Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt - Zora Buono - E-Book

Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt E-Book

Zora Buono

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Beschreibung

Seit einigen Jahren gibt Vita Ostan an einem amerikanischen Ostküsten-College im Sommer einen Kurs in Journalismus. In einer exklusiven, geschlossenen Welt des Lernens und der Begegnungen – stark reglementiert und doch aufgeladen durch die Intensität des Zusammenlebens – entwickelt sich zwischen Vita und ihrem Studenten Zev eine ganz und gar ungebührliche Nähe. Es ist die Zeit der Snowden-Enthüllungen und des weltweiten NSA-Skandals und Zev zeigt sich empört über die allgegenwärtige Überwachung. Die Dozentin und Erzählerin dieser Geschichte ist mehr als doppelt so alt wie Zev. Verwirrt, beglückt, bodenlos, gegen alle Regeln und Vorschriften verstoßend, lässt sie sich auf eine unmöglich scheinende Liebe ein. Gleichzeitig verändert sich Zev, was nicht ohneFolgen bleibt. Spannend, entwaffnend, sinnlich und sarkastisch erzählt Zora del Buono von Verboten und dem Mut der Übertretung, von Überwachung und Gefahr und der Entschlossenheit zu lieben.

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Zora del Buono

Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt

Roman

C.H.Beck

Über das Buch

Seit einigen Jahren gibt Vita Ostan an einem amerikanischen Ostküsten-College im Sommer einen Kurs in Journalismus. In einer exklusiven, geschlossenen Welt des Lernens und der Begegnungen – stark reglementiert und doch aufgeladen durch die Intensität des Zusammenlebens – entwickelt sich zwischen Vita und ihrem Studenten Zev eine ganz und gar ungebührliche Nähe. Es ist die Zeit der Snowden-Enthüllungen und des weltweiten NSA-Skandals und Zev zeigt sich empört über die allgegenwärtige Überwachung. Die Dozentin und Erzählerin dieser Geschichte ist mehr als doppelt so alt wie Zev. Verwirrt, beglückt, bodenlos, gegen alle Regeln und Vorschriften verstoßend, lässt sie sich auf eine unmöglich scheinende Liebe ein. Gleichzeitig verändert sich Zev, was nicht ohneFolgen bleibt.

Spannend, entwaffnend, sinnlich und sarkastisch erzählt Zora del Buono von Verboten und dem Mut der Übertretung, von Überwachung und Gefahr und der Entschlossenheit zu lieben.

Über die Autorin

Zora del Buono, geboren 1962 in Zürich, lebt in Berlin und Zürich. Sie studierte Architektur an der ETH Zürich und der HdK Berlin, arbeitete vier Jahre als Architektin und Bauleiterin und war Gründungsmitglied der Zeitschrift «mare». Im mareverlag sind ihre Romane «Canitz' Verlangen» (2008) und «Big Sue» (2010) erschienen sowie «Hundert Tage Amerika. Begegnungen zwischen Neufundland und Key West» (2011), bei C.H.Beck ihre Novelle «Gotthard» (2015), bei Matthes & Seitz in der Reihe «Naturkunden» ihr Band «Das Leben der Mächtigen. Reisen zu alten Bäumen» (2015).

www.zoradelbuono.de

«Wissen, daß man nicht für den Anderen schreibt, wissen, daß diese Dinge, die ich schreibe, mir nie die Liebe dessen eintragen werden, den ich liebe, wissen, daß das Schreiben nichts kompensiert, nichts sublimiert, daß es eben da, wo du nicht bist, ist –das ist der Anfang des Schreibens.»

ROLAND BARTHES: FRAGMENTE EINER SPRACHE DER LIEBE

Sie bellen, Sir, möchte sie zu ihm sagen. Sie blaffen und fletschen, fehlt nur noch, dass Sie sabbern. Warum solch hässliche Wörter, die sonst nur für Hunde gelten, denkt sie, dabei mag ich Hunde doch. Sie sehen fratzenhaft aus, das Gesicht eine Grimasse, holzschnittartig. Sind Sie ein abgrundtief böser Mensch oder nur erstklassig geschult, ein professionell aufgemotzter Angsteinflößer? Ihr Körper ist zu wuchtig für meinen, Sie stehen, ich sitze, Ihre Waffe mir auf Augenhöhe, eine Glock wahrscheinlich, die kennt man ja aus Filmen. Sie demütigen mich, ich will mich von dir nicht demütigen lassen, in Gedanken duzt sie den officer jetzt, dann ist er nicht so mächtig, vielleicht ist das ein guter Trick gegen die Angst. Der Junge nebenan guckt verstört, er ist verstummt, vorhin hat er noch geredet, sich höflich zu erklären versucht, der schmale Asiate, so, wie sie es auch getan hat, sie haben einander keinen Blick zugeworfen, auch wenn es ihr ein Bedürfnis gewesen wäre – doch bloß nichts Verschwörerisches aufkommen lassen zwischen Fremden, es könnte gegen einen verwendet werden. Er hat in einer anderen Maschine gesessen als sie, aber das spielt keine Rolle mehr, hier hocken sie nun wie Gefangene. Draußen das gleißende Licht des Südens, drinnen kaltes Neon. Frösteln nicht nur wegen der lachhaft niedrigen Raumtemperatur.

Sie möchte jetzt gerne Zev anrufen.

Ein weiterer Beamter kommt auf sie zu, den kennt sie noch nicht, wahrscheinlich Schichtwechsel, vielleicht ein Vorgesetzter, ein Schwarzer diesmal, er geht breitbeinig und langsam, so, wie alle hier breitbeinig und langsam gehen, auch die Frauen, ihrer Körper ganz sicher, die Staatsgewalt hat sich in sie eingeschrieben, so verdammt stark fühlen sie sich mit dem Apparat im Rücken, im Nacken, in jedem Muskel. Er lässt ein Blatt Papier auf den Tisch schweben, sie erkennt es sofort, es ist nicht irgendein Schriftstück, es ist das Schriftstück, man hat es ihrer Handtasche entnommen. Beide stehen vor ihr und blicken auf sie herab.

Sie haben gelogen, MrsOstan, sagt der Weiße, dessen Stirn plötzlich glänzt, und wir mögen es nicht, wenn wir angelogen werden. Er schiebt ihr das Papier hin, alle zehn Fingerkuppen darauf gepresst, gespreizt sieht das aus und trotzdem bestimmt, er rückt es zurecht, es soll ganz gerade vor ihr liegen; vielleicht leidet er unter einem Zwang. Sein Plastikausweis baumelt vor ihr, er heißt O’Leary, das wollte sie gar nicht wissen, wollte ihn ohne Geschichte lassen, doch schon setzen irische Fantasien ein.

In was für einer Beziehung stehen Sie zu diesem Mann?, fragt der Schwarze und zückt ein Foto von Zev, legt es auf das Papier. Er war mein Student, antwortet sie. Und sonst?, fragt er. Sonst weiter nichts, sagt sie und sieht ihm in die Augen. Er wird auf das Entlarven von Lügen trainiert sein, denkt sie und bemüht sich um einen standhaften Blick. Planen Sie, ihn zu treffen?, fragt er. Ich treffe viele Leute, sagt sie, an verschiedenen Colleges und Universitäten. O’Leary schaltet sich ein, die Daumen nun in den Waffengürtel eingehakt. Er wiederholt den Satz: Planen Sie, ihn zu treffen? Sie denkt an Zev, hat dieses Bild vor sich, wie er am Getränkeautomaten steht, sieht ihn von hinten, die rabenschwarzen Haare nass und schulterlang, ein weißes Unterhemd über der hochgekrempelten Jeans, barfuß wie meist. Planen Sie, ihn zu treffen? Jetzt ist der Schwarze wieder dran, sie liest sein Namensschild, Freeman, welch ein Hohn, denkt sie matt, sie wollen ihr die Frage in den Kopf hämmern, sie mürbe machen durch Wiederholung. Nein, sagt sie, ich plane nicht, ihn zu treffen. Was ist denn mit ihm? Wir sind zu keiner Auskunft verpflichtet, sagt Freeman und sieht sie prüfend an. Eine Frau wird hereingeführt, sie schätzt sie auf ihr Alter, Ende vierzig, Anfang fünfzig, gefärbtes rotes Haar, knalliger Lippenstift, eine Tasche mit Schottenkaromuster demonstrativ vor sich her tragend. Sie setzt sich neben den Asiaten, schimpft, öffnet die Tasche, ein Hündchen, wuschelig und gewaschenweiß, springt heraus. O’Leary stürzt hinüber, fünf raumgreifende Schritte, schon steht er drohend vor ihr. Er wird laut, der Asiate zuckt zusammen, sie ist froh, dass sie eine Pause hat, die geballte Macht auf jemand anderen gefallen ist. Die Rotgelockte ist wagemutig, lässt sich von O’Learys Getöse, wer ihr in Gottes Namen gestattet habe, das Tier aus der Tasche zu lassen, nicht einschüchtern, sagt nur trocken, ihr Hündchen müsse Pipi machen, ob sie jetzt gehen könne, das müsse alles ein Missverständnis sein. O’Leary stößt einen gepressten Lacher aus, ruft in den Nebenraum nach einer Susan und wartet dann stumm.

Freeman klopft laut auf den Tisch, sie erschrickt. Mitkommen, sagt er. Sie steht auf, folgt ihm durch den Raum, vorbei an dem Asiatenjungen, der zusammengefallen auf dem Stuhl hockt und zu Boden stiert, sieht noch, wie eine korpulente Beamtin, wahrscheinlich Susan, zu der Rothaarigen geht, hört, wie die aufschreit, während die Korpulente mit dem Hündchen, das vergnügt hochspringt und in die Leine zu beißen versucht, den Raum verlässt; das Gezeter der Rothaarigen will kein Ende nehmen, was Freeman unkommentiert lässt, und auch O’Leary schweigt einfach weiter. Sie gehen einen Flur entlang, Freeman voraus, sie spürt jemanden hinter sich, fühlt, wie die Person näher kommt, dreht sich um, eine junge Beamtin folgt ihr, eine magere diesmal, richtiggehend ausgezehrt sieht sie aus, das Haar streng zusammengebunden, dadurch wirkt das flächige Gesicht noch größer, obwohl ohnehin schon zu groß für den schmächtigen Körper, starrer Blick, wimpernlose Fischaugen wie aus einem Renaissancegemälde – und das direkt hinter ihr; ihr wird übel. Freeman öffnet eine Tür, sie tritt ein, die Dürre auch, sie sieht sich um, eine fensterlose Kammer, darin eine Metallpritsche, ein Metallklo ohne Brille, ein Metallwaschbecken; das darf doch nicht wahr sein. Beeil dich, Taylor, befiehlt Freeman und verlässt den Raum. Ziehen Sie sich aus, sagt Officer Taylor und fügt noch ein please hinzu, eine generös gemeinte Geste vielleicht oder ein zynischer kleiner Querschläger, beides wäre möglich, der Tonfall verrät es nicht. Alles?, fragt sie. Alles, antwortet Taylor. Sie beginnt, sich zu entkleiden, während Taylor blassblaue Latexhandschuhe überzieht, weiß nicht, soll sie es schnell oder betont langsam tun, überlegt, wo sie Jacke und Shirt hinlegen soll, eine Stuhllehne gibt es nicht, sie wirft beides auf die Pritsche, ihr zittern die Hände, sie merkt es beim Aufhaken des BHs. Stopp, sagt Taylor, was anständig von ihr ist, sie durchsucht offenbar in zwei Etappen, die totale Entblößung bleibt ihr also erspart. Sie stellt sich vor Taylor hin, breitet ungefragt die Arme aus, überlässt sich dem, was kommen wird, vollkommen willenlos, wundert sich einzig über ihre Ergebenheit. Taylor tastet sie ab, die Achselhöhlen, auch die Unterseite der Brüste, fährt mit den Fingern den Nacken hoch, wühlt durch ihr kurzes, dichtes Haar, sagt ihr, sie solle den Mund öffnen, die Zunge anheben; es ist lächerlich. Taylor reicht ihr den BH und das Shirt, sagt: Und jetzt unten. Sie winkt ab, zieht die Schuhe aus, die Socken, streift Hose samt Slip ab, lässt alles auf den Schuhen liegen, eine Aufwallung kindlichen Trotzes, sie weiß selber nicht, warum sie Taylors Angebot, sich oben wieder anzukleiden, ausgeschlagen hat, warum sie lieber splitternackt vor einer Beamtin steht, die halb so alt ist wie sie, vielleicht, weil dieser erste Moment autonomen Handelns sie stärkt, vielleicht auch, weil sie sich eigentümlich intakt fühlt, ihr Körper das Einzige ist, was ihr bleibt im Angesicht dieser unsäglich mageren Frau, die jetzt vor ihr kniet und ihr die Zehen auseinanderspreizt, dann beide Beine abtastet, als ob sie etwas unter der Haut versteckt haben könnte, eine dermaßen hirnrissige Veranstaltung ist das, sie kann es kaum glauben, bis Taylor aufsteht und mehrmals entschuldigend das Wort crotch nuschelt, und sie versteht, dass die Beamtin schamerfüllter ist als sie selbst, während Taylor mit den blauen Gummihandschuhen tatsächlich in ihrem Schritt herumzufummeln beginnt und schließlich zwei Finger in sie hineinsteckt, erst den einen, dann den anderen; sie möchte dieses nahezu körperlose Wesen jetzt furchtbar gerne schlagen und darf es nicht.

Ein Klopfen an der Tür, Taylor eilt hin, es ist Freeman, der im Flüsterton auf die Beamtin einzureden beginnt; Flüstern ist seltsam, denkt sie, sonst sind die doch so laut, in der Zwischenzeit zieht sie sich an. Kommen Sie mit, befiehlt Freeman. Sie geht hinter ihm her, sieht sich nach Taylor um, blickt in diese wimpernlosen Augen, keine Regung darin, keine Freundlichkeit, keine Unfreundlichkeit, sie kann diese Frau nicht deuten, ist die ihr nun wohlgesonnen oder nicht oder einfach nur stumpf? Beeilen Sie sich, ruft Freeman und hetzt den Flur hinunter, Ihr Flug geht in zwanzig Minuten. Welcher Flug?, fragt sie und denkt, was für ein fucking flight denn, ich kann auf keinen Fall weg von hier, ich muss zu Zev, muss ihn finden, verdammt noch mal, das können die doch nicht machen mit mir! Amsterdam, sagt er. Amsterdam? In Europa, sagt er. Ich weiß, wo Amsterdam liegt, schimpft sie, ich will nicht nach Amsterdam! Ihre Stimme ist zu laut, sie merkt es selbst, Freeman stoppt abrupt und baut sich vor ihr auf, starrt sie grimmig an und sagt: Sie sollten dankbar sein, dass wir Sie nur zurückschicken, anstatt Sie zu verhaften. Sie sind nicht mehr willkommen in unserem Land.

Ein Sommer, der die Welt veränderte. Die Welt im Großen und die im Kleinsten, meine also. Ein Sommer mit zwei jungen Männern, Revolutionär in der Theorie der eine, wahrhaft revolutionär in der Praxis der andere. Der Theoretiker, Marx-Zitate in petto, stand beim ersten Zusammentreffen da wie ein Pirat, blaues Kopftuch, geknotet über schulterlangem, pechschwarzem Haar, Kinnbart und Schnauz und auch sonst unrasiert, eine Hipsterallüre, ein forschender, fordernder Blick aus dunkelsten Augen hinter schwarz gerändeter Brille, viel Schwärze also für solch einen jungen Mann, gerade erst dem Teenageralter entschlüpft. Er war zwanzig Jahre alt, sein Name lautete Zev Swartz, die Schwärze war gewissermaßen amtlich festgehalten. Den anderen kannte man nur von Bildern, es waren immer dieselben; ein wohlerzogen, geradezu bieder wirkender junger Mann, sehr blass, akkurat geschnittenes Haar, zehn Jahre älter als der Pirat und bald weltberühmt: Edward Snowden. Ob der Pirat auch Großes vollbringen, sich vom Maulhelden zum Aktivisten entwickeln würde? Im Laufe von zehn Jahren konnte viel passieren. Man hätte vorspulen wollen, um das Ergebnis zu sehen, konnte aber nur abwarten. Und hoffen – wenn man Rebellen mochte, so wie ich. Ein dritter Mann würde auftauchen, wesentlich älter als die beiden anderen, ein Mensch, der mehr wusste, als gut für ihn war, der nervös war wegen dieses Wissens und der Geschichte dieses Sommers (der kleinen, obwohl sie direkt zusammenhing mit der großen) die entscheidende Wendung geben sollte. Er nannte sich Dave. Dave kann jeder heißen.

3. Juli 2013 – 26 Tage, nachdem der Guardian und die WashingtonPost über das NSA-Programm PRISM berichteten, lässt Bundeskanzlerin Angela Merkel am 1. Juli 2013 verkünden, das Abhören von Freunden sei inakzeptabel. «Wir sind doch nicht mehr im Kalten Krieg.» Zwei Tage später telefoniert sie mit Barack Obama. Man nehme die europäischen Sorgen durchaus ernst, beschwichtigt der amerikanische Präsident.