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Was man im Laufe der Zeit so alles erlebt! Banales, Außergewöhnliches, Aufregendes, Amüsantes, Nachdenkliches. Aus kleinen Beobachtungen und alltäglichen Geschehnissen aus mehreren Jahrzehnten entstanden 37 neue Geschichten, die für die erlebnisreiche Reise von meiner Heimatstadt Bottrop zu meinem Lieblingsort Bad Reichenhall gesammelt und verarbeitet worden sind. Sozusagen zwischen Haldenblick und Alpenpanorama, zwischen Kohle und Salz. Durchaus erneut mit einem Augenzwinkern oder auch mal aus einem schonungslosen Blickwinkel.
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Seitenzahl: 204
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Ludger Fleischer, geboren 1963 in Bottrop, seit über 60 Jahren Kind des Ruhrgebiets, beruflich in der Heimatstadt als Rechtsanwalt tätig, hat 2016 eine neue Liebe entdeckt: die leidenschaftliche Beziehung zu Bad Reichenhall.
Dieser Umstand und die immer schon vorhandene Neigung zum Spiel mit der deutschen Sprache haben dazu animiert, nach dem Erfolg des ersten Teils weitere Geschichten mit Erlebnissen aus beiden Welten und aus dem Raum dazwischen zu präsentieren.
Vor kurzem hat er zudem mit »Verzockt in Bad Reichenhall« seinen Debütkriminalroman veröffentlicht.
Links: Bergmann-Statue am Rathaus Bottrop
Rechts: Flötenspieler-Statue im Kurgarten Bad Reichenhall
1. »I wui hoam nach Reichahoi«
2. »Bottrop 7«
3. »Und um 6 Uhr kommt die Müllabfuhr und holt den ganzen Plunder«
4. »Dat is dem Papa seiner«
5. »Jacken und Gepäckstücke haben keinen eigenen Anspruch auf einen Sitzplatz«
6. »Nunu muss mit«
7. »Die müssen doch auch endlich Feierabend haben«
8. »Es muss wenigstens immer rollen«
9. »Ich werde euch jetzt die ersten Flötentöne im Englischen beibringen«
10. » Saguquga im Grugabad«
11. »Beugen Sie sich mal nach vorn«
12. »Das ist des Pudels Kern«
13. »Die hat aber ordentlich Holz vor der Hütt’n«
14. »Ich habe einen Tanz und 1000 Fragen«
15. »Wenn’s aus is’, is’ aus«
16. »Verpfiffen bis zur Steinzeit und zurück«
17. »Mir ist nicht mehr zu helfen«
18. »Die letzte Viererreihe ist hart«
19. »Noch sind die Früchte oben«
20. »Eine Schallplatte ist es nicht«
21. »Sie haben die zulässige Parkzeit überschritten«
22. »Draußen gibt’s nur Kännchen«
23. »Junge, trink dir lieber ein Bier«
24. »Das ist mir wieder nachgelaufen«
25. »Da kommt der Ball in die Box«
26. »Nudeln nach Packungsanweisung kochen«
27. »Einmal bitte Schrauben nachziehen«
28. »TV-Star mit neuer Frisur«
29. »5555, aber psssst«
30. »Die sind alle bekloppt heute, sind die«
31. »Wer ist eigentlich Helmut Mühleisen?«
32. »Ich hab‘ Lampenfieber«
33. »Menschen von nebenan und im Zug«
34. »Die kriegen den Hals nicht voll«
35. »Haben wir die auch in 36?«
36. »Es steht ein Update zur Verfügung«
37. »Ja mei, wo seid S‘ gestern no g’wesn?«
Anhang 1: »Wer kennt sich aus?«
Anhang 2: »Bad Reichenhall, welch wunderschönes Stückerl Land«
Sie, liebe Leserinnen und Leser, haben es nicht anders gewollt, und ich hatte es angedroht: Wird der erste Teil ein Erfolg, gibt es eine Fortsetzung. Konkret: Vor Ihnen liegen ein Quiz, ein Gedicht und weitere 37 Geschichten, die sich tatsächlich so oder zumindest ganz ähnlich abgespielt haben. Lediglich zum besseren Verständnis habe ich an einigen Stellen winzige sinnvolle Ergänzungen vorgenommen. Es geht ein weiteres Mal zwar nur um geschilderte Beobachtungen und kleine Alltagsbegebenheiten, teils garniert mit wissenswerten Daten, Zahlen und Fakten; aber die kleinen Geschehnisse sind es doch letztlich, die nach wie vor das Salz in der Suppe des Lebens ausmachen. An der einen oder anderen Stelle erlaube ich mir wiederum die eine oder andere kritische Auseinandersetzung und nehme die eine oder andere Abrechnung mit dem oder der einen oder anderen vor. Die Schippe steht bereit, um so manchen und so manches darauf zu nehmen.
Ich nehme Sie nun mit auf die knapp 800 Kilometer lange Reise durch Deutschland von Bottrop nach Bad Reichenhall, aber auch durch mehrere Jahrzehnte. Sozusagen quer durch die Republik und durch mein Leben, aus dem Sie ungeahnte Einblicke erhalten.
Unterwegs lässt sich erneut spielend eine Brücke zwischen Bottrop einerseits und Bad Reichenhall andererseits schlagen, wobei es am Rande auch wieder ein wenig um Salz und Kohle gehen wird.
Übrigens: Wenn ich eine bestimmte Geschlechtsform benutze, sind automatisch immer alle anderen Formen mitgemeint. Gendersprache und Binnen-I‘s werden Sie nicht finden, Asteriske allenfalls bei Fußnoten.
Verrückt nach Reichenhall
›Verrückt nach Meer‹ und den Ableger ›Verrückt nach Fluss‹ mit Kapitän Hansen von der ›Brrrüge‹ kennt man inzwischen aus der ARD aus unzähligen Staffeln und mindestens dreimal so vielen Wiederholungen. Bei ›Verrückt nach Reichenhall‹ handelt es sich um eine bislang unveröffentlichte Eigenproduktion des Autors, die jedoch den Punkt ziemlich genau trifft und geradezu danach ruft, in Dutzenden von Folgen verfilmt zu werden. Aber alles hübsch der Reihe nach:
Bereits im ersten Teil dieses Buches im Jahr 2018 ging es um meine ausgeprägte und mitunter merkwürdige Liebesbeziehung zu Bad Reichenhall. Meine liebe Andrea, die ich über mein Debütwerk kennenlernen durfte und mit der ich seitdem freundschaftlich verbunden bin, hat es damals so zusammengefasst: »Eine liebevolle Hommage des Autors an die Stadt Bad Reichenhall wie sie schöner nicht sein könnte, ohne dabei die eigene Heimat zu vergessen: Bottrop! Über 800 km entfernt, ertönen vom tiefsten Westen Deutschlands bis in den südöstlichen Zipfel wundervolle Erzählungen, wissenswerte Fakten, humorvolle Erlebnisse und dankbare Momente. Locker-leicht geschrieben. Humorvoll, mit einem Augenzwinkern und voller Esprit. Wer also, gedanklich oder auch live einmal die Reise vom Ruhrpott nach Bad Reichenhall antreten möchte, der lasse sich darauf ein. Auf das Buch und auf die Reise! :-).«
Schöner kann man es einfach nicht ausdrücken. Zu ergänzen bleibt von meiner Seite lediglich: Selbst schuld, wer den ersten Teil noch nicht gelesen hat.
Seitdem sind ein paar Jahre vergangen, und aus dem anfänglich zaghaften Flirt ist eine innige Liebe geworden. Wie bei Roland Kaiser, der in seinem etwas unbekannteren Lied ›Affäre‹ über die Stadt Dresden, in der jährlich seine ›Kaisermania-Konzerte‹ stattfinden, bemerkt: »Nur eine Affäre sollte es werden … Doch die Affäre wurde zur Liebe«. So spielt das Leben manchmal. Man findet einen Ort der inneren Verbundenheit, der einen nicht mehr loslässt, wobei man gar nicht genau weiß, warum das so ist. Für die einen heißt der Platz Mallorca oder Rhodos, für die anderen ist es der Nordseestrand oder gar Amerika; ich kenne eine Dame aus dem Rheinland, die sich nicht mehr von Hurghada lösen konnte und zwischenzeitlich in Ägypten lebt. Nicht umsonst ist die Serie ›Die Auswanderer‹ so beliebt. Umgekehrt weiß ich von jemandem, der nach Mittenwald auszog und wieder zurückkehrte. Schon ein bisschen crazy, wo man den ›Nabel der Welt‹ hin, zurück und manchmal wieder weg verortet. Von der großen weiten Welt und den sieben Weltmeeren habe ich zugegebenermaßen nicht allzu viel gesehen, aber ich hatte nie ein ausgeprägtes Bedürfnis danach. Bei mir ist es einfach Bad Reichenhall geworden.
Dabei sind die Vorlieben so unterschiedlich. Während ich die Berge und deren gesamtes Ensemble drumherum über alles liebe, genießt meine Schwester lieber den Norden mit den Inseln und Küsten; nur ab und zu zieht es sie in den Süden. Selbst auf einer einsamen Hallig ohne größere Infrastruktur fühlt sie sich wohl. Ein Lieblingsort – so viel darf ich verraten – ist Egmond aan Zee. Vielleicht auch deshalb, weil mein Schwager Egbert im Vornamen denselben Wortstamm hat.
Es gibt nicht viele Dinge, wegen derer Sie mich nachts wecken dürften, aber eine Fahrt nach Bad Reichenhall gehört neben der Aussicht auf einen schönen Ski- und Schneetag auf jeden Fall dazu, während Sie für Superbowl, Autorennen oder Angeln gehen – Letzteres ist für mich genauso (ent-)spannend wie etwa Bierdeckelsammeln - gar nicht erst auf die Idee kommen sollten, mich aus dem Schlaf zu holen. Mein Auto kennt die Strecke aber ohnehin im Schlaf: A42, A3, A9, A99, A8, fertig. Alternativ bei Stau oder zur Abwechslung A2, A1, A44, A7, A3, A9, A99, A8, Ankunft. Die Autobahn ist vom Start und Ziel jeweils fast nur einen Katzensprung entfernt. Wenn die Technik bei den Autos weiter fortschreitet und diese irgendwann einmal autonom fahren, könnte ich sogar beruhigt bis zum Ziel weiterschlafen.
Nun ist meine Verbindung zu Bad Reichenhall - das wird jetzt keinen von Ihnen wundern - in den letzten Jahren stark gewachsen. Durch zahlreiche regelmäßige Aufenthalte, durch Veranstaltungen und nicht zuletzt durch meinen ersten Alpenstadtkrimi ›Verzockt in Bad Reichenhall‹, der vollständig im Kurort spielt und viel Lokalkolorit beinhaltet, sind neue Bekanntschaften und Freundschaften entstanden. Es ist jedes Mal wie Nach-Hause-Kommen, als hätte ich dort mein ganzes bisheriges Leben verbracht. Gefühlt kenne ich dort jeden Baum und jede Straße. Nageln Sie mich aber bitte auf Letzteres nicht fest!
Zugegeben ist auch in Bad Reichenhall längst nicht alles Gold, was glänzt. Viele prächtige Bauten aus der Glanzzeit sind verblasst oder gar verschwunden, denken wir nur an das Hotel ›Axelmannstein‹, das ›Luisenbad‹, an den ›Hofwirt‹ oder das Alpenhotel ›Fuchs‹, dessen über Jahre dahinsiechende Ruine nun endlich abgerissen worden ist. Spricht man mit Einheimischen über frühere Zeiten, so erinnern die sich noch wehmütig an die ›Graue Katz‹, den ›Fuchsbau‹ oder die ›Fischerbräuwiese‹, an tägliche Tanzabende mit Live-Musik in wechselnden Lokalen. Leider habe ich die Zeit, als aus dem Berggasthaus am Schroffen noch TV-Veranstaltungen wie die ›Lustigen Musikanten‹ mit Marianne & Michael gesendet wurden, nicht erlebt.
Auch in der Alpenstadt sterben mit bedauerlicher Regelmäßigkeit Gastronomiebetriebe, für die kein Nachfolger gefunden wird und die trotz meiner guten Wünsche im ersten Buch das Überleben nicht geschafft haben, so die ›Padinger Alm‹, der ›Listwirt‹, die ›Obermühle‹ oder jüngst der Almgasthof ›Kugelbachbauer‹. Wer wird der nächste sein? Erfreulicherweise gibt es aber auch immer wieder Übernahmen und Neueröffnungen wie kürzlich beim ›Seewirt‹.
Auch in meinem Traumort gibt es kleinere Schandflecke und Missstände, nur gefühlt eben viel weniger als in unserer auf allen Ebenen abgehängten Region. Die Reichenhaller können sich insgesamt immer noch glücklich schätzen, bietet die Stadt doch so viel Positives. Wir reden in Bad Reichenhall vielleicht von einer schmerzlich fehlenden Lichtquelle auf dem Nonner Steg, von einer nicht durchgehend einheitlich gepflasterten Fußgängerzone oder einem hässlichen Anblick eines Grundstücks zwischen Post- und Ludwigstraße. Das würden wir bei uns im Ruhrgebiet unter ›Paradiesische Zustände‹ unterschreiben, knicken, lochen und abheften. Die Stadt rangiert in puncto Lebenserwartung, Luftqualität, Kaufkraft und in vielen weiteren lebenswichtigen und lebenswerten Kategorien in verschiedenen Deutschland-Rankings ziemlich vorn. Das Umland der Stadt ergänzt das eigene bereits famose Angebot, eine Symbiose aus städtischem Flair, intakter Natur und abwechslungsreicher Kultur, bestens.
Die folgende Beschreibung des Berchtesgadener Landes finde ich noch dazu passend: »Der abwechslungsreiche Naturraum gliedert sich in den voralpinen, hügeligen Rupertiwinkel im Norden, die alpine Wellness-Region Bad Reichenhall / Bayerisch Gmain in der Mitte und die hochalpinen Bergketten rund um Berchtesgaden im Süden.« Mein Zusatz: Nicht zu vergessen sind der angrenzende Chiemgau und das einen Steinwurf entfernte Salzburg mit seiner gleichnamigen Region. Was will man mehr?
Ich bin glücklicherweise mit meinem ›BR-Spleen‹, wie ich ihn immer nenne, nicht allein. Als ich mit meinem Kumpel Bernhard, von dem noch öfter die Rede sein wird, vor einiger Zeit wieder mal in Bad Reichenhall aufschlug, trafen wir zufällig in der Brauerei auf ein Ehepaar, welches sich ebenfalls als ›Reichenhall-verrückt‹ entpuppte. Nachdem wir ins Gespräch gekommen waren, gestanden sie uns, dass sie seit ewiger Zeit - wenn möglich - mehrfach im Jahr nach Bad Reichenhall reisen. Gut, sie haben es nicht ganz so weit wie ich, kommen sie aus der schönen Stadt mit der Porta Nigra, aus Trier. Sie haben sogar bereits Anschluss an die Einheimischen gefunden, was durchaus für Letztere spricht, wird doch hierzulande immer davor gewarnt, dass die Bayern so stur seien, und man dort nicht herzlich aufgenommen werde. Das habe ich bislang nirgendwo feststellen können. Ja, Heike und Marc haben wie weitere Personen auch die Reichenhall-Infektion, für die es - soweit ich weiß - keine Impfung gibt, und so sind wir schon eine stattliche Anzahl in dieser Gruppe, wie ich konstatieren muss. Es würde sich beinahe lohnen, eine eigene Facebook-Gruppe oder sogar eine Gruppe der leibhaftig existierenden Unheilbaren zu eröffnen. Zum Gruppentreffen bräuchten wir einen langen Tisch im Brauereigasthof.
Im Laufe der Jahre durfte ich etliche Einheimische, aber auch zugereiste Dagebliebene aus – alphabetisch sortiert und ohne Anspruch auf Vollständigkeit - Berlin, Herne, Ludwigsburg, Marktheidenfeld, Marl, Ratingen und Waldshut-Tiengen kennenlernen, wobei ich bislang nie vernommen habe, dass jemand zurück möchte. Selbst einen Lautern-Fan habe ich schon an der Theke einer Gaststätte beim gemeinsamen Fußballschauen getroffen. Anmerkung: Wer den ersten Teil gelesen hat, weiß, dass ich Sympathisant der Roten Teufel vom 1. FC Kaiserslautern bin.
Ach, so klein ist die Welt übrigens: Das ›Kleine Filmmuseum‹ in Karlstein wird von einer Bottroperin und ihrem Lebenspartner betrieben.
Mein Interesse an der Stadt ist ungebrochen und allgegenwärtig. Die ersten Mausklicks am Morgen gelten den Bad Reichenhaller Regionalnachrichten der ›Bayernwelle‹, der ›pnp‹ und denen von ›bgland24‹ sowie der Webcams der Stadt. So bin ich immer auf dem neuesten Stand und hole mir wenigstens ein Stück Alpenstadtfeeling an den Bottroper Schreibtisch. Wie wäre man nur früher ohne Internet an die Informationen gekommen? Nichts indes geht über möglichst häufige Live-Aufenthalte vor Ort. Schließlich muss ich ja nach dem Rechten schauen.
Kaum bin ich zurück aus Bad Reichenhall, habe ich jedenfalls wieder Heimweh. Und so bleibt mir in Abwandlung des Refrains des STS-Hits ›Fürstenfeld‹ nur Folgendes:
»I wui wieder hoam, fühl mi do so alloa.
I brauch koa große Welt, i wui hoam nach Reichahoi.«
Ich singe auch nur still für mich. Versprochen.
Was ist in Bottrop nur schiefgelaufen?
Knüpfen wir also noch einmal an – an die Faszination Bad Reichenhall, und werfen dafür einen Blick nach Bottrop. Alle eingefleischten Bottrop-Fans müssen jetzt gaaaanz stark sein oder mit Kapitel 4 weiterlesen. Man muss zwar nicht solch unflätige Worte wählen wie der Entertainer Klaas-Heufer Umlauf, der in seiner ProSieben-TV-Show für die Stadt die Attribute ›wie ein riesengroßer Misthaufen, farblos, durch Pfauendreck zugekackt schöner als vorher‹ übrighatte, aber im Grunde …
Bottrop liegt in der einstmals goldenen Bergbauregion, die auf den klangvollen Namen ›Ruhrgebiet‹ hört. Am 21.12.2018 war auf der letzten Zeche Deutschlands, nämlich ›Prosper-Haniel‹ in Bottrop, dann endgültig Schicht im Schacht. Das letzte Stück Steinkohle wurde an unseren Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier übergeben, welches nun sein Büro in Berlin ziert. Die wirtschaftliche Talfahrt des Ruhrgebiets war schon vorher in Gang gesetzt worden. Es fragt sich inzwischen nur, ob mit dem Wortteil ›Ruhr‹ wirklich der Nebenfluss des Rheins gemeint ist oder die Dysenterie. Sie fragen sich, was das ist? Ein anderer Name für die Ruhr, eine bakterielle Durchfallerkrankung, die früher gefürchtet war, führte sie doch in vielen Fällen zum Tode. Bottrop ist, auch wenn es einige nicht wahrhaben wollen, definitiv zumindest schwer erkrankt mit Tendenz zur Verschlechterung des Allgemeinzustandes.
Beim Städteranking der Zeitschrift ›Wirtschaftswoche‹ im Jahr 2022 belegte Bottrop von 71 Großstädten in Deutschland einen desolaten Platz 64 (71. und letzter Platz beim Zukunftsindex, 66. Platz im Niveauranking und 59. Platz im Dynamikranking), der ›Stern‹ vergab sogar Platz 71 an die Stadt. In allen Bereichen sieht es eher mies aus. Egal, was man von diesen Erhebungen halten mag, wirklich lebenswert ist es in meiner Heimatstadt leider nicht mehr. Und das sage ich als einstmals überzeugter Bottroper Junge mit 60 Jahren Bottrop auf dem Buckel.
Stichwort ›Abgehängte Region‹: Dass Bottrop eine von nur elf deutschen Großstädten ohne Fernreiseanschluss ist, ist nicht leicht änderbar und soll keinen Vorwurf darstellen, anderes schon. Kommen Sie also mit nach Bottrop, los, trauen Sie sich:
Die Innenstadt gleicht allmählich einer Geisterstadt. Die ehemals belebte Hansastraße ist von Leerständen geprägt und versprüht zu allen Tages- und Nachtzeiten Grusel pur. Gemäß einer Umfrage geben die Bottroper das Geld nicht vor Ort aus, sondern eher in Essen oder Oberhausen. Wer – wie viele Ältere - nicht dorthin kommt, hat Pech gehabt und muss sich mit Grundversorgung begnügen.
Nach dem Aus des Vollsortimentwarenhauses ›Karstadt‹ nach 124 Jahren am Ort versuchte sich ein mittelständisches Unternehmen an der Herkulesaufgabe ›Kaufhaus in einer Großstadt‹ und scheiterte daran nach wenigen Monaten durch Insolvenz. Jetzt steht der Riesen-Kabachel seit 2016 wieder weitestgehend leer. Diesmal wird es wohl länger dauern, bis sich jemand erbarmt, der Bude Leben einzuhauchen, nachdem auch der letzte Inhaber 2023 in die Insolvenz gegangen ist. Die zwischenzeitlich wieder rückgängig gemachte Umbenennung in ›Althoff-Arkaden‹ half nichts. Mittlerweile heißt der Klotz nichtssagend dem allgemeinen, aus meiner Sicht völlig blödsinnigen Trend der Benennung von Geschäftsgebäuden folgend ›Bottrop 7‹. Schlimmer geht’s nimmer, wobei die Bezeichnung allerdings nicht alleinentscheidend für die missliche Situation sein dürfte. Ich wünsche den Entscheidern vielmehr sieben Sinne, um endlich die Bedürfnisse der Bürger zu erkennen. Festzuhalten ist, dass die Innenstadt in dem Moment des Zusperrens von ›Karstadt‹ gestorben ist. Man hat es nicht einmal wie in der wesentlich kleineren Nachbarstadt Gladbeck geschafft, ein Allround-Kaufhaus wie ›Müller‹ zu etablieren, welches sich auch in Bad Reichenhall großen Zulaufs erfreut.
Weitaus schlimmer finde ich es, dass sich Bürger, Gastwirte, Geschäftsinhaber und sogar Busfahrer an vielen Stellen der Stadt nicht mehr sicher fühlen und gewisse Plätze mehr und mehr meiden. Ich gehöre auch dazu.
Ein subjektives Ärgernis ist es, dass in der Innenstadt immer mehr Parkplätze verschwinden. Damit vergrault man die letzten Kaufinteressenten zielgerichtet, aber endgültig. Beispiel: Aus einem Parkstreifen für etwa zehn Fahrzeuge, der seit Jahrzehnten zum Kurzparken sinnvoll angelegt war, wurde ohne Not ein Aufenthaltsort mit teuren Bank- und Tischgruppen geschaffen, der nun vermüllt und dahinvegetiert. Sitzen will dort niemand an der Hauptverkehrsachse mit pausenlos vorbeidonnernden Autos, Bussen und Rettungsfahrzeugen auf dem Weg zum Krankenhaus. Warum ausgerechnet auf manchen Hauptverkehrsachsen nachts neuerdings Tempo 30 gilt, auf anderen nicht, dafür auf denen wiederum stundenweise tagsüber, erschließt sich mir nicht im Ansatz. Das Durcheinander und der zusätzlich lieblos angerichtete Schildersalat mit Hunderten von Verkehrszeichen jedenfalls sind für Autofahrer kaum noch erträglich.
Der schöne zentrale Brunnen auf dem Rathausplatz, der gern zum Verweilen genutzt wird, soll weichen, damit dort mehr Platz bei Veranstaltungen entsteht. Ich gehe zugunsten der Verantwortlichen davon aus, dass der Abbau des Brunnens und das geplante Erstellen eines Wasserspiels am Rande des Platzes den Steuerzahler nichts kosten wird. Wer’s glaubt. Das Kopfsteinpflaster der umlaufenden Fahrbahn soll auf das Niveau des Platzes angehoben werden, damit eine einheitliche Ebene entsteht. Dabei sieht der Platz, so wie er mit den Abstufungen angelegt ist, im Gegensatz zu vielen reparaturbedürftigen Stellen im Stadtgebiet intakt und vorzeigbar aus. Richtig, die Betrunkenen könnten bei den Veranstaltungen stolpern, was die Maßnahme sofort verständlich macht. Wir haben auch sonst keine Sorgen, denn Straßen, Schulen und andere Institutionen des Gemeinwohls brauchen kein Geld und sind gut in Schuss. Auf manchen Straßen im Stadtgebiet fährt man eher wie auf der aus der langjährigen WDR-2-Sendung ›Freie Fahrt ins Wochenende‹ bekannten Marterstrecke, auf der über 25 Jahre lang die Stoßdämpfer der Fahrzeuge und die Bandscheiben der Fahrzeuglenker getestet wurden. Na dann, auf zum Brunnenabbau und -neubau und zum sinnfreien Erneuern des schönen historischen Straßenbelages. Zuvor soll übrigens zu allem Überfluss das hübsche Pflaster um den schönsten Platz der Stadt in einem Teilbereich zugunsten eines Radweges noch gänzlich zerstört werden, was zwar auf deutliche Kritik stößt, die aber ungehört verhallen wird. Und ein Wasserspiel, das nicht zentral auf dem Platz plätschert, ist doch sehr gewöhnungsbedürftig.
Noch Fragen? Doch, eine habe ich noch: Was soll es dem gemeinen Bottroper bringen, wenn das seit einem Jahrzehnt leerstehende Einkaufszentrum zu einem edlen orientalischen Zentrum mit fernöstlicher Wellness, pompösen Geschäften und hochwertigen Angeboten unter anderem im Bereich Beauty, Schmuck und Brautmoden umgebaut werden soll und entsprechende Kunden aus dem gesamten Bundesgebiet anlocken soll? Zur Genesung der maroden Stadt ist dieses Projekt aus meiner Sicht jedenfalls nicht geeignet und wird zusätzliche Unruhe stiften. Ein Schlag ins Gesicht der Bürger! Was soll der ›Altgermane‹, von dem hier auch noch ein paar Exemplare leben, dort einkaufen? Er wird tunlichst einen weiteren Bogen darum schlagen. Wir Anwohner der angrenzenden Straßen freuen uns zusätzlich schon jetzt auf den Parkplatzkrieg vor unserer Haustür.
Es ist einfach nicht mehr meine Stadt! Weg hier!
Tja, da lebt es sich in Bad Reichenhall doch einen Tick besser. Die neue Tourismuschefin Ursula Friedsam sprach von einem magischen Ort, der mit seinen Schätzen das Gefühl von Geborgenheit vermittele. Bei Dienstantritt in einer solchen Position muss man sicherlich derartige Worte finden, aber in diesem Fall nehme ich sie ihr hundertprozentig ab. Eine Verbannung der Autos aus der Innenstadt ist dort weitgehend kein Thema, die kurze Parkplatzsuche endet regelmäßig mit Erfolg. Orientalische Einkaufstempel sind - soweit ich infor-miert bin – nicht geplant, die City mit ihrem breiten Branchenmix und hoher Verweilqualität präsentiert sich weitestgehend vital. Der öffentliche Nahverkehr ist prima aufgestellt, auch wenn einige Bürger die frühere Busanbindung des Stadtteils Nonn schmerzlich vermissen.
Einen weiteren großen Vorteil bietet das Berchtesgadener Land übrigens, auch wenn es dazu nichts kann: Wenn es in unseren von Beton dominierten Ruhrgebietsstädten im Sommer unerträglich heiß wird, ist es dort immer ein paar Grad kühler. Und wenn nicht, setzt man sich ans Gradierwerk, steckt die Beine in eines der Kneippbecken der Stadt oder fährt auf einen Berg hinauf. Oben ist es garantiert auszuhalten.
Zum Abschluss noch zwei kleine statistische Erkenntnisse: In Bayern gibt es eine 35-prozentige Wahrscheinlichkeit für weiße Weihnachten, in Bottrop liegt diese bei mageren sechs Prozent. Damit liegt die Stadt – was soll man anders erwarten? – auch in diesem Punkt auf dem zweitletzten Platz in Deutschland. In NRW wurden zudem im Jahr 2023 satte 34 Prozent aller deutschen Autobahnstaus (= 98.210 Staustunden) produziert, in Bayern trotz doppelter Fläche ganze 15 Prozent. Noch zwei Gründe zum Ortswechsel, oder?
Auf der ›Gladbecker‹ nachts um halb eins
Kennen Sie die KÖ in Düsseldorf oder die RÜ in Essen? Vergessen Sie alles, was sie über die feinen Gastronomiestraßen und Ausgehmeilen in Düsseldorf oder Essen gehört haben. Gehen Sie nicht dorthin, denn es gibt eine bessere Alternative, nämlich die GLA in Bottrop.
Es begann vor etwa elf Jahren. Ich zog in einen damals verwaisten Arm der Bottroper Fußgängerzone, die Gladbecker Straße, durch die in meinen Kindheitstagen noch die Straßenbahn von Bottrop nach Gladbeck gefahren war. Die Straße war 2013 durch ein paar kleinere Lädchen und Leerstände geprägt. Dazu gesellten sich einige alteingesessene Kneipen. Ganz nett war‘s trotzdem. Plötzlich entstand die Idee, daraus etwas ganz Großes machen zu wollen: Eine Gastromeile musste her, wobei Meile eher übertrieben klingt, handelt es sich doch um eine Strecke von gut 100 Metern. Es wurden also Kneipen und Restaurants aus dem Boden gestampft, was grundsätzlich ja lobenswert war und zu einer Wiederbelebung führte. Leider übertrieben die Macher aus meiner Sicht in die andere Richtung. Ständige Events und Aktionen bescheren den letzten dort lebenden Anwohnern regelmäßig schlaflose Nächte; Ladenleerstände gibt es bei hoher Fluktuation dennoch weiterhin zuhauf. Anfangs kam noch der Taxiverkehr mit Düddelütt-Funk bei geöffneten Türen, Dieselbrummen, Türenknallen und den Versuchen, die lautstark dummes Zeug labernden Betrunkenen sanft in den Fond zu setzen, hinzu. »Mensch Erna, war dat widder schön heute! Komm gut nach Hause! Tschühüss!«, bleibt mir in der 120 Dezibel-Version für immer in den Ohren. Der Taxitransit wurde irgendwann erfreulicherweise unterbunden. Der Ist-Zustand ist der: Bis morgens wird grundlos gelärmt, Das Partyvolk läuft hektisch hin und her, Betrunkene randalieren und urinieren an Schaufensterscheiben, Flaschen werden achtlos zu Scherben verarbeitet und in Hauseingänge geworfen. Aus voller Kehle verabschiedet sich die edle Feiergemeinde in Megaphon-Lautstärke zur allgemeinen Freude der Anwohner von den Mitfeiernden, wobei der Alkoholpegel dabei eine nicht unbeträchtliche Rolle spielt. Je später der Abend … na, Sie wissen schon. Gerne feiern einige Unentwegte nach Kneipenschluss auf den Ruhebänken mit mitgebrachten Getränken lauthals weiter, während man auf der Rückfront von bis zum Morgengrauen feiernden Hochzeitsgesellschaften verwöhnt wird. Ein Grauen, nicht erst am Morgen! Das Absurde ist, dass wir in exakt dieser Location, die damals unsere Stammkneipe war, vor einigen Jahren um Punkt 22 Uhr wegen des Ruhebedürfnisses der Anwohner unsanft mit unserem Bierglas ins Innere gebeten wurden. So ändern sich die Zeiten, nur nicht zum Besseren. Ausdrücklich möchte ich den Gastwirten keine Vorwürfe machen, achten sie doch gewissenhaft auf die Sperrstunden, aber in diesem Fall hat man die Rechnung zwar mit dem Wirt, aber ohne den unberechenbaren Gast gemacht.
Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Ich hätte so manches Mal, wenn ich gegen Morgen endlich für kurze Zeit zur Ruhe kam, nicht übel Lust gehabt, bei diesen Spezis am nächsten Morgen zu Hause vor der Tür ein bisschen Lärm anzufachen. Dann wären garantiert genau diese rücksichtslosen Volltrottel im Dreieck gesprungen, weil sie beim ausgiebigen Ausschlafen ihres Rausches gestört worden wären.
Zurück zur Vorzeigepromenade: Um 6 Uhr in der Früh - nicht nur am Mittwoch wie im Hit von Geier Sturzflug - kommt die Müllabfuhr und holt den ganzen Plunder. Genauer gesagt beseitigt sie in dem Fall die Spuren der nächtlichen Straßenorgie, was aber auch wiederum nicht ganz zutreffend ist. Durch die Unart einiger netter Zeitgenossen, während des gepflegten Feierns am Abend diverse Essensreste auf die Straße zu werfen, führt dies zu einem reichlich gedeckten Tisch für die ebenfalls dort wohnhaften Ratten, die nachts Weihnachten und Ostern gleichzeitig feiern und einen Teil der Leckereien im Rahmen ihres Gruppenmarsches bereits auf ihre Art beseitigen. So bleiben am Ende für die Reinigungsbrigade nur noch zerfledderte Verpackungen, Scherben und sonstige unappetitliche Reste übrig.