Ihr Sarg. - Melody Maurer - E-Book

Ihr Sarg. E-Book

Melody Maurer

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Beschreibung

Ihr Sarg. Teil 3. "Ihr Sarg" ist der dritte und letzte Teil von Melody Maurers, der Autorin, und Martin Christens, des Verfassers, im Zusammenhang mit der Pandemie 2020-2023 entstandenen vierteiligen"Sarg-Roman-Serie". Im Zentrum des Geschehens stehen diesmal das aargauische Agglodorf Turgi und dessen lokale Fusionsbemühungen mit der Kleinstadt Baden sowie - im Gegensatz dazu - Emmanuel Macrons Entscheidungen von innen- und weltpolitischer Bedeutung im Elysée-Palast in Paris. Melody Maurer gelingt es ausgezeichnet, auftretende Probleme auf politischer, zwischenmenschlicher, gesundheitlicher, krimineller Ebene detailgetreu, stets aus feministischer und linker Perspektive locker, leicht und oft humorvoll zu schildern. Sehr erwähnenswert sind die eingestreuten, über hundert "Unterbrecherwerbungen" - fantasievoll, einmalig, einzigartig! Erneut ein sehr gut gelungenes Werk! Ekaterina Pawlow und Naledi Baumann, Zürich

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«It’s ok, it’s ok, it’s ok!»

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. So.

2. Update: Amélie und Joline

3. Schon Hermann Hesse

4. «Mal du coeur», Herzschmerz,

5. Amélies Sarg

6. Ihre Buchvernissage,

7. Emmanuel Macron

8. Sehr erfreulich war sie

9. Am 8. oder 15. Januar 2023,

10. Es war furchtbar!

11. Die Männer-Fussball-WM

12. Die Sitzung des Badener Ein-

13. Die Bundesratswahlen fanden

14. «Absurde Idee»

15. Neige! Snow! Schnee!

16. Hubert Heidn, 2009,

17. Als Jugendliche hatten sie und

18. «Erwachsen» war das richtige

19. Auch sie mussten sparen,

20. Weihnachten

21. Die Staatsstreichversuche

22. «Mon Dieu!»,

23. Ekaterina meldete sich etwas

24. Telefonieren mit

25. Inzwischen war einiges passiert:

26. Fast eine Woche verbrachten

27. «Final Report … January 6th».

28. Die zehn Tage des Übergangs

29. Ach für Silvester und Neujahr

30. Die sie sofort in die Tat umsetz-

31. Um elf Uhr standen die 80 vor-

32. Nun war also der Erste Erste

33. Die Metaebene trat nun wieder,

34. Was war denn eigentlich

35. Was war das für ein erster

36. Amélies Kopfschmerzen

37. Wie das ABB-Gebäude samt

38. Das absolute Chaos

39. Melodys Ergänzung: «Idiotisch!»

40. Der Sarg war nach wie vor

41. Die Vorfreude auf das

42. Punkt elf Uhr

43. Diese Pracht! Dieser Luxus!

44. Schon immer sei er bestrebt

45. Macron war ein genialer

46. Amélies Sarg?

47. Das «Frauentheater Turgi»

48. Die Ermittlungen

49. Melody entschied sich,

50. «George Santos»

51. Amélies Gesundheitszustand

52. Sie entschlossen sich,

53. Am 26. Januar 2023 legte sich

54. Amélie und Joline erreichten

55. Hätte Melody im Innern

56. In der Nähe des Arc de Triomphe

57. Schon wieder befand sich

58. Pünktlich um 10.00 Uhr

59. Um 16 Uhr dreissig standen sie

60. Seit beinahe 30 Stunden sass

61. Es war schon stockdunkel

62. Das ganze Wochenende

63. Sie waren nun auf dem

64. An der Volksabstimmung vom

66. Turgis Alltag

68. «Um zehn Uhr fand zum ersten

69. Das war Amélie noch nie

70. Für Melody war es natürlich

71. M: «Was sagst du zu dieser Be-

72. M: Warum sie ihr das denn nie

73. Eine «Rede an die Nation»

74. Im Tessin soll es am Samstag

75. Nach Sessa.

76. «I Grappoli»,

77. Amélie Froidevaux hatte also

78. Den nächsten Beratungstermin

79. «Ich hätte Jus studieren sollen»,

80. Ihren zweiten ärztlichen Termin

81. Bevor Melody daran ging,

82. Während sich Melody

83. Amélie hatte sich nun längere

84. Bidens «Coup»,

85. Melody erkundigte sich täglich

86. Amélie und Joline hatten sich

87. Was für eine Überraschung!

88. Die TGV-Fahrt war gebucht,

89. Punkt neun Uhr fünfzig

90. Amélie hatte von ihrer Ärztin

91. Eventuell wichtige Ergänzung!

92. Per Métro fuhr Amélie

93. Nun hatte sich Melody

94. Der Diktator Trump

95. Gestern erhielt Amélie per Post

96. «Schreiber vs. Schneider».

97. Heute war der 12. März 2023,

98. Mitten in der Feier

99. Der Verfasser war …

100. Nachwort

Vorwort

Hier beginnt der dritte und letzte Teil meiner Trilogie, der eigentlich bereits Band 4 wäre, würde ich korrekterweise den Politkrimi «Sein Sarg» dazuzählen.

Kann ich, darf ich jedoch nicht, obwohl meine drei Politromane die Fortsetzung bilden.

Denn sein Autor, obwohl der Verfasser aller vier Bücher und mir, ist Martin Christen, ehemaliger Bezirkslehrer und Aargauer SP-Politiker.

Nun: Dieses Buch beginnt genau dort, wo Band 3 aufgehört hat: Bei Amélies Sarg, der sich nun wieder in Turgi, ihrem «vorübergehenden» Aufenthaltsort, befindet.

Nachdem sich dieser aus der «Clinique St. Pierre» in Perpignan «gebeamt» und das französische Präsidentenpaar verlassen hatte, das vier Tage vorher als dessen ohnmächtiger, bewusstloser oder «winter- beziehungsweise tiefschlafähnlicher» Inhalt per Ambulanz eingeliefert worden war.

Nicht vergessen zu erwähnen darf ich den Auslöser dieses vierteiligen Dramas, Hubert Heidn, den Eigentümer des ersten in der Romanreihe vorkommenden Sargs, Lehrer und Politiker, der vor genau drei Jahren, am 22. Oktober 2020, im «Village Oasis», einem FKK-Dorf in Südfrankreich, brutal und gnadenlos von einem oder zwei Heckenschützen hinterrücks abgeknallt worden war, als er sich, auf seinem Sarg sitzend, an seine Kinder denkend und auf Amélie wartend, morgens um 02.22 Uhr am Sandstrand aufgehalten hatte.

Nackt.

Natürlich nackt.

Denn auch mir, Melody, der Autorin, wie ihm, Heidn, geht und ging es um nichts anderes als um die Wahrheit.

Um die nackte, die wahre, die unverhüllte Wahrheit.

Und da ich Teil der Geschichte bin, eine der handelnden, a- und reagierenden, denkenden, den Verlauf der Politstory massgeblich beeinflussenden Figuren, tue ich das als von mir von aussen Wahrgenommene – in der dritten Person Singular:

Sie, Melody Maurer, freie Autorin und freie Psychologin.

Deren Ziel es ist, diesen letzten Band bis am 22. Mai 2023 fertiggestellt zu haben.

Unterstützt von Ekaterina Pawlow, Joline Berzaine und Naledi Baumann, ihren WG-Freundinnen, sowie Herrn Schwarz, dem um- und weitsichtigen «Oasis»-Gründer und -Verwalter, der sich momentan im Spital in Narbonne befindet und dem wir von dieser «Vorwort»-Stelle aus beste Genesungswünsche senden.

Dasselbe gilt selbstverständlich auch für Emmanuel Macron und dessen Gattin Brigitte Trogneux: «Meilleurs voeux de prompt rétablissement!»

Turgi, 23. Oktober 2022

Melody Maurer, Autorin, Turgi, Schweiz.

Von der Autorin bewilligte Unterbrecherwerbung 1 Links: Sekunden. Rechts: Inhalt.

«Unterbrecherwerbung ist das halbe Leben – daran muss sich die einigermassen zivilisierte Gesellschaft unbedingt gewöhnen.»Der Verfasser, 2023.

1 So.

Nach drei intensiven Wochen der Manuskriptüberarbeitung, die Melody mit dem Buchtext- und Buchcover-Versand an den BoD-Verlag in Deutschland erfolgreich abschliessen konnte, der Fixierung eines Buchvernissage-Termins und den damit beginnenden Vorbereitungen konnte Melody endlich wieder daran gehen, sich zu überlegen, wie sie mit Teil vier weiterfahren wollte.

Fundamentale Änderungen kamen nicht in Frage – weiterhin sollten wichtige welt- oder lokalpolitische Themen sowie tagebuchähnliche Einträge ihren Platz haben.

Heidn und dessen Nachlass hingegen würde etwas in den Hintergrund gedrängt – das Leben und dessen Entwicklungen hier und jetzt erschienen ihr, wenigstens zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wichtiger zu sein als detailreiche Blicke zurück auf längst vergangene politische Gefechte um AKWs, Natur-, Umweltschutz- und andere Fragen.

Das hing auch damit zusammen, dass sie sich nun selbst aktiv beteiligen wollte an politischen Prozessen, dass sie selbst etwas bewegen, sich einmischen, mitreden wollte, und sei dies auch nur auf lokaler Ebene.

Deshalb empfand sie es als Vorteil, nicht mehr in einer «anonymen» Grossstadt wie Zürich zu wohnen, sondern in einem kleinen, überschaubaren Agglodorf wie Turgi, wo sich die Leute noch kannten, wo man sich problemlos einbringen konnte, wenn man die entsprechenden Anlässe besuchte.

Wie beispielsweise den gestrigen.

Bei dem es darum ging, eine Art „Dorfverein“ zu gründen, der mithelfen sollte, nach der erfolgten Fusion den Dorfcharakter zu erhalten, die Identität Turgis als Stadtteil Badens zu wahren, die dörfliche Gemeinschaft, die Wohn- und Lebensqualität dieses neuen, elften Badener Quartiers zu fördern.

Etwa zwanzig Personen hatten sich eingefunden im „Bauernhaus an der Limmat“, dem gemeindeeigenen Veranstaltungslokal, um sich am Beispiel des Quartiervereins Kappelerhof vorstellen zu können, welche Vorteile ein solcher Verein dem Dorf im Falle einer Fusion bringen könnte.

Und der Präsident dieses „Kappi“-Clubs legte sich richtig ins Zeu…

Von der Autorin bewilligte Unterbrecherwerbung 2

…tig ins Zeug und und beschrieb so eindrücklich, einleuchtend und überzeugend die vielen Funktionen und Vereinsaktivitäten, dass unter den Zuhörenden die Frage aufkam, warum man in Turgi eigentlich bisher noch nie auf die Idee gekommen war, eine derartige Institution ins Leben zu rufen – auch ohne Fusion.

An der von einer Gemeinderätin geleiteteten anschliessenden Diskussion beteiligte sich mehrmals auch Melody:

Wie der Verein finanziert werde, ob so ein Verein wirklich die Interessen des Quartiers gegenüber dem Stadtrat vertreten könne, auf welche Weise eine solche Organisation dazu beitrage, dass sich die Leute weiterhin mit ihrem Wohnquartier identifizieren könnten.

Und auf die Wie-weiter-Frage – alle Anwesenden waren inzwischen vollkommen von der Notwendigkeit eines Dorfvereins überzeugt – schlug Melody vor, eine Arbeitsgruppe ins Leben zu rufen, die die Gründung vorbereiten, mindestens den Zweckartikel entwerfen und das weitere Vorgehen inklusive Zeitplan festlegen sollte, womit alle einverstanden waren, was ihr ein wirklich gutes Gefühl gab:

Sie hatte sich aktiv an der Problemlösung beteiligt, einen konstruktiven Vorschlag vor- und damit das gemeinsame Projekt „Vereinsgründung“ einen Schritt weitergebracht, so dass sie nach einigen Gesprächen, unter anderem mit einem Vorstandsmitglied der SP Baden, das sie nach einem Kompliment, sie habe wirklich gut und überzeugend argumentiert, auch gleich fragte, ob sie sich vorstellen könnte, der SP Baden beizutreten und dann auch für einen der acht Einwohnerratssitze zu kandidieren, was sie mit einem „Eventuell-vielleicht-sie-werdees-sich-mal-überlegen“ beantwortete, zufrieden in die Heidn-Wohnung zurückkehrte, wo Amélie und Joline auf sie warteten.

„Und? Wie war’s?“

„Cool! Am liebsten würde ich umziehen!“

„Was? Wohin denn?“

„In den Kappelerhof!“

2 Update: Amélie und Joline

waren noch drei Tage länger im Oasis geblieben, weil sie Emmanuel Macron, dessen Frau Brigitte und Herrn Schwarz im Spital besuchen wollten.

Während es ziemlich unkompliziert war, Herrn Schwarz im „Centre Hospitalier de Narbonne“ ausfindig zu machen und einen Besuchstermin zu vereinbaren, gestaltete sich das im Fall des französischen Präsidenten als nicht nur äusserst schwierig, sondern als vollkommen unmöglich: Neben einigen wenigen Familienangehörigen war es nur den drei engsten Mitarbeiter*innen sowie der Innenministerin und dem Senatspräsidenten gestattet, direkt mit dem Präsidenten zu sprechen – und auch erst ab Dienstag, da die „Aufwachphase“ wider Erwarten etwas länger dauerte und Macron auf Anraten des Ärztinnenteams die Klinik erst am Freitag verlassen und seine Amtsgeschäfte frühestens am darauffolgenden Montag wieder aufnehmen konnte.

So blieb Amélie und Joline nichts anderes übrig als ihre Genesungswünsche in postalischer Brief- und Mailform zu versenden und zu hoffen, dass Emmanuel einmal die Zeit finden würde, ihre Briefe zu überfliegen und eventuell sogar darauf in irgendeiner Form zu antworten.

Herrn Schwarz besuchten sie am Montagnachmittag, nachdem sie das Wochenende mehrheitlich mit Lesen, einem Ausflug nach Béziers, am Strand und auf dem Balkon verbracht hatten. Von den Verwüstungen war nichts mehr zu sehen: Alles war aufgeräumt, in Ordnung gebracht oder repariert worden und die Ferienanlage sah wieder so gepflegt, einladend und freundlich aus wie vorher.

Herr Schwarz trug einen leuchtend-grünen Kopf…

Von der Autorin bewilligte Unterbrecherwerbung 3

… -grünen Kopfverband, lag in einem Zweibettzimmer und freute sich auf ihren Besuch. Amélie und Joline merkten, dass er – vermutlich wegen der Medikamente – noch etwas Schwierigkeiten beim Sprechen und eventuell auch einige Gedächtnislücken hatte. Jedenfalls war ihm alles, was sie ihm über Emmanuel Macron und dessen Frau erzählten, komplett neu – immerhin konnte er sich noch bis an jenen Moment erinnern, als er die Wohnungstüre zum R 10 öffnen und eintreten wollte – er war dann erst zwei Tage nach der Operation erwacht, und das Pflegepersonal hatte anderes zu tun gehabt, als ihn über das Präsidentenpaar upzudaten.

Er hoffte, Ende Woche nach Hause zurückkehren und seine Arbeit einige Tage später wieder aufnehmen zu können.

Und am Dienstag waren Amélie und Joline dann zurückgereist, ohne grosse Verspätungen.

Seither hatten sie wieder täglich ihre «Youtube-Sunglasses-News»-Sendungen moderiert, sich regelmässig im Sarg erholt, verschiedene kulturelle Veranstaltungen besucht und darüber diskutiert, ab wann sie wieder definitiv in Frankreich wohnen wollten – und wo.

Der ganze Monat Oktober war so mild, dass sie zu dritt mehrmals richtige «Wanderungen» unternahmen – auf die Baldegg, an den Egelsee, auf das Gebenstorfer Horn, nach Schinznach Bad und in den Bruno-Weber-Park.

Und ihre Velotour führte sie wohin?

Richtig: Ins «Chläb».

So dass sich Melody nun, am Saisonende, entschied, diesem Verein beizutreten.

Dem «Heliosport Aargau».

Einem FKK-Familien-, Sport-, Freizeit- und Camping-Club!

3 Schon Hermann Hesse

hatte sich, wie sie mal gelesen hatte, im Freien am liebsten nackt aufgehalten. Berühmt wurden seine Nacktklettereien in Amden, Schweiz, sowie seine schwarzweissen Ganzkörperaufnahmen, aufgenommen von seiner damaligen Frau. Ebenfalls bekannt war ihr das freizügige Leben in der Künstler*innenkolonie auf dem Monte Verità, wo sich die meisten, wann immer es möglich war, textilfrei aufhielten.

Im Internet fand sie weitere Hinweise:

„Ich lag wie im Sommer, fühlte die Dezembersonne auf Nacken und Arme brennen und dachte mit Behagen an meine Heimat am Bodensee, wo jetzt feuchte Kühle und Nebel herrschten. Dann begann ich, mir Hände und Arme mit Schnee zu waschen. Und da dies köstlich wohltat, warf ich eilig Schuhe und Strümpfe und alle Kleider ab, tat einen Freudenschrei und badete mich erschauernd im körnigen Schnee. Als ich wieder in den Kleidern war und in der Sonne lag, fühlte ich unter der erfrischten Haut mein Blut wohliger und wärmer und lebendiger kreisen als je nach dem raffiniertesten Dampfbad.“(„Wintertage in Graubünden“)

Den Verzicht auf Sonnenschutzmittel, wie wir sie heute kennen, bekam logischerweise auch Hesse zu spüren:

„Ich konnte weder auf dem Rücken noch auf den Seiten liegen, die Haut ging in Streifen ab, und mir blieb nichts übrig, als trotz der Kühle nackt auf- und abzugehen und zwischenhinein sitzend ein wenig zu rasten.“ („In den Felsen“, 1907)

«Nackt in der Sonne zu liegen ist immer eine Wonne; es ist schön, wenn man es auf einer Wiese oder im Sand am Ufer oder auf der Dachterrasse eines Hauses tut, aber nirgends ist es so schön wie auf einem grossen Wasserspiegel in einem Boot, das wie ein Kelch die Wär…

Von der Autorin bewilligte Unterbrecherwerbung 4

… die Wärme empfängt und hält. … Wie alle Dichtung Erinnerung ist, so sind die seltsamen Regungen und phantastischen Träume, die in solchen Sonnenstunden in uns spielen, Erinnerungen an fernstes Ehemals, an Schöpfung und Urzeit, an den «Geist über den Wassern»…»(Gesammelte Werke, Band 6, Suhrkamp 1970, S.192)

Genau! Das, was Hesse so treffend beschrieb, hatte sie selbst schon mehrmals empfunden – mit Ausnahme eines Sonnenbrands natürlich. Denn auch im Schnee hatte sie sich einmal vollkommen kleiderlos gewälzt, als sie und ihr Bruder als Sechs- und Achtjährige in den Skiferien auf die Idee gekommen waren, bei strahlendem Sonnenschein eine Badehose-Schneeballschlacht zu veranstalten, die dann in einen mehrminütigen Catch-as-can-Kampf ausartete, von dem sie sich und ihre geröteten Körper bei einer heissen Tasse Ovomaltine stundenlang hatten erholen müssen…

In Heidns Büchergestell im Büroschlafraum entdeckte Melody zwei uralte Bücher, in denen die Gründungszeit der Schweizer FKK-Bewegung festgehalten worden waren: Das eine stammte von Eduard Fankhauser und trug den Titel «Nacktheit vor Gericht» und war 1930 und 1948 in einer Zweitauflage im Verlag «die neue zeit» in Thielle erschienen, das andere hiess «durchsonnte menschen», publiziert 1959 und verfasst von einem schwedischen Arzt.

Wie Melody beim Durchblättern feststellte, empfahl der Arzt «das Sonnen- oder Lichtbad … für eine gesunde Entwicklung des Körpers, … doch nur, wenn die Bestrahlung so schwach ist, dass sie nicht zur Rötung der Haut führt.»

Ausführlich äusserte sich der Autor auch zu den Themen «Schamgefühl» und «Prüderie»: Das Schamgefühl sei eine Folge der Bekleidung des Körpers – es sei nicht natürlich, sondern künstlich: «Würde die Nacktheit Mode werden, so würde man sich über sie nicht schämen, so wenig man sich über die moderne Kleidung schämt, …». Aus diesem Schamgefühl habe sich eine Angst vor allem Nackten entwickelt, die man «Prüderie» nenne, und «die im Laufe der Zeiten die eigentümlichsten Formen angenommen» hätte, zum Beispiel, dass man Teile des menschlichen Körpers in «anständige, minderanständige und unanständige» einteile, was «grundfalsch» sei.

Fankhauser beschrieb in seinem 90-seitigen, in Leinen gebundenen Büchlein die verschiedenen Gerichtsverfahren, in die er wegen seiner FKK-Aktivitäten verwickelt worden war.

So war er im März 1926 «wegen Widerhandlung gegen das Gesetz über Massnahmen gegen die Schundliteratur» zu einer Busse von 30 und den Verfahrenskosten von 21 Franken verurteilt worden, weil er seine FKK-Zeitschrift «die neue zeit», dem weltweit ältesten FKK-Magazin, in einem Schaukasten in Bern ausgestellt hatte.

Gegen dieses Urteil erhob er beim Berner Obergericht Einspruch, so dass es dann am 29. September 1926 in der Sache «Schundliteratur» zu einer zweiten Verhandlung kam, die mit folgendem Urteil endete:

«In Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wird Fankhauser, Eduard, vorgenannt, von der Anschuldigung der Widerhandlung gegen das Gesetz über die Massnahmen gegen die Schundliteratur vom 10. September 1916, angeblich begangen in Bern im März 1926, freigesprochen, ohne Entschädigung und ohne Zuspruch von Verteidigungskosten.

Die erst- und oberinstanzlichen Kosten werden dem Staat auferlegt.

Bern, den 29. September 1926.»

In der mehrseitigen Begründung wurden neben anderen folgende Argumente aufgeführt:

«Die Darstellung nackter menschlicher Körper ist an und für sich nicht unsittlich oder objektiv anstössig. Diese Auffassung kann heute wohl als allgemein anerkannt gelten. …

Die Erfahrung lehrt, dass ein mehr oder weniger geschicktes Verhüllen des menschlichen Körpers unter Umständen die Phantasie, namentlich der Jugend, in einer Weise anzuregen geeignet ist, wie es bei einer völligen Entblössung nicht der Fall wäre. … Nacktheit hat an sich weder mit Sittlichkeit noch mit Unsittlichkeit etwas zu tun. …

Es darf zwar erwartet werden, dass die Freunde der Nacktkultur durch die Betätigung ihrer Ideen der Öffentlichkeit keinen unnötigen Anstoss geben. Ein Recht auf Propagierung der von ihnen vertretenen Anschauungen im Rahmen der Rechtsordnung muss ihnen aber zugestanden werden. …

Bei einer Prüfung der incriminierten Darstellungen im Sinne der gemachten Ausführungen kann nicht angenommen werden, dass ein normal empfindender Durchschnittsmensch unseres modernen Zeitalters durch diese Bilder in seiner Sittlichkeit gefährdet oder in seinem Schamgefühl gröblich verletzt werde oder sonstwie an diesen Abbildungen groben Anstoss nehmen müsse.»

Über 96 Jahre nach diesem Urteil freute sich auch Melody über diesen Freispruch: Natürlich war die heutige Gesellschaft einerseits viel aufgeschlossener, offener und fortschrittlicher, und im Internet…

Von der Autorin bewilligte Unterbrecherwerbung 5

… Internet wimmelte es nur so und millionenfach von Pornoseiten, Pornovideos und anderen Nuditäten, doch andererseits war im normalen Alltag von diesen «Freiheiten» wenig zu spüren: Nacktheit war noch immer ein Tabuthema, entblösste Brüste in der Öffentlichkeit waren noch immer ein Skandal und eine Straftat, oben ohne wurde in den meisten Badeanstalten nicht toleriert, FKK war nirgendwo ein Thema, schon gar nicht in der Literatur, und, aus Angst vor den Pädophilen, waren Fotos nackter Kinder, auch der eigenen, ein absolutes No-Go.

Fankhauser war damals von einem «Sittlichkeitsverein» angezeigt worden, der wahrscheinlich ebenso heuchlerisch und verlogen daherkam wie die «MAGA-Republikaner*innen heute in den USA, denn dieser Club bezeichnete diesen Freispruch als «Justizirrtum» und sorgte dafür, dass Fankhausers Schaukasten innerhalb eines halben Jahres fünfmal aufgebrochen, leergeräumt, mit Ölfarben und Leim beschmiert und er 1931 ein zweites Mal angeklagt wurde. Auch diesmal musste das Obergericht entscheiden – mit dem gleichen Ergebnis: Freispruch.

Zwischen 1942 und 1944, nachdem das neue Schweizerische Strafgesetzbuch am 1.1.1942 in Kraft getreten war, wurden Fankhauser und mehrere Buchhändler, die die FKK-Zeitschrift verkauften, erneut von Sittlichkeitsfanatikern in Bern und Luzern eingeklagt, doch wiederum wurden alle Anschuldigungen in Form von Freisprüchen zurückgewiesen.

So dass nun in der Schweiz ein- für allemal klar war:

Nacktheit ist nichts Anstössiges.

Die Publikation von Fotos nackter Personen ist weder unsittlich, jugendgefährdend noch strafbar.

Ebenso wie FKK.

Und zwar seit beinahe einhundert Jahren!

4 «Mal du coeur», Herzschmerz,

war das Hauptthema des Konzerts, das Amélie, Joline und Melody an einem November-Sonntagabend im «Odeon» in Brugg besuchten.

«Tönt super! Da will ich unbedingt hin!», hatte Amélie gerufen, nachdem sie von Melody – zusammen mit Joline – dazu eingeladen worden war:

Eine junge Sängerin aus der Bretagne singe in einem «Stubenkonzert» einige französische Chansons, was sicher eine gute Gelegenheit wäre, wieder einmal das Gefühl zu bekommen, in Frankreich zu sein.

Alle drei waren gespannt, Melody hatte die Tickets online gelöst, sie betraten das Kinogebäude, wurden «nach oben» gewiesen, gelangten in den bereits gut gefüllten Restaurantsaal, die «Stube», wo die meisten bereits diniert hatten und nun auf den Konzertbeginn warteten, die Ticketkontrolleurin meinte, vorn habe es auch ein Sofa und mehrere Sessel, und da das Sofa noch frei war und Platz bot für alle drei, setzten sie sich hinein, direkt vor die bereits beleuchtete Bühne mit den zwei Mikrofonen, dem schwarzen Flügel, einem laufenden SchwarzweissVideostream in der linken oberen Decken- und Wandecke, einem Büchergestell, drei schwarzen Vorhangfahnen und einer Bühnencouch im Hintergrund – gemütlich, gemütlich…

Und nach einigen Minuten betraten sie die Bühne, die junge, lächelnde Sängerin, fantasievoll gekleidet mit einer rötlich karierten Jacke, versehen mit grossen, goldenen Knöpfen und einer grau-weiss-schwarz gestreiften, gebügeltfaltigen High-Society-Hose, so kreischend unpassend zum Jacket, dass es dennoch modisch-durchkomponiert und wirklich kreativ aussah, jedenfalls auf eine ausserordentliche Weise unnormal und ausgesprochen passend zur feingliedrigen, sanftmütigen französischen Sängerin.

Ihr Begleiter am Flügel, an der Gitarre, ebenfalls jung, unterstützte sie mit sanften, meist traurigen Akkorden, feinen harmonischen Klängen, halb mystischen Tönen, die den musikalischen Background, den Rahmen der emotionalen, authentischen, bewegenden Chansons bildeten.

Lily Claires zarte, klare, weiche, oft sanfte, berührende Stimme war beeindruckend, kam aus tiefstem Herzen, und das Publikum fühlte, litt mit, konnte den in wunderbare Lieder umgearbeiteten, verwandelten Herzschmerz nachempfinden, war live dabei, zu Tränen gerührt, erlebte «mit gebrochenem Herzen» eigene Liebesverlust-, Depressions-, zu-Tode-Betrübnis-Erfahrungen auf dieser Talfahrt der Gefühle.

Dann die Überraschung: Lily Claire begrüsste nach den ersten beiden Liedern nicht, wie alle erwarteten, das Publikum in …

Von der Autorin bewilligte Unterbrecherwerbung 6

… kum in perfektem französischem Französisch, sondern auf Schweizerdeutsch!

«Quoi?», flüsterte Amélie, mehr enttäuscht als überrascht, «elle n’est pas française?»

Trotzdem: Die Chansons klangen so echt französisch, dass die Nationalität «Swiss German» keine Rolle spielte.

Wie sich herausstellte, wuchs die Sängerin zweisprachig in der Nähe von Zürich auf, hatte jeweils ihre Sommerferien im Ferienhaus ihrer Eltern in der Bretagne verbracht, zuerst mehrere Jahre als Flight Attendant gearbeitet und war nun daran, die Ausbildung zur Kleinkindererzieherin abzuschliessen.

Und schon immer hatte sie gesungen – was auch ihr eigentlicher Traumberuf war: Sängerin, Songwriterin, Chansonnière.

Ihre schöne, unverfälschte, unverstellte Stimme war das Eine, ihre ganz besondere Ausstrahlung das Andere:

Ihr Lächeln, ihre Blicke, ihre harmonischen Bewegungen, ihre Körpersprache, ihre ganze Performance, ihre wenigen gesprochenen Worte ver- und bezauberten Melody, Amélie, Joline, alle Anwesenden, als ob sie einer Traum- oder Märchenwelt entspränge, strahlten eine tiefe und wahre Bescheidenheit, Lieblichkeit, eine Art von kindlicher Naivität aus, die einmalig war und das Konzert in ein ganz spezielles und berührendes Erlebnis verwandelten.

Kein Wunder, dass der Schlussapplaus begeistert, lang und anhaltend war und die Sängerin zu einer Zugabe veranlasste.

Amélie gelang es, vor dem Verlassen der «Stube» mit der von Konzertbesucherinnen und -besuchern umringten Sängerin noch einige Worte zu wechseln:

Sie gratuliere ihr zu ihrem Auftritt, bedanke sich für ihre «wunderschönen Chansons», wünsche ihr weiterhin viel Glück und würde sich freuen, sie einmal in Frankreich an einem Konzert besuchen zu können. Worauf Lily Claire ihr herzlich für diese Komplimente dankte und meinte, es wäre auch ihr eigener und grösster Wunsch, in Frankreich Konzerte geben zu können.

Zurück in Heidns Wohnung setzte sich Melody an ihren Arbeitstisch, öffnete ihren Laptop und sendete eine Mail.

Sie wollte diese Sängerin unbedingt für ihre bevorstehende Buchvernissage engagieren.

5 Amélies Sarg

befand sich nach wie vor direkt unter dem Dachfenster oben in der Galerie – ihn in einen der Wohnräume zu platzieren, wäre nicht ratsam, denn von der Existenz des Sargs wussten nur wenige, und Amélie und ihre beiden WG-Freundinnen wollten auf diese Weise verhindern, dass irgendwelche Besucher*innen aufmerksam werden und unangenehme Fragen stellen würden.

Die Anwesenheit dieses Sargs war jedoch alles andere als unangenehm:

Erstens

handelte es sich eigentlich um ein Double, um eine Kopie des Sargs, in dem Bernard, Amélies Freund, beerdigt beziehungsweise kremiert worden war und den Amélie stundenlang, liebe- und kunstvoll mit Zeichen, Strukturen und Symbolen der ewigen Liebe verziert hatte und deshalb auf den ersten Blick gar nicht aussah wie eine Totenbox, sondern eher wie ein dreidimensionales Kunstwerk.

Zweitens

verfügte dieser Sarg, Coffin, Cercueil über aussergewöhnliche Fähigkeiten und Besonderheiten: Er konnte sich innerhalb von Sekundenbruchteilen an einen andern Ort «beamen», das heisst, er teleportierte sich von hier nach da, verschwand – zack! – an dieser Stelle und tauchte – zack! – an anderer Stelle, und sei diese auch hunderte von Kilometern entfernt, innerhalb von einer Hundertselssekunde wieder auf. So vor wenigen Wochen geschehen und im «Vorwort» erwähnt: Er dematerialisierte sich in der «Clinique St. Pierre» in Perpignan und materialisierte sich in der gleichen Sekunde in Heidns Dachwohnung…

Drittens

konnte jede Person, die sich in den Cercueil legte, unglaubliche Erfahrungen machen: Die Sessions waren oft fantastische Reisen ins eigene Unbewusste, ermöglichten die Nutzung des maximalen geistigen Potenzials, Rückführungen in die eigenen vorgeburtlichen Leben, das Eintauchen in die Gefühls- und Gedankenw…

Von der Autorin bewilligte Unterbrecherwerbung 7

… und Gedankenwelt nahestehender Personen, unglaublich intensive und qualitativ hochstehende kreative Prozesse. Etc.

Viertens

bestand der Sarg aus einem unbekannten, federleichten, stahlharten, praktisch unzerstörbaren Material, für das sich die Wissenschaft brennend interessieren würde, erführe sie von der Existenz von Amélies Sarg.

Vorsicht war deshalb angebracht.

Grosse Vorsicht.

6 Ihre Buchvernissage,

die am ersten Samstag im Dezember im Turgemer Kunstladen «Schmuckes Ding» stattfinden sollte, rückte immer näher, und Melody wurde langsam nervös und unruhig: Sie hatte zwar die wenigen in Frage kommenden Medien rechtzeitig informiert, doch wenn ausgerechnet die AZ-Kulturbeilage diesen Event ignorierte, war das natürlich alles andere als hilfreich.

Immerhin klappte es mit dem an alle Haushaltungen in Baden, Ennetbaden und Turgi verteilten Event-Magazin «Baden aktuell», so dass über 25'000 potentielle Besucher*innen erreicht werden konnten – sofern es durch die Post rechtzeitig verteilt würde – was tatsächlich der Fall war, allerdings erst am Vortag…

Und auch die «Aargauer Zeitung» wies eine Woche im Voraus unter der Kolumne «Demnächst» auf diesen Anlass hin: Im Buch «Die Sargfrau. Ein Vorruf.» drehe «sich fast alles um einen plötzlich aus dem Nichts aufgetauchten, unglaubliche Fähigkeiten aufweisenden Sarg und die damit verbundenen dramatischen Ereignisse».

Via Mail, «WhatsApp» und «telegram» hatte sie rund 70 Bekannte und Verwandte angeschrieben – das Echo war jedoch ausgesprochen mager: Sie bekam etwa 20 Antworten – und die meisten bedauerten, dass sie «leider nicht kommen» könnten, und diejenigen, die grundsätzlich zusagten, taten dies fast allesamt unter dem Vorbehalt, «wenn nichts dazwischenkomme».

Fazit: Für einen derartigen Kulturanlass bestand offensichtlich nur ein geringes Interesse – Melody rechnete deshalb mit maximal 15 Personen, ihre jetzigen und ehemaligen WG-Mitbewohnerinnen inklusive, so dass im kleinen Laden genügend Sitz- und Stehplätze vorhanden sein würden.

Lange war sie von der Vorstellung ausgegangen, sie würde die Vernissage ähnlich gestalten wie die Lesungen, an denen sie teilgenommen hatte, nämlich ziemlich improvisiert, wenig strukturiert, eher langweilig und langfädig, traditionell: Sie, die Autorin, würde, auf einem Stuhl sitzend, erzählen, wie sie zu dieser und jener Idee, Figur, Haltung, diesem und jenem Handlungselement, Schauplatz, Spannungsbogen, Romanschluss gekommen sei und welche weiteren literarischen Pläne sie hege.

Doch nach dem Lily-Claire-Konzertbesuch hatte sie das Gefühl, diese herkömmliche Art eines Literatur-Events würde ihren eigenen Ansprüchen kaum genügen und ein musikalischer Rahmen wäre dringend notwendig, der der Veranstaltung einen gewissen kulturellen Touch verleihen könnte. Also fragte sie zuerst Lily Claire an, die ihren Buch-Event mit zwei bis drei ihrer wunderbaren französischen Chansons perfekt hätte ergänzen können. Leider musste sie absagen, ebenso wie eine zweite angefragte Sängerin, so dass Melody gezwungen war, nach einer anderen Lösung zu suchen.

Die sie auch sofort fand.

In der Person ihres Bruders.

Er war Profi-Motocrossfahrer, aber auch Perkussionist, hatte er doch in seiner Jugendzeit jahrelang an der Musikschule den Schlagzeugunterricht besucht, und war sofort einverstanden, unter der Bedingung, dass er «im Hintergrund bleiben» dürfe. Er verfügte zudem über eine relativ grosse Sammlung verschiedenster Klanginstrumente wie Klangschalen, afrikanische Rasseln, Glöckcheninstrumente, afrikanische Tamburine, Bongo-Kürbisse, magnetische und nichtmagnetische Klangkugeln, asiatische Klopf-, Schlag- und Klangzeuge etc. etc.

Und wer war bestens geeignet für die Rolle einer Moderatorin?

Genau: Ihre WG-Freundin Naledi Baumann, Germanistikstudentin! Sie würde durch das Programm führen, an geeigneter Stelle spontane Fragen stellen, dann Melodys Lesefluss unterbrechen, wenn sie merkte, dass das Publikum teilweise unaufmerksam war oder nicht mehr folgen konnte. Sie würde Melody auch «coachen», «Regie führen», sie, falls nötig, diskret darauf aufmerksam machen, sie müsse «lauter», «langsamer», «deutlicher», «betonter» sprechen.

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Die Idee mit einer nebenher «kioskmässig», das heisst endlos laufenden Powerpointpräsentation setzte sie innerhalb weniger Stunden um: Passendes Bildmaterial hatte sie genug, ein Beamer liess sich schnell organisieren und aufgrund der gezeigten Folien gestellte Publikumsfragen liessen sich leicht beantworten und würden für Abwechslung sorgen.

Dann war da noch die Frage des Sargs: Mit oder ohne?

7 Emmanuel Macron

war seit Wochen wieder im Amt, offenbar vollkommen gesund, physisch komplett wiederhergestellt, und Amélie und Joline berichteten über beziehungsweise kommentierten weiterhin täglich auf ihrem Newskanal dessen innen- und aussenpolitische Hauptaktivitäten.

Doch von ihm persönlich hatten sie bis anhin kein einziges Wort gehört, was sie doch ein wenig enttäuschte: Hatte er sie, das Oasis, ihre Gespräche, seine gemachten Versprechen komplett vergessen?

Natürlich wussten sie, dass «Le Président» täglich einen übervollen Terminkalender hatte, dass praktisch jede seiner Minuten verplant und er deshalb kaum je in der Lage sein würde, sich neben seiner kräfte- und zeitraubenden politischen Arbeit auch noch um bedeutungslose Nebensächlichkeiten zu kümmern wie beispielsweise jetzt, bei seinem offiziellen Staatsbesuch in den USA, während dem er zwar Bidens Wirtschaftspolitik wegen deren negativer Auswirkungen auf Frankreichs Exportindustrie ungewohnt scharf kritisierte, es jedoch gleichzeitig unterliess, grundsätzliche Bedenken über den schlechten Zustand der amerikanischen Demokratie und die damit verbundene Gefahr eines schleichenden Staatsstreichs, der die USA in eine faschistische Diktatur verwandeln und damit den Weltfrieden bedrohen würde, zu äussern.

Was sie, Amélie und Joline, jedoch schonungslos taten:

Denn ginge der Plan der republikanischen Partei auf, deren einziges politisches Ziel die Machtübernahme war und deren Leaderfiguren nicht müde wurden, ihr Stimmvolk anzulügen, aufzuwiegeln, aufzuhetzen gegen die regierenden Demokrat*innen, würden die Wahlen zur Farce verkommen, da die Wahlergebnisse in den republikanisch regierten Bundesstaaten von deren Gouver…

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… Gouverneuren beziehungsweise den Parlamenten nach Belieben «korrigiert», das heisst gefälscht würden, so dass ein republikanischer «Wahlsieg» stets im Voraus feststünde.

Und Herr Schwarz?

Der war wieder wohlauf, arbeitete in seiner «Agence Oasis» wie gewohnt, was Melody mit Genugtuung zur Kenntnis nahm, nachdem sie online drei Wochen Ferien im Mai 2023 gebucht und sich Herr Schwarz sofort per Mail gemeldet hatte: Er freue sich darauf, sie wiederzusehen, es gehe ihm gut, er habe sich komplett erholt, er könne wieder voll arbeiten und er grüsse auch Amélie, Joline, Ekaterina und Naledi.

Und dann traf sie doch noch ein, Macrons persönliche Message!

Und was für eine!

Einfach sensationell!

Es war eine offizielle, verschlüsselte Regierungs-Mail, die erst, nachdem die Identität der Empfängerin zweifelsfrei belegt worden war, hatte geöffnet werden können:

«Chères Amélie, Melody, Joline, Ekaterina et Naledi », begann sie, die Mail, es tue ihm sehr leid, dass er sich erst jetzt bei ihnen melde – die vielen-vielen Regierungsgeschäfte hätten ihn stets gehindert. Erst jetzt, in den USA, habe er endlich die nötige Zeit gefunden.

Er mache es kurz: Er wolle sich für ihr hervorragendes Nachtessen im «Oasis» und ihre ausserordentliche Fürsorge revanchieren und lade sie deshalb zu einem Nachtessen ein in den Elysée-Palais in Paris. Dabei eingeschlossen seien auch zwei Übernachtungen in einem Pariser Fünf-Sterne-Hotel nach eigener Wahl. Er könne zwei Termine vorschlagen und bitte sie, möglichst bald einen davon zu bestätigen, damit er über den freien wieder disponieren könne. Seine Frau und er würden sich sehr auf ein Wiedersehen freuen. «Mit herzlichen Grüssen, Emmanuel.»

Er hatte sie also nicht vergessen!

Macron hatte also trotz eminent wichtiger Verhandlungen auf der politischen Weltbühne an sie gedacht, an Amélie und deren Freundinnen, obwohl diese im Privatleben des Präsidenten nur eine klitzekleine, wirklich unbedeutende Rolle spielten.

Oder etwa doch nicht?

8 Sehr erfreulich war sie

verlaufen, Melodys Buchvernissage. Zwar waren nur wenige Leute erschienen, nur wenige Bücher verkauft worden und hatte es einige Pannen gegeben – dennoch überwog das Positive bei Weitem.

Was auch dem Sarg zu verdanken war.

Amélies Sarg!

Trotz aller Bedenken und Vorsichtsmassnahmen hatten sie gemeinsam beschlossen, es mit ihrem Sarg zu versuchen, diesen als «gewöhnliche», jedoch künstlerisch gestaltete Bestattungsbox darzustellen, damit niemand auf die Idee kommen sollte, es handle sich um ein ganz spezielles, über besondere Fähigkeiten verfügendes, mit Heidns Sarg vergleichbares Leichengehäuse.

Was durchaus klappte – während der Vernissage.

Die Leute reagierten überrascht, erstaunt, fühlten sich durch die Anwesenheit des Sargs nicht bedroht, sondern nahmen diesen als beinahe neutralen Gegenstand wahr, dessen einzige Funktion es war, einer verstorbenen Person als letztes Zuhause, letzte Hülle, letzte Destination zu dienen – als letztes, individuell gestaltetes Totenkämmerchen.

Die von Melody ausgewählten und vorgetragenen Romantexte kamen beim Publikum sehr gut an, wenigstens mehrheitlich – nur ein älterer Herr war schon nach wenigen Minuten eingeschlafen und lauschte mit offenem Mund den lauten, deutlichen und gut betonten Worten der Autorin.

Auch die von Maurice im Voraus produzierten, aufgezeichneten und von einer Bluetooth-Box aus dem Sarg heraus wiedergegebenen und am Schluss mit einem Applaus bedachten Klänge verfolgten die Anwesenden aufmerksam, interessiert und gespannt, ebenso wie die Zwischenbemerkungen und Kommentare Blerims, der sich kurzfristig bereit erklärt hatte, die grippegeschwächte und hustende Naledi zu ersetzen und die Vernissage zu moderieren – was bewies, dass er bereits in der Lage war, trotz der einschneidenden traumatischen Erlebnisse wieder selbstbewusst vor ein Publikum zu treten.

Und erstmals wurde Melody gebeten, sich mit einer handschriftlichen Wid…

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…Widmung in einem gekauften Romanexemplar zu verewigen! Was für ein toller Moment: Ihr Autogramm war gefragt, wertvoll, etwas Spezielles, des Aufbewahrtwerdens würdig!

Melody genoss sichtlich den Applaus am Schluss dieses Events: Es war ihr Lohn für die vielen Stunden intensiver Arbeit, für die überstandenen Momente der Verzweiflung, für die Angst, es nicht zu schaffen, für ihre Zweifel an ihrem schriftstellerischen Können, für ihren Durchhaltewillen, ihre Ausdauer.

Und als beim Aufräumen einer der Besucher, ein älterer Herr, der zufälligerweise auf einem Friedhof arbeitete, mithelfen und den Sarg vom Tisch heben wollte, stellte er subito dessen Federleichtigkeit fest:

«Wow! Dieser Sarg ist ja so leicht wie ein Ballon!»

Die darauf erfolgte Bemerkung Melodys, das stimme tatsächlich, denn es handle sich um einen unechten, speziell leichten Theatersarg, bewies zwar ihre Schlagfertigkeit – doch ob der Besucher ihr diese Lüge auch glaubte, blieb offen.

Eventuell war es doch ein Fehler gewesen, ihn mitzunehmen.

Ihn, ihren, Amélies Sarg.

9 Am 8. oder 15. Januar 2023,

einem Sonntag, würde es so weit sein: Sie würden im Rahmen eines privaten Privatbesuchs den französischen Präsidenten und dessen Gattin Brigitte treffen – im Präsident*innen-Elysée-Palais mitten in Paris!

Unglaublich!

Sie waren gerührt, begeistert, überrascht, erfreut: Mit so etwas hatten sie nicht gerechnet!

Diese Reise musste vorbereitet, das Fünfsternehotel gesucht, gefunden und gebucht, die Kleiderwahl getroffen, einige Geschenke ausgewählt, gekauft und eingepackt, die erste-Klasse-TGV-Hin- und Rückfahrt reserviert werden – einfach sofort…

Also begannen sie in Form einer Videokonferenz – Ekaterina und Naledi in ihrer WG in Zürich, Joline, Melody und Amélie in Turgi – den ganzen unglaublich aufregenden Event zu planen:

1.

Termin: Sonntag, 8. Januar 2023.

Amélie würde augenblicklich in einer Mail an den Präsidenten der Republik Frankreich diesen Termin bestätigen und ihm in gebührender Form für diese Einladung danken.

2.

Hinfahrt

Sie würden sofort mithilfe der SBB-App die Hinreisetickets und 5 Erstklassplätze buchen.

Abfahrt: Samstag, 7.1.2023, Zürich ab 06:59, Basel ab 08:34

Ankunft: Paris Gare de Lyon an 11:41

3.

Unterkunft: Fünfsternehotel

Le Burgundy Paris, 1 Zweibett- und 1 Dreibett-Zimmer

Nähe Elysée-Palast.

Luxus Pur!

4.

Rückreise

Abfahrt: Montag, 9.1.2023, Paris Gare de Lyon ab 16:19

Ankunft: Basel an 19:26, Zürich HB an 20:26

5.

Geschenke

Grosses Fragezeichen.

Was war ein angemessenes Geschenk, das sie dem französischen Staatsoberhaupt und dessen Gattin übergeben könnten?

Sie hatten null Ideen – mit Ausnahme jener, zu diesem Zweck sofort einen der zahlreichen Weihnachtsmärkte aufzusuchen.

Und um 15.44 entstiegen Amélie, Joline und Melody dem Regionalzug in Zofingen – denn als geborene Rothristerin wusste Melody: Der Zofinger Weihnachtsmarkt war einzigartig.