Hambacher Frühling - Harald Schneider - E-Book

Hambacher Frühling E-Book

Harald Schneider

4,8

Beschreibung

Kommissar Palzki nimmt an einer Wochenendtagung auf dem Hambacher Schloss teil. Während der Tagung kommt es immer wieder zu unerklärlichen Unfällen. Als ein nächtliches Unwetter die Zufahrtsstraßen zum Schloss unpassierbar werden lässt, kommt es zu einem weiteren Todesopfer. Palzki ist ermittlungstechnisch auf sich allein gestellt. Er macht sich auf die gefährliche Suche nach dem Mörder. Wird es in der Nacht weitere Opfer geben? Und warum taucht ständig diese mysteriöse Burschenschaft auf dem Schlossgelände auf?

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Harald Schneider

Hambacher

Frühling

Palzkis 15. Fall

Impressum

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

NAFD (2017), Parkverbot (2017), Mords-Grumbeere (2016),

Sagenreich (2015), Weinrausch (2015), Wer mordet schon in der

Kurpfalz? (2014), Tote Beete (2014), Ahnenfluch (2013),

Künstlerpech (2013), Pilgerspuren (2012), Palzki ermittelt (2012),

Blutbahn (2012), Mörderischer Erfindergeist (2011),

Räuberbier (2011), Wassergeld (2010), Erfindergeist (2009),

Schwarzkittel (2009), Ernteopfer (2008)

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2018 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Klaus Storch, Altena

ISBN 978-3-8392-5622-0

Inhalt

Impressum

Personenglossar

Kapitel 1 Die Umbuchung

Kapitel 2 Wichtige Vorbereitungen

Kapitel 3 Hinauf, hinauf ins Schloss

Kapitel 4 Unfall oder Attentat?

Kapitel 5 Palzki übertrifft sich selbst

Kapitel 6 Ein weiteres Attentat?

Kapitel 7 Chawwerusch im Hambacher Schloss

Kapitel 8 Tödliches Hotel

Kapitel 9 Die Hexe SiRi

Kapitel 10 Eine ausgefallene Trauung

Kapitel 11 Ein ereignisreicher Nachmittag

Kapitel 12 Der Mörder geht um

Kapitel 13 Das Geheimnis des Skizzenbuchs

Kapitel 14 Ein neuer Gast

Kapitel 15 Das Morgengrauen

Epilog

Danksagung

Bonus 1 Kurzkrimi Wassergeld

Bonus 2 Ratekrimi »Hinauf zum Schloss«

Gewinnspiel

Bonus 3 Kurzkrimi Sport ist Mord

Personenglossar

Fiktive Personen:

Reiner Palzki – Kriminalhauptkommissar, Dienststelle Schifferstadt

Dietmar Becker – krimischreibender Student

Doktor Matthias Metzger – Not-Notarzt

Klaus P. Diefenbach – Dienststellenleiter, Palzkis Chef (Kurzauftritt)

Reale Personen:

Uli Dittrich – Geschäftsführerin der Stiftung Hambacher Schloss

Edgar – Jagdhund mit demokratischen Ambitionen

Irina Elert − stellvertretende Geschäftsführerin Hambacher Schloss

Carlotta Lietz – Hambacher Schloss, Führungsprogramm

Monika Lippert – Mitarbeiterin Kasse

Herrmann Hoch – Hausmeister Hambacher Schloss

Ben Pauls – Küchenchef und Veranstaltungsleitung Hambacher Schloss

Theo Wieder – Bezirkstagsvorsitzender, ehemaliger Oberbürgermeister von Frankenthal

Fünf Schauspieler des »Chawwerusch« Theaters

Andreas Nothaft, Elisabeth Fuchs, Maritta Stadelmaier – Studentische Burschenschaft

Daniel Maier, Parkplatzwächter

Matthias Thon, Amelie Steiner – Inhaber eines Hotels

Karin Zimmermann − Kripochefin

Enrico Müller − Krawattenträger und Duzfreund KPDs

Julienne Matthias-Gund – Geschäftsführerin Touristikgemeinschaft Kurpfalz e. V.

Silke Riehl – Esoterikerin

Gunter Engler und Beate Bootz-Engler – Brauteltern

Judith Engler − Braut

Steffen Boiselle – Hochzeitszeichner

Edsel (Thomas Merz) – Chef der Anonyme Giddarischde

Günter Wallmen – Unfallchirurg und Dirndlnotarzt aus Speyer

Marco Fratelli – Geschäftsführer der Peregrinus GmbH (Echtname: Marco Fraleoni)

Harald Schneider − Krimiautor

Kapitel 1 Die Umbuchung

Es hätte so ein schöner Tag werden können.

»Freuen Sie sich doch!«, schnauzte mich mein Chef an. »Nicht jeder bekommt in seinem Leben die Gelegenheit, mit hochrangiger Prominenz in Kontakt treten zu dürfen. Dies ist eine einmalige Gelegenheit für Sie, Palzki.«

Ich verzog mein Gesicht noch grimassenhafter, doch mir war klar, dass KPD, wie wir unseren Dienststellenleiter Klaus P. Diefenbach nannten, diese psychologischen Körpersignale nicht verstehen würde. KPDs Universum drehte sich ausschließlich um ihn selbst. Dort gab es nur Eigenlob, Einbildung, Arroganz und Ignoranz gegenüber dem realen Rest der Welt. Dieses verzerrte Weltbild, für einen Außenstehenden sofort als Fantasie-, oder auf Neudeutsch Trumpwelt erkennbar, bestimmte KPDs Leben und Wirken. Ständig waren wir Untergebenen, wie er seine Mitarbeiter abwertend nannte, seinen zahlreichen Spleens und spontanen Einfällen, die eher geistige Ausfälle waren, gnadenlos ausgesetzt.

»Ich kann nicht.« Ich versuchte, sein Anliegen abzuwehren. »Meine Schwiegermutter hat sich für diesen Termin angekündigt, und den Rasen müsste ich auch mal wieder mähen.«

KPD kam näher, stellte sich breitbeinig vor mir in Positur und schüttelte mit autoritärem Gehabe ruckartig den Kopf. »Palzki, Palzki, was soll nur aus Ihnen werden? Möchten Sie wirklich freiwillig auf die größte Chance Ihres Lebens verzichten?« Bevor ich etwas sagen konnte, gab er selbst die Antwort. »Nein, das kann ich nicht zulassen. Ich, der gute Chef der Schifferstadter Kriminalinspektion, habe schließlich eine Fürsorgepflicht gegenüber meinen Untergebenen.«

Er schmatzte unappetitlich und setzte ein Haifisch­lächeln auf, dabei blitzten seine goldüberzogenen Backenzähne im Neonlicht der Deckenbeleuchtung. »Den Termin werden Sie wahrnehmen, das bestimme ich jetzt als Ihr Dienstvorgesetzter. Ich zwinge Sie zu Ihrem Glück, Palzki. Eines Tages werden Sie mir dankbar sein.« Das Kopfschütteln war inzwischen in ein Nicken übergegangen. »Ganz bestimmt«, bekräftigte er seine eigene These.

»Den ganzen Zeitraum?«, hakte ich widerwillig nach. »Reicht da nicht der erste Tag?«

KPD stutzte einen Moment, dann lachte er laut heraus. »Jetzt verstehe ich, worauf Sie hinauswollen, Palzki! Selbstverständlich dürfen Sie die Überstunden in der Folgewoche abfeiern. Meistens fällt es sowieso nicht auf, ob Sie im Dienst sind oder nicht.«

Solche Freundlichkeiten musste ich mir von ihm ständig anhören.

An die Überstunden hatte ich zwar nicht gedacht, doch ich nahm die Steilvorlage von KPD souverän auf. Mit irgendeinem Argument musste ich ihn zur Weißglut bringen, damit er von seinem Vorhaben abließ. »Und wie sieht’s mit den Sonntagszuschlägen aus? Beamtenrechtlich soll das eine äußerst komplexe Materie sein. Soll ich dazu im Präsidium eine förmliche Anfrage starten?«

Präsidium, insbesondere das in Ludwigshafen, war in KPDs Ohren ein böses, ja gar ein unzulässiges Wort. Vor seiner Versetzung nach Schifferstadt war dieses Präsidium seine Dienststelle gewesen. Nicht wenige Gerüchte behaupteten nach wie vor hartnäckig, dass die Versetzung nach Schifferstadt aufs Land nicht freiwillig geschehen war. KPDs Kopf sah binnen einer Sekunde aus wie eine überreife Tomate.

»Nirgendwo sollen Sie nachfragen, Palzki. Als guter Dienststellenleiter habe ich alles im Griff. Mein Wort gilt etwas in der Verwaltung und bei den höheren Dienstgraden. Aus diesem Grund habe ich persönlich die Einladung des Innenministers erhalten. Wenn die Einladung nicht wäre, würde ich die Veranstaltung selbst besuchen, Palzki. Ich habe sie schließlich ursprünglich für mich selbst gebucht. Aber ich kann bedauerlicherweise nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Daher überlasse ich Ihnen die kleinere Hochzeit.«

»Und wenn ich mit dem Innenminister essen gehe und Sie stattdessen …«

KPD unterbrach mich unwirsch. »Nichts da. Ich habe ein paar besonders heikle Dinge zu besprechen. Da kann ich keinen Beamten der unteren Dienstgrade als Stellvertreter schicken, das würde meinen sehr guten Ruf infrage stellen. Palzki, für den Ministertermin ist ein Mann mit Kompetenz, Sachverstand und großer Menschenkenntnis gefordert, also ich. Alles andere wäre oberpeinlich.« Er sah mich eindringlich an. »Außerdem erspare ich Ihnen Ihre Schwiegermutter. Sie müssten froh sein, an dem Wochenende arbeiten zu dürfen. Wobei von Arbeiten keine Rede ist. Zuhören, kleine Aufgaben lösen, etwas dabei lernen und Kontakte knüpfen, mehr müssen Sie nicht tun. Und am wichtigsten: mir anschließend alles haargenau erzählen.«

Er drückte mir einen Schnellhefter in die Hand. Unwillkürlich las ich die Überschrift des Deckblatts: »Hinauf, hinauf zum Schloss«.

Jetzt lächelte KPD wieder. »Das Managementseminar auf dem Hambacher Schloss ist eine elitäre Veranstaltung. Es geht um das Thema Mitarbeitermotivation und beinhaltet mehrere Workshops, an deren Gestaltung ich selbst mitgewirkt habe. Ich muss Ihnen wohl nicht sagen, dass die Teilnahme nur für VIPs wie mich möglich ist und ich das aus unserem Schwarzgeldetat der Bußgeldkasse bezahlt habe. Enttäuschen Sie mich nicht, Palzki. Schauen Sie auf die Referentenliste und das Unterhaltungsprogramm, alles sehr bekannte Leute.«

Er fuchtelte mit seinen Fingern über das Deckblatt. »Na, was sagen Sie dazu?«

Bis auf einen Namen waren mir sämtliche Akteure unbekannt. Und auf die Person, die ich kannte, konnte ich liebend gerne verzichten.

»Na, haben Sie ihn entdeckt?«, fragte KPD stolz. »Ich selbst habe ihn auf die Referentenliste setzen lassen. Als Teilnehmer darf ich leider keinen Vortrag halten, obwohl ich das natürlich am besten von allen könnte. Dafür sind aber die meisten Elemente des Workshops meine ureigene Erfindung. So etwas haben Sie noch nie erlebt, das garantiere ich Ihnen. Immerhin ist es eine Uraufführung!«

Irgendetwas lief da im Moment schief. Ich versuchte, die Mappe an KPD zurückzugeben, doch er wich aus.

»Seien Sie nicht so schüchtern, Palzki. Am Freitag­mittag geht es los. Sie dürfen in der Nähe des Schlosses mit den anderen Teilnehmern in einem richtigen Hotel übernachten. Nicht so eine billige Ferienwohnung mit knarzendem Bett und verbrauchtem Mobiliar, wie Sie es von Ihren Urlauben her kennen. Und schauen Sie sich erst mal das zweite Blatt an. Bei den Menüs läuft Ihnen sofort das Wasser im Mund zusammen. Exquisiter geht’s nicht.« KPD schien mit diesem Argument und seiner Überzeugungskraft zufrieden.

Ich blätterte die Buchungsunterlagen auf die nächste Seite und versuchte, die beschriebenen Speisen zu identifizieren. Es gelang mir nicht einmal in Ansätzen. Keine Ahnung, ob mit den einzelnen Gängen Fleisch, Fisch oder etwas Vegetarisches gemeint war. Einiges konnte ich als französische Wörter identifizieren oder zumindest vermuten, der große Rest sah für mich eher wie eine Kunstsprache aus. Ob es sich um ein Seminar für Esperanto-­Sprecher handelte? Die Überschrift war das Einzige in Klartext: »Wir servieren jeweils die passenden Weine«. Hektisch blätterte ich weiter, wurde aber nicht fündig. »Die Bierkarte fehlt«, meinte ich mit Blick zu KPD.

Er schaute mich lange an, bevor er antwortete. »Ich sehe, das wird schwierig. Leider kann ich keinen anderen Beamten schicken, selbst wenn ich gerne wollte.«

»Wieso?« Ich musste wissen, warum er gerade mich für diesen Höllentrip auserkoren hatte. Aus Nächstenliebe garantiert nicht.

Zunächst stammelte KPD unverständlich herum, dann rückte er mit der Wahrheit heraus. »Die Anmeldung ist strikt personenbezogen. In meinem Fall ist mir eine Änderung nur gelungen, weil ich die Einladung des Innenministers vorlegen konnte. Der einzige Kompromiss, den ich eingehen musste, war, die Buchung an meinen unmittelbaren Untergebenen weiterzugeben. Und da Sie, zwar nicht qualitativ, aber historisch bedingt, leider der stellvertretende Dienststellenleiter sind, musste ich Ihren Namen angeben. Sie sehen, Palzki, Ihre Wege führen hinauf zum Schloss.«

KPD schaute mit verzücktem Gesichtsausdruck zur Decke, dann verließ er ohne einen weiteren Kommentar oder Gruß das Büro.

Ich blickte zu meiner Kollegin Jutta, in deren Büro ich mich befand. »Habe ich das eben geträumt oder brauche ich psychologische Hilfe?«

Jutta kam näher und versuchte, mich zu trösten. »Vielleicht wird es gar nicht so schlimm und du verbringst ein angenehmes Wochenende auf dem Hambacher Schloss. Interessante Menschen wirst du auf alle Fälle kennenlernen.«

»Ich will aber nicht. Das interessiert mich nicht die Bohne. Und erst das Essen. Wenn wenigstens die ›Curry­sau‹ der Caterer wäre, damit könnte ich gut leben.«

»Ich denke, du machst eine Diät?«, fiel mir Jutta ins Wort.

»Ja schon«, gab ich zu. »Aber bei solch einem Wochenende kann ich mal eine Ausnahme machen. Und außerdem ist die ›Currysau‹ überhaupt nicht auf dem Schloss. Lies dir mal durch, was es für Schweinereien zu essen gibt!«

Meine Kollegin vertiefte sich in die Menükarte. »Das liest sich aber sehr vielversprechend. Gehobene und gesunde Küche, da besteht keine Gefahr für deinen Diäterfolg. Schwein gibt’s auch nicht.«

»Keine Gefahr? Ich weiß nicht mal, was das alles ist. Und außerdem werden die Portionen so winzig sein, dass man sie auf dem Teller suchen muss. Ein klodeckelgroßes Schnitzel mit Pommes, das würde ich mir gefallen lassen.«

Jutta grinste. »Darauf wirst du wohl verzichten müssen.« Sie gab mir die Unterlagen zurück. »Heute ist erst Dienstag. Du kannst bis Freitag versuchen, KPD umzustimmen. Lass dir halt was einfallen.«

»Ich mache Feierabend. Es ist zwar ziemlich früh, aber diesen Schock muss ich jetzt verdauen. Sag Gerhard einen Gruß, wenn er zurückkommt. Wo ist er überhaupt?«

»Er musste wegen einer Ermittlungssache nach Speyer zum Sankt-Guido-Stifts-Platz.«

Sankt-Guido-Stifts-Platz? Ich glaubte, nicht richtig zu hören. Ausgerechnet an meinem Lieblingsplatz, dort wo die »Currysau« ihr Domizil hatte, musste mein Kollege ermitteln. Wie ungerecht war doch diese Welt. Wie gerne wäre ich in Speyer gewesen, während KPD meinem Kollegen Gerhard diese Unterlagen gegeben hätte.

Kapitel 2 Wichtige Vorbereitungen

Zu Hause war es ruhig. Jedenfalls die ersten 20 Sekunden, die ich von der Haustür bis zum Wohnzimmer benötigte.

»Papa«, rief mir meine 13-jährige Tochter Melanie entgegen, »am Samstag musst du mich zur Party nach Speyer fahren. Irgendwann nach Mitternacht kannst du mich dort abholen. Mama lässt mich nämlich nicht übernachten. Oder redest du mal mit ihr?« Sie zog ein seliges Lächeln auf.

Stefanie, die aus der Küche kam, hatte den letzten Satz unserer Tochter gehört. »Vergiss es, Melanie. Bis 22.00 Uhr darfst du auf der Party bleiben, keine Minute länger.«

Unser pubertierendes Töchterlein zog mit einem Schmollmund ab. Ich war mir sicher, dass es nicht ihr letzter Versuch war, ihre Eltern gegeneinander auszuspielen.

Stefanie kam zu mir und gab mir einen Kuss. Dabei streichelte sie sanft über meinen Bauch. »Ich glaube, so langsam sieht man den ersten Erfolg. Hast du dich diese Woche schon gewogen?«

Ich hielt ihre Hand fest. »Die Batterien müssen leer sein, die Waage zeigt nur verrücktes Zeug an. Wie viele Kilos muss ich noch?«

Dass die Waage ein knappes Kilogramm mehr anzeigte als zu Beginn meiner Diätmaßnahmen vor zwei Wochen, verschwieg ich ihr besser. Wahrscheinlich handelte es sich sowieso nur um einen Messfehler, da Stefanie meinen dünner werdenden Bauchumfang soeben testiert hatte. Aber ich war schließlich gewillt, ein paar Pfunde abzunehmen. Bei meinen letzten Ermittlungen im Mannheimer Luisenpark hatte es sich spürbar gezeigt, dass ich nicht mehr so schnell und agil wie in jungen Jahren war. Selbst gemäßigter Sport war für mich kein Fremdwort mehr, seit unsere Familie einen Crosstrainer besaß. Inzwischen konnte ich dieses Folterinstrument, natürlich mit leichtester Stufe, fast fünf Minuten ohne Pause zum Schwingen bringen. Bei vier Minuten und 10 Sekunden stand mein persönlicher Rekord.

Stefanie holte mich aus meiner Gedankenwelt zurück. »Du hast erst angefangen, mein lieber Mann. Bis zum Frühjahr musst du durchhalten. Dann brauchst du zwar komplett neue Kleider, dafür habe ich dann einen neuen Mann.« Grinsend streichelte sie mir erneut den Bauch. »Heute Abend gibt es vegetarische Brokkolischnitzel, freust du dich schon? Ich habe übrigens im Supermarkt Light-Bier gefunden, da hat die Flasche nur knapp 100 Kilokalorien. Möchtest du das Bier zum Essen kalt oder in Zimmertemperatur haben?«

Mir blieb nichts übrig, als diese Kröte zu schlucken. Allein der Gedanke an Bier in Zimmertemperatur ließ mir einen Schauder über den Rücken laufen. Im Moment lief es mit meiner Lebensplanung nicht so 100-prozentig zufriedenstellend, eher so 0-prozentig. Außerdem fühlte ich mich mal wieder rundum fremdbestimmt.

»Du, wegen Melanies Party …« Es wurde Zeit, dass ich die Hiobsbotschaft mit dem Managementseminar auf dem Hambacher Schloss loswurde.

Stefanie unterbrach mich. »Da müssen wir als Eltern hart bleiben. Du holst sie um 22.00 Uhr ab, und lass dich nicht wieder von ihr um die Finger wickeln.«

»Äh, aber wie …«

»Das schaffst du schon. Übrigens, ich habe dich, wie wir besprochen haben, im Sportverein angemeldet. Am Freitagabend hast du beim Trainer des Vereins eine Privat­stunde, damit er deine Fitness einschätzen kann. Darauf aufbauend wird er dir ein passendes Sportprogramm zusammenstellen, das dich nicht unterfordert.«

Ich schluckte hart. Ich musste unbedingt reagieren und Stefanie reinen Wein einschenken. Schließlich konnte ich zumindest dieses Mal nichts für die Misere. Allerdings war mir nur zu gut in Erinnerung, dass Stefanie vor knapp zwei Jahren eine Zeit lang von mir getrennt wohnte, weil ich ihr damals mehr mit dem Job verheiratet schien als mit ihr. Klar, es waren andere Zeiten, KPD arbeitete noch nicht in Schifferstadt, und ich selbst war als kommissarischer Dienststellenleiter der Kriminal­inspektion tätig. Dementsprechend hoch war mein beruflicher Zeitaufwand, von regelmäßigen Wochenenddiensten ganz zu schweigen. Selbst wenn ich es ungern zugab, hatte ich KPD indirekt mein wieder vereintes Familienleben zu verdanken. Durch seine Inthronisierung konnte ich in die zweite Reihe zurücktreten und meine Frau und meine Kinder zurückgewinnen. Seitdem stand für mich unerschütterlich fest, dass ein zufriedenes Familienleben, selbst wenn es häufig mit Kompromissen und manchmal mit Stress verbunden war, wichtiger als ein erfülltes Berufsleben war. Ich hatte gelernt, dass es Wertvolleres gab, als sein Leben bedingungslos für den Job aufzuopfern. Die Friedhöfe sind voll mit Menschen, die sich für unersetzbar hielten.

»Stefanie, äh …«

»Papa, geil, dass du schon da bist!«

Der neunjährige Paul kam ins Wohnzimmer gerannt. »Ich rufe gleich bei Tom an, dass die Sache klargeht, okay?«

»Tom? Sache? Was meinst du, Paul?«

»Ach Papa«, motzte Paul. »Hast du es wieder vergessen? Mama hat mich doch in diesen neuen Fußballverein gesteckt.«

Ich nickte. »Das ist mir bekannt. Du hast mit deinem Ball im Garten Mamas komplettes Blumenbeet umgepflügt. Der Verein war also nur Notwehr von Mama. Außerdem hat uns die Haftpflichtversicherung gekündigt, weil sie nicht dauernd für die Glasschäden in der Nachbarschaft aufkommen wollte.«

»Das weiß ich«, unterbrach mein Sohn ungeduldig. »Inzwischen gefällt es mir ganz gut im Verein. Da gibt’s ein paar dufte Kumpel. So wie der Tom. Bei dem war sogar schon das Jugendamt, hat er erzählt.«

Während Stefanie erblasste, fragte ich mich, ob ich nicht doch unseren Garten zu einem kleinen Fußballfeld umbauen sollte, damit wir unseren Sohn besser unter Kontrolle hatten.

Paul kümmerten die elterlichen Fragestellungen nach seiner Zukunft wenig. »Das Turnier am Sonntag in Ludwigs­hafen wird jedenfalls klasse. Sogar Mädchenmannschaften sind dabei. Ich und Tom haben bereits ein paar fiese Ideen, wie wir die Mädchen ärgern können. Papa, wir müssen pünktlich um 8.00 Uhr in der Friedrich-Ebert-Halle sein. Du musst auch nicht dort bleiben. Es reicht, wenn du mich und Tom am Nachmittag abholst.«

»Ich weiß nicht, ob Papa Zeit hat«, sagte Stefanie mit einem flehenden Blick zu mir. »Wir schauen nachher in den Terminkalender und geben dir dann Bescheid.«

Während ich in Anbetracht der grotesken Situation nur stumm dastand, legte Paul einen drauf. »Wenn Papa nicht fährt, dann frage ich Herrn Ackermann. Der macht das auf alle Fälle, außerdem will er mir sowieso was zeigen.«

Detaillierter wurde er nicht. Es war auch so schlimm genug. Unsere Nachbarn, die Ackermanns, waren die irdische Hölle. Ewige Verdammnis in unmittelbarer Nachbarschaft. Wer schlimmer von den beiden war? Ich wusste es nicht. Herr Ackermann war vordergründig eine Tranfunzel, die es gegen Mittag vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer auf die Couch schaffte und sich weder um den Haushalt noch um seine Frau kümmerte. Doch sobald er mit Paul in Kontakt kam, wurde er zu Dynamit. Ach was, die beiden verwandelten sich in einen hochaktiven Vulkan. Statt Lava und Qualm ging es bei dem Duo aber eher um kriminelle Aktivitäten, die sie ausheckten. Bisher war es mir immer gelungen, Herrn Ackermann zur Verantwortung zu ziehen, der schließlich stets die initiierende Idee für die Streiche hatte, wie die beiden es verharmlosend nannten. Irgendwann würde Paul 14 und damit strafmündig sein, wenn sich vorher nicht das Jugendamt einschaltete. Entsprechende Verbindungen schien Paul ja bereits zu besitzen.

Ich sinnierte gerade über Frau Ackermann, da stieß mich Stefanie sanft in die Seite.

»Was ist los mit dir? Du stehst da, wie zur Salzsäule erstarrt. Paul ist längst hoch in sein Zimmer gegangen. Morgen werde ich ihn zur Sicherheit aus dem Fußballverein abmelden.«

Bevor die familiäre Situation weiter eskalierte, wer weiß, welche weiteren Termine noch auf mich für das kommende Wochenende warteten, drückte ich meiner Frau die Buchungsmappe in die Hand und setzte mich auf die Couch.

»Was ist das?«, fragte sie neugierig und las die Überschrift. »Ein Managementseminar mit Workshop? Schickt Diefenbach dich auf eine Weiterbildung? Oh, Thema Mitarbeitermotivation, das finde ich sehr gut, dann ist er inzwischen von deinen Fähigkeiten als Kriminalbeamter überzeugt. Gibt’s sogar eine Beförderung?«

Im Prinzip lief es sehr gut für mich. Ich blieb stumm, das dicke Ende abwartend. Stefanie setzte sich neben mich und strahlte. Noch.

»Ach, die Tagung ist bereits am kommenden Wochenende. Das ist jetzt aber ein bisschen plötzlich.« Ihr fiel der Termin im Sportverein ein. Für einen Moment wusste sie selbst nicht, wie sie reagieren sollte. Zunächst sah es aus, als würde sie überreagieren, doch dann besann sie sich. »Dir liegt sicher viel an diesem Seminar, Reiner. Ich kann mir vorstellen, wie großartig du dich im Moment fühlst, endlich mal durch den Vorgesetzten anerkannt zu werden. Und wenn es jetzt im Job besser klappt, dann fühlst du dich bald insgesamt besser. Oh, ich freue mich so für dich. Den Termin mit dem Trainer verschiebe ich um eine Woche.«

Nun war ich ungewollt sprachlos. Was musste ich da hören? Stefanie verdrehte komplett die Fakten. Ich musste sie auf den Boden der Realität zurückholen, und zwar sofort. Ich wollte just damit beginnen, eine Brandrede auf KPD und dieses verflixte Seminar zu halten, da rief mein Freud’sches Über-Ich in letzter Sekunde »Halt!«.

Wenn ich Stefanie sagen würde, dass das Verhältnis zwischen KPD und mir nach wie vor zum Schlechtesten stand und ich unfreiwillig zu der Teilnahme verdonnert wurde, zu der ich außerdem nicht im Geringsten Lust hatte, sah meine Ehefrau das Ganze garantiert aus einem anderen Blickwinkel. Ich musste ausnahmsweise etwas taktisch vorgehen, um den Familienfrieden nicht zu gefährden. Nachteilig war, dass ich mich nun nicht mehr gegen diese Veranstaltung wehren konnte, da ich sonst meine Glaubwürdigkeit verlieren würde. Aus diesen Gründen blieb ich weiterhin stumm, zog aber meine Mundwinkel eine Nuance nach oben, um nicht allzu betrübt zu wirken.

»Ich sehe, du kannst dein Glück noch gar nicht richtig fassen«, sagte Stefanie prompt. »Die Freude wird sicherlich bald einsetzen.« Sie schlug die Buchungsunterlagen auf. »Mann, sind das mal hochkarätige Referenten. Da kannst du auf alle Fälle etwas lernen.« Sie blätterte weiter. »Hast du Herrn Diefenbach das Leben gerettet, weil er dir so etwas spendiert?«

Nachdem ich immer noch schweigend dasaß, blätterte sie weiter. »Inklusive zwei Übernachtungen in einem exklusiven Hotel und dann diese Menüs …« Sie hielt mitten im Satz inne und stierte mich an.

Leider interpretierte ich die Erstarrung falsch. »Ich kann mir von zu Hause was zu essen mitnehmen, wenn die Menüs deiner Meinung nach zu fettreich sein sollten. Ich werde mir dein vorgekochtes Essen in der Hotelküche aufwärmen lassen. Dem Koch sage ich, dass ich eine Kalorienal­lergie habe.« Meinen kleinen Witz ignorierte sie.

»So kannst du unmöglich dorthin gehen«, sagte Stefanie.

Ich schaute an mir herunter. »Du hast selbst gesagt, dass mein Bauch schon etwas dünner geworden ist. Wahrscheinlich sind auch andere Teilnehmer dabei, die nicht untergewichtig sind.«

»Das meine ich nicht.«

»Was dann?«

»Deine Kleidung. Mensch Reiner, wann haben wir dir das letzte Mal etwas zum Anziehen gekauft?«

Oh nein, ich hatte das Todeslos gezogen. Fast alles unternahm ich liebend gerne gemeinsam mit meiner Frau, es gab nur sehr wenige Ausnahmen. Eine davon war das gemeinsame Einkaufen von Kleidung, insbesondere für mich. Von Erzählungen meiner Kollegen wusste ich, dass ich mit diesem Problem nicht allein war. Die Auffassung, wie ein Kleiderkauf abzuwickeln war, verlief bei Frau und Mann in völlig entgegengesetzte Richtungen. Wenn Mann eine korrekt sitzende Hose oder ein Hemd in einem Geschäft, und sei es das erste, fand, dann galt das Kleidungsstück als gekauft und das Projekt war abgeschlossen. Ganz anders bei einer Frau. Generell war alles, was in den ersten zehn Geschäften anprobiert wurde, zunächst zum Kauf ungeeignet. Und selbst dann, wenn Mann mehr tot als lebend im 15. Geschäft die 45. Hose anprobierte, die, wie einige vorher auch, perfekt passte, so war das noch lange kein Grund, diese Hose zu kaufen. »Lass uns noch zu X und Y gehen. Und anschließend zu Z. Vielleicht finden wir dort etwas Besseres.« Der Einwand, dass es nichts Besseres als eine perfekt sitzende Hose gab, wurde regelmäßig ignoriert. Erst wenn Frau sämtliche ihr bekannten Geschäfte durchforstet hatte, war sie zufrieden. Oft genug wurde dann ein Kleidungsstück aus einem der zuerst besuchten Geschäfte gekauft. Dies war der Hauptgrund, warum Männer im Allgemeinen in alten und unmodischen Klamotten herumliefen. Zumindest die, die verheiratet waren. Nur durch das Simulieren von leichten bis mittelschweren Kreislauf­zusammenbrüchen konnte man als Mann diesen fast endlosen Teufelskreis durchbrechen. Seit Jahrzehnten fragten sich die Rettungsdienste, warum es in Fußgängerzonen überproportional viele Einsätze gab, bei denen verheiratete Männer wegen Kreislaufbeschwerden behandelt werden mussten.

Stefanie gab sich selbst die Antwort auf die Frage nach unserem letzten gemeinsamen Kleiderkauf. »Für die vorletzte Weihnachtsfeier deiner Dienststelle haben wir dir einen neuen Anzug gekauft, weißt du noch? Das ist bald zwei Jahre her.«

Ich wusste es. Ich wusste auch, dass die Feier wegen eines Deichbruchs bei Altrip vorzeitig beendet wurde und der neue Anzug nach dem Einsatz nicht einmal mehr für den Altkleidersack taugte.

»Wir müssen dir was Passendes zum Anziehen kaufen«, bestimmte Stefanie. »Mit deinen alten Dingern blamierst du dich.«

Ich hatte ein gutes Argument. »Leider beginnt das Programm bereits am Freitag. Vorher haben wir keine Zeit, um einkaufen gehen zu können.« Die Zeit zwischen Dienstschluss und Geschäftsschluss würde niemals reichen.

Stefanie überlegte. »Weißt du was? Da du ja jetzt mit Herrn Diefenbach so gut klarkommst, rufe ich ihn einfach an und frage, ob du dir morgen einen Tag Urlaub nehmen kannst. Er hat sicherlich Verständnis dafür, dass sich seine Mitarbeiter gepflegt präsentieren.«

»Nein!«, schrie ich hilflos, aber Stefanie war bereits aufgestanden und zum Telefon gegangen.

Das Telefonat dauerte nicht lange. Stefanie setzte sich wieder zu mir. »Herr Diefenbach war sofort mit meinem Vorschlag einverstanden. Er freut sich, dass du dich mit der neuen Situation abgefunden hast. Was meint er damit?«

Ich winkte lässig und wortlos ab und Stefanie sprach weiter, ohne nachzuhaken. »Selbstverständlich darfst du dir morgen freinehmen. Als Ausgleich für das Wochenende, meinte dein Chef. Das ist überaus großzügig von ihm, dann brauchst du nicht einmal einen Urlaubstag zu opfern.«

»Der Freizeitausgleich hätte mir sowieso zugestanden.«

»Aber Reiner«, tadelte mich Stefanie. »Wo Herr Diefenbach so gönnerhaft ist, wirst du hoffentlich diese Situation nicht ausnutzen und dir für diese tolle Veranstaltung Überstunden eintragen. Andere Menschen zahlen Geld, um dabei sein zu dürfen.«

Ich gab mich geschlagen. Stefanie über die wahre Sachlage aufzuklären, dürfte mir im Moment nicht weiterhelfen. »Warum brauche ich neue Klamotten? Weder in meinen Hemden noch in den Hosen sind Löcher an Stellen, wo sie nicht hingehören. Außerdem kennt mich dort niemand, es ist schließlich keine Modenschau.«

»Wer redet von Löchern? Schau dir deine speckige Hose an, die du heute anhast. Hat da bisher keiner etwas zu dir gesagt?«

Ich wusste, dass mir morgen ein schwerer Tag bevorstand. Stefanie gab eine Zugabe. »Herr Diefenbach meinte, dass eine Krawatte obligatorisch wäre. Er war so freundlich, mir sogar Farbvorschläge zu machen, die dir stehen würden. Ich bin zwar nicht der Meinung, dass dir Zartrosa steht, aber wir lassen uns morgen ausführlich in den Fachgeschäften beraten. Außerdem solltest du an jedem Tag der Veranstaltung eine andere Krawatte tragen. Das gehört sich so.«

Stefanie rief im Anschluss unseres Gesprächs bei ihrer Mutter an, die sofort ihre Bereitschaft zeigte, zwei Tage früher aus Frankfurt anzureisen und auf unsere wenige Monate alten Zwillinge Lisa und Lars aufzupassen, während wir uns durch die Kleidergeschäfte quälten.

Über den Einkaufstag, der faktisch mehr als sechs Stunden, gefühlt aber Jahre dauerte und meine Frau und mich durch mehrere Billionen Kleidergeschäfte in Ludwigs­hafen und Mannheim führte, gibt es keine Aufzeichnungen, da ich diesen Zeitraum komplett aus meinem Gedächtnis verbannt habe. Sozusagen eine zeitweilige Amnesie.

Wenigstens war der Tag erfolgreich. Schwer bepackt mit mehreren Tüten kamen wir zu Hause an. Stefanie, die Optimistin, hatte alle Hemden und Hosen in der für mich momentan kleinstmöglichen Größe gekauft, da ich sowieso am Abnehmen sei und sie solch eine strapaziöse Tour nicht gleich in einem Monat wiederholen möchte, was mir, als gerade so Überlebender, ganz recht war. Na ja, die neuen Klamotten waren etwas unbequem, aber das würde sich nach Stefanies Aussage bald geben. Misslicher fand ich die Accessoires. Ein Schal in gedeckten Farben war okay, ich würde ihn sowieso nie anziehen. Die Krawatte in den Farben Schwarz, Rot und Gold war da schon ein anderes Kaliber, zumal meine Frau darauf bestand, dass ich diese am Freitag zur Eröffnung des Seminars trug.

»Damit kannst du gleich zu Beginn deine demokratische Weltanschauung demonstrieren«, meinte sie. »Du weißt schließlich, der erste Eindruck ist der Wichtigste. Oh, Reiner, ich bin so stolz auf dich!«

Die einzige Krawatte, die mir gefallen hatte, wurde durch meine Frau abgelehnt. Sie meinte, Totenköpfe würden an mir kindisch wirken.

Der Donnerstag bescherte mir auf der Dienststelle ein regelrechtes Spießrutenlaufen. Jeder Kollege meinte, seinen Senf zu dem Wochenende geben zu müssen. »Welche Fahne nimmst du mit, wenn du aufs Schloss hoch wanderst?«, oder »Hast du schon deine Revoluzzer-Rede vorbereitet?«, waren die harmloseren Wortspenden. Ein letzter Gang zu KPD, vielleicht hatte er es sich kurzfristig anders überlegt und wollte nun doch selbst gehen, war suboptimal.

»Gut, dass Sie noch mal vorbeischauen, Palzki«, sagte er und sprang aus seinem luxuriösen Thronsessel hinter seinem tischtennisplattengroßen Schreibtisch auf. »Dann kann ich Ihnen ein paar wichtige Verhaltenshinweise geben.«

Er baute sich vor mir auf. »Mir ist natürlich klar, dass Sie nicht die Erfahrung und die Klasse im Umgang mit VIPs haben wie ich. Am besten, Sie halten sich immer etwas im Hintergrund und konzentrieren sich auf eine Beobachterrolle. So helfen Sie mir am besten, da Sie konzentriert das Geschehen verfolgen und mir am Montag alles erzählen können. Wenn Sie sich in die Diskussionen einmischen, von denen Sie sowieso keine Ahnung haben, bricht nur wieder das obligatorische Chaos aus. Außerdem fällt das negativ auf mich als guter Chef zurück. Was sollen die anderen von mir denken, wenn Sie da wie ein Elefant im Porzellanladen durch das Schloss stolpern und unpassende Bemerkungen machen? Das geht alles zulasten meines sehr guten Rufs. Und seien Sie beim Dinieren nicht so gierig. Warten Sie ab, was die anderen nehmen und tun Sie es Ihnen gleich.«

So ging das mehr als eine Viertelstunde lang. Während KPD sprach, lenkte ich mich durch eigene Gedanken ab, sodass der Wortschwall meines Vorgesetzten durch mein Gehirn vollkommen ausgeblendet wurde.

»Was ist, Palzki? Wie lange wollen Sie hier noch herumstehen? Ich bin fertig mit meinen Ausführungen.«

Da KPD die letzten Sätze lauter sprach, gelang mir die Rückkehr in den Realitäts-Modus.

»Entschuldigung, ich habe Ihre wertvollen Hinweise erst verinnerlichen müssen.«

KPD nickte anerkennend. »Das ist mal ein guter Anfang. Früher hätten Sie mir erst gar nicht zugehört. Vielleicht ist bei Ihnen doch nicht Hopfen und Malz verloren. Wenn dieses Wochenende ohne Malheur reibungslos über die Bühne geht, werde ich Ihre Frau und Sie zu einem richtig exklusiven Abendessen einladen. Dann kann ich Ihnen die Feinheiten beim Dinieren in einem Sternerestaurant näherbringen. Und denken Sie morgen an die Krawatte!«

Als ich KPDs Büro verließ, kam mir der Gedanke, dass es mich hätte viel schlechter treffen können. Ich wagte mir nicht vorzustellen, wenn mein Chef und ich dieses Wochenende gemeinsam hätten durchstehen müssen. Daher freute ich mich, wenigstens ein klein wenig, auf ein geruhsames Wochenende ohne Rasenmäher, ohne Schwiegermutter, ohne familiäre Fahrdienste und ohne Mord und Totschlag.

Ich hatte zwar KPD nicht direkt gefragt, aber meiner Meinung nach war es selbstverständlich, den Freitagvormittag nicht zum Dienst zu erscheinen. Die Vorbereitungen, bei denen mich meine Frau tatkräftig unterstützte, hätten dies nicht zugelassen.

»Das sind nur zwei Übernachtungen«, flehte ich Stefanie an, die neben einem großen Koffer eine Reisetasche bis zum Anschlag füllte. »Warum zwei Paar Schuhe und zwei Schlafanzüge? Eine Stoffhose reicht völlig aus. Wo soll ich mich in einem neu renovierten Schloss schmutzig machen? Das ist kein Survivaltraining für Möchtegern-Manager.«

»Vielleicht macht ihr einen kleinen Verdauungsspaziergang durch den Wald? Da muss es nur ein bisschen regnen, dann bist du froh um ein oder zwei Paar Ersatzschuhe. Und ein Schlafanzug in Reserve ist kein Fehler bei einem Mann in deinem Alter.«

»Was soll das heißen?«, rief ich erzürnt, aber Stefanie grinste frech. »Jetzt packen wir deine Hygienesachen ein, dann dürftest du alles haben. Ich gebe dir meine Digital­kamera mit. Du kannst dort jemanden fragen, ob er ein Foto von dir und den Prominenten macht. Das wirkt professioneller als ein verwackeltes Selfie. Die beste Aufnahme lassen wir dann vergrößern, damit du sie im Flur eurer Dienststelle an die Wand hängen kannst. Herr Diefenbach und deine Kollegen werden begeistert sein.«

»Wie du meinst«, antwortete ich postwendend. Mir kam ein anderer Gedanke. Ich brauchte Lesestoff. Ohne dass Stefanie es mitbekam, stopfte ich ein paar Asterix-Bände in die Reisetasche. Damit konnte ich die eine oder andere langweilige Referatsstunde überbrücken. Die ursprünglichen Asterix-Alben, die ich als Kind Dutzende Male gelesen hatte, waren natürlich sehr zerfleddert und sahen teilweise unappetitlich aus, da ich die Hefte als Kind auch beim Essen gelesen hatte. Unter dem Vorwand, meinen eigenen Kindern etwas Kult zu vermitteln, hatte ich sämtliche Alben vor einem guten Jahrzehnt neu gekauft. Leider zeigte weder Paul noch Melanie ein Interesse an Comics.

Die Minute des Abschieds war gekommen. In meinem Anzug kam ich mir seltsam fremd vor. Gleich auf dem Schloss würde ich einen Teil meiner Garderobe wechseln. Für einen Jogginganzug hatte es zwar nicht gereicht, Stefanie hatte dieses Ansinnen mit einem Veto blockiert, aber zumindest Jeans lagen im Koffer. Natürlich nur für Notfälle, falls es zu einem Ausflug ins Gelände kam.

Den Aufenthalt im Freien, also die Wegstrecke zwischen unserer Haustür und dem Inneren meines Wagens, wollte ich aus gutem Grund so kurz wie möglich halten. Leider war er nicht kurz genug.

Frau Ackermann, unsere Nachbarin, lauerte neben ihrem Briefkasten. Der Briefkasten hatte dabei nur eine Alibifunktion. Sie benutzte ihn nahezu ausschließlich dazu, um einen Grund zu haben, das Haus zu verlassen. Bis zu zehn Mal in der Stunde machte sie sich an manchen Tagen auf den kurzen Weg zum Briefkasten. Selbst wenn der Postbote zwischenzeitlich die Tagespost eingeworfen hatte, ging das Spielchen weiter: Sie ließ die Post im Kasten, um die Prozedur ein paar Minuten später wiederholen zu können. Dieses Vorgehen hatte natürlich einen guten Grund: Frau Ackermann war auf der Suche nach Opfern, pardon, sozialen Kontakten. Ihr tranfunzliger Mann lag den ganzen Tag nur auf der Couch und glotzte Fernsehen. Frau Ackermann dagegen stand oft stundenlang in der Küche hinter dem Fenster, das zur Straße hin zeigte. Sobald sich auf dem Gehweg ein menschliches Wesen zeigte, spurtete sie zur Eingangstür, um dann wie zufällig zum Briefkasten zu gehen. Genauso zufällig wurden die unschuldigen Passanten in ein Gespräch verwickelt. Wobei es sich nicht wirklich um ein Gespräch handelte. Wenn Frau Ackermann sprach, gab es ausschließlich einen Monolog. Es war unmöglich, ihren Sprachfluss zu unterbrechen. Dies lag nicht nur an der Menge ihrer Wörter, sondern im Besonderen an deren Geschwindigkeit, mit der sie ihre Reden hielt. Nach glaubwürdigen Schätzungen sprach sie in zehnfacher Geschwindigkeit des früheren Hitparaden-Moderators Dieter Thomas Heck. Wenn es heutzutage noch die Gottschalk-Sendung »Wetten, dass …?« gäbe, Frau Ackermann hätte gute Chancen auf den Allzeitsieg. Ich war mir sicher, dass sie die mehrbändige Gesamtausgabe des Brockhaus in weniger als zwei Stunden vorlesen konnte. Selbst für das gesammelte in Wikipedia aufgeführte Weltwissen würde sie nicht viel länger als einen Tag brauchen.

Der Vorteil von Frau Ackermanns Oral-Hobby war, dass auf dem Gehweg vor unseren Häusern ziemlich wenig Passantenverkehr herrschte. Herrchen und Frauchen gingen mit ihren vierbeinigen Lieblingen nur genau ein einziges Mal an unseren Häusern entlang, dann suchten sie sich andere Wege. Entsprechend kotfrei waren unsere Vorgärten.

Der Nachteil war, dass es auch mich hin und wieder erwischte.

»Herr Palzki, wie sehen Sie denn aus?«, waren ihre ersten halbwegs verständlichen Worte, als sie mich sah. Während ich Koffer und Reisetasche in den Kofferraum wuchtete, hatte sie mich erreicht.

»Eine schöne Krawatte haben Sie da, Herr Palzki. Mein Mann hatte auch mal eine getragen. Das war bei unserer Hochzeit. Seitdem nicht mehr. Überhaupt zieht er nur noch Sachen mit Gummibund an. Weil sie bequemer sind, meint er. Er liegt sowieso nur den ganzen Tag auf der Couch und nachts im Bett. Ein Wunder, dass er noch aufsteht, wenn er aufs Klo muss. Oh, Herr Palzki, was habe ich mir die Welt rosig gemalt, als wir geheiratet haben. Wenn er wenigstens mal mit mir ausgehen würde. Und vielleicht eine so schöne Krawatte anziehen würde wie Sie. Hat die Ihre Frau ausgesucht? Gehen Sie jetzt immer im Anzug zur Arbeit? Oder müssen Sie heute einen prominenten Mörder verhaften und deswegen entsprechend gekleidet sein?«

Es gelang mir, in den Wagen einzusteigen und ihn zu starten. Ich nickte meiner immer noch vor sich hin quasselnden Nachbarin durch das geschlossene Seitenfenster dreist zu und legte den Rückwärtsgang ein. Ich atmete tief durch: Ich lebte noch.

Kapitel 3 Hinauf, hinauf ins Schloss

 

 

Die Anreise zum Schloss verlief zunächst ohne Zwischenfälle. Es war ein äußerst warmer Herbsttag, an dem ich die A65 an der Ausfahrt Neustadt Süd verließ, um die kurze Strecke nach Hambach zu fahren. Bereits von der Autobahn sah man das Hambacher Schloss, das früher Kästenburg oder im Volksmund Maxburg genannt wurde, auf einem Hügel vor den im Hintergrund befindlichen höheren Bergen des Pfälzerwaldes thronen.

Der Weg zum Schloss durch den Neustadter Ortsteil Hambach war sehr gut ausgeschildert. Anhand der Unterlagen und einem Jahre zurückliegenden Tagesausflug wusste ich, dass eine Ringstraße als Einbahnstraße um das Schloss führte. Als ich den Weg nach oben befuhr, wusste ich warum. Der etwas aus dem Teer gegangene Asphaltweg war nicht sehr breit, und unmittelbar daneben ging es ohne Leitplanken steil hinab. Laut der Anfahrtsskizze gab es 200 Meter unterhalb der äußeren Ringmauer einen Busparkplatz. Vor und nach diesem Busparkplatz war die Einbahnstraße etwas breiter angelegt, um Platz für Pkw-Stellplätze zu schaffen.

Ich mied diese Parkplätze, da mit KPDs Beziehungen eine Parkgenehmigung innerhalb des Schlossgeländes verbunden war. Warum sollte ich daher einen Fußweg auf mich nehmen, zumal es für meine Verhältnisse als Bewohner der Rheinebene steil nach oben ging?

Die Zufahrtsstraße zum Schloss, die am Busparkplatz begann, war laut Beschilderung, von Fußgängern abgesehen, verkehrsmäßig nur für Anlieferer und Rollstuhlfahrer erlaubt. Ein junger Kerl in einer Bomberjacke stellte sich meinem Pkw in den Weg.

»Griaß God«, begrüßte er mich durch das inzwischen von mir heruntergelassene Fenster. Wenigstens freundlich ist er, dachte ich anerkennend.

»I hoaß Daniel Maier. Sie dearfan do leider ned weiterfahrn. Wenn S’ umdrahn und eahna rechts hoitn, finden S’ meahra Pkw-Parkplätze.«

Ich hatte größte Schwierigkeiten, seinen bayerischen Dialekt zu verstehen. Ein Parkplatzwächter aus Bayern?, fragte ich mich sprachlos. Gut, die Pfalz stand viele Jahre lang unter bayerischer Zwangsverwaltung. Selbst zu Zeiten des Hambacher Festes war dies so. Aber heutzutage hatten wir Pfälzer uns wohl ausreichend gegenüber den Bayern emanzipiert. Es reichte meiner Meinung nach völlig, dass seit ein paar Jahren auch in der Pfalz die Oktoberfeste immer beliebter wurden. Aber ein bayerischer Parkplatzwächter, musste das wirklich sein?

»Guten Tag, mein Name tut nichts zur Sache. Ich will zum Seminar«, entgegnete ich und zeigte ihm, um die Lage zu vereinfachen, kurz meine Unterlagen, was ihn für einen Moment stutzig machte. Er trat ein paar Schritte zurück und verglich mein Kennzeichen mit einer Liste, die er in der Hand hielt.

»Duad ma leid, i kann Eana Kennzeichen ned findn.«

Ich lächelte ihn an. »Kein Wunder, ich bin Ersatzmann für KPD. Äh, Herrn Diefenbach, meine ich.«

Der Wegversperrer schaute in seine Liste. »An Herrn Diefenbach hob i do aufgführt. Des Kennzeichen is oba a anders.«

»Ich bin ja auch nicht Herr Diefenbach«, erklärte ich ihm, immer noch ruhig bleibend.

»Des mog sei«, konterte Maier. »I bin oba ned für a Personenkontrolle zuständig. Des Schloss is trotz der Veranstaltung füa jedn zugänglich.«

Natürlich hatte ich längst gesehen, dass während unseres Disputs einige Tagesbesucher zu Fuß an uns vorbei die Straße nach oben in Richtung Schloss gingen.

»Und wo liegt dann Ihr Problem?«

Der Bayer zeigte nach vorne. »Eana Kennzeichen stimmd ned mit da Listn zam. Duad ma leid, i dearf Sie ned nauffahrn lassn. De Bestimmungen san eindeutig.«

Ich knallte mir die flache Hand an die Stirn. Das durfte nicht wahr sein. »Junger Mann«, sagte ich zu dem Straßenbenutzungswächter. »Streichen Sie einfach KPDs, äh, Diefenbachs Kennzeichen und schreiben Sie meines nebendran. Diefenbach wird garantiert nicht kommen, also wird kein einziges Auto zusätzlich hochfahren. Das ist bei uns in der Pfalz ein gängiges Verfahren.«

Er schüttelte grimmig den Kopf. »Des hättn S’ vorher ummelden miassn. Aus Sicherheitsgründen gehd des jetzd nimma. Wenn mei Kollege om im Schlosshof de Kennzeichn kontrolliert, griag i an Riesenärger. I bin erst letzte Woch aus meina Heimat Deggendorf kemma und bin no in da Probezeit.«

Ich überlegte, ob ich aufgrund der Umstände die Heimreise antreten sollte. Als Tagungsgast musste man sich schließlich nicht alles bieten lassen. Sollte ich meinen Koffer und die Reisetasche selbst bis nach oben schleppen?

»Was mache ich mit dem Gepäck?«

Daniel Maier zuckte mit den Achseln. »Koa Ahnung, i bin nur für die Kontrolle vo de Kennzeichen zuständig.«

Genervt und pulsmäßig auf 180 parkte ich ein paar Meter daneben auf der leeren Freifläche und stieg aus.

Sofort kam der Bayer auf mich zu. »Des is a Busparkplatz, da dearfan Sie ned parken.«

»Wieso nicht? Der Platz ist so groß wie ein Fußballfeld. Nicht ein einziger Bus parkt hier im Moment.«

»Wei des ned zulässig is«, beschied er mir.

»Ich bleibe trotzdem stehen«, antwortete ich eigensinnig. »Sie sind nur für die Kennzeichen zuständig.« Ich grinste ihn hämisch an.

»Und fia den Busparkplatz«, ergänzte er und zog ein Handy aus seiner Tasche. »Mia lassn regelmäßig obschleppn.«

Ich verzichtete darauf, ihm zu antworten. Wortlos stieg ich ein und fuhr Richtung Einbahnstraße. Ich schaute mir die Straße an, die vom Schloss wegführte, und entdeckte erschrocken, dass sie erstens nach unten führte und zweitens die Parkplätze auf mehreren 100 Metern allesamt belegt waren. Niemals würde ich es schaffen, mein Gepäck zum Schloss zu schleppen. Und wollen schon gar nicht.

Auf der dem Schloss gegenüberliegenden Seite des Busparkplatzes befand sich auf einer kleinen Anhöhe die Burgschänke »Rittersberg«. Den seitlich davon befindlichen Gästeparkplatz nahm ich wohlwollend zur Kenntnis. Ob ich als Gast dort parkte, würde sicherlich nicht kontrolliert werden. Zufrieden stellte ich meinen Wagen ab und stieg aus. Zur Sicherheit blickte ich hinüber zu dem Restaurant. Auf der Außenterrasse standen ein paar Menschen, die augenscheinlich in meine Richtung winkten. Ich versuchte, sie zu ignorieren, doch drei Personen dieser Gruppe kamen eindeutig auf mich zugelaufen. Es handelte sich um zwei Frauen und einen Mann im Alter von Anfang bis Mitte 20. Das Seltsame war, dass sie allesamt Anzüge und rote Mützen trugen, selbst die Damen. Quer über die Brust bis zur Taille hatten sie ein breites und farbiges Band hängen. Als mich die jungen Leute beinahe erreicht hatten, erkannte ich, dass sie ohne Ausnahme Krawatten in den Farben Schwarz, Rot und Gold trugen so wie ich. Außerdem hatten sie überdimensionale Namensschilder an ihrem Band befestigt.

»Da sind Sie ja endlich«, begrüßte mich ein Vollbartträger, der laut Schild Andreas Nothaft hieß. »Wir warten seit über zwei Stunden auf Sie.«

»Standen Sie im Stau?«, fragte eine Blondine ohne Vollbart. Da sie etwas verdeckt hinter ihrem Kollegen stand, musste ich mich ein wenig zur Seite drehen, um den Namen Elisabeth Fuchs lesen zu können.