Großstadtnächte, Liebesträume - Jo Leigh - E-Book
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Großstadtnächte, Liebesträume E-Book

JO LEIGH

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Beschreibung

Für Luca Paladino ist seine neue Untermieterin April die heißeste Frau in ganz New York. Ihre aufregend süßen Küsse lassen ihn nicht nur vor Verlangen vergehen, er verliebt sich auch in sie. Aber als er den sexy Wirbelwind halten will, begeht er einen verhängnisvollen Fehler …

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IMPRESSUM

Großstadtnächte, Liebesträume erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2017 by Jolie Kramer Originaltitel: „Daring in the City“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY EXTRA HOT & SEXYBand 67 - 2017 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Ulrike Pesold

Umschlagsmotive: g-stockstudio_GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733739294

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

„Pass auf!“

Luca folgte dem Blick seines Bruders und atmete hörbar aus. „Schon gut. Sie schafft das.“

„Sie hat Frankie beinahe mit dem Balken getroffen“, sagte Tony.

„Hat sie nicht. Du machst dir nur Sorgen, weil sie ein Mädchen ist.“

„Du kannst mich mal. Du kennst mich besser.“

Luca lachte. Wenn sein Bruder immer noch nicht wusste, wann er Spaß machte, war das sein Problem. Luca hatte genug eigene.

„Ist das der berühmte Tony Paladino?“, erklang Sals dröhnende Stimme hinter ihnen, und sie drehten sich um. „Was, Boss, du mit Schutzhelm? Mischst du dich heute unters gemeine Volk, oder wie?“

„Ich dachte, ich nehme mir im Büro mal frei. Ist das okay für dich?“

Sal grinste und schlug Tony auf die Schulter. „Ich mache nur Spaß. Ich wette, du bist hier, um zu sehen, wie meine Nichte arbeitet“, erwiderte er und sah zu ihr hinüber. „Carlita wird ihre Sache gut machen.“

„Ich mache mir keine Sorgen“, meinte Tony und ignorierte Lucas lachendes Schnauben.

„Ja, ich weiß“, sagte Sal. „Ich habe gehört, dass du zu beschäftigt damit bist, Eheringe auszusuchen, um dich um die Renovierungen zu kümmern.“

Luca drehte sich zu Tony um. „Du suchst Eheringe aus?“

„Einen Ring“, antwortete Tony kopfschüttelnd. „Ich habe einen Ring im Schaufenster gesehen und mich danach erkundigt. Das ist alles. Was ich wissen will, ist, wer mir hinterherspioniert und seine Klappe nicht halten kann!“

Luca, Sal und einige andere der Bauarbeiter lachten. Als ob man etwas in ihrer eng verbundenen Gemeinschaft hätte geheim halten können. Klatsch lief wie Wein durch Manhattans Little Italy, und niemand war davor sicher.

„Hey, Tony, wenn du schon da bist“, bemerkte Sal, „ich werde den Terminplan für die Hester-Street-Apartments ändern. Wir haben dort zwei leer stehende Wohnungen, also können wir dort die Leitungen reparieren, bevor wir sie wieder vermieten.“

Tony nickte, und Luca dachte über das letzte Mal nach, als er Gegenstand des Tratsches gewesen war – er war noch auf der Columbia gewesen und eines Tages mit einem neuen Motorrad zu Hause vorgefahren. Nichts allzu Spannendes eigentlich. Aber wann hatte er schon die Zeit gehab, wirklich in Schwierigkeiten zu geraten?

Was fünf Jahre lernen, feiern und aufreißen hätte werden sollen – allerdings nicht unbedingt in dieser Reihenfolge –, war von Tonys schwieriger Ehe, dem ersten Herzinfarkt ihres Vaters und der Rezession, die die Bauarbeiten in der Stadt auf ein Minimum reduziert hatte, unterbrochen worden.

Luca ließ Tony mit Sal zurück. Nachdem er sich kurz mit Frankie unterhalten hatte, der die Maße für die Trockenbauwand nahm, dachte Luca darüber nach, dass sein Bruder Ringe kaufen wollte. Es ergab Sinn.

Nach dem zweiten Herzinfarkt ihres Vaters hatte Tony die Firma so reibungslos übernommen, dass es nicht eine einzige Beschwerde gegeben hatte. Gleichzeitig hatte er sich in Catherine verliebt. Luca war sich sicher, dass sie bald heiraten würden.

Er wünschte sich, seine eigene Zukunft wäre etwas klarer. Er war dreißig, hatte einen Abschluss in Architektur und bereits ein Jahr seines dreijährigen Praktikums absolviert. Er hatte einen guten Job im Familienunternehmen und ein geregeltes Einkommen. Er wusste, dass er mehr Glück hatte als die meisten. Dennoch fühlte er sich ziellos.

Seine Familie war so stolz, dass er ein „großer Architekt“ wurde. Er fragte sich, was sie wohl denken würden, wenn sie wüssten, dass er sich lieber auf seine Schreinerarbeit konzentrieren wollte.

Im Moment hatten Paladino & Söhne großartige Möglichkeiten, Modernisierungen und Renovierungen in ganz Lower Manhattan auszuführen. Aber mit einem Architekten im Haus konnten sie einen völlig neuen Markt erschließen – öffentliche Gebäude, Kaufhausketten und sogar Militärverträge. Arbeiten, die nicht sehr kreativ waren, aber den Geldfluss ankurbeln und, wichtiger noch, die Arbeitsplätze ihrer loyalen Bauarbeiter sichern würden.

Bald würde Luca die letzten beiden Jahre des Pflicht-Praktikums in einer angesehenen Firma antreten, nach dessen Abschluss er für seine professionelle Lizenz qualifiziert sein würde. Seine Familie zählte auf ihn.

„Hey.“

Luca hatte seinen Bruder nicht näher kommen sehen. „Was ist los?“

„Das wollte ich dich fragen“, antwortete Tony. „Du scheinst abgelenkt zu sein. Alles okay?“

„Ja, klar. Ich, äh … ich habe nur ein paar Jungs vom Sanders-Projekt gebeten, mir dabei zu helfen, ein paar Sachen ins Mercury-Gebäude zu bringen.“

„Was für Sachen?“

„Hauptsächlich Arbeitsgeräte und Werkzeuge, aber auch ein paar persönliche Sachen. Ich ziehe in das Apartment, während ich es renoviere.“

Tony hob die Brauen. „Jetzt?“

„Ja, jetzt. Die Stromleitungen sind fertig, und ich habe angefangen, die Wände einzureißen. Also werde ich oben wohnen, während ich unten arbeite.“ In Übereinstimmung mit dem Paladino Trust – der verfügte, dass niemand außer der Familie wissen durfte, dass die Paladinos einen großen Teil des Grund und Bodens in Little Italy besaßen, und der die Mieten der Bewohner, die dort schon lange lebten, auf einem lächerlich niedrigen Niveau hielt – hatte Luca eines der zweistöckigen Apartments im obersten Stock eines Gebäudes im Familienbesitz für sich beansprucht.

Tony schüttelte den Kopf. „Was ist mit dem Praktikum?“

„Das Angebot ist unbefristet“, erwiderte Luca. „Es wird immer noch da sein, wenn ich bereit bin.“

Tony runzelte die Stirn. „Wenn du bereit bist? Du bist seit Jahren bereit.“

„So meinte ich das nicht.“ Allerdings meinte er es tatsächlich genau so, und das war das Problem. Tony wusste von seinem Nebenjob. Aber Luca bezweifelte, dass einer seiner Brüder verstand, wie gerne er mit seinen Händen arbeitete. Und seine Eltern? Sie würden ihm vorwerfen, dass er seine Intelligenz und seine Ausbildung vergeudete.

Aber sie hätten nicht unrecht. Er fühlte sich schlecht, weil sie all das Geld für eine elitäre Ausbildung ausgegeben hatten. Ironischerweise hatte er die Jahre auf der Universität gebraucht, um zu erkennen, dass er gar kein Architekt werden wollte.

„Du weißt, dass ich auch ohne dich zurechtkomme? Die Firma wird nicht zusammenbrechen, weil du nicht da bist.“

„Hör zu, ich will nicht groß darüber reden.“ Tony hatte einen wunden Punkt getroffen. „Ich kann nicht mehr bei unseren Eltern leben, okay? Ich habe schon lange nicht mehr alleine gelebt. Ich habe kaum Dates, weil ich keine Frau zu ihnen mitbringen will. Ich fühle mich jetzt schon unter Druck gesetzt, zu heiraten, und ich brauche Luft zum Atmen. Ich meine, wie soll ich je jemanden abschleppen? Mir ein Zimmer im Marriott mieten?“

Tony nickte. „Ja, stimmt. Du hast nur zwei Jahre alleine gewohnt, als du auf dem College warst, oder? Ich habe versucht, die Sache mit Angie zu retten, als du nach Hause gekommen bist. Du hast dich wirklich angestrengt. Hast dich um unsere Eltern gekümmert. Hast mehr in der Firma ausgeholfen, als es deine Aufgabe gewesen wäre.“

„Ich beschwere mich nicht.“

„Ich weiß.“ Tony schüttelte den Kopf. „Triffst du dich im Moment mit jemandem?“

„Du meinst außer den Frauen, die Mom und Nonna für mich aussuchen?“

„Moment. Wirst du überhaupt flachgelegt?“

„Sehe ich aus wie jemand, der flachgelegt wird? Darum muss ich da raus. Ich habe nächste Woche ein Date, eines, das ich arrangiert habe, also hoffentlich …“

„Okay, ich verstehe dich. Ein Jahr nach der Scheidung haben sie angefangen, mir damit auf die Nerven zu gehen, dass ich wieder heiraten sollte.“

„Ich erinnere mich. Und jetzt, wo du Catherine hast, fangen sie bei mir an. Danke schön.“

Tony lachte. „Schau, wenn du dir etwas Zeit nehmen willst, um dir etwas Eigenes zu schaffen, ist das kein Problem. Ich kann gerne öfter das Büro verlassen und aushelfen, und Dom macht sich auch gut.“

Luca wusste, dass das, was er in der Firma leistete, nicht wirklich übermäßig wichtig war. Die Angestellten und Subunternehmer, die für sie arbeiteten, waren erste Klasse. Das Einzige, was tatsächlich eine Veränderung bewirken würde, war, dass er seine Lizenz erhielt.

Wenn Architekt zu werden doch nur das wäre, was er wollte.

„Und danach denkst du mal darüber nach, dir eine Auszeit von der Firma zu nehmen und das Praktikum anzutreten. Wir mussten uns alle sammeln, als Dad krank war, aber es ist nicht fair, dich zurückzuhalten, wenn du nur noch zwei Jahre Praktikum vor dir hast, bevor du deine Traumkarriere startest.“

Traumkarriere? Luca ließ sich nichts anmerken, denn er wollte seinem Bruder keine Sorgen bereiten. Aber warum hatte er das alles nicht begriffen, bevor er zurück auf die Uni gegangen war?

Tief in seinem Inneren hatte er vermutlich gewusst, dass er sich verrannt hatte. Aber zu der Zeit hatte Tony mitten in seiner Scheidung gesteckt und war verständlicherweise abgelenkt gewesen. Es war Lucas Aufgabe gewesen, seinen Dad bei dessen Arztbesuchen zu begleiten. Herauszufinden, was genau mit ihm los war. Seine Mutter war krank vor Sorge gewesen und hatte sich nicht immer alles genau merken können, was der Arzt gesagt hatte.

Und dann hatte Luca sich auch noch um den Paladino Trust zu kümmern, als so viele ihrer Mieter hart von der Wirtschaftskrise getroffen worden waren, und schon war er nicht mehr der Herr über sein Leben gewesen.

Aber jetzt kam seine Zeit. Er würde verrückte Dinge tun, wenn ihm danach war. Jede Nacht eine andere Frau mit nach Hause nehmen, obwohl ihm das gar nicht ähnlich sah. Es ging darum, dass das Apartment ganz alleine ihm gehören würde und er tun und lassen konnte, was er wollte.

„Ich wollte dir nicht sagen, was du zu tun hast“, meinte Tony, die dunklen Brauen zusammengezogen. „Ich wollte nur …“

„Gut. Hör auf jetzt. Welchen Teil von ‚Ich will nicht groß darüber reden‘ hast du nicht verstanden?“

„Klugscheißer.“ Tony lachte in sich hinein. „Pass lieber auf. Sobald du dein eigenes Apartment hast, werden sie noch mehr versuchen, dich zu verkuppeln. Und Pop ist jetzt auf seinem Ich-will-Enkel – Trip.“

„Ich weiß. Aber zumindest muss ich es mir nicht mehr jeden Morgen beim Frühstück anhören.“

„Verstanden.“ Tony nickte. „Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Das ist das Schicksal aller Paladino-Söhne. Ich habe gehört, Nonna fängt jetzt auch bei Dominic an. Kannst du dir das vorstellen?“

„Als ob die Frauen bei ihm nicht schon Schlange stehen.“

Tony nickte. „Sieh es ein, Luca. Du bist geliefert.“

Tony wusste nicht annähernd, wie sehr er damit recht hatte.

2. KAPITEL

„Wes, wo bist du?“ Wenn April Branagan doch nur hätte schlafen können – dann hätte sie sich nicht so schrecklich gefühlt, weil Wes sie in den letzten neunundzwanzig Stunden nicht zurückgerufen hatte. „Ich bin im Bus. Wir fahren gerade los. Ich weiß, wahrscheinlich ist alles in Ordnung, aber ruf mich zurück, okay? Ich will mich noch etwas ausruhen, bevor ich Manhattan erreiche.“

Sie legte auf.

Die Reise von St. Louis zur Port Authority in New York würde über sechsundzwanzig Stunden dauern. Sie hatte vorgehabt, die meiste Zeit zu schlafen, aber stattdessen war sie ein nervöses Wrack.

April sah zu, wie ihre Heimatstadt Straße für Straße hinter ihr blieb, aber nachdem sie zehn Meilen gefahren waren, begann sie wieder, sich Sorgen zu machen. Wo zum Teufel war Wes? Ihr Exfreund und Geschäftspartner war nach New York vorausgefahren, um sich um eine Bleibe zu kümmern und sich mit ein paar Freunden vom College zu treffen. Diese hatten Verbindungen, die sie und Wes brauchten, um ihrer noch in den Kinderschuhen steckenden Dienstleistungsfirma Starthilfe zu geben. Sie planten einen Concierge-Service, der stundenweise Arbeitskräfte für alle möglichen Dienstleistungen an Privathaushalte vermittelte.

Wes hatte einen unglaublich guten Deal gemacht. Er hatte eine Unterkunft in Little Italy gefunden, in einem Gebäude, das renoviert wurde. Es waren nur ein kleines Zimmer und ein Bad im zweiten Stock eines leer stehenden Apartments, aber es war billig, gehörte dem Freund eines Freundes und, na ja, sie brauchten keinen Luxus. Das größte Problem würde das Schlafarrangement werden.

Wes wusste, dass ihre Beziehung nur noch rein geschäftlich war und auch bleiben würde. Sie waren schon eine Weile getrennt. Er hoffte jedoch, es wäre nur eine vorübergehende Trennung. April fragte sich, ob er nicht antwortete, weil er wusste, dass sie ihre Meinung nicht ändern würde, und deshalb sauer war. Obwohl er viel Zeit gehabt hätte, ihr vorher zu sagen, dass er ihre Geschäftsidee aufgeben wollte. Sie dachte, es müsse einen guten Grund geben, warum er nicht antwortete, und sie machte sich Sorgen, dass er einen Unfall gehabt hatte oder Opfer eines Überfalls – oder von etwas Schlimmerem – geworden war.

Sie zwang sich, mit dem Grübeln aufzuhören. Es hatte keinen Sinn, sich aufzuregen. Aber das war einfacher gesagt als getan.

„Verdammt, Wes, wo bist du? Warum antwortest du nicht? Muss ich wirklich jedes Krankenhaus in New York anrufen, um sicherzugehen, dass du noch lebst? Ich hoffe, du hast eine gute Entschuldigung. Ich gebe dir noch eine Stunde, dann rufe ich die Polizei.“

April wandte sich zum Fenster und sah hinaus. Sie war so unglaublich erschöpft. Aber wenn sie die Augen schloss, kam ihr ein schrecklicher Gedanke nach dem anderen.

Als ihr Telefon tatsächlich klingelte, zuckte sie zusammen. Doch es war nicht Wes, sondern ihre Mutter.

„Hi Mom.“

„Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt“, sagte ihre Mutter.

„Ich bin wach. Mach dir keine Sorgen, ich habe den ganzen Morgen lang geschlafen. Ich sollte mir eher Sorgen um dich machen. Hat Cassidy alles unterbringen können? Haben die Kinder sich schon eingelebt?“

„Es wird langsam. Zum Abendessen werden wir fertig sein. Aber erzähl mir von deiner Reise. Es muss so aufregend sein. Ruft Wes dich auch regelmäßig an?“

„Ja, klar. Er hat für die Wohnung und alles andere gesorgt.“

Ihre Mutter antwortete nicht gleich. „April Michela Branagan, sagst du mir die Wahrheit?“

„Mom, es ist alles gut. Ich bin nur müde.“ Sie drehte sich wieder zum Fenster und erkundigte sich bei ihrer Mutter nach dem Rest der Familie.

Ihre Mom und ihr Dad hatten wieder ein volles Haus. Mit fünf Kindern – und nur zwei, die noch zur Schule gingen – schienen ihre Eltern niemals Ruhe zu haben. Ihre Schwester Cassie war von ihrem Mann verlassen worden, und sie konnte mit ihrem Gehalt nicht ihre Kinder ernähren und eine Wohnung bezahlen, also war sie dorthin gegangen, wo alle Branagan-Kinder zu enden schienen. Wieder nach Hause. Nur Gott wusste, wo sie alle schlafen sollten. Was für ein Chaos. Vier Kinder und zwei Enkelkinder bedeutete, es gab keinen Platz mehr. Und das war ein wenig beängstigend für April, wenn man bedachte, dass ihr Geschäftspartner nicht zurückrief.

Aber sie würde nicht zulassen, dass etwas ihre Pläne durcheinanderbrachte. Sie hatte hart gearbeitet und jeden Cent gespart, um ihren Traum wahrzumachen. Was auch mit Wes los war, sie würde damit fertigwerden. Sie würde dafür sorgen, dass es funktionierte. Sie war gut darin. Für ihren Vater war sie immer das entschlossenste Mädchen im mittleren Westen gewesen.

„Hör zu, Liebes“, sagte ihre Mom. „Ich weiß, wie sehr du das willst und wie hart du gearbeitet hast, aber falls die Dinge nicht so laufen wie geplant, kannst du jederzeit nach Hause kommen. New York kann überwältigend sein. Das Ziel, das du dir gesetzt hast, ist nicht so einfach zu erreichen, wie einen normalen Job zu finden. Hör nicht auf deinen Vater und deinen Bruder. Nach Hause kommen bedeutet nicht, dass du eine Versagerin bist. Also versprich mir bitte, dass du nach Hause kommst, wenn es zu viel wird.“

Tränen sammelten sich in Aprils Augenwinkeln. Sie wäre eine Versagerin. Davon war sie überzeugt. Nein! Sie würde die Erste in ihrer Familie sein, die es schaffte. Allein. Sie würde tun, was nötig war, ganz gleich was es war – aber natürlich erst, nachdem sie Wes erwürgt hatte. Sie würde es in New York zu etwas bringen. „Natürlich, Mom“, erwiderte sie. Ihre Stimme war rauer, als ihr lieb war. „Ich verspreche es.“

April sah zum Mercury-Gebäude hinauf und dann auf den Apartmentschlüssel in ihrer Hand. Wes hatte ihn ihr in letzter Minute geschickt, und sie hatte nicht weiter darüber nachgedacht. Wie hatte sie so dumm sein können? Warum brauchte sie einen Schlüssel, wenn er sie am Busbahnhof treffen wollte?

Nachdem sie bei der Port Authority angekommen war und gesehen hatte, dass Wes nicht auf sie wartete, hatte sie sich nicht die Mühe gemacht, ihn noch einmal anzurufen. Sie hatte ihren Rucksack geschultert, ihren schweren Koffer und ihre riesige Reistasche genommen und es geschafft, durch das U-Bahnnetz zu navigieren, ohne in Tränen auszubrechen.

Sie hatte die Adresse zwei Mal überprüft, um sicherzugehen, dass sie am richtigen Ort war, bevor sie ihr gesamtes Gepäck durch den dunklen Eingang des Gebäudes schleppte, und sie betete, dass der Schlüssel tatsächlich ins Schloss des Apartments 4A passte.

Zum Glück passte er. Das Apartment war voller Baumaterialien und Werkzeug. Rasch fand sie die Treppe zu dem Zimmer, das Wes gemietet hatte.

Ihre letzte Hoffnung, dass das alles ein großes Missverständnis war, schwand, als sie das Zimmer betrat.

Natürlich war Wes nicht da.

Kein Koffer, keine Kleidung im Schrank – nichts, was auf seine Anwesenheit hindeutete. Das Einzige, was es im Zimmer gab, war eine Matratze mit zusammengeknüllten Laken und eine Mikrowelle, die neben einer Kaffeemaschine auf dem Fensterbrett stand.

Unter den Laken steckte allerdings ein Briefumschlag, auf dem in Wes’ Handschrift ihr Name geschrieben stand.

Aprils Hand zitterte, als sie den Brief herauszog. Ihr Magen zog sich vor Angst so zusammen, dass ihr übel wurde. Sie holte tief Luft und las:

Es tut mir leid. Ich zahle dir jeden Cent zurück. Das schwöre ich.

Das Stück Papier segelte davon, als ihre Beine ihr den Dienst versagten. Sie verfehlte die Matratze und schlug mit den Knien auf dem harten Holzboden auf. Es war schlimmer als in ihren schlimmsten Befürchtungen. Er war abgehauen. Mit ihrem Geld.

Er hatte sie in einer fremden Stadt in einem seltsamen Apartment alleine gelassen. Sie hatte zwar eine Geschäftsidee, aber keinen Partner. Er hätte sich um die technischen Dinge kümmern sollen, von denen sie selbst nicht viel verstand.

Und er hatte sie ohne Vorwarnung sitzen lassen.

Wie hatte er ihr das antun können? Sie waren ein Paar gewesen!

Sie vergrub den Kopf in den Händen und konnte die lauten Schluchzer nicht zurückhalten. Nicht nur, weil er ihr Geld gestohlen hatte, sondern weil sie nicht …

Oh Gott, die Erwartungen ihrer Familie waren für sie so wichtig gewesen, seit sie auf der Highschool gewesen war. Seit sie klein war, hatte ihr Vater sie ‚die große Branagan-Hoffnung‘ genannt. Er hatte dabei stets gelacht, aber sie wusste, dass er es ernst gemeint hatte.

Und jetzt wurde sie schon am ersten Tag von dem, was ihr gewagtestes Unternehmen hätte sein sollen, in die Knie gezwungen.

Die Demütigung war ebenso schwer zu verdauen wie der Betrug. Als sie ihr Schluchzen endlich unter Kontrolle bringen konnte, war ihr schwindelig. Aber sie hatte nicht aufgehört zu zittern.

Es dauerte eine Minute, bis April ihr Gleichgewicht wiederfand, nachdem sie aufgestanden war. Als sie wieder einigermaßen sicher auf den Beinen war, ging sie ins Bad, um sich ihr Gesicht abzutrocknen. Anstatt eines Handtuchs fand sie nur eine Rolle Klopapier auf dem Boden. Mit noch genau vier Blättern.

Sie würde den Mistkerl finden und umbringen.

3. KAPITEL

Luca kehrte erst nach acht Uhr abends in seine neue Wohnung zurück.

Er hatte seinen Eltern von seinen Plänen erzählt. Natürlich hatten sie gewusst, dass er auszog, aber sie waren genauso verblüfft wie Tony, dass er das Praktikum verschieben wollte.

Sie hatten reagiert, wie er es erwartet hatte. Ebenso wie Tony waren sie wenig begeistert, weil sie dachten, dass ihm die Architektenlizenz tatsächlich etwas bedeutete. Dennoch, zwei Jahre waren eine lange Zeit, wenn es um ein Leben ging, dessen er sich nicht sicher war.

Aber im Moment war seine Familie das Letzte, woran er denken wollte.

Endlich hatte er seine eigene Wohnung. Morgen würden sein Bett und sein Großbildfernseher geliefert werden, was bedeutete, dass er heute dafür sorgen musste, dass der Weg bis zur Treppe frei war.

Jetzt, wo dieser nervtötende Wes verschwunden war, konnte Luca endlich mit den Umbauarbeiten beginnen – nachdem er den Müll von diesem Idioten losgeworden war. Zumindest war er früher ausgezogen als geplant. Das war der Hauptgrund, warum Luca seinen Einzug vorgezogen hatte.

In sein neues Zuhause zu kommen, verursachte ihm eine Gänsehaut. Vielleicht war es dumm, aber er hatte lange auf diesen Moment gewartet.

Freiheit. Ruhe. Keine Überraschungsbesuche von Frauen aus der Nachbarschaft. Keine Fragen mehr, wohin er abends ging und mit wem.

Lucas erster Stopp war der Kühlschrank, den er eigentlich erst hätte aufstellen sollen, wenn die Arbeiten in der Küche beendet sein würden. Er musste nun besonders vorsichtig sein, oder er würde den Edelstahl zerkratzen, aber so hatte er immerhin kalte Getränke, während er hier arbeitete. Er nahm sich eine der Bierflaschen, die er am Morgen kaltgestellt hatte.

Nach zwei Schlucken zog er seine Kopfhörer hervor und schaltete auf seinem Handy die Musik an, dann fing er an, die Werkzeuge dorthin zu räumen, wo sie hingehörten.