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Widerspruch ist für Hegel Denkprinzip. Seine Philosophie bezieht ihre Kraft daraus, dass sie alles Widerständige ernst nimmt und nicht in einem knöchernen System steckenbleibt. Auch deshalb verehren noch heute bedeutende Mathematiker und Naturwissenschaftler diesen Kopf, der zu ihren Bereichen nur Verwirrendes beizusteuern hatte. Dietmar Dath zeigt, wie anregend es sein kann, mit Hegel dem Geist auf die Spur zu kommen und gleichzeitig die Welt nicht aus dem Blick zu verlieren.
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Seitenzahl: 125
Dietmar Dath
Hegel. 100 Seiten
Reclam
In MemoriamHermann L. Gremliza (1940–2019)undHans Heinz Holz (1927–2011)
Für mehr Informationen zur 100-Seiten-Reihe:
www.reclam.de/100Seiten
2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung nach einem Konzept von zero-media.net
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2020
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961686-5
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020559-4
www.reclam.de
I must create a system, or be enslaved by another man’s.
William Blake
Als das Internet Ende 2019 erfuhr, dass ich gerade damit beschäftigt war, die vorliegende kleine Schrift zu verfassen, ließ jemand bei Twitter einen Schrei los: »Hegel auf 100 Seiten, das geht nicht, das darf nicht, das kann nicht sein!«
Der Schrei ist berechtigt. Ließe das, was Hegel gedacht hat, sich auf 100 Seiten mitteilen, wäre Hegel ein Schwätzer gewesen, er hat ja Tausende von Seiten damit vollgeschrieben.
Hegel war aber kein Schwätzer, also ist die Behauptung, es ginge knapper als auf Tausenden von Seiten, wirklich zum Schreien.
Kurze Einführungen in sein Denken gibt es trotzdem; sogar kürzere als meine. Sie machen oft ein kleines batteriebetriebenes Figürchen aus ihm, das pausenlos immer dasselbe sagt: »These, Antithese, Synthese!« Das heißt, es wird nahegelegt, Hegel habe gern
Behauptungen aufgestellt (»These«), diese dann
verworfen (»Antithese«) und zum Schluss
die ursprüngliche sowie die ihr entgegengesetzte Position zu einer dritten zusammengebacken (»Synthese«), mit der dann alle irgendwie leben können.
So macht’s vielleicht der Jugendpfarrer bei der Ansprache auf dem Heavy-Metal-Weihnachtsfest. Hegel macht’s nicht so. Bei seinem Zeitgenossen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, von dem noch die Rede sein wird, stellte die eben vorgeführte, häufig »Triade« genannte Abfolge aus Satz, Gegensatz und Synthese das Modell eines jeden Erkenntnisfortschritts dar; Hegel nennt diese Triade 1807 aber ein »äußerliches lebloses Schema«.
Ein leiblicher Nachfahr Hegels, der Mathematiker und Romancier Rudy Rucker, hat sich zwar auf seinen Ahnherrn 2005 im Buch The Lifebox, the Seashell, and the Soul (man beachte die schöne Kommasetzung, die das Deutsche nicht kennt) berufen, als er zwei Vorstellungen miteinander und dann mit einer dritten konfrontierte, die nach seinem Willen die ersten beiden überwinden sollte:
eine Maschine, die alle Informationen speichern kann, die ein Menschenhirn enthält (»the lifebox«),
das Empfinden vieler Menschen, so eine Maschine habe trotzdem »keine Seele« (»the soul«) und schließlich
Muster auf Muscheln (»the seashell«), die einerseits regelbestimmt zustande kommen, andererseits aber aus den sehr einfachen Regeln, die sie erzeugen, eine nicht vorhersehbare Komplexität herausholen, wie das der Informationswissenschaftler Stephen Wolfram bei seinen »zellulären Automaten« beschrieben hat.
Rucker nennt den Gedankengang sogar »hegelianisch«, was er aber nur so ganz ungefähr ist. Blöd ist er nicht, und das mag bei Gedanken als Existenzberechtigung genügen.
Wenn nun aber das Schema »These, Antithese, Synthese«, von dem so viele reden, als wäre es der Schlüssel zu Hegel, genau das eben nicht ist, wie man bei Hegel selbst lesen kann: Wovon geht man dann am besten aus, wenn man in Hegels Kopf hineinwill?
Theodor W. Adorno schrieb, man sträube sich nach all dem Unfug, der damit schon getrieben wurde, geradezu, das Wort »Synthese« überhaupt noch
in den Mund zu nehmen. Hegel braucht es weit seltener, als das von ihm bereits seines Geklappers überführte Schema der Triplizität erwarten lässt. Dem dürfte die tatsächliche Sruktur seines Denkens entsprechen: Es überwiegen die bestimmten Negationen der aus äußerster Nähe visierten, hin und her gewendeten Begriffe.1
Das soll sagen: Hegel hat Einzelheiten sehr häufig präzise verneint, um einem Allgemeinen zur Geltung zu verhelfen. In dieser Verneinungsarbeit steckt der »organisierte Widerspruchsgeist«, als den er Goethe gegenüber einmal sein Denken bestimmte. Martin Heidegger geht in Entwürfen einer zu seinen Lebzeiten unveröffentlichten Hegelvorlesung so weit, zu verfügen, es könne überhaupt nur eine »Grundbestimmung der Hegelschen Philosophie, deren Durchdenkung in einen ursprünglichen Standpunkt zurückführt, weil sie von diesem her erst wahrhaft als eine solche erblickt werden kann« geben, die »zugleich dem Durchgearbeiteten des Hegelschen Systems gerecht bleibt«; diese Grundbestimmung sei »die Negativität«.2
Dass die Denker Adorno und Heidegger am selben Strang ziehen, hier: an dem des Negativen, kommt selten vor. Adorno hat nicht verheimlicht, dass er von Heidegger sehr wenig hielt, der seinerseits nichts von Adorno wissen wollte. Gemeinsam ist ihnen fast nur, dass man sie häufig »weltanschaulich« liest; ein Preis dafür, dass sie aus dem Seminar hinaus- und in die Gesellschaft hineingedacht haben (Heidegger mit Verachtung für die Masse, die er »das Man« nannte, Adorno mit einer Theorie, die er als umfassende Gesellschaftskritik verstanden wissen wollte). Dass beide im »Negativen« Hegels Wichtigstes sahen, ergibt sich aus ihrem Weltinteresse, das in Negationen dachte: Die Welt hat etwas falsch gemacht und falsch gedacht, sie ist »seinsvergessen« (Heidegger) oder verstrickt in einen »Verblendungszusammenhang« (Adorno). Negativität muss nicht Hegels ganze Wahrheit sein, aber es ist offenbar eine, die man findet, wenn man mit ihm mehr vorhat, als die Prüfungsordnung an der Uni oder der Philosophie-Chat im Netz erlauben.
Wer sich ein Büchlein von 100 Seiten über Hegel kauft, sucht eher Anregung zum Blick durch Hegels Begriffsapparat hindurch auf die Welt als akademische Spickzettel; schon ein ordentliches Begriffsregister für Hegels Werke verbraucht ja mehr Blätter.
Philologisch streng wird es bei mir nicht zugehen; aber sterile Pedanterie und Befangenheit in vornehmer Fachsprache sind ja vielleicht auch hinderlicher als Übermut und Fehldeutung, wenn der Gegenstand ein Philosoph ist, der so plastisch und drastisch geschrieben hat wie der Verfasser der Phänomenologie des Geistes da, wo er den Geist mit dem Penis vergleicht, weil Letzterer sowohl zur Zeugung wie zum Wasserlassen geeignet ist:
Das Tiefe, das der Geist von innen heraus, aber nur bis in sein vorstellendes Bewusstsein treibt und es in diesem stehen lasst, – und die Unwissenheit dieses Bewusstseins, was das ist, was es sagt, ist dieselbe Verknüpfung des Hohen und Niedrigen, welche an dem Lebendigen die Natur in der Verknüpfung des Organs seiner höchsten Vollendung, des Organs der Zeugung, – und des Organs des Pissens naiv ausdrückt. – Das unendliche Urteil als unendliches wäre die Vollendung des sich selbst erfassenden Lebens, das in der Vorstellung bleibende Bewusstsein desselben aber verhält sich als Pissen.3
Negativität greift bei Hegel hier bis in die Sprache hinein, die sich vor Ausdrücken für Körperausscheidungen nicht scheut, die nach bürgerlichen Benimmregeln negativ besetzt sind. Die Negativität dieses Bändchens nun besteht in der Vermeidung von Merk- und Lehrsätzen, die mein Publikum bejahen und glauben könnte. Die will ich nicht, und arbeite auch nicht mehrheitlich mit Sätzen Hegels, zu denen ich selbst nicken könnte, sondern lieber bewusst mit dem, was an ihm bei mir und anderen Anstoß erregt, also nach bestimmter Negation verlangt.
Holzstich Bildnis des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel von Hugo Birkner (1818-1897), aus: 200 Bildnisse und Lebensbeschreibungen berühmter deutscher Männer, hrsg. von Ludwig Bechstein, Leipzig 1854.
Hegel so auslegen zu wollen, dass er »aufgeht«, kann die besten Köpfe in Fallen locken, in denen ihre Deutung ihnen unter der Hand zur Willkür zerfällt. Ich erinnere mich mit Schaudern daran, wie ich erst beim wunderbaren amerikanischen Philosophen Robert B. Brandom in seiner 700-seitigen Rekonstruktion des Argumentationsgangs von Hegels Phänomenologie mit dem großen Titel A Spirit of Trust (2019) auf die schöne Unterscheidung stieß, das Wort »Verstand« bezeichne bei Hegel den darstellenden und statischen Intellekt, das Wort »Vernunft« dagegen den begrifflichen und dynamischen, woran ich mich tagelang erfreute, weil so viele dunkle Stellen bei Hegel davon heller wurden, bis ich plötzlich in der Phänomenologie selbst ein (vom editorischen Kommentar nachgewiesenes) falsches Goethezitat fand, bei dem Hegel ausgerechnet »Verstand« und »Vernunft« vertauscht (für Jagdbegeisterte: Es steht im Abschnitt a. »Die Lust und die Notwendigkeit« im Unterkapitel B. »Die Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewusstseins durch sich selbst« im Großkapitel V. »Gewissheit und Wahrheit der Vernunft« des »Vernunft«-Teils der Phänomenologie). War Hegel die von Brandom nachgezeichnete Unterscheidung beim Goethelesen auf einmal egal, oder hat er seinen Goethe entstellt, damit der in die Unterscheidung passt? Was ist da passiert?
Man nimmt von solchen Erfahrungen die Mahnung mit: Wenn eine Deuterin oder ein Deuter Hegel klarer macht, muss diese Klarheit nicht zwingend richtiger sein als die Unklarheit vorher war. Die einzige simple Regel für Hegel ist: Es gibt keine simple Regel für Hegel.
In der Konfrontation mit dem, was ich bei Hegel falsch finde oder nicht verstehe, lerne ich erst, wo er gegen meine Vorurteile Recht hat oder wo mein Verständnis Unzulänglichkeiten abbauen muss (was man sofort versteht, ist immer nur, was man schon wusste).
Mein Publikum sollte mich genau so lesen: Wo es das ablehnt, was da steht, wo es denkt: »Also das kann der Hegel doch nicht gemeint haben!«, muss es
bei Hegel nachsehen und
selbst denken.
So könnte gehen, was nicht geht, Hegel auf 100 Seiten.
Wer sich mit der Geschichte systematischen Denkens befasst, das über Befunde der Einzelwissenschaften hinaus Weltbilder bauen will, stößt irgendwann auf eine Erscheinung namens »Idealismus«. Damit ist hier eine philosophische Richtung gemeint, die glaubt, die Welt wäre Denken. Bevor man darüber lacht, sollte man verstehen, was das heißen soll.
Es gibt mindestens zwei Untergattungen des Idealismus, den subjektiven und den objektiven. Der subjektive lebt davon, dass eine Person, die denkt, nie etwas anderes dabei denken kann als Gedanken. Mehr noch: Wir können nicht wissen, wie oder was etwas ist, das man nicht wissen kann. Aber alles, was man weiß, ist eben Gedanke. Wissen gibt es nämlich gar nicht, wenn es nicht das Vermögen ist, sich an etwas zu erinnern und es in Überlegungen zu verwenden. Jeder Versuch, den Einfall, es gäbe nur Gedanken, zu widerlegen, wird sofort Denkvorgang. Der subjektive Idealist ist davon tief beeindruckt.
Der nächstliegende Einwand dagegen ist der gröbste: Die experimentell ermittelbaren Überlebensregeln für mich, das Subjekt meines subjektiven Idealismus, sind so, dass ich zum Beispiel sterbe, falls ich lange genug keine Nahrung mehr zu mir nehme. Dann kann ich auch nichts mehr denken. Wer das bestreitet, mag es testen.
»Subjektiv« im Sinne von »willkürlich«, das heißt so, dass einem Subjekt wie mir freistünde, sich alles zurechtzudenken, wie es will, ist das, was ich von der Welt weiß, meist nicht. Die Aussage: »Alles ist (nur) Gedanke.« fügt unter diesen Bedingungen dem, was man beachten muss, bloß eine Art Schnörkel hinzu – als hätte jemand eine Sprache erfunden, in der man an jedes Wort die Silbe »denk« hängt: »Esdenk istdenk eherdenk eindenk albernesdenk Spieldenk alsdenk eindenk seriösesdenk Denkergebnisdenk.«
Da setzt eine andere Spielart des Idealismus an, die objektive. Der objektive Idealismus weiß, was der subjektive auch weiß, nämlich, dass man nichts denken kann als Gedanken. Aber anders als sein subjektiver Bruder erkennt er an, dass es zumindest eine subjektive Untersorte Denken gibt, die nicht einfach denken kann, was sie will. Ich und du gehören dazu.
Der objektive Idealismus folgert daraus aber keineswegs, dass das, was dem Denken Grenzen setzt, etwas anderes wäre als Gedanke. Er folgert stattdessen, dass »Denken« etwas anderes sei als ein beliebiges Subjekt, das von sich meint, es denke. Der objektive Idealismus denkt sich einen Gedankenzusammenhang, der solche Subjekte überwölbt und in sich einbegreift.
Das können Gedanken (eines) Gottes sein. Vielleicht ist es eine Riesen-Rechensumme namens »mathematisches Universum« (so sagen diverse Physikbegeisterte heutzutage). Man kann es auch »Geist« nennen (so sagten diverse Philosophiebegeisterte vor 200 Jahren).
Seinen intellektuellen Höhepunkt und seine reichste systematische Ausarbeitung fand der Idealismus in Deutschland. Der sogenannte Deutsche Idealismus (man schreibt das Adjektiv oft groß, weil die beiden Wörter zusammen einen Begriff bilden) wurde weltberühmt, weil ein Philosoph diesen Höhepunkt erreicht und diese Ausarbeitung geleistet hatte. Sein Name ist Georg Wilhelm Friedrich Hegel.
In dessen Schriften steht neben Einsichten auch schwer verdauliches Zeug, zum Beispiel über die Natur, etwa übers Verhältnis von Materie und Licht. In Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften heißt es:
Die erste qualifizierte Materie ist sie als reine Identität mit sich, als Einheit der Reflexion-in-sich, somit die erste, selbst noch abstrakte Manifestation. In der Natur daseiend ist sie die Beziehung aus sich als selbständig gegen die anderen Bestimmungen der Totalität. Dies existierende allgemeine Selbst der Materie ist das Licht, – als Individualität der Stern, und derselbe als Moment einer Totalität die Sonne.4
Hier steht nichts über Sachverhalte, die heute sogar Kindern beigebracht werden und die man mit ein paar einfachen Versuchen leicht selbst lernt – nichts davon, dass Materie eine Masse hat und Licht nicht, dass Licht sich in Wellen ausbreitet, die mit Elektrizität und Magnetismus einhergehen, nichts darüber, dass sich am Licht aber auch Teilcheneigenschaften finden lassen. Das Wissen darüber hat uns bis zum Computer, auf dem ich diesen Satz hier gerade schreibe, eine Menge Zeug eingebracht, mit dessen Hilfe Hegel, hätte es ihm zur Verfügung gestanden, noch viel umständlichere Sätze hätte denken und schreiben können als die zitierten, weil ihm solche Technik, wäre sie vorhanden gewesen, weniger originelle Beschäftigungen abgenommen hätte.
Das systematische Denken verlief nach dem Ende von Hegels Lebensbahn nicht lange auf den Schienen, die er ihm gelegt hatte. Es geriet weithin in den Bann der Naturwissenschaften. Rund 30 Jahre nach Hegels Tod fand der schottische Physiker James Clerk Maxwell Gleichungen, deren Geltung ungefähr 60 weitere Jahre später durch Heinrich Hertz experimentell bestätigt wurde. Mithilfe dieser Gleichungen kann man die Technik bauen, die ich eben gelobt habe. Mit Hegels Sätzen über Materie als »Reflexion-in-sich« und übers Licht als »allgemeines Selbst« derselben kann man dagegen zunächst nichts machen als mehr solcher Sätze. Etwa 100 Jahre nach Hegels Tod kam eine neue Denkrichtung auf, die den Unterschied zwischen einerseits dem, was man mit Maxwells Gleichungen machen kann, und andererseits dem, was man mit Hegels Sätzen machen kann, zur Hauptsache erklärte. Diese neue Denkrichtung lehnte nicht nur jeden Idealismus ab, also den subjektiven wie den objektiven, sondern auch das, was bis dahin als Gegenteil der idealistischen Richtungen gegolten hatte, nämlich den sogenannten »Materialismus«. Der glaubt nicht, die Welt sei Denken. Vielmehr hält er Denken für ein Produkt oder eine Eigenschaft eines angenommenen wahren Weltstoffs namens »Materie«. Die neue Denkrichtung nun, die weder Materialismus noch Idealismus sein sollte, hieß nach ihrem Ursprungsort und der lockeren Organisationsform, die Angehörige der Schule für ihre Zusammenarbeit gewählt hatten, »Wiener Kreis«. Wer die Ortsmarke vermeiden will, spricht von »Neopositivismus«.
»Neo«, also »neu«, war dieser Positivismus, weil es zuvor schon mal eine Lehre namens »Positivismus« gegeben hatte, erfunden vom französischen Gesellschaftswissenschaftler Auguste Comte. Dieser Mann gehört chronologisch gesehen in Hegels Epoche: Er wurde geboren, als der deutsche Philosoph keine 30 Jahre alt war. Der Positivismus, den Comte ersann, verlangte, man solle bei der Erforschung des Sozialen nicht Wissenslücken als Gelegenheiten zum Spekulieren nutzen, sich also nicht mit dem abgeben, was fehlt, dem Negativen, sondern mit Daten, mit fassbar Vorhandenem, eben Positivem (daher der Name).