Im Schatten der Alpen - Robert Low - E-Book

Im Schatten der Alpen E-Book

Robert Low

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Beschreibung

225 n. Chr.: In den finsteren Wäldern der Provinz Rätien müssen die ehemaligen Gladiatoren nach einem abtrünnigen römischen Offizier fahnden. Doch plötzlich sitzen sie inmitten der eisigen Bergtäler fest, jeder Fluchtweg ist abgeschnitten. Erst jetzt offenbart sich die wahre Gefahr ihrer Mission. Sie geraten nicht nur zwischen die Fronten der verschiedenen in den Alpen ansässigen Stämme, sondern auch ins Kreuzfeuer der bösartigen Machtpolitik Roms. Drust, Kag und die übrigen müssen all ihre List einsetzen, um sich aus den Klauen des Todes zu retten ...

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Seitenzahl: 532

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Das Buch

Eine Stunde später wurden sie eingeholt, als sie gerade über die großen Steine der Uferböschung kletterten, immer nach Westen. Das Wasser schäumte desinteressiert am Grund der Schlucht, und die grauen Felsen am anderen Ufer wanderten ganz allmählich abwärts, um sich mit dem schmalen Pfad zu vereinen.

Culleo hatte soeben angemerkt, dass dieser Weg wirklich schlecht sei, weil zu steil, und sie lieber zu dem Dorf namens »aus Wolfshaut gemacht« hätten zurückgehen und sich von dort aus in die Wälder schlagen sollen. Er sagte das nicht zum ersten Mal, und jedes Mal mit einem weinerlichen Unterton, weshalb ihm niemand groß Beachtung schenkte. Der Pfeil, der ihn traf, presste das Wort »Wälder« in einem hohen, spitzen Schrei aus ihm heraus und katapultierte ihn mit dem Gesicht voran auf die Steine, die er so verabscheute. Drust war froh, einen Schild mitgenommen zu haben, und ließ ihn von der Schulter gleiten. »Formieren, formieren!«, schrie er, und sie wandten sich um, die Schilde erhoben.

Der Autor

Robert Low, Journalist und Autor, war mit 19 Jahren als Kriegsberichterstatter in Vietnam. Seitdem führte ihn sein Beruf in zahlreiche Krisengebiete der Welt. Um seine Abenteuerlust zu befriedigen, nahm er regelmäßig an Nachstellungen von Wikingerschlachten teil. Robert Low lebte in Largs, Schottland – dem Ort, wo die Wikinger schließlich besiegt wurden. 2021 ist der Autor verstorben.

Lieferbare Titel

978-3-453-53409-4 – Runenschwert

978-3-453-41000-8 – Drachenboot

978-3-453-43714-2 – Rache

978-3-453-41074-9 – Blutaxt

978-3-453-41168-5 – Der Löwe erwacht

978-3-453-41181-4 – Krone und Blut

978-3-453-41244-6 – Die letzte Schlacht

978-3-453-44096-8 – Jenseits des Walls

978-3-453-44097-5 – Tief in der Wüste

ROBERT LOW

IM SCHATTEN DER ALPEN

DIETODGEWEIHTEN

Aus dem Englischen von Julian Haefs

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe Beasts from the Dark (Brothers of the Sand 3) erschien erstmals 2020 bei Canelo, London

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe 08/2023

Copyright © 2020 by Robert Low

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Barbara Häusler

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, unter Verwendung von Motiven von © Canelo Digital Publishing Limited

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-29413-7V001

www.heyne.de

1

Provinz Raetia, Spätsommer, drittes Regierungsjahr des Marcus Aurelius Severus Alexander Augustus

Man kann solch einen Ort überall finden, und falls einem das gelingt, kann man hinterher so oft kommen und gehen, wie man möchte. Er gehört einem ganz allein, wie viele andere Leute ihn auch betreten mögen. Hier kann man die Anwesenheit der Götter spüren, im unsichtbaren Wind, der wie Finger die Bäume durchkämmt, oder in den Strahlen der Sonne, die auf stillem Wasser tanzt.

Drust und die Brüder hatten den Göttern an Schreinen von einem Ende des Imperiums zum anderen ihre Ehrerbietung dargebracht, sie hatten Steine aufeinandergestapelt, Wein vergossen, Essen geopfert und um Vergebung gebetet – alles, um den jeweils nächsten Kampf in der Harena zu überleben. Sie wussten, dass man dafür weder Steinsäulen noch Altäre noch Priester brauchte – aber das hier war Raetia, deren Wälder mit solchen heiligen Orten übersät waren, die im Dunkeln lauerten. Ein Land voller Bäume mit Stämmen schwarz von altem Blut und voller alter Götter, deren Atem im Seufzen des Windes und im zähen Nebel waberte.

Ugo ehrte sie mit gesenktem Kopf und murmelte einen unterwürfigen Singsang, denn einige seiner Götter waren hier vertreten. Die anderen boten nicht mehr dar als ein widerwilliges Nicken oder zwei und eine Prise Salz aus dem Schweiß, den sie sich von den Gesichtern wischten – trotzdem bewegten sie sich vorsichtig und waren diesen zottigen Gottheiten gegenüber so argwöhnisch wie die Gottheiten ihnen gegenüber.

Es war ein Tempel mit Säulen, die allerdings aus knorrigen Baumstämmen bestanden, welche sich alle in eine Richtung neigten, weg vom Nordwind – sogar der alte König Eiche, der sich selten jemandem beugt. Auch Wasser gab es hier, das aus einem langen Einschnitt im Gelände hervorquoll; im Winter würde es zu einem Vorhang aus Juwelen erstarren, dachte Drust. Sah so aus, als wären sie am richtigen Ort, von dem Häuptling Erco ihnen erzählt hatte, aber er konnte nicht fassen, dass es so einfach gewesen sein sollte …

Hier schritt selbst Jupiter achtsam umher und bat höflich um die Erlaubnis der alten Götter dieses Landes, das mit Rom nicht viel zu schaffen hatte. Und hier standen alle Brüder, drehten sich in langsamer Ehrfurcht um die eigene Achse, fühlten sich eingeschlossen von den mächtigen Zylindern der zehn Bäume, die diesen Waldmenschen heilig waren – die Erle, der Apfel, die Esche, die Buche, die Schlehe, die Ulme, die Hasel, die Stechpalme, die Eibe, die Weide.

Und über ihnen allen ragte der elfte Baum empor, dessen Wurzeln Liebe, Familie, Leben, einfach alles aussaugten …

Die Bluteiche.

Als die Bestien des Waldes mit Geheul über sie herfielen, war niemand überrascht, und alle nahmen mechanisch die vertraute Gladiatorenformation ein, so abgenutzt wie ein viel geschliffenes Schwert. Drust wollte weglaufen, wollte weinen, unsicher, ob er Letzteres nicht ohnehin tat – er warf einen schnellen Blick zur Seite, wo Praeclarum stand und ihr zahnloses Grinsen zeigte, die Klingen wie brutale Klauen erhoben. Dann erstickte das Feuer in ihm alle Tränen und Ängste, und er kauerte sich neben die Schulter seiner Frau. Seiner Liebsten.

Dann schnellte er der Bestie entgegen, die auf ihn losging, die schiefen Zähne in einer Ebermaske gefletscht, mit nacktem Oberkörper und einer ausgebleichten, karierten Hose voller Flecken. Das Wesen trug einen Speer und einen Schild groß wie ein hölzerner Sargdeckel.

Drust hatte keinen Schild, trug aber zwei grausame Ausgaben des Gladius, des Kurzschwerts, mit dem die Armee einst das Riesenreich errichtet hatte. Und als ihn die Bestie erreicht hatte, stampfend und mit wild zuckendem Speer, schlug er diesen mit einem seiner Schwerter zur Seite, ließ das zweite am Schaft entlang nach oben gleiten und schleuderte dem Mann eine Handvoll Eisen ins Gesicht.

Die Klinge traf das Backenstück und wurde knirschend abgelenkt, verfing sich in der Tiermaske und riss sie halb herunter; der seiner Sicht zur Hälfte beraubte Halbmensch schrie auf, ließ den Speer fallen und zückte ein Messer. Einen Moment lang waren er und Drust wie Hirsche ineinander verkeilt; der Fremde fauchte und stach wild grunzend und spuckend um sich.

Dann brach eine Klinge aus seinem Hals hervor und verschwand sofort wieder. Das halbe Gesicht, das Drust sehen konnte, drehte sich verblüfft um, kippte dann zur Seite und zog rubinrote Spritzer aus der offenen Wunde hinter sich her. Praeclarum stand mit tropfendem Schwert da und schlug Drust auf die Schulter.

»Raus«, rief sie. »Wir müssen hier raus …«

Drust hatte nichts einzuwenden – er brüllte den Befehl so laut, dass es in seinem Kopf donnerte –, sah aber, wie ihm Asellio, der breitbeinig über einem sich windenden Feind stand, einen finsteren Blick zuwarf. Drust vermutete, es ginge ihm wohl um die Rangordnung und hielt Asellio für einen Arsch, sich in so einer Situation darüber Gedanken zu machen – doch dann erkannte er, dass er sich irrte und Asellio wütend den Rücken von zwei fliehenden Männern hinterherstarrte.

»Ich hab sie, ich hab sie …«, ertönte eine Stimme von der anderen Seite.

Und das hatte er. Der Kerl hieß Crispus und hielt sie in einer blutverschmierten Hand. Mit breitem Grinsen stolperte er auf Drust zu, auch sein Lockenkopf, der ihm den Namen gab, war steif vor verkrustetem Blut. Er reckte den Arm, sodass der Schwanz der Draco-Standarte flatterte – da zuckte er nach vorn, blieb stehen und starrte die blutige Spitze an, die aus seiner Brust gebrochen war. In einem mörderischen Kniff verschwand sie wieder; als Crispus vornüber auf sein Gesicht fiel, schüttelte der Besitzer des Speers das Blut daran so beiläufig ab wie ein höhnisches Ausspucken. Womöglich feixte oder lachte er sogar, was unter der ausdruckslosen kindlichen Visage des römischen Paradehelms, den er trug, jedoch kaum zu erkennen war.

Sie sahen ihn in die Hocke gehen, um die Standarte aufzuheben, und Drust hörte Kag schreien, jemand solle sie sich schnappen. Der Krieger musste seinen Speer loslassen, um die Standarte packen zu können, dann schwenkte er sie über dem noch zuckenden Leib von Crispus. Vielleicht stieß er dabei ein Triumphgeheul aus, aber das Geschrei und Kreischen der blutigen Gefechte ringsum übertönten es.

Drust sah Praeclarum losspringen und folgte ihr, verfluchte sie und war gleichzeitig von flammender Bewunderung erfüllt. Er hatte panische Angst, sie könnte von irgendeinem Schwert oder einem herumfliegenden Speer erwischt werden – derer gab es genug.

Stattdessen sah er die Knabenmaske des Helms, leprös von abblätternder Vergoldung und verspritztem Gewebe, wie sie plötzlich von der Wucht des massiven Hiebs einer Spitzhacke eingedrückt wurde. Die Seite der Kupfermaske schien rund um die bösartige Spitze vollständig zu zerknautschen. Ugo setzte mit einem brutalen Tritt nach, der den Maskierten zur Seite schleuderte und es ihm ermöglichte, die Waffe aus dessen Helm zu reißen.

Ugo hielt in jeder Hand eine Dolabra mit je zwei hässlichen Axtköpfen, einer horizontal und einer vertikal, mit scharfen Schneiden und spitzem Ende, das Lieblingswerkzeug der Armee. Seine heiß geliebte Langaxt hatte er schon vor langer Zeit verloren, aber jetzt hatte dieser Künstler ein neues Instrument für sich entdeckt …

Wie ein Wirbelwind tauchte aus dem Nichts Quintus auf, hob die Draco-Standarte vom Boden auf und hielt sie grinsend in die Luft.

»Weg hier«, brüllte Kag. Der Hund, dessen entsetzliches Gesicht mit frischem Blut besprenkelt war, duckte sich, schnellte herum und rannte zu ihnen.

Die Wilden flohen wie Eichhörnchen.

»Ist er wirklich tot? Haben wir den Drachen?«

Ugo war überzeugt davon, hatte aber nicht genug Luft, um Kag zu antworten. So standen sie alle da, vornübergebeugt und keuchend, bis Asellio schließlich den Kopf schüttelte.

»Die Stange ja, aber nicht den Mann.«

»Ich hab ihm die Gesichtsmaske eingeschlagen«, gab Ugo zurück. »Er hatte so einen schicken Paradehelm der Kavallerie an, genau wie man uns gesagt hat. Ich hab ihm seine Scheißvisage zertrümmert.«

»Nicht der«, sagte Kisa. »Ein anderer.«

»Ein anderer«, wiederholte Quintus gehässig. »Glaubst du echt? Die Drachenmänner sind ja angeblich Römer, die sehr tief gefallen sind, aber trotzdem – die da hinten sahen eher aus wie Schwesternficker von irgendeinem wilden Stamm, nicht wie Römer oder überhaupt Leute, die jemals zivilisiert waren.«

Mit einem frustrierten Axtschwung riss Ugo ein Stück Waldboden aus, und Kag klopfte ihm beruhigend auf die mächtige Schulter.

»Immerhin haben wir die Draco zurückbekommen.«

»Aber nicht die richtige«, sagte Kisa und hob den schlaffen Schwanz der Standarte hoch. »Die hier ist alt und verrottet – guck, die Vergoldungen am Kopf sind fast komplett abgeblättert und die Metallauflagen …«

»Haben uns zwei Leute gekostet«, murmelte einer, den sie Culleo nannten, und ließ sich mit einer Grimasse auf den Boden plumpsen.

»Vier«, murmelte Asellio, und alle wussten, dass seine Verbitterung den beiden geflüchteten Männern galt, von denen einer sein Stellvertreter gewesen war. Drust sagte nichts, während die Männer den Waldrand und die Strohhütten durchsuchten – auf der Suche nach zurückgelassenen Feinden, wie sie sagten, aber Plündern traf es wohl eher.

Quintus bedachte Kisa mit einem scharfen Blick, hob die Standarte auf und reckte sie in Richtung des verlassenen Dorfs. »Wir hätten es wissen sollen. Erco hat gelogen, und Fortuna hat uns wieder mal alle gefickt.«

Kein Dorfbewohner war geblieben, um diese Erkenntnis zu diskutieren; die Menschen aus Lupinus hatten schon vor langer Zeit ihre Sachen zusammengerafft und sich nach Süden hinter den Schutz des Limes zurückgezogen. Lupinus – aus Wolfshaut gemacht – war der Name, den die Garnison und alle anderen nördlich des Limes diesem Ort gegeben hatten, aber die paar Dutzend Stammesmitglieder, die hier gehaust hatten, hatten ihr Dorf anders genannt, davon war Drust überzeugt. Wie, hatte ihn bei keinem seiner Besuche hier in den letzten Wochen interessiert; interessant an diesem Ort waren nur der Häuptling Erco und die Jäger und Fährtenleser, die die Armee mit Wolfs- und Bärenfellen belieferten.

Für Drust war Erco deshalb so wichtig, weil der Mann einen anderen kannte, welcher wiederum einen im Norden kannte, der wusste, wo Drust einen weißen Bären herbekommen konnte, den er rechtzeitig zum Ludus Magnus nach Rom zurückbringen musste, um das unersättliche Amphitheater zu füttern.

Und dieser weiße Bär war es, der sie überhaupt in diese ganze Misere gebracht hatte, dachte er grimmig.

Die Leute kamen aus den Hütten zurück. Culleo schüttelte den Kopf. »Sie haben sich allesamt verpisst. Wahrscheinlich zurück zur Brücke.«

Er spuckte aus. »Das sind Moossammler«, schob er geringschätzig hinterher, und Drust fiel ein, dass Culleo selbst aus Raetia stammte, also quasi ein Einheimischer war, wenn auch aus dem römischen Teil des Landes. Er war Helvetier und hasste Tiguriner, was der römische Name für eine Gruppe von Stämmen war, darunter auch die Moossammler. Sie siedelten nördlich des Limes, blieben aber des Profits wegen dicht an der Reichsgrenze und trauten ihren eigenen Leuten nicht, das für einleuchtend zu halten – aber wer auch immer von ihnen in diesem Dorf namens Lupinus gelebt hatte, hatte alle Habseligkeiten zusammengerafft und sich aus dem Staub gemacht.

»Sie sind zur Brücke«, stellte Asellio klar, hob seinen Weinstock auf und marschierte entschlossen los. »Zur Brücke, verfolgt von diesen zwei davongelaufenen Arschschwämmen …«

Die Erkenntnis traf sie alle im selben Moment und ließ jede Müdigkeit verfliegen. Sie fluchten und krabbelten den zerfurchten Trampelpfad hinauf, stolperten über alles Mögliche, was die Dorfbewohner in der Eile weggeworfen oder zurückgelassen hatten – Scherben von Tongefäßen, ein umgestoßener Getreidesack, ein kompletter Wagen mit gebrochenem Rad. Sie hatten nicht einmal lange genug angehalten, um ihn vollständig zu entladen, obwohl sich lebenswichtige Ausrüstung darauf befand. Alle, die diesen Weg entlangrannten, schickten keuchende Stoßgebete an die Götter, doch bitte zu intervenieren, auch wenn sie genau wussten, was sie vorfinden würden.

Die Brücke war fort. Ebenso die Ingenieure auf der gegenüberliegenden Seite, nebst ihren Ochsen, Ketten, Schaufeln und Äxten. Alles weg. Nichts übrig, bis auf die Holzhaufen zu beiden Seiten; der Fluss schäumte, und die Balken, die man hineingerammt hatte, waren längst davongetrieben.

Asellio riss sich den Helm vom Kopf und warf ihn auf den Boden. Er verfluchte Stolo und Tubulus und den Optio, der den Ingenieurstrupp befehligt hatte.

»Er hätte es besser wissen müssen, die alte Scheißtrompete«, wütete er. Drust konnte sich die Szene jedoch durchaus vorstellen – die beiden Männer aus dem Numerus der Bataver kamen angerannt, schrien etwas von einem Überfall, von Tiermenschen in den blutigen Wäldern. Und hinter ihnen rückte eine Horde näher …

»Sie haben die Horde über die Brücke gelassen«, sagte Kag finster, und Drust konnte ihm nicht widersprechen. Der Optio hatte die Dorfbewohner erkannt, und sobald der Letzte von ihnen keuchend über die Brücke war, hatte er seinen Ochsen die Peitsche gegeben und die von Ketten gehaltenen Stützen, die bereits eingeritzt waren, herausgerissen und zu Fall gebracht. Drust wusste es, denn Stolo und Tubulus hatten ihm erzählt, alle anderen seien tot.

»Die werden sich noch wünschen, dass wir tot wären«, knurrte Asellio mit mörderischem Blick und wischte sich mit der Hand durchs Gesicht. Sie zitterte so stark, dass es allen auffallen musste.

»Was jetzt?«, fragte Scrofus, der dünne, weinerliche Pannonier, und sie schauten Asellio an, denn er war ihr Kommandant, gebot selbst über die Brüder. Kag aber warf Drust einen schnellen Blick zu, als wolle er sagen: »Scheiß doch auf die alle, wir gehen unserer eigenen Wege.«

Asellio fand seinen Helm wieder, hob ihn auf und wischte geistesabwesend den Schmutz weg. »Westen«, sagte er. »Da ist die nächste Brücke, anderthalb Tage entfernt ungefähr.«

»Die wird auch kaputt sein«, murrte Ugo. Asellio starrte ihn böse an. Entschuldigend breitete Ugo die Arme aus und hielt den Mund.

»Wir brauchen Nahrung und Wasser«, sagte Drust. Quintus grinste und schaute in den Himmel.

»Wir haben den Fluss, wenn wir es runter zum Ufer schaffen, und außerdem regnet es bald.«

»Kannst du uns bitte mit deiner guten Laune verschonen?«, fauchte Asellio, schien sich aber ein wenig aufzurichten. »Culleo, nimm dir Tuditanus mit und kümmert euch um die Nachhut – diese inzüchtigen Baumschleicher sind hinter uns her, das spür ich genau. Ich seh mir mal den Wachturm an – vielleicht ist da noch was, das wir brauchen können.«

»Wir können hier nicht bleiben«, maulte Scrofus. »Die kommen bestimmt bald.«

»Dann renn weg«, sagte Manius und starrte ihn auffordernd an. Scrofus wich vor ihm zurück.

Kag und die restlichen Brüder scharten sich um Drust, was den anderen nicht verborgen blieb, denn die waren jetzt, abgesehen von Asellio, nur noch zu dritt – der schmächtige Pannonier namens Scrofus, was »Sau« bedeutete, dann Tuditamus, ein Einheimischer, der sich »Hammer« nannte, weil er das Gemeinschaftszelt und den Zelthammer trug, sowie Culleo, der andere Einheimische. Sein Name stand für einen Weinschlauch, und seine Gesichtsfarbe machte deutlich, woher er ihn hatte.

Sie waren der Bodensatz der Armee, das Pack, mit dem sich sonst niemand abgeben wollte. Ihre Beine und Rücken waren von Rutenschlägen gezeichnet und sie selbst so tief gesunken, dass sie nicht einmal mehr richtige Namen trugen. Als letzten Ausweg hatte man sie in die Truppe der Exploratores gestopft, als Kundschafter der Numeri der batavischen Kohorte. Was bedeutete, dass sie anziehen konnten, was sie wollten, und man sie ausschickte, um herumzuschleichen und zu klauen. Befehligt wurden sie von einem einzigen regulären Soldaten – einem Decanus namens Scaevola, Spitzname Asellio. Es verdeutlichte seinen eigenen niederen Status, dass die spöttischen gleichrangigen Kollegen ihm diesen Spitznamen verliehen hatten – »Eselhüter«.

Drust wusste, dass sich diese Männer jetzt fürchteten, weil zwei von ihnen erschlagen worden und zwei weitere geflohen waren, sodass sie den Brüdern des Sandes, diesen ehemaligen Gladiatoren und Sklaven, nun zahlenmäßig unterlegen waren. Selbst für Leute wie den verlotterten Säufer Culleo waren diese sieben Brüder und die Frau nicht besser als Scheiße unter seiner Sohle.

Doch Culleo hütete sich, das laut zu sagen – diese Scheißhaufen waren Männer mit harten Mienen und unzweifelhaftem Geschick im Umgang mit Waffen. Einer von ihnen, Hund genannt, hatte ein entsetzlich entstelltes Gesicht mit Narbenzeichnungen und Tätowierungen, die es absichtlich wie einen Totenschädel aussehen ließen, und die ergrauten Stoppeln, die er nicht rasiert hatte, vergrößerten seinen schreckenerregenden Anblick nur noch. Culleo und Sau kam es vor, als wäre der Hund erst gestern dem eigenen Grab entstiegen, nachdem er dort ein Jahr lang vor sich hingemodert hatte.

Manius war ein Mavro, ein dunkelhäutiger gemeiner Kerl aus den Wüsten tief im Süden der afrikanischen Lande jenseits des Mittelmeers; Kag war ein Thraker, sehnig und todbringend; Quintus war groß und schlaksig und grinste andauernd, selbst während er Leuten die Kehle durchschnitt. Culleo meinte: besonders, während er Leuten die Kehle durchschnitt, aber das sagte er leise und nur zu Sau. Ugo, der riesige Friese, trug seine zwei Dolabrae und wusste auch genau, wie er sie zu benutzen hatte.

Dann war da noch ein Typ namens Kisa, ein Jude, und die konnte sowieso niemand leiden, vor allem diesen nicht, der immer alles besser wusste, nie die Klappe hielt und selten Lust zum Kämpfen hatte. Außerdem war er, so dachten zumindest Culleo und Sau, ein Frumentarius, ein staatlicher Spitzel, weshalb sie ihn noch weniger mochten.

An der Spitze dieser Kerle, die ihnen wirklich gegen den Strich gingen und ihnen unheimlich waren, stand allerdings der Anführer der Brüder. Drust sah zwar nicht besonders bedrohlich aus, schaffte es aber trotzdem, dass selbst der verrückte Hund seinen Befehlen gehorchte. Es ging ihnen jedes Mal auf die Nerven, dass sich diese sogenannten Brüder des Sandes, wenn Asellio Befehle brüllte, erst zu Drust umdrehten, um auf dessen Bestätigung zu warten. Und schließlich war da noch dessen Frau, die sich Praeclarum nannte – »ausgezeichnet«. Eine Gladiatorin. In der Armee. Das Ende aller Tage konnte wirklich nicht mehr weit sein.

Kag sah ihre Blicke und lächelte zurück, was dafür sorgte, dass sie sich abwandten und irgendeine Beschäftigung suchten. »Wir sollten uns von diesem Haufen trennen«, sagte er leise zu Drust. »Die sind echt der Abschaum der Armee.«

»Wir sind der Abschaum der Armee«, entgegnete der Hund und kratzte sich den Bart.

»Wir sind nicht in der Armee«, stellte Kisa pedantisch richtig. »Zumindest technisch gesehen. Wir sind Teil der Numeri …«

Drust hörte nicht zu. Er kniff die Augen zusammen und wartete darauf, dass Asellio zurückkam, denn sie hatten wirklich nur noch wenig Zeit, bevor sich diese Baumficker mit Geheul auf sie werfen würden. Nominell hatte Asellio hier das Sagen, und Drust hoffte, dass es nicht dazu kommen würde, daran etwas ändern zu müssen.

Fürs Erste saß er auf einem Stein, hörte dem tanzenden Fluss in der Tiefe zu und starrte über die Schlucht. Die vierzig Fuß Leere zwischen den beiden Holzhaufen hätten ebenso gut vierzig Meilen sein können – an dieser Stelle würden sie den sicheren Süden definitiv nicht erreichen.

Er fragte sich, ob Erco, dieser grinsende kleine Verräter, zusammen mit seinen Dorfbewohnern geflohen war. Er mochte sich im Schatten des Imperiums herumdrücken, mit ihnen handeln und angerannt kommen, wenn der Rest seines kriegerischen Volks mal wieder Streit vom Zaun brach, aber Drust war sicher, dass dieser kleine Mann namens Herkules sie absichtlich in einen Hinterhalt gelockt hatte. Er wird sich mit ihnen zusammen verpisst haben, dachte er. Trägt wahrscheinlich gerade eine Bärenmaske und tanzt um Crispus’ verkohlten Leichnam herum.

Ihn widerte all das an, und er schaute zu Praeclarum hinüber, deren Anblick ihm immer Trost brachte; sie lächelte zurück, ohne ihre fehlenden Zähne zu zeigen. Kaum sechs Monate lag ihre Hochzeit zurück, und er erinnerte sich noch gut an den Tag, an diese Freude. Wie waren sie bloß hier gelandet?

Er schaute zum Wachturm hinauf, als könnte er Asellio mit Blicken zur Eile antreiben. Der Turm war eine schmale, dreistöckige Konstruktion, die unterste Etage aus Stein, der Rest aus Balken und Holzschindeln. Die Eingangstür im mittleren Stock erreichte man über eine Steintreppe, was der Verteidigung diente, dennoch war es kaum mehr als ein Unterstand für die Unglücksraben, die diese Brücke jenseits der Mauer hatten bewachen müssen.

Mit wütendem Fluchen tauchte Asellio im Türrahmen auf, und Drust sah, dass er mit leeren Händen zurückkam – also doch nichts Brauchbares da drin. Er seufzte und wandte sich wieder dem geflüsterten Streitgespräch zu, als er Asellio stürzen sah. Die Nägel in den Sohlen seiner abgenutzten Armeeschuhe trafen auf die oberste Stufe und rutschten nach vorne weg, er krachte auf die Treppe, schlug auf zwei Stufen auf, rollte über die Seite ohne Geländer und fiel ein Dutzend Fuß tief auf die Erde. In seinem Brustpanzer aus Eisenschienen machte es ein unschönes Geräusch wie ein Haufen umgestoßener Zinnschüsseln.

Ugo heulte vor Lachen und schlug sich auf die Schenkel. Die anderen fielen ein, bis ihnen aufging, dass es der Decanus offenbar nicht eilig hatte, wieder auf die Beine zu kommen. Da rannten sie alle zu ihm.

»Komm schon, komm schon – das ist der falsche Zeitpunkt für ein Nickerchen«, sagte Kag und packte Asellio unter den Armen, um ihn hochzuziehen; er brauchte all seine Kraft, denn der Decanus steckte in einer schweren Rüstung. Sein Kopf rollte nach hinten, und Blut sickerte ihm aus dem Mund. Erst jetzt sah Drust, dass auch der Hinterkopf voller Blut und zum Großteil eingedrückt war von dem im Gras verborgenen Stein, auf dem er gelandet war.

»Oh, Kacke, Mann«, sagte Kag und ließ Asellio sanft wieder sinken, wischte sich die Hände an seiner Tunika ab und starrte den Mann an. Alle starrten ihn an, mit wachsendem Grauen.

»Helft ihm auf die Beine«, sagte Culleo mit hörbarer Panik.

»Nur Pluto hilft dem jetzt noch auf die Beine«, knurrte der Hund. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, und alle standen wieder wie gelähmt da und starrten den Toten an.

Da lag Asellio, Decanus der Exploratores der Cohors nona Batavorum. Dreißig Dienstjahre – nach dem Ende der regulären fünfundzwanzig Jahre hatte er sich erneut verpflichtet. Er hatte in ganz Pannonia und Raetia gegen die Alemannen gekämpft, dabei viele Abzeichen und Ehrungen errungen und trug seine alte LoricaSegmentata wie eine Ehrenauszeichnung, auch wenn dieser Rüstungstyp immer mehr aus der Mode geriet.

Er hatte mehr Söhne gezeugt, mehr Männern die Ehefrauen ausgespannt und mehr Reichtum angehäuft, als sich die meisten Männer auch nur vorstellen konnten, und war unzählige Male befördert und degradiert worden – seine Beine wiesen die alten, verblassten Striemen vergangener Bestrafungen auf.

Gestorben beim Sturz von einer verwitterten Treppe.

Alle brauchten eine ganze Weile, um wirklich zu begreifen, dass so etwas einen Mann wie Asellio hatte dahinraffen können. Irgendwann mussten sie es aber einsehen, während sie ihn hinauf zu der zerfurchten Straße trugen. Hammer schaute sogar in den grauen Himmel, als erwartete er einen Wutanfall des trauernden Jupiter.

Die Brüder waren nicht ganz so fassungslos. Dis Pater war quasi einer von ihnen, und sie fürchteten sich weder vor diesem Gott noch vor den Todesfällen, die er selbst unter ihren engsten Freunden gefordert hatte, denn das hatten sie schon zu lange Tag für Tag miterlebt.

Culleo und die Übrigen standen mit Dis weniger auf Du und Du und hatten außerdem länger unter dem Decanus gedient, lange genug, dass er zu ihrem gemeinsamen Fundament geworden war.

Drust sah, wie der Schock ganz allmählich von ihnen abfiel und sie alle mit der gähnenden Leere unter ihren Füßen zurückließ.

Sie schleppten ihn hinauf und legten ihn ab, betrachteten ihn und wischten sich die Augen, als könnten sie den Anblick abkratzen. Aber er blieb – ein alter Mann, dessen Kopf in einem unmöglichen Winkel abstand, mit allmählich trocknendem Blut in den Bartstoppeln.

Sie sprachen aus, was passiert war. Und abermals. Und noch einmal, als würde dies etwas ändern, es plötzlich nicht mehr wahr sein lassen.

»Scheiße, du alter Bastard«, sagte Sau schließlich voller Bitterkeit. »Gerade, als wir dich wirklich gebraucht hätten.«

Kag beugte sich vor, überprüfte etwas und schaute auf. »Will irgendwer seine Rüstung?«

Es kam ihnen vor wie ein Schlag ins Gesicht, eine Beleidigung, fast ein Sakrileg, und sie lehnten ab. Auch von den Brüdern wollte sie keiner haben – in so einem Ofen ließ sich schlecht kämpfen.

»Wir müssen leicht und schnell sein«, sagte Praeclarum. »Wenn wir immer noch nach Westen wollen, haben wir ziemlich unwegsames Gelände vor uns – und werden von Leuten verfolgt, die da jeden Stein kennen.«

»Nun gut«, sagte Culleo zögerlich und zupfte seinen löchrigen Kettenmantel zurecht. »Ich bin jetzt hier der Ranghöchste, also …«

»Halt den Rand, du schlappsandaliger Kotklumpen«, sagte Kag freundschaftlich und sah zu Drust auf. »Was jetzt?«

»Rollt ihn in den Fluss, wie er ist. Ansonsten reißen sich diese Schreihälse seine Waffen, seine schöne Rüstung und seinen Kopf unter den Nagel.«

Hammer gab ein Geräusch von sich, als wolle er protestieren und sich für ein ordentliches Begräbnis aussprechen, aber Drust sah ihn an, und die Worte blieben ihm im Hals stecken.

»Wollt ihr euch die Zeit nehmen, ein Loch zu buddeln? Oder so viel Entfernung zwischen uns und die Leute bringen, die gern ihre gestohlene Draco-Standarte wiederhätten?«

Sie rafften ihre Ausrüstung zusammen und machten sich abmarschbereit. Praeclarum trat zu Drust, küsste ihn auf die Wange und streifte sein Ohr mit ihren weichen Lippen. Die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf. Er brauchte hin und wieder Zärtlichkeit oder zumindest eine Bestätigung, dass die anderen mit seiner Arbeit zufrieden waren.

»Wie zum Hades sind wir in diese Scheiße geraten?«, flüsterte sie.

*

Auf die übliche Art und Weise – indem sie zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren. So lautete zumindest Quintus’ trockene Analyse. Der Hund murmelte üble Verwünschungen in Richtung von Cascus Minicius Audens, Tiermeister des flavischen Amphitheaters, dessen Auftrag sie überhaupt erst in die dunklen, feuchten Wälder von Raetia gebracht hatte. Kag zuckte mit den Schultern und machte wie so oft die ewig wankelmütige Fortuna für alles verantwortlich.

Kisa flüsterte Gebete an seinen einen Gott, Ugo schaute einfach grimmig drein wie ein alter Felsbrocken. Manius sagte gar nichts, schärfte nur sein Messer und suchte im Kopf nach einem Ausweg. Praeclarum schließlich sprach kurz und finster von göttlicher Vergeltung dafür, dass sie eine Kaiserin und Vestalin in einem Erdloch hatten verrecken lassen.

Das war vor einem halben Jahr gewesen – genau an dem Tag, als er und Praeclarum geheiratet hatten, erinnerte sich Drust. Diese neue Unternehmung war der Preis, den sie dafür gezahlt hatten, die entlaufene ehemalige vestalische Kaiserin eines toten Kaisers aus der staubigen Wüste Syriens zu ihrer Familie zurückzubringen, damit man sie ordnungsgemäß einkerkern konnte. Und sollten sie erfolglos zurückkehren, würden sie so pleite sein wie die Bettler zwischen den Gräbern entlang der Via Appia. Wieder mal.

Drust wusste, warum sie wirklich hier im Dunkel gelandet waren, und das hatte mit einer ganz anderen Göttin zu tun, die sie ignoriert und somit wütend gemacht hatten. Fama, die deinen Namen weit und breit verkündet, die in der Mitte der Welt haust, wo sich Erde, Meer und Himmel treffen. Von da aus sieht und hört sie alles, und ihre Heimstatt auf einem hohen Gipfel hat keine Türen, sondern eintausend Fenster, und besteht zur Gänze aus Bronze, sodass selbst das kleinste Geräusch oder Geflüster als lautes Echo erschallt.

Das hatte Drust vom Legaten Marcus Peperna Vento erfahren, in der Principia des Lagers von Biriciana, wo dieser sie zusammengerufen hatte.

»Man sagt mir, dass ihr trotz eures Erscheinungsbilds die Richtigen für diese Aufgabe seid«, erklärte er und stach mit einem Wurstfinger auf die Schriftrolle mit der aufgemalten Landkarte, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag. »Hier leben anständige Stammesangehörige, die unter dem Schutz Roms einen Haufen Kinder und Getreide, Schafe und Rinder produzieren.« Ein weiterer Stich mit dem Finger. »Und dort sind das Einzige, was sie erfolgreich produzieren, Barthaare und Hass auf alles diesseits des Limes.«

Niemand lachte.

Er nannte sich Legat, aber Marcus Peperna Vento hatte keine eigene Legion – die hatte heutzutage niemand mehr. Er verfügte über Einheiten aus allen Ecken des Imperiums, zum Großteil von der Dritten Italischen Legion, und diese Männer waren entlang einer einzigen Steinmauer und auf die Kastelle verteilt, die in regelmäßigen Abständen daran aufgereiht waren – dies war die große Nordgrenze.

»Das ist das Land der Baumanbeter, deren zivilisatorischer Fortschritt kurz vor Erfindung des Kamms zum Erliegen gekommen ist. Sie hocken in den Wäldern, die man bei uns Blutwälder oder einfach das Dunkel nennt«, fuhr Peperna fort. »Da draußen verfluchen sie Rom und handeln sich mehr Ärger ein als ein Hund, der einen stibitzten Kuchen verschlingt. Genau wie ihm steht ihnen bevor, vom Knüppel der Armee totgeschlagen zu werden.«

Mit düsterer Miene und ernsten Blicken schaute er sich um, ein gedrungener Mann, der gern ehrenvoll und mit einem hübschen Haufen Münzen nach Rom zurückkehren wollte und alles tun würde, um dieses Ziel zu erreichen. »Hin und wieder«, sprach er weiter und senkte seine Stimme zu einem bitteren, fast beschämten Knurren, »rotten sich genug von ihnen zusammen, um über die Mauer zu hüpfen und auf unserer Seite auf Kuchenjagd zu gehen. Dann müssen wir ausschwärmen und sie wieder einfangen.«

Wieder sprach niemand, denn alle wussten, dass eine solche Rotte auch jetzt wieder unterwegs war, und der einzig sichere Ort beiderseits des Limes der war, an dem sie sich gegenwärtig befanden; die Armee hatte genug Soldaten, schien aber nicht willens zu sein, sich des Problems anzunehmen.

Die Plünderer kamen aus den Stämmen der Helvetier, Tiguriner und Raetier – sogar Sueben mit ihren seltsamen Haarknoten waren dabei. Johlend und heulend streiften sie landauf, landab durch den fruchtbaren, reichen Süden, sie raubten, mordeten und vergewaltigten. Sie waren nicht zahlreich genug, um eine Bedrohung für die Passstraßen gen Süden nach Cisalpina darzustellen, sollte es jedoch dazu kommen, würde Peperna endgültig ausrücken müssen, um sie aufzuhalten. In der Zwischenzeit hatte die Armee die wichtigen Brücken zerstört – alle, die Vieh oder Karren aushielten. Die Plünderer mochten plündern, mussten sich aber auf das beschränken, was sie selbst tragen konnten.

Es war schlimm genug, dass es mittlerweile an Selbstmord grenzte, die Straßen nach Süden gen Rom nehmen zu wollen, dachte Drust. Die Brüder verfügten zwar über Karren und Wagen, um einen weißen Bären sowie Futter für ihn zu transportieren, allerdings über keine sichere Route, um ihn zum Tiermeister des flavischen Amphitheaters zu bringen.

Und Peperna wusste das. Er musterte sie der Reihe nach und setzte ein gehässiges Grinsen auf. »Man hat mich auf euch aufmerksam gemacht. Fama hat eure Namen in ein wichtiges Ohr auf dem Palatin geflüstert, und so ist die Kunde bis zu mir gelangt. Ihr nennt euch die Brüder des Sandes – sogar die Frau. Ihr habt Fähigkeiten, die der Armee von Nutzen sein können.«

»Wir gehören nicht zur Armee«, knurrte Ugo warnend. »Und ›die Frau‹ ist Drusts Gemahlin.«

Pepernas Lächeln hatte sich wie eine Eisenfalle immer weiter gedehnt – selbst Quintus musste da neidisch werden, dachte Drust mit wachsendem Unbehagen.

»Von jetzt an schon«, gab Peperna zurück. »Gleich werdet ihr Decanus Scaevola kennenlernen. Er ist jetzt euer Kommandant, und ihr seid damit Teil der Numeri der batavischen Kohorte. Exploratores der Achten, um genau zu sein – versteht ihr, was das heißt?«

Drust wusste es – sie alle wussten es, denn es war nicht das erste Mal, dass sie diese Arbeit verrichteten, bisher allerdings nicht für die Batavische. Die war einst Teil der germanischen Kaisergarde gewesen, bis Galba sie aufgelöst hatte, weil sie seiner Meinung nach dem abgesetzten Nero gegenüber zu loyal war. Das hatte zu einer größeren militärischen Auseinandersetzung mit den empörten Batavern geführt, an deren Ende einige der Germanen wieder in die Armee eingegliedert worden waren.

Die Exploratores aber, die Späher und Informanten, waren immer noch die meistgehasste Abteilung der Armee.

»Teil der Armee, aber nicht wirklich in der Armee«, sagte Kag ausdruckslos. »Keine Uniformen, kein Exerzieren, keine Paraden – bloß ein bisschen Spähen und Rumschleichen.«

Perpina verzog keine Miene. »Ihr werdet Decanus Scaevola mit eurem Wissen über lokale Gegebenheiten unterstützen. Ihr werdet ihn und seine Männer ins Gebiet nördlich des Limes eskortieren und eure dortigen Kontakte über den Verbleib eines römischen Offiziers und der Kavallerietruppen befragen, die er bei sich hatte.«

Die Verblüffung über diese Eröffnung ließ alle den Mund zuklappen.

Perpina nickte, als hätte er nichts anderes erwartet, und bedachte sie mit einem scharfen, beunruhigend verzerrten Grinsen.

»Ihr habt schon mit den Kalkschädeln nördlich von hier zu tun gehabt«, sagte er. »Aus diesem Dorf an der Brücke 41.«

Drust erkannte, dass Perpina Erkundigungen eingezogen hatte und abstreiten sinnlos war – aber er wusste auch nicht viel mehr, als dass der Häuptling dieses Dorfes Erco hieß, die lokale Version von ›Herkules‹, wobei Nichtrömer ihn sicher nicht unter diesem Namen kannten. Nichts davon machte ihn zu einem Freund, geschweige denn zu einem Sippenangehörigen. Das sagte er auch und wies darauf hin, dass die Besatzung des Wachturms bei Brücke 41 dies mit Sicherheit ebenso wusste.

»Außerdem«, fügte er hoffnungslos hinzu, »sind wir hergekommen, um dem Kaiser eine Beute zu beschaffen – einen weißen Bären für die großen Spiele. Ich kenne diesen Erco nur als Kontaktmann zu denen, die so ein Tier aus dem hohen Norden hergeholt haben.«

Peperna kratzte sich die Bartstoppeln – wenn ein Mann in so einer Stellung das Rasieren vernachlässigte, wusste man schon, dass man in Schwierigkeiten steckte, meinte Kag später.

»Der Wachturm ist nicht mehr besetzt. Bei Brücke 41 gibt es nur noch einen Ingenieurstrupp, der sie abreißen soll. Ihr werdet also Folgendes tun, ihr sogenannten Brüder des Sandes. Ihr schließt euch den restlichen Numeri unter Scaevola an. Wir kümmern uns hier um eure Karren und eure Ausrüstung, bis feststeht, dass ihr nicht mehr zurückkommt. Ihr solltet euch darüber im Klaren sein, dass diese Anweisungen euch betreffend von ganz oben kommen – mir wurde gesagt, ich solle den Namen Julius Yahya erwähnen.«

Er sah die Reaktion und lächelte dünn. »Euren weißen Bären könnt ihr vergessen.«

»Am Arsch«, knurrte Quintus mürrisch, aber es war ein armseliger Ausbruch, der sehr schnell erstickt wurde.

»Wir stehen für jeden Befehl zur Verfügung«, sagte der Hund sarkastisch, und Peperna schaffte es, ihm lange genug in die Augen zu schauen, um zu zeigen, dass ihn dessen Gesicht nicht sonderlich beeindruckte. Aber Drust wusste, dass das eine Lüge war. Er wusste auch, dass Peperna Angst hatte; man konnte sie förmlich riechen, ein durchdringender Gestank, gegen den man ankämpfen musste, wollte man sich nicht anstecken.

Julius Yahya hat diesen Effekt, dachte Drust und erinnerte sich daran, als dieser Mann sie vor Jahren nördlich der Grenze Britanniens eingesetzt hatte. Es war nicht gut ausgegangen …

»Ein Sklave«, sagte Kag plötzlich und lachte giftig. Dann sah er Peperna an und hob entschuldigend die leeren Handflächen. »Es amüsiert mich nur immer wieder, wenn Männer im Rang eines Legaten vor Julias Yahya katzbuckeln.«

»Er ist ein Freigelassener«, gab Peperna zurück, ohne auf die Spitze einzugehen. »Und Berater der Mutter des Kaisers. Vielleicht reicht dir das als Hinweis, warum auch Legaten sich ihm fügen? Und warum ihr dem Befehl gehorchen werdet?«

Julia Avita Mamaea, Mutter des Kaisers, deren Kopf auf Münzen prangte und die überall ihre Finger im Spiel hatte, da sie zum Wohl ihres Sohns die Fäden zog. Eine Frau, die den Tod seines Vetters organisiert hatte, damit ihr Sohn seinen schmächtigen Kinderarsch auf den Thron pflanzen konnte. Eine Frau, die für ihn eine gute römische Hochzeit arrangiert hatte, dann auf die Gemahlin eifersüchtig geworden war, sie hatte verbannen und ihren Vater wegen Verrats hinrichten lassen. Drust spürte, wie ihre schmierige graue Hand ihn in eine solche Hoffnungslosigkeit quetschte, dass er den Kopf hängen ließ. Dann spürte er Praeclarus’ Finger an seinen.

»Was man nicht überwinden kann, muss man überdauern«, sagte sie.

Niemand hatte eine Erwiderung darauf. Peperna raffte seine Diensttoga zusammen und sah aus wie ein großer zerzauster Wolf.

»Ihr tut also Folgendes …«

Er zog eine Schriftrolle aus dem Ärmel und händigte sie Kisa aus, eine Geste, die Drust nicht verborgen blieb. Der kennt uns genau, dachte er. Er hat sich gründlich erkundigt und weiß, wer von uns am besten lesen und wer sauber schreiben kann, wer wofür zuständig ist.

»Das ist die Geschichte von Marcus Antonius Antyllus«, sagte Peperna und klang dabei fast, als riefe er einen Gott um seine Gunst an. »Er ist ein Nachfahre des großen Antonius und ein Tribunus Laticlavius, ehemaliger Legat der Dritten – als solche Posten noch an Senatoren gingen.«

Der letzte Halbsatz klang verbittert, und Drust war klar, dass der Rang eines römischen Senators in letzter Zeit einiges an Einfluss eingebüßt hatte, da die Kaiser ihre Armeen lieber den niedriger stehenden Equites anvertrauten.

»Ihr geht nach Norden«, sagte Peperna. »Fragt eure Kontakte nach Marcus Antonius aus, findet ihn und sorgt dafür, dass Scaevola und seine Männer ihn zu seinem Lagerzurückbringen.«

»Er ist also verschollen?«, fragte Kag mit düsterer Stimme und düsterer Miene, denn er kannte die Antwort bereits.

»Er ist uns abhandengekommen«, sagte Peperna gleichgültig. »Er hatte immer radikale Vorstellungen davon, den Krieg zum Feind zu tragen, und gerade jetzt ist das nicht die beste Idee. Vielleicht ist euch schon etwas über den ›Drachen‹ zu Ohren gekommen. Das ist Marcus Antonius. Er ist irgendwo da draußen und kämpft gegen einen Gegner, den er selbst überhaupt erst geschaffen hat, indem er die Kalkschädel aufwiegelt. Jetzt haben sie den Grenzwall überschritten, um sich an unserem Kuchen zu vergreifen, und niemand weiß, ob General Antyllus noch lebt. Ihr findet das heraus, und sollte er noch am Leben sein, werdet ihr ihm Roms Missfallen mitteilen und ihn davon überzeugen, mit seiner Kavallerieeinheit und der Draco-Standarte, die er mitgenommen hat, zurückzukehren. Rom will verhindern, dass die Blutpriester des Dunkel einen edlen Kopf oder eine edle Standarte erbeuten, auf die sie ihn spießen können.«

Fama hatte bereits etwas über den Drachen geflüstert, einen römischen General, der unter der Draco-Standarte eine Bande von Abtrünnigen der Zweiten flavischen Kavallerie führte, hierhin und dorthin stürmte und alles angriff, was sich nördlich der Mauer bewegte. Einst hatte dieser Antyllus Einheiten von der Stärke einer Legion befehligt, dann aber die Unzufriedenen aus der Ala Flavia um sich geschart und zu seiner eigenen Kompanie geformt. Angeblich hielt er Kavallerie in einem Land wie diesem für eine Vergeudung von Männern und Ressourcen und wollte sie zu Waldkriechern und Geheimtruppen umschulen. Es ging das Gerücht, er und seine Truppe hätten in einem perversen Ritual ihre sämtlichen Pferde gegessen.

Sie traten aus der Halle der Principia, standen blinzelnd im Licht und fanden sich in einem wahren Gewusel wieder, denn überall liefen Offiziere und Schreiber mit Tafeln und Schriftrollen umher. Draußen krachten Sohlen auf die harte Erde, und aus vielen Kehlen drang der Schlachtruf »Roma invicta!«. Alle trugen ihre Angst wie schweres Marschgepäck, das sich nicht abschütteln ließ.

Ein Mann aber stand behäbig und reglos da und starrte sie an. Er war ergraut und sein Gesicht so ledrig wie die Nageltasche eines Dachdeckers. »Scaevola«, verkündete er knapp. »Ihr werdet hören, dass man mich auch Asellio nennt, aber das stört mich nicht im Geringsten. Rüstet euch aus, in angemessenem Rahmen. Dann folgt mir.«

»Wir stehen für jeden Befehl bereit«, sagte Quintus. Scaevola musterte ihn von Kopf bis Fuß.

»Man hat mir berichtet, wer ihr seid und was ihr tun sollt. Und euch hat man von mir erzählt. Geht mir bloß nicht auf die Eier, sonst stecke ich euch in Brand und lösche das Feuer mit einem Spaten.«

Sie schwiegen vor Bewunderung, bis Drust sagte: »Man hat uns von dir erzählt. Du weißt, was wir hier tun sollen. Was sollst du denn hier tun?«

Scaevola sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an und nickte. »Du bist dann wohl Drust, der Anführer. Solange du meine Anweisungen befolgst, kommen wir gut miteinander aus. Sobald ihr dieses hochwohlgeborene Arschloch findet, werden ich und meine Jungs ihn von seiner Verirrung überzeugen.«

»Was, wenn er nicht überzeugt werden will?«, fragte Praeclarum süßlich und mit großen Augen. Drust sah Scaevolas Blick zu ihr und dann zurück zu ihm huschen. Jetzt kommt’s, dachte er. Aber für einen Mann mit dem Spitznamen Asellio, Eselshüter, war die Anwesenheit eines weiblichen Gladiators in seiner Truppe wohl nur eine weitere Infamia in einer langen Liste.

»Er muss seines Kommandos enthoben werden, hat Peperna gesagt. Mit allen Mitteln.«

»Und dann?«, fragte der Hund glatt und scharf wie frisch geschmiedeter Stahl. Asellio besah sich ausdruckslos dessen Gesicht mit der Totenschädel-Tätowierung, was Drust imponierte. Hier stand ein Mann, der Schlimmeres gesehen hatte als das Gesicht des Hundes. Er wollte nicht wirklich wissen, was genau, aber eine kreischende Meute bewaffneter, muskelbepackter Männer mit Haaren, die mithilfe von Kalk zu weißen Dornen geformt waren, würde fast jede Liste anführen. Er schauderte.

»Du willst, dass wir den Kerl umbringen«, sagte Quintus.

»Ich will verflucht noch mal, dass ihr überhaupt nichts tut, was ich euch nicht befehle«, gab Asellio zurück. »Das schließt auch Morden mit ein.«

»Was wird Rom davon halten?«, fragte Kisa mit schriller Empörung. »Einen Senator ermorden?«

»Mach dir darüber mal keine Gedanken«, erwiderte Asellio ruhig. »Das größte Verbrechen in Rom ist Geiz bei der Armenspeisung.«

Drust lachte laut auf, alle anderen verstummten und schauten ihn an und runzelten die Stirn , als könnten sie sich auf diese Weise den Witz aus dem Hirn quetschen, den er erkannt hatte und sie nicht. Schließlich erklärte er ihnen, dass, wenn der Mord an einem Senator, selbst an einem mit einem Kopf voll wimmelnder Schlangen, nicht von Bedeutung war, dieser Auftrag tatsächlich nur von einer Person stammen konnte – von Julia Mamaea, Consors imperii und Mutter des Reichs. Asellio nickte mit widerstrebender Anerkennung.

»Ihr wisst ja, dass man Fisch nicht mit dem Löffel isst«, knurrte Asellio.

»Das ist eine Treibjagd«, sagte Drust entschieden. »Und dafür braucht man meistens nur Speere und Dummheit, weshalb kluge Leute andere dafür einspannen.«

Der Hund räusperte sich und spuckte aus, ein herber Affront auf den Stufen der Principia, der ihm eigentlich die schwerste körperliche Züchtigung eingetragen hätte; die Vorbeieilenden taten so, als hätten sie es nicht gesehen. Kag schloss mit einem finsteren Urteil.

»Von allen Tieren ist der Sündenbock immer am einfachsten aufzustöbern.«

*

Eine Stunde später wurden sie eingeholt, als sie gerade über die großen Steine der Uferböschung kletterten, immer nach Westen. Das Wasser schäumte desinteressiert am Grund der Schlucht, und die grauen Felsen am anderen Ufer wanderten ganz allmählich abwärts, um sich mit dem schmalen Pfad zu vereinen.

Culleo hatte soeben angemerkt, dass dieser Weg wirklich schlecht sei, weil zu steil, und sie lieber zu dem Dorf namens »aus Wolfshaut gemacht« hätten zurückgehen und sich von dort aus in die Wälder schlagen sollen. Er sagte das nicht zum ersten Mal und jedes Mal mit einem weinerlichen Unterton, weshalb ihm niemand groß Beachtung schenkte.

Der Pfeil, der ihn traf, presste das Wort »Wälder« in einem hohen, spitzen Schrei aus ihm heraus und katapultierte ihn mit dem Gesicht voran auf die Steine, die er so verabscheute. Drust war froh, einen Schild mitgenommen zu haben, und ließ ihn von der Schulter gleiten.

»Formieren, formieren!«, schrie er, und sie wandten sich um, die Schilde erhoben. Sau und Hammer tanzten in kleinen panischen Kinderschritten umher und schienen kurz davor zu sein, Reißaus zu nehmen.

»Sollten wir hier stehen bleiben?«, brüllte Hammer verzweifelt, als der nächste Pfeil heranzischte und neben ihm an einem Felsen zerschellte.

»Warum nicht«, grunzte Ugo bissig und ließ die Schultern kreisen. »Wir könnten ein paar Blümchen pflanzen.«

Sie schauten ihn von der Seite an, diesen großen Mann mit den zwei Spitzhacken und ohne Schild. Er stierte durch seinen langen Bart zurück, dessen Zöpfe mit denen auf seinem Schädel verwachsen zu sein schienen. Es mochten zwar ein paar graue Strähnen darin sein, als hätte ihm ein Vogel aus seinem Nest auf den Schädel gekackt, aber diese Schultern waren wirklich massiv und sein Gebrüll eine Schallwelle, die sie alle spüren konnten.

»Kommt schon, ihr Arschschwämme! Kommt her und verreckt!«

Und sie kamen, aber die ersten beiden schienen zu straucheln und stürzten, aus dem Gleichgewicht gebracht durch die Setzlinge, die plötzlich aus ihren Brustkörben sprossen. Manius legte einen dritten Pfeil auf und brachte auch ihn ins Ziel, ehe sie Drust und die anderen erreicht hatten.

Drust ließ eine Schulter sinken und den feindlichen Speer ein paar Fäden aus seiner Tunika reißen, dann schlug er zurück, war aber zu weit entfernt, um mehr als mit der Spitze seines Schwert einen kleinen rosa Fleck zu verursachen, immerhin genug, um den Krieger zurückzucken zu lassen. Sein Mund unterhalb der Haare, deren Kalkspitzen aussahen wie Eiszapfen, formte ein weites O.

Kag rammte Drusts Schulter – hier ist einfach kein Platz zum Manövrieren, dachte Drust. Schlecht für unseren Kampfstil.

Etwas krachte gegen seinen Schild, er sah einen Fuß und holte mit dem Gladius aus, dessen Klinge rasiermesserscharf geschliffen war. Der Besitzer des Fußes winselte und wich hopsend zurück. Drust drehte sich ein wenig, als er im Augenwinkel etwas aufblitzen sah. Er blockte den schweren Speerstoß mit seinem verschrammten Ei von Schild ab, zog den Gladius mit der Rückhand über die Kehle des Mannes, der gurgelnd den Speer fallen ließ und die Hände über diesen Springbrunnen legte, als könnte er den klaffenden Spalt damit schließen.

Ein Pfeil jagte so dicht an seinem Kopf vorbei, dass Drust den Windstoß der Befiederung auf der Wange spürte – ein weiterer Gegner, den er nicht hatte kommen sehen, bekam ihn knapp unterhalb der Nase direkt ins Gesicht und machte kein Geräusch, als ihm der Kopf in den Nacken gerissen wurde und seine letzten Gedanken blutig durch zerfetzte Kopfhaut und Schädelknochen aus dem Hinterkopf brachen.

Manius tut wirklich, was er am besten kann, dachte Drust, aber es wäre schön, wenn er es ein bisschen weiter weg täte.

Ugo machte sie endgültig nieder, schlug mit großen Schwüngen seiner Hacken tiefe Wunden, abgesichert von Quintus, der sich um diejenigen kümmerte, die Ugo nicht sah und um die dieser sich auch nicht geschert hätte, hätte er sie gesehen. Quintus blockte, stach zu und schlitzte, um Klingen und Spitzen von dem großen Mann fernzuhalten, während die Zwillingsdolabrae blutige Kreise ins stichige Licht des schwindenden Tages malten. Den feindlichen Kriegern ging auf, dass sie sich wie streunende Hunde mit einem wilden Stier angelegt und sich gründlich übernommen hatten, also ließen sie ab und flohen. Keiner von ihnen kam weiter als ein Dutzend Schritte.

Einen Moment lang sagte niemand etwas, alle standen vornübergebeugt da und keuchten. Irgendwer grunzte und stöhnte. Hinter Drust sagte Kisa zu Culleo, er sei nicht durchbohrt, sondern nur von der Wucht des Pfeils gefällt worden, der seine Vorratstasche und den darunterliegenden Kettenpanzer getroffen hatte.

»Ihre Bogen sind echt nichts wert«, fügte Manius verächtlich hinzu und wedelte mit seinem eigenen persischen Exemplar herum, einem geschwungenen Gedicht aus Knochen und feinen Hölzern. »Diese albernen Stöckchen sind schlecht verarbeitet und haben überhaupt keine Wucht.«

»Immerhin hat einer von ihnen dem da mal kurz das Maul gestopft«, sagte der Hund und warf dem aschfahlen Culleo einen knappen Blick zu, während er über die hingestreckten Toten stiefelte und sie begutachtete. »Das sind auf jeden Fall keine Römer, sondern hiesige Waldläuse – oder, Leute?«

Er drehte sich um und schaute mit seiner entsetzlichen Visage unschuldig wie eine frischgebackene Vestalin zu Sau und Hammer hinüber, die noch immer halb in der Hocke mit erhobenen Schilden verharrten. Sau leckte sich über die Lippen bei dieser Beleidigung seiner raetischen Wurzeln und sah aus, als wolle er dem Hund sagen, wohin er sich seine Sprüche stecken könne, aber Drust beobachtete, wie ihn im letzten Moment doch der Mut verließ.

»Die haben noch nie auf einem Pferd gesessen«, bestätigte Quintus. »Genauso wenig wie die am Waldheiligtum. Hier sind keine Römer aus dem Gefolge des Drachen.«

»Dieser Häuptling hat uns ein dreibeiniges Pferd verkauft«, sagte Praeclarum. »Aber die, denen er von uns erzählt hat, halten uns sicher trotzdem für lohnende Beute.«

»Na ja, wir haben ihnen das schöne Stück vom Altar geklaut«, knurrte Kag. »Und einige von ihnen erschlagen, inklusive einen ihrer Anführer mit einer dieser Paradekopfbedeckungen der Kavallerie. Wenn sie das mit einigen gepfählten Köpfen von uns wettmachen können, ist das aus ihrer Sicht bestimmt ein passabler Handel.«

»Wir hätten sowieso nie hierherkommen sollen«, sagte Culleo heiser, setzte sich mühsam auf und rieb sich die Stelle, wo ihn der Pfeil getroffen hatte. »Guckt mal – der Pfad ist da drüben zu Ende. Wie gehen wir jetzt weiter?«

»Auf jeden Fall nicht zurück, auch wenn du uns damit seit Stunden in den Ohren liegst«, fauchte der Hund. Drust sah sich um.

»Hoch mit euch«, sagte er, und alle stöhnten. Culleo sah geschockt aus.

»Das schaffen wir nie.«

»Lass dein Eisen hier«, sagte Drust.

Culleo wollten schier die Augen aus dem Kopf fallen, da er gerade erst begriffen hatte, dass ihn sein Kettenmantel gerettet hatte.

»Wie sollen wir uns dann im Kampf schützen?«

»Besser kämpfen«, knurrte Kag und beugte sich zu einer der Leichen hinab. Drust dachte, er habe etwas Wertvolles entdeckt, aber der kleine Thraker drehte sich um.

»Der hier lebt noch.«

»Dann ändere das«, gab der Hund zurück. Drust ignorierte ihn, ging zu dem Mann und kniete sich hin. Kag hatte recht – er war tatsächlich noch am Leben, und unter der vertrockneten Schnauze der Wolfsmaske kam ein massiger Krieger zum Vorschein, mit flachsblondem Haarschopf und einem Bart, der zu zwei beeindruckenden Zöpfen geflochten war, zusammengehalten durch angelaufene Silberringe.

Er trug eine blassblaue Tunika, die allerdings in erster Linie voller Schlamm und Blut war, eine rot-grün karierte Hose und darunter Riemen vom Knie bis zu den abgetragenen Lederschuhen. Manius hatte ihn mit einem Pfeil erwischt, der jedoch knapp unterhalb der Hüfte eingedrungen war. Praeclarum kam dazu, prüfte die Wunde, brach den Schaft durch und zog beide Enden heraus.

»Er wird es überleben«, sagte sie und kramte in ihrer Tasche nach Verbandszeug und Riemen. »Aber weit laufen kann er damit nicht.«

Manius tauchte an ihrer Seite auf und nahm ihr vorsichtig die Schafthälfte ab, auf der die Pfeilspitze steckte. Er warf ihr einen ausdruckslosen Blick zu. »Er wird sterben. Spätestens morgen, vielleicht auch früher.«

Sie betrachtete die mit Widerhaken versehene Spitze und sah dann wieder in den Abgrund seiner Augen. »Du vergiftest deine Spitzen?«

»Um Tiere zu jagen nicht«, erwiderte er ohne eine Spur von Ironie.

»Was kümmert es uns überhaupt, ob er laufen kann oder nicht?«, fragte Ugo argwöhnisch. Er hatte einer anderen Leiche den Großteil der Tunika abgerissen und nutzte die Stofffetzen, um seine Dolabrae abzuwischen.

»Weil wir ihn nicht hier ausquetschen können und dringend Informationen brauchen«, sagte Drust, richtete sich auf und wischte sich die Hände an der eigenen Tunika ab. »Wir müssen so viel in Erfahrung bringen wie möglich, aber leider wohl nicht von dem hier.«

Er warf Manius einen strengen Blick zu. »Eine deiner Pfeilspitzen hat um ein Haar meine Wange geküsst. So eine Liebhaberin will ich nicht, vor allem keine mit vergifteten Lippen. Und wenn Praeclarum sich beim Entfernen daran geschnitten hätte …«

Manius quittierte die Rüge mit einem Nicken und trollte sich. Quintus sah ihm ernst nach und schüttelte den Kopf.

»Sib hatte recht. Den hätte man nie aus der Wüste rauslassen dürfen.«

Sib ist tot, wollte Drust dagegenhalten, und obwohl Manius geschworen hatte, dass der Pfeil nicht von ihm gekommen war, konnte man sich da nicht sicher sein. Aber vielleicht hatte Sib auch versucht, Manius zuerst zu töten, weil er ihn für einen Wüstendämon gehalten hatte. Drust erinnerte sich auf jeden Fall daran, dass ihre Beziehung kompliziert gewesen war, auch wenn sie beide zu den Brüdern gehört hatten.

»Zusammenpacken«, befahl er barsch, dann kniete er sich erneut hin, zückte sein Messer, suchte nach dem Herzschlag in der Kehle und stach zu. Der Krieger röchelte und gurgelte, und Praeclarums ganzes Können war verschwendet. Kurz trommelten die Fersen noch wild auf den Boden und zuckten, dann erschlaffte alles.

All die Zeit in den Katakomben des flavischen Amphitheaters, dachte Drust trocken, all die Lehren des griechischen Medicus, wie man so etwas anstellt. Der Grieche würde sich freuen, dass ich seine Worte immer noch im Ohr habe … vielleicht ist das das wahre Geheimnis der Unsterblichkeit.

Quintus drehte sich zu Culleo und den übrigen zwei um. Sein Grinsen war warm und weit und weiß, brutal wie ein Hai in Fresslaune.

»Entledigt euch des ganzen nutzlosen Metalls, Jungs, oder ihr schafft diese Kletterpartie niemals. Ich lasse auch das Zelt hier – bringt uns eh nicht mehr viel.«

»Und wenn ich helfen muss, einen von euch zu tragen«, fügte der Hund hinzu, »hab ich dazu auch noch was zu sagen.«

Culleo stand auf, mahlte mit dem Kiefer, und Drust wusste, dass der Mann mehr als alles andere nach einem kräftigen Schluck gierte; er fragte sich, ob dies der Moment sein würde, in dem der Kerl etwas wirklich Idiotisches anstellte. Da brach Sau mit einem resignierten Grunzen die Knoten und schleuderte das Achtmannzelt in die Schlucht.

»Na dann los. Auf schnellstem Weg zum nächsten Lager.«

Kag nickte. »Gute Idee. Dann kannst du auch endlich diesen Ausschlag auf deinen Eiern behandeln lassen.«

»Das solltest du besser deiner Mama sagen«, schoss Sau zurück. »Da hab ich ihn schließlich her.«

Kag und Quintus lachten, und Ugo versetzte Sau einen so heftigen Schlag in den Rücken, dass er stolperte und hustete. Als er wieder zu Atem gekommen war, schälte er sich dennoch grinsend aus seinem Kettenhemd.

*

Eine Stunde lang kletterten sie über loses Gestein und Geröll, bis sie endlich die Oberkante des Steilhangs erreichten. Spärliches Buschwerk zog sich bis hinab zum Saum eines Waldes, der sie nun von allen Seiten umschloss.

»Wir haben sie abgehängt«, verkündete Kag, wischte sich das verschwitzte Gesicht und schlug nach ein paar Insekten. »Es sei denn, die kommen durch den Wald.«

»Wie sieht’s aus, Jungs?« Quintus starrte Culleo, Sau und Hammer an. »Ihr kommt doch aus dieser Gegend – Helvetier, oder? Werden die uns durch den Wald folgen?«

Culleo spuckte aus, was Quintus nicht gefiel. »Helvetier. Was soll das in deinen Augen heißen? Ihr seid ja auch alles Römer – aus der Stadt? Aus Apulien? Aus Gallien?«

»Was er damit sagen will«, unterbrach ihn Hammer, »ist, dass er auch nicht mehr weiß als ihr. Niemand mag das Dunkel.«

»Das Dunkel?«

»Die Wälder hier sind so alt wie die ersten Götter«, sagte Hammer leise. Sein Blick huschte über die Wipfel. »Seid besser vorsichtig.«

Sau hatte sich hingehockt und ruhte sich aus, allerdings so, dass er jederzeit aufspringen konnte. »Ihr habt den heiligen Ort gesehen, wo wir die Standarte geklaut haben.« Er machte eine Pause und bedachte Drust mit einem finsteren Blick. »Nur um sie dann wegzuwerfen, als wäre sie bedeutungslos.«

»Die war so alt wie Varus«, sagte Kag ungehalten. »Rom hat sie längst vergessen.«

»Aber nicht der Stamm, der sie erobert hat, egal wie lange das her ist«, fauchte Culleo. »Und die sind es, die uns jetzt jagen.«

»Dafür kannst du dich bei Erco bedanken«, grollte Ugo. »Der kleine Wichser hat gelogen und uns in einen Hinterhalt gelockt. Hat gedacht, wir werden alle umgebracht, und genau das auch den Ingenieuren an der Brücke gesagt. Dann sind eure Zeltnachbarn angerannt gekommen und haben etwas von wilden Horden und Blut und Tiermenschen gebrüllt, was sicher nicht geholfen hat.«

Culleo und die anderen verstummten, denn gegen diese Wahrheiten ließ sich wenig einwenden. Praeclarum sah Drust an. Sie wirkt blass und erschöpft, dachte er.

»Wir brauchen ein sicheres Versteck zum Ausruhen«, sagte sie. Drust nickte Manius zu, der vernehmlich tief Luft holte und dann verschwand.

Er mag diese Wälder genauso wenig wie wir, dachte Drust. Erfahrener Fährtenleser und lautloser Mörder – aber er ist und bleibt ein Mann der Wüste. Bäume sind ihm nicht geheuer. Lediglich Ugo scheint das nicht zu kümmern. Doch ein Blick auf den großen Friesen verriet ihm, dass er sich irrte, denn Ugo stand da wie ein nervöser Bulle, sein zotteliger Kopf schwang hierhin und dorthin auf der Suche nach heranschleichenden Feinden.

Manius kam zurück, sobald sie sich gen Westen in Richtung der Bäume aufgemacht hatten, die viel zu schnell näher zu kommen schienen. Er hatte einen geeigneten Platz entdeckt, eine Art Felsvorsprung, der zwar keine geschlossene Höhle bildete, dessen Inneres alle dennoch ängstlich beäugten. Drust hingegen erkannte sofort, dass sie hier unbemerkt Feuer entfachen konnten, gegen die Kälte und für warmes Essen. Allerdings gefiel ihm gar nicht, dass sie dafür unter eine einzelne über ihnen schwebende Felsplatte von den Ausmaßen einer stattlichen Villa auf dem Caelius kriechen mussten.

»Was ist, wenn die runterfällt?«, fragte Ugo. Der Hund lachte, ging in die Hocke und machte sich daran, ein Feuer zu entfachen.

»Dann sind wir platt«, sagte er. »Es sei denn, du bist ein wahrer Herkules und kannst sie halten, bis wir alle raus sind.«

»Sag bloß nichts über Herkules«, warf Kag ein und verzog das Gesicht. »Dieser Erco wird leiden, wenn ich ihn das nächste Mal treffe.«

»Vielleicht hat er sich nicht mit dem Rest seines Dorfs in die Sicherheit des nächsten Lagersgeflüchtet«, sagte Kisa. »Ich glaube ja, dass er sich eher den kreischenden Wilden anschließt.«

»Was sagst du dazu?«, fragte Ugo und sah Culleo an, der mit seinen pechschwarzen Augen zurückstarrte.

»Ich sage dazu, dass du aufhören sollst, mich dauernd zu fragen. Ich bin genau so Helvetier – das ist zumindest der römische Name dafür –, wie du Friese bist. Wenn einer von denen hier ankäme und seine Handgelenke anböte, um ihn in Eisen zu legen, wüsstest du ja auch nicht, warum.«

»Da hat er recht.« Manius lachte. »Abgesehen davon – für mich seht ihr eh alle gleich aus.«

Er hatte unterwegs einige Fallen gestellt und zog nun los, um sie zu überprüfen. Das Feuer kam in Gang, und schnell saßen sie alle darum versammelt, schmiegten sich in die Wärme wie in mütterliche Arme und unterhielten sich nur noch leise und mit zusammengesteckten Köpfen.

»Julius Yahya«, sagte Kag müde, und Drust nickte, denn er wusste genau, was sein Kamerad meinte. Julius Yahya war noch ein Sklave gewesen, als er Drust und die anderen davon überzeugt hatte, nach Britannien zu ziehen und jenseits des Walls im Norden eine römische Frau und ihr Kind zu retten – jedoch ein Sklave mit den Befugnissen eines Senators und mehr. Die römische Dame und ihr Kind waren sogar noch bedeutsamer gewesen, wie Drust sich erinnerte. Und Yahya hatte wahrscheinlich auch hinter ihrem nächsten Auftrag gesteckt, der sie tief in die Wüste geführt hatte, um eine weitere edle Römerin aufzuspüren, eine Vestalin sogar.

»Immerhin geht es diesmal nicht um eine Frau«, murmelte Kag.

»Soweit wir wissen«, entgegnete Drust nachdenklich. »Letztes Mal ging es angeblich auch erst um hyrkanische Tiger und darum, Manius und den Hund zu retten.«

Als hätten ihn diese Worte heraufbeschworen, kam Manius mit einer Handvoll kleiner Eichhörnchen angelaufen und machte sich sofort daran, sie auszuweiden und aufzuspießen.

»Glaubst, da steckt wieder so was dahinter? Irgendeine Frau?«

Drust seufzte und starrte Kag müde an, während der plötzliche Duft von bratendem Fleisch Heißhunger in ihm aufkommen ließ. »Woher soll ich das wissen? Ich weiß nur, dass jeder Erfolg unsererseits dazu führt, dass der beschissene Julius Yahya uns in seinen nächsten perfiden Plan verwickelt.«

Er sprach nicht aus, was er befürchtete – dass die Frau im jetzigen Fall die Mutter des Imperiums war, die vom Palatin aus ihre Fäden spann.