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Menschen ändern sich nicht. Niemals und unter keinen Umständen. Oder? Auch das noch … Eigentlich wollte die Fotografin Carlie Wentworth nur die Hochzeit ihrer Schwester Susan auf Barbados feiern, Cocktails am Strand schlürfen und ein paar Tage die Seele baumeln lassen. Doch prompt läuft sie ihrem Exfreund Troy in die Arme, der als Trauzeuge des Bräutigams fungiert und keine Gelegenheit auslässt, Carlie wieder schöne Augen zu machen. Auch nach der Hochzeit lässt Troy nichts unversucht, ihr nahe zu sein und bucht sie sogar als Fotografin für ein gemeinsames Projekt. Carlie fällt es so gar nicht leicht, dem schwerreichen Womanizer und Frauenhelden zu widerstehen, erst recht nicht, als Troy wirklich schwere Geschütze auffährt. Doch die ziemlich schmutzige Trennung, die die beiden hinter sich haben und die Carlie einen Trip in die Hölle und wieder zurück beschert hat, hat die toughe Fotografin noch nicht vergessen. Und außerdem ist sie sich sicher, dass Menschen wie Troy Jennings sich nicht ändern können … oder etwa doch?
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HERZENSBRECHER
KÜSSEN BESSER
Copyright 2016 by Daniela Felbermayr
Covergestaltung: www.rausch-gold.com, Catrin Sommer
Unter Verwendung von …..
Korrektorat: SW Korrkekture e.U.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Personen und Handlungen sind frei erfunden, eventuelle Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.
PROLOG
Der Regen prasselte in Strömen auf Manhattan herab und hatte ein Trommelkonzert auf dem Dach des Taxis begonnen, das so schnell nicht wieder enden würde. Es regnete schon seit Tagen und der geschniegelte Typ mit den gebleichten Zähnen, der auf Kanal 9 die Wettervorhersage vor seiner virtuellen USA-Karte verkündet hatte, hatte gemeint, dass für die nächsten Tage keine Besserung in Sicht sei. Währenddessen hatte er mit den Fingern auf eine virtuelle, dunkle Wolke gezeigt, aus der Blitze und Regen kamen und die wohl bedrohlich wirken sollte. Rein wettertechnisch betrachtet war es der beste Zeitpunkt, den man sich vorstellen konnte, das kommende Wochenende unter karibischer Sonne auf Barbados zu verbringen und dort in geheimer Mission unterwegs zu sein.
Carlie Wentworth zog ihr iPad aus der Tasche und drückte auf den Button mit dem kleinen Briefumschlag darauf, nur um das Mailprogramm im nächsten Moment wieder zu schließen. Obwohl der rote Kreis oberhalb des Mail-Icons eine 36 angezeigt hatte – 36 neue Mails –, beschloss sie, diese Nachrichten erst dann zu lesen, wenn sie wieder in ihrem Alltag angelangt war. Zumindest an diesem Wochenende wollte sie die Arbeit Arbeit sein lassen und sich auf die Hochzeit ihrer Schwester Susan konzentrieren, die in einer Hals-über-Kopf-Nacht-und-Nebel-Aktion beschlossen hatte, ihren Freund Miles zu ehelichen. Susan kannte Miles gerade einmal elf Wochen, und nicht nur das wäre ein Grund gewesen, der Carlies und Susans Mutter wohl ihren ersten Herzanfall beschert hätte. Hinzu kam noch, dass Susan ihren Verlobten nicht – so wie eigentlich von ihrer Familie vorgesehen – in ein, zwei Jahren auf einem netten, repräsentativen Anwesen auf Long Island, Martha’s Vineyard oder den Hamptons heiratete. Nein. Susan und Miles wollten sich das Jawort im Sonnenuntergang am Strand von Barbados geben. Anstatt im Kreise ihrer Großfamilie mit mehreren hundert Gästen waren zu Sues und Miles’ Hochzeit nur Carlie und ein weiterer Trauzeuge eingeladen. Keine dreihundert Gäste, von denen sie ohnehin die Hälfte nicht kannte und die zum großen Teil deswegen eingeladen wurden, weil die Gesellschaft es so verlangte. Nur Carlie und eine weitere Person als Trauzeugen, im Sonnenuntergang am Strand. „Unvergesslich“, hatte Sue ins Telefon gehaucht, als sie Carlie vor zwei Tagen von ihrer glorreichen Idee und Miles’ romantischem Heiratsantrag erzählt hatte.
Carlie selbst sah die Angelegenheit etwas differenzierter. Ihre ohnehin zur Hysterie neigende Mutter würde völlig durchdrehen, Sue vorwerfen, sie sei daran interessiert, ihre eigene Mutter ins Grab zu bringen, und Carlie der Mittäterschaft bezichtigen. Sie konnte sich den enttäuschten Blick von Joan Wentworth bildlich vorstellen. Tränen des Grams und des Kummers in ihren Augen. Und dazu der vorwurfsvoll-verletzte Ton, in dem sie sagen würde: „Du auch, Carlie? Von dir hätte ich so etwas niemals erwartet.“ Ein Familiendrama war praktisch vorprogrammiert, und das, obwohl Joan eigentlich froh sein musste, wenigstens eine ihrer Töchter unter der Haube zu wissen. Nachdem die beiden – zuerst Susan, dann Carlie – die dreißig überschritten hatten, galten sie für Joan bereits als schwer vermittelbare Ladenhüter, denen man Hochzeitsanzeigen unter die Nase hielt und immer mal wieder eine Spitze fallen ließ, was das Heiraten anbelangte. Wobei, das war nichts neues für die Mädchen. Bereits, als sie dreizehn und vierzehn Jahre alt gewesen waren und Jungs noch nicht einmal annähernd interessant waren, hatte Joan Wentworth damit begonnen, Söhne von Freundinnen vorzustellen. Einmal hatte sie Carlies Telefonnummer einem wildfremden Studenten gegeben, der an der Garderobe eines Wohltätigkeitsbanketts gearbeitet hatte, das sie besuchte.. nachdem Susan und Carlie sich damit Zeit ließen, sich zum ersten Mal zu verlieben und sich mit Jungen zu verabreden, war Joan davon überzeugt gewesen, ihre Töchter wären homosexuell. Damals hatte sie ihren Freundinnen eröffnet, dass sie überhaupt kein Problem damit hätte, wären ihre Töchter Lesbierinnen – sie würde sie „auch dann“ von ganzem Herzen lieben.
Carlie war zweiunddreißig Jahre alt und verdiente ihre Brötchen als freiberufliche Fotografin. Mittlerweile hatte sie sich so gut etabliert, dass bekannte Modemagazine, allen voran die landesweit bekannte „Glamerica“, auf sie zukamen und sie einige Verträge mit namhaften Designern hatte ergattern können, für die sie regelmäßig shootete. Bei Glamerica war sie fix für Fotostrecken mit Prominenten und Modeshootings eingeplant und sie war die Pressefotografin bei allen Events des Magazins. Zwischendurch übernahm sie hier und dort kleinere private Aufträge, wie zum Beispiel bei Hochzeitsfeiern, Geburtstagen oder Bar-Mizwas. Der Umstand, dass sie bei ihrem Beruf zeitlich flexibel und somit nicht an steife Arbeitszeiten gebunden war, kam ihr gerade an diesem Wochenende mehr als nur recht. Eigentlich konnte Carlie es immer noch nicht richtig glauben. Susan hatte vor zwei Tagen völlig überstürzt angerufen und ihr mitgeteilt, dass sie und Miles beschlossen hatten, zu heiraten. Sie hatten erkannt, dass sie beide füreinander bestimmt waren und dass es keine Rolle spielte, ob sie elf Wochen, elf Monate oder elf Jahre zusammen waren – das Schicksal hatte sie zusammengeführt, und nur das zählte. Daher müsse Carlie unbedingt nach Barbados kommen und ihr als Trauzeugin zur Seite stehen, ansonsten würde die Welt untergehen. Und nachdem Carlie in ihrem Leben noch so einiges vorhatte und nicht riskieren konnte, dass die Welt unterging, bevor sie einen Ausflug in Hersheys Schokoladenwelt unternommen hatte, saß sie nun in einem Taxi, das sich durch die morgendliche Rushhour seinen Weg durch den Verkehr in Richtung JFK bahnte.
Carlie hatte hellblondes, welliges Haar, das bis an ihre Schultern reichte, ihr attraktives Gesicht umrahmte und die großen, türkisfarbenen Augen perfekt zur Geltung brachte. Ihre sanft geschwungenen Lippen, die fast immer zu einem Lächeln verzogen waren, rundeten ihr Gesicht zu etwas ab, das man nahezu perfekt hätte nennen können. Sie war ein aufgeweckter, offener Typ Mensch, der schnell Anschluss fand und viele Freunde hatte. Susan, die Schüchternere der beiden Schwestern, war auf Carlies offenes Wesen immer ein bisschen eifersüchtig gewesen, und von den beiden Wentworth-Mädchen war tatsächlich Carlie diejenige gewesen, die einen Raum nicht betrat, sondern darin erschien. Zu Schulzeiten, als Carlie zu Joans großer Freude doch begonnen hatte, Dates zu haben, rissen die Jungs sich darum, sie auszuführen, während Susan nur selten eine Verabredung hatte. Und auch heute noch fiel es ihr nicht schwer, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Carlie war ein Wirbelwind, wie er im Buche stand. Trotz allem war sie seit geraumer Zeit Single. Sie schien ein Händchen für Idioten zu haben, zog schräge Kerle an wie Motten das Licht, und nachdem der letzte Prince Charming, den sie an Land gezogen hatte, sich als verheirateter Vater von drei Kindern entpuppte, hatte sie für sich selbst beschlossen, vorerst allein zu bleiben.
Nach einer knappen Stunde – also fast der doppelten Zeit, die die Fahrt zum JFK üblicherweise dauerte – reihte das Taxi sich endlich auf den Zubringer zum Flughafen ein, der wie immer mit ungefähr einer Million weiterer Taxis vollgestopft war. Der Regen war mittlerweile noch stärker geworden, und wenn es weiter so aus Eimern schüttete, würde am Horizont bald Noah erkennbar sein, der mit seiner Arche angeschippert kam, um jeweils ein Pärchen von jeder Tierart zu retten. Carlie packte ihr iPad wieder zurück in ihre Tasche. Obwohl sie sich vorgenommen hatte, in den nächsten Tagen ihren Job Job sein zu lassen, hatte sie auf der Fahrt hierher nun doch eine Mail an einen neuen Kunden mit den Spezifikationen geschickt, die sie für das von ihm gewünschte Fotoshooting benötigte. Außerdem hatte sie ein Memo an Maddie Blackstone von Glamerica geschickt. Die sollte ein Interview mit Chris Hemsworth führen und wollte auf Carlies Dienste zurückgreifen, um Thor ins rechte Licht zu rücken. Carlie hatte den Fototermin mit Maddie und Chris bestätigt und freute sich bereits jetzt darauf, eine so spezielle Sahneschnitte wie ihn ablichten zu dürfen. Abschließend hatte sie noch – um ihren eigenen Seelenfriedens willen – einen Abwesenheitsassistenten bei ihren Mails eingerichtet. Jeder, der ihr jetzt eine E-Mail schrieb, wurde umgehend darüber informiert, dass vor dem nächsten Montag mit keiner Antwort zu rechnen war. Jetzt aber, so sagte sie sich, würde ihr Urlaub beginnen. Keine Kunden, keine Mails, keine Anfragen und keine Telefonate. Nur noch eine Traumhochzeit am Strand, aus der ihre Schwester als verheiratete Frau hervorgehen würde.
Sie legte ihre Stirn an die kühle Fensterscheibe des Taxis und sah in den Regen hinaus. Dicke Tropfen fielen sintflutartig von oben herab und zerplatzten auf dem Asphalt. Nebenan hatte ein weiteres Taxi angehalten. Wie üblich staute es gerade auf dem Zubringer zum Flughafen enorm. Man mochte meinen, ganz New York wäre dabei, den Staat zu verlassen, wenn man die Wagen vor, neben und hinter Carlies Taxi betrachtete. Sie blickte durch zwei Fensterscheiben hinüber in den Wagen nebenan. Im Fond des Taxis befand sich ein Mann, der seinen Blick auf das aufgeklappte Notebook gerichtet hatte, das sich wohl auf seinem Schoß befand, und konzentriert darauf starrte. Sein Gesicht wurde von der Bildschirmbeleuchtung angestrahlt und erhellt und Carlie stockte der Atem. Ihr wurde erst heiß, dann kalt und dann wieder heiß. Von einer Sekunde zur nächsten brachen ungeahnte Gefühlsstürme über sie herein. In ihrem Bauch kribbelte es wie verrückt, ihr Herz begann heftig zu schlagen, und sie spürte, wie ihr Gesicht rot anlief. Sie fühlte das unbändige Verlangen, die Tür aufzureißen, aus dem Taxi zu springen und an die Scheibe ihres Nachbarn zu klopfen, um sich davon zu überzeugen, dass ihr Unterbewusstsein ihr keinen üblen Streich spielte. Dass wirklich er da drin saß. Ihre Hand wanderte zu dem Griff, mit dem man die Autotür entriegeln konnte, wich dann aber wieder zurück. So schnell, wie das Adrenalin von ihr Besitz ergriffen hatte, verschwand es auch wieder. Unbewusst machte sie sich kleiner, um nur ja nicht von dem Mann gesehen zu werden, schaffte es aber auch nicht, den Blick von ihm zu nehmen. Wie oft hatte sie dieses Gesicht im Wagen nebenan liebevoll angesehen. Als sie nebeneinander im Bett gelegen hatten. Oder sich beim Essen gegenübersaßen und sich über Gott und die Welt unterhielten. Diese Zeit schien niemals real gewesen zu sein und nur in ihrer Fantasie existiert zu haben. Im nächsten Moment verspürte sie Wut in sich aufsteigen. Unsagbare Wut. Wut, die sie so weit trieb, dass sie am liebsten aus dem Taxi gesprungen wäre und den Kerl im Wagen nebenan herausgezerrt hätte. Sie sah noch ein zweites Mal hin, doch eigentlich war das überhaupt nicht notwendig. Gar keine Frage, der Mann, der im Taxi nebenan saß und gerade irrsinnig beschäftigt wirkte, war niemand Geringerer als Troy Jennings.
1
Einige Stunden später hatte Carlie Troy Jennings erfolgreich aber bestimmt aus ihren Gedanken verbannt. Vermutlich war er es auch gar nicht gewesen, immerhin hatte es geregnet, und sie hatte den Mann durch zwei Autofensterscheiben hindurch gesehen, der zu allem Überfluss auch noch den Kopf gesenkt und auf sein Notebook gestarrt hatte. Sie hätte genauso gut behaupten können, die Reinkarnation von Elvis Presley im Taxi neben sich gesehen zu haben, so realistisch war der Gedanke, dass es Troy gewesen war. Noch dazu, wo er sich fast am anderen Ende der Welt – in London – befand und zumindest sechs Flugstunden entfernt war.
In einer Boeing 737 war sie dem Regen davongeflogen, hatte die Flugzeit mit zwei Gläsern Champagner verkürzt und ihre Nase fünf Flugstunden später in die Sonne von Barbados strecken können. Es war ein wunderbares Gefühl, die warme Sonne auf der Haut zu spüren, die ihr die Kälte, die sie aus New York mitgebracht hatte, aus den Knochen sog. Susan hatte schon sehnsüchtig auf ihre jüngere Schwester gewartet, ihr stolz ihren Verlobungsring präsentiert und ihr haarklein alle Details des Heiratsantrages wieder und wieder auf die Nase gebunden. Gemeinsam waren sie zu dem Bungalow gefahren, den Susan und Miles für die Dauer ihres Aufenthaltes – eigentlich war nur ein zweiwöchiger Liebesurlaub geplant gewesen, der jetzt aber um zwei weitere Wochen Honeymoon erweitert wurde – gemietet hatten.
„Wow, ihr habt hier ja das Paradies auf Erden für euch entdeckt“, staunte Carlie, als sie gemeinsam mit Susan auf der Terrasse des Tiki-Bungalows stand, der auf Pfeiler, die direkt aus dem Wasser ragten, gebaut worden war. Sie hörte das Plätschern des Wassers, das an den Strand schwappte, und blickte zum Horizont, wo sie in der Ferne eine Jacht entdecken konnte. Warme Sonnenstrahlen wärmten Carlies Gesicht, unter ihr umspielte das Meerwasser die Holzpfosten, auf denen der Bungalow stand, und nach dem Sauwetter in New York war es wunderbar, von der Sonne geküsst zu werden. Sie streckte ihre Arme von sich, legte den Kopf in den Nacken und genoss die angenehme Wärme auf ihrer Haut.
„Es ist toll hier, nicht?“, fragte Susan. „Miles und mir war sofort klar, dass dieser Ort der richtige für unsere Hochzeit ist.“Carlie grinste. Noch nie hatte sie ihre Schwester so euphorisch erlebt. Und so verliebt.
„Mum wird durchdrehen“, sagte sie und grinste.
„O ja“, bestätigte ihre Schwester, „Aber ich muss das einfach tun. Mum hätte mich für verrückt erklärt, hätte ich ihr von der Hochzeit erzählt. Ich meine, wir sind gerade mal elf Wochen zusammen.“Sues Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als sie zu realisieren schien, was sie eigentlich vorhatte.
„Und du hängst ebenso in der Sache mit drin. Mum wird dir vorwerfen, dass du mich hättest zurückhalten müssen, anstatt auch noch meine Trauzeugin zu sein.“
„Zum Glück ist es nicht das erste Mal, dass Mum ein Komplott vermutet. Und ich bin mir sicher, über kurz oder lang wird sie die Sache mit der heimlichen Hochzeit auch vergessen und sich darüber freuen, wenigstens einen Schwiegersohn bekommen zu haben. Auch wenn es wohl diesmal etwas länger dauern wird als damals, als wir die Party geschmissen haben, während Mum und Dad bei der Beerdigung von Großtante Ruth waren.“„Um einiges länger“, murmelte Sue.
„Aber hey, du heiratest den Mann deiner Träume, da muss ein bisschen Risiko schon drin sein.“
Susan hatte für sie beide Piña Coladas gemixt und nun saßen sie in der Karibiksonne und genossen den Tag. Carlie fiel auf, wie stolz Susan den Verlobungsring zur Schau trug, den Miles ihr angesteckt hatte. Immer und immer wieder blickte sie selig darauf, fast wie um zu kontrollieren, dass er noch da war, hielt ihn hoch und ließ die Sonne in den kleinen Einkerbungen spielen. Sie hatten den silbernen Ring mit dem kleinen Edelstein am Vortag bei einem fliegenden Händler an der Strandpromenade gekauft, und Susan beteuerte immer wieder, dass es ihr auch recht gewesen wäre, wenn Miles ihr einen Zwiebelring von Burger King an den Finger gesteckt hätte.
Der Druck, den Carlie in Manhattan, ja sogar noch im Flugzeug verspürt hatte, war mittlerweile gänzlich von ihr abgefallen. Und mit ihm auch die seltsame Begegnung aus dem Taxi. Carlie war zu der Entscheidung gelangt, dass der Mann aus dem Taxi niemals Troy Jennings hatte sein können. Zuerst einmal war der in London und führte dort sein Pharmaunternehmen, das ihn in den vergangenen Jahren offensichtlich zu einem steinreichen Mann gemacht hatte. Seit diese „Sache“ zwischen ihnen beiden auf ziemlich üble Art und Weise geendet hatte, hatte er New York gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Scheinbar dachte er, ein Staat mit ungefähr neunzehn Millionen Einwohnern nicht groß genug für sie beide war. Das wusste sie zum einen deshalb, weil sie es zu Anfang nicht hatte lassen können, seine Sekretärin Trudy auszufragen, mit der sie sich ziemlich gut verstanden hatte, als sie noch die Frau an Troys Seite gewesen war. Und zum anderen aus einem Interview im Forbes Magazine, in dem er erwähnt hatte, dass Termine in New York von seinem hier ansässigen Büro wahrgenommen wurden und er sich nur noch um die Geschäfte in Europa kümmern wollte. Carlie schüttelte kurz und unmerklich den Kopf. Sie wollte nicht an Troy denken. Nicht hier und überhaupt. Diese Sache zwischen ihnen beiden war lange vorbei, und sie hatte viel zu viel Zeit damit aufgewendet, ihm nachzutrauern. Sie war im Paradies gestrandet und wollte ihre Gedanken nicht an ihren dämlichen Exfreund verschwenden. Rings um sie herum gab es nur türkises Wasser, Strand und Palmen. In weiter Ferne konnte man einige weitere Tiki-Bungalows erkennen, doch der Abstand zwischen den einzelnen Häusern gewährleistete absolute Privatsphäre.
„Am liebsten würde ich für immer hierblieben“, sagte Carlie etwas wehmütig.
„Ja, es ist wunderschön. Darum haben wir uns auch so spontan dazu entschlossen, hier zu heiraten. Weil es perfekt ist. Weil Miles perfekt ist. Alles ist einfach perfekt.“
Susan strahlte förmlich. Carlie freute sich, dass ihre Schwester endlich den Mann fürs Leben gefunden hatte, auch wenn sie die Entscheidung für etwas überstürzt hielt. Sue war immer die Zurückhaltendere der beiden Schwestern gewesen. Während Carlie eine quirlige und lebendige Persönlichkeit war und dies auch ausstrahlte, war Susan die Stille, Bedachte der beiden. Die blonde Carlie war jemand, der die Blicke förmlich auf sich zog, wenn sie einen Raum betrat, die brünette Susan neigte dazu, eher übersehen zu werden – und war die meiste Zeit damit ganz zufrieden. Sie mochte es, vom Spielfeldrand zuzusehen, anstatt die Hauptrolle zu spielen. Umso besser fand Carlie nun, dass Susan begann, etwas aus sich herauszugehen – ein Umstand, der definitiv Miles zu verdanken war. Die Tatsache, dass Susan und Miles erst seit knapp drei Monaten ein Paar waren und sie es ebenfalls etwas vorschnell fand, dass die beiden sich nun in die Ehe stürzen wollten, behielt sie allerdings für sich. Susan hatte es sich verdient, glücklich zu sein, und wenn Miles schon nach drei Monaten der Richtige sein sollte, dann war das eben so.
„Und wir sind tatsächlich nur zu viert?“, fragte Carlie.
Sie hatte sich auf ihrem Liegestuhl ausgestreckt, die Augen geschlossen und genoss die Karibiksonne.
„Ja, nur du, ich, Miles und sein Trauzeuge.“
„Kennst du den Trauzeugen?“
„Nein, aber Miles sagte, er ist ein großartiger Kerl. Er hat ihn vor zwei Jahren in Boston bei einem Footballspiel kennengelernt, das ein Geschäftspartner der beiden initiiert hat. Die beiden könnten Brüder sein. Miles sagt selbst, es wäre, als hätte man sie bei der Geburt getrennt. Dass solche Freundschaften überhaupt noch entstehen können, wenn man jenseits der dreißig ist, ist etwas Besonderes. Sie sind absolut auf derselben Wellenlänge, Miles telefoniert oft genauso lange mit ihm wie mit mir …“ Sie kicherte. „Außerdem … soll er heiß aussehen und Single sein.“
Carlie verdrehte die Augen.
„Ich hoffe doch, du hast nicht vor, mich mit dem Trauzeugen zu verkuppeln? Sue, ich hab absolut keinen Bedarf, mit irgendjemandem verkuppelt zu werden.“
„Gibt es denn im Moment einen Mann in deinem Leben?“
Susan lehnte sich auf ihrem Liegestuhl zurück und sah ihre Schwester fragend an.
„Nein, nein, nicht im Geringsten. Ich habe nur schlicht und einfach keine Lust, immer wieder Arschlöcher an Land zu ziehen. Gary, dieser Typ, der verheiratet war und drei Kinder hatte, liegt mir immer noch im Magen.“
„Gary war ein Arschloch“, bestätigte Susan. Der Typ hatte Carlie tatsächlich weisgemacht, geschieden und kinderlos zu sein. Er war der Agent eines Baseballspielers, über den der Sportteil der Glamerica – zwar ziemlich klein gehalten, aber dafür erlesen – einen Beitrag brachte. Sie sollte die Fotos dafür schießen und war dazu in ständigem Kontakt mit Gary Rikes. Es hatte nicht lange gedauert, bis Carlie seinem Charme erlegen war und die beiden sich in eine heiße Affäre stürzten. Gary hatte sie zum Essen ausgeführt, ihr Komplimente gemacht und Blumen geschickt und stundenlang mit ihr telefoniert. Dummerweise hatte er nicht bedacht, dass es ungeschickt war, zum jährlichen Sommerfest, das Glamerica veranstaltete und bei dem auch Carlie anwesend war, seine Frau und seine Kinder mitzubringen.
„Und außerdem …“
Sie überlegte, ob sie Susan von der Begegnung im Taxi erzählen sollte, von der sie selbst mittlerweile der Überzeugung war, dass es sich dabei um ein Hirngespinst gehandelt haben musste.
„Außerdem?“, hakte die auch schon nach.
„Ach, eigentlich gar nichts. Ich … als ich zum Flughafen gefahren bin, habe ich, als mein Taxi im Stau stand, im Wagenneben mir jemanden gesehen, von dem ich dachte, er wäre Troy.“
Susan riss die Augen auf.
„Troy … Jennings?“
„Genau.“
Carlie trank einen Schluck ihrer Piña Colada.
„Und … war er es?“
„Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, ich meine, wie groß ist die Chance, dass er um die halbe Welt reist und wir in nebeneinanderher fahrenden Taxis sitzen? Es war dunkel, es hat geregnet, da waren zwei Fensterscheiben zwischen uns und der Typ hatte den Blick auf sein Notebook gesenkt, also … nein, ich denke nicht, dass er es war.“
„Denkst du noch oft an ihn?“Sue sah ihre Schwester an.
„Nein. Nicht mehr. Ich bin über ihn hinweg. Aber es hat mich doch ziemlich erschrocken, als ich heute Morgen diesen Typen gesehen hab. Das kam so aus heiterem Himmel – damit hätte ich nicht gerechnet.“
„Das kann ich mir denken. Hast du irgendwas von ihm gehört?“„Gar nichts. Mein Letztstand ist immer noch, dass er mit Kayleigh in London lebt und dort die Pharmabranche ordentlich aufmischt. Dreckskerl.“ Sie nahm wieder einen Schluck ihres Cocktails.
Die beiden Frauen sahen in die Ferne zum Horizont, wo der Himmel das türkisblaue Meer küsste, und obwohl Carlie es nicht wollte, schweiften ihre Gedanken ab. Zu Troy.
Troy Jennings war, wäre er eine Filmfigur gewesen, mit Sicherheit mit Edward Lewis, Johnny Castle oder Rhett Butler zu vergleichen gewesen. Hätte man jemals einen Hollywoodstreifen über ihn gedreht, wäre seine Rolle mit Brad Pitt, George Clooney oder Bradley Cooper besetzt worden. Er war der perfekte Gentleman. Zumindest zu Anfang ihrer Beziehung. Denn keiner der drei Filmhelden aus Pretty Woman, Dirty Dancing oder Vom Winde verweht hätte seine Angebetete wohl jemals mit einem halb so alten Model betrogen und sich heimlich mit ihm verlobt. Noch nie hatte Carlie jemanden wie Troy kennengelernt, und in den vielen Nächten, in denen sie neben ihm lag, wenn er sie in seinen Armen hielt und sie beobachtete, wie seine Brust sich sanft hob und senkte, konnte sie ihr Glück gar nicht fassen, an seiner Seite zu sein. Konnte nicht fassen, dass er sich für sie entschieden hatte, dass sie seit drei Jahren ein Paar waren und in eine gemeinsame Zukunft gingen. Troy war fünf Jahre älter als Carlie, und die beiden hatten sich bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung kennengelernt, bei der sie als Fotografin engagiert war, die sein Unternehmen organisiert hatte. Troy kam aus gutem Hause, sein Vater war ein bekannter Rechtsanwalt in Rente und die Familie war irgendwie mit den Kennedys verwandt. Er hatte im Alleingang, ohne sich auf seinen Namen zu berufen, ein Unternehmen aus dem Boden gestampft, das Software für Krankenhäuser und Pharmaunternehmen programmierte und diese auch vertrieb. Er war ein Traummann, wie er im Buche stand, mit Mitte dreißig bereits finanziell unabhängig und ein grenzenloser Wohltäter, der Unsummen an Kinderkrankenhäuser und Tierschutzeinrichtungen stiftete. Dummerweise war er auch der Frauenwelt nicht abgeneigt, und jetzt, im Nachhinein, stellte Carlie sich die Frage, warum sie nicht viel eher bei seinen vielen Geschäftsreisen, seinen Wochenendtrips und Meetings hinterfragt hatte, wieso sie alle unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Obwohl er ein geselliger Typ war, fanden seine Geschäftsmeetings grundsätzlich in Hotelzimmern statt. Troy buchte niemals Restaurants für sich und seine Geschäftspartner, er behauptete ständig, die Meetings seien so anstrengend, dass man nur Zeit für kleine Snacks habe und die Besprechungen gar nicht erst des Essens wegen unterbrechen wollte. Oft fragte sie sich, warum sie ihn so selten zu Geschäftsessen begleiten durfte, warum es weder Fotos noch Artikel gab, selbst wenn es sich um einen noch so großen Deal handelte, und warum er sein Handy mit Argusaugen beaufsichtigte und es niemals wagte, es nicht mit sich zu nehmen, wenn er den Raum verließ. Vielleicht hatte sie unterbewusst auch versucht, all diese Signale zu übersehen, weil sie den schönen Schein ihres Lebens an der Seite dieses Traummannes wahren und ihn auskosten wollte, solange er sich ihr bot.
Eines Tages shootete Carlie in Miami eine Fotostrecke für Glamerica und hatte Mühe, eines der Models davon zu überzeugen, den dicken Brillantring abzunehmen, der an ihrem Finger prangte. Das Mädchen, gerade einundzwanzig Jahre alt und so bildschön, dass es beinahe schon kitschig war, weigerte sich zunächst vehement, den Ring abzulegen, und beharrte darauf, man könne ihn ja wegretuschieren, wenn er nicht mit aufs Bild sollte. Sie schwärmte Carlie von ihrem Freund vor, der ihr vor einer Woche einen Antrag gemacht hatte, und dass sie seither auf Wolke sieben schwebte. Ihr war zwar bewusst, dass ihr Freund vor ihr bereits einige ihrer Modelkolleginnen flachgelegt hatte, aber sie war die Erste, der er einen Antrag machte, und sie war sich sicher, sie würde die glücklichste Frau der Welt werden, immerhin war ihr Mann nicht nur steinreich und gut aussehend, sondern eine ganz große Nummer im Geschäftsleben. Und ein Wohltäter. Und überhaupt der großartigste Mensch, der auf Gottes Erdboden wandelte. Das Mädchen zog in einer Pause – Carlie hatte es tatsächlich geschafft, sie von ihrem Ring zu trennen – ihr Handy hervor und hielt ihr ein Foto unter die Nase. Das Bild zeigte sie mit einem gut aussehenden Typen. Sie in Unterwäsche, er oben ohne. „Das ist ein Aftersex-Selfie – kennst du das?“, fragte sie.
Carlie hatte davon gehört, dass es neuerdings Trend war, Selfies von sich und seinem Partner direkt nach dem Sex zu schießen, dass es sogar eine eigene Onlineplattform für solche Bilder gab, aber es war nicht das Foto an sich, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Vielmehr war es die Tatsache, dass der Mann, der auf dem Aftersex-Selfie zu sehen war, niemand Geringerer als Troy Jennings war. Sie erinnerte sich daran, dass sie für den Bruchteil einer Sekunde gar nicht realisiert hatte, was für eine Info sie gerade erhalten hatte. Dann entschuldigte sie sich, verließ das Set und versuchte kopflos, Troy zu erreichen, immer noch hoffend, dass es sich um ein Missverständnis handelte. Oder einen Typen, der Troy nur zum Verwechseln ähnlich sah.
Troy selbst machte noch nicht einmal einen großen Hehl daraus, sie mehrfach betrogen zu haben, und auf Carlies Frage, was er getan hätte, hätte sie nicht über Umwege von seiner Verlobung erfahren, zuckte er nur uninteressiert mit den Schultern. Es schien ihm völlig egal zu sein, dass sie ihn hatte auffliegen lassen. Es schien ihn nicht zu interessieren, dass er ihr Herz gebrochen hatte, dass das ganze Weltbild, das sie von ihrer Beziehung hatte, von vornherein eine Lüge gewesen war. Er bat sie einfach, ihre Siebensachen einzupacken und bei ihm auszuziehen, ohne sich irgendeiner Gefühlsregung hinzugeben. Nachdem er ihr das gesagt hatte, war er wieder zu seinem Webmeeting zurückgegangen, aus dem sie ihn herausgeholt hatte. Es war fast, als wäre er viel interessierter daran, seine Geschäftspartner nicht all zu lang warten zu lassen, als die Beziehung zu ihr auf anständige Weise – sofern das überhaupt noch möglich war – zu beenden. Es war, als würde er einen alten Pullover aussortieren, den er zwar eine ganze Weile lang gern getragen hatte, doch der ihm nicht fehlen würde, wenn er erst weg war.
Ja, Troy Jennings hatte Carlies Herz nicht nur gebrochen, er hatte es in tausend Einzelteile zerfetzt und war darauf herumgetrampelt. Auch wenn sie es niemals zugegeben hätte, so hatte die Trennung von Troy in ihr eine Veränderung ausgelöst. Ein Teil von ihr, der offene, lebhafte, der auf Menschen zuging, schloss sich ein kleines bisschen ein. Kurz nachdem sie aus seinem Haus auf Long Island aus- und in ihr Midtown-Appartement eingezogen war, versuchte sie, ihn und die Erinnerungen an ihn ganz tief in ihrem Herzen zu begraben, was er ihr ziemlich einfach machte. Nach einer großen Verlobungsfeier mit Kayleigh Frost, dem Model aus Miami, das Carlie so stolz ihren Verlobungsring gezeigt hatte, zogen die beiden nach L. A., wo Kayleigh sich um ihre Karriere und Troy sich um den dortigen Krankenhaussoftware-Markt kümmern wollte. Plötzlich war Troy überall präsent. Seine Deals wurden groß in Zeitungen diskutiert, er war zu Gast bei einer Wirtschaftssendung im Fernsehen, bei der er auch auf die Hochzeit mit Kayleigh angesprochen wurde, und lachte zu allem Überfluss auch noch von der Titelseite des Forbes Magazine. Irgendwann erfuhr Carlie über Umwege, dass Troy und Kayleigh nach London gegangen waren und seine Firma dort ebenfalls einträchtige Geschäfte machte. Kayleigh stürmte die Laufstege Europas und Troy revolutionierte den dortigen Krankenhaussoftware-Markt.
Und auch wenn es ihr anfangs schwerfiel, und die Tage, an denen sie daran dachte, wie sehr sie Troy geliebt hatte, welch schöne Zeiten sie miteinander verbracht hatten und dass sie tatsächlich einmal davon ausgegangen war, ihn eines Tages zu heiraten, so trat er von Tag zu Tag mehr in Vergessenheit. Bis er irgendwann nur noch ein blasser Schatten der Vergangenheit war und eines Tages völlig aus Carlies Kopf verschwand. Bis heute. Bis sie gedacht hatte, er würde im Taxi nebenan sitzen. Sie erinnerte sich, wie aufgeregt, aufgekratzt und nervös sie mit einem Mal gewesen war, obwohl sie gedacht hatte, dass Troy ihr rein gar nichts mehr bedeutete. All diese Gefühlsregungen und Emotionen, die in ihr aufgekeimt waren, waren überwältigend gewesen. Sie erinnerte sich, dass sie für einen Augenblick drauf und dran gewesen war, die Autotür aufzureißen, in das Taxi nebenan zu stürzen und Troy voller Freude zu fragen, was er denn hier machte und wie es ihm ging. Sie erinnerte sich daran, dass sie wissen wollte, ob er noch mit Kayleigh zusammen war – von einer Hochzeit hatte sie nichts mitbekommen, aber vielleicht hatten sie auch ohne großen Presserummel geheiratet. Ob er vielleicht sogar wieder Single war und … Sie brachte den Gedanken nicht zu Ende. Was machte er überhaupt in Manhattan? Lebte er wieder hier? War er zu Besuch? War er gerade angekommen oder reiste er wieder ab? Dachte er ab und zu an sie? Oder war er doch nur ein Hirngespinst, das den richtigen Zeitpunkt abgewartet hatte, und der Mann im Wagen neben ihr hatte rein gar nichts mit Troy Jennings zu tun.
Carlie schüttelte demonstrativ den Kopf und versuchte, Troy aus ihren Gedanken zu vertreiben. Gerade zu Susans Hochzeit hatte er dort rein gar nichts verloren. Außerdem war er wahrscheinlich ohnehin längst verheiratet und zog vermutlich einen ganzen Rattenschwanz an Kindern hinter sich her. Troy war Vergangenheit, nicht mehr existent und sowieso der blödeste Mistkerl, der auf Gottes weitem Erdboden herumlief.
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Am Abend saßen Carlie und Susan in einem Restaurant namens „The Carribean Dream“ und der Name war nicht zu weit hergeholt, sondern Programm. Das Restaurant war – ebenso wie der Tiki-Bungalow, den Susan und Miles gemietet hatten – auf Pfeilern gebaut, die aus dem Wasser ragten. Leise, karibische Musik beschallte das Innere des Gastraumes. Die nördliche Seite des Restaurants war offen und zeigte zum türkisblauen Meer hin, an dessen Horizont die orangerote Sonne bereits zum Untergehen angesetzt hatte. Es sah so aus, als würde ein überdimensionaler, gigantischer Feuerball ins Meer eintauchen, und Carlie wünschte sich, sie hätte ihre Kamera mitgenommen, um diesen Augenblick festhalten zu können. Der Innenraum war stimmungsvoll mit Kokosnüssen, bunten Blumen und einheimischem Dekokrimskrams ausgestattet. Die Kellnerinnen liefen in knöchellangen Baströcken herum und die kleinen Tische und Stühle, die in dunklem Nussholz gehalten waren, erinnerten Carlie ein bisschen an ein kubanisches Restaurant, in dem sie einmal – mit Troy – gewesen war. Auf jedem der Tische stand ein bauchiges Glas mit einer hellen Stumpenkerze darin und machte das Ambiente umso stimmungsvoller.
Carlie hatte bemerkt, wie Sue in den letzten Minuten nervöser und nervöser geworden war und förmlich auf ihrem Stuhl umherhibbelte. Seit Miles vor einigen Minuten angerufen und mitgeteilt hatte, dass er und sein Trauzeuge, den er charmanterweise „Ladykiller“ nannte, in Kürze im Carribean Dreams aufschlagen würden, war sie nicht mehr in der Lage, still zu sitzen. Carlie lächelte in sich hinein, war Sue doch immer diejenige der beiden Mädchen gewesen, die mit ihrem Selbstbewusstsein zu kämpfen hatte und sich viele Dinge von vornherein nicht zutraute. Obwohl Sue die Ältere war, hatte sie immer in Carlies Schatten gestanden. Miles, den sie über das Internet kennengelernt hatte, hatte sie zu Anfang gar nicht treffen wollen. Immer und immer wieder argumentierte sie damit, dass Miles sie hässlich finden könnte. Oder doof. Oder beides, sodass Carlie wirklich überwältigende Überzeugungsarbeit hatte leisten müssen, um ihre Schwester in das kleine Café an der 49. Straße zu dirigieren. Um Sue Schützenhilfe leisten zu können, hatte Carlie sich damals in eine unauffällige Ecke des Cafés gesetzt, ein Stück Trüffeltorte verschlungen und, nachdem auch die letzten Krümel vom Teller verschwunden waren, das Café verlassen. Miles und Sue schienen sich gesucht und gefunden zu haben. Schon von der ersten Sekunde an war beiden anzusehen, dass sie zusammengehörten. Am selben Abend – beziehungsweise um vier Uhr früh des darauffolgenden Morgens – hatte Sue ihre Schwester aus dem Schlaf geklingelt, war mit einem breiten Grinsen im Gesicht vor deren Tür gestanden und hatte so vor Energie gesprüht, wie Carlie es bei ihr noch nie gesehen hatte. Seit diesem Tag waren Sue und Miles unzertrennlich, und eigentlich war es auch überhaupt nicht weiter verwunderlich, dass die beiden so schnell wie möglich in den Hafen der Ehe einlaufen wollten.
„Ich bin schon so gespannt auf den Ladykiller“, sagte Sue, während sie ununterbrochen zum Eingang starrte. „Miles hat so viel von ihm erzählt. Er muss ein großartiger Typ sein, ehrlich.“
Carlie rollte mit den Augen, verstand sie doch, dass ihre Schwester ihr den Trauzeugen schmackhaft machen wollte.
„Sue, jemand, der sich selbst ‚Ladykiller‘ nennt, kann einfach kein großartiger Typ sein. Zumindest nicht, was meine Maßstäbe angeht.“
Sie nippte an ihrer Margarita.
„Aber … ich würde mich so freuen, wenn du endlich auch wieder glücklich wärst. Wir sind hier am romantischsten Ort der Welt. Da darfst du nicht traurig sein.“
Sue sah sie an, als wäre Carlie ein geschlagener Hund.
„Ein Typ, dessen Spitzname „Ladykiller“ ist, kann keinesfalls maßgeblich zu meinem Glück beitragen. Und außerdem bin ich glücklich.“
„Aber nicht so, wie du es sein solltest. Mum sagt auch, dass dir der richtige Mann an der Seite fehlt.“
„Ich bitte dich, Mum sagt auch, dass wir Ladenhüter wären, weil wir beide über dreißig und noch nicht verheiratet sind. Mum erzählte damals, als du im letzten und ich im vorletzten Jahr an der Highschool waren, ihrem ganzen Freundeskreis, dass sie vermutet, ihre Töchter wären Lesbierinnen, weil beide noch keinen Freund hätten, und was Mum sagt, wenn sie erfährt, dass du hier heimlich, still und leise ohne ein pompöses Fest heiratest, möchte ich mir gar nicht erst vorstellen.