Horrorgeschichten aus dem Abyss Teil 3 - Robert Grains - E-Book

Horrorgeschichten aus dem Abyss Teil 3 E-Book

Robert Grains

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Beschreibung

9 Geschichten aus den Bereichen Horror, Weird Fiction und Fantastik. 3. Teil der "Horrorgeschichten aus dem Abyss". Texte über fleischgewordene Albträume zwischen marternden Visionen und dämonischen Verheißungen, schnatternde Götter, fremdweltliche Präsenzen, durch und durch blutige Offenbarungen, sphärenreisende Abysskrieger, gewaltbereite Geister und die Belagerung eines geheimnisvollen Burgareals durch unbekannte Mächte. In diesem Buch enthalten: Finstermahr, Der Herr der See, Die Form der uralten Sprache, Organismus, Ewiger Advent, Die goldene Zeit, Sternenlicht, Geistverhör, Das Ausharren inmitten der befestigten Burganlage derer von Lohe

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HORRORGESCHICHTEN

AUS DEM ABYSSTeil 3

Robert Grains

INHALT

Finstermahr

Sternenlicht

Organismus

Der Herr der See

Die goldene Zeit

Das Ausharren inmitten der befestigten Burganlage derer von Lohe

Ewiger Advent

Die Form der uralten Sprache

Geistverhör

Der Pfad von St. Mephis (Leseprobe)

Impressum

Finstermahr

Mir schaudert es vor dem Schlaf, vor den Träumen, die er bringt; sie sind das Grauen. O ja, Grauen ist überhaupt kein Ausdruck!

Wobei bis heute, nach nunmehr zweiundvierzig Jahren, nichts wirklich Evidentes geschehen ist. Abgesehen von mancherlei sozialen und gesundheitlichen Folgen, wohlgemerkt. Nie habe ich etwas von amorpher Substanz dabei ertappen können, wie es die nebelgetränkten Grenzstädte zwischen unserer allgemeingültigen Welt und der subjektiven Sphäre mitternächtlicher Transzendenz durchpilgerte, um glotzäugig neben meinem Bett zu erscheinen – fassbar, fühlbar. Nein, alles spielt sich stets auf jener anderen Ebene, in ihrem hochokkulten Reich morbider Fata Morganen ab – einem Reich mit eigenen Regenten und unikalen Gesetzen. Sentimentale Menschenrechte besitzen dort keinerlei Wert, und wehe jenen, auf denen der ewig nagende Bannfluch unmessbare Weiten schreckensschwangerer Traumlande verwaltender Nachtalbbarone im giftigen Schein finsterer Sonnen lastet!

Möglicherweise ereignet sich all das Grauen jedoch einzig und allein in den äthergefluteten Windungen meines gemarterten Hirns. Steckt ein unüberwundenes Geburts- oder Kindheitstrauma hinter dieser meiner Dämonie? Ist Vergleichbares der Grund für die allabendliche Sorge vor dem Einschlafen? Angst in der Dunkelheit, bleierne Furcht inmitten der lichtlosen Verkündigung drohender Nichtexistenz? Ebenso gut könnte es doch eine undiagnostizierte Temporallappenepilepsie sein, oder … Nun ja, eben berechtigte Scheu vor dem, was den Staubgeborenen naturgemäß ein Trost sein soll. Ave, Pavor nocturnus!

Nun, viel bedeutender als bloße Spekulationen ist die Frage, was mich heute Nacht auf der anderen Seite des Sphärenschleiers erwarten wird. Etwa abermals dieser monströse Unhold der Tiefe? Aus sonnenreichen Wolken stürze ich hinab, im freien Fall, keine Chance zu erwachen; kein Land in Sicht, bloß endlose Weiten pazifischer Fluten. Den luftigen Bereich der Sylphen durchstürzend, erkenne ich unter mir, in den Wogen des Irrsinns, jene grotesken Cephalopoden-Umrisse definiert von unzähligen titanischen Tentakeln und einem wabernden Haupt der Lästerungen. Grauenhafte Glotzaugen zeichnen sich alsbald detailreich ab, ihr beutehungriger Blick bedeutet Gefahr. Ich schlage durch die Wasseroberfläche, dann ertrinke und vergehe ich in einem Mahlstrom saugnapfbewehrter Fangarme, und zugleich ich mich bereits aufrechtsitzend zwischen den Laken wiederfinde, ersterben die letzten verstörenden Ansichten des abyssalen Gewimmels und das grimme Tönen der Kopffüßerbestie zwischen den strapazierten Synapsen meines Hirns. Ein böser Traum, einer von vielen.

Bisweilen unterstelle ich diesem stets auf gar ähnliche Weise erscheinenden Albtraumbewohner sogar eine Art pietätloser Intelligenz, die sich darin gefällt, des Nachts nach meinem feinstofflichen Leib zu greifen, um ihn auf besagte Weise absonderlich zu quälen. Obacht, denn spreche ich hier von einem feinstofflichen Leib, so ist mir durchaus bewusst, dass sich dieser Wortwahl zumeist schlecht durchdachte und unbefriedigende esoterische Theorien anknüpfen. Sie sind allesamt entlarvt und führen bloß in einen leeren Raum, da der Irrsinn kühl anhaucht und tote Götter gräulich gackern.

Möglicherweise leide ich vielmehr unter einer seltenen Erbkrankheit, einem sinistren Siechtum, und sonach erklären sich die befremdlichen Ansichten endloser Prozessionen tiergesichtiger Flagellanten, wie sie im Angsttraum oftmals an einem schmiedeeisernen Bett vorbeiziehen, das deplatziert auf einer Kopfsteingasse inmitten einer von grünspanfarbenem Fackelschein erhellten mittelalterlichen Fachwerkstadt steht. Darin: Ich, um Geistesklarheit ringend und krampfhaft versuchend, erneut einzuschlafen, mich unter und hinter Daunendecken verbarrikadierend.

Es ist wahr! Denn erst wenn ich es vollbringe, mittels mentaler Beherrschung oder dank der Gnade namenloser metaphysischer Mechanismen ebendort hinüberzudämmern, erwache ich wieder im Hier und Jetzt, sowohl schweißgebadet als auch schockiert, wohlgemerkt – das viehische Odeur der keilerköpfigen, ziegenbeinigen und geschuppten Bastardmeute nach wie vor in der Nase, das Blöken aus ihren entmenschlichten Kehlen weiterhin in den Ohren. Wohin pilgerten sie während so vieler tierwilder Nächte, da ich in ihrer okkulten Sphäre gefangen lag, sie mein unfreiwilliges Lager immerfort mit grausigen Klängen und missgünstigen Anfeindungen streiften? Gerüstet mit Dreschflegeln, dornigen Passionswerkzeugen, Pauken, Trompeten und rostigen Laternen, in denen raschelnde Klumpen insektoider Kleinlebewesen fremdweltliche Flammenzungen durch ein stetes Opfer scharlachrot anfachten, zogen sie feierlich einher. Ich derweil verließ ihren Bereich nach langem Leiden ein jedes Mal aufs Neue, und dies bloß, um zwischen den vier Wänden einer privaten Folterkammer, meines Schlafzimmers zu erwachen. Tja, Wohnsitz und Arbeitsstelle wechselte ich bis dato wiederholt – vergebens!

Wobei … Diese Einliegerwohnung habe ich erst vor zwei Tagen bezogen, und somit ist es noch zu früh, um die Hoffnung aufzugeben. Penibel habe ich darauf geachtet, diesmal eine Bleibe auf dem Land zu finden, abseits von Trubel und zu viel Elektronik, ein weitläufiges Naturschutzgebiet, einen uralten Wald unmittelbar vor der Haustür wissend. Obwohl und gerade weil sämtliche standardmäßigen und alternativen Behandlungsmethoden ihre angepriesenen Wirkungen in meinem seltenen Fall verfehlten, hoffe ich weiterhin auf eine naturgemäße Besserung.

Eine Dekade ist’s her, da nächtigte ich sogar in einem Schlaflabor! Ja, wohlweislich hatte ich mir zuvor Sorgen gemacht, alberne Verrenkungen fürchtend, denen sich der Körper möglicherweise hingeben würde, während mein gottgestaltiger Anteil in dämonischen Spiegelwelten unter der Supervision zirpender, in staubige Barockgewänder gehüllter Mantiden mit brünstigen Sukkuben verkehrte. Und tatsächlich, während fraglicher Untersuchung geschah das Unvermeidliche: Ich fand mich inmitten eines allzu vertrauten Szenarios wieder! Wohlverstanden nicht in einer der finsteren Venus geweihten, von dem ruhelosen Geist eines Marquis de Sade durchwanderten Ebene sonderbarer Vorlieben, nein, es war jene der experimentierfreudigen Schneckenschleimschänder. Eine treffendere Bezeichnung für diese Missgeburten des Multiversums entzieht sich meinen Kapazitäten, zudem ich sie lediglich selten in ihrer vollumfänglichen Abartigkeit zu Gesicht bekomme. Die avernalische Akkupunktur meiner Lymphknoten stellt für gewöhnlich das geschmacklose Vorspiel dar. Auf eine Art levitierende Streckbank gespannt, vermag ich nicht, mich zu rühren, und meistens gelingt es mir bloß unter enormer Willensanstrengung, die Umgebung visuell wahrzunehmen. Sodann werde ich beispiellos hässlichen Glibber-Akkumulationen in biomechanischen Exoskeletten ansichtig, wie sie durch einen sterilen Operationssaal torkeln und blind auf mich herabstarren. Bereits unzählige Male litt ich an diesem stinkenden Ort der Misanthropie. Welch Pein! Die schiere Vorstellung, dass solche Abortgeschöpfe tatsächlich irgendwo in den untersten Eingeweiden einer mitleidlosen Schöpfung existieren und sich mittels gewisser technomagischer Methoden frei durch die Spiralgalaxien bewegen könnten, raubt mir sämtliche Restnerven. Der Hauptakt? Stets derselbe: Explantation – Reimplantation!

Zuvor präsentieren jene Freaks in pastoraler Manier mehrere polierte Stahlkanopen. Auf diesen prangt in gelblichen Kosmos-Hieroglyphen, mir entsetzlicherweise verständlich, die Definition des noch pulsierenden Inhalts: Denkorgane exotischster Provenienz! Unter anderem jene satyromanischer Schimpansen, berühmter wie auch fragwürdiger Persönlichkeiten der planetaren Vergangenheit und Zukunft, oder aber matschige, wohl kaum in die Struktur eines Menschenschädels passende Eiweißklumpen transneptunischer Evolutionsreihen. Ich kann’s einfach nicht verstehen … Allmächtiger, es war, ist und bleibt einfach nur abscheulich! In neun von zehn Fällen öffnen sie die Kalotte mit einer Art Bunsenbrenner, entnehmen mein triefendes Hirn und fragen mich, während es durch Bindegewebe und Nervenstränge mit der Schädelhöhle verwoben bleibt: »Was darf’s denn heute sein, Monsieur? Na, wie wär’s zur Abwechslung mal hiermit? Gefällt Ihnen das, hm? Oui? Non? Pff!«

Während der just angedeuteten Heimsuchung dieser Spielart, jener unter ärztlicher Aufsicht, als sich der Druck auf meine Augen bereits ins Unerträgliche gesteigert hatte, sie durch die Sehnervenkanäle in das Schädelinnere gezerrt wurden, kreischte ich erbärmlich. Was die rhetorische Frage aus gelatinösen Molluskenmäulern jenes Mal andeuten sollte, wurde mir sodann auf besonders perfide Weise offenbart. »Diese stählerne Kanope mit der gelben Bilderschrift – NEIN – In Gottes Namen, niemals! Nicht das Gehirn einer Lifestyle-Influencerin!«

Woraufhin ich keuchend und um mich schlagend erwachte. Peinlich! Von dem plötzlichen Hochschrecken hatte man Notiz genommen, die messtechnischen Aufzeichnungen der einzelnen Schlafphasen waren jedoch »mehr als zufriedenstellend« gewesen: Weder Schlafapnoe noch Herzrhythmusstörungen, ein gleichmäßiger Puls, alles bestens. Sicher, ein Ergebnis, das mich bis heute frappiert. Wie bloß konnte jene mir endlos erscheinende Astralfolter fernab einer messbaren Körperreaktion von statten gegangen sein?

Von da an, die Scheidung lag bereits zwei Jahre zurück – damit das klar ist, es bleibt eine philosophische Frage, inwieweit die erzwungene Unzucht mit abgebrühten Sukkuben als Ehebruch betrachtet werden kann –, begann ein ermüdender Marsch durch die Warte- und Sprechzimmer diverser Allgemeinmediziner, Psychologen, Heiler und Scharlatane. Von Pontius zu Pilatus pilgerte ich langmütig, und nichtsdestotrotz, ungeachtet der Befolgung all jener wohlmeinenden, wenn auch mehrheitlich naiven Ratschläge argloser Konzeptkaruselldreher: In den meisten Nächten begann mein ganz persönlicher Kreuzweg von vorn – ein mentales Ringen bis in die Morgenstunden. Der Tauchausflug in die aquatische Schreckenswelt der Kopffüßerbestie, die Wechselbalgheimsuchung auf mittelalterlichen Gassen, um bloß zwei peinigende Beispiele zu nennen. Was diese maliziösen Märchen mannigfaltiger Marterungen angeht, so könnte ich fraglos noch einige zum Besten geben, doch trauere ich ihren Sinngehalten ebenso wenig nach wie ich ihre Bereiche bewusst suche, und nun, während der dritten Nacht in dieser neuen Wohnung, zur Wintersonnenwende, hoffe ich abermals auf einen erholsamen, albtraumfreien Schlaf. Eine Veränderung, die im Namen aller schicksalsformenden Prinzipien mehr als überfällig ist – ein Lebensalter überfällig!

Ich lasse das Licht brennen, zu sehr frustriert mich das ständige Anknipsen der Nachttischlampe aufgrund eines jeden Insektenhuschens. Es ist kalt, und die Zimmertür mit Glaseinsatz gibt unter den wechselnden Temperaturen der Schlafstube ein meine hypervigilanten Sinne alarmierendes Knirschen von sich. Albern, ein erwachsener Mann fürchtet sich im Dunkeln, ängstigt sich vor Geräuschen. Nein, ich werde das Licht löschen!

Ein paar Minuten vergehen …

Da, ein Knarren! Die Holzvertäfelung, oder? Licht an! Nichts. Wen wundert’s?! Mein Blick schweift über halb aufgebaute Regale und Umzugskartons. Licht aus!

Bald darauf ein Rauschen. Die Heizung, ja, ganz sicher. Die ländliche Stille ist mir noch unvertraut, sie verstärkt jeden Fledermausflügelschlag. Ich komme einfach nicht zur Ruhe. Herrgott!

Dann ein leichtes Knacken, dreimal. Die Schlafzimmertür! Sie reagiert auf die Temperaturschwankungen. Licht an! Nichts. Licht aus! Ich drehe mich auf die Seite, zur Wand, die Decke über das Gesicht gezogen. Pah, der Weg in das Minenfeld transzendenter Tollheiten ähnelt einem Spießrutenlauf der zynischsten Sorte.

Tock. Tock. Tock.

Das wiederum glich definitiv einem Klopfen! Unsinn, erneut die verdammte Tür. Ahhr, meine Nerven! Geht es denn nicht in diesen meinen Schädel hinein, dass dort nichts Bedrohliches ist, dass das Grauen lediglich auf der anderen Seite, im Reich schändlicher Schrecken und in den modrigen Tiefen meines Unterbewusstseins lauert? Schlimm genug – Fluch der Nacht! Schließlich verlasse ich das Bett; in einem der Koffer im Flur müssen die Schlaftabletten sein. Ich schließe die Zimmertür auf, möchte hinaustreten …

Da ist es!

Ich erschrecke dermaßen, sodass von einem seelenzersplitternden Schock bloß eine Erinnerung übrigbleibt, die sich hinüberrettet in jene Entrückungsmomente, die einem traumatischen Impakt starke Nachhut sind. Ob mein Herz wieder zu schlagen beginnt, spielt keine Rolle, doch folge ich dem tarantelähnlichen, fleischig triefenden Ding, das zuvor mit widerlich behaarten Rüsselgreifern gegen die Schlafzimmertür gedrückt hatte. Über knarrende Dielen stolpere ich seinem krabbelnden Schatten hinterher, zu einem mit elfenbeinschwarzen Seidentüchern verhangenen Winkel in der Küche. »Mein Gott, wie oft muss ich bereits achtlos daran vorbeigegangen sein?« Dahinter: ein Pfad, ein von Tannen und Ginsterbüschen wild bestandener, steiniger Pfad in Richtung des mondbeschienenen, tiefen Waldes …

Die Kühle der winterlichen Nacht, unter funkelnden Sternen pilgern wir ihr vom ersten Schnee des Jahres liebkost entgegen, mein augenloser Führer und ich. Bald schon schließen wir uns der Mitternachtsprozession viehköpfiger Flagellanten an. Pauken und Trompeten hallen, dornige Peitschen geißeln groteske Leiber, fremdweltlicher Laternenglanz flirrt irrlichtern zwischen Alleen knochiger Eichen. Es geht hinab in unauslotbare, von eisigen Nebelschwaden durchwehte Abgründe. Auf den mittelalterlichen Kopfsteingassen einer arkanen Unterwelt schreiten wir kakophonisch blökend und trillernd einher, vorbei an deplatziert wirkenden schmiedeeisernen Betten, darin Zähneknirschen und Wimmern, in Richtung des malachitfarbenen Wehrturms des ewigen Goblins. Im ultravioletten Schein unsichtbarer Höhenfeuer treffen wir uns fortan im Zeichen der schwarzen Ziege, von Großväterchen Mond weihend beschirmt, zwischen moosbewachsenen Findlingen zum Thing. Unter den Feldzeichen höhnischer Erlkönige schwärmen wir aus. Bloß selten vermag uns das Kruzifix, vermag uns ein Drudenfuß zu bannen. Jedwedes Laster – ein Einfallstor in den Verstand leidensfähiger Säuger.

Und so bin ich selbst zum Traume geworden – dem Deinen! Auf dem sichelscharfen Nachthauch eines sternenklaren Firmaments vorangaloppierend schmiege ich mich alsbald an dein Gemüt, Finstermahr genannt. Ein protoplasmatischer Fangarm des zyklopischen Krakengottes, ein Paladin des verborgenen Parasiten, emporlohend aus einer ob ihrer unheiligen Mysterien funkelnden Astralgrube inmitten der in gräulich gackernde Äonen ausklingenden Fata Morganen finsterer Sonnen.

Lob und Ehre sei dem Einen, dessen Lockruf ich immerzu vernahm, doch stets verleugnete. Bis jetzt …

Sternenlicht

Finster sind die Wege an diesem Ort. Wo er sich befindet, kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Ist er ein Teil der mir vertrauten materiellen Welt? Treibt er von unbekannten Mächten bewegt lautlos durch das kalte All, fern den wachenden Augen irdischer Astronomen? Oder wenden diese ihre verwunderten Blicke möglicherweise bewusst ab? Wer weiß … Ist es vielleicht das Geoden gebärende Innere unseres Heimatplaneten oder gar die neptunische Tiefe des Pazifiks, die diese hohen, langen Korridore, durch die wir uns wie von kaltem Sternenlicht illuminiert langsam voran bewegen, beherbergt? Vielleicht werde ich es schon bald erfahren, denn ganz offenbar ist es kein Traum, in dem ich mich hier wiederfinde.

Der Himmel steh mir bei! Einzig meine Augen gehorchen noch meinem Willen, der Rest des Körpers befindet sich anheim der Gnade einer anderen, unbekannten Macht. Meinen beiden kuttenverhüllten, gnomenhaften Begleitern kann meine Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, doch sie scheint sie nicht zu stören. Ich habe Vertreter ihrer Art bereits zuvor flüchtig wahrgenommen. Ja, verholen, scheu, die Schatten unserer Welt ihre Heimat nennend, wachend, beobachtend, einen jeden Gedanken und einen jeden Schritt aus den dunklen Winkeln menschlicher Behausungen heraus messend, unsere Hilflosigkeit während eines tiefen Schlafes ersehnend. Sie eskortieren mich durch diese widernatürliche Szenerie. Eigentlich sollte ich mich fürchten, doch auf enigmatische Weise erscheinen mir die finsteren Wunder dieses verborgenen Reiches vertraut. Immer wieder passieren wir weitläufige Ebenen altarbestandener Operationssäle. Der rote Dunst enthemmt hervorbrechender Fontänen frischen Blutes und ein steriler Glanz fremdweltlichen Lichtes umgeben die darin befindlichen, bei lebendigem Leibe sezierten Opfertiere. Stich auf Stich, Schnitt um Schnitt – ein jeder Hieb, ein jeder Stoß präzise ausgeführt von den filigrangrotesken Chirurgenklauen einer fremden Ordnung. Sodann reflektiert sich ein ominöser Schein auf den tiefschwarzen, starren Facettenaugen meiner Begleiter. Sind diese ölig schimmernden Oberflächen das Tor zu einer geheimnisvollen Seele? Von welchem Geist geben sie Kunde? Inkarnierte er unter einem wolkendurchzogenen Himmel, auf einer Erde lebendiger Vegetation, oder erwiesen sich vielmehr die letzten Funken erlöschender Großgestirne als Zeugen seiner künstlichen Geburt? Über welches bemitleidenswerte Geschöpf legten die namenlosen Götter der frühen Erde einen tiefen Schlaf, als sie die gebrechlichen Chimärenhüllen jener Kreaturen aus dessen Fleische schlugen?

Wie von Geisterhand unablässig beschirmt und geleitet geht es weiter voran. Mein erstarrter Leib schwebt ein Stück über dem poliert schimmernden Metallboden dieses sinistren Sanktuariums technomagischer Wunder. Ist dieser Ort zu heilig, als dass meine blanken Fußsohlen ihn berühren dürfen? Welche in smaragdene Seide gehüllte Verkörperungen galaktischer Prinzipien schreiten für gewöhnlich in stofflicher Form durch dessen geheime Korridore? Welcher Spiritus Loci bewohnt die hohen Kuppelsäle, deren fluoreszierende, rostbefallenen Wände die Formen unbeschreiblicher Dinge und pervers wirbelnder Phantasmagorien unheilschwanger vor mir abzeichnen?

Der deplatzierte Geruch faulenden Holzes begleitet unser Vorankommen, und ich wundere mich ob der sich in meiner Wahrnehmung flüsternd manifestierenden Geistertöne dunkelkosmischer Choräle. Wie so viele andere in dieser Nacht Entrückte, deren halbparalysiert zuckenden Kolonnen wir von Zeit zu Zeit zügig passieren, trage auch ich das weiße Pilgergewand der ungefragt Erwählten, der Gezeichneten, derer, die die aufgebrauchten Erden ferner Gestirne, die entseelten Lebensplantagen einer feenhaften Gegenwelt, auf ein Neues mit der kosmogonischen Glut adamitischer Saat tränken. Bisweilen erwacht einer der irdischen Schicksalsgenossen zu einem rasch vergehenden Anblick schrecklicher Verwunderung, dem epileptische Panik folgt. Die riesigen Glotzaugen der die Menschenprozession flankierenden Akolythenwächter dieses dunklen Reigens zwingen ihm erneut und mit Leichtigkeit den unbegreiflichen Willen in ferndimensionalen Onyxbasiliken residierender Sternenfürsten auf. Falls etwas von dem traumatischen Erlebnis in seinem Verstand überdauern sollte, sodann als der verschleierte Abglanz eines launigen Nachtmahrs.

Nie gekannte Furcht wird sein irdisches Sein fortan subtil begleiten. Das dämonenbannende Licht eines trügerischen Tages dient von nun an bloß noch der zynischen Verkündigung einer ruhelosen Nacht. In ihren Schatten, wenn sich die vernarbte Oberfläche des wissenden, doch ewig versiegelten Mondes in all ihrer bedrohlichen Pracht vor einem sternenklaren Firmament offenbart und jener Pilger seinen fragenden Blick in Richtung des flirrenden Polarsterns wendet, wird er versuchen sich zu erinnern – vergebens …

Das Ziel der unfreiwilligen Reise ist mir noch nicht offenbar, als ein riesiges äffisches Vieh eine mit aufwendigen blauen Bodenreliefs geschmückte Wegkreuzung knurrend versperrt. Unter den starren Blicken meiner stummen Eskorte gibt es schließlich den Weg frei; die fellbewährten Klauen voll des getrockneten Blutes nächtlicher Streifzüge inmitten der tannenbestandenen Jagdgründe irdischer Reservate.

Wir wenden uns nach rechts. Die meisten der an diesen spärlich beleuchteten Gang anschließenden Ebenen zeigen sich von spiegelnden, tresorartigen Schotts hermetisch verriegelt. Vorerst ist es mir nicht gestattet, mehr zu sehen. Oder etwa doch? Durch die ganz offenbar flüssige Oberfläche einer merkwürdig pyramidalen Pforte gelangen wir in einen hohen, gewölbeartigen Raum. Die Architektur dieses von einer erdrückenden Schwingung durchzogenen Ortes gemahnt an die ehrfurchtgebietenden Formen der Antike, und im Schein unregelmäßig angebrachter Oberlichter werde ich einer Gruppe junger, halbentblößter Frauen im Angesicht eines emporragenden, vielbeinigen Gottes gewahr. Zwergenhafte, gebrechliche Leiber halbmenschlichen Antlitzes werden einer jeden der Versammelten von behutsamen, bizarr-gliedrigen Insektenklauen an die empfindsame Brust gelegt. Hier ist es, dass die Erdentöchter, die gezeichneten Bräute ewig unsichtbarer Gemahlen, in der weit ausstrahlenden Gegenwart eines Hohen Alten der kosmischen Brut einer neuen Welt den flüchtigen Segen mütterlicher Liebe, die Kommunion des anbrechenden Äons spenden.

Kurz verharren wir …

Dann neigt sich das diamantförmige Haupt des an eine Fangschrecke erinnernden Etwas mechanisch in meine Richtung, und vereinnahmt von den hypnotischen Mantisaugen dieses Chitin gewordenen Demiurgen entflammt mein Bewusstsein im neonfarbenen Chaosbrand einer flüchtig vor mir ausgebreiteten häretischen Kosmogonie … Bald schon wird meine Reise ein Ende finden, dem bin ich mir nun ebenso gewiss wie der sehnsüchtigen Liebe jener Mütter, die die zeitlosen Distanzen galaktischer Abgründe in der Hoffnung auf jenen Tag überdauern wird, an dem verlorene Töchter und Söhne in schwarzschimmernden Himmelsbarken aus Richtung unbekannter Sternenkonstellationen auf eine transformierte Erde hinabsteigen werden.

Kälte umfängt mich, als ich weiter voranschwebe. Meine Begleiter? Sie sind verschwunden! Die Gänge werden schmaler, werden dunkler. Geisterhafte Nebelschwaden, halberstorbenes Sternenlicht, ein statisches Summen, ein Raunen. Kosmischer Lobpreis aus den uralten Kehlen hochmächtiger, die Finsternis ruhelos durchwandelnder Nephilimgeister lässt mein bereits kosmostrunkenes Bewusstsein in ekstatischer Verzückung glimmen. Bald schon gewinne ich die Kontrolle über meinen Körper, der Bann scheint gebrochen. Doch wohin soll ich mich wenden? Man lässt mir keine Wahl! In der allgegenwärtigen Dunkelheit taumele ich angestrengt vorwärts, in Richtung des geringen, wenngleich unübersehbaren Scheins am Ende eines heruntergekommenen Ganges. Dieser modrige Geruch, diese Klänge. Wo soll dieser unerhörte Pilgerpfad enden?

Man hat mich bereits erwartet …

Als ich den hell erleuchteten weißen Saal betrete, bemerke ich ihre einschüchternden Präsenzen zu meiner Linken, doch würdige ich sie keines Blickes. Zu sehr zieht der massive flüssigkeitsgefüllte Container in der Mitte des Raums meine Aufmerksamkeit auf sich. Dahinter, getrennt durch eine glasähnliche, schimmernde Barrie: Myriaden funkelnder Sterne, die tiefe Schwärze des ewigen Alls, planetare Ansichten in all ihrer Herrlichkeit. Doch dieser Behälter, dieser einer von nie geschauten Abysskardinälen geweihten Wolfsblutmonstranz gleich dekadent präsentierte, mit perversen Schläuchen und irre blinkenden Anzeigen versehene, furchtbare Behälter! Darin ekelhaft blass, embryohaft treibend: Ich – mein Körper, mein Fleisch –, in identischem Alter, von gleichem Wuchs. Wie ist das möglich? Während ich voll Entsetzen in Richtung der geschlossenen Augen dieses blasphemischen Albtraumklons starre, in enthemmter, panischer Furcht ob einer widernatürlichen Regung des mich zutiefst schockierenden kahlen Wechselbalgs, bemerke ich eine geschuppte, krallenbewehrte Pranke eisig auf meiner linken Schulter ruhen. Den Klang der sich anschließenden, mich zutiefst verstörenden, menschliche Laute boshaft nachäffenden Stimme werde ich niemals, so lange ich denken kann vergessen. Sodann drängt mich das schuppige Etwas in Richtung einer aus dem Container seitlich auf Kopfhöhe hervorragenden, übel geformten, spinnenartigen Apparatur.

Moment … Nein! Was?

– O Gott, dem Himmel sei Dank! –

Welch Gnade wird mir zuteil, als ich plötzlich und über alle Maßen verschreckt aus diesem bizarren Albtraum erwache. Ungelenk ringe ich nach Luft. Wieviel Uhr ist es? Von draußen dringt kein Licht durch die Jalousie. Benommen taste ich umher. Dies ist meine Wohnung, ja, ganz gewiss. Wo auch immer ich mich befand, ich bin zurückgekehrt – lebendig! Ein bösartig luzider Traum, eine unerhört abartige Vision, doch mein Körper schmerzt. Diese Kälte, dieser merkwürdige Geruch … Taumelnd umherfallend, den Lichtschalter mühsam ertastend und erst beim zweiten Versuch betätigend, stolpere ich aus dem Schlafzimmer quer über den Flur ins Bad.

Ich weiß nicht mehr, ob ich geschrien habe, oder ob der wahnsinnige Klagelaut aus jener trockenen, unverbrauchten Kehle stumm in den inneren Sphären meines gepeinigten Wesens erstarb. Ich weiß nicht, wie lange ich ungläubig in das blanke, leichenblasse Gesicht gestarrt, wie lange ich irre kichernd die Tiefe jener Augen erforscht habe, die mir im Spiegel gespenstisch entgegenfunkelten – sie waren verändert. Sind diese empfindsamen Oberflächen nicht das Tor zur Seele?

Doch, gewiss …

Und letztendlich, nach einer ewigen Weile, bereits fernab von Zeit und Raum, dort am Grunde meines Seins, die perlmuttfarbenen Tore der Wahrnehmung berstend zerstoßend und durchschreitend, jenseits der mondlichtbeschienenen Brandungen mitternächtlicher Traumoasen, sah ich es! Sah ich seine irremachende verherrlichte Form, sah ich die sich ewig windende, umherschlagende, blind blökend nistende Inspiration vorsintflutlicher, myzelverseuchter Götzenpriester im schattenlosen Brennpunkt einer geisterhaften Innenschau, und alle Existenz beklagend, gemahnte ich mich schaudernd jener gnadenlos finster zischenden Stimme inmitten der verborgenen Thronwelt gefallener Götter, nahe den Bestiariumshallen kuttenverhüllter, facettenäugiger Hofzwerge, im weihenden Schein ewig dunklen Sternenlichts:

»Tritt vor! Ohne deine Seele kann es nicht leben.«

Wahrlich, finster sind die Wege an diesem Ort. Sie sind Teil der mir vertrauten materiellen Welt, und von nun an werde ich sie niemals mehr allein beschreiten.

Organismus

Die finalen Tage des Jahreskreises zeigten sich in all ihrer durch das verborgene Wirken der Elemente bedingten Wonne. Die hell erleuchteten Mittagsstunden kristallklar, bitterkalt durchweht, mit atmosphärischen Panoramen einer den ersten Schnee erwartenden Natur; die nunmehr lichten, von rostfarbenem Laub gesalbten Talhänge in ein ausladendes Kleid spätherbstlichen Nebels gehüllt; die Dunkelheit früh einsetzend und die Menschen zurück in ihre Stuben drängend, an ihre zugestandenen Plätze, die den seelenlosen Werkmächten des Demiurgen und jenen aus der äußeren Finsternis eindringenden Larven formloser Astralpolypen einst opferreich abgetrotzt worden waren.