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Lorelai Cartwright hat viel erreicht. Sie arbeitet erfolgreich als Kreativdirektorin bei einer großen New Yorker Werbefirma und ist mit dem charmanten Rob, einem gutaussehenden Investmentbanker verlobt. Ihr Bilderbuchleben kippt allerdings, als sie eines Tages früher aus dem Büro nach Hause kommt und Rob Inflagranti mit einer anderen erwischt. Sie wirft ihn aus dem gemeinsamen Appartement und beendet die Beziehung. Doch gleichzeitig mit der Trennung von Rob klafft nun ein großes Loch in Lorelais so perfekter Welt. Um wieder etwas Halt zu finden, beschließt sie, eine berufliche Auszeit zu nehmen und zurück in die Stadt Red Oak in Texas zu gehen, wo sie auf der Ranch ihrer Großeltern aufegwachsen ist. In Red Oak angekommen, muss sie feststellen, dass auch dort die Zeit nicht stehen geblieben ist und die Veränderungen um sich gegriffen haben. Zu allem Überfluss hat ihre Familie, die nur mehr aus ihrer Großmutter Ellen und ihrer Mutter Marge besteht, den verschrobenen Verwalter Jake eingestellt, mit dem Lorelai gleich zu Beginn auf Kriegsfuß steht. Lorelai beschließt, ihr Leben neu zu ordnen und sieht die Trennung von Rob als Chance, noch einmal von Vorne zu beginnen. Doch es gibt noch etliche Hürden, die zu bewältigen sind...und dann steht sie plötzlich vor einer Entscheidung, mit der sie niemals gerechnet hätte...
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2024 by Daniela Felbermayr
Cover unter der Verwendung von Shutterstock
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PROLOG
„Sie sind ein toughes Mädchen, Lorelai. Sie schaffen das schon. Kommen sie wieder, wann immer sie wollen, ihr Job wartet hier auf sie!“
Das war der letzte Satz, den Ken Radcliffe, freundlich lächelnd gesagt hatte, als sie ihm mitgeteilt hatte, dass sie eine Pause auf unbestimmte Zeit nehmen wollte. Zuerst war er etwas schockiert gewesen, weil er dachte, es wäre ein versteckter Hinweis darauf, dass sie den Job komplett schmeißen wollte, doch jetzt wirkte er sichtlich entspannt und nur mehr von der Tatsache irritiert, dass die knallharte Lorelai Cartwright einem Mistkerl aufgesessen war, der es tatsächlich geschafft hatte, ihr das Herz so weit zu brechen, dass sie eine Auszeit von allem, ihrem Leben in Manhattan, ihrem Umfeld und ihrem Job brauchte. In den vergangenen Monaten hatten einige ihrer Kollegen den Weg der Kündigung beschritten, und es wäre ein schwerer Verlust für "The Commercialists“ gewesen, wenn Lorelai das Unternehmen ebenfalls verlassen hätte. Doch, als sie ihm ihre Geschichte, verschämt und dauerhaft zu Boden blickend, erzählt hatte, entspannte er sich. Lorelai würde "The Commercialists" nicht verlassen, sie brauchte nur eine Auszeit. Nach allem, was ihr Exverlobter abgezogen hatte, war sie momentan nicht in der Lage, Werbekampagnen für Luxuslabels zu entwerfen und zu verkaufen. Es war ihr ein wenig peinlich gewesen, Mr. Radcliffe, einen der beiden Vorstandsmitglieder und Firmengründer, um dieses Gespräch zu bitten, aber sie musste es tun – wollte sie ihren Job später wieder aufnehmen können.
Sie saß in einem schwarzen Ledersessel in Radcliffes lichtdurchflutetem Büro, dessen Wände mit moderner Kunst gespickt waren und von dem sie bislang immer gedacht hatte, es wäre einer dieser wenigen Orte auf der Welt, an denen man sich einfach wohlfühlen musste, weil alles so hell, freundlich und leicht wirkte. Doch dieses Mal fühlte sie sich irgendwie mickrig und wie eine Amöbe. Das dumpfe Gefühl, das sich seit einigen Tagen wie ein Schleier über sie und ihr Leben gelegt hatte und sie überall hin begleitete, war auch jetzt wieder mehr als nur präsent. Sie hatte gerade im Berufsleben immer versucht, zu einhundert Prozent professionell zu sein, was ihr bislang immer gelungen war. Und jetzt war es gerade ihr passiert, ihr Privatleben ins Berufsleben eingreifen zu lassen – und Schwäche zu zeigen. Jetzt war es gerade ihr passiert, dass sie den einen Teil ihres Lebens nicht aus dem anderen heraushalten konnte.
„Ein toughes Mädchen“, dachte sie, würde die Flinte nicht so einfach ins Korn werfen. „Ein toughes Mädchen“ würde nicht vorübergehend in die Pampa ziehen, weil sie an jeder Ecke Erinnerungen an ihren Exfreund findet. „Ein toughes Mädchen“ würde der ganzen Situation hier den Stinkefinger zeigen und weitermachen. Ich bin kein toughes Mädchen.“
„Ich danke Ihnen, Mr. Radcliffe“, sagte sie dennoch, setzte ein gespieltes Lächeln auf und sah ihn an. Für einen kurzen Moment hatte sie überlegt, einen Rückzieher zu machen. Radcliffe zu sagen, dass sie NICHT nach Red Oak gehen, sondern dass sie in New York bleiben und mit der Situation klarkommen lernen würde. Es gab immerhin noch die Möglichkeit, sich einen Seelenklempner zu suchen und ihm das Herz auszuschütten. So wie es manchmal den Anschein hatte, gab es mehr Psychiater in Manhattan, als es Hotdog-Stände gab und über mangelndes Klientel konnten diese Psychiater sich nicht beklagen, warum sollte sie also nicht auch einmal eine Sitzung buchen? Es gab auch die Möglichkeit, sich mit Selbsthilferatgebern einzudecken, sich mit Gleichgesinnten in Internetforen auszutauschen. Doch sie brachte die Worte nicht über die Lippen und wusste, dass es ohnehin die falsche Entscheidung wäre, zu bleiben. Ihr Herz hatte ihr gesagt, dass sie nach Red Oak sollte. Und dieses Mal würde sie darauf hören. In ihrem Bauch hatte sich eine unmögliche Leere ausgebreitet und ihr Magen fühlte sich flau an. Aber nicht das gute "flau", das man empfand, wenn man in Disneyland mit der Space-Mountain-Achterbahn fuhr oder in den paar tausendstel Sekunden, bevor man jemanden das erste Mal küsste, sondern diese "flau", das einen überkam, wenn man am Ende seiner Kräfte angelangt war und keine Motivation für nichts mehr aufbringen konnte.
„Es ist bestimmt nicht für immer. Nur für … die nächste Zeit.“
Sie blickte auf ihre schlanken Beine hinunter, die in schwarzen Stöckelschuhen steckten.
„Nehmen Sie sich alle Zeit, die Sie brauchen, Lorelai“, entgegnete Radcliffe und schenkte ihr ein verständnisvolles Lächeln.
Dass sie Hauptthema eines Essens mit seinem Geschäftspartner sein würde, und über kurz oder lang auch Hauptthema jedes Kaffeeklatsches, der in der kleinen Teeküche des Unternehmens abgehalten werden würde, war ihr klar. Aber besser, Hauptthema zu sein, als von dem zweiten Geschäftsführer, Craig Rider, der weniger verständnisvoll und abgebrühter war, als Radcliffe, so wie allen möglichen Kollegen persönlich ausgefragt und bemitleidet zu werden. Lorelai hatte das Recht, Schwäche zu zeigen. Dieses eine Mal würde sie ihre eigenen Bedürfnisse über die der Anderen, über die der Firma, über die der ganzen Welt stellen.
„Mr. Park sagte, Sie könnten einige ihrer Agenden via Homeoffice erledigen?“
„Das ist richtig – ich habe auch schon mit Mark vom Netzwerkdienst gesprochen. Man wird mir in Red Oak einen Onlinearbeitsplatz einrichten, sodass ich den größten Teil meiner Arbeit von dort aus erledigen kann. Die meisten Besprechungen kann ich bestimmt auch online abhalten – oder via Telefonkonferenz. Ich denke, der Ausfall sollte nicht sehr groß sein – moderne Technik sei dank!“
„David Park ist ja sonst auch noch mit Ihren Projekten vertraut, richtig?“
„Korrekt, David hat sämtliche Zugänge zu meinen Akten und ist mit allen Projekten auf aktuellstem Stand vertraut! Außerdem … in Red Oak gibt es Telefon und ich denke, sie haben dort sogar schon Internet“, setzte sie grinsend hinzu.
„Red Oak“, wiederholte Radcliffe und grübelte, „noch nie davon gehört. Wo liegt das?“
„Sie sind bestimmt nicht der Einzige, der Red Oak nicht kennt, Mr. Radcliffe“, sagte Lorelai, „es ist eine kleine Stadt etwa fünfzehn Meilen südlich von Dallas mit knapp sechstausend Einwohnern. Ein kleines, verschlafenes Städtchen, das schon mal den Eindruck vermittelt, dass die Zeit dort stehengeblieben ist. Es ist also keine Bildungslücke, Red Oak nicht zu kennen!“
„Nun, Miss Cartwright, dann bleibt mir nur noch, Ihnen alles Gute zu wünschen. Ich hoffe, Sie haben eine schöne Zeit in Red Oak. Vergessen Sie uns nicht und kommen Sie mir ja wieder!“
Ken Radcliffe stand von seinem Sessel auf, ging an seinem Tisch vorbei und reichte Lorelai freundschaftlich die Hand.
1
Dieses Gespräch hatte sie vor zwei Tagen geführt. Jetzt saß sie mit gemischten Gefühlen in der 737, die vom JFK nach Forth Worth flog und sie nach Hause bringen sollte. Nach Hause, nach Red Oak im Bundesstaat Texas, wo sie einst als quirliges, pferdefanatisches Mädchen auf der Farm ihrer Großeltern aufgewachsen war und niemals daran gedacht hatte, einmal in einem Kleid von Donna Karan fünfzehntausend Fuß über der Erde zurück nach Hause zu fliegen. Weil es für sie damals kein anderes Zuhause gab, als die Farm ihres Großvaters.
Lorelai Cartwright war neunundzwanzig Jahre alt und arbeitete als Kreativdirektorin bei „The Commercialists Inc.“, einer Werbefirma, die sich auf Kampagnen speziell für Luxuslabels spezialisiert hatte und im US-Markt nahezu Monopolstellung hatte. Vor mittlerweile acht Jahren war Lorelai von Red Oak nach New York gekommen, um Karriere zu machen. Die einzige Karriere, die in Red Oak auf sie gewartet hätte, wäre eine Hochzeit mit spätestens dreiundzwanzig gewesen (wobei sie mit dreiundzwanzig wahrscheinlich schon als schwer vermittelbarer Ladenhüter gegolten hätte), mit einem jungen Mann, mit dem sie idealerweise bereits auf der Highschool oder noch besser im Kindergarten gewesen war. Jetzt, mit neunundzwanzig hätte sie mindestens drei, wahrscheinlich aber bereits fünf Kinder und immer noch denselben Mann, der entweder auf einer Farm oder aber in einer der Fabriken in Dallas arbeiten würde. Zu den wohlhabenderen würde sie gehören, wenn ihr Ehemann eine eigene kleine Farm mit ein paar Hektar Land besaß, die er im Schweiße seines Angesichts bewirtschaftete. Diese Art von Karriere hatte Lorelai immer sauer aufgestoßen. Sie wollte nie eine dieser Soccer-Mums sein, deren einziger Lebensinhalt es war, mit den anderen Müttern über die aktuellen Windelpreise, Babybrei und die unterschiedlichen Farben von Kinderkotze zu diskutieren.
Als sie mit einundzwanzig Jahren bei „The Commercialists“ als Assistentin des damaligen Kreativdirektors zu arbeiten begonnen hatte, wusste sie sehr schnell, dass dies ihre Welt war. Im Eiltempo kletterte sie die Karriereleiter – die richtige Karriereleiter, nicht die Red-Oak-Version davon – hinauf und stieg sehr schnell von der Assistentin zur Junior Project Managerin auf, bis sie 2007 zur Kreativdirektorin im Upper-Class-Level befördert wurde. Seit diesem Zeitpunkt war sie für zwanzig Prozent der Kampagnen der Firma zuständig, mit Designern, Geschäftsleuten und den oberen Zehntausend auf Du und Du und ein Hohes Tier in ihrer Branche. Für ein Mädchen aus Red Oak (und wahrscheinlich auch für jedes andere Mädchen aus jeder anderen Stadt der Erde) war dies eine großartige Karriere. Und als i-Tüpfelchen hatte Ken Radcliffe bei der letzten Weihnachtsfeier anklingen lassen, dass er und sein Partner Craig Rider darüber nachdachten, Lorelai zur Partnerin der Firma zu machen – in spätestens drei Jahren.
„The Commercialists“ waren indirekt auch dafür verantwortlich, dass es Lorelai jetzt so schlecht ging und in den ersten Tagen der Trennung hatte sie tatsächlich den Gedanken gehabt, dass es wohl das Beste gewesen wäre, niemals eine Bewerbung an die Firma geschickt zu haben – dann hätte sie Rob auch niemals kennengelernt. Im Büro nämlich war sie Robert Walters, ihrem nunmehrigen Exverlobten das erste Mal über den Weg gelaufen. Rob arbeitete für eine Bank, die die Finanzierungen für einige Kampagnen auf die Beine stellte. Er war Mitte dreißig und wohl der Prototyp dessen, was man einen Womanizer nannte. Mit seinem markanten Gesicht, den immer perfekt gestylten, dunklen Haaren, vielmehr aber mit seiner offenen, direkten Art, mit Frauen umzugehen, hatte er schon die eine und andere Sekretärin bei „The Commercialists“ abgeschleppt. Rob hatte nie einen Hehl daraus gemacht und die Frauen konnten sich wenigstens nicht beklagen, nichts von seinem "Charlie Sheen" ähnlichem Lebensstil gewusst zu haben, wenn er sie nach einer gemeinsamen Nacht wieder abservierte. Das Arschloch-Gehabe stand Rob gut, es kam bei den Ladys an und das wusste er auch.
Das erste Projekt, das Lorelai bei The Commercialists erstmals selbstständig abwickelte, war die Winterkampagne für den Designer Javier Demante, einen Modeprinzen, der das Land im Sturm eroberte und für seine Kampagne eine verrückte Idee nach der anderen präsentierte. Genau dieses Projekt wurde dem Designer von Robs Bank finanziert, und wie der Teufel es wollte, war er auch der zuständige Bearbeiter, mit dem Lorelai mehr oder weniger eng zusammenarbeiten musste. Es dauerte nicht lange, bis Rob Gefallen an seiner Geschäftspartnerin gefunden hatte und ihr einen Platz ganz oben auf seiner „To-do-Liste“ – er sprach bei Freunden und Kollegen immer von seiner „To-do-Liste“, wenn er gewisse Frauen, die er noch nicht herumgekriegt hatte, unbedingt noch „abschießen“ wollte, gegeben hatte, nicht etwa allein deshalb, weil sie attraktiv war, sondern vielmehr wegen ihres bissigen Charakters. Sie war jemand, der seine Ziele mit Nachdruck verfolgte und für gewöhnlich bekam, was sie wollte. Er gehörte offensichtlich nicht dazu. Schon allein aus diesem Grund war diese quirlige Prinzessin mit den pechschwarzen Haaren – er hatte ihr den Spitznamen Schneewittchen verpasst, und scheute, provokant, wie er war, auch nicht davor zurück, sie mit diesem Namen in Meetings, aber auch in Briefen, Telefonaten, Präsentationen und Mails anzusprechen – äußerst reizvoll für ihn. Als sie es dann schaffte, dem Vorstand der Bank eine Finanzierung für die Demante-Kampagne aus den Ärmeln zu leiern, die um knappe vierzig Prozent höher war, als jene, die seinerzeit veranschlagt wurde, war es um Rob geschehen. Er brauchte fast drei Wochen, in denen er jeden Tag in ihrem Büro anrief, E-Mails schrieb, Blumen schickte und sogar des Öfteren Nachrichten bei den beiden Geschäftsführern hinterließ, bis sie – um endlich ihre Ruhe vor seinen Avancen zu haben – in ein Abendessen einwilligte.
Zu diesem Zeitpunkt war Rob längst nicht mehr an nur einer Nacht mit Lorelai interessiert. Aus dem Abendessen, zu dem sie sich eigentlich nur hatte hinreißen lassen, weil es ihr peinlich war, wenn Ryder und Radcliffe wieder einmal mit einem Post-it vor ihrer Nase wedelten, auf welches sie Robs Nachricht für sie aufgeschrieben hatten, das mit den Worten „Liebes Schneewittchen ...“ begann, und sie grinsend dazu zu überreden versuchten, ihm wenigstens ein Essen zu gewähren, wurde ein ernsthafte und fünf Jahre dauernde Beziehung.
An Heiligabend vor zwei Jahren hatte Rob ihr einen Heiratsantrag gemacht. Ganz schlicht und einfach, als sie zu zweit unter dem Weihnachtsbaum saßen und sich gegenseitig ihre Geschenke überreichten. Er war vor ihr auf die Knie gegangen, hatte ein kleines, rotes Samtschächtelchen mit einer goldenen Verzierung darauf aus seiner Hosentasche geholt und sie mit Tränen in den Augen gefragt, ob sie ihn heiraten wolle und ihn damit zum glücklichsten Mann der Welt machen würde. Sie hatte – ebenfalls mit Tränen in den Augen ja gesagt und war in seine Arme gefallen. Am nächsten Tag waren sie zu Robs Eltern nach Long Island gefahren und hatten die frohe Botschaft dort verkündet. Lorelais Familie, bestehend aus ihrer Mutter Marge und ihrer Großmutter Ellen hatte sie bei dem Telefonat, das sie immer zu Neujahr führten, darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie in absehbarer Zeit heiraten würde, und dass sie unbedingt wollte, dass ihre Mum und ihre Grandma an der Hochzeit teilnahmen. Ellen hatte darauf geantwortet, dass sie selbstverständlich nach New York kommen würden, wenn die Hochzeit stattfand, doch sie hatte genauso gut wie ihre Enkelin gewusst, dass sie dies nur des lieben Friedens willen gesagt hatte. Lorelai hatte ihrer Mutter und ihrer Großmutter schon des Öfteren Einladungen geschickt. Zweimal hatte sie sogar Tickets gekauft und per Boten nach Red Oak bringen lassen, doch die Flugscheine waren jedes Mal wieder zurückgekommen – gefolgt von einem entschuldigenden Anruf aus Red Oak, in welchem ihre Großmutter oder ihre Mutter unter Vorhaltung irrelevanter Tatsachen zu erklären versuchte, dass sie – dieses mal – nicht kommen konnten, beim nächsten Mal aber bestimmt nach New York fliegen würden.
2
Der Tag, der Lorelais Leben so vollständig auf den Kopf stellen sollte, war ein Donnerstag gewesen. Donnerstag war der Abend, an dem Lorelai für gewöhnlich mit ein paar Kolleginnen auf einen After-Work-Drink in die Cocktailbar in der 93. Straße ging und selten vor elf nach Hause kam. An diesem Donnerstag jedoch würde sie Cocktails gegen Hustensaft und Wärmeflasche eintauschen müssen. Sie hatte schon den ganzen Vormittag über mit einer Frühlingsgrippe gekämpft, fühlte sich fiebrig, verschnupft, hatte Halsschmerzen und hustete, was das Zeug hielt.
„Hey, wie sieht‘s heut aus mit ein paar leckeren Pina Coladas?“
Sally Friedman, eine Junior Art Directorin steckte ihren Kopf in Lorelais Büro, und Lorelai schrak von der E-Mail hoch, die sie gerade vertieft gelesen hatte. Es war eine unausgesprochene Regel, dass Sally jeden Donnerstag um kurz vor drei sämtliche Büros abklapperte, und die Truppe zusammentrommelte.
„Tut mir leid, Sally, ich muss heute passen“, schniefte Lorelai und wischte mit einem Taschentuch über ihre Nase, „ich glaube, ich brüte irgendwas aus!“
Sally schlüpfte in Lorelais Büro, warf einen Blick auf die Tonnen von Taschentüchern, die sich über Lorelais Schreibtisch verteilten, und die auch fast den ganzen Papierkorb für sich eingenommen hatten. Dazwischen standen Packungen mit Aspirin und Hustensaft, Nasenspray und eine übergroße Kanne Tee.
„Du siehst auch echt übel aus, Lori“, sagte Sally mitfühlend, „du solltest wirklich zusehen, dass du so schnell wie möglich nach Hause kommst. Ich bin mir sicher, Rob pflegt dich so schnell wie möglich gesund!“
Grinsend, und dennoch mit mitfühlendem Blick verließ sie Lorelais Büro.
Um halb sieben, viel zu spät für jemanden, der sich mit einer Grippe herumschlug, fuhr Lorelai ihren Computer herunter und machte sich auf den Heimweg. Die Kopfschmerzen waren jetzt so stark geworden, dass es sich anfühlte, als würde eine Truppe Bauarbeiter mit Presslufthammern ihre Gehirnzellen bearbeiten. Ihr Nacken schmerzte und ihre Stimme war auf dem besten Weg, sich zu verabschieden. Das Einzige, was sie sich an diesem Abend noch wünschte, war ein heißes Erkältungsbad gefolgt von ebenso heißem Tee, ihren flauschigen Pyjama mit den Teddybären, den sie nur dann herauskramte, wenn sie – so wie jetzt – krank war und einen Abend, dick eingepackt auf der Couch vor dem Fernseher. Vielleicht würde sie morgen einen Homeoffice-Tag einlegen, damit sie am Montag wieder fit und voll Tatendrang war. Jetzt galt es aber erst einmal, nach Hause zu kommen und sich von Rob bemuttern zu lassen.
Das Appartement, das sie gemeinsam mit Rob bewohnte, lag in der 63. Straße in einem schicken, modernen Appartementhaus. Es war ihr Appartement gewesen und Rob hatte, als sie zusammengekommen waren, mehr und mehr von seinem Zeug angeschleppt, bis sie schließlich beschlossen, dass es sinnvoller war, wenn er sein Appartement, das ohnehin die meiste Zeit leer stand, aufgab.
Die Wohnung lag im 24. Stock und bot an klaren Tagen eine wunderbare Aussicht auf Manhattan. Lorelai schloss die Tür auf und bekam einen neuerlichen Hustenanfall, der sich anfühlte, als hätte sie ein Paket Nähnadeln geschluckt. Sie warf die Tür hinter sich ins Schloss, schlüpfte im Gehen aus ihren Pumps und verzichtete darauf, sie in den Schuhschrank zu stellen. Ihre Louis-Vuitton-Tasche stellte sie auf dem kleinen Tischchen an der linken Wand unter der Garderobe ab. Ihr war heiß. Sie überlegte, wie hoch das Fieber wohl war, das sie sich mit dieser Grippe eingefangen hatte und beschloss, sich am nächsten tatsächlich krankzumelden.
Sie schlurfte ins Wohnzimmer, vorbei an der großen, weißen Polstercouch und hielt erst einmal inne. Ein dunkelblauer, schmal geschnittener Rock hing halb über der Lehne. Ein Rock, der ihr definitiv nicht gehörte. Zu ihren Grippebeschwerden gesellte sich von einer Sekunde zur nächsten Übelkeit und ein Gefühl von Ohnmacht. Kalter Schweiß hatte sich auf ihrer hellen, jetzt schon bleichen, Stirn gebildet. Sie hielt kurz inne und griff mit ihrer rechten Hand nach der Lehne der Couch, um sich abzustützen. Bestimmt gab es eine Erklärung für den Rock. Vielleicht hatte Rob ihn ihr gekauft und ihn dann auf diese plumpe Art und Weise hier platziert – warum auch immer. Oder er gehörte ihr ohnehin und sie erinnerte sich nur nicht daran, weil sie ... im Fieberwahn war?
Sie hatte Angst, ins Schlafzimmer zu gehen, und ihr Bewusstsein versuchte immer noch, sich gegen das Unterbewusstsein durchzusetzen und ihr einzureden, dass dort nichts und niemand war. Nur das Schlafzimmer mit dem Bett, aus dem sie heute Morgen gemeinsam aufgestanden waren, das sie, bevor sie ins Büro gefahren war, noch schnell gemacht hatte, und dass es für den Rock vermutlich eine ganz harmlose Erklärung gab. Möglicherweise hatte auch Trudy, ihre Haushälterin ihn hier vergessen. Trudy selbst war zwar eine etwas fülligere Erscheinung, aber Lorelai wusste, dass sie zwei Töchter Anfang zwanzig hatte, denen der Rock gehören konnte. Vielleicht hatte Trudy ihn mitgebracht, um ihn in der Reinigung an der Ecke abzugeben oder ihn ändern zu lassen, oder … Gott weiß was.
Langsam ging sie einen Schritt auf das Schlafzimmer zu, das direkt hinter dem Wohnzimmer lag. Sie lauschte, konnte aber wegen des Verkehrslärms, der von der Straße heraufdrang, nichts hören. Wenn sie ehrlich mit sich war, wollte sie auch gar nicht hören, was da drin vor sich ging. Ihre Hand berührte den goldfarbenen Türknauf, sie zog sie aber umgehend wieder zurück.
„Am besten, du gehst jetzt ins Bad, nimmst ein, zwei Aspirin, packst dich zusammen und fährst in die 93., die Mädels aus dem Büro sind bestimmt noch dort. Du trinkst ein, zwei alkoholfreie Cocktails, oder noch besser Tee, und schreibst Rob dann eine SMS, dass du gegen neun zu Hause sein wirst, weil du dich nicht gut fühlst. Du wirst sicherheitshalber gegen halb zehn nach Hause kommen, Rob wird dir Tee gekocht und dir deinen Bärenpyjama herausgelegt haben und gerade dabei sein, dir ein heißes Bad mit dem Erkältungsbadeöl einzulassen, dass du von seiner Mutter bekommen hast, als du im letzten Herbst krank warst. Der Rock wird verschwunden sein und irgendwann wirst du gar nicht mehr wissen, ob er tatsächlich da gewesen ist, oder ob er nur ein Gespinst deines erkälteten Hirnes gewesen ist“, dachte sie. Doch kaum eine Sekunde, nachdem sie den Gedanken zu Ende gebracht hatte, griff ihre Hand erneut nach dem Türknauf, drehte ihn und öffnete die Schlafzimmertür.
Die Szene im Schlafzimmer wirkte im ersten Moment wie aus einer dieser Kinokomödien, in der die Protagonistin ihren Traummann mit einer anderen im Bett erwischte. Rob und das dunkelblonde Mädchen mit dem viel zu großen Mund, wie Lorelai fand, erstarrten, als die Schlafzimmertür aufging. Die Frau, Lorelai schätzte sie auf Ende zwanzig und verstand irrwitzigerweise in diesem Moment überhaupt nicht, warum Rob sich eine Affäre gesucht hatte, die genauso alt war, wie seine Verlobte, schnappte sich ein Polster und verdeckte damit ihren nackten Oberkörper. Robs kurzes dunkles Haar war durcheinandergewuschelt, so wie es auch war, wenn er morgens aufstand.
„Baby … es ist nicht so, wie du denkst“, rief Rob, schnappte sich die Bettdecke, wollte sie sich um die Lenden wickeln und auf Lorelai zugehen.
Lorelai wehrte ab.
„Wie ist es dann“, sagte sie verschnupft, monoton und geistesabwesend.
Sie war überrascht, wie ruhig sie reagierte. Sie erinnerte sich an ein Gespräch im Kreise ihrer Freundinnen, welches sich einmal mit der Thematik „In Flagranti erwischen“ beschäftigt hatte, und Lorelai war der Meinung gewesen, dass sie wahrscheinlich Amok laufen würde, wenn sie der Mann, den sie liebte, so hintergehen würde.
„Ich…sie…sie bedeutet mir nichts, Lorelai, das musst du mir glauben!“
Rob sah sie verzweifelt an. Seine Hände kneteten an dem Laken, das er um die Lenden hatte, als wäre es Kuchenteig.
Lorelai wandte sich an das geschockte dunkelblonde Mädchen, die sich immer noch das stahlblaue Satinpolster gegen ihren Oberkörper drückte und kaum zu atmen wagte.
„Du solltest dich besser anziehen und verschwinden“, sagte sie zu ihr.
„Und du gehst am besten gleich mit. Du hast zwei Stunden, um dein Zeug zu packen und aus meiner Wohnung abzuhauen“, wandte sie sich an Rob.
Mit der linken Hand griff er seine Boxershorts, die auf dem kleinen Nachtkästchen neben dem Bett lagen, und schlüpfte unbeholfen hinein.
„Lorelai bitte. Du kannst mich doch nicht rauswerfen. Ich liebe dich. Es steht so viel auf dem Spiel!“
Lorelai fühlte sich wie versteinert. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie das dunkelblonde Mädchen, sich immer noch das Polster vor den Körper haltend, in einen dunkelroten Slip schlüpfte, sich Jeans und ein weißes T-Shirt mit schwarzer Aufschrift schnappte und sich anzog.
„Ich werde nicht schreien, Rob. Ich werde nicht austicken und ich werde nicht weinen. Denn du bist nicht die geringste Emotion wert und Gott weiß, wie übel ich mich heute schon vor dieser Scheißaktion von dir gefühlt habe. Die Zeit läuft. Pack deinen Krempel und verschwinde aus meinem Leben!“
„Hör mir doch zu“, rief er erbost, fast so, als hätte sie ihn betrogen und lief ihr mit eiligen Schritten in den Flur nach. Seine nackten Füße machten dumpfe Geräusche auf dem Fliesenboden.
„Ich liebe dich Lorelai – wir sind verlobt. Wir wollen heiraten. Es – sie bedeutet mir gar nichts. Es tut mir leid. Es hätte nicht passieren dürfen. Lorelai!“
Sie blieb im Flur stehen und drehte sich um. Ganz langsam ging sie auf Rob zu, bis sie so nahe vor seinem Gesicht war, dass sie das Parfum der dunkelblonden an ihm riechen konnte. Ihr wurde erneut übel.
„Verschwinde aus meinem Leben, Rob. Und komm nicht mehr zurück!“
Wenige Stunden später saß Lorelai im Schneidersitz auf der Couch in ihrem Appartement. Sie hatte sich die volle Dröhnung Grippemedikamente gegeben, mehrere Aspirin, Hustensaft, Schmerzmittel gegen die Halsschmerzen und einen dickflüssigen, rosaroten Saft geschluckt, von dem sie noch nicht einmal genau wusste, wofür er gut war. Dann hatte sie sich ein eiskaltes "Corona" aus dem Kühlschrank geholt und getrunken. Rob war vor etwas mehr als einer Stunde mit einigen Reisetaschen verschwunden. Sein Freund Ray hatte ihn abgeholt. Die Dunkelblonde war sofort gegangen, nachdem sie fertig angezogen war. Als sie zur Tür hinaus war, hatte sie sich noch einmal umgedreht und Rob gefragt, ob er sie am nächsten Tag anrief. Rob hatte, als die Dunkelblonde verschwunden war, mehrmals versucht, noch einmal mit Lorelai zu reden, doch für sie gab es nichts mehr zu sagen.
„Du solltest deine Zeit nicht damit vergeuden, hier Süßholz zu raspeln, sondern deinen Kram zusammenpacken“, sagte sie ihm, ins Leere starrend, als er sich auf den Boden vor sie setzte und um Entschuldigung bat. Er versuchte, ihre Hände in die seinen zu nehmen, doch sie entzog sich seinem Berührungsversuch und sie erschauderte, als sie daran dachte, wo Robs Hände noch vor einer halben Stunde gewesen waren.
„Ach ja – und den hier nimmst du am besten auch mit!“
Sie zog den filigranen, weißgoldenen Verlobungsring von ihrem linken Ringfinger und erinnerte sich daran, wie glücklich sie gewesen war, als Rob ihn ihr geschenkt hatte. Sie warf ihm den Ring vor die Füße. Wortlos hob er ihn auf, betrachtete ihn für zwei Sekunden, steckte ihn in seine rechte Hosentasche und verschwand aus dem Wohnzimmer.
Es wirkte irgendwie irreal auf sie, dass all diese Dinge gerade mal sechs Tage, noch nicht einmal eine Woche, her waren.
„Vor sechs Tagen“, dachte sie, „warst du glücklich verliebt und hättest jeden für verrückt erklärt, der dir gesagt hätte, dass du in einer Woche nach Red Oak fliegst. Du hast tatsächlich gedacht, zu wissen, wie dein Leben in den nächsten zwanzig, dreißig, vierzig Jahren ablaufen wird.“
Kurz überlegte sie, ob es vielleicht besser gewesen wäre, an jenem Abend mit den Mädels aus dem Büro in die Cocktailbar zu gehen. Vielleicht hätte Rob die Affäre irgendwann von sich aus beendet. Hieß es nicht auch oft, dass Affären für eine Beziehung förderlich waren? Oder hätte sie sich selbst eine Affäre aus Rache zulegen sollen? Frei nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn?“ Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass ihr Kopf immer noch dröhnte und hämmerte und sich anfühlte, als wäre sie von einem LKW gestreift worden.
Die Idee, von New York – zumindest eine Zeitlang – wegzugehen, kam ihr Sonntag Vormittag. David Park hatte sie angerufen und gefragt, was denn in sie gefahren sei, dass sie Rob einfach so vor die Tür setzte. Dave und Rob kannten sich von der Uni, waren zwar keine guten Freunde, aber allemal gute Bekannte.
„Mann, Lorelai, er ist das totale Wrack. Hat die letzten drei Tage bei mir auf der Couch gepennt und ist jetzt zu seinen Eltern weitergezogen. Er hatte tierisch Panik, ihnen von der geplatzten Verlobung zu erzählen. Was hast du mit ihm gemacht“, fragte Dave und wirkte verständnislos.
„Ich dachte, ihr wart gemeinsam auf der Uni, David“, sagte Lorelai mit gelangweiltem Unterton. Sie hatte irgendwie vermutet, dass Rob, um seinen Ruf wenigstens halbwegs zu retten, eine komplett andere Geschichte auftischen würde, als eigentlich der Wahrheit entsprach. In seiner Version war sie vermutlich das männerfressende Monster, das ihn gleich mit sieben Kerlen betrogen hatte, während er dabei war, die Tischdeko für ihre Hochzeit auszusuchen. Ihre Stimme war wieder zurückgekehrt und die Grippe hatte sich auch fast zur Gänze wieder verzogen. Wahrscheinlich hatte ihr Körper beschlossen, dass der Herzschmerz schlimmer war, als die Grippe, und wollte sich nun ausschließlich auf diesen konzentrieren.
„Wie meinst du das?“
„Hat er Dir auch von der kleinen Dunkelblonden erzählt, der er unsere Laken gezeigt hat, als ich nach Hause gekommen bin?“
Am anderen Ende der Leitung herrschte betretenes Schweigen.
„Oh Scheiße, ich hätte wissen müssen, dass Du ihn nicht ohne einen triftigen Grund vor die Tür setzt“.
Dave wirkte beschämt.
„Aber er hat seine Version der Geschichte so … so real rübergebracht. Und er hat wirklich am Boden zerstört gewirkt. Ich hab wohl vergessen, dass er immer schon ein großartiger Märchenonkel war, was solche Situationen angeht!“
Lorelai erwiderte nichts darauf.
„Was hast Du jetzt vor – ich meine, privat kannst Du ihm aus dem Weg gehen, aber im Büro? Seine Bank finanziert die Kampagnen von fast sechzig Prozent unserer Kunden – da wird es sich nicht vermeiden lassen, mit ihm in Kontakt zu sein.“
„Ich weiß es nicht, Dave, ich weiß es nicht!“
„Du weißt doch, dass Du anrufen kannst, wenn Du reden willst oder sonst etwas brauchst?“
„Danke, das weiß ich. Bitte Grüße Rachel von mir!“
„Mach ich. Kopf hoch. Und halt die Ohren steif!“
Es war ein typischer Frühlingssonntagnachmittag in New York. Um zwanzig Minuten nach zwei, eine knappe Stunde nach dem Telefonat mit David Park fiel Lorelais Blick auf die Digitaluhrenanzeige ihres DVD-Players und sie stellte fest, dass sie – wäre dies ein gewöhnlicher Sonntagnachmittag gewesen – wohl gerade mit Rob irgendetwas unternehmen würde. An einem normalen Frühlingssonntag wären sie gegen acht aufgestanden, dann eine Runde im Central-Park gejoggt und gegen elf zum Brunch bei "Tristans", zwei Blocks weiter, gegangen. Sie hätten auf der Terrasse gesessen, gegessen, wahrscheinlich wie so oft über die Hochzeit gesprochen und über so manche Leute gelästert. Später wären sie nach Long Island zu Robs Eltern gefahren – oder rüber nach Coney Island. Am Abend hätten sie sich Pizza bestellt und das Wochenende bei einem guten Film ausklingen lassen. Stattdessen saß sie verheult auf der Couch und fühlte sich so verloren wie noch nie. Die Sonntage voller Unternehmungen mit Rob schienen niemals real gewesen zu sein, so als hätten sie in einem parallel verlaufenden Universum existiert, nicht aber in Lorelais Welt.
Ihr Kopf war schwer und schmerzte von all den Tränen, die sie an den vergangenen Tagen vergossen hatte. Irgendwann war doch alles über sie hereingebrochen, obwohl der erste Abend ohne Rob erstaunlich ruhig und emotionslos verlaufen war. Das Aufwachen am Freitag war – jetzt im Nachhinein betrachtet – das Schlimmste gewesen. Irgendwann gegen drei Uhr früh war sie, halb auf der Couch hängend, in einen unruhigen Schlaf gefallen und um kurz vor sechs wieder aufgewacht, als die Sonne aufging, die ersten paar Autos, das allmorgendliche Hupkonzert starteten und hin und wieder ein Vogel zwitscherte. Als sie die Augen an diesem Freitagmorgen öffnete und in den ersten Sekunden gar nicht wusste, warum sie auf der Couch lag und nicht neben Rob im Bett, waren die angenehmsten Augenblicke des Tages, der noch mit voller Wucht mit all seinen Erinnerungen und Bildern des Vortags auf sie einbrechen sollte.