Ich seh' den Himmel ... - Karin Brose - E-Book

Ich seh' den Himmel ... E-Book

Karin Brose

0,0

Beschreibung

Ich seh‘ den Himmel, aber die Straße bleibt im Kopf. Jörg Petersen, ehemals selbst obdachlos, schaut auf sein Leben und engagiert sich heute auch für andere. Im Gespräch mit Karin Brose erzählt er aus seinem Leben. Für den Straßenmagazin-Verkäufer ist HinzundKunzt heute ist seine Familie, sein ganzer Halt. Mit unglaublichem Optimismus schaut Jörg Petersen in die Zukunft. Ein kleines Buch von und über einen besonderen Menschen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 75

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ich seh’ den Himmel,

...aber die Straße bleibt im Kopf

Jörg Petersen, mehrere Jahre obdachlos, im Gespräch mit Karin Brose – Einblick in ein bewegtes Leben.

Jörg Petersen, Hittfeld

Karin Brose, Hamburg

Inhalt

Der Mann vor dem Aldi Markt

Auch Obdachlose haben eine Ehre

Leben auf der Straße

Das Straßen– Magazin

Frau macht „Platte“

Gründe gibt es genug

Mit Abstand gefragt,

Zurück in der Normalität

Herr Petersen verreist

Engagement für Andere

Mathilde

Erinnern tut weh

Highlight

Das Lebens-Karussell

1990

Vertrauen

Hier bin ich wer

Bei 29°

Viel umme Ohren

H&K wird 25

Wieder ein Jahr

Der Mann vor dem Aldi Markt

Wir kennen uns schon ein paar Jahre, der freundliche Hinz&Kunzt-Verkäufer und ich. „Kennen“ ist vielleicht zu viel gesagt, aber jeden Freitag, wenn ich einkaufe, treffe ich ihn. Wie leicht sagt man „den kenne ich“. Seit langer Zeit hast du Berührpunkte mit einer Person und irgendwie gehört sie damit in dein Leben. Aber „kennen“? Ich habe auch täglich durch die Presse Berührung mit der Kanzlerin. Aber kann ich sagen, dass ich sie kenne?

Der Zeitungsverkäufer ist jedoch inzwischen eine feste Größe für mich. Ich freue mich immer auf seine Ansprache. Wenn er einmal nicht an seinem Platz ist, mache ich mir Gedanken, was wohl geschehen sein mag. Er schwänzt nämlich nicht.

Der sympathische Mann bietet bei Wind und Wetter vor dem Supermarkt seine Zeitung an. Mit vielen Kunden führt er Gespräche. Für jeden hat er ein freundliches Wort. Dieser Mensch strahlt etwas außerordentlich Positives aus. Viele der Kunden lassen ihren Euro, mit dem sie den Einkaufwagen geliehen hatten, nach dem Einkauf bei ihm. Nicht alle kaufen ihm seine Zeitung ab.

Erst seit kurzem weiß ich seinen Namen. Er heißt Jörg Petersen. Ich erfuhr ihn aus einem Pressebericht, denn Herr Petersen gehörte zu einer Delegation von armen Menschen, die vom Papst nach Rom eingeladen waren.

Inzwischen hat er einen zweiten Standort, wo er das Straßenmagazin anbietet. Der Besitzer des anderen großen Supermarktes Vorort hat ihn gebeten, doch bitte zwei Mal pro Woche auch vor seinem Geschäft zu stehen. Nun finden Kunden Herrn Petersen Dienstag und Freitag am Nachmittag dort. Und er ist auch hier eine echte Bereicherung.

Als ehemals Obdachloser setzt sich der sehr engagierte und aktive Mann jetzt zusammen mit Hinz&Kunzt für das Wohl der Noch-Obdachlosen ein. Für die Petition an den Bürgermeister, die Winternotquartiere auch tagsüber zu öffnen, hat er fast 110000 unterstützende Unterschriften gesammelt. TV, Presse und Funk reichen Jörg Petersen herum. So ungewöhnlich wie bemerkenswert ist es, dass aus diesem Milieu eine Stimme kommt. Eine Stimme, die man hört.

Ich habe ihn gefragt, ob er wohl über sich und sein Leben erzählen mag, denn ich denke, dass das viele Menschen interessieren wird. – Er hat mich angelächelt in seiner bescheidenen Art und er hat „ja, gern“ gesagt.

Zu einem Vorgespräch treffen wir uns im Café des Supermarktes. Wir verstehen uns auf Anhieb und geraten ins Klönen. Ein älterer Kunde kommt auf uns zu und fragt mich, ob mir der Mercedes mit dem Kennzeichen xyz gehört. Ich verneine. Dann fragt er Herrn Petersen. Der lächelt ihn freundlich an und sagt bierernst „Ich habe gar kein Auto“. Wir beide wissen, dass dieser Spruch aus einer Kaffeewerbung ist und prusten los. Wir lachen bis wir total außer Atem sind. Der Fragerschaut genervt, vorbeigehende Kunde scheinen leicht befremdet. Was gibt es hier zu lachen?

Uns ist klar, dass es bereits zahlreiche Bücher auf dem Markt gibt, die von Obdachlosigkeit oder dem Leben auf der Straße handeln. Nun werden Sie vielleicht fragen: „Und warum dann noch eines?“ Die Antwort liegt auf der Hand. Herr Petersen ist ein Mensch, der es geschafft hat, der Straße zu entkommen. Er steht hier für zahlreiche andere, deren Schicksale wir aus unserem Alltag gern ausblenden, von denen wir wenig oder gar nichts wissen, die aber unsere Beachtung verdienen. Ich freue mich, wenn es unser kleines Buch schafft, viele Leser zu erreichen, wenn Sie nach dem Lesen sagen: „Gut.“ Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wir geben individuelle Eindrücke und Ansichten von Jörg Petersen weiter.

Im Folgenden erscheint unverändert alles, was Herr Petersen erzählt, kursiv gedruckt.

– Karin Brose

Auch Obdachlose haben eine Ehre

2000 bis 2500 Menschen ohne festen Wohnsitz leben derzeit auf Hamburgs Straßen.

Als Gründe für den steten Anstieg dieser Zahlen werden unter anderem die EU-Freizügigkeit, der angespannte Wohnungsmarkt, neuerdings hohe Flüchtlingszahlen sowie prekäre Arbeitsbedingungen genannt.

Es ist zu beobachten, dass die Obdachlosen immer jünger und internationaler werden. Auch der Frauenanteil wächst. Zudem kann man davon ausgehen, dass die Dunkelziffer deutlich über den Schätzungen liegen dürfte, da viele Obdachlose nicht auffallen wollen und an unauffälligen Orten, wie im Wald oder in Parks leben.

Von manchen als Penner oder auch Berber beschimpft, ziehen Menschen ohne festen Wohnsitz durch die Stadt. Manche mit Gepäck, andere ohne. Einige sprechen in der Öffentlichkeit dem Alkohol zu, andere sitzen nur so da. Dem einen oder anderen sieht man an, dass er krank ist. Den Kommentar der Vorübergehenden nehmen sie ohne Reaktion zur Kenntnis. „Die sollten lieber arbeiten, faules Pack!“ Manche campieren mit ein zwei Hunden am Straßenrand. „Haben selbst nix, aber zwei große Hunde!“ Kopfschütteln. Hin und wieder verirrt sich einer in ein Restaurant und versucht dort sein Glück, an ein wenig Unterstützung zu kommen. „Bei allem Verständnis, aber hier muss der nun nicht auflaufen.“ Solche Kommentare sind noch die Harmloseren. Immer wieder werden Obdachlose zusammengetreten oder mit Messern angegriffen. Neulich haben Jugendliche versucht, einen schlafenden Mann anzuzünden. Und nicht immer sind die Täter rechtsgerichtete Menschen, es sind auch Obdachlose selbst, die andere aus Neid bekämpfen.

Beschimpfungen sollte man zu ignorieren versuchen. Das ist schwer und gelingt nicht immer. Häufig führen sie zu heftigen Wortgefechten, wenn es ganz schlecht kommt, auch zu körperlichen Auseinandersetzungen, wenn man darauf reagiert.

Sogar Menschen mit Migrationshintergrund attackieren Obdachlose! Die sind für sie ehrlose Menschen, weil ihre Familien sich nicht um sie kümmern. Wenn also Angehörige es zulassen, dass jemand auf der Straße leben muss, bedeutet das für diese Leute, dass derjenige wohl ehrlos sein muss.

Als Obdachloser wirst du häufig schief angeguckt. Schon weil du viel Gepäck mit dir rumschleppst. Rucksack, Schlafsack und was du sonst noch so hast. Außerdem lassen deine Hygiene und deine Kleidung darauf schließen, dass bei dir was nicht in Ordnung sein kann. Aber in Wirklichkeit will keiner so genau wissen, warum einer so heruntergekommen aussieht. So was kommt in seiner heilen Welt eben nicht vor.

Das ist mit die Ursache dafür, dass Obdachlose sich von der Gesellschaft abkapseln und sich in ihr Schicksal ergeben. Man fühlt sich verstoßen und ausgeschlossen vom normalen Leben. Sobald du die Möglichkeit hast, dich wieder um dein Äußeres zu kümmern, wirst du auch wieder als Mensch wahrgenommen. „Kleider machen Leute“, das ist schon sehr wahr.

Leider habe ich als Obdachloser aber meist nicht die Möglichkeit, mich täglich vor den Spiegel zu stellen und mir frische Klamotten aus dem Schrank zu nehmen.

Wenn ich draußen geschlafen habe, hab ich manchmal für mindestens 4 € ein paar Sachen im Schließfach gebunkert. Manchmal bin ich zum „Stützpunkt“ gegangen. Da konnte ich von morgens bis abends 18 Uhr meine Sachen einstellen. Aber dann musste ich sie wieder abholen. Und dann?

Selbst wenn es nicht regnet, müffeln die Sachen im Rucksack. Deshalb hat man möglichst wenig davon. Da gilt auch für den Schlafsack. Den lüftest du im Park aus, aber was ist, wenn es regnet?

Waschcenter sind teuer. Zwar kann man seine Sachen und den Schlafsack auch in sozialen Einrichtungen reinigen, aber wie soll der trocknen?

Obdachlose sehen oft nicht besonders gepflegt aus. Manche sind sogar verwahrlost und dreckig. Schmutzige Kleidung, meist mehrere Lagen übereinander und verfilztes Haar, sichere Zeichen dafür, dass da jemand anders lebt als die Mehrheit. So manchem Bürger sind sie ein Dorn im Auge, diese Anderen. Das kann verschiedene Gründe haben. Die Größe des Dornes richtet sich meist nach der Befindlichkeit und den Lebensumständen der Betrachter selbst. Zum Beispiel der, der da am Rande des Gehwegs lang ausgestreckt auf dem Rücken liegt. Seine Beine sind breit geöffnet, so dass man den großen feuchten Fleck dazwischen sehen kann. Seine Kleidung ist dreckig, das Haar verfilzt. Neben sich hat er einen Pappteller gestellt, auf den Passanten Geld legen sollen. Zur Animation hat er schon mal 30 Cent darauf verteilt. Der Mann schläft. „Guck dir das an!“ hört man einen Vorbeigehenden sagen, „der will sein Geld im Schlaf verdienen.“ – Und dann verächtlich: „Pack.“

Wer obdachlos ist, der hat keine Bleibe, kein Zuhause. Er ist wohnungslos aber nicht ehrlos. Obdachlos heißt auch ein Leben in „Freiheit“, obwohl man ja trotzdem gefangen ist in einer Welt voller Vorurteile und gesellschaftlicher Ausgrenzung. Das ist kompliziert.

Und die Gründe für das Leben da draußen sind vielfältig.

Manche wollen eben einfach frei sein. Die haben einen Freiheitsdrang, der nicht in das normale Leben heute passt.

Andere schaffen ihr Leben einfach nicht.