heute, nach fast zwanzig Jahren, immer wieder: Warum lebe ich so? Gerade dann, wenn ein Mitbruder die Gemeinschaft verlässt, überlege ich mir noch einmal: Warum bleibe ich? Diese Frage immer wieder zu stellen, bewahrt mich davor, meinen Weg und mein Mönchsein alltäglich und zur Gewohnheit werden zu lassen. Es bewahrt mich davor, ein Mönch zu werden, der »halt so lebt, wie er lebt«, weil er es immer schon so getan hat.

Diese Frage ist für mich umso wichtiger, da ich von meinem Charakter her eher jemand bin, der seine Freiheit braucht und diese auch genießt. Was ist es also, das mich trotzdem das Leben als Mönch so spannend finden lässt und mich immer wieder dazu bringt, mich auf diesen scheinbaren Gegensatz zu meiner Natur einzulassen, nämlich auf ein Leben, das von Ritualen und Disziplin gekennzeichnet ist?

Das Leben hier kennt viele gesetzte Abläufe. Dazu gehört nicht nur der fest gegliederte Tagesablauf, sondern auch die Regel, dass wir Mönche eigentlich schweigen sollen, also nur dann reden, wenn es notwendig ist und das in dafür festgelegten Bereichen und Räumen. Es gibt feste Regeln zu beinahe allem Tun: Wie ich einen der Gemeinschaftsräume betrete und verlasse, wann ich meinen Habit (Ordensgewand) zu tragen habe und wann nicht, usw.

Rituale und Routinen sind aber nicht nur für uns Mönche, sondern für die allermeisten Menschen selbstverständlich und gehören auch selbstverständlich zum Leben dazu. Und das hat nichts damit zu tun, ob jemand einer Religion oder Kirche angehört. Jeder hat seine Rituale. Wir kennen im Deutschen den Satz: »Der macht da ein Ritual draus.« Und meinen: Ein Mensch inszeniert eine bestimmte Situation, gibt ihr eine Bedeutung, zelebriert und genießt sie. Manchmal brauchen wir solche Inszenierungen, um mit dem Wesentlichen im Leben in Berührung zu kommen oder zu bleiben, um mit uns selbst in Berührung zu sein. Und um uns selbst verständlich zu machen – uns selbst und anderen.

Auch unsere Gottesdienste und Gebetszeiten in der Abtei sind in gewisser Weise eine Inszenierung. Nicht umsonst wird vom Gottesdienst als dem »heiligen Schauspiel« gesprochen. Sie folgen einer bestimmten Regie mit einem tiefen Sinn.

Aber auch wichtige Lebensabschnitte sind mit Ritualen verbunden: Geburt, Hochzeit, Beerdigung oder runde Geburtstage. Sie sind für religiöse, aber auch nichtreligiöse Menschen von Bedeutung, weil Rituale Lebensübergänge und neue Lebensabschnitte gestalten und das Leben insgesamt würdigen, bejahen und feiern. All dem gemeinsam mit Menschen, die für den Einzelnen wichtig sind, in deren Beziehungsgeflecht er eingebunden ist, einen Ausdruck zu geben und sie gemeinsam zu feiern, ist der Hintergrund dieser Rituale.

Von Beginn an gehörten Rituale zum menschlichen Leben. Lange vor der Entstehung des Christentums feierten unsere Vorfahren Rituale, die die Natur würdigten, weil ihnen bewusst war: Sie leben von der Natur und dem, was sie ihnen gibt, sie sind in ihren Kreislauf eingebunden.

Ich möchte in diesem Buch, ausgehend vom christlich-benediktinischen Kontext, den Vor- und Nachteilen von Ritualen und Routinen nachgehen. Und ich möchte dich, liebe Leserin, lieber Leser, ermutigen, alte Rituale neu zu entdecken, aber auch Altes zu verabschieden. Zudem habe ich mir einige praktische Übungen überlegt, die du in deinen eigenen Alltag als Ritual integrieren kannst, und auch einige Anregungen aufgeschrieben, damit du dich selbst auf die Suche machen kannst, eigene Rituale zu entwickeln, die zu deinem ganz eigenen Lebensentwurf passen.

Zunächst möchte ich einige Grundsätze in Bezug auf Rituale beleuchten, die so etwas wie der rote Faden sein können, der Hintergrund, auf dem diese Ideen stehen. Dann nehme ich dich mit auf einen Gang durch den (mönchischen) Tag. Die einzelnen Abschnitte des Tages mögen helfen, deine eigene Lebenspraxis, deinen eigenen Alltag zu reflektieren und sich einmal zu fragen: Warum lebe ich so, wie ich lebe? Welche Rituale prägen mein Leben? Und sind diese Rituale und Routinen noch stimmig? Passen sie zu meinem Leben oder sind sie leer geworden, muss ich sie neu füllen?

Es braucht Mut, sich selbst auf diese Weise infrage zu stellen. Aber es kann auch ein Weg sein, sich selbst wieder verständlich zu werden – und noch einmal ganz neu bei sich anzukommen.

Das war schon immer so

Rituale gibt es schon, so lange es Menschen gibt. Sie scheinen einem tiefen menschlichen Bedürfnis zu entsprechen. Heute fühlen sich jedoch viele Menschen von Ritualen – gerade im Hinblick auf den christlich-kirchlichen Bezug – nicht mehr angesprochen. Sie verstehen die Sprache nicht mehr oder finden sich selbst und ihre Bedürfnisse darin nicht mehr wieder. Oft nehmen sie an Ritualen auch nur noch teil, weil es immer schon so war in der eigenen Familie. Sie kennen es nicht anders, wissen vielleicht auch nicht, wie sie wichtige Ereignisse sonst feiern und begehen sollen. Oder die ältere Generation besteht auf der Fortführung der Tradition. Wenn wir über heutige Rituale nachdenken, müssen wir also zunächst fragen, was überhaupt unter einem Ritual zu verstehen ist, warum sie erfunden wurden, was immer schon ihr tieferer Sinn ist und welchen Bezug es gibt zwischen Tradition und einem Ritual. Um diese Fragen soll es in diesem Kapitel gehen.

Halte-Stellen

Jeder kennt sie, die großen gelben Schilder, die in einer Stadt oder einem Dorf deutlich machen: Hier ist eine Bushaltestelle. Selbst Kinder wissen schon, dass sie hier abgeholt werden und dass der Bus sie an ihren Zielort bringt. Dorthin, wo sie gerne ankommen möchten. Bis zum Ziel ist mit dem Bus eine gewisse Strecke zurückzulegen. Aber man kann sich sicher sein: Hier, an diesem Punkt, hält der Bus, den ich jetzt brauche, um dorthin zu gelangen. Ich steige ein und lasse mich voller Vertrauen mitnehmen.

Rituale wollen genau solche Haltestellen in unserem Leben sein. Sie holen uns an dem Ort ab, wo wir stehen. Mit unserer Verfassung und inneren Stimmung. Sozusagen von jedem Punkt unseres Lebens aus können wir in das Ritual einsteigen. Gemeinsam ist allen Ritualen dabei das Ziel: bei sich selbst anzukommen.

Das spiegelt ein Bedürfnis, das viele Menschen heute haben: bei sich selbst anzukommen und in sich Ruhe zu finden. Trotz der vielen Anforderungen des Alltags, der Erwartungen, die sie selbst an sich und andere an sie stellen, trotz dem Stress, den die Arbeit verursacht. Nicht wenige fühlen sich hin- und hergerissen zwischen den ganz praktischen Dingen des Alltags und ihrem spirituellen Bedürfnis. Sie merken immer wieder, dass dabei letzteres zu kurz kommt, dass kaum Zeit bleibt zwischen alltäglichen Sorgen um Familie und Arbeit und den Pflichten, in die sie gestellt sind. Ich kenne eine junge Familie, die zwei kleine Kinder hat. Der Mann ist Kirchenmusiker. Seine Frau hat nach Schwangerschaft und Elternzeit die Ausbildung in ihrem Traumberuf wieder aufgenommen, der Schichtdienste beinhaltet. Auch am Wochenende. Gerade wenn sie am Wochenende Dienst hat und er in der Kirche sein muss, stellt sie das vor große Herausforderungen. Gut, dass es Großeltern gibt, die immer wieder mitsorgen und die Kinder gerne nehmen. Solche stressigen Arbeits- und Familienbedingungen führen dann dazu, dass viele das Gefühl haben: Ich bin gar nicht mehr bei mir selbst, ich stehe neben mir, ich funktioniere nur noch. Oder auch: Ich weiß gar nicht mehr, wer ich bin. Ganz abgesehen davon, dass niemand mehr nach ihren eigenen Bedürfnissen zu fragen scheint – nicht mal sie selbst. In dieser emotionalen Unsicherheit, in diesem irgendwie zu bewältigenden Wirrwarr des Alltäglichen ist es gut, vielleicht sogar emotional überlebensnotwendig, immer wieder bei sich anzukommen, in sich Halt und Stabilität zu finden. Damit das Chaos sich nicht auf einen selbst überträgt, man Distanz gewinnt zum täglichen Tun und wieder einen klaren Blick auf die Situation bekommt.

Ein solches »Zu-sich-selbst-Kommen« muss nicht unbedingt viel Zeit in Anspruch nehmen. Eine kurze Unterbrechung reicht häufig schon. Zwischen dem Aufstehen und dem Kinderwecken zum Beispiel. Nur mal kurz durchzuschnaufen, sich selbst spüren, aus seiner eigenen Mitte heraus Kraft holen, um dann weitergehen zu können. Ein solches (kurzes) Ruhen in der eigenen Mitte hilft, in eine Distanz zum Alltag zu kommen und zu entspannen. Manche nennen diese Mitte Gott oder das Göttliche. Wie auch immer man diese Mitte definiert und versteht: Es geht darum, mir selbst bewusst zu machen, dass ich Kraft habe, Lebenskraft. Oft ist der Weg zu dieser Kraft aber verschüttet, ein »Geröll« aus Alltagssorgen, Notwendigkeiten und Ansprüchen versperrt den Weg dorthin. In jedem Menschen gibt es den unbedingten Lebenswillen und die Sehnsucht, dass dieses Leben nicht nur aus Arbeit, Stress und Hektik besteht, dass er nicht nur von außen bestimmt wird, sondern selbstbestimmt aus der eigenen Kraft lebt, selbst entscheidet, welche Prioritäten er in seinem Leben setzen will. Dazu wollen Rituale helfen. Als Halte-Stellen erlauben sie uns, inne zu halten, anzuhalten, uns aus dem Alltag herauszunehmen und uns wieder auf den Weg zu unserem eigenen Ziel, zu unserem eigenen Selbst zu machen.

An Halte-Stellen folgen die Busse einem bestimmten Zeitplan, das heißt: Um mitgenommen zu werden, muss man zum Zeitpunkt der Abfahrt dort sein. So zeichnen sich Rituale zunächst dadurch aus, dass sie idealerweise immer zum gleichen Zeitpunkt beginnen. Dann sind sie gut in den Alltag integrierbar. Auch der Verlauf eines Rituals ist klar strukturiert und die Dauer ist festgelegt. Wie beim Bus, in den man steigt, ist völlig klar, wann man am Ziel ist und aussteigen muss – und wieder in den Alltag einsteigen.

Kreislauf

Jeder weiß, dass unser Blutkreislauf lebensnotwendig ist. Sind Arterien verkalkt, das Blut zu dick, das Herz zu schwach, zu viele Fette im Blut, dann beeinflusst dies das Wohlbefinden, die Gesundheit und auch die Lebenserwartung eines Menschen. Auch in der Natur gibt es den immer gleichen Kreislauf von Werden und Vergehen, der lebensnotwendig für alles Lebendige auf der Erde ist. Bei uns ist er verbunden mit den Jahreszeiten. Alles in der Natur keimt, wächst, blüht, wird reif und stirbt beziehungsweise vergeht. Auf das, was in der Natur im Lauf der Jahreszeiten wächst, ist der Mensch existenziell angewiesen. In früheren Zeiten war dieser Kreislauf wahrnehmbarer als heute. Heutzutage können wir das ganze Jahr über Früchte und Gemüse aus aller Welt genießen. Als die meisten Menschen noch von dem lebten, was ihnen in ihrer Umgebung die Natur schenkte, wussten viele noch um die Abhängigkeit von der Natur: vom Wetter, von der Fruchtbarkeit des Bodens, von den Pflanzen, die dort gedeihen konnten, von den Tieren, die man jagen oder halten konnte. Genau deshalb ist die Natur wohl einer der Ursprungsorte von Ritualen. Man verehrte und würdigte die Natur mit diesem Tun, weil man wusste: Der Mensch lebt von ihr und ihren Gaben. Daher war es auch notwendig beziehungsweise selbstverständlich, mit Tieren und Pflanzen ehrfürchtig umzugehen. Naturvölker haben bis heute dieses Bewusstsein bewahrt und nehmen von der Natur nur das, was sie lebensnotwendig brauchen und was sie ihnen schenkt. Für das, was sie nehmen, bedanken sie sich und ehren es – mit Ritualen.

Eines der bekanntesten Rituale aus dieser Zeit ist das Johannisfeuer. Dieses Feuer wird heute zu Ehren des heiligen Johannes des Täufers entzündet, dessen Geburtstag jährlich am 24. Juni in der Kirche gefeiert wird. Ursprünglich war dieses Fest ein Fest zur Sommersonnenwende um den 21. Juni. Dann steht die Sonne am Höchsten, die Tage sind die Längsten des Jahres und alles steht in Blüte und Reife. Geht man jetzt in die Natur, dann riecht es überall nach Frische, Leben und Fülle. Es war und ist das Fest des Dankes an die Natur für ihre Gaben.

Heute erleben die Naturreligionen eine Renaissance. Menschen wollen das Leben unverfälscht, unverstellt erfahren. In den Kirchen geht es vielen zu sehr um Dogmen, Regeln, Vorschriften, Macht und Eitelkeiten.