The Personal Touch - Ein unwiderstehlicher Hauch (3teilige Serie) - Jo Leigh - E-Book

The Personal Touch - Ein unwiderstehlicher Hauch (3teilige Serie) E-Book

JO LEIGH

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Beschreibung

Zarte Spitze - heiße Haut Heftiges Verlangen erfasst Charles Warren, als seine Sekretärin Jane in sexy Dessous vor ihm steht. Nur zu gern lässt er sich von ihr verführen. Ein Spiel mit dem Feuer, denn nach einem Unfall leidet Jane an Amnesie und ist überzeugt, Charles’ zukünftige Ehefrau zu sein! Ein Hauch von Nichts Gedankenlose Leidenschaft, hemmungslose Lust - das war es, wovor sich die beiden Kollegen Brooke und Chase ihre jüngeren Geschwister bewahren wollten. Und nun finden sie sich selbst so wieder! Wie konnte das nur passieren? Zum Aufhören ist es aber längst zu spät … Mister Unwiderstehlich Als Nina von ihrer Chefin hört, dass der kleine Verlag, für den sie arbeitet, bald aufgekauft werden soll, ist sie entsetzt. Aufgewühlt von dem eben Gehörten, passiert ihr in dem Cafe, in dem sie ihre Mittagspause verbringt, ein Missgeschick. Sie schüttet ihren Kaffee einem äußerst attraktiven Mann übers Hemd. Der Unternehmer Jack Wright nimmt den Vorfall keineswegs tragisch - beide spüren, wie stark sie einander erotisch anziehen. Als Nina ihn am nächsten Tag in dem Cafe wieder sieht, nimmt sie glücklich seine Einladung fürs Wochenende an. Es werden zauberhafte Stunden der Liebe für sie. Doch sie ahnt nicht, wer Jack in Wirklichkeit ist ...

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Seitenzahl: 601

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Jo Leigh, Heather Macallister, Kate Hoffmann

The Personal Touch - Ein unwiderstehlicher Hauch (3teilige Serie)

IMPRESSUM

Zarte Spitze – heiße Haut erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2000 by Jolie Kramer Originaltitel: „Ms. Taken“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANYBand 971 - 2001 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Sarah Falk

Umschlagsmotive: dima_sidelnikov / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 09/2021.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751513098

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Eine Orange, fünf Vollkornkekse, drei Karotten. Hundert Gramm Käse, in Würfel geschnitten, und zwei Schokoplätzchen.

Jane Dobson lächelte, als sie die Anordnung ihres Lunchs betrachtete. Alles lag noch genauso ordentlich angerichtet da, wie sie es am Morgen eingepackt hatte.

Die Orange zu schälen war bei ihren kurzen Nägeln gar nicht einfach. Jane gab sich zwar die größte Mühe, sie nicht abzukauen, doch meistens fiel es ihr nicht einmal auf, wenn sie es tat.

Und wenn schon. Sie machte schließlich keine Werbung für Nagellack oder so etwas. Außerdem konnte sie mit kurzen Nägeln sehr viel schneller schreiben. Letzte Woche hatte sie fast einhundert Wörter pro Minute gestoppt. Mehr als noch vor einem Monat.

Nach mehreren erfolglosen Versuchen biss Jane einfach in die Schale der Orange und bekam einen Spritzer des Safts in ihren Mund. Sie verzog das Gesicht und richtete den Blick auf ihr bevorzugtes Projekt. Die ganze rechte Seite ihres Schreibtischs war mit Weihnachtskarten bedeckt. Einige hatten religiöse Motive, andere stellten Santa Claus mit Rentieren und Schlitten dar. Und dann waren da noch einige, ganz ohne Bilder. Die Schriftzüge sahen gut aus, aber wie viele „Fröhliche Weihnachten“ oder „Frohe Feiertage“ konnte man in einer Collage schon unterbringen?

Sie steckte ein Stückchen Käse in den Mund und kaute es sehr langsam. Sie aß immer langsam, was ihre Familie verrückt machte, aber das war ihr egal. Sie schämte sich ihrer kleinen Marotten nicht. Sie machten sie zu etwas Besonderem.

„Pass auf, Mädchen, dass er dich nicht mit den Karten herumhantieren sieht.“

Jane blickte auf zu Kandisha King, einer Kollegin aus dem Schreibbüro. Kandisha hielt einen großen braunen Umschlag an die Brust gedrückt, als sei sein Inhalt streng geheim. „Es ist Weihnachten“, erwiderte sie.

„Egal. Mr. Warren will keine privaten Sachen auf den Schreibtischen.“

„Aber Weihnachten ist doch sicher etwas anderes.“

Kandisha schüttelte den Kopf. „Tu, was du nicht lassen kannst. Aber weißt du, wie viele Sekretärinnen Mr. Warren in den letzten fünf Jahren hatte?“

Jane zuckte mit den Schultern. Sie war erst seit einem Jahr bei Warren Industries und interessierte sich nicht sonderlich für Firmenklatsch.

„Elf. Rechne das mal um.“ Kandisha ging zu Delias Schreibtisch weiter und legte den braunen Umschlag in den Eingangskorb.

Delia Robertson war Mr. Warrens Chefsekretärin und bis zum fünften Januar in Urlaub, was bedeutete, dass alle anderen Sekretärinnen Überstunden machen mussten. Und dass Jane Mr. Charles Warren sehr viel öfter als sonst sah.

Bei dem Gedanken an ihn vergaß sie ihre Weihnachtskarten. Sie aß zwar weiter, nahm aber den Geschmack kaum noch wahr. Sie sah nichts anderes mehr als Charles. Ihren Charles.

Auf seine liebenswerte, schroffe Weise lächelte er sie an. Ein Fremder hätte sich vielleicht nichts dabei gedacht, doch Jane … Jane wusste, dass dieses Lächeln ausgesprochen selten war. Es war erfüllt von Liebe und Dankbarkeit. Charles hatte es ihr selbst gesagt – was täte er ohne sie?

Nun wandte er sich ihrem Weihnachtsbaum zu, einer großen Silbertanne, die selbst dem Weißen Haus Ehre gemacht hätte, und hängte eine Kugel an einen Zweig. Jane schüttelte in sanftem Vorwurf ihren Kopf und befestigte die Kugel ein paar Zweige höher.

„Natürlich“, sagte Charles, in einem Ton, der Liebe und Bewunderung verriet. „Dort sieht es hübscher aus. Darauf wäre ich nie gekommen. Gibt es eigentlich irgendetwas, was du nicht kannst, Liebling?“

Sie errötete bescheiden, was Charles immer sehr erregte, wie sie wusste, und tatsächlich nahm er sie jetzt in die Arme und …

Ein Summen, das laut genug war, um halb New Jersey aufzuwecken, riss Jane aus ihren Tagträumen. Sie griff nach ihrem Stenoblock, sprang auf und eilte an Delias mächtigem Schreibtisch vorbei zu Mr. Warrens Büro.

Bevor sie jedoch eintrat, strich sie ihren Rock glatt, zupfte ihren Mohairpullover zurecht und vergewisserte sich, dass ihre Baskenmütze richtig saß. Dann klopfte sie an die massive Eichentür und trat leise ein.

Sie ging auf seinen Teakholzschreibtisch zu, und mit jedem leisen Schritt über den dicken grauen Teppichboden schlug ihr Herz noch etwas schneller. Je näher sie ihm kam, desto schwerer fiel es ihr, zu atmen. „Ja, Sir?“

Lange schaute er nicht auf, was Jane Gelegenheit gab, seinen Anblick in sich aufzunehmen. Er war nicht klassisch gut aussehend; dazu war sein Gesicht nicht makellos genug. Aber gerade die kleinen Unvollkommenheiten waren es, die Jane anziehend fand. Die etwas schiefe Nase, die kleine Narbe an der Stirn. Seine Augen waren allerdings perfekt. Dunkelbraun und sehr ausdrucksvoll. Und sein Lächeln war bezaubernd. Er war nicht übermäßig groß, vielleicht eins dreiundachtzig, hatte aber einen kräftigen, durchtrainierten Körper. Sie hatte seine nackten Arme gesehen, als er einmal seine Ärmel aufgekrempelt hatte. Sie waren muskulös und stark und seit jenem Tag ein wichtiger Bestandteil ihrer Träume.

„Ich habe Ihnen etwas zu diktieren.“

Sie fuhr zusammen. „Ja, Sir“, sagte sie, als sie zu dem kleinen Sessel rechts neben seinem Schreibtisch ging. Nachdem sie sich gesetzt hatte, schlug sie die Beine übereinander und achtete darauf, dass ihr Rock zwar ein bisschen, aber keinesfalls zu weit hinaufrutschte. Dann legte sie den Block auf ihr Knie und schaute mit einem erwartungsvollen Lächeln zu Charles auf. Aber er war noch immer mit den Papieren auf dem Tisch vor ihm beschäftigt.

„Notieren Sie das Folgende so, wie ich es sage: Holly Baskin, ehemalige Vassar-Studentin, bitte C. W. anrufen.“

Jane sah auf. „Ja?.“

„Das ist alles. Tippen Sie das, und bringen Sie es morgen früh in die Anzeigenannahme von ‚Attitudes‘. Ich möchte, dass es in der Ausgabe vom achtzehnten Dezember erscheint.“

„In der Rubrik mit den Privatanzeigen?“

„Ja.“

„Holly Baskin?“

Er buchstabierte langsam beide Namen. Dann sah er Jane an. Oder streifte sie vielmehr mit einem Blick. Doch davon ließ sie sich nicht täuschen. Sie hatte die Leidenschaft in seinem Blick gesehen. Er liebte sie. Er wusste es nur noch nicht.

Wer mochte diese Holly Baskin sein? Warum sollte Charles sie durch eine Kontaktanzeige suchen müssen? Attitudes war eins der anspruchsvolleren Magazine, auf Hochglanzpapier gedruckt, ein absolutes Muss für Insider. Jane kaufte die Zeitschrift hin und wieder, wenn sie es sich erlauben konnte, und schnitt Bilder aus von Dingen, die sie sich für ihr Traumhaus wünschte.

Aber das tat jetzt nichts zur Sache. Wichtig war jetzt nur das Inserat. War diese Holly Baskin eine alte Freundin aus Charles’ Zeit in Harvard? Eine Geschäftsfreundin? Oder gar eine Geliebte? Himmel, bloß nicht das!

Jane sah Charles prüfend an, doch sein Gesichtsausdruck war unergründlich.

„Miss Dobson?“

„Ja?“

„Worauf warten Sie noch?“

Sie riss sich zusammen und versuchte, nicht zu betreten auszusehen, als sie aufstand und zur Tür ging. Sie spürte Charles’ Blick auf sich, als sie nach dem Türknauf griff und dabei ihren Notizblock fallen ließ, doch als sie sich danach bückte und rasch zu ihm hinübersah, hatte er sich schon wieder seinen Papieren zugewandt. Sie huschte hinaus, zog die Tür hinter sich zu und lehnte sich an den Rahmen.

Das war kein guter Auftritt gewesen. Charles brachte sie durcheinander. Natürlich war das keine Absicht; im Grunde genommen war es ihre eigene Schuld. Aber könnte er sie nicht wenigstens einmal anlächeln?

Auf dem Weg zu ihrem Schreibtisch sah sie sich noch einmal den Namen auf ihrem Notizblock an. Holly Baskin. Der Name passte irgendwie nicht zu Charles. Ein Mann in seiner Position brauchte eine Frau mit einem stärkeren, traditionelleren Namen. Wie beispielsweise Jane.

Das Telefon klingelte, und Jane nahm ab. „Büro Mr. Warren.“

„Hi, Janey.“

„Oh, hi, Darra.“ Jane setzte sich. „Wie geht es dir?“

„Fabelhaft. Hör mal, ich wollte dir nur sagen, dass wir am Sonntag in drei Wochen ein weiteres Restaurant eröffnen. Es liegt ganz in der Nähe deiner Firma.“

Jane runzelte die Stirn. Darra hatte sie noch nie zu einem dieser Anlässe eingeladen, bei denen es von Prominenten nur so wimmelte. Sie und drei andere Models, mit deren gemeinsamem Einkommen man die gesamte Staatsverschuldung hätte tilgen können, hatten fünf Restaurants eröffnet und sie „Haute Couture“ genannt. Bisher hatten sie es ohne Janes Präsenz geschafft, wieso also auf einmal diese Einladung?

„Jane? Bist du noch da?“

„Ja.“

„Gut. Würdest du gern kommen?“

„Ich?“

„Natürlich du, Dummchen. Es wird Zeit, dass du siehst, womit ich mich in letzter Zeit beschäftigt habe.“

„Ich war schon in eurem Restaurant in SoHo.“

„Wirklich?“ Darra räusperte sich, aber bei ihr klang es kultiviert, ja sogar sexy. „Gefällt es dir?“

„Es ist hübsch. Sehr … modern.“

„Gut. Dann kann ich also mit dir rechnen?“

„Ich denke schon. Wann eröffnet ihr?“

„Am dreiundzwanzigsten Dezember. Das ist ein Sonntag.“

Jane hatte schon ihren Kalender umgeblättert und gesehen, dass für den Dreiundzwanzigsten nichts eingetragen war. Tatsächlich sogar für die ganze Woche nichts.

„Und noch etwas, Janey.“

„Ja?“

„Könntest du nicht deinen Chef fragen, ob er mitkommen will? Als unser Gast natürlich.“

Ein Gefühl durchzuckte Jane, das ihr so vertraut war wie das Atmen: Enttäuschung, die Begleiterin seit ihrer frühesten Kindheit. „Mr. Warren ist derzeit sehr beschäftigt“, sagte sie.

„Aber könntest du ihn nicht wenigstens fragen?“

„Warum?“

„Weil … na ja, weil er genau die Art von Klientel ist, die wir suchen. Wenn es ihm gefällt, kommt er vielleicht wieder und bringt seine Freunde mit.“

„Er kann nicht.“

„Er kann was nicht?“

„Kommen. Ich habe gerade in seinem Kalender nachgesehen. Er wird am Dreiundzwanzigsten im Ausland sein.“

„Verdammt.“

„Aber ich werde es ihm sagen, wenn er wiederkommt.“

„Danke“, sagte Darra, und in Gedanken sah Jane, wie ihre Schwester einen Schmollmund zog, der beinahe ihr Markenzeichen war. Die „bezaubernde“ Darra, deren Gesicht Jane von Plakatsäulen in ganz Manhattan zu verfolgen schien.

„Leg es dahin.“

Jane wollte schon fragen, was ihre Schwester meinte, merkte dann aber, dass die Bemerkung nicht an sie gerichtet war. Wahrscheinlich sprach Darra mit ihrem Freund. Guy, oder „Gi“, wie er es aussprach, als wäre er Franzose, obwohl Jane wusste, dass er in Omaha, Nebraska, aufgewachsen war. Auch gut. „Gi“ passte wahrscheinlich besser zu Darra, die auch nicht Darra hieß, sondern Darlene.

„Ich muss los, Janey. Ich ruf bald wieder an.“

„Bye“, sagte sie, doch die Leitung war schon tot. Dabei war Darra gar nicht absichtlich gemein. Sie meinte es nicht böse. Sie hatte bloß ein eher kurzsichtiges Bild der Welt. Sie pfiff auf Kopernikus; für Darra war Darra der Mittelpunkt des Universums. Oder zumindest doch, solange sie nicht in der Nähe ihrer anderen Schwestern war.

Die fabelhaften Dobson-Mädchen. Janes älteste Schwester, Pru, hatte gerade eine triumphale Tournee mit dem Bostoner Symphonieorchester beendet. Vor ein paar Tagen hatte Jane in der Times einen Artikel über sie gelesen, in dem über den Diebstahl ihrer kostbaren Violine berichtet wurde. Sie tauchte am nächsten Tag jedoch schon wieder auf, und Jane hätte um den Preis der Stradivari wetten mögen, dass Pru das Instrument wahrscheinlich nur verlegt hatte. Sie war bekannt für ihre Vergesslichkeit.

Und dann Felicity. Sie war zwei Jahre jünger als Pru und stand schon auf der Bestsellerliste der Zeitung „USA Today“. „Die Romanautorin unserer Generation“, proklamierte das „People’s Magazine“. Jane wusste nur, dass Felicity ihre letzten drei Briefe nicht beantwortet hatte.

Darra war die Nächste. Sie hatte mit vierzehn zu modeln begonnen, dann kam ein Titelfoto auf „Sports Illustrated“, und seitdem war sie ein „Supermodel“. Als wenn das eine Berufsbezeichnung wäre.

Drei schöne, talentierte Mädchen hintereinander – und dann Jane. Die unmusikalische, nur durchschnittlich hübsche, mittelmäßige Jane, die in der New Yorker Gesellschaft am bekanntesten dafür war, dass sie nicht wie ihre Schwestern war. Wenn sie überhaupt einmal erwähnt wurde, dann meist wegen ihrer ausgefallenen Hüte.

Ihre Hüte.

Seufzend unterbrach Jane ihre Überlegungen und wandte sich einem interessanteren Thema zu. Holly Baskin. Wer war sie? Warum hatte Charles ihre Telefonnummer nicht? Welche Rolle mochte sie in seiner Vergangenheit gespielt haben? War sie schön? Natürlich war sie das.

Jane tippte das Inserat, druckte es aus und befand, dass es sehr schlecht formuliert war. Eine derart nüchterne Bitte würde gewiss nicht Hollys Neugier wecken. Was die Anzeige brauchte, war etwas mehr Pep.

Ihre Finger flogen über die Tastatur, während sie immer wieder tippte und löschte, bis sie das ideale Inserat zu haben glaubte. Dann rief sie in der Redaktion der Zeitschrift an, um Adresse und Öffnungszeiten der Anzeigenannahmestelle herauszufinden. Natürlich hätte sie das Inserat auch per Telefon oder E-Mail aufgeben können, doch das war ihr zu unpersönlich. Schließlich ging es hier um Charles.

Holly Baskin … Jane konnte sich irgendwie nicht vorstellen, dass Charles eine Frau mit einem solchen Namen liebte. Aber was war, wenn er es doch tat?

Während Jane bei der Anzeigenannahme von Attitudes wartete, las sie ihre Anzeige, dann Charles’ und noch mal ihre. Ihre war poetisch, aufrichtig, bewegend, seine kalt und nüchtern. Sie versuchte, sich in Holly Baskin zu versetzen. Die Anzeige in ihrer linken Hand – die, die sie selbst entworfen hatte – würde Miss Baskins Interesse augenblicklich wecken. Sie würde sie bestimmt nicht übersehen. Aber seine? Sie klang so furchtbar unromantisch.

Endlich war Jane an der Reihe. Die Frau hinter dem Schalter schien ihre Arbeit nicht zu mögen. Sie hatte nicht ein einziges Mal gelächelt und permanent die Stirn gerunzelt.

„Ich möchte eine Anzeige aufgeben.“

Die Frau blickte sie missbilligend an. „Haben Sie sie schon geschrieben?“

Jane nickte und wusste, dass sie nun eine Entscheidung treffen musste.

„Nun? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“

Jane wusste, dass ihre selbst formulierte Anzeige Holly in Charles’ Leben zurückbringen würde.

Sie hob die rechte Hand und gab der Frau den anderen Text.

Der Dow Jones war um fünf Punkte gesunken, und Charles hatte fürchterliche Kopfschmerzen.

Es war kurz vor Mitternacht. Vielleicht sollte er ein Aspirin nehmen und für heute Schluss machen. Er betrachtete die auf dem Bett verstreuten Unterlagen. Wenn er jetzt aufhörte, würde er morgen früh noch mehr zu tun haben.

Er entschied sich jedoch für das Aspirin. Nachdem er seinen Laptop vom Schoß genommen hatte, ging er ins Bad. Vierzehn Millionen für den Riverside-Komplex, und das war erst der Anfang. Die Architekturfirma war gut, der Prospekt fantastisch, und dennoch hatte er ein ungutes Gefühl bei dem Geschäft. Was immer es auch sein mochte, was ihm dieses Unbehagen einflößte, er hoffte, dass es ihm bald bewusst wurde. Der Vertrag sollte am Einundzwanzigsten unterschrieben werden.

Er schaltete das Licht im Bad ein und öffnete das Arzneischränkchen. Die Aspirinflasche teilte sich den Platz mit diversen Mitteln gegen zu viel Magensäure; der Rest des Schranks war leer. Die Frauen in seinem Leben versuchten ständig, diesen Schrank zu füllen, und Charles hatte schon Unmengen von homöopathischen Mitteln, Eau de Colognes und gelegentlich sogar feminine Hygieneprodukte weggeworfen. Nach einer Weile schien seine Haushälterin die Botschaft verstanden zu haben. Und da sie gegenwärtig die einzige Frau in seinem Leben war, hatte er endlich wieder einen leeren Badezimmerschrank.

Er nahm drei Aspirin, ging zurück ins Bett und vertiefte sich wieder in die Unterlagen des Riverside-Deals.

Fünf Minuten später klingelte das Telefon. Charles seufzte. Es gab nur zwei Menschen auf der Welt, die ihn um diese Zeit anriefen. Entweder sein Freund David oder seine Mutter von ihrem Kreuzfahrtschiff. Er hoffte, dass es David war.

„Liebling, du wirst es nie erraten!“

„Hallo, Mutter.“

„Ich habe gewonnen!“

„Was hast du gewonnen?“

„Einen Kostümwettbewerb. Ich habe den ersten Preis gewonnen. Die Leute haben geklatscht wie wild. Oh Charles, ich wünschte, du wärst da gewesen!“

„Ja, ich auch.“ Sein Blick glitt zu dem Stapel Unterlagen auf seinem Schoß und dann zur Uhr. Widerstand war sinnlos. Er würde morgen einfach eine halbe Stunde früher aufstehen. Seufzend schloss er die Akte und lehnte sich zurück. „Erzähl mir alles, Mutter“, sagte er.

Und das tat sie. In allen Einzelheiten. Wenn sie innehielt, um Luft zu holen, sagte er rasch etwas, um ihr zu zeigen, dass er noch zuhörte.

In Wahrheit jedoch war er in Gedanken ganz woanders, bei seinem Arbeitstag und dem Entschluss, den er am vergangenen Freitag gefasst hatte. Während seine Mutter von den Hors d’ouvres schwärmte, spielte Charles mit dem Gedanken, ihr davon zu erzählen. Was für einen Aufstand er damit auslösen würde! Sie würde ihm raten, Holly zu vergessen. Und ihm sagen, er brauche jemanden, der ein Herz besaß. Und eine Seele. Seine Mutter legte sehr viel Wert auf „Seele“.

Sie würde nicht verstehen, dass Holly genau dem entsprach, was er brauchte. Hollys nüchterne Einstellung zum Leben kam ihm sehr gelegen. Sie war eine hervorragende Gastgeberin und verstand genug vom Geschäft, um jedes Dinnergespräch in Gang zu halten. Außerdem war sie attraktiv und stammte aus einer sehr guten Familie.

Das Einzige, woran er sich nicht mehr so genau erinnerte, war, aus welchem Grund sie sich damals getrennt hatten. Es war schon einige Jahre her. Wahrscheinlich hatte es etwas mit dem Tod seines Vaters zu tun gehabt. Das war eine schwierige Zeit für Charles gewesen. Aber er hatte sie durchgestanden, die Firma übernommen und sich um seine Mutter gekümmert. Nun wurde es Zeit für die nächste Phase, für eine Ehefrau und Kinder. Sein zweiunddreißigster Geburtstag rückte näher, und bis dahin wollte er verheiratet sein.

Alles hing davon ab, ob Holly dieses Magazin noch immer las. Wieso sie bei ihrem letzten Vermieter keine Adresse oder Telefonnummer hinterlassen hatte, war ihm unerklärlich. Ihre Eltern waren vor einigen Jahren verstorben, und sie hatte keine Geschwister. Er hatte versucht, sie durch den Studentenverband, den Harvard-Club, zu finden. Er hatte sogar das „Le Cirque“ angerufen und den Maître gefragt, ob er sie gesehen hätte.

Charles wusste lediglich, dass sie im Ausland gelebt hatte. Vielleicht war sie inzwischen wieder in den Staaten, vielleicht aber auch nicht. Aber egal, wo sie war, sie würde auf jeden Fall Attitudes lesen. Als er sie gekannt hatte, war dieses Magazin ihre bevorzugte Lektüre gewesen.

„Liebling?“

„Ja, Mutter?“

„Du hast meine Frage nicht beantwortet. Liest du das Wall Street Journal, während ich mit dir rede?“

„Nein. Natürlich nicht. Ich war wegen meiner Kopfschmerzen nur ein bisschen abwesend.“

„Hast du etwas dagegen genommen?“

„Ja.“

„Kamillentee wirkt Wunder. Du solltest dir gleich eine Tasse aufbrühen.“

„Gute Idee. Sobald wir unser Gespräch beendet haben, tue ich das.“

Sie seufzte. „Bestimmt nicht. Aber was kann ich schon daran ändern, nicht?“

„Wie meinst du das?“

„Ich meine, dass du mich für eine Frau mit verrückten Ideen hältst. Wie in meinem Alter an einem Kostümwettbewerb teilzunehmen beispielsweise.“

„Wenn es dir Freude macht, ist das in Ordnung. Du hast ein bisschen Spaß verdient, Mutter.“

„Ja, das finde ich auch. Kim und Molly passen übrigens sehr gut auf mich auf. Du brauchst dich also nicht um mich zu sorgen.“

Er verzog das Gesicht. Von Kim und Molly sollte sie eigentlich gar nichts wissen. Er hatte die beiden engagiert, um seine Mutter diskret im Auge zu behalten. Aber sehr professionell waren die beiden scheinbar nicht.

„Schon gut“, sagte sie. „Du wusstest doch, dass ich es früher oder später merken würde. Du bist sehr berechenbar, mein Lieber. Und nun geh schlafen. Es ist schon spät, und du brauchst deinen Schlaf.“

„Gute Nacht, Mutter.“

„Ich rufe dich bald wieder an.“

Er legte den Hörer auf und überlegte, ob er die Riverside-Akte noch einmal durchsehen sollte. Doch ausnahmsweise einmal tat er das, was seine Mutter ihm geraten hatte, und legte die Unterlagen weg.

Vor dem Einschlafen versuchte er, sich an die Einzelheiten seines Bruchs mit Holly zu erinnern. Die Trennung war von ihm ausgegangen, das wusste er noch, aber nicht, aus welchem Grund. Doch es war bestimmt nichts Wichtiges gewesen. Holly würde seinen Kindern eine gute Mutter sein. Und eine gute Ehefrau für ihn. Und wenn sein Gedächtnis ihn nicht trog, war sie auch nicht schlecht im Bett.

Er hoffte nur, dass sie sich bald meldete, denn sonst würde er einen Detektiv einschalten müssen. Charles wollte schnellstens heiraten. Wenn er Holly nicht finden konnte, musste er sich nach jemand anderem umsehen. Der Gedanke ließ ihn schaudern.

Alles wäre einfacher gewesen, wenn Mrs. Robinson nicht über die Feiertage nach Idaho gefahren wäre. Seine Arbeit wurde erledigt, aber alles nahm erheblich mehr als sonst von seiner Zeit in Anspruch. Wenigstens beherrschte dieses Mädchen – wie war doch noch ihr Name? Joan? – die englische Sprache und machte keine Tippfehler. Klar, viel war das natürlich nicht. Aber er hatte noch nie viel Glück gehabt mit Angestellten. Und für den Augenblick genügte Joan ihm.

2. KAPITEL

An dem Tag, an dem das Inserat erscheinen sollte, stand Jane schon bei Sonnenaufgang auf. Sie hatte wundervolle Träume in der Nacht gehabt, von Charles und ihr. Die Weihnachtszeit schien bei ihm etwas bewirkt zu haben – oder vielleicht auch ihre Nähe? Wahrscheinlich beides. In ihrem Traum war er jedenfalls sehr zärtlich zu ihr gewesen.

Mit einem wohligen kleinen Erschauern schlug Jane die Decken zurück, setzte sich auf und angelte mit den Füßen nach ihren warmen Fellpantoffeln. Der Boden war morgens immer schrecklich kalt, aber sie konnte es sich nicht leisten, das Apartment nachts zu heizen. Manhattan mochte eine zauberhafte Stadt sein, doch sie war sehr, sehr teuer. Jane hätte Kosten sparen können, wenn sie sich mit jemandem eine Wohnung geteilt hätte, aber das war nichts für sie. Sie brauchte ihre Privatsphäre, und zumindest die bot ihr das kleine Apartment.

Zähneklappernd ging sie auf die Toilette. Es war der kälteste Raum in ihrer Wohnung, aber sie hatte ein System erfunden, wie sie nie den kalten Sitz berühren musste. Sehr erfinderisch. Das musste man in New York auch sein. Erfinderisch und warmblütig.

Danach ging sie über den schmalen Korridor ins Wohnzimmer, und ihr Blick fiel auf die Couch mit dem wunderschönen alten Teppich davor, den sie auf einem Trödelmarkt gefunden hatte. Daneben stand der Baum, ihr Weihnachtsbaum, der ein bisschen schief war und weniger Nadeln hatte, als er hätte haben sollen, aber liebevoll geschmückt war. Sie hatte Schleifen gebunden und kleine Stoffbeutel darangehängt, die mit Süßigkeiten gefüllt waren. Aus Stoffresten hatte sie zauberhafte Bilderrahmen genäht für Fotos von Menschen, die ihr nahe standen und diese dann ebenfalls am Baum befestigt.

Charles’ Bild nahm natürlich den Ehrenplatz ein. Obwohl keine der Dekorationen mehr als fünf Cent auf dem Flohmarkt eingebracht hätte, bedeuteten sie Jane sehr viel, und nur das war schließlich wichtig.

Was machte es schon, wenn andere nicht sehen konnten, was sie sah? Vielleicht glaubten manche Menschen, bei ihr sei eine Schraube locker. Ihre Fantasien bewirkten Wunder, und das war es, was das Aufstehen jeden Morgen lohnend für sie machte.

So war es immer schon gewesen. Ihre Eltern hatten sie nie verstanden. Sie hatten ihr sorgenfreies Leben in Long Island gehabt, in dem sich alles um die richtigen Schulen, die richtigen Kleider und die richtigen Freunde drehte. Ihre Mutter hatte Großes vorgehabt mit ihren Töchtern, und nur Jane hatte ihre Erwartungen enttäuscht. Jane hatte versucht, ein Jurastudium zu beginnen, aber dann gemerkt, dass das nichts für sie war. In den Vorlesungen hatte sie geträumt und sich eine Menge Schwierigkeiten eingehandelt. Was machte es schon, wenn sie ihren Platz im Leben noch nicht gefunden hatte? Ihr blieb schließlich noch Zeit genug. Mit sechsundzwanzig hatte sie noch ihr ganzes Leben vor sich.

Es beunruhigte sie höchstens manchmal, dass sie zu viel Zeit damit vergeudete, an Charles zu denken. Denn trotz ihrer romantischen Art, das Leben zu betrachten, war sie letzten Endes doch nur Jane. Nicht Pru, nicht Felicity und auch nicht Darra. Nur Jane. Vielleicht wäre es daher also praktischer, von Männern zu träumen, bei denen sie auch eine Chance hätte.

Sie seufzte, als sie zur Küchenbar hinüberging, um die Kaffeemaschine einzustellen, und sich dann über den Tisch beugte, um die Dusche aufzudrehen. Es war eigentlich gar nicht so schlecht, dass die kleine Badewanne in der Küche war. So konnte sie ihr Frühstück zubereiten, während sie duschte. Sie fragte sich, was Charles wohl gerade tat. Seine Badezimmer waren vermutlich riesig, seine Küche größer als ihr ganzes Apartment. Nicht, dass sie schon bei ihm gewesen wäre – aber sie kannte schließlich ihn und seinen Geschmack. Es hätte sie nicht überrascht, wenn er eine dieser im Boden versenkten Badewannen hätte, mit Stufen und mit Whirlpool-Armaturen.

Sie ging zur Heizung und schlug ein paar Mal mit dem Eisenstab darauf, den sie in der Zweiundvierzigsten Straße gefunden hatte. Das Gurgeln aus dem Keller bedeutete, dass die Wärme auf dem Weg nach oben war. Dann ging sie zurück zur Dusche, deren Wasser inzwischen warm genug sein müsste, zog sich aus, stieg in die Wanne und zog den Vorhang um sich herum.

Während des Duschens vergaß sie ihren Weihnachtsbaum, vergaß, dass sie nur Jane war, und begann zu träumen, Charles wäre hier mit ihr unter der Dusche. Er wusch ihr Haar und streichelte sie mit seinen schlanken Fingern. Seufzend lehnte sie sich zurück und spürte, wie die Kraft aus ihren Knien wich, als sie an ihrem Rücken seinen nassen warmen Körper fühlte …

Charles rückte seine graue Seidenkrawatte zurecht. Die Freisprechanlage im Bad rauschte, während er darauf wartete, dass sich David wieder meldete.

„Bist du noch da?“

„Ja.“ Charles beendete seine Toilette. „Und in zwei Sekunden bin ich weg.“

„He, reg dich ab. Es war was Wichtiges.“

„Dein Kaffee?“

„Ja.“

„Himmel, David, du weißt …“

„Ich weiß, dass du morgens nicht gestört werden willst, aber es ging nicht anders. Ich muss wissen, was du Heiligabend tust.“

„Das ist erst in einer Woche. Ich weiß es noch nicht.“

„Was soll das heißen, du weißt es noch nicht? Dein Leben ist so weit vorausgeplant, dass du wahrscheinlich sogar deinen Todestag schon kennst.“

„Ich weiß es wirklich nicht, David.“

„Dann überleg es dir gefälligst. Sarah will, dass du zum Dinner kommst, und sie wird mir keine Ruhe lassen, bis ich es ihr bestätige.“

„Warum rätst du deiner Schwester nicht, mehr auszugehen?“

„Das aus dem Munde eines Mannes, der sein letztes Date vor über einem Jahr hatte, soviel ich weiß.“

„David, ich leg jetzt auf.“

„Warte. Sag mir zuerst, ob heute der große Tag ist.“

„Was für ein großer Tag?“

„An dem das Inserat erscheint.“

„Ja.“

„Und was tust du, falls sie anruft?“

„Ich nehme ab.“

„Ha, ha. Sehr witzig.“

„Ich lege jetzt auf.“

„Nein! Nicht …“

Er tat es. David würde es schon überwinden. Charles’ einstiger Zimmergenosse und bester Freund hatte lästige Angewohnheiten, wie zum Beispiel morgens anzurufen, wenn Charles die Leitung für seine ausländischen Börsenmakler freihalten musste. Den asiatischen Markt kümmerten seine Weihnachtspläne nicht, und Charles interessierten sie genauso wenig, wenn er ehrlich war. Die Weihnachtszeit wurde nicht nur maßlos überbewertet, sondern war zudem auch noch verdammt unpraktisch, weil sich dann so wenig an der Börse tat. Was er David nicht gesagt hatte, war, dass er während der Feiertage zu heiraten hoffte. Falls Holly anrief. Und falls sie nicht bereits verheiratet war …

„Was, zum Teufel, soll der Quatsch?“

Diese Worte, die in seinen Gedanken auftauchten, waren nicht seine eigenen. Es war David in seinem Kopf, David, der ihn von seinen vernünftigen Plänen abbringen wollte. David, der glaubte, seine Lizenz als Psychiater verliehe ihm einen einmaligen Einblick in die menschliche Natur. Aber David war ein sehr sentimentaler Mensch.

Trotzdem blieb ein Zweifel. Charles hatte bisher noch nicht ergründen können, aus welchem Grund er sich von Holly getrennt hatte. Das war das Einzige, was ihn beunruhigte. Aber es würde bestimmt nicht mehr so wichtig sein, wenn sie sich wiedersahen.

Zumindest hoffte er, dass es nicht mehr wichtig sein würde. Denn das Letzte, was er wollte, waren Dates. Das bloße Wort erfüllte ihn mit Schrecken. Tatsache war, dass er nicht gut in diesen Dingen war und nicht gern etwas tat, worin er nicht gut war.

Er verließ das Bad und ging ins Esszimmer, wo sein gewohntes Frühstück ihn erwartete: ein Sechs-Minuten-Ei, eine Scheibe Toast und Kaffee. Auch die New York Times lag auf dem Tisch, eine Aufmerksamkeit seiner Haushälterin Ellen, die gerade Geschirr aus der Spülmaschine wegräumte.

„Morgen, Mr. Warren“, sagte sie.

„Morgen“, murmelte er, den Blick schon auf die Schlagzeilen gerichtet.

Ein Hähnchenschenkel. Mehrere Cashewnüsse. Drei Selleriestangen. Ein Apfel. Ein halbes Sesambrötchen.

Exzellent. Jane schloss ihre Lunchbox und ließ den Verschluss einrasten. Sie würde auf dem Weg zur U-Bahn am Zeitungsstand vorbeigehen. Heute musste das Inserat erschienen sein. Sie schauderte vor Besorgnis, als sie an Holly Baskin dachte. Würde sie die Zeitschrift und die Inserate lesen? Und sich melden?

Während Jane die sechs Treppen hinunterstieg, fragte sie sich, ob sie Charles’ Anzeige nicht doch durch ihre eigene hätte ersetzen sollen. Wenn sie ihn wirklich liebte, hätte sie eigentlich selbstlos genug sein müssen, es zu tun.

Sie liebte ihn, das wusste sie. Aber manchmal war es gar nicht leicht. Er war sehr beschäftigt und stand unter großem Stress. Er arbeitete zu viel und lachte zu selten.

Draußen zog sie ihre Handschuhe an, als sie zur Straßenecke ging. Der Schnee unter ihren Füßen war schmutzig braun und glitschig. Gut, dass sie ein paar Minuten früher aufgebrochen war. Charles hasste Unpünktlichkeit. Seine Zeitschrift gekauft zu haben würde ihr als Ausrede nicht viel nützen. Für Charles waren Verspätungen schlicht unentschuldbar.

Zumindest hatte sie so Zeit, noch einen Blick auf die Weihnachtsdekorationen in den Schaufenstern zu werfen. Ihre Mutter war entsetzt, dass Jane in Harlem lebte, und der festen Überzeugung, sie würde eines Tages tot in irgendeiner Gasse enden. Aber ihre Mutter kannte ihre Straße nicht. Obwohl Jane nicht viel Kontakt zu ihren Nachbarn hatte, waren die wenigen, die sie kannte, ausgesprochen nett. Mrs. Franklin, die über dem Metzgerladen lebte, hatte ihr einmal geholfen, einen wundervollen Samt zu finden, aus dem Jane sich eine Handtasche genäht hatte. Teddy am Zeitungsstand redete gern über Bücher. Sehr nette Menschen, wirklich. Richtige Menschen.

„Guten Morgen, Miss Jane.“

„Hi, Teddy. Wie geht es Ihnen?“

Der alte Mann schüttelte den Kopf. „Nicht besonders, Jane.“

„Was haben Sie denn, Teddy?“

„Ach, es ist nur das Alter. Die üblichen Gebrechen.“

„Das muss nicht sein. Ich weiß, dass Sie nicht vernünftig essen, und Sie nehmen bestimmt auch keine Vitamine.“

„Vitamine? Sind Sie verrückt? Wer weiß, was sie in diese Dinger tun. Es werden täglich mehr Kräuter verboten.“

„Das ist etwas anderes. Ich rede von Multivitaminkomplexen, Pillen, von denen man nur einmal am Tag eine zu nehmen braucht.“

„Das Einzige, was ich einmal am Tag brauche, ist ein Stück Apfelkuchen.“

Er grinste sie an, denn über dieses Thema hatten sie schon oft gesprochen. „Was kann ich heute für Sie tun?“

„Geben Sie mir eine Attitudes.“

„Ist das alles?“

„Das ist alles.“

Er reichte ihr die Zeitschrift, und sie gab ihm einen Fünfdollarschein. Als er ihr das Wechselgeld herausgeben wollte, wandte sie sich zum Gehen. „Hey!“

„Schönen Tag noch!“, rief sie und winkte, bevor sie zum U-Bahnschacht hinuntereilte.

Charles schloss die Tür seines Büros auf und schaltete das Licht ein. Er war gern als Erster in der Firma. Normalerweise wäre Mrs. Robinson schon hier, mit seinem Kaffee und seinen heutigen Terminen. Aber er war ja nicht hilflos. Er konnte durchaus selbst Kaffee aufbrühen und mit einem Terminkalender umgehen. Er vermisste nur seine Routine, das war alles. Er liebte es, wenn alles wie eine gut geölte Maschine funktionierte.

Er setzte den Aktenkoffer ab und zog seinen Mantel und seine Glacéhandschuhe aus. Ben, sein Fahrer, hatte ihn heute Morgen etwas weiter unten an der Straße abgesetzt, und Charles’ Schuhe hatten darunter gelitten. Die Bauarbeiten am Gebäude waren eine ziemliche Belästigung, und er wünschte, die Leute würden sich eilen, mit ihrer Arbeit fertig zu werden.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Charles seine italienischen Schuhe gesäubert hatte, und als er dann die Kaffeemaschine anstellte, klingelte das Telefon.

Für Charles war das Geräusch wie der Pistolenschuss zu Beginn des Rennens, das sein Arbeitstag darstellte. Er nahm an, dass es Frank Toyamichi aus Japan sein würde. Um neun hatte Charles einen Termin mit Bob Riverside und seinen Leuten. Dann Lunch wie immer im Charlemagne. Nachmittags erwartete er seine Anwälte, und heute Abend würde er mit David zu einer Auktion bei Christie’s gehen, wo er einen Schaukelstuhl zu ersteigern hoffte, der einmal Jack Kennedy gehört hatte.

„Charles Warren“, sagte er in die Freisprechanlage.

„Ich bin’s, Frank. Ich habe die Zahlen für Sie, Mr. Warren.“

Charles blickte auf die Uhr. Punkt Viertel nach sieben. Frank war ein guter Mann. Und pünktlich.

Jane würde zu spät kommen. Die U-Bahn war vor ihrer Station in Wall Street über zehn Minuten aufgehalten worden. Jane hatte sich die Zeit damit vertrieben, Attitudes zu lesen, und war immer wieder zu Charles’ nüchternem Inserat zurückgekehrt.

Diese Holly Baskin … Sie war bestimmt eine Blondine. Oder vielleicht hatte sie kastanienbraunes Haar. Kastanienbraun war eine beliebte Haarfarbe bei Vassar-Studentinnen.

Und schön war sie sicher auch … Schlank, mit zierlichen Fesseln und festen kleinen Brüsten. Und sie würde einen tadellosen Geschmack besitzen. Sie würde die richtigen Restaurants kennen, den richtigen Wein, die richtigen Juweliere und die richtigen Leute. Sie würde die ideale Partnerin für Charles sein. Bis auf …

Bis auf die Tatsache, dass sie ihn nicht so lieben würde, wie Jane ihn liebte. Das konnte sie nicht, denn sonst hätte sie ihn nie verlassen. Für nichts auf dieser Welt. Nur eine Närrin hätte Charles verlassen.

Holly würde nicht verstehen, dass er mehr Fröhlichkeit in seinem Leben brauchte. Sie würde nicht erkennen, dass er ein vorsichtiger, ein wenig scheuer Mensch war, der viel Aufmerksamkeit und Liebe brauchte. Der arme Charles bemühte sich, seine Verwundbarkeit vor allen zu verbergen, und Holly, die zwar sehr attraktiv sein mochte und vielleicht mehrere Sprachen sprach, war sicher viel zu egozentrisch, um Charles’ Fassade zu durchschauen.

Der Einzige, der eine Ahnung hatte, wie Charles wirklich war, war David Levinson. Er kam häufig ins Büro und versäumte nie, sich nach Janes Befinden und ihren neuesten Projekten zu erkundigen. Er war ein richtig netter Mann. Und er hatte es auch nie eilig, seine Gespräche mit ihr zu beenden, nicht einmal, wenn Charles ihn drängte.

Jane hatte erkannt, dass David sich genauso große Sorgen um Charles machte wie sie selbst. Auch David gelang es nicht, Charles dazu zu bewegen, sich ein bisschen mehr Freizeit zu gönnen. Aber David war ja auch nur ein Freund und keine Freundin oder Ehefrau.

Der Zug fuhr ruckartig los, und bevor Jane auch nur ihre Lippen nachziehen konnte, hatte er die Pearl Street schon erreicht. Sie stieg mit einer Unmenge anderer Menschen aus, die genauso spät dran waren wie sie.

Als sie aus dem muffigen U-Bahn-Schacht trat, atmete sie tief die frische Luft ein und beeilte sich, mit all den anderen Fußgängern die Straße zu überqueren. Der Chor der Autohupen war alles andere als weihnachtlich. Einer dieser ungeduldigen Fahrer überfuhr sie fast, und einen Moment lang blieb sie schwankend am Rand des Bürgersteiges stehen.

So schnell wie möglich ging sie weiter und strebte auf das riesige Bürogebäude im Herzen der Wall Street zu. Von irgendwo zwischen all dem Lärm und Chaos ertönte das Bimmeln eines Glöckchens. Ein Weihnachtsmann hielt offensichtlich an irgendeiner Straßenecke. Der Gedanke daran ließ sie lächeln und machte das Chaos ein bisschen erträglicher.

Nachdem sie eine weitere Straße überquert hatte, befand sie sich unter dem Gerüst und drängte sich durch die Menge der vorbeihastenden Passanten.

Wieder wurde sie angerempelt, dieses Mal von einem Mann, der in ein Handy sprach. Als sie ihm die Meinung sagen wollte, veranlasste ein Warnschrei sie dazu, aufzuschauen.

Irgendetwas fiel herunter und traf ihren Kopf. Weiße Blitze zuckten vor ihren Augen auf, ein durchdringender Schmerz raubte ihr alle Kraft, und dann wurde alles dunkel, und sie spürte nichts mehr.

Janes Kopf schmerzte. Als sie die Augen öffnete, schmerzte auch das Licht. „Au.“

„Gut, Sie sind wach.“

„Hm?“ Sie blinzelte und versuchte festzustellen, wer da mit ihr sprach. Es war ein Mann in einem weißen Kittel.

„Sie sind in der Notaufnahme. Ich bin Dr. Larson. Sie haben eine Kopfverletzung.“

„Oh?“ Vorsichtig berührte sie ihre Stirn und spürte dort einen Verband.

„Es ist ein Wunder, dass Sie noch am Leben sind. Das war ein schwerer Schlag.“

„Was?“

„Das“, sagte er und zeigte ihr eine Gipsstatuette. Nachdem Jane sie eine Weile angestarrt hatte, erkannte sie, dass es ein Cupido war. Komplett mit Pfeil und Bogen, bis auf den rechten Flügel, der gebrochen war, und die Füße, die ihm fehlten.

„Mir ist der Liebesgott Amor auf den Kopf gefallen?“

„Ja. Es war schätzungsweise ein Kilo Gips.“

„Ist alles in Ordnung mit mir?“

„Das weiß ich noch nicht. Lassen Sie uns sehen, ja?“

Jane nickte, was sie augenblicklich bereute. Ihr Kopf pochte von einem Schmerz, der schlimmer war als alles, was sie je zuvor empfunden hatte. Einen Moment lang wurde wieder alles schwarz vor ihren Augen. Sie klammerte sich an etwas, das sich wie kalter Stahl anfühlte, während sie versuchte, die drohende Ohnmacht zu bezwingen.

Die besorgten Blicke des Arztes beruhigten sie nicht. „Alles in Ordnung“, sagte sie schließlich, obwohl sie wusste, dass es nicht stimmte. „Es geht mir gut.“

„Warum lassen Sie mich das nicht entscheiden?“ Er half ihr, sich aufzusetzen, und erst da bemerkte sie, dass sie auf einem Krankenhausbett lag. Ihr Rock war feucht und zerrissen, ihr Pullover schmutzig. Der schwarze Klumpen auf dem Stuhl neben dem Vorhang musste ihr Mantel sein.

„Sehen Sie meinen Finger an.“

Sie tat es und folgte seinen Bewegungen von rechts nach links und wieder zurück. Dann leuchtete der Arzt ihr in die Augen, was das dumpfe Pochen in ihrem Kopf noch verschlimmerte.

Als sie wieder sehen konnte, erkannte sie, dass der Arzt noch ziemlich jung war – etwa um die dreißig – und dass er nicht schlecht aussah.

Sein kleiner Gummihammer traf ihr Knie, und seinem zustimmenden Grunzen nach zu urteilen, schien ihre Reaktion normal zu sein.

„Gut. Wie heißen Sie?“

Abrupt hob sie den Blick und fuhr vor Schmerz zusammen. Ihr Name … Wieso erinnerte sie sich nicht an ihren Namen? „Komisch.“

„Was?“

„Hm …“

„Ja?“

„Nun, ich … Ich kann mich irgendwie nicht erinnern.“

„Woran können Sie sich nicht erinnern?“

Sie lächelte, obwohl es ganz und gar nicht komisch war. „An meinen Namen.“

Die Körpersprache des Arztes wechselte von entspannt zu alarmiert. „Verstehe“, sagte er, aber seine Worte vermochten sie nicht zu beruhigen.

„Sie verstehen was?“ Ihr Magen verkrampfte sich, und mit einem Mal fiel ihr das Atmen schwer. Sie erkannte die ersten Anzeichen eines Panikanfalls, obwohl sie seit Jahren keinen mehr gehabt hatte. Wieso wusste sie das, aber nicht ihren Namen?

„Wie heißt Ihre Mutter?“

Nichts. Ihr Gedächtnis war wie leer gefegt.

„Brüder, Schwestern? Ihr Vater?“

Sie schloss die Augen und bemühte sich, nicht aufzuschreien.

„Sie hatten keine Handtasche bei sich, und es war auch nichts in Ihren Taschen.“

Seine Stimme verblasste ein wenig, und als sie die Augen öffnete, stand er bei ihrem Mantel.

„Das hielten Sie in der Hand.“ Er zeigte ihr ein Hochglanzmagazin.

Und da dämmerte es ihr, und ihr wurde schwindlig vor Erleichterung. „Oh, dem Himmel sei Dank!“

„Ja?“

„Ich erinnere mich wieder. Natürlich. Oh, das hat mir richtig Angst gemacht!“

„Wie ist er denn?“

„Mein Name?“

Der Arzt nickte.

„Holly Baskin.“

3. KAPITEL

Larry Podesky, Bob Riversides Anwalt, schlug die nächste Seite des Vertrages auf und las mit einer Stimme weiter, die eher zu einem Bestattungsunternehmer gepasst hätte als zu einem hochkarätigen Juristen. Doch nicht mal dieser beunruhigende Gedanke brachte Charles dazu, sich zu konzentrieren.

Das verdammte Mädchen hatte nicht mal angerufen. Das ärgerte ihn. Ein simpler Anruf heute Morgen, und alles wäre in Ordnung gewesen. Er hätte Zeit gehabt, eine angemessene Vertretung zu besorgen, jemanden, der Kaffee kochen konnte und kein Wasser auf Riversides Hose verschüttet hätte. Dann wäre alles planmäßig verlaufen.

„… die erstgenannte Partei verpflichtet sich, den Grundbesitzern angemessene Entschädigungen …“

Charles versuchte, sich auf den Vertrag zu konzentrieren, doch sein Blick glitt immer wieder zu den vier Wassertropfen auf dem Konferenztisch, glitzernden Überbleibseln des Missgeschicks vor einer halben Stunde. Himmel, Millionen Dollar standen auf dem Spiel, und er dachte an Wassertropfen! Er zwang sich, den Blick auf den Vertrag vor ihm zu richten, doch nach ein paar Worten schweifte er schon wieder zu den Wassertropfen ab. Charles wäre am liebsten aufgesprungen, um sie wegzuwischen, bevor sie ihn noch weiter quälen konnten.

Verdammt. Podesky hätte genauso gut Griechisch sprechen können. Charles konnte sich einfach nicht auf seine Worte konzentrieren, hatte es schon vom ersten Augenblick an nicht gekonnt.

Er würde seine Entscheidung verschieben müssen – was keine schlechte Idee war, wenn er es genau bedachte. Denn hier stimmte irgendetwas nicht, und in seiner Zerstreutheit fand Charles keinen anderen Hinweis als die Tatsache, dass Riversides Gesicht verdächtig rot war. Und da dies nicht ihr erstes Meeting war, wusste Charles, dass Rot nicht die normale Gesichtsfarbe des Mannes war. Im Büro war es kühl, was machte den Mann also so nervös?

Charles war froh, dass er jemanden damit beauftragt hatte, Riversides Vergangenheit zu durchforsten. Falls er Leichen im Keller hatte, würde Sterling sie schon finden. Heute brauchte Charles im Grunde genommen nur gut zuzuhören, um sich ein eigenes Bild von Riverside und dem Geschäft zu machen.

Bedauerlicherweise gelang ihm jedoch weder das eine noch das andere.

„… zweihundertsiebzigtausend Dollar, bereitzuhalten bei der Chase Manhattan Bank bis …“ Podesky unterbrach sich mitten im Wort, während sein Blick zur Tür glitt. Riverside, der es ihm nachtat, machte große Augen.

Charles fuhr auf seinem Stuhl herum, um zu sehen, was zum Teufel …

Miss Dobson? Mit einem weißen Verband um den Kopf? In schmutzigen, zerrissenen Kleidern? Mit nur einem Schuh?

Sie fegte in den Raum wie eine Windbö und kam schnurstracks auf ihn zu, mit weit ausgebreiteten Armen und einem strahlenden Lächeln in ihrem schmutzigen Gesicht. „Charley!“

Charley?

Sie stürzte sich auf ihn, gab ihm keine Chance, ihr zu entkommen, und einen Moment lang fragte er sich, ob sie ihn umbringen wollte. Es war offensichtlich, dass sie vollkommen durchgedreht war. Er versteifte sich, doch statt eines Messers in die Rippen erhielt er einen Kuss – auf seinen Mund!

Er hätte das Messer vorgezogen.

Sie küsste ihn so stürmisch, dass sein Kopf nach hinten gegen die Sessellehne gedrückt wurde, und ihre Hände umfassten seine Schultern in einer Berührung, die fast ebenso schockierend und intim war wie ihr Kuss. Oder zumindest doch, bis er ihre Zunge spürte.

Protestierend öffnete er den Mund, erkannte aber augenblicklich seinen Fehler, denn Miss Dobsons Zunge glitt in seinen Mund. Die Dreistigkeit der Frau schockierte ihn dermaßen, dass er zu atmen vergaß.

Abwehrend bewegte er den Kopf, aber sie ließ nicht locker, und ein leises Stöhnen tief in ihrer Kehle ließ den Eindruck entstehen, sein Fluchtversuch sei etwas völlig anderes. Als bewege er sich nur, um ihr noch näher zu sein.

Seine Hände fanden irgendwie zu ihren Schultern, und sanft, aber entschieden schob er Miss Dobson zurück. Sie richtete sich langsam auf und sah ihn an, mit einem mutwilligen Lächeln und einem Funkeln in den Augen, das Charles’ Ansicht puren Wahnsinn reflektieren konnte. Sie musste in einen schrecklichen Unfall verwickelt worden sein, bei dem ihr jegliches Gefühl für Anstand verloren gegangen war.

„Ich habe sie gesehen, Charley“, vertraute sie ihm in einem intimen Wispern an, das ihm erneut ein kalter Schauer über den Rücken jagte. „Ich habe die Anzeige gesehen. Wie klug von dir, daran zu denken. Du wusstest, dass ich sie lesen würde, nicht? Und du wusstest, dass ich alles stehen- und liegen lassen würde, um bei dir zu sein.“

Er öffnete den Mund, doch bevor er etwas sagen konnte, wandte sie sich Riverside und seinem Anwalt zu.

„Bitte verzeihen Sie die Störung. Aber Liebe macht oft etwas unbedacht, nicht wahr? Wissen Sie, Charley und ich, wir werden nämlich heiraten.“

Riverside räusperte sich. „Pardon?“

Sie lachte. „Ich bin Holly Baskin“, sagte sie, als sie um den Tisch herum zu Riverside ging. „Ich weiß, dass ich schrecklich aussehen muss, aber ich konnte es einfach nicht erwarten, herzukommen. Tatsächlich habe ich nicht einmal meine Sachen mitgebracht.“ Sie wandte sich zu Charles, und ihm wurde angst und bange angesichts des Ausdrucks in ihren Augen. „Ich werde einige Dinge kaufen müssen, Schatz, wenn du nichts dagegen hast.“

Holly Baskin? Was zum …? Er schüttelte den Kopf und fragte sich, ob er die Polizei, die Psychiatrie oder gleich beide anrufen sollte. David würde wissen, was zu tun war. Er hatte ständig mit Verrückten zu tun.

Miss Dobson seufzte und erinnerte mit ihren verzückten Blicken an ein liebeskrankes Kalb. Aber andererseits sahen vielleicht alle Menschen, die reif waren für die Psychiatrie, so aus. Er öffnete den Mund, um sie hinauszuschicken, doch bevor er ein Wort äußern konnte, stürzte sie mit wippenden blonden Locken erneut in seine Richtung. Warum gab sie sich für Holly aus? Was wollte sie von ihm?

„Ich muss mir etwas Anständiges zum Anziehen besorgen, aber danach komme ich zu dir. Wir haben so viel zu bereden, Schatz.“

Er versuchte aufzustehen, doch sie beugte sich über ihn und erstickte seinen Protest mit einem weiteren Kuss.

Dann richtete sie sich auf, lächelte und verschwand so schnell, wie sie hereingekommen war. Er hätte ihr folgen müssen. Um zu verhindern, dass sie etwas stahl, jemanden erschoss oder aus einem Fenster sprang. Zumindest müsste er die Polizei anrufen. Doch dieser letzte Kuss …

Der hatte eine Reaktion in ihm erzeugt. Eine peinliche. Für jeden sichtbare. Wenn er aufstand …

Charles schob seinen Stuhl noch näher an den Tisch heran. Riverside und sein Anwalt starrten ihn in unverhohlener Bestürzung an. Riversides Gesicht war nun fast scharlachrot, und Podeskys Akte war vom Tisch geglitten.

Charles räusperte sich. „Ich bitte um Verzeihung, meine Herren.“

Riverside sah Charles an, die Tür und wieder ihn. „Ihre Verlobte?“

„Nein, absolut nicht. Meine Sekretärin.“

Podesky zog die Brauen hoch.

„Und ihr Name ist auch nicht Holly Baskin.“

„Verstehe“, sagte Riverside, obwohl mehr als offensichtlich war, dass er nichts verstand. Aber Charles begriff ja auch nichts.

„Tja, meine Herren, ich denke, es ist das Beste, wenn wir einen neuen Termin vereinbaren.“

Podesky nickte und bückte sich, um die Akte aufzuheben. Riverside hörte nicht auf, Charles anzustarren. Charles wollte, dass sie gingen. Er musste jetzt allein sein, um sich zu beruhigen. Und er musste mit David reden.

Ein Summen ließ ihn zusammenfahren, aber nicht halb so sehr wie den armen Podesky, der nicht nur die Akte wieder fallen ließ, sondern auch noch mit dem Kopf gegen die Tischkante stieß, als er sich bückte.

Charles drückte die Taste für die Sprechanlage. „Ja?“

„Mr. Warren?“ Die Sekretärin klang so zaghaft, dass er sie kaum verstehen konnte.

„Ja?“

„Ich … ich denke, Sie sollten besser herkommen, Mr. Warren.“

Er nahm den Finger von der Taste. Die Unterbrechung hatte seinen Kopf etwas geklärt und in gewisser Weise auch sein anderes Problem gelöst. Er richtete sich auf, rückte seine Krawatte gerade und sah Bob Riverside an. „Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden …“

„Selbstverständlich“, sagte Riverside, aber es klang noch immer sehr verwirrt.

Charles ging und überließ es den Männern, selbst hinauszufinden. Aber draußen ging er nicht zum Vorzimmer, sondern nutzte den leeren Korridor, um sich zu sammeln. Er durfte nichts überstürzen. Im heutigen politischen Klima konnte es sehr gefährlich sein, ohne juristischen Beistand zu agieren. Die Frau einfach zu feuern, könnte böse Folgen haben. Andererseits war sie ganz offensichtlich vollkommen durchgeknallt.

Nach einem tiefen Atemzug betrat er sein Vorzimmer. Miss Dobson war nicht da. Die Frau, die heute Delia Robertson vertrat – er hatte vergessen, wie sie hieß – sah etwas benommen aus. Ihr Stuhl war zurückgeschoben, die Schreibtischschublade geöffnet.

„Ich habe versucht, sie daran zu hindern“, sagte sie.

„Woran?“

Die Frau blinzelte hinter ihren dicken Brillengläsern und bemühte sich, zu lächeln. „Sie sagte, es sei in Ordnung, Sie hätten nichts dagegen.“

Er ging auf den Schreibtisch zu und kämpfte darum, Haltung zu bewahren. Ayres. So hieß sie. „Miss Ayres, was genau ist hier geschehen?“

„Sie hat die Kreditkarte genommen. Und ein paar Schlüssel. Ich wusste nicht einmal, dass sie in der Schublade waren. Ich schwöre es. Ich hatte sie noch nie geöffnet.“

„Sie hat meine Kreditkarte?“

Miss Ayres nickte.

„Verbinden Sie mich bitte sofort mit Dr. Levinson.“

„Ja, Mr. Warren“, erwiderte sie mit unsicherer Stimme.

„Und danach bringen Sie mir drei Aspirin und ein Glas Wasser.“

„Ja, Mr. Warren“, wiederholte sie, diesmal mit einem unüberhörbaren Zittern in der Stimme.

„Und noch etwas, Miss Ayres.“

„Ja, Mr. Warren?“

„Ich mache Sie selbstverständlich nicht verantwortlich dafür.“

„Danke, Mr. Warren.“

Er ging in sein Büro und fragte sich, was er unternehmen sollte. Die Kreditkartenfirma anrufen natürlich, aber dann …?

Noch etwas anderes machte ihm zu schaffen. Miss Dobson hatte sich Holly Baskin genannt. Und heute war der Tag, in dem das Inserat erscheinen sollte. Hatte sie eine Ausgabe des Magazins gekauft und war dabei von einem Wagen angefahren worden? War sie überfallen worden? Oder war das Ganze nur ein schlechter Scherz?

Sein Telefon klingelte, und er meldete sich rasch. „Warren.“

„Was gibt’s?“

„Ich habe ein Problem, David.“

„Schieß los.“

„Sag das bitte nicht.“

„Okay.“ Davids Stimme hatte sich verändert. Unmerklich nur, doch Charles kannte ihn gut genug, um die Nuance zu erkennen. David hatte sich gerader hingesetzt und war nun konzentrierter. Und wenn David konzentriert war, war er ausgesprochen clever.

„Du kennst meine Sekretärin.“

„Delia?“

„Die andere.“

„Jane?“

„Ich dachte, sie hieße Joan.“

„Jane.“

„Oh. Na ja. Dann also Jane. Sie ist heute Morgen nicht erschienen.“

„Und?“

„Und ich musste sie durch jemanden aus dem Schreibbüro vertreten lassen. Die Frau hat grauenhaften Kaffee gekocht.“

„Ich nehme an, diese Geschichte führt zu irgendwas?“

„Allerdings. Ich war mitten in einer Besprechung mit Riverside und seinem Anwalt, als plötzlich dieses Mädchen, ich meine diese Jane Dobson, hereinplatzte. Sie kam einfach ins Konferenzzimmer marschiert, als gehörte ihr die Firma.“

„Tatsächlich?“

„Sie hatte einen Verband um den Kopf und sah aus, als wäre sie in einen Unfall verwickelt worden. Oder überfallen worden.“

„Hast du einen Arzt gerufen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil sie …“

„Ja?“

„Sie küsste mich.“

„Pardon?“

„Sie küsste mich. Auf die Lippen. Im Konferenzsaal. Sie sagte, sie sei Holly Baskin und wir würden heiraten.“

Stille. Nein, nicht ganz. War das nicht ein ersticktes Lachen?

Ein Klopfen an der Tür kündigte Miss Ayres und sein Aspirin an, und Charles hatte die Tabletten schon eingenommen, bevor David wieder etwas sagte.

„Das ist ein bisschen knifflig.“

„Das weiß ich selbst. Sag mir, was ich unternehmen soll. Die Frau hat meine Kreditkarte gestohlen. Der Himmel weiß, was sie alles damit bezahlt. Ich muss die Polizei …“

„Nein.“

„Nein was?“

„Ruf weder die Polizei noch sonst jemanden an. Noch nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil wir mehr Fakten brauchen, bevor wir etwas unternehmen.“

„Fakten? Einen kann ich dir schon geben. Eine Verrückte ist mit meiner Kreditkarte in der City unterwegs.“

„Hat sie was gesagt?“

„Ja. Sie sagte, sie würde ein paar Sachen kaufen und … Lieber Himmel.“

„Was?“

„Und danach in meine Wohnung kommen. Sie hat auch meine Schlüssel mitgenommen.“

„Okay. Dann werden wir dort beginnen.“

Charles hörte das Rascheln von Papieren und fragte sich, ob David den Ernst der Situation begriffen hatte. Die Frau war durchgedreht, und sie hatte seine Kreditkarte und die Schlüssel seiner Wohnung. Trotzdem schien David nicht besonders alarmiert. Tatsächlich klang seine Stimme sogar etwas blasiert, als er fortfuhr: „Pass auf, ich sage meinen nächsten drei Patienten ab, und du nimmst dir den Nachmittag frei. In einer halben Stunde bin ich bei dir.“

„Gut.“

„Noch was, Charles.“

„Ja?“

„Bestell uns was zum Lunch, okay? Ich habe einen Bärenhunger.“

Bevor Charles David darauf hinweisen konnte, wie unpassend die Bitte war, hatte er schon aufgelegt.

Charles drückte auf die Taste für Miss Ayres. Nun musste er seine nachmittäglichen Termine absagen. Und alles nur wegen dieser durchgeknallten Frau. Er hätte sie gar nicht erst einstellen sollen. Diese wilden Locken, die sie hatte, besagten eigentlich schon alles. Sie bedeutete Ärger. Großen Ärger.

„Ich finde, wir sollten die Polizei anrufen.“

David schüttelte den Kopf. „Es ist erst halb fünf. Lass uns bis fünf Uhr warten.“

„Bis dahin könnte sie ganz ‚Saks‘ leergekauft haben.“

„Charles, beantworte mir mal eine Frage.“ David beugte sich vor und schob sein Bier beiseite, um die Hände auf den Esszimmertisch legen zu können. „Hast du je mit Jane gesprochen?“

„Natürlich. Sie arbeitet für mich.“

„Ich meinte, in einem nicht geschäftlichen Zusammenhang.“

„Nein. Warum sollte ich?“

„Weil du sie an fünf Tagen in der Woche siehst.“

„David, du weißt, dass ich für Gefühlsduseleien im Büro nichts übrig habe.“

„Ich habe dich nicht gefragt, ob du sie in letzter Zeit umarmt hast oder so, sondern bloß, ob du irgendwann einmal mit ihr gesprochen hast. Und ob du etwas von ihr weißt.“

Charles massierte seine Schläfen und fragte sich, was passieren würde, wenn er noch drei Aspirin nahm. „Ich weiß nur, dass sie bis heute eine einigermaßen gute Sekretärin war.“

„Sagt dir der Name Pru Dobson etwas?“

„Die Violinistin?“

David nickte. „Sie ist Janes älteste Schwester.“

„Haben wir sie nicht spielen sehen?“

„Haben wir.“

„Hm.“

„Und Felicity Dobson? Sagt dir das etwas?“

„Bei dem Namen klingelt etwas bei mir, aber …“

„Die Autorin.“

„Richtig.“

„Auch Janes Schwester.“

„Wirklich?“

„Und weißt du, wer Darra Dobson ist?“

Charles schüttelte den Kopf.

„Dreh dich um.“

„Was?“

„Dreh dich einfach um.“

Charles gehorchte und blickte aus dem Fenster seines Penthouses im zehnten Stock.

„Siehst du das Plakat dort neben dem Chivas-Regal-Zeichen?“

Er nickte. Es war so groß, dass es nicht zu übersehen war. Eine halbnackte Frau, die begehrlich einen nackten Mann anstarrte. Sie trug seine Unterhose. Er schien nichts zu tragen außer einem Lächeln.

„Das ist Darra Dobson, Janes andere Schwester.“

„Im Ernst?“

„Im Ernst.“

Charles drehte sich wieder um. „Bemerkenswert.“

„Ja. Vier Mädchen. Drei von ihnen international bekannt.“

„Und Jane.“

David nickte.

„Sehr ergreifend, aber was hat das mit mir zu tun?“

„Ich bin mir noch nicht sicher. Aber ich glaube, deine Miss Dobson ist in Schwierigkeiten.“

„Und was soll ich dagegen tun?“

„Das sage ich dir, wenn ich es weiß.“

„Ich finde, dass sich die Behörden darum kümmern sollten, David.“

„Noch nicht. Nicht, bevor ich mit ihr gesprochen habe.“

„Sie sitzt wahrscheinlich längst in einem Flugzeug nach Monte Carlo.“

David schüttelte den Kopf. „Nein. Das glaube ich nicht. Ich denke, dass sie herkommen wird.“

„David, ich weiß, wie dein Notendurchschnitt auf der Uni war, also tu mir den Gefallen und hör auf damit.“

„Womit?“

„Freud zu imitieren.“

„Ich war es nicht, der anrief und um Hilfe bat.“

Charles seufzte. „Ich weiß. Ich …“

Das Geräusch eines Schlüssels in der Tür ließ die Männer zusammenfahren. Charles sah David an. David sah zur Tür.

David stand auf. Charles blieb sitzen.

Jane Dobson kam hereingetanzt und ließ mehrere beigefarbene Tüten fallen, als sie mit dem Fuß die Tür zutrat. Der Verband war verschwunden, eine dicke Beule war an ihrer Stirn zu sehen. Sie hatte ihre zerrissenen Sachen gegen ziemlich teuer aussehende Kleidung und neue Schuhe ausgetauscht.

„Hallo, Charley“, sagte sie. „Hi, David.“

David nickte. „Hi.“

„Was? Kein Kuss?“

David warf Charles einen raschen Blick zu, bevor er lächelnd Janes ausgestreckte Hände ergriff und ihre Wange küsste. „Du siehst wunderbar aus.“

„Danke. Du auch. Hat er es dir gesagt?“

„Was?“

„Dass wir heiraten.“

„Er erwähnte so etwas.“

„Aufregend, nicht wahr?“

„Allerdings.“

Sie ließ Davids Hand los und ging auf Charles zu. Er wusste, sie würde ihn jetzt wieder küssen, aber dieses Mal würde sie damit nichts bei ihm erreichen. Überhaupt nichts. Dieses Mädchen brauchte Hilfe. Sie war krank oder litt unter Zwangsvorstellungen.

Sie beugte sich über ihn.

Sie duftete nach Rosen.

4. KAPITEL

Jane konnte gar nicht anders. Er war so ungemein verlockend, und sie liebte ihn schon so lange. Ihr wunderbarer, unzugänglicher, charmanter Charley. Sie beugte sich noch ein wenig weiter vor, schloss die Augen und berührte mit den Lippen seinen Mund.

Das gleiche überwältigende Bewusstsein seiner Nähe, die gleiche Welle jäher Emotion erfasste sie; furchterregend, aber wundervoll. Sie wünschte nur, sie befände sich in einer etwas günstigeren Position. Sie wollte in seinen Armen sein, in seinem Bett. Sie konnte nicht bis zur Hochzeit warten. Aber vielleicht war das ja auch gar nicht nötig.

Sie richtete sich auf. „Einige Sachen werden geliefert“, sagte sie, „aber es wird noch eine Weile dauern, bis sie kommen. In der Zwischenzeit können wir über die Hochzeit reden, dachte ich. Ich habe den idealen Ort gefunden, falls dort ein Saal frei sein sollte.“ Sie schüttelte den Kopf. „Du hast mir nicht viel Zeit gelassen. Das ist sehr kurzfristig, Charley.“

„Kurzfristig?“

David hüstelte. „Es sollte eine Überraschung sein. Wie hast du das Datum herausgefunden, du schlaues Mädchen? Hast du ein bisschen herumgeschnüffelt?“

Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie hatte nicht herumgeschnüffelt. Oder glaubte es zumindest nicht. Wie konnte sie es dann aber wissen? Es musste etwas damit zu tun haben, dass sie ihn liebte. Die Liebe gab ihr einen besonderen Einblick. „Ich weiß alles über Charley. Ich weiß, dass er gern früh ins Büro kommt, um sich auf seinen Arbeitstag vorzubereiten. Er räuspert sich, wenn er verblüfft ist oder nach den richtigen Worten sucht.“

Sie richtete den Blick auf Charles’ Gesicht. „Wenn er glaubt, es sähe niemand, zieht er unter dem Schreibtisch manchmal seine Schuhe aus. Und wenn er allein ist, redet er mit seinem Vater.“

Charles starrte sie entgeistert an, und seine Gesichtsfarbe war auch nicht allzu gut.

„Wieso überrascht dich das, Liebling? Wenn zwei Menschen sich lieben, ist es doch ganz natürlich, dass sie die Geheimnisse des anderen kennen. Du kennst doch sicherlich auch meine.“

Charles schaute von ihr zu David und dann wieder zurück. Seine Ohren wurden rot. Er genierte sich.

David trat zu ihm. „Er weiß, dass du gern nähst. Und wie sehr du Musicals von Stephen Sondheim liebst.“

Holly strahlte. „Siehst du, Charley, es ist wahr! Wir sind füreinander bestimmt. Nicht einmal die Zeit und die Entfernung vermochten uns zu trennen.“ Sie beugte sich schon wieder zu ihm vor, doch ein Klopfen an der Tür ließ sie dann innehalten. „Oh, warte, bis du siehst, was ich gekauft habe!“

Sie beschränkte sich auf einen raschen Kuss auf Charles’ Wange und lief zur Tür. Draußen stand der Portier mit zwei anderen Männern. Alle drei hatten die Hände voller Päckchen und Kartons.

„Kommen Sie.“ Sie winkte die Männer herein. Im Wohnzimmer blieb sie jedoch für einen Moment lang ratlos stehen. Komisch, aber sie erinnerte sich nicht mehr, welche Tür es war. Wahrscheinlich war das aber nur die Aufregung, mehr nicht.

„Einen Moment bitte.“ Die erste Tür rechts führte in ein Bad, die zweite in ein Schlafzimmer. „Hier!“

Der Raum war so groß, dass das breite Doppelbett beinahe klein wirkte. Aber die Farben passten nicht. Dunkelbraun und Grün und Schwarz. Wie deprimierend. Das würde sie ändern müssen, und zwar schnell.

Der Schrank war gigantisch, mit drei Abteilungen perfekt getrennter Kleidungsstücke, die nach Farbe und Stilrichtung geordnet waren. Aber sie sah in einer Ecke auch eine Jeans und drei Khakikosen. Der arme Charley schien wirklich nicht zu wissen, wie man sich amüsierte. Aber das war schließlich ihre Aufgabe, es ihm beizubringen, nicht?

Die Männer kamen, und rasch schob sie eine ganze Stange Anzüge zusammen, um die neuen Sachen in den Mittelteil des Schranks zu hängen. „Stellen Sie die Kartons hier einfach auf den Boden“, sagte sie.

David hüstelte. Als das nichts nützte, stieß er Charles mit dem Ellbogen in die Rippen. „Sie warten auf ein Trinkgeld“, flüsterte er.

„Was?“

„Gib einfach jedem einen Zehndollarschein.“

„Ich denke nicht …“

David lächelte den Portier und seine Helfer an, als er in die eigene Tasche griff und jedem der Männer einen Zehner reichte. Als sie gegangen waren, befahl er: „Setz dich, Charley.“

„Nenn mich nicht so.“

„Gut. Setz dich, Charles.“ David ging zu dem Esszimmerstuhl zurück, auf dem er vorher gesessen hatte, und nach einem ärgerlichen Blick auf ihn setzte sich auch Charles wieder.

„Nun?“

„Das Mädchen ist in Schwierigkeiten.“

„Um mir das zu sagen, hättest du nicht herzukommen brauchen. Das sehe ich selbst. Unverständlich ist mir nur, warum wir nicht die Polizei gerufen haben.“