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Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Extra Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. »Erreicht den Hof mit Mühe und Not; in seinen Armen das Kind war tot.« Theatralisch deklamierte der zehnjährige Sven im Beisein seiner Tante Susann und seines Vaters Nils die bekannte Ballade von Johann Wolfgang von Goethe. Staunend und mit offenen Mündern hatten die Erwachsenen gelauscht und brachen schließlich in begeisterten Applaus aus. »Das ist ja unglaublich«, staunte Susann und wuschelte dem stolzen Jungen durch das strohblonde Haar. »Allerdings finde ich es ein bisschen früh, in der vierten Klasse ein solches Gedicht zu lernen. Der Text ist doch sehr gruselig. Was hat sich der Lehrer nur dabei gedacht?« »Der weiß doch gar nichts davon. Ich hab mir das selbst ausgesucht, weil mir nachmittags mal so langweilig war«, erklärte Sven arglos, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt für einen Zehnjährigen, sich mit hoher Literatur zu beschäftigen. »So ist er nun mal. Wenn er nichts zu tun hat, stöbert er in meinem Bücherregal statt wie andere Jungs zum Fußballspielen oder Radfahren zu gehen.« »Das ist doch voll langweilig.« »Du bist schon ein seltsamer kleiner Kerl«, lächelte Susann und erhob sich seufzend vom Boden. »Leider muss ich jetzt schon gehen. Ich würde mir sehr gerne noch die Zeit mit euch vertreiben, aber die Arbeit ruft.« »Schon gut, das sind wir Männer der Familie Ohlsen ja gewohnt«
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Seitenzahl: 124
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»Erreicht den Hof mit Mühe und Not; in seinen Armen das Kind war tot.« Theatralisch deklamierte der zehnjährige Sven im Beisein seiner Tante Susann und seines Vaters Nils die bekannte Ballade von Johann Wolfgang von Goethe. Staunend und mit offenen Mündern hatten die Erwachsenen gelauscht und brachen schließlich in begeisterten Applaus aus. »Das ist ja unglaublich«, staunte Susann und wuschelte dem stolzen Jungen durch das strohblonde Haar. »Allerdings finde ich es ein bisschen früh, in der vierten Klasse ein solches Gedicht zu lernen. Der Text ist doch sehr gruselig. Was hat sich der Lehrer nur dabei gedacht?«
»Der weiß doch gar nichts davon. Ich hab mir das selbst ausgesucht, weil mir nachmittags mal so langweilig war«, erklärte Sven arglos, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt für einen Zehnjährigen, sich mit hoher Literatur zu beschäftigen.
Nils zuckte ratlos mit den Schultern und meinte zu Susann gewandt:
»So ist er nun mal. Wenn er nichts zu tun hat, stöbert er in meinem Bücherregal statt wie andere Jungs zum Fußballspielen oder Radfahren zu gehen.«
»Das ist doch voll langweilig.«
»Du bist schon ein seltsamer kleiner Kerl«, lächelte Susann und erhob sich seufzend vom Boden. »Leider muss ich jetzt schon gehen. Ich würde mir sehr gerne noch die Zeit mit euch vertreiben, aber die Arbeit ruft.«
»Schon gut, das sind wir Männer der Familie Ohlsen ja gewohnt«, gab Nils zurück, während er seine Schwester zur Tür begleitete. Susann musterte ihn aufmerksam.
»Klingt da etwa eine gewisse Unzufriedenheit heraus?«
»Versteh mich nicht falsch. Natürlich ist es bemerkenswert, dass Larissa Karriere macht und so erfolgreich im Beruf ist. Immerhin habe ich dadurch die Möglichkeit, mir mein Geld mit meinen Buchillustrationen zu verdienen, ein etwas wechselvolles Geschäft mit schwankenden Einnahmen, wie du weißt. Ich finde trotzdem, dass Larissa hin und wieder übertreibt. Sie ist kaum mehr einen Abend zu Hause.«
»Euch Männern kann man es aber auch nicht recht machen. Sind wir zufrieden mit unserem Dasein als Hausfrauen und Mütter, sollen wir uns doch bitteschön ein wenig im Beruf engagieren, damit wir intellektuell nicht ins Hintertreffen geraten. Haben wir hingegen Erfolg im Beruf, sollten wir mehr zu Hause sein«, konnte sich Susann einen anzüglichen Kommentar nicht verkneifen. »Ich finde, Larissa macht ihre Sache toll. Was hat sie bisher alles erreicht? Sie hat einen tollen Mann, zwei gesunde Kinder, ein schönes Haus und viel Erfolg auf beruflicher Ebene. Was kann sich ein Mensch heutzutage noch mehr wünschen?«
»Ein harmonisches Eheleben vielleicht?« warf Nils missmutig ein. Aber Susann lachte.
»Du bist ein ewiger Nörgler, Bruderherz. Du solltest weniger grübeln und dich statt dessen mehr um deine Kinder kümmern. Irgendwas stimmt mit Sven nicht. An deiner Stelle würde ich mit ihm mal zum Arzt gehen. Er benimmt sich schon sehr seltsam.«
»Vielleicht hast du recht. Ich werde mit Larissa darüber sprechen, falls ich sie einmal zu Gesicht bekomme«, lächelte Nils gequält und half seiner Schwester in die leichte Jacke. »Apropos Sven, mir fällt gerade ein, dass nächste Woche die Theateraufführung in der Schule stattfindet. Möchtest du mit mir dorthin gehen? Larissa ist, wie meist in letzter Zeit, verhindert.«
Ohne lange nachzudenken, stimmte Susann sofort begeistert zu.
»Mit dem allergrößten Vergnügen. Du weißt doch, wie gerne ich die Jungs mag und alles, was mit ihnen zu tun hat. Schick mir eine E-Mail mit den genauen Daten, dann werde ich da sein. Und nun muss ich wirklich los«, sie warf einen raschen Blick auf ihre Armbanduhr, »sonst komme ich zu spät.« Susann drückte Nils einen herzhaften Kuss auf die Wange und lief lachend und winkend durch den leisen Herbstregen davon. Nils blickte ihr eine Weile lächelnd nach, als er von wildem Geschrei aus den Gedanken gerissen wurde.
»Du Blödmann, das sind meine Aufkleber. Die hab ich mir von meinem eigenen Geld gekauft«, schrie der siebenjährige Lars erbost und mit vor Zorn zitternder Stimme. Sein Bruder Sven hielt die Bildchen in die Höhe und lachte hämisch.
»Wie kann man sich wegen so eines Kinderkrams nur so aufführen? Wegwerfen sollte ich sie, damit du dich endlich mal mit was anständigem beschäftigst. Aber du bleibst ja sowieso immer dumm, kleines Kind.«
»Hör sofort auf damit, Sven«, mischte sich Nils mit donnernder Stimme ein. Doch sein Ältester ließ sich davon nicht sonderlich beeindrucken.
»Ist doch wahr. Der Knirps sollte sich lieber mal mit Integralrechnungen beschäftigen.«
Als er dieses komplizierte Wort aus dem Mund seines Sohnes hörte, stockte Nils der Atem.
»Woher weißt du überhaupt, was das ist, geschweige denn, dass es so etwas überhaupt gibt?«
»Das weiß doch jedes kleine Kind«, schnaubte Sven verächtlich und ließ die Aufkleber lässig zu Boden flattern. Der kleine Lars stürzte sich sofort darauf und sammelte sie sorgfältig und Stück für Stück hastig wieder ein. »Ich geh jetzt computern«, erklärte Sven noch und machte auf dem Absatz kehrt, um über den knarzenden Holzboden der großzügigen Altbauwohnung in sein Zimmer zu gehen. Fassungslos blickte Nils ihm nach. »Du solltest dich zur Abwechslung mal ein bisschen bewegen. Fußball schadet der Entwicklung nicht«, rief er seinem Sohn nach, erhielt jedoch keine Antwort mehr. Stattdessen zupfte ihn schüchtern eine kleine Kinderhand am Hosenbein. Nils blickte nach unten, direkt in die blauen Augen seines Jüngsten, der ihn von unten herauf treuherzig anlächelte.
»Wenn du magst, geh ich mit dir Fußball spielen.«
Nils unterdrückte ein Lachen. Um wie viel lieber war ihm doch dieser Junge, der sich ganz normal benahm und sich nicht annähernd so schwierig gab wie sein älterer Bruder. »Na dann mal los, Kumpel«, antwortete er herzlich. Doch während er sich Sportschuhe anzog, ertappte sich Nils dabei, ärgerlich an seine Frau Larissa zu denken, deren Hilfe und Unterstützung er in Erziehungsfragen manchmal bitterlich vermisste. Doch so oft er sie auch schon gebeten hatte, sich ein wenig mehr Zeit für die Familie zu nehmen, so wenig hatten diese Bitten gefruchtet. In Sachen Erziehung der Kinder war Nils weitgehend auf sich alleine gestellt. Es war besser, das endlich einzusehen, sollte es nicht ständig Ärger und Unstimmigkeiten zwischen den Eheleuten geben.
*
Die Zeit der Kindererziehung hatte Anja Mietusch schon lange hinter sich gelassen. Ihr Sohn Leo war längst erwachsen und studierte Betriebswirtschaftslehre, sodass sie schon lange wieder ihrem Beruf als erfolgreiche Modedesignerin nachgehen konnte. Doch im Moment lief das Geschäft nicht besonders gut, ihre Kreativität ließ ebenso wie die Verkäufe zu wünschen übrig. Anjas Stimmung befand sich auf einem neuerlichen Tief, und ärgerlich blickte sie auf ihren Schreibtisch hinab.
»Sind Sie sicher, dass die Zahlen stimmen?«
»Ich werde das Ergebnis vorsichtshalber noch einmal Herrn Buchner vorlegen«, erklärte das verunsicherte Mädchen aus der Buchhaltung rasch und wollte die Unterlagen wieder einsammeln. Dabei ergriff sie versehentlich eine Mappe mit Entwürfen. Vor Schreck über das Missgeschick ließ sie sie fallen, Blatt über Blatt segelte zu Boden. Anjas schrille Stimme hätte Gläser zum Zerspringen bringen können. »Wie oft soll ich noch sagen, dass meine Unterlagen tabu sind?« rief sie erbost aus. Nina Bloch, die mit hängenden Schultern vor ihr stand, zitterte vor Angst. »Es tut mir leid. Ich bringe das sofort wieder in Ordnung«, beteuerte sie mit leiser Stimme, aber Anja schnaubte bloß verächtlich.
»Lassen Sie die Finger von meinen Entwürfen, sonst werde ich zum Tier. Das hier ist die Herbst/Winter-Kollektion für die übernächste Saison. Wenn wir damit scheitern, können wir den Laden schließen. Dann sind Sie Ihren Arbeitsplatz auch los. Und das wollen Sie doch nicht, nicht wahr?« »Nein, natürlich nicht.«
»Dann verschwinden Sie augenblicklich und lassen mich in Ruhe. Sonst garantiere ich für nichts«, zischte Anja und beobachtete Nina, die vollkommen verschüchtert und mit eiligen Schritten das Büro verließ. Erschöpft und fertig mit den Nerven ließ sich Anja in ihren Ledersessel fallen und zündete sich eine Zigarette an. Sie inhalierte tief, während ihr Blick aus dem Fenster schweifte.
»Du solltest nicht soviel rauchen. In deinem Alter schadet das nicht nur der Gesundheit, sondern auch dem Teint«, erklärte kurz darauf eine Stimme in ihrem Rücken. Mit einem Schwenk drehte sich Anja Mietusch ruckartig um und starrte dem Besitzer der tiefen, angenehmen Stimme spöttisch lächelnd in die Augen.
»Gut, dass du keine anderen Sorgen hast als meine Falten, mein Lieber«, antwortete sie ihrem Partner und guten Freund Adrian Kuhn. Doch der ließ sich nicht wie sonst zu einem Lächeln herab, sondern setzte sich mit ernster Miene auf die Kante von Anjas Schreibtisch.
»Leider ist dem nicht ganz so. Ich habe von der Revision die abenteuerliche Nachricht erhalten, der wir auf den Grund gehen müssen. Aus der Firma verschwinden offenbar seit einiger Zeit Kleidungsstücke. Der Schaden beläuft sich inzwischen auf mehrere Hunderttausend Euro. Hast du eine Ahnung, wer dafür verantwortlich sein könnte?«
»Frag doch mal deine überaus kompetenten Damen in der Buchhaltung«, schnaubte Anja sarkastisch. »Entweder sie haben ein paar falsche Buchungen vorgenommen, oder aber sie sind zu dumm zum Betrügen.«
»Wie kommst du zu so einem harten Urteil? Ist dir bewusst, welche Anschuldigung du da aussprichst?« fragte Adrian entsetzt. Anja zuckte nur völlig ungerührt mit den Schultern. »Hast du dir die Verkaufszahlen des vergangenen Quartals einmal angesehen? Ich kann nur hoffen, dass ein Buchungsfehler vorliegt, sonst schreiben wir demnächst rote Zahlen. Was ist los mit dem Geschäft, Adrian? Ich verstehe das nicht. Wieso machen wir keinen Umsatz mehr?«
»Das musst du dich wohl selbst fragen«, gab Adrian schneidend zurück. Anja warf ihm einen funkelnden Blick zu und zerquetschte ihre Zigarette im Aschenbecher.
»Soll das heißen, du bist mit meiner Arbeit nicht zufrieden?«
»Sei doch nicht gleich so gereizt! Es geht hier nicht um meinen persönlichen Geschmack, sondern um den der Kunden. Offenbar liegst du mit deinen Entwürfen nicht mehr im Trend der Zeit. Du musst dich den Strömungen anpassen und ein wenig mehr Mut zum Risiko bei deinen Modellen zeigen. Sonst haben wir tatsächlich die längste Zeit erfolgreich zusammengearbeitet, und ich werde mich nach einer anderen Partnerin umsehen müssen.«
»Das ist ja interessant. Hast du bereits jemanden im Auge? Cassandra Miller vielleicht? Meinst du, ich hätte nicht bemerkt, wie sie ständig in deinem Büro herumschleicht?«
»Unsinn. Cassandra und ich sind befreundet, das weißt du genau. Bisher habe ich noch nicht mal im Traum an eine Zusammenarbeit mit ihr gedacht.«
»Dann hast du vielleicht schon mal darüber nachgedacht, dass unser Misserfolg an deiner Art der Vermarktung liegen könnte? Statt hier mit mir zu diskutieren, solltest du draußen bei den Kunden sein und unsere Kollektionen vorstellen lassen.«
»Von dir muss ich mir wohl kaum sagen lassen, was ich zu tun oder zu lassen habe«, rief Adrian erbost zurück und erhob sich. »Mir liegen verschiedene Aussagen unserer Klientel vor. Die Herrschaften vermissen Esprit in unseren Entwürfen, wünschen sich mehr Pep. Richte dich bitte danach, wenn dir an unserer Firma etwas liegt.« Mit diesen Worten wandte sich Adrian Kuhn ab und verließ zornig das Büro seiner Partnerin. Anja starrte ihm wortlos nach und holte eine neue Zigarette aus der Packung. Nachdenklich griff sie nach ihrem goldenen Feuerzeug und zündete sie an. Obwohl sie Adrian keinen Glauben schenken wollte, wußte sie in ihrem Inneren, dass er recht hatte. Ihre schlechte Laune steigerte sich ins Unermessliche, und so war der Anblick ihres strahlenden Sohnes, der bald darauf ihr Büro betrat, ein weiterer Peitschenhieb auf ihrer ohnehin schon verwundeten Seele. »Hallo Mamutschka, wie geht es dir?« fragte Leo unbedarft und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, den sie verächtlich mit dem Handrücken abwischte. »Laß das. Ich mag solche Kindereien nicht.«
»Hoho, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«, lachte Leo vollkommen unbeeindruckt. Unverschämt gut aussehend, wie er war, erinnerte er sie ständig an seinen Vater, was nicht gerade zur Besserung ihrer Laune beitrug. Während Anja noch überlegte, was sie auf diese Frage antworten sollte, plauderte Leo arglos weiter. »Übrigens solltest du nicht soviel rauchen. Das schadet in deinem Alter nicht nur dem Teint sondern auch der Gesundheit. Und du willst doch eine gut erhaltene Schwieger- und Großmutter sein, nicht wahr?«
»Was redest du da für einen Unsinn?« »Du hast schon recht gehört. Ich finde, die Zeit ist gekommen, um sesshaft und vernünftig zu werden. Deshalb habe ich beschlossen zu heiraten.«
»Das ist nicht dein Ernst. Wen? Wie heißt sie? Warum kenne ich sie nicht?« »Ihr Name ist Susann Ohlsen, und sie ist das hübscheste Mädchen weit und breit«, schwärmte Leo, der offensichtlich bis über beide Ohren verliebt war.
Anja spitzte die Ohren. Ihr sträubte sich das Fell vor Missmut. »Bist du dir dessen bewusst, dass du Erbe eines erfolgreichen Modeunternehmens bist? Du brauchst eine Partnerin, auf die du dich verlassen kannst, die dich mit Herz und Hirn unterstützt. Ein hübsches Püppchen, das nur dein Geld ausgibt, können wir uns nicht leisten.«
Angesichts dieses harten Vorurteils trübte sich auch Leos blendende Stimmung ein.
»Du scheinst ja nicht gerade viel Vertrauen in meine Ansprüche und mein Urteilsvermögen zu haben«, bemerkte er sichtlich gekränkt.
»Ich kannte deinen Vater, das genügt, um alles zu wissen, was nötig ist.«
»Nur weil er dich wegen einer Jüngeren, Hübscheren verlassen hat, heißt das noch lange nicht, dass ich genauso bin wie er.«
»Alle Männer sind so. Sie lassen sich nur von Äußerlichkeiten blenden«, gab Anja hart zurück. Leo starrte seine Mutter empört an.
»Deine schlechten Erfahrungen sind nicht zwingend allgemeingültig. Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass auch du deine Schuld an dem tragen könntest, was damals geschah?« schleuderte er ihr verächtlich entgegen. »Nein, vermutlich bist du dazu gar nicht in der Lage, selbstherrlich und überzeugt von dir, wie du nun mal bist. Ich sage dir eines: ich werde Susann Ohlsen heiraten, ob du willst oder nicht. Auf Wiedersehen.« Mit diesen Worten wandte sich Leo ab und verließ wutschnaubend das Zimmer seiner Mutter.
Anja saß in ihrem feudalen Ledersessel und blickte ihm nach. Sie fühlte sich leer und ausgebrannt. Eine weitere Zigarette und ein Glas Cognac waren nötig, um sie dazu zu motivieren, sich an die Arbeit zu machen. Sie sammelte die Entwürfe der neuen Kollektion zusammen und breitete sie vor sich aus, um sie einer eingehenden Überprüfung zu unterziehen. Dann nahm sie einen Zeichenstift zur Hand und wollte beginnen zu arbeiten. Sie wartete auf die Inspiration, die guten Ideen, die sie ihre Umwelt vergessen und den Stift über das Papier fliegen ließen. Nur in diesen selbstvergessenen Augenblicken fühlte sich Anja Mietusch vollkommen glücklich. Aber diese Momente waren selten geworden und würden nach und nach ganz verschwinden. Das ahnte sie in diesem Augenblick, als sie ratlos vor den Entwürfen saß und nicht wußte, wo sie ansetzen sollte.
Als Susann das deprimierte Gesicht ihres Freundes Leo Mietusch an der Scheibe entdeckte, die die Buchhaltung von den anderen Abteilungen trennte, sah sie sich rasch nach ihrem Chef um. Aber Robert Bahn war nirgendwo zu sehen, sodass sie rasch zu Leo laufen konnte.
»Liebster, was ist denn passiert? Du machst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.«