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In diesem Band findest du alles, was du zur Vorbereitung auf Referat, Klausur, Abitur oder Matura benötigst – ohne das Buch komplett gelesen zu haben.
Alle wichtigen Infos zur Interpretation sowohl kurz (Kapitelzusammenfassungen) als auch ausführlich und klar strukturiert.
Inhalt:
- Schnellübersicht
- Autor: Leben und Werk
- ausführliche Inhaltsangabe
- Aufbau
- Personenkonstellationen
- Sachliche und sprachliche Erläuterungen
- Stil und Sprache
- Interpretationsansätze
- 6 Abituraufgaben mit Musterlösungen
NEU: exemplarische Schlüsselszenenanalysen
NEU: Lernskizzen zur schnellen Wiederholung
Layout:
- Randspalten mit Schlüsselbegriffen
- übersichtliche Schaubilder
NEU: vierfarbiges Layout
Jenny Erpenbecks Roman Heimsuchung ist eine stringent konzipierte Erzählung über materiellen und immateriellen Besitz, über den Krieg und seine Folgen und die Wende.
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Seitenzahl: 168
KÖNIGS ERLÄUTERUNGEN
Band 385
Textanalyse und Interpretation zu
Jenny Erpenbeck
Heimsuchung
Magret Möckel
Alle erforderlichen Infos zur Analyse und Interpretation plus Musteraufgaben mit Lösungsansätzen
Zitierte Ausgabe: Jenny Erpenbeck: Heimsuchung. Roman. München: Penguin Verlag, 2007, 3. Aufl. 2018.
Über die Autorin dieser Erläuterung:Magret Möckel, geboren 1952 in Lindau an der Schlei (Schleswig-Holstein), Studium der Germanistik und Anglistik an der Universität in Hamburg. Seit 1979 Lehrerin für Deutsch und Englisch, erst an einem Gymnasium in Vechta, dann in Friesoythe, ab 2003 an der Graf-Anton-Günther-Schule in Oldenburg. Ihr Unterrichtsschwerpunkt liegt auf dem Deutschunterricht in der Oberstufe. Frau Möckel leitete viele Jahre lang die Fachgruppe Deutsch an der Graf-Anton-Günther-Schule und war Mitglied der Kommission zur Erstellung der zentralen Abituraufgaben im Fach Deutsch.
1. Auflage 2022
978-3-8044-7083-5
© 2024 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten, darunter fällt auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von §44b UrhG! Titelbild: Eine unbewohnte, verfallene Villa auf einem Grundstück am Scharmützelsee © picture alliance / Hauke-Christian Dittrich | Hauke-Christian Dittrich
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1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht
2. Jenny Erpenbeck: Leben und Werk
2.1 Biografie
2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
Ein Jahrhundert deutscher Geschichte im Zeitraffer
Kaiserreich und Erster Weltkrieg
Weimarer Republik (1918–1933)
Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg
Zeit des besetzten Deutschlands (1945–1949)
Zeit des geteilten Deutschlands (1949–1990)
Die Wiedervereinigung und ihre Folgen
2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken
3. Textanalyse und -Interpretation
3.1 Entstehung und Quellen
Jenny Erpenbecks Familie und das Haus am See
Fakten und Wissenswertes zum Scharmützelsee
3.2 Inhaltsangabe
Aspekte der Verknüpfung der Geschehnisse mit historischen Umständen
3.3 Aufbau
Widmung, Zitate und Rahmen
Die Gärtner- und Figurenkapitel
Strukturierung der einzelnen Kapitel
3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken
Der Gärtner
Der Großbauer und seine vier Töchter
Der Architekt
Die Frau des Architekten
Der Rotarmist
Der Tuchfabrikant
Das Mädchen (Doris)
Die Schriftstellerin
Die Besucherin
Die Unterpächter
Der Kinderfreund
Die unberechtigte Eigenbesitzerin
Das Haus am See
3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen
3.6 Stil und Sprache
Erzählweise und Erzählperspektive
Verhältnis Erzählzeit – erzählte Zeit
Sprachliche Mittel und ihre Funktion
Leitmotive
Sehen und Blick
Weinen und Lachen
Dingsymbole
3.7 Interpretationsansätze
System und Gesellschaftskritik im Roman
Die Wasser-Metaphorik im Roman
Zeit
Heimat, Haus, Heimsuchung
Flucht als Motiv
Kommunikation und Sprache in politisch-gesellschaftlichen Zusammenhängen im 20. Jahrhundert
3.8 Schlüsselstellenanalysen
4. Rezeptionsgeschichte
5. Materialien
6. Prüfungsaufgaben mit Musterlösungen
Aufgabe 1 **
Aufgabe 2 ***
Aufgabe 3 ***
Aufgabe 4 **
Aufgabe 5 ***
Aufgabe 6 **
Lernskizzen und Schaubilder
Literatur
Zitierte Ausgabe
Weitere Primärliteratur
Primärliteratur von Angehörigen der Autorin
Sekundärliteratur (alle Links Stand September 2023)
Materialien
Weitere Sekundärliteratur
Damit sich die Leser:innen in diesem Band schnell zurechtfinden und das für sie Interessante gleich entdecken, hier eine kurze Übersicht.
Das zweite Kapitel beschreibt Jenny Erpenbecks Leben und stellt den zeitgeschichtlichen Hintergrund vor:
Jenny Erpenbeck wurde am 12. März 1967 in Berlin (Ost) geboren und wuchs in einer Schriftstellerfamilie auf.
Nach dem Studium der Theaterwissenschaften war sie u.a. als Regisseurin tätig.
Ihre Kindheit und Jugend in der DDR und das Erleben der Wende prägen ihre schriftstellerischen Themen.
Ihr Debüttext Geschichte vom alten Kind (1999) wurde von der Kritik hochgelobt; es folgten weitere Prosatexte und Theaterstücke.
Mit ihrem Roman Heimsuchung (2008) verarbeitet die Autorin die Kindheitserinnerungen bei den Großeltern in einem Haus am Scharmützelsee, zugleich schreibt sie damit einen hochkomplexen Roman über die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Wie in anderen Texten Erpenbecks werden die Themen Flucht und Vertreibung, Exil, Identität, Zeit und Raum durchgespielt.
Jenny Erpenbeck gilt heute als eine der renommiertesten deutschen Gegenwartsautorinnen.
Im dritten Kapitel geht es um Textanalyse und -interpretation.
Erpenbecks Quellen für ihren Roman sind:
eigenes Erleben und Erinnerungen, insbesondere an ihre Kindheit im Haus ihrer Großeltern,
genaue Recherche zu Einzelschicksalen, z. B. der jüdischen Tuchhändlerfamilie des Nachbargrundstücks,
ihre Reflexion über wechselnde politische Systeme in Deutschland im 20. Jahrhundert, Kriege und deren Folgen.
Umrahmt von Prolog und Epilog, die eine Fokussierung in zeitlicher und örtlicher Hinsicht auf das 20. Jahrhundert und das Grundstück mit dem Haus am Märkischen Meer (im heutigen Bundesland Brandenburg) vornehmen, werden anhand von Einzelschicksalen wichtige Erfahrungen dieses Jahrhunderts nachvollzogen. Den elf personengebundenen Kapiteln sind jeweils elf Gärtner-Kapitel vorangestellt. Ein zeitlos wirkender Gärtner pflegt und bearbeitet Haus und Natur bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert. Er – wie auch das Haus – verschwindet gegen Romanende. Bei den Personen handelt es sich um die jeweiligen Besitzer, Bewohner oder Nachbarn des Hauses. Sie durchleben die Zeit vor und während des Nationalsozialismus mit Anpassung, Judenverfolgung und Emigration, die Kriegsjahre mit Flucht, Verwüstung und Vergewaltigung, den Neubeginn in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Sie haben Fluchtpläne und Ideale und scheitern wiederholt an der Realität. Schließlich werden nach dem Fall der Mauer Besitz und Vermögen im wiedervereinigten Deutschland neu geregelt. Das inzwischen baufällig gewordene Haus kann von der erwachsenen Enkelin nicht mehr saniert und bewohnt werden. Es wird verkauft und schließlich abgerissen.
Der Roman beginnt im Prolog mit der Entstehung des Scharmützelsees in der Eiszeit; im engeren Sinn wird die Geschichte eines Hauses am See von der Vorgeschichte in den 1920er Jahren bis zum Abriss in den 1990er Jahren erzählt.
Die wichtigsten Figuren sind:
der Gärtner: Einzelgänger, scheinbar alterslos, bildet eine Konstante über alle Zeitwirren hinweg, bewahrt Balance zwischen Natur und Kultur.
der Großbauer und seine vier Töchter: verwitweter Patriarch, autoritär und gewalttätig; drittelt und verkauft das Seegrundstück; personifiziert eine zu Ende gehende Epoche.
der Architekt: Karrierist und Opportunist, Arisierungsprofiteur, fällt in der DDR in Ungnade und flieht in den Westen, hegt illusionären Wunsch nach Beständigkeit.
die Frau des Architekten: wird bei Kriegsende von einem russischen Major in ihrem Versteck entdeckt, mit dem sie „diese eine Nacht“ erlebt.
der Rotarmist: will sich für die Ermordung seiner Familie rächen, unerfahren, reagiert erregt auf die sexuell erfahrene Frau, sieht aber auch die Mutter in ihr.
der (jüdische) Tuchfabrikant: Ludwig verzichtet auf sein Erbe, das Nachbargrundstück, und wandert bereits 1936 nach Südafrika aus. Seine Eltern werden wie die Familie seiner Schwester von den Nazis ermordet.
das Mädchen (Doris): Ludwigs Nichte, erlebt am See eine kurze glückliche Kindheit, wird ins Warschauer Ghetto deportiert, in ihrem Versteck entdeckt und ermordet.
die Schriftstellerin: überlebt in Russland die Stalinʼschen Säuberungen, schreibt nach ihrer Rückkehr in die DDR im Haus am See, repräsentiert das intellektuelle Exil.
die Besucherin: eine einfache Bäuerin aus Masuren, die Großmutter der Schwiegertochter der Schriftstellerin, bleibt im Haus am See eine Fremde.
die Unterpächter: ehemaliger gescheiterter Republikflüchtling, lebt um 1990 mit seiner Frau auf dem Seegrundstück, lässt seine Frau im Umgang mit der Vergangenheit allein.
der Kinderfreund: verliebt sich als Junge in die Enkelin der Schriftstellerin, wird mit ihr Zeuge einer Vergewaltigung, bleibt zeitlebens unverheiratet und ohne Tatkraft.
die unberechtigte Eigenbesitzerin: die erwachsen gewordenen Enkelin der Schriftstellerin, die vom Haus (und damit von ihrer Kindheit) Abschied nehmen muss.
Obwohl eine chronologische Tendenz der Erzählung besteht, sind die einzelnen Kapitel geprägt durch die subjektive Erzählhaltung und das Springen im zeitlichen Gefüge. Durch Versatzstücke der Erinnerung werden das jeweilige Leben und die Einstellungen der Personen vermittelt. Dies geschieht in komplexer, leitmotivisch verdichteter Weise. Der Leserschaft wird ein aufmerksames Lesen und das Zusammenpuzzeln der Einzelinformationen abverlangt. Wiederholungen prägen den Text. Durch jeweils andere Kontexte ergibt sich ein immer neues Verständnis des Gesagten. Der Text verzichtet auf Kommentare und Erklärungen. Er überlässt den Leser:innen das Füllen von Leerstellen und das Bewerten von Ereignissen und Einstellungen.
Der Roman zeichnet sich durch seine Deutungsoffenheit aus. Dadurch eignet er sich besonders für Gespräche und Vergleiche mit themenverwandten Texten. In diesem Kapitel sollen einige Anregungen gegeben werden, welche Aspekte lohnend sind:
Vor dem Hintergrund der wechselnden zeitlichen Umstände und Systeme wird deutlich, wie Macht gebraucht und missbraucht wird und warum gesellschaftliche Ordnungen nicht funktionieren im Hinblick auf ein verträgliches Miteinander der Menschen.
Wasser dient als alles verbindendes Element. Es ist die Voraussetzung von Leben und Wachstum, schafft Landschaft und charakterisiert sie. Wasser ist Grundbestandteil auch des menschlichen Lebens. Durch dieses Element schafft es Erpenbeck, Zusammenhänge zu stiften zwischen Zeitaltern, Natur, menschlichen Leben, Emotionen und Erfahrungen. Die genaue Untersuchung der Sprachgestaltung ermöglicht immer neue Verknüpfungen.
Im Umgang mit der Zeit bietet der Roman viele Anregungen. Die Fragen, wie Zeit empfunden, in ihrem Vergehen beurteilt und erinnert wird, eröffnen geradezu philosophische Gedankengänge. Dazu kommt die spannende Beobachtung, wie im Roman Zeit erzählt wird.
Der Titel des Romans nimmt schon die Aspekte des Hauses als gesuchten Ort des Schutzes, der Zuflucht und Heimat vorweg, aber auch den der Schuld, der Plage und Bestrafung.
Durch die Zeitgeschichte bedingt, sind viele Schicksale im Roman durch Flucht, Vertreibung und Exil bestimmt. Auch in dieser Hinsicht erinnert der Roman an vielfältige Ursachen, regt zur Kritik und Auseinandersetzung an. So kann auch durch Geschichtsbetrachtung für die Zukunft gelernt werden.
Erpenbeck gelingt es in diesem Roman nicht nur die historischen und politischen Veränderungen deutlich zu machen, sie gibt auch einen Einblick in Kommunikation und Sprachverhalten in den jeweiligen Kontexten. So wird die Wechselwirkung nachvollziehbar und die diachrone Sprachbetrachtung an Beispielen möglich.
Jenny Erpenbeck
(geb. 1967) © picture alliance/dpa | Jens Kalaene
Jahr
Ort
Ereignis
Alter
1967
Ost-Berlin
Geburt der Autorin am 12. März als Tochter von John Erpenbeck (Physiker, Philosoph, Schriftsteller) und Doris Kilias (Arabisch-Übersetzerin). Die Großeltern väterlicherseits sind die Autoren Fritz Erpenbeck und Hedda Zinner.
1985
Ost-Berlin
Abitur.
18
1987
Abschluss der Lehre als Buchbinderin.
20
1988
Frankfurt/Oder Ost-Berlin
Praktisches Jahr als Requisiteurin am Kleist-Theater in Frankfurt/Oder und als Ankleiderin an der Staatsoper Berlin.
21
1988–1990
Berlin
Studium der Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität.
21–23
1990
Berlin
Studium Musiktheater-Regie an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“.
23
1993
Bayreuth
Assistenz von Heiner Müller bei Tristan und Isolde (Wagner-Festspiele).
26
1997
Graz, Orte in Österreich und Deutschland
Arbeit als Regisseurin.
30
1999
Die Novelle Geschichte vom Alten Kind erscheint als E.s literarisches Debüt.
32
2000
Das Theaterstück Katzen haben 7 Leben erscheint.
33
2001
Klagenfurt
Der Erzählband Tand erscheint. Preis der Jury beim Ingeborg-Bachmann Wettbewerb.
34
2002
Berlin
Geburt des Sohnes, Ehemann Wolfgang Bozic (Dirigent).
35
2003
Berlin
Das Drama Leibesübungen für eine Sünderin wird am 27. März am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt.
36
2004
Berlin
Der Roman Wörterbuch erscheint.
37
2008
Berlin
Der Roman Heimsuchung erscheint.
41
2009
Berlin
Der Band Dinge, die verschwinden mit Prosaminiaturen erscheint.
42
2012
Der Roman Aller Tage Abend erscheint.
45
2013
Bamberg
E. hat die Bamberger Poetikprofessur (Mai–Juni) inne und bekommt den Joseph-Breitbach-Preis verliehen.
46
2015
Der Roman Gehen, Ging, Gegangen erscheint, ebenso das Drama Schmutzige Nacht. E. wird für Aller Tage Abend mit dem Independent Foreign Fiction Prize ausgezeichnet.
48
2016
Lübeck
E. erhält den Thomas-Mann-Preis. Die Hörbuchfassung zu Heimsuchung erscheint.
49
2017
Berlin
Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande.Lot. Libretto für eine Oper in deutscher Sprache (UA Mai, Staatsoper Hannover) erscheint.
50
2018
Der Band Kein Roman mit Reden und Texten 1992–2018 erscheint.
51
2019
Die Hörspielfassung von Heimsuchung des Bayrischen Rundfunks wird ausgestrahlt. Die englische Übersetzung von Heimsuchung findet sich auf der Guardian-Liste „100 Best Books of the 21st Century“.
52
2021
Der Roman Kairos erscheint.
54
2022
E. wird mit dem Uwe-Johnson-Preis für Kairos ausgezeichnet.
55
2023
E. wird mit dem Internationalen Stefan-Heym-Preis ausgezeichnet.
56
Zusammenfassung
Jenny Erpenbecks Roman Heimsuchung malt „das Bild von einem ‚Haus der deutschen Geschichte‘. (…) Erzählt werden (…) Alltagsgeschichten, in ihrer zufälligen Abfolge in der Zeit.“[1]Es sprengt den Rahmen dieser Erläuterungen, ein ganzes Jahrhundert deutscher Geschichte nachvollziehen zu wollen. Deshalb werden an dieser Stelle nur Stichworte genannt, die einen kleinen Eindruck geben sollen von der Komplexität der historischen Ereignisse:
Kaiserreich und Erster Weltkrieg
Weimarer Republik (1919–1933)
Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg
Zeit des besetzten Deutschlands (1945–1949)
Zeit des geteilten Deutschlands (1949–1990)
die Wiedervereinigung und ihre Folgen[2]
Vor dem Ersten Weltkrieg: Industrialisierung mit zeitlicher Verzögerung im Vergleich z. B. mit England, wirtschaftliche Hochkonjunktur, starkes Bevölkerungswachstum, Entstehung von Ballungsräumen (Berlin), Proletarisierung der Arbeiterschicht, hierarchische Strukturen, Imperialismus, Erwerb von Kolonien z. B. in Afrika, durch aggressive Außenpolitik Wilhelms II. zunehmende Isolierung Deutschlands in Europa, Bündnis mit Österreich-Ungarn.
Erster Weltkrieg: Wechselseitige Kriegserklärung nach Mord von Sarajevo am österreichischen Thronfolger 1914, Materialschlachten mit neuer Technologie (z. B. Zeppeline und Flugzeuge), große Verluste von Menschen und Material nach anfänglicher Begeisterung und Erfolgen, Niederlage und Kapitulation Deutschlands und Österreich-Ungarns, Versailler Friedensvertrag, von vielen Deutschen als „Diktatfriede“ empfunden.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs Forderungen und Einschränkungen durch die Siegermächte, fehlende Bereitschaft der Deutschen, die Niederlage zu akzeptieren; Entstehung der Weimarer Republik, aber Unwille der Deutschen gegenüber Demokratie; Entstehung von KPD, SPD und DDP; NSDAP bis 1929 relativ unbedeutend, Kapp-Putsch 1920, kommunistische Aufstände, hohe Arbeitslosigkeit und Inflation ab 1923, zwischen 1924 und 1929 allerdings positive Entwicklungen in Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und Künste, Übergreifen der Weltwirtschaftskrise auf Deutschland 1930, Radikalisierung, NSDAP wird bei Wahlen stärkste Partei, brutales Auftreten der SA, Untergang der Weimarer Republik.
Machtergreifung Hitlers 1933, Auflösung des Reichstags, Verbot anderer Parteien (u. a. KPD und SPD), Unterordnung von Justiz, Polizei, Reichswehr, Berufsverbände unter Nationalsozialismus, Hitlers Rassenlehre und Antisemitismus sowie Imperialismus und Militarismus, Elitedenken der Deutschen und Führerkult, ab 1933 Entrechtung der Jüdinnen und Juden (wirtschaftlich erfolgreichste Minderheit in Deutschland) und Arisierung jüdischer Geschäfte und Unternehmen, 1935 Nürnberger Gesetze, systematische Verfolgung und Ausrottung der Jüdinnen und Juden, Konzentrationslager und Verfolgung von Kommunisten, Sinti und Roma, Homosexueller und anderer, Euthanasiegesetze, Blitzkrieg 1939/40, Ausweitung des Krieges zum Weltkrieg, Expansionspolitik („Erweiterung des Lebensraums im Osten“), polnische und russische Zwangsarbeiter, deutsche Verwaltung der „Reichsgaue Wartheland und Danzig-Westpreußen“ mit Zwangsumsiedlungen (ab 1940), Einrichtung von Ghettos, ab 1943 Rückzug und Niederlagen der deutschen Armee gegen die Alliierten, bei Rückzug Zerstörung der Ortschaften und der Infrastruktur in der Sowjetunion, bedingungslose deutsche Kapitulation 1945, Übergriffe und massenhafte Vergewaltigungen durch Rote Armee als Vergeltung für Vorgehen der deutschen Wehrmacht in Russland.
Alliierter Kontrollrat der vier Besetzungsmächte verwaltet Deutschland, Flucht und Vertreibung, Hungerwinter 1945, Umsiedlung der ehemaligen Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in ihre Heimatländer, Berlin-Blockade, Nürnberger Prozesse, Entnazifizierung, Aufbau einer Demokratie im Westen unter amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsmächten, Währungsreform; Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949, Soziale Marktwirtschaft, Marshall-Plan, Verbot der Annahme dieser Hilfe in den von der UdSSR verwalteten Gebieten, Sowjetisierung der SBZ (Sowjetischen Besatzungszone, d. i. die spätere DDR), Vereinigung der KPD und der SPD zu SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands), Einführung der Planwirtschaft im Sinne des Marxismus, Gründung der DDR 1949.
Ost-West-Konflikt/Kalter Krieg, im Westen: „Wirtschaftswunder“ und Anfänge der Europäischen Union, Eintritt in Nato und Aufbau der Bundeswehr, im Osten: Umgestaltung der DDR nach sowjetischem Muster, hohe Reparationszahlungen an die Sowjetunion, Mitglied im sozialistischen Ostblock, Niederschlagung des Volksaufstands am 17. 6. 1953, Fluchtbewegungen und Mauerbau 1961, real existierender Sozialismus, Überwachung der Bevölkerung durch Staatssicherheit (Stasi), wirtschaftlicher Niedergang, Oppositionsbewegung, Öffnung der Grenzen 1989, Wiedervereinigung von BRD und DDR am 3. 10. 1990, Berlin wird Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands.
Probleme der neuen deutschen Einheit: wirtschaftlicher Bankrott der DDR, veraltete Infrastruktur und Wohnungen, Auflösung der staatseigenen Betriebe durch Treuhandgesellschaften, vielfach Schließung z. T. wegen unrentabler oder ökologisch nicht vertretbarer Verhältnisse, Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Not und Unsicherheit, Problem der Klärung von Besitzverhältnissen, Vorgabe der Devise „Rückgabe vor Entschädigung“ im Einigungsvertrag führt zu Konflikten[3], Vergangenheitsbewältigung, unterschiedliche Einstellungen, Erfahrungen, Erwartungen etc.[4]
Historischer Roman, Generationsroman, Erinnerungsliteratur
in der Tradition Thomas Manns (Buddenbrooks. Verfall einer Familie, 1901) Geschichtsschreibung, Darstellung von Familie und Gesellschaft im 20. Jahrhundert
Unterschied zum traditionellen Geschichts- und Familienroman: Geschichte eines Hauses als räumliche Konstante, starke Verdichtung und Verkürzung, Auslassungen, Patchwork, nicht-lineares Erzählen, Enkelperspektive
Texte zum vergleichenden Lesen:
Kathrin Gerlof, Alle Zeit (2009): Geschichte von fünf Frauen, das Erinnern und Vergessen[5]
Arno Geiger, Es geht uns gut (2005): Geschichte einer Familie im 20. Jahrhundert, folgt der Entrümpelung der Familienvilla
Eugen Ruge, Metropol (2019): Geschichte eines kommunistischen Schriftstellerpaares im sowjetischen Exil während der Stalinʼschen Säuberungen
junge Schriftstellerinnen im ausgehenden 20. Jahrhundert (wie z. B. Judith Hermann, Tanja Dückers, Zoë Jenny, Karen Duve[6]) bzw. deutschsprachige Literatur von Frauen im frühen 21. Jahrhundert, z. B. von Julia Franck, Julia Schoch, Katharina Hacker, Juli Zeh
Autor:innen der DDR bzw. aus Ostdeutschland: z. B. Anna Seghers, Christa Wolf, Uwe Johnson, Uwe Tellkamp, Der Turm (2008), Eugen Ruge (In Zeiten des abnehmenden Lichtes, 2011), Lutz Seiler (Kruso, 2014)
Zusammenfassung
Jenny Erpenbeck hat eine Reihe von Prosatexten geschrieben (Kurzprosa, Novelle, Roman, Essays und Reden), die sich vor allem mit folgenden Themen befassen:
Identität, Zufälle des Lebens, Schicksal,
Zeit: Umgang mit Zeit, Erinnerung, Umgang mit Geschichte und Vergangenheit, Verlust,
Flucht und Exil.
Die folgenden Angaben beziehen sich auf das Datum der Erstveröffentlichung. Erpenbecks Theaterstücke bleiben in diesem Zusammenhang unberücksichtigt.
Geschichte vom alten Kind (1999)
Ein Mädchen, ungewöhnlich groß und unproportioniert, wird auf der Straße gefunden und im städtischen Kinderheim abgegeben, da man nichts über seine Herkunft herausfinden kann. Dort fällt es höchstens durch seine Ordnungsliebe, die Gefräßigkeit und seinen Hang, sich unterzuordnen, auf. Insgesamt aber nehmen weder Mitschüler noch Lehrer das Kind wirklich wahr. Auch das Mädchen lernt erst nach längerem Aufenthalt Umgebung und Mitschüler etwas genauer kennen, bleibt aber seltsam distanziert und isoliert. Dann wird es krank und scheint mit unnatürlicher Geschwindigkeit zu vergreisen. Jetzt wird deutlich, dass es sich um eine etwa dreißigjährige Frau handelt, die sich als Kind ausgegeben hat, um „die Zeit anzuhalten“.
Tand (2001)
In zehn kurzen Geschichten werden sehr unterschiedliche Beziehungen zwischen Menschen dargestellt und zur Reflexion angeboten. Besonders die titelgebende Geschichte Tand weist viele Parallelen zu Heimsuchung auf. In ihr begleitet eine Enkelin jahrelang ihre Großmutter und beobachtet, wie diese älter wird. Sie übernimmt deren Arbeit, den Haushalt, die Pflege und ihre Ordnung. Textelemente wie das Schwimmen im See, ein Schrankzimmer, ein Gärtner, ein Marder, eine Köchin, Lachen und Weinen schaffen Parallelen zum Roman.
Wörterbuch (2004)
Ein Mädchen wächst wohlbehütet und gut situiert in einem südamerikanischen Land auf. Besondere Nähe fühlt sie zum Vater. Erst viel später wird ihr klar, dass die verschwundenen, verunglückten und misshandelten Menschen in ihrer Umgebung Opfer eines terroristischen Systems sind und ihr Vater den Terror maßgeblich mitorganisiert. Obwohl sie erfährt, dass ihre leiblichen Eltern ebenfalls von ihm ermordet wurden, hält sie zu ihren Zieheltern, besucht den Vater in der Haft und lebt nach seiner Entlassung aus der Haft wieder mit ihnen zusammen.
Dinge, die verschwinden (2009)
In kleinen erzählerischen Miniaturen wird reflektiert, wie Zeit vergeht und Veränderungen stattfinden. Dies geschieht anhand von Gegenständen, Sitten und Gebräuchen oder Verhaltensweisen von Menschen. Beobachtet wird auch, wie Abstand von Menschen, geschichtlichen Ereignissen, zur eigenen Jugend oder Lebensweise entsteht.