Grand mit vieren - Hans Werner Kettenbach - E-Book

Grand mit vieren E-Book

Hans Werner Kettenbach

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Beschreibung

Paris, Mitte der siebziger Jahre. Während der internationalen Anti-Terrorismus-Konferenz wird der Journalist Claus Delvos in seinem Hotel durch eine Bombe getötet. Warum mußte er sterben? Als Opfer einer Verwechslung? Was sind die Hintergründe der Tat? Je länger sein Kollege Peter Grewe der Sache nachgeht, desto tiefer gerät er in den Sumpf von Bonner Politmachenschaften. Und desto mehr verstrickt er sich in den Fängen des eigentlich schwachen Geschlechts...
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Hans Werner Kettenbach

Grand mit vieren

Diogenes

Es besteht besonderer Anlaß, darauf hinzuweisen, daß die Personen dieses Romans in der Wirklichkeit nicht existieren. Sie sind zwar nicht völlig frei erfunden, und nur wenig ist erfunden an dem Milieu, in dem sie sich bewegen. Aber die Personen ebenso wie das Milieu wurden umkonstruiert nach den gängigen (wenn auch umstrittenen) Gesetzen der Detektivgeschichte. Die Wirklichkeit der Bundeshauptstadt wurde aufgetrennt und neu zusammengefügt, bis eine Geschichte herauskam, die nie passiert ist und nie passieren wird.

Die Wirklichkeit ist weniger dramatisch als die Detektivgeschichte. Sie ist weder so bösartig noch so anheimelnd. Sie schürzt ihre Knoten langsamer, weniger hektisch, meist viel verwickelter und oft so würgend unauflöslich, wie es keiner Detektivgeschichte verträglich wäre und kein Leser es ertrüge.

1

Die Botschaft hatte einen kleinen Autobus gechartert. Er brachte die Journalisten vom Flugplatz Charles de Gaulle zum Hotel in der Rue du Faubourg St-Honoré. Der Minister fuhr mit Blaulicht voraus. Er war nicht mehr zu sehen, als der Kleinbus sich in die Stadtautobahn einfädelte.

Grewe saß auf der hinteren, durchgehenden Bank mit Delvos zusammen, den Koffer neben sich, die Schreibmaschine zwischen den Füßen. Er spürte die drei Flaschen Bier, die er sich auf dem kurzen Flug von Bonn nach Paris hatte bringen lassen. Er trank sonst selten am Vormittag. Seine Beine waren angenehm schwer, ein warmes Gefühl spreizte sich in seinem Bauch und drang abwärts.

Die Stadtautobahn, die sich auf mächtigen Stelzen durch die Außenbezirke fraß, mutete ihn fremd und zugleich vertraut an. Es konnte daran liegen, daß er schon seit geraumer Zeit die Städte verwechselte, in die es ihn in den vergangenen Jahren hineingeweht hatte, auf zwei, drei Tage, höchstens einmal eine Woche, je nachdem, wie lange der Staatsbesuch oder die Verhandlungen dauerten, über die er für seine Zeitung zu berichten hatte.

War es Montreal, dessen Dächer, verschnörkelte Fassaden, Reklameschilder, Hinterhöfe im Vorbeifahren so ähnlich ausgesehen hatten? Die Batterien von Schornsteinen. Das leuchtete auf wie ein farbenfrohes Mosaik. Irgendwo in dem zerfetzten grauen Novemberhimmel mußte die Sonne ein Loch gefunden haben.

Erst auf dem brodelnden Boulevard St-Denis, als sie sich unzweifelhaft in Paris befanden, konnte er sich wieder orientieren.

Er erinnerte sich an die kleine Seitenstraße, in der er vor zwanzig Jahren an einem lauen Sommerabend unschlüssig, in praller Erregung auf und ab gelaufen war. Lichter in der Dämmerung, matt schimmernde Haut, das strömende Verkehrsgeräusch vom nahen Boulevard, in das immer wieder Musik- und Gesprächsfetzen aus den Bars hineinfielen. Die provozierende Geruchsmischung aus Pisse und Parfum. Ein Windhauch auf der erhitzten Stirn.

Körner, Kleinschmidt und Felten, die weiter vorn im Bus saßen, waren bereits mächtig in Stimmung. Körner hatte auf dem Flug mindestens drei Whisky zu sich genommen, Kleinschmidt seinen üblichen Gin Tonic: halbe-halbe. Es sah so aus, als erinnerten auch sie sich an das Viertel.

Kleinschmidt schlug Felten auf die Schulter und rief: »Junge, laß dich doch hier für deine Sendung anrufen, die Mädchen haben doch Telefon!« Der Presseattaché der Botschaft, der ganz vorn neben dem Fahrer saß, drehte sich um und verbarg seinen Ekel hinter einem verständnisvollen Lächeln.

Delvos, der die ganze Zeit stumm, aber unverkennbar glücklich aus dem Fenster geblickt hatte, sah Grewe an. »Findest du das nicht auch zum Kotzen?«

»Nee. Warum denn?«

»Na ja. Kaum sind die hier angekommen …«

»Na und?« Grewe schnippte die Asche von seiner Zigarette. »Du hast gut reden. Erst erzählst du mir, du hast die ganze Nacht herumgemacht, und dann wunderst du dich, daß andere Leute hier schneller anspringen als du.« Es tat ihm leid, sobald er diesen rüden Satz ausgesprochen hatte, aber Delvos blieb ruhig.

»Stimmt auch wieder.« Delvos lächelte und sah aus dem Fenster.

Vor dem Hotel standen fünf Flics, auf die beiden Eingänge verteilt, und drei Zivilisten, denen man ihren Beruf auch ohne Uniform ansah. Sie musterten die Koffer, die auf dem Bürgersteig nebeneinandergestellt wurden. Auf der anderen Seite der engen Straße machte Grewe drei weitere Aufpasser aus. Einer hatte sich vor dem kalten Regen, der mittlerweile seinen Schleier durch die Häuserschlucht zog, in den Eingang einer kleinen Galerie zurückgezogen. Die beiden anderen harrten barhäuptig an der Bürgersteigkante aus und ließen die Augen über die Front des Hotels wandern.

Auf der Kreuzung der Avenue Matignon stand ein weiterer Flic und regelte den Verkehr. Die drei schwarzen Limousinen, in denen der Minister und die Delegation vom Flugplatz abgeholt worden waren, parkten am Haupteingang des Hotels, vor ihnen die Motorräder der Polizeieskorte.

Der Presseattaché und ein junger, drahtiger Mensch, der aus dem Hotel gekommen war und den Attaché begrüßt hatte, sprachen mit einem der Zivilisten. Es dauerte eine Weile, bis der Zivilist nickte und eine Handbewegung machte, als wolle er ein Auto zum Weiterfahren antreiben. »Allez!« Zwei Hausdiener, die bis dahin unter der gestreiften Markise des Haupteingangs gewartet hatten, griffen die Koffer und trugen sie hinein.

An der Rezeption gab es Ärger. Der Presseattaché las laut eine Liste vor, auf der die Journalisten mit ihren Zimmernummern verzeichnet standen. Delvos hatte seinen Schlüssel bereits und wollte mit Grewe zum Aufzug gehen, als ein älterer, dunkel gekleideter Mann aus der Rezeption herausstürzte, ihnen nachsetzte und Delvos am Arm faßte: »Je m’excuse, Monsieur, mais ce n’est pas votre clef!«, und schon griff er nach dem Schlüssel. Delvos hielt den Schlüssel fest und antwortete wütend, in seinem fließenden Französisch, das für Grewe zu schnell war.

Aus der erregten Diskussion, in die auch der Presseattaché und der junge drahtige Mensch sich einschalteten, begriff Grewe schließlich, daß Delvos’ Zimmernummer auf der Liste der Botschaft falsch war. Für Delvos war ein anderes Zimmer reserviert. Es dauerte eine Weile, bis Delvos und der Presseattaché, der nicht als Dämlack dastehen mochte, den Versuch aufgaben, der Verwechslung auf den Grund zu gehen. Schließlich nahm Delvos den anderen Schlüssel an. Er erhielt dazu ein Päckchen, das im Schlüsselfach gestanden hatte.

Grewe versuchte, während sie auf den Aufzug warteten, ihn zu beruhigen. Aber Delvos war mißtrauisch. Er kündigte an, daß er sofort wieder hinuntergehen werde, wenn man ihn etwa auf ein mieses Zimmer abgeschoben haben sollte.

Im Aufzug sah Grewe auf das Päckchen, das Delvos noch immer in der Hand hielt, ohne es wahrzunehmen. Nur die Zimmernummer war darauf eingetragen, in kräftigen Ziffern: 482.

»Na, Junge, wenn das nicht was zu bedeuten hat.« Grewe tippte auf das Päckchen. »Da schickt dir eine Dame was, die ihr Inkognito wahren will.«

Aber Delvos war zu Scherzen noch nicht aufgelegt. »Spinner.« Er stopfte das Päckchen in die Tasche.

Sie waren beide auf der vierten Etage untergebracht, Grewe schräg gegenüber dem Aufzug, Delvos um die Ecke auf der Straßenseite. »Also, bleibt’s dabei? In zehn Minuten in der Halle?«

Grewe fragte, obwohl er eigentlich gar keine Lust mehr hatte, die Zeit bis zum ersten Informationsgespräch, das auf 15 Uhr angesetzt war, mit Delvos zu verbringen. Er fürchtete, daß Delvos entweder übellaunig bleiben oder sich wieder für das Thema begeistern würde, über das er sich auf dem Flug von Bonn nach Paris schon so atemlos verbreitet hatte: seine neue große Liebe, eine Frau, die nach seiner Darstellung ein Traumweib sein mußte. Sowohl die eine als auch die andere Aussicht ödete Grewe an. Aber er hatte Hunger, und er hoffte, daß Delvos, der sich in Paris besser auskannte, ihm zu einem guten Mittagessen verhelfen würde.

Delvos blieb stehen und sah Grewe zu, der seinen Zimmerschlüssel ausprobierte. »Ja, okay, in zehn Minuten. Das heißt, wenn wir in diesem Scheißhotel bis dahin unsere Koffer bekommen haben. Wieso ist denn eigentlich nicht gleich einer von diesen Gepäckträgern mit uns hochgefahren?«

»Menschenskind, weil die mit der Karre unseren ganzen Verein auf einmal bedienen. Nun vergiß es doch.« Grewe öffnete seine Zimmertür und schob sie hinter sich etwas heftig ins Schloß. Das Zimmer war, wie erwartet, in Ordnung. Er probierte den Fernsehapparat aus, warf seinen Mantel aufs Bett. Das Fenster ging hinaus auf einen Lichtschacht. Man sah ein Stück des schwarzgrauen Himmels. Der Regen hatte ein Strichmuster auf die Fensterscheiben gezeichnet.

Grewe überlegte einen Augenblick, ob er seine Frau anrufen solle. Er schaute ins Bad hinein. Fabelhaft, natürlich ein Bidet. Er hockte sich, in Hose und Jacke, prüfend darüber, sah sich plötzlich im Spiegel, der die ganze Wand einnahm, schnitt sich eine Grimasse: »Ah, bonjour, Madame, comment allez-vous?« Komisch, daß die Franzosen so ein Ding für erforderlich hielten, obwohl die Badewanne gleich daneben stand.

Es klopfte.

Vor der Tür stand der Hausdiener mit einer Karre voller Koffer. Grewe suchte nach Kleingeld, gab dem Hausdiener drei Francs. Er schloß die Tür und packte seinen Koffer aus. Nachdem er den dunklen Anzug in den Schrank gehängt hatte, öffnete er die Flasche Whisky, die der Botschafter mit verbindlichen Empfehlungen auf den kleinen Schreibtisch hatte stellen lassen, setzte sie an und nahm einen kräftigen Schluck.

Er ging zurück zu seinem Koffer. Als er den braunen Kordsamt-Anzug in den Schrank hängte, verspürte er eine dumpfe Erschütterung auf den Ohren. Die Zimmertür schlug heftig im Schloß, er spürte unter seinen Sohlen, wie der Fußboden erzitterte. Glas splitterte in seinem Rücken. Irgendwo kreischte eine Frau, spitz und langgezogen. Grewe trat von dem Kleiderschrank zurück und sah, daß ein Bild von der Wand gefallen war. Er wollte zum Fenster, kehrte auf halbem Wege um und riß die Tür auf.

Ein paar Deckenleuchten waren ausgefallen. Grewe schmeckte die graue Wolke aus Staub und Rauch, die hinter der Korridorbiegung hervordrang. Er stürzte der Wolke entgegen, bog um die Ecke, sah die Zimmertür, die halb aus dem Rahmen heraushing. Sie trug die Nummer 482. Noch immer quollen Staub und Rauch aus der zerfetzten Öffnung.

Von der anderen Seite des Korridors kam ein stämmiger Mann im Sprintertempo heran. Er schrie: »Zurück!«, als Grewe den Rest der Tür zur Seite trat. Grewe hustete, hielt sich sein Taschentuch vor Mund und Nase und stieg in das Zimmer, über einen zerbrochenen Stuhl, knirschende Mörtelbrocken. Der stämmige Mann war hinter ihm, er versuchte, ihn festzuhalten, Grewe schüttelte ihn ab.

Das Zimmer war verwüstet. Die Bettdecke brannte. Der stämmige Mann stieß Grewe beiseite, packte die Bettdecke an einem Zipfel und riß sie herunter, schlug sie übereinander, brüllte: »Los, helfen Sie mal!« Gemeinsam traten sie die Flammen aus.

Unten auf der Straße näherte sich ein Polizeifahrzeug mit winselnder Sirene, es klang sehr laut durch die leeren Fensterhöhlen. Grewe dachte, daß die Polizeisirenen in New York ein ganz anderes Signal geben. Welches nur?

Während er ein paar Flämmchen austrat, die noch einmal aufgeflackert waren, wurde ihm in einem sehr zähflüssigen Prozeß, der endlos lange zu währen schien, bewußt, was das nächste war. Er drehte sich um. Der stämmige Mann kniete neben einem gestaltlosen Bündel, das an der Wand zum Badezimmer halb saß, halb lag. Grewe sah einen absurd verdrehten Fuß in einem aufgeplatzten Schuh. Dann sah er das Gesicht, das einmal Delvos gehört hatte.

Grewe wandte sich ab. Er drückte sich an den Menschen vorbei, die in das Zimmer drängten. Er wurde an eine Frau gepreßt, deren Haar einen herb-süßen Duft ausströmte. Ein Flic tauchte auf, riß die Menschen mit beiden Armen zurück. Grewe fand sich auf dem Korridor wieder.

Er bog um die Ecke, schloß die Tür seines Zimmers, die noch immer offenstand, hinter sich und kam gerade noch rechtzeitig ins Badezimmer.

Nachdem er sich erbrochen hatte, hielt er sein Gesicht unter kaltes Wasser. Er spülte den Mund aus und ging ans Telefon. Er suchte, weil sie ihm nicht einfiel, die Vorwahlnummer der Bundesrepublik aus seinem Notizbuch heraus und wählte die Nachrichtenredaktion seiner Zeitung an. Niemand meldete sich. Grewe legte auf, wählte neu, diesmal das Stenographenzimmer. Der Hörer wurde sofort abgehoben. »Aufnahme, Wagenknecht.«

»Tag, Fräulein Wagenknecht, hier ist Grewe. Ich bin in Paris.«

»Ach, Sie Glücklicher! Wie ist denn das Wetter?«

»Beschissen. Fräulein Wagenknecht, in der Nachrichtenredaktion meldet sich niemand, können Sie bitte was aufnehmen?«

»Ja, natürlich, einen Augenblick, bitte, mein Block ist voll, ich muß mir einen neuen holen.«

Grewe zog die Flasche Whisky heran, klemmte den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter, schraubte den Verschluß der Flasche auf, nahm einen langen Schluck. Er fragte sich, ob Fräulein Wagenknecht schon wieder am Apparat war und sich auf das anhaltende Gluckern einen Reim machte. Er wischte den Mund ab, fühlte noch einmal krampfartig ein Würgen, hustete. Er hatte den Mund nicht gründlich genug ausgespült. Er nahm noch einmal einen Schluck. Als er sich eine Zigarette anzündete, meldete sie sich wieder: »Entschuldigung, Herr Grewe, ich mußte ein neues Paket aufmachen, jetzt kann’s losgehen.«

»Okay.« Grewe zog an der Zigarette. »An Nachrichten. Bombenanschlag auf Ministerhotel. Von unserem Korrespondenten Peter Grewe.«

Das Mädchen am anderen Ende schrie halblaut auf: »Um Gottes willen, ist Ihnen was passiert, Herr Grewe?«

»Nein, nein, alles okay, also weiter: Paris, Gedankenstrich. Am Donnerstag ist auf ein Pariser Hotel, in dem einige der Teilnehmer der internationalen Konferenz zur Bekämpfung des Terrorismus wohnen, ein Anschlag verübt worden. Um …« Grewe sah auf seine Armbanduhr. »Um 12.35 Uhr explodierte im Zimmer des Bonner Journalisten Dr. Claus Delvos – Claus mit Cäsar und Delvos mit Viktor und Siegfried –, Claus Delvos, der in Begleitung der deutschen Delegation reiste, eine Bombe. Delvos ist tot.« Grewe stutzte für den Bruchteil einer Sekunde. War Delvos wirklich tot? Er schob die Whiskyflasche in einer heftigen Bewegung von sich weg.

Es klopfte energisch an seine Zimmertür: »Ouvrez! Ouvrez tout de suite!«

Grewe drückte seine Zigarette aus. »Andere Menschen kamen nicht zu Schaden.«

Drei Schläge dröhnten an die Zimmertür, das war nicht mehr der Knöchel, sondern die Faust.

»Schreiben Sie das schon mal, ich melde mich später wieder. Bis dahin.«

»Herr Grewe, passen Sie schön auf sich auf!«

Er hatte schon aufgelegt. Er öffnete die Tür, die unter neuen Schlägen erbebte. Ein Flic und einer der Zivilisten standen davor. Der Zivilist packte ihn am Oberarm, und als Grewe sich losreißen wollte, drückte er zu, Grewe fühlte einen stechenden Schmerz, der Flic machte einen Satz nach vorn und packte ihn an dem anderen Arm.

2

Der junge Mann mit dem langen, gepflegten Haarschnitt blätterte Grewes Reisepaß durch, langsam, sorgfältig. Ein paarmal verharrte er, schob den Paß ein wenig näher unter die Schreibtischlampe mit dem grünen Schirm. Es wurde fast schon dunkel in dem kleinen überheizten Büro. Draußen über dem Quai des Orfèvres hatte sich der Himmel endgültig zugezogen. Es regnete anhaltend.

Grewe rieb sich den Oberarm, der noch immer schmerzte. Er konnte nicht genau erkennen, welche Visa den jungen Mann besonders interessierten. Wahrscheinlich waren es die arabischen. Wie hieß der Kerl noch mal? »Je suis l’inspecteur Janin. Asseyez-vous«, hatte er gesagt. Inspektor Janin. Der Name hätte aus einem Kriminalroman von Simenon stammen können. Gleich würde Maigret die Tür öffnen und hereinschauen, in Hut und Mantel, mit Schal und Pfeife, erkältet.

Plötzlich schlug der junge Mann den Paß zu, schob ihn zur Seite, sah Grewe an, richtete mit zwei Fingern den Knoten seiner Krawatte, die vollendet auf das zart gestreifte Hemd abgestimmt war.

»Vous êtes arrivé à l’hôtel avec Monsieur Delvos, n’estce pas?«

Fast hätte Grewe »oui« gesagt. Er kniff die Augen zusammen und starrte den Inspektor an. Sein Arm schmerzte. Er dachte nicht im Traum daran, diesen Arschlöchern auch nur einen Schritt entgegenzukommen.

»Ich verstehe Sie nicht. Je ne comprends pas. Mein Französisch ist sehr schlecht.«

»Ah, non, non, non, non!« Der Inspektor Janin lächelte. »Vous comprenez bien, je crois.« Pause. Unten auf dem Quai quietschten Bremsen. »Vous avez visité beaucoup de pays francophones, n’est-ce pas?« Er lächelte. Grewe blickte starr zurück. Das dauerte eine ganze Weile.

Dann griff der Inspektor Janin wieder nach Grewes Paß, nun nicht mehr lächelnd. »Sie haben viele Länder besucht. Zum Beispiel einige arabische Länder. Dort spricht man Französisch, nicht wahr?« Also doch. Der Kerl sprach fließend Deutsch. Grewe zündete sich eine Zigarette an.

»Ich bin durchgekommen, mit meinen paar Brocken. Aber zu mehr langt es nicht.«

»Nun, wir werden sehen.« Janin legte den Paß weg und zog ein leeres Blatt Papier heran, nahm einen Bleistift aus der Schale. »Sie sind heute mittag zusammen mit Herrn Dr. Delvos im Hotel angekommen?«

»Ja.«

»Erzählen Sie, bitte. Und vergessen Sie nichts. Es ist sehr wichtig.«

Grewe zog an seiner Zigarette. Schwätzer.

»Wir sind zusammen angekommen, mit den anderen Kollegen. Die Botschaft, die deutsche Botschaft hier, hatte einen kleinen Bus für uns zum Flughafen geschickt. Im Hotel waren wir kurz nach zwölf. Wir sind …«

»Einen Augenblick, bitte.« Janin zog einen Aktendeckel heran, schlug ihn auf. »Diese anderen Kollegen … Nennen Sie mir die Namen bitte.«

»Kleinschmidt, Dr. Franz Kleinschmidt. Hans-Jürgen Felten. Und Günter Körner.«

Janin sah in seinen Aktendeckel. »Und Herr Dr. Delvos und Sie. Diese anderen Herren arbeiten auch als Journalisten in Bonn?«

»Ja.«

»Sonst war niemand im Bus?«

»Doch.« Grewe zog an seiner Zigarette. »Der Fahrer.«

Janin runzelte die Stirn. »Und Herr Dr. Simonsen, nicht wahr?«

»Wer ist das?«

»Kennen Sie nicht den Presseattaché Ihrer Botschaft?«

Grewe drückte ärgerlich seine Zigarette aus. »Ich hatte seinen Namen vergessen. Ich sehe ihn zum ersten Mal.«

Janin klappte den Aktendeckel zu.

»Continuez. Fahren Sie fort.«

»Wir sind also kurz nach zwölf …«

»Einen Augenblick bitte, entschuldigen Sie.« Janin visierte mit der Bleistiftspitze einen Punkt auf seinem Blatt an. »Wo hat der Autobus Sie erwartet?«

»Auf dem Flugfeld.«

»Auf dem Flugfeld?«

»Auf dem Flugfeld, richtig.« Grewe starrte Janin an. »Der Bus stand in der Kolonne, die den Minister und die Delegation zum Hotel brachte.«

»Und Sie haben mit dem Herrn Minister und seiner Delegation das Flugfeld verlassen?«

»Ja.«

»Sie haben sich also nicht einer Kontrolle unterzogen, durch die Polizei und durch die Zollbeamten?«

»Nein.«

»Aber Sie sind vor dem Abflug in Bonn kontrolliert worden?«

»Nein.«

Janin starrte ihn an. »Wollen Sie sagen, daß Sie unkontrolliert das Regierungsflugzeug bestiegen haben?«

»Ja, natürlich will ich das sagen!« Grewe fixierte Janin. »Ich weiß nicht, was daran so besonders ist. Das ist immer so. Wenn Journalisten auf einem Regierungsflug mitgenommen werden, dann sind das doch nicht irgendwelche unbekannten Passagiere. Von den fünf, die heute auf dem Flug waren, kannte der Minister jeden persönlich. Außer mir sind sie alle Spezialisten. Sie beschäftigen sich besonders mit dem Ressort des Ministers. Herr Felten zum Beispiel. Und Dr. Delvos auch.«

Grewe griff nach seinen Zigaretten. »Delvos hat alles mögliche kommentiert für seinen Sender. Aber er hat sich besonders für den Terrorismus interessiert. Er hat auch ein paar große Sachen darüber geschrieben und in Zeitschriften veröffentlicht. Er ging in dem Ministerium ein und aus. Und er war gar nicht so selten auch bei dem Minister zu Hause.«

Grewe merkte, daß Janin ihn stumm beobachtete. Er kniff die Lippen zusammen.

»Sie sind kein Spezialist?«

»Nein.«

»Wie kommt es, daß Sie trotzdem an dieser Reise teilnehmen?«

»Weil meine Zeitung einen Bericht über diese Konferenz haben wollte und weil unser Pariser Korrespondent im Krankenhaus liegt.«

»Wie heißt Ihr Korrespondent?«

»Hermann Wackerath.«

Janin notierte den Namen. »Aber der Minister kennt auch Sie persönlich?«

»Ja.«

Janin legte seinen Bleistift ab. Er griff zum Telefonhörer, legte ihn wieder auf. »Excusez-moi. Einen Augenblick, bitte.« Er ging in das Nebenzimmer, schloß die Tür hinter sich.

Grewe verspürte Befriedigung darüber, daß dieser jugendliche Sherlock Holmes prompt auf die erste falsche Fährte gestiegen war, die sich ihm anbot. Weil sie nicht kontrolliert worden waren, glaubte der Dummkopf ganz offensichtlich, daß Delvos sich die Bombe eigenhändig in seinem Gepäck mitgebracht hatte. Womöglich glaubte er, daß Delvos die Ministerkonferenz in die Luft sprengen wollte und irrtümlich zu früh an der Strippe gezogen hatte. Beim Auspacken womöglich.

Grewe schnaufte verächtlich. Seine Gedanken begannen wieder um das Päckchen zu kreisen, das Delvos mit dem Zimmerschlüssel übergeben worden war. Wieso hatte nicht Delvos’ Name daraufgestanden, sondern nur die Zimmernummer? Die Nummer eines Zimmers, das ursprünglich nicht für Delvos vorgesehen war?

Langsam jetzt, und logisch bitte: Wenn das Päckchen die Bombe enthalten hatte, sprach dann nicht alles dafür, daß die Sprengladung gar nicht für Delvos bestimmt gewesen war, sondern für jemanden, der ursprünglich in Zimmer 482 hatte wohnen sollen?

Grewe wußte sehr wohl, daß eben nicht alles dafür sprach. Er verbiß sich wieder in den Gedanken, der ihn sehr daran zweifeln ließ, daß Delvos schlicht einer Verwechslung zum Opfer gefallen war. Was war mit Delvos’ Traumweib?

Aber er drang auch dieses Mal nicht bis auf den Grund vor. Er merkte, daß er allmählich müde wurde. Das Bier und der Whisky quollen warm bis unter die Schädeldecke. Seine Augenlider wurden immer schwerer.

Er trat ans Fenster und sah auf den Quai hinunter. Der Himmel hatte sich ein wenig aufgehellt, aber es regnete noch immer. Die kahlen Bäume troffen von Nässe. Drei Uhr vorbei. Wenn er der Zeitung noch eine vernünftige Story durchgeben wollte, wurde es allmählich Zeit, daß er an seine Schreibmaschine kam. Aber dieser Inspecteur Janin würde seine kriminalistischen Fähigkeiten mit Sicherheit noch eine Weile an ihm ausprobieren wollen. Grewe fluchte laut.

Das Viertel auf dem anderen Ufer des Seine-Arms mußte St-Germain sein. Wieder schwamm ein Stück Erinnerung aus der Tiefe empor. Der Sommerabend, an dem er in einer der winkligen Straßen Beefsteak und Fritten gegessen hatte, für zwei Francs fünfzig. Er hatte, während er sich den Bauch vollschlug, verstohlen zwei langhaarige Mädchen beobachtet, die einige Tische weiter saßen.

Grewe merkte, daß er heftigen Hunger hatte. Richtig, das Mittagessen mit Delvos war ja ausgefallen. Während er abermals laut fluchte, kam der Inspektor zurück.

»Je m’excuse, asseyez-vous.« Er sah zu, wie Grewe sich wieder in dem hölzernen Armstuhl niederließ. Und dann kam die Aufforderung, die Grewe tief enttäuschte: »Erzählen Sie mir von dem Päckchen, bitte.«

»Von welchem Päckchen?« Er sträubte sich gegen die Erkenntnis, daß dieser Janin eigentlich gar nicht so einfältig war.

»Von dem Päckchen, das Herrn Dr. Delvos übergeben worden ist.«

»Ach, dieses Päckchen. Irgend jemand hat es ihm zusammen mit dem Schlüssel gegeben, und Dr. Delvos hat es mit auf sein Zimmer genommen.«

»Wer hat es ihm gegeben?«

»Irgend jemand von diesen Leuten an der Rezeption.«

»Sie könnten ihn nicht identifizieren?«

»Nein. Ich weiß auch nicht, ob das etwas nützen würde. Das Päckchen hat doch anscheinend schon vorher im Schlüsselfach gestanden. Der Mann an der Rezeption hat es zusammen mit dem Schlüssel gegriffen und Delvos gegeben. Oder war es das Mädchen?«

»Welches Mädchen? Heute mittag standen zwei junge Damen an der Rezeption.«

»Kann sein. Ich weiß es nicht.« Grewe erinnerte sich sehr genau. Die eine von den beiden hatte eine ziemlich üppige Brust, die Seidenbluse unter dem dunkelblauen Jäckchen hatte weißlich glänzende Falten gezogen. Keins der beiden Mädchen hatte Delvos den neuen Schlüssel und das Päckchen gegeben. Es war der junge, schlanke Mulatte gewesen.

»Also gut.« Janin seufzte. »Haben Sie bei Herrn Dr. Delvos irgendeine Reaktion auf dieses Päckchen bemerkt?«

»Nicht, daß ich wüßte.«

Janin sah ihn an. »Sie sind keine sehr große Hilfe, Herr Grewe.«

Grewe erwiderte den Blick. »Wundert Sie das? Ich komme hier an in Ihrer fabelhaften Hauptstadt, muß erleben, daß ein Freund von mir in einen Haufen … daß er ganz einfach umgebracht wird, dann schlagen zwei Gorillas fast meine Zimmertür ein, brechen mir um ein Haar den Arm und schleppen mich zur Sûreté ab. Was glauben Sie, wie groß meine Bereitschaft ist, Ihnen behilflich zu sein?«

Janin lächelte ganz unerwartet. »Die Sûreté gibt es nicht mehr, Herr Grewe. Die gibt es nur noch in schlechten Kriminalromanen. Sie sind hier bei der Police Judiciaire, das ist ganz schlicht die Kriminalpolizei.«

Grewe wurde hellwach. »Was soll das heißen? Sie glauben also nicht an einen Terroranschlag? Sie suchen einen gewöhnlichen Mörder?«

»Oh, nein. Sie werden zwar hier bei uns vernommen, Sie und ein paar andere Personen, von denen wir hoffen, daß sie uns Aufschlüsse geben können. Aber wir vernehmen Sie im Auftrag der D.S.T. Das ist die Direction de la Surveillance du Territoire, und die hat sehr wohl etwas mit dem Terrorismus zu tun.«

»Sehr interessant.« Grewe rieb seinen Arm.

»Und was Ihre Vorführung angeht, so muß ich Sie um Ihr Verständnis bitten. Man hat Sie im Zimmer von Herrn Dr. Delvos beobachtet. Sie waren der erste dort nach der Explosion. Und der Herr, der Ihnen folgte, war ein deutscher Sicherheitsbeamter, ein Kollege von mir, der Ihre Delegation begleitet. Er hat Sie vermißt, nachdem alle diese Leute in das Zimmer eingedrungen waren. Man hat nach Ihnen gesucht. Zwei Personen haben Sie beobachtet, als Sie in Ihr Zimmer zurückgingen. Es ist ja doch ein wenig merkwürdig, daß ein so wichtiger Zeuge so schnell vom Tatort verschwindet, nicht wahr? Ich muß Sie also um Verständnis bitten, wenn man Sie ein wenig hart angefaßt haben sollte.«

»Schon gut, vergessen Sie’s.«

»Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis.« Janin richtete die Spitze seines Bleistifts wieder auf sein Blatt, sah dann wieder auf. »Haben Sie lesen können, was auf dem Päckchen stand?«

Grewe überlegte einen Augenblick sehr konzentriert. Es hatte keinen Sinn, diesen Knaben allzusehr gegen sich aufzubringen. Wenn er allzu viele Auskünfte verweigerte, konnte er sich höchstwahrscheinlich auf eine Nacht in dieser Bude einrichten.

»Die Zimmernummer.«

»Was war das für eine Nummer, wissen Sie sie noch?«

»Vierhundertzweiundachtzig.«

»Und was stand sonst noch auf dem Päckchen?«

»Nichts.«

»Nichts? Wollen Sie sagen, daß der Name von Herrn Dr. Delvos nicht daraufstand?«

»Ja. Es stand nur die Zimmernummer darauf. Ziemlich groß.«

Janin schien einen Augenblick lang im Begriff, wieder aufzustehen. Dann sah er Grewe scharf an.

»Fanden Sie das nicht merkwürdig? Und fand Herr Dr. Delvos das nicht merkwürdig?«

»Ich fand es ein bißchen merkwürdig, das ist wahr. Aber Herr Delvos war wahrscheinlich gar nicht imstande, irgend etwas als merkwürdig zu empfinden. Er war zu wütend über diesen Zimmertausch.« Grewe sah Janin gespannt an.

Janin blieb unbewegt. »Was wissen Sie über den Zimmertausch?«

»Auf der Liste der Botschaft war für Herrn Delvos ein anderes Zimmer vorgesehen. Er hatte den Schlüssel schon, und dann kam der Chef der Rezeption, oder wer das war, und nahm ihm den Schlüssel wieder ab. Delvos war sehr aufgeregt. Er dachte, man hätte ihn auf ein schlechteres Zimmer abgeschoben. Er war sehr empfindlich in solchen Sachen.«

»Mehr wissen Sie nicht?«

»Über den Zimmertausch? Nein.«

»Sie sind nicht mit Herrn Dr. Delvos noch auf dieses Zimmer gegangen?«

»Nein. Warum sollte ich?«

»Nun, vielleicht um nachzusehen, ob es tatsächlich ein schlechtes Zimmer war. Und um ihn zu beruhigen?«

Grewe merkte, daß Janin ihn scharf beobachtete. Mein Gott, jetzt überlegte dieser Idiot vielleicht auch noch, ob er selbst seinem Freund das Ei ins Nest gelegt haben könnte.

»Nein. Wenn Sie sich mal die Mühe machen wollten, sich den Grundriß dieses Hotels anzusehen, dann werden Sie feststellen, daß mein Zimmer gleich am Aufzug liegt, während man zu dem seinen noch ein Stück gehen muß.«

»Das wäre kein Grund gewesen, ihn nicht zu begleiten. Wenn Sie ihn beruhigen wollten.«

»Richtig. Aber ich wollte ihn gar nicht beruhigen. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Er ist mir auf die Nerven gegangen mit seiner Aufregung.«

Janin suchte mit der Bleistiftspitze seine Notizen ab. »Sie haben vorhin Herrn Dr. Delvos einen Freund genannt. Jedenfalls habe ich Sie so verstanden, daß dieser … dieses Ereignis Sie schwer getroffen hat.«

»Richtig.«

»Sie waren also mit Herrn Dr. Delvos sehr befreundet?«

»Mein Gott, ja, was heißt sehr befreundet? Ich weiß nicht, ob man das so nennen kann. Ich mochte ihn. Er war ein netter Kerl. Der Mann hat schwer was abbekommen. Vor drei Jahren ist seine Frau gestorben, an Krebs. Sie war Anfang Dreißig. Er wollte nicht von Bonn weg, er war erst ein Jahr vorher Korrespondent geworden, glaube ich. Er ist sehr ehrgeizig. Er war sehr ehrgeizig, meine ich. Also hat er sich von den beiden Kindern getrennt. Seine Schwester hat sie zu sich genommen, sie ist verheiratet, lebt in Saarbrücken. Er hat sich oft ziemlich einsam gefühlt seither. Und ich habe mich um ihn gekümmert. Es ist mir nicht schwergefallen, er war ein netter Kerl, insgesamt.«

Janin nickte. »Ich verstehe. Sie kannten ihn also recht gut. Hatte er Feinde, persönliche Feinde, meine ich?«

»Delvos?« Grewe überlegte wieder in höchster Anspannung.

Dieses Mal hatte Janin genau den Punkt berührt, um den seine Gedanken seit heute mittag kreisten und den er diesem Polizisten nicht ausliefern wollte. Er rückte sich in dem Armstuhl zurecht. »Das glaube ich nicht. Ich halte es für ausgeschlossen.«

»Wieso ausgeschlossen? Sie haben gesagt, daß Herr Dr. Delvos ehrgeizig war. Ist es nicht ganz normal, daß ein ehrgeiziger Mensch Feinde hat?«

»Wenn Sie das so sehen, vielleicht. Aber er war nicht ehrgeizig auf diese Art. Ich meine, er war nicht der Typ, der über Leichen geht. Er war eher so ein strebsamer Typ, ungeheuer fleißig. Solche Leute haben vielleicht wenig Freunde. Aber Feinde?«

Es klopfte. Aus dem Nebenzimmer steckte ein dicker Kerl mit schwarzem Schnauzbart den Kopf durch die Tür: »Janin …«

Janin runzelte die Stirn. »C’est toi enfin? Qu’est-ce que tu as trouvé?«

Der Dicke winkte stumm mit dem Daumen über die Schulter. Janin stand auf. Die Tür schloß sich hinter den beiden.

Grewe zündete sich eine Zigarette an. Er starrte geistesabwesend auf die Blätter, die Janin unter der Schreibtischlampe mit dem grünen Schirm hatte liegenlassen. Er mußte dieses Problem jetzt lösen. Er mußte wissen, was er wollte, bevor dieser gar nicht so unfähige Sherlock Holmes ihn in Verwicklungen hineinzog, die er nicht überblickte. Grewe gab sich daran, in seiner Erinnerung jedes Wort der Unterhaltung aufzuspüren, die er auf dem Flug von Bonn nach Paris mit Delvos geführt hatte.

3

Der Flugkapitän der Regierungsmaschine war vor dem Start aus dem Cockpit nach hinten gekommen und hatte die Truppe inspiziert. Er hatte Grewe fast wie einen alten Kriegskameraden begrüßt. »Mensch, Grewe, das find ich aber prima, daß Sie mal wieder mit mir fliegen! Wann war’s das letzte Mal, das ist doch jetzt schon verdammt lange her? Tokio vielleicht?«