Rache - Robert Low - E-Book

Rache E-Book

Robert Low

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Beschreibung

Vergeltung bis zum letzten Mann!

In der archaischen Welt der Wikinger sind die Eingeschworenen respektiert und gefürchtet. Aber Gold und Ruhm haben ihren Preis. Nach einer schweren Niederlage kennen die Kampfgefährten nur noch ein Ziel: blutige Rache. Doch dann erhalten sie ihren schwersten Auftrag. Sie sollen die schwedische Königin schützen, der mächtige Gegner nach dem Leben trachten. Die Zukunft des schwedischen Königreichs liegt in der Hand der Wikinger, für die es ums nackte Überleben geht ...

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Zum Buch

Ostgotland, A. D. 975

Die Eingeschworenen unter ihrem Anführer Orm sind geachtet und gefürchtet in der gnadenlosen Welt der Wikinger. Sie haben Gold und Ruhm errungen und wollen sich nun zur Ruhe setzen. Doch dem Ruf des Meeres vermögen sie sich nicht lange zu widersetzen.

Bevor sie ihren Reichtum genießen können, werden die Wikinger von einem alten Feind heimgesucht. Der barbarische Sterki überfällt ihre Heimstatt und bereitet den Eingeschworenen eine bittere Niederlage: Ihr Schiff, die Fjord Elk, wird versenkt, viele ihrer Kampfesbrüder sterben. Die Wikinger müssen in die Berge fliehen.

Jedoch bleibt den Eingeschworenen nur wenig Zeit, ihre Wunden zu lecken. Sie erhalten den Auftrag, die schwedische Prinzessin Sigrid zu schützen, die den Thronfolger in ihrem Bauch trägt. Sterki verbündet sich mit König Eirik, der die Krone Schwedens an sich reißen will. Für die Wikinger beginnt ihre größte Schlacht.

Zum Autor

Robert Low ist Journalist und Autor. Mit 19 Jahren war er als Kriegsberichterstatter in Vietnam. Seitdem hat ihn sein Beruf in zahlreiche Krisengebiete der Welt geführt, unter anderem nach Sarajevo, Rumänien und Kosovo. Auf Wunsch seiner Frau und seiner Tochter hat er das Reisen mittlerweile aufgegeben. Um seine Abenteuerlust zu befriedigen, nimmt er regelmäßig an Nachstellungen von Wikingerschlachten teil. Robert Low lebt in Larges, Schottland– dem Ort, wo die Wikinger schließlich besiegt wurden.

Besuchen Sie den Autor im Internet unter www.robert-low.com

Lieferbare Titel

Raubzug – Runenschwert – Drachenboot

ROBERTLOW

Rache

DIEEINGESCHWORENENIV

Roman

Aus dem Englischen von Christine Naegele

WILHELMHEYNEVERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen. .
Die Originalausgabe The Prow Beast erschien 2010 bei HarperCollins Publishers, London
Copyright © 2010 by Robert Low Copyright © 2013 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München. Redaktion: Heiko Arntz Covergestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Fotos von iStockphoto Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

Für meine Tochter

Das Tier am Bug, das Ungeheuer mit dem Mastbaum,

Pflügt sich mit Macht seinen Weg

Durch Meereswogen, und es kennt keine Gnade.

Das Egil Skallagrimsson

Ostgotland, A. D. 975

Die Sonne hielt sich hinter den bleifarbenen Wolken, aber immerhin hatten sie einen Silberrand. Der Regen prasselte, das Meer wogte schwarz und träge wie ein Walross auf dem Felsen und der Wind trieb mir Sprühnebel in die Augen.

»Leider stürmt es nicht genug«, erklärte Hauk Schnellsegler. Natürlich hatte er recht. Es stürmte nicht stark genug, um unsere Feinde aufzuhalten, deren großes, grün umrandetes Segel der Wind blähte, der sie den Fjord herauftrieb. Auf dem Schiff, an dessen Bug eine Schlange bösartig das Maul aufriss, sah dieses Segel aus wie eine Drachenschwinge, und das gab dem Schiff auch seinen Namen.

Auf der Fjord Elk lagen die Riemen knapp über dem Wasser und wurden nur benutzt, um das Tier am Bug im Wind zu halten, der uns die Feinde entgegentrieb; es wäre sinnlos gewesen, uns abzumühen– wir waren ohnehin unterbesetzt–, während unsere Feinde ihre Rüstung anlegten. Erst wenn sie das Segel einholten, würde es für uns ernst werden, dann waren sie zum Kampf bereit.

Stattdessen waren die Männer damit beschäftigt, Gurte festzuzurren, ihre Klingen zu prüfen und ihr Haar zusammenzubinden, das der Wind ihnen ins Gesicht wehte. Alle gedungenen Männer von Jarl Brands Schwarzadler waren bei uns, bis auf sechs, die mit Ref und Bjaelfi die Frauen und Kinder von der Halle in Hestreng hinunter ins Tal führten, zusammen mit so viel Verpflegung und Zeltbahnen, wie sie tragen konnten. So weit weg wie möglich vom Zorn Randr Sterkis und der rachedurstigen Besatzung der Drachenschwinge.

Ich hoffte, Randr Sterki würde sich damit zufriedengeben, Hestreng zu plündern und niederzubrennen und nicht allzu weit ins Landesinnere vordringen. Ich hatte ihm mehrere Hammel und einen Stall voll Hühner und Schweine dagelassen, die er mitnehmen konnte, dazu die Halle und die Nebengebäude zum Abbrennen– und wenn er hinter den Eingeschworenen her war… Nun ja, wir waren hier und erwarteten ihn auf See.

Trotzdem, ich wusste schon, was Randr zu diesem Überfall bewogen hatte, und ich konnte es ihm nicht einmal verdenken. Wieder spürte ich einen Speer in der Kehle und hatte beinahe die Hosen voll vor Angst, so wie es mir immer ging, wenn wir Männer zu erwarten hatten, die mir mit scharfem Metall zu Leibe rücken wollten. Aber ausnahmsweise hatte ich diesmal nicht den Wunsch, irgendwo anders zu sein. Ich gehörte hierher, um die Meinen zusammen mit unseren Grünschnäbeln, die am Nestrand hockten, vor der Rache der Plünderer zu bewahren.

Vor Männern, wie wir es waren.

Gisur, der sich zwischen den Männern hindurch von Stag zu Stag schwang, sah aus wie dieser wild gewordene kleine Affe, den ich einst in Serkland gesehen hatte. Sein wettergegerbtes Gesicht sah ihm so ähnlich, dass ich grinsen musste. Mein Grinsen überraschte ihn im Angesicht dessen, was uns bevorstand, doch dann grinste er zurück.

»Wir sollten die Riemen einziehen, Jarl Orm, ehe sie zersplittern.«

Ich nickte; wenn die Schiffe aneinanderstießen, würde von den Riemen auf der entsprechenden Seite nicht mehr viel übrig bleiben, falls wir sie draußen ließen. Mit lautem Gepolter wurden sie an Bord geholt und längsseits geborgen, ab und zu fluchte jemand, wenn ihn ein Holm traf. Jetzt konnte ich den weit aufgerissenen Rachen der Drachenschwinge ganz klar erkennen, ich hörte bereits schwach das erste Gebrüll in der Ferne und sah, wie mit Waffen hantiert wurde.

Ich beobachtete, wie sie das Segel um die Rah wickelten, als zwei von Jarl Brands Männern sich nach vorn drängten, fast bis an den Bug der Fjord Elk. Sie kletterten über Riemen, schubsten Männer zur Seite und legten noch im Gehen die Pfeile an die Sehne. Sie schossen, und die Schreie, die aus der Ferne ertönten, ließen unsere Männer aufjubeln– und dann fluchen, als umgehend die Antwort kam und ins Holz eindrang. Einer der Bogenschützen, Kalf Sygni, vollführte eine halbe Drehung und umklammerte seinen Unterarm, den ein Pfeil vollkommen durchbohrt hatte.

»Den hab ich nicht kommen sehen«, schrie Finn und hob seinen Schild, während er sich zum Bug vorarbeitete und mit seinem Kettenhemd klirrend gegen die Schulter von Nes-Björn stieß, der in dieselbe Richtung wollte und ihn wütend ansah.

»Auf Jarl Brands Schwarzadler bin ich der Mann am Bug«, knurrte Nes-Björn.

»Du bist hier nicht auf der Schwarzadler, belehrte Finn ihn, und der Hüne ließ ihn widerwillig vorbei und seinen Platz einnehmen. Auf der Drachenschwinge nahm sein Gegenüber, der beste Kämpfer seines Schiffes, ebenfalls seine Position ein, im Kettenhemd und mit Helm, den Schild in der Hand, allerdings mit einer Waffe, die nicht viel mehr war als eine Zimmermannsaxt.

Sie hatten das Segel eingeholt und die Ruder an Bord gebracht, doch die Drachenschwinge hatte noch ausreichend Fahrt, um uns zu rammen, was die Elk so ins Schwanken brachte, dass der Bordrand fast die Wasserlinie berührte und die Männer, die darauf nicht vorbereitet waren, taumelten und stürzten. Randrs Männer grölten, Äxte kamen über den Bordrand geflogen, und die Männer duckten sich hinter ihre Schilde. Die Axtkämpfer zogen fest an den Tauen, die mit Ringen an ihren Axtgriffen befestigt waren, und indem sie die Blätter der Äxte fest gegen den Innenrand der Elk zogen, brachten sie unsere beiden Schiffe so eng aneinander wie ein brünstiges Liebespaar.

Ein Mann schrie auf, als ihm dabei das Bein eingeklemmt wurde, brüllend und um sich schlagend hing er wie ein gefangener Fuchs zwischen den Bordrändern. Holger, erinnerte ich mich dunkel, als er sich die Seele aus dem Leib schrie. Er hieß Holger.

Ein Pfeil flog vom Mast und zischte an meinem Kopf vorbei; ich trug kein Kettenhemd, denn ich war mir nicht sicher, ob ich es schnell genug ausziehen könnte, falls ich über Bord ginge. Botolf, der an meiner rechten Seite stand, quittierte meinen Fluch mit einem Grinsen.

»Jetzt weißt du, wie es sich anfühlt«, rief er, und ich lachte, weil er so zufrieden klang. Denn es war ein beliebter Scherz unter uns, dass Botolf noch kein Kettenhemd gefunden hatte, das groß genug für ihn war. Dann warf er den Kopf zurück und brüllte seinen Namen heraus; Randr Sterkis Männer schrien und heulten; die Seiten der Schiffe krachten, und die Männer warfen sich vorwärts, während die miteinander verbundenen Schiffe ächzten und schwankten.

Das Schlimmste an einem Kampf, wenn die ersten Verwundungen erst einmal die Angst vertrieben haben, ist, dass es wirklich Schwerarbeit ist. Der Gestank und das Entsetzen, der Schrecken, der einem die Gedärme verknotet, der brutale Hass– alles das waren Dinge, an die ich mich gewöhnt hatte–, aber es war die schiere mörderische Knochenarbeit, an der ich immer wieder fast verzweifelte. Es ist, als pflüge man ein steiniges Feld, in dem die Steine hochkommen und einen treffen wollen, bis einem vor Erschöpfung die Knie zittern und man nicht mehr kann. Das einzig Gute für einen Jarl ist dabei, dass man nicht zu tief ins Getümmel gerät, zumindest nicht am Anfang, aber man muss standhaft bleiben wie ein Fels in der Brandung und so tun, als sei man Herr der Lage.

Ich stand fest auf meinem Platz, geschützt von Botolfs Schild, und beobachtete, wie die Mannschaft der Drachenschwinge uns zu entern versuchte, wobei die Ränder beider Schiffe von der plötzlichen Gewichtsverlagerung fast ins Wasser eintauchten. Sie kämpften und hieben aufeinander ein und starben auf den Ruderbänken. Meine geliehenen Männer versuchten fieberhaft, die Taue durchzuhauen, die uns aneinanderbanden, andere versuchten, die Männer auf der Drachenschwinge auszuschalten, die beide Schiffe wieder näher zusammenbringen wollten.

Es waren großmäulige Schreihälse, die Männer von Randr Sterki. Sie fuchtelten mit Speeren und Äxten herum und waren in Leder gekleidet, doch manche von ihnen verfügten nur über ziemlich primitive Brustpanzer aus geknotetem Tau. Sie trugen ein Sammelsurium von Helmen, keiner davon ein besonderes Zierstück, und ihre Klingen waren schartig wie ein Hundekiefer– selbst Randr Sterkis Mann im Bug, der ein Kettenhemd trug, mit seiner Zimmermannsaxt. Doch sie waren angetrieben vom Durst nach Vergeltung, und das machte ihre Arme stark und ihre Klingen so gefährlich.

Randr stand in der Mitte seines Schiffs und brüllte Flüche; er war von einer Gruppe Männer umgeben, die sich von den anderen Männern so stark abhoben wie Schafköttel auf Schnee. Bei ihrem Anblick bekam ich weiche Knie, es waren Männer, die vor sich hin starrten, aber nichts sahen, die nichts als dicke Felle über ihren Hosen trugen und weißen Schaum vor dem Mund hatten, der auf die Bärte tropfte. In ihre Arme waren blutige Kraftrunen geritzt, und sie hantierten wie spielerisch mit ihren schweren Waffen. Ich bemerkte, dass einige von ihnen Schwerter hatten, die häufig benutzt und wahrscheinlich wohlverdient waren.

»Bärenhäuter!«, schrie Botolf mir ins Ohr. »Er hat Bärenhäuter, Orm…«

Noch ehe er fertig war, sah ich sie, alle zwölf, nervös wie ein Rudel Wölfe, das ein Opfer wittert. Bärenhäuter– Berserker– hatten noch nie zu Randr Sterkis Mannschaft gehört. Woher hatte er sie? Mein Mund wurde trocken; ich sah sie knurren und heulen und selbst ihre eigenen Männer umrennen, wenn diese nicht rechtzeitig aus dem Weg gingen.

Der Erste von ihnen, flachsblond und mit wirrem Bart, kam an die Bordwand und heulte zum Himmel auf, dann warf er sich auf meine Männer, noch ehe sich die Stränge seiner Halsmuskeln wieder entspannt hatten, und sie hieben auf ihn ein mit der verzweifelten Wut von Männern, die gefangen waren und nicht fliehen konnten. Der Rest der Meute folgte nach, und Randr Sterki feuerte sie mit rotem, wutverzerrtem Gesicht von der Mitte seines Schiffes aus an.

»Wir werden das Schweinsgesicht umbringen müssen«, keuchte Nes-Björn, der plötzlich auf meiner anderen Seite erschien und auf Randr zeigte. Wenn er verärgert war, dass Jarl Brand ihn zurückgelassen hatte, damit er an diesem schicksalhaften Tag mit uns kämpfte, sah man es seinem versteinerten Gesicht jedenfalls nicht an.

»Zuerst müsst ihr die Bärenhäuter fertigmachen«, sagte ich so ruhig wie möglich, während der Flachsblonde sich, eine Spur von Blut und Geschrei hinter sich herziehend, auf mich zukämpfte; Botolf hob seinen Schild und seinen Speer, einen dreikantigen Brünnebeißer, und stemmte sich auf sein verbliebenes Bein. Ich hob mein Schwert ein wenig, als wollte ich es nur leicht auf meine Schulter legen, während mir das Herz bis zum Hals schlug, als dieser Berserker auf mich zukam.

»Ach«, sagte Nes-Björn mit einer nachlässigen Bewegung seiner Axt, »dafür haben wir schließlich unseren eigenen Mann.«

In dem Moment hörte ich ein tiefes Grunzen hinter mir, das so täuschend wie das Geräusch eines angreifenden Ebers klang, dass ich erschrocken herumfuhr. Dann sprang eine halb nackte Gestalt mit Kraftrunen auf der Haut und einer Axt in jeder Hand über die Köpfe meiner Männer hinweg, die schleunigst Platz machten, als er sich auf den Bärenhäuter stürzte. Einen Wimpernschlag später lag der Flachskopf blutend am Boden, aber die Äxte in Stygg Dusis Fäusten wirbelten weiter. Seine sorgfältig aufgetragenen Hautmarkierungen bluteten, als er sich wie ein brüllender Wirbelwind aus Armen, Beinen und Äxten über die Bordwand auf die voll besetzte Drachenschwinge warf, auf der die Männer auseinanderstoben.

»Stygg Dusi«, erklärte Nes-Björn mit bösartigem Grinsen, als der Mann mit dem Spitznamen »Scheue Flaute« aufheulte und mitten auf dem feindlichen Schiff starb.

»Es sind zwölf«, sagte ich, und Nes-Björn runzelte die Stirn.

»Jetzt nur noch elf– nein, zehn, denn Stygg macht seine Sache gut. Wolltest du damit etwas sagen, Jarl Orm der Eingeschworenen, oder willst du nur beweisen, wie gut du zählen kannst?«

Dann stieß er mich zur Seite und ging an den Bug, wo Finn keuchend und völlig erschöpft gezwungen war, zurückzutreten; aus seinem Mund quollen Speichelfäden. Der Mann am Bug der Drachenschwinge war nirgendwo zu sehen.

Ich hörte und sah, wie Stygg Dusi die letzten Sekunden seines Lebens verbrachte, das die Nornen für ihn gewebt hatten, seit er nass in diese Welt geglitten war. Alles, was er seither getan hatte, hatte darauf gezielt, ihn in diesem Moment an diesen Ort zu führen, und ich erhob mein Schwert auf ihn und auf sein Leben, das er uns geopfert hatte. Fast beneidete ich ihn wegen seines sicheren Platzes in Walhall. Noch nicht, aber bald, dachte ich, diese alte Botschaft, die wir unseren Sterbenden für jene mitgaben, die uns vorausgegangen waren. Und wie mir jetzt schien, sehr bald.

Das letzte Tau war durchgeschlagen; Kalf Sygni, durch dessen Unterarm noch immer der Pfeil ragte, schaffte es, den letzten Mann, der nach wie vor am Tau zog, zu treffen. Die Schiffe trieben am Heck auseinander, sodass die Köpfe am Bug tanzten und sich anfauchten und es aussah, als würden sie jeden Moment aufeinander losgehen. Männer beider Mannschaften entdeckten plötzlich, dass sie auf dem falschen Schiff waren, und versuchten, sich zum Bordrand durchzukämpfen und ins Wasser zu springen.

Danach verschwamm mir alles. Ich erinnere mich, wie ich einem Mann einen solchen Stoß mit der Schulter versetzte, dass er im hohen Bogen ins Wasser flog, und erst als er dort hilflos herumzappelte, sah ich, dass er ein Bärenfell trug. Plötzlich erschien auch Finn, schüttelte Sabber und Blut von seinem Gesicht und stürzte sich brüllend und fluchend wieder ins Getümmel.

Hauk Schnellsegler fiel unter dem rasenden Gemetzel dreier Bärenhäuter; Onund Hnufa ging über Bord, aus seiner Kopfwunde strömte Blut, und auf mich kam ein Mann mit einem Brustpanzer aus geknotetem Tau zu, den ich töten musste. Als ich wieder nach Onund sehen wollte, war er fort, und ich wusste nicht, ob er noch einmal an die Oberfläche gekommen war oder nicht.

Ein kleiner, dunkler Gegenstand flog an den Bug, und Nes-Björn schlug ihn verächtlich zur Seite. Sofort war er von Feuer umgeben, einfach so. Eben hatte er noch hinübergebrüllt, man möge gefälligst herkommen und sich ihm stellen, im nächsten Augenblick war er in Flammen gehüllt, eine Feuersäule, die hilflos am Bug herumtorkelte. Er fiel nach hinten um, und die Männer schrien auf; einer kroch eilig weg, während er versuchte, die Flammen an seinem Bein auszuschlagen, doch damit setzte er seine Hände ebenfalls in Brand. Ein weiterer Mann warf einen brennenden Schild ins Wasser, und er sank– aber auf dem Wasser brannte es kreisförmig weiter.

»Zauber!«, gellte eine Stimme. Aber das war kein Runenfluch. Ich hatte es schon vorher gesehen, und der zweite kleine Behälter traf auf den Bug der Elk und entzündete sich, wie von römischem Feuer nicht anders zu erwarten. Die Flammen leckten an dem stolzen Geweih, das Botolf geschnitzt hatte, und ich sah es schon völlig verbrannt, als die entsetzte Mannschaft der Drachenschwinge dieselben Flammen auf ihrem eigenen Schiff entdeckten. Dann hörten wir Botolfs Schrei, dass noch ein zweites Schiff da war.

Ein zweites Schiff. Römisches Feuer. Bärenhäuter. Diese Dinge hatten bisher nicht zu Randr Sterkis Kampfstrategien gehört. Ich starrte angestrengt hinaus, meine Gedanken wirbelten wie die Funken meines brennenden Schiffs, während die Männer noch immer kämpften und ausrutschten und fluchten und starben.

»Orm– auf Steuerbord!«

Ich wandte mich um und sah in einen aufgerissenen roten Rachen mit Schaum auf den Lippen wie Gischt auf dem Meer. Er hatte wirres, fettiges Haar und Augen so wild wie ein ganzer Zwinger toller Hunde, die Axt in seiner Hand schien so lang wie eine Deichsel. Ich holte mit meinem Schwert aus und verfehlte ihn, die Klinge grub sich in den Mast, wo sie stecken blieb.

Ich konnte mich notdürftig mit meinem Schild schützen, doch er splitterte unter seiner Axt und wurde zur Seite gedrückt, sodass ich ihn wegen der fehlenden Finger meiner linken Hand nicht mehr festhalten konnte. Dann warf er sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf mich, und einen Augenblick lang roch ich den Holzrauch, den fettigen Gestank seines Pelzes und seinen ranzigen Schweiß. Meine Hand wurde verdreht, sodass ich den Griff meines Schwertes, das noch immer im Mast steckte, loslassen musste.

Was folgte, war ein Wirbel aus silbernem Himmel und dunklem Wasser, und ein kaltes Erstarren, wie wenn ein heißer Nagel ins Kühlbecken getaucht wird.

Kapitel 1

Sechs Wochen früher…

Das Jahr bekam Risse wie ein alter Kessel, gerade als der Winter seinen eisigen Griff etwas lockerte und der Schnee schmolz, sodass hier und da etwas gelbes Gras zum Vorschein kam. Die Bewohner weiter südlich hätten gesagt, es sei März und damit Frühling, aber was wussten die schon? Für uns, die wir uns mit den Jahreszeiten besser auskannten, war es noch immer Winter.

In den Nordländern wissen wir auch, was dieses Beben der Erde verursacht: Es ist Loki, der sich vor Schmerzen windet, wenn seine Frau ihre Schale ausleeren muss. Während dieser Zeit leidet ihr gefesselter Mann Todesqualen unter dem Gift der Schlange, das auf sein geschundenes Gesicht tropft, bis sie zurückkommt und das Gift wieder auffängt. Die Götter Asgards haben Loki für seine ungebetene Einmischung hart bestraft.

In diesem Jahr gab er mit seinen Zuckungen der Erde eine neue Oberfläche, Steine wurden zermalmt, und es entstanden große Spalten, von denen eine in unserer Nähe ein ganzes Feld samt Rindern verschluckte.

Ein Zeichen der Asen, sagte Finn düster und drückte damit aus, was die anderen dachten– dass wir eigentlich wieder auf der Straße der Wale sein sollten, statt hier auf dem Land zu hocken und so zu tun, als seien wir Bauern. Es war schwer, seine ständigen leisen Andeutungen zu diesem Thema zu ignorieren, aber noch schwerer war es, Tag für Tag die stummen, aber wortreichen Blicke der anderen auszuhalten und unbeirrt weiterzumachen.

Odin hatte uns Ruhm und Reichtum versprochen, und natürlich lag ein Fluch darauf, denn er hatte uns nicht gesagt, dass wir uns hüten sollten vor dem, was wir uns so unbedingt erkämpfen wollten. Jetzt, wo wir es hatten, konnten wir uns nicht darüber freuen. Denn, wie der rote Njal gesagt hatte, wozu noch auf Raubzüge gehen, wenn es keinen Mangel an Silber und Frauen mehr gibt? Es war auch kein Vergnügen, das Tier am Bug unseres Schiffes ständig links liegen zu lassen und sich stattdessen ans Land zu binden, das man nur immer wieder umgraben konnte. Würmer machten schließlich auch nichts anderes, wie Hlenni zu bedenken gab.

Ich hörte, wie die Männer sich über dieses erdrückende Wyrd Odins unterhielten. Von den anderen waren einige in die Welt hinausgezogen. Zwar hatten sie behauptet, nach wie vor zu den Eingeschworenen zu gehören und sofort wieder an meiner Seite zu sein, wenn es notwendig sein sollte, weil der alte Schwur sie an uns band: Wir schwören, dass wir einander Brüder sein wollen, mit Knochen, Blut und Stahl. Wir schwören auf Gungnir, Odins Speer, möge er uns bis in die neun Reiche und darüber hinaus verfluchen, wenn wir diesen Schwur gegenseitig brechen.

Ich hatte genickt und ihr Versprechen akzeptiert, während wir uns mit den Händen umklammerten, um den Schwur lebendig zu halten und sie selbst vor Schaden zu bewahren, aber ich erwartete nicht, auch nur einen von ihnen wiederzusehen. Diejenigen, die bei mir blieben, stöhnten unter den Fesseln, die sie daran hinderten, dem Tier am Bug zu folgen. Mürrisch schleppten sie sich durch Winter um Winter, immer mit einem Fünkchen Hoffnung, dass mit dem wärmeren Wetter etwas passieren würde, was sie wieder auf die stürmische See schicken würde. Doch nie schien der Funke ein wirkliches, ernsthaftes Feuer zu entfachen.

Die Einzigen, die nicht mehr stöhnten und schimpften, waren Botolf und der kleine Eldgrim, der erste, weil er mit seinem Holzbein auf einem Raubzug zu nichts nütze wäre, außerdem weil er Ingrid und eine Tochter hatte, die ihm jetzt wichtiger waren; der zweite hatte die meiste Zeit ohnehin keine rechte Vorstellung davon, wo er war, nachdem er vor Jahren bei einem Kampf einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte, der ihm den Verstand geraubt hatte.

In dem freudigen Überschwang nach unserer Rückkehr, reich mit Silber und Ruhm beladen, hatte Finn Thordis geschwängert, die jetzt ihren Sohn Hroald in ihrer aufgesteckten Schürze wiegte. Finn betrachtete den Jungen jeden Tag mit einer Mischung aus Genugtuung und Kummer, denn einerseits ging es ihm wie jedem stolzen Vater, andererseits hatte er damit die Kette, die ihn zurückhielt, noch zusätzlich verstärkt, denn Thordis erwartete jeden Moment seinen Heiratsantrag.

Wenn ich dagegen zu Thorgunna hinübersah, die mich mit ihrem Blick wissen ließ, dass mit ihrer Schwangerschaft alles in Ordnung war, gab es keine Worte, keine Dichtkunst, die beschrieben hätte, wie mir bei dieser Nachricht zumute war. Es war eine doppelte Freude, denn sie hatte bereits ein Kind verloren, und die Tatsache, dass sie trotzdem wieder Mutter werden konnte, war wichtiger als alles Silber, das Odin uns geschenkt hatte.

Dennoch hing der Trübsinn der enttäuschten Männer wie ein zäher Seenebel über Hestreng, deshalb war die Ankunft des jungen Krähenbein auf seinem prächtigen Schiff für alle ein Lichtblick, und sein selbstsicheres Auftreten, gepaart mit einer gewissen Arroganz, sorgte für neugieriges Interesse.

Krähenbein. Olaf Tryggvesson, der Prinz von Norwegen, war ein zwölfjähriger Knabe, dessen Ruhm ihm vorauseilte wie Odins Blitze dem Donner. Sein Ruf war so sehr mit dem meinen verbunden, dass Schwerter und Äxte gesenkt blieben, denn niemand glaubte im Ernst, dass Krähenbein gekommen war, um seinen Freund Orm von Hestreng auszurauben.

Er saß in meiner Halle und rieb seine Stiefel mit Schaffett ein; das war die Strafe für seine Unvorsichtigkeit, vom Bug seines Schiffs in das flache Salzwasser zu springen, das alles Leder zerfrisst.

Ich hatte ihn drei Jahre lang nicht gesehen und war überrascht. Ich hatte ein neunjähriges Kind zurückgelassen, jetzt stand ein junger Mann von zwölf Jahren vor mir. Er hatte ein markantes Kinn, seine verschiedenfarbigen Augen– das eine braun wie eine Haselnuss, das andere blaugrün wie ein Eisberg– waren sanft wie immer. Sein blondes Haar war lang und wehte im Wind, doch über der Stirn hatte er zwei Zöpfe, in deren Enden schwere Silberringe eingeflochten waren. Ich hätte gewettet, dass er sich mehr als alles andere einen Bart wünschte.

Er trug Rot und Blau, mit einem schweren Silberband an jedem Arm und einem dritten, dem drachenköpfigen Jarlsring des Anführers, um den Hals. Er hatte ein Schwert, das speziell für ihn geschmiedet worden war und seiner Größe entsprach, es steckte in einer Scheide mit Schlangenmuster, oben und unten mit Bronze beschlagen. Er hatte einen weiten Weg zurückgelegt in den drei Jahren, seit ich ihn von dem Halsring befreit hatte, mit dem er am Scheißhaus eines Plünderers namens Klerkon angekettet gewesen war.

Ich sprach diesen Gedanken aus, und er lächelte still, dann meinte er, er sei nicht so weit gekommen wie ich, denn er sei von Anfang an schon ein Prinz gewesen, während ich von einem unbekannten, arglosen Jungen zum Jarl der legendären Eingeschworenen aufgestiegen sei. Damit bewies er, welch artige Sprache und glatte Manieren er am Hofe des jungen Wladimir gelernt hatte.

»Ein feines Schiff«, bemerkte ich, als seine Männer in voller Rüstung hereinstolziert kamen und die besten Plätze am Feuer beanspruchten.

Stolzgeschwellt erklärte er: »Es heißt Kurze Schlange. Dreißig Ruderer auf jeder Seite, daneben noch Platz für viele weitere Männer.«

»Kurze Schlange?«, fragte ich.

Er sah mich todernst an. »Ich werde ein noch größeres Schiff haben«, erwiderte er. »Das wird Riesenschlange heißen und das beste Langschiff sein, das man je gesehen hat.«

»Dann ist Hestreng vermutlich für einen Strandhogg vorgesehen?«, fragte ich trocken, denn der Ruhm dieses Jungen hatte sich bereits über sämtliche Hallen der gesamten Ostseeküste ausgebreitet, wo er das ganze Jahr über Strandhoggs angeführt hatte, die immer nach dem gleichen Prinzip abliefen: zuschlagen und so schnell wie möglich abziehen.

Krähenbein schüttelte den Kopf, dass die Ringe in seinen Zöpfen klirrten, und plötzlich bemerkte ich, dass es gar keine Ringe waren, sondern Münzen, durch die man Löcher gebohrt hatte. Als Krähenbein sah, dass ich es bemerkt hatte, grinste er. Er suchte in seinem Beutel und förderte eine weitere Münze zutage, eine unbeschädigte, die er mir mit kunstvollem Schwung zuwarf, bis ich sie in meiner Faust verschwinden ließ.

»Diese Münze habe ich zusammen mit ihren Brüdern und Vettern den Händlern abgenommen, die nach Kiew wollten«, sagte Krähenbein, immer noch grinsend. »Das werden wir so lange weitermachen, bis Jaropolk die Luft ausgeht.«

Ich sah die Münze an– ein Blick genügte, denn geprägtes Silber war so selten, dass ich alle Münzen kannte, die an der Ostseeküste auftauchten. Diese war römisch und frisch geprägt, man nannte sie milaresion, und sie enthielt nicht so viel Silber wie ihre älteren Verwandten, die aus Konstantinopel kamen, der Großen Stadt, auch Miklagard genannt. Die Münzen, die Krähenbein in seine Zöpfe geflochten hatte, waren goldene nomisma, von denen zweiundsiebzig ein römisches Pfund ausmachten, und wie ich sah, den Kopf von Nikephorus trugen. Die Münze musste also sehr neu sein.

Darauf wies ich ihn hin, indem ich die Münze zurückwirbeln ließ, und er grinste, von meinem Geschick beeindruckt. Wenn es um Münzen ging, hatte aber auch er ein besonderes Geschick, denn mit der Rückendeckung Wladimirs, des Prinzen der Rus in Nowgorod, der ihn mit Schiffen und Männern versorgte, war er die gesamte Ostseeküste entlang auf Raubzug gewesen, um die Position Wladimirs gegenüber seinen Brüdern Jaropolk und Oleg zu stärken. Sie führten nicht offen Krieg gegeneinander, diese drei Brüder aus Kiew, der Stadt, die wir Känugard nannten, aber es war nur eine Frage der Zeit, wann sich das ändern würde, und inzwischen wurden die Handelswege ihrer Länder verwüstet.

Dieser Umstand, zusammen mit der Silberknappheit im Osten, machten Krähenbeins Münze zu einer Rarität. Es machte auch eine Handelsreise dorthin sinnlos, es sei denn, man reiste den ganzen Weg über die Flüsse und sämtliche Stromschnellen bis zur Großen Stadt. Davon sprach ich, während Thorgunna und die Sklavinnen Essen und Bier auftrugen. Krähenbein, der gleichgültige kleine Welpe, grinste nur.

Eine Gestalt erschien neben ihm, und ich wandte mich um zu dem Mann, der Helm und Kettenhemd trug. Er starrte mich an unter seinem Helm mit Visier und dem Pferdeschweif, wie ihn die Rus trugen, grimmig und unbewegt wie ein Fels.

»Aljoscha Buslajeff«, stellte Krähenbein ihn vor, »mein Mann am Bug.«

Eher wohl Wladimirs Mann, dachte ich, als dieser Aljoscha wie ein Wachhund in Krähenbeins Nähe blieb. Zweifellos hatte der fünfzehnjährige Prinz von Nowgorod ihn beauftragt, seinen kleinen Waffenbruder sowohl zu beobachten als auch zu beschützen. Sie waren wie junge Raubtiere, die Prinzen Wladimir und Olaf Krähenbein, und im Vergleich zu ihnen kam ich mir vor wie ein Greis.

Die Halle war gedrängt voll an dem Abend, als wir den jungen Krähenbein und seine Mannschaft mit Pferde- und Schweinebraten und Bier bewirteten und die Asen anriefen, denn in Hestreng waren wir nach wie vor keine Christen, und meine Halle war noch immer ungeteilt, wie es bei einem Jarl üblich war, obwohl ich mir alle Mühe gab, das zu ändern. Dennoch, wie ich Krähenbein erzählte, der weiße Christus war überall, sodass der Pferdehandel ausstarb– die Christen hielten keine Pferdekämpfe ab, und Pferdefleisch aßen sie auch nicht.

»Geh auf Raubzug«, erwiderte er, und es klang, als hielt er mich für nicht ganz gescheit, dass ich noch nicht selbst daran gedacht hatte. Dann grinste er. »Ach, das hatte ich ganz vergessen– du brauchst ja jetzt dem Tier an deinem Bug nicht mehr zu folgen, mit all deinem Silber, das du im Mondschein vergraben hast.«

Ich antwortete nicht; der junge Krähenbein hatte einen gesunden Appetit auf Silber entwickelt, seit er dahintergekommen war, dass man damit Schiffe und Männer bezahlen konnte. Und er brauchte Schiffe und Männer, um König von Norwegen zu werden, und ich wollte nicht, dass er nach meinen vergrabenen Schätzen schnüffelte– er hatte seinen Anteil an Attilas Silber erhalten. Dieser Schatz war hart erworben, und ich war mir immer noch nicht sicher, ob nicht ein Fluch darauf lag.

Ich hob mein Trinkhorn und brachte einen Spruch auf den toten Sigurd aus, Krähenbeins silbernasigen Onkel, der für den Jungen wie ein Vater gewesen war und außerdem Wladimirs Druschina befehligt hatte. Krähenbein, der auf der hohen Gästebank neben mir saß, tat es mir gleich. Seine Beine waren noch zu kurz, um sie wie ein Mann auf die Steine zu setzen, die Betrunkene und Kinder davor schützten, in die Feuerstelle zu fallen.

Seinen Männern gefiel der Trinkspruch auf Sigurd ebenfalls, und sie stimmten aus voller Kehle ein. Es waren Thors und Freyas Männer, die Pferdefleisch aßen; große, starke Männer mit schwieligen Händen und Muskeln wie Walrossbullen, die sie vom Rudern und vom Schwertkampf bekommen hatten. Sie hatten riesige Bärte und laute Stimmen, die um die Wette prahlten, während ihnen das Bier über die Brust lief. Ich merkte, wie Finn mit geblähten Nasenflügeln wohlig den Salzgeruch und die Ausstrahlung nach Krieg und Meer in sich aufsog, die diese Männer mitbrachten.

Einige trugen seidene Tuniken und weitere Hosen als die anderen, und sie trugen krumme Schwerter, aber das war nur die neue Sitte der großen Städte des Gardariki. Bis auf Aljoscha gehörten sie nicht zu den Halbslawen, die sich Rus nennen. Es waren alles echte Schweden, junge Ruderwölfe, die Krähenbein auf all seinen Raubzügen gefolgt waren und dem Jungen selbst bis in Hels Halle folgen würden, wenn er dorthin ginge– und Aljoscha stand ihm zur Seite, wenn vernünftige Entscheidungen getroffen werden mussten.

Krähenbein bemerkte, wie ich sie betrachtete, und war erfreut über das, was er in meinem Gesicht las.

»Ja, es sind tapfere Männer«, lachte er, und ich zuckte so zurückhaltend wie möglich mit den Schultern und wartete darauf, dass er mir endlich erzählte, warum er mit seinen tapferen Männern hier war. Alle Höflichkeiten, die freundlichen Gesichter, unsere Bewirtung– alles lief auf diese Frage hinaus.

»Es ist sehr aufmerksam von dir, an meinen Onkel zu denken«, sagte er, nachdem er einige Zeit mit seinen Stiefeln beschäftigt gewesen war. Die Halle war voll Lärm, und die vom Mief aus Schweiß und Rauch geschwängerte Luft war dicker als das Brett, auf dem wir saßen. Kleine Knochen flogen durch die Luft, gefolgt von brüllendem Gelächter, wenn sie ihr Ziel trafen.

Er machte eine Pause, um die gewünschte Wirkung zu erzielen, und strich über seine Zöpfe.

»Ich will dir den Grund sagen, warum ich gekommen bin«, sagte er mit lauter Stimme, um zu mir durchzudringen. Er hatte noch immer diese hohe Kinderstimme, aber ich verzog keine Miene, ich hatte schon vor langer Zeit bemerkt, dass Krähenbein nicht das Kind war, das er zu sein schien.

Als ich nichts sagte, machte er eine ungeduldige Handbewegung.

»Randr Sterki ist in diese Gegend gesegelt.«

Bei dieser Nachricht setzte ich mich auf, und die Erinnerung kam hoch wie der Gestank aus einem verstopften Scheißhaus. Randr der Starke war die rechte Hand von Klerkon gewesen. Nach dessen Tod hatte er die meisten Männer seiner Mannschaft übernommen und war mit ihrem Schiff, der Drachenflügel, zu einer Insel vor Aldeigjuborg gesegelt.

Klerkon. Das war in der Tat eine schreckliche Erinnerung. Er hatte uns überfallen und gerade noch lange genug gelebt, es zu bereuen, denn wir hatten uns auf sein Winterlager auf Svartey, der Schwarzen Insel, gestürzt, wo wir nur die Frauen, die Sklaven und Kinder seiner Mannschaft vorfanden– und Krähenbein, der ans Scheißhaus angekettet war.

Nun ja, auf Svartey waren Dinge passiert, wie sie auf Raubzügen nun einmal passierten, aber die Männer, die zu lange stillgesessen hatten und jetzt losgelassen worden waren, angefeuert von einem rachedurstigen Krähenbein, hatten in Blut wahrlich gebadet und kleine Kinder an die Wände geworfen. Später hatte Krähenbein Klerkon entdeckt und getötet– aber das ist eine andere Geschichte, geeignet für Nächte, in denen man am besten am Feuer sitzt, damit man keine Gänsehaut bekommt.

Solange wir und Prinz Wladimir mit Klerkon beschäftigt waren, konnte Randr Sterki ungehindert seinen Raubzügen nachgehen, aber als alles vorüber war, schickte Wladimir Sigurd Axtbiss, Krähenbeins nasenlosen Onkel und Befehlshaber der Druschina, um Randr kräftig auf die Finger zu hauen.

Doch dieses Unternehmen ging leider schief, wie ich hörte, und als Krähenbein wild entschlossen hinterhergezogen war, waren Randr Sterki und seine Mannschaft verschwunden; seinen Onkel fand er an eine Eiche genagelt vor, als Opfer für Perun. Seine berühmte silberne Nase war weg; man erzählte sich, Randr Sterki trage sie an einem Lederband um den Hals. Seitdem verfolgte Krähenbein die Fährte des Mannes, der seinen Onkel getötet hatte, aber bisher ohne Erfolg.

»Was für eine Spur hast du gefunden, die dich hierherführt?«, fragte ich, denn ich wusste, ihn dürstete es nach Rache. Diesen Durst kannte ich nur zu gut, denn er war der Grund gewesen für das, was wir Randr Sterki und seinen Verwandten in Klerkons Halle auf Svartey angetan hatten; und selbst wenn wir im Kriegszustand waren– was wir dort angerichtet hatten, machte mich beklommen.

Krähenbein war fertig mit seinen Stiefeln und zog sie an.

»Die Vögel haben es mir erzählt«, sagte er schließlich, und ich zweifelte nicht daran; der kleine Olaf Tryggvesson wurde Krähenbein genannt, weil er aus dem Verhalten der Vögel erkannte, was die Nornen webten.

»Er wird aus drei Gründen hierherkommen«, fuhr er fort, und seine Stimme wurde immer höher, weil er sich gegen den Lärm in der Halle durchsetzen musste. »Man kennt dich, denn du bist nicht nur berühmt, sondern auch wohlhabend.«

»Und der dritte Grund?«

Er brauchte mich nur anzusehen, das war genug. Die Erinnerung an Klerkons Winterlager auf Svartey, an Feuer und Blut und Raserei– all das stieg wieder in mir hoch.

Da war sie wieder, diese verfluchte Erinnerung, sie hing da wie ein abgezogenes Fell. Ruhm kommt immer zurück und verfolgt einen bis ins Grab; mein Spitzname, Bärentöter, war der Beweis dafür, denn auch wenn ich den weißen Bären gar nicht selbst getötet hatte, wusste das niemand außer mir. Dennoch– diese Geschichte, zusammen mit allen anderen, die von den angeblichen Heldentaten der Eingeschworenen handelten, brachte ständig neue Männer zu mir, entweder um uns beizutreten oder uns herauszufordern.

Und jetzt kam Randr Sterki, der seine eigenen Gründe hatte. Der Ruhm der Eingeschworenen machte es einfach, mich zu finden, und da ich nur über wenige Krieger verfügte, war ich ein lohnenderes Ziel als eine Schiffsladung harter Rus unter dem Schutz des Prinzen von Nowgorod.

»Randr Sterki besitzt keine Anziehungskraft für einen guten Krieger«, sagte Krähenbein. »Aber du schon, und der Mann, der dich tötet, erlangt mit dieser Tat nicht nur dein Vermögen und deine Frauen, sondern auch deinen Ruhm.«

Er sagte es mit seiner hohen Kinderstimme, fast schrie er; und wenn ich jetzt daran zurückdenke, war es merkwürdig, dass in diesem Moment der Lärm in der Halle erstarb. Alle drehten sich nach uns um, die Stille hing im Raum wie eine Staubwolke.

»Es ist nicht ganz einfach, mich umzubringen«, entgegnete ich, und ich brauchte nicht zu schreien, um gehört zu werden. Einige lachten leise, ein Betrunkener johlte, und der rote Njal fügte hinzu: »Selbst für einen Bären nicht«, und erntete lautes Gelächter.

In der Halle erhob sich ein unterdrücktes Murmeln und Flüstern und langsam, wie zäher Honig, kam die Feierstimmung zurück.

»Bist du den weiten Weg hergekommen, um mich zu warnen?«, fragte ich, als es wieder lauter geworden war. Olaf wurde rot, weil ich offenbar erraten hatte, dass das nicht der einzige Grund war.

»Nun, ich hätte gern die Trommel von deinem Seefinnen«, sagte er. »Wenn sie uns Sieg verspricht– wirst du mir dann bei der Verfolgung von Randr Sterki helfen?«

Vuokko, der Seefinne, war erst vor wenigen Monaten zu uns gestoßen. Er hatte den Runenmeister Klepp Spaki gesucht, der im Tal nördlich von hier an unserem Gedenkstein arbeitete. Vuokko hatte sich aus seinen Wäldern in Lappland auf den Weg zu uns gemacht, um von Klepp die Geheimnisse unserer Runen zu lernen, und niemand war überraschter als ich, dass der Runenmeister sich damit einverstanden erklärte.

Natürlich musste Vuokko Klepp im Gegenzug auch seinen Seidr-Zauber lehren, der den kleinen Seefinnen bereits berühmt gemacht hatte. Da Seidreine fremdartige und wenig mannhafte Sache war, gab es allerdings auch viel Gerede darüber, was die beiden in ihrer Hütte dort im Tal wohl trieben– aber nur hinter vorgehaltener Hand, denn als Runenmeister war Klepp schließlich ein bedeutender Mann.

Vuokko war ein ausländischer samischer Zauberer, dem man nicht trauen konnte. Doch wie es schien, kamen Menschen übers Meer, nur um den Klang seiner Trommel zu hören, die mit Runen beschriftet war, und um die drei goldenen Frösche darauf tanzen zu sehen, womit denen, die mutig genug– oder dumm genug– waren, Odins Weisheit enthüllt wurde.

Thorgunna brachte jetzt Finn, Onund Hnufa und dem roten Njal Bier. Die drei hatten ihre Köpfe zusammengesteckt und schwatzten und lachten. Thorgunna lächelte, und dieser Anblick– meine Frau und meine Freunde– machte mich froh. Als sie weiterging, strich sie sanft über ihren Bauch, und angesichts dieser Geste erfasste mich eine solche Welle von Glück, dass ich vor Freude fast geplatzt wäre.

»Wirst du mir helfen, Randr, den Mörder Sigurds, aufzuspüren?«

Seine Stimme, hoch und dünn vor Ungeduld, beendete meine angenehmen Träume mit einem Schlag. Ich sah ihn an und seufzte, und er runzelte die Stirn.

Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte keinerlei Lust dazu. Wir hatten unseren Reichtum und unseren Ruhm teuer bezahlt– zu teuer, dachte ich oft, und der Gedanke an ständige Nässe, an hartes Brot und schmerzende Glieder, selbst nur bis Aldeigjuborg, ließ mich zurückschrecken. Doch das wäre fast noch eine Vergnügungsreise verglichen mit dem, was uns erwartete, wenn wir mit diesem Halbwüchsigen zusammen loszögen, um die gesamte Ostsee nach Randr Sterki abzusuchen.

Ich sprach es aus. Ich sagte nicht, dass Randr Sterki einen guten Grund hatte, Rache zu suchen, und dass Krähenbein bei unseren Schandtaten auf Svartey nicht ganz unbeteiligt gewesen war.

Ich hörte förmlich, wie die Luft aus ihm wich. Er reagierte enttäuscht und zugleich gereizt, denn der junge Krähenbein ertrug es nur schwer, wenn man ihm etwas abschlug.

»Es geht schließlich um einen Sieg und um Ruhm für dich«, sagte er mit verdrossenem Gesicht.

Ruhm hatte ich bereits genug, und ein Sieg kann am Ende genauso blutig sein wie eine Niederlage– und das war in diesem Fall die Kehrseite der Medaille. Er runzelte die Stirn. Ich versuchte mir vorzustellen, wie er mich sah. Wahrscheinlich wirkte ich auf ihn wie ein alter, verbrauchter Mann, aber das war die Sicht eines Zwölfjährigen, und fast hätte ich gelacht. Doch es dauerte nicht lange, bis Krähenbein sich wieder beruhigt hatte und verbindlich lächeln konnte; ein weiteres Ergebnis seiner Erziehung zum Prinzen am Hofe von Wladimir.

»Ich möchte trotzdem die Trommelfrösche für mich tanzen lassen«, sagte er, und ich nickte.

Als hätte er es gehört, kam Vuokko in die Halle. Er war so leise eingetreten, dass eine der jungen Sklavinnen, die immer noch selbstvergessen diese gut gebauten Krieger anstarrte, aufschrie, als der Seefinne plötzlich neben ihr stand.

Die Männer lachten, wenn auch etwas verunsichert, denn Vuokkos Gesicht sah aus wie eine Maske, die man in der Winterwende zum Mummenschanz trägt und die zu lange im Regen gelegen hatte. Das Licht der wild flackernden Wandleuchter trug dazu bei, dass es noch unheimlicher aussah. Seine hohen Wangenknochen ließen die Schatten darunter noch dunkler erscheinen, seine Augen waren schwarze Schlitze, in denen ich keine Pupillen ausmachen konnte, und seine Gesichtshaut war weich und zerfurcht wie die Haut eines alten Walrosses.

Er grinste mit seinen spitzen Zähnen und schlich sich heran. Er war in Felle und Leder gekleidet, hier und da gemischt mit Fetzen nordischer Webarbeit, zweifellos gestohlen, um den Hals und in seinem wirren, eisengrauen Haar trug er Federn und Knochen.

In der einen Hand hielt er die Trommel aus weißem Rentierleder, bemalt mit Runen und magischen Zeichen, deren Bedeutung nur er kannte. Auch an der Trommel hingen kleine Tierschädel, Klauen und Pelzbüschel, und auf dem Trommelfell saßen drei Frösche, die an einem Ring befestigt waren, der um den Rand der Trommel lief. In der anderen Hand hatte er einen kleinen Hammer aus Holz.

Die Männer murmelten leise und machten Abwehrzeichen, aber Krähenbein grinste, denn obwohl dieser Zauber das weibische Werk Freyas war, kannte er den Seidr. Die Trommel des Seefinnen flößte einem Jungen, der das Andere aus dem Verhalten der Vögel sah, keine Furcht ein. Ich fragte mich, ob er noch mehr von diesen unheimlichen Märchen auf Lager hatte, mit denen er uns vor drei Jahren Angst eingejagt hatte.

»Dieser Enkel der Yngling-Könige«, sagte ich mit Bedacht zu dem Finnen, »bittet für einen seiner Pläne um ein Zeichen deiner Trommel.«

Der Seefinne nickte, als habe er das bereits gewusst. Er zog einen geschnitzten Runenstab aus seinem Gürtel und zog damit ein großes Viereck auf den harten Stampfboden– und überall gingen die Männer auf Abstand.

Dann markierte er an jeder Seite zwei Punkte und verband sie miteinander; jetzt hatte er neun Quadrate. Die Menschen in der Halle fröstelten, als sei das Feuer ausgegangen. Dann setzte er sich mit gekreuzten Beinen in das mittlere Feld, das Quadrat im Quadrat, nahm seine Trommel in den Arm und raunte ihr leise etwas zu, als sei sie ein Kind.

Er wiegte sich singend hin und her, und bei dem tiefen Dröhnen, das aus seiner Kehle drang, stellten sich uns die Nackenhaare auf, denn die meisten wussten, dass er Lemminki anrief, den finnischen Zaubergott, der mit seinem Gesang für diejenigen, die mutig genug waren ihn anzurufen, Sand in Perlen verwandeln konnte. Das Quadrat innerhalb des Quadrats sollte Vuokko Sicherheit geben, aber die Männer beobachteten das Flackern von Licht und Schatten beklommen und rückten noch weiter von ihm ab.

Schließlich schlug er auf die Trommel, nur ein Mal. Es war ein tiefer Ton mit langem Nachhall, den dieses kleine Ding hervorbrachte, und die Männer zuckten zusammen und machten Hammerzeichen. Als die goldenen Frösche tanzten, sah ich, wie Finn mit den Händen die rautenförmige Ingwaz-Rune bildete, ebenfalls ein Zeichen zur Abwehr. Keinem war wohl bei diesem Seidr-Zauber, denn es war eigentlich Weibersache, und es gab allen eine Gänsehaut, weil er hier von einem Mann vollführt wurde.

Vuokko betrachtete sie lange, dann wandte er sein abstoßendes Gesicht Krähenbein zu. »Du wirst König werden«, sagte er, und man hörte, wie die Männer alle gleichzeitig ausatmeten, denn es handelte sich nicht um die Unternehmung, die ich gemeint hatte.

Krähenbein lächelte wie ein Mann, der die Antwort bekommen hatte, die er erwartet hatte. Er suchte in seinem Beutel und holte die gestohlene Münze hervor. Nachlässig warf er sie Vuokko zu, der seine Augen nicht von Krähenbeins Gesicht abwandte und das Silber ignorierte.

Mich überraschte die Arroganz dieses Jungen und sein Mangel an Respekt. Man behandelte einen Mann wie Vuokko nicht wie einen hergelaufenen Hausierer, und noch viel weniger durchbrach man die Sicherheit des Quadrats im Quadrat, solange er darin saß, halb hier und halb im Anderen, umgeben von einem Schleier aus gefährlichem Zauber.

Stolz und ohne sich weitere Gedanken zu machen, wollte Krähenbein sich gerade abwenden, als die verschmähte Milaresion-Münze auf das Trommelfell prallte, wobei das leise Klimpern von einem lauten Donner verschluckt wurde, den es ausgelöst hatte. Überrascht drehte er sich um.

»Was war das, Seefinne?«, wollte er wissen, und Vuokko grinste wie ein Wolf, ehe er zuschnappt.

»Das war der Klang deines Vorhabens, Herr«, erwiderte er, nachdem er die Frösche studiert hatte, »das dir aus der Hand gleitet.«

Das weitere Gelage wurde eine trübe Angelegenheit, die von Krähenbeins Missmut und Verwirrung überschattet war, denn er hatte keine Ahnung, was der Finne ihm eigentlich angekündigt hatte. Die meisten seiner Mannschaft erinnerten sich nur an die Aussage, er werde König von Norwegen werden, also waren sie zufrieden.

Zwei Tage später stand ich mit Krähenbein am Strand, während seine Männer ihre Seekisten auf die prächtige Kurze Schlange hoben und sich zur Abfahrt bereit machten.

Er war in seinen altbekannten weißen Umhang gehüllt und starrte in die Luft, um zu sehen, ob die Seeschwalben oder die Krähen allein oder in Paaren auftauchten, ob sie nach links oder nach rechts flogen. Er allein wusste, was es zu bedeuten hatte.

»Trotzdem«, sagte er, als er mein Handgelenk umklammerte und mich mit seinen verschiedenfarbigen Augen ansah, »du tätest gut daran, mich zu unterstützen. Randr Sterki wird hierherkommen. Ich habe gehört, er habe Styrbjörn seinen Eid geleistet.«

Das war keine Überraschung für mich; Styrbjörn war der großmäulige Neffe meines Königs, Eirik Segersäll. Er war noch ein halber Junge und hatte es, sobald Eirik tot war, selbst auf den Thron abgesehen. Als ihm klar wurde, dass niemand von der Idee begeistert war, fing er an zu schmollen.

König Eirik hatte ihm leichtsinnigerweise Schiffe und Mannschaften gegeben, damit er selbst losziehen konnte, und jetzt lungerte Styrbjörn an der gesamten Ostseeküste vor Wendland herum, wo er die Bevölkerung einschüchterte und keinen Zweifel daran ließ, was er als sein gutes Recht betrachtete. Eines Tages würde man ihm kräftig auf die Finger schlagen müssen, aber bis jetzt war er immer noch ein Junge. Fast hätte ich das zu Krähenbein gesagt, aber dann biss ich mir auf die Zunge und grinste nur.

Ich sah Aljoscha im Hintergrund, kaum mehr als ein Kindermädchen in Helm und Rüstung, das dafür Sorge tragen musste, dass sein Schützling wieder heil an Bord kam. Ich sah Krähenbein nachsichtig an; was arrogant von mir war, denn ich glaubte, der Ruhm der Eingeschworenen und Odins Schutz seien ein genügend starker Schild gegen Männer wie Randr Sterki. Und vor Styrbjörn, einem Jüngling von kaum siebzehn Jahren, hatte ich ebenfalls keine Angst. Ich hätte es besser wissen müssen; ich hätte nur daran denken müssen, wie ich selbst in diesem Alter war.

»Hast du für all dies ein Märchen parat?«, fragte ich unbekümmert und erinnerte Krähenbein an all die Geschichten, die er uns erzählt hatte, ein Junge, der in der bitterkalten Steppe erwachsene Männer mit seinen Erzählungen gefesselt hatte.

»Ich habe noch mehr Geschichten«, erwiderte er ernst. »Aber die, die ich hierfür habe, hebe ich für später auf. Andererseits kenne ich auch die Vögel, und die erzählen mir viel.«

Ich sah ihn verwirrt an, doch er wandte sich zum Gehen und lief hinunter zu seinem Schiff.

»Ein Adler hat mir erzählt, dass es Probleme geben wird«, rief er mir über die Schulter zu. »Eine Bedrohung seiner Jungen, die noch nicht ganz flügge sind.«

Der Schreck über diese Nachricht saß mir in den Knochen, als ich der Kurzen Schlange hinterhersah, die sich aus dem Fjord schlängelte. Auch später, als ich Thorgunna im Arm hatte, konnte ihre Nähe mich nicht wärmen, denn ich dachte an das, was sie in ihrem Bauch trug und was ihre Schwester in den Armen hatte.

Junge Adler, noch nicht ganz flügge.

Kapitel 2

Die Sonne stieg täglich höher; die letzten Schneehaufen schmolzen, und die Bäche plätscherten wieder. Ich fing an, Pläne für gemeinsame Fischzüge zu machen, für das Pflügen und Bestellen der Äcker, und bot Finn an, sich mein Ochsengespann auszuleihen, falls er es brauche.

Er hatte mich angesehen, als sei ich ein Kalb, das plötzlich angefangen hatte, zu sprechen. Er fuhr fort, mit dem roten Njal zu trinken und zu jagen, während Onund Hnufa und Gisur die Fjord Elk seetüchtig machten und Hlenni Brimill und die anderen Holz für neue Schilde heranschleppten und Ref in den Ohren lagen, er solle doch endlich aufhören, rostige Nägel zu bearbeiten, und stattdessen lieber schartig gewordene Klingen schärfen.

Nach dem Festgelage zu Ehren Krähenbeins war Finn zu mir gekommen und hatte gefragt, ob die Eingeschworenen sich aufmachen würden, um Randr Sterki zu verfolgen, doch er wusste die Antwort, noch ehe ich den Mund aufmachte. Als ich seine Vermutung bestätigte, nickte er. Lange, langsam und nachdenklich.

»Ich glaube«, sagte er leise, als müsse man ihm die Worte mit Mühe entreißen, »ich werde vielleicht Ospak und Finnlaith in Dyfflin besuchen, oder vielleicht sollte ich auch nach Hedeby zu Fiskr gehen.«

Bei der Vorstellung, Finn nicht mehr in meiner Nähe zu haben, musste ich schlucken. Er sah mein erschrecktes Gesicht. Das seine glich einem Hammer, der seinen Worten Nachdruck verlieh, obwohl er gleichzeitig ein schiefes Lächeln aufsetzte.

»Entweder das– oder ich beanspruche den Jarlssitz.«

Da war er also, der Bruch, offen und unverblümt. Ich senkte den Kopf. Das war zweifellos der Fluch, der auf Odins Silber lag.

»Ich bleibe noch ein Jahr, und wenn unsere Raubzüge erfolgreich sind, entscheide ich mich vielleicht noch anders. Wenn nicht, dann wird es das Beste sein, wenn ich gehe, Orm.«

Das wäre dann bereits das dritte Jahr, und ich wusste, es war eine gewaltige Geduldsprobe für jemanden wie Finn. Dabei war ich mir keineswegs sicher, dass das neue Jahr erfolgreicher sein würde. Es würde eine lange, mühsame Fahrt die Ostsee hinauf und hinunter geben, manchmal bis in die Flussmündungen hinein, immer unter dem Vorwand, Handel zu treiben, aber in Wirklichkeit, um auf Raubzug zu gehen. Nur noch selten gab es etwas wirklich Lohnendes für die Eingeschworenen, die inzwischen so wohlhabend waren, dass sie an ihrem Besitz fast erstickten. Und trotzdem übten sie täglich, formten Schildwälle und durchbrachen sie, kämpften zu zweit und zu dritt, gaben schrecklich an und verbesserten ständig ihre Fertigkeiten. Die Verheißung des Tieres am Bug, wie die Skalden es nannten, lockte uns alle zurück aufs dunkle Wasser.

Jetzt erwartete Finn also von mir, dass ich mich endlich wie ein Jarl verhalte, und drohte gleichzeitig damit, mich entweder zu verlassen oder mich abzulösen. Dazu konnte ich nur nicken, denn mir war der Mund trocken geworden. Der Anbruch des neuen Sommers ließ nichts Gutes ahnen.

Die Frauen fegten Dreck und stinkenden Müll aus Hestrengs Gebäuden und freuten sich, ihre Wäsche wieder in der frischen Luft trocknen zu können, dazwischen rannten Cormac und Helga Hiti auf stämmigen Beinchen herum und spielten ihre lauten, fröhlichen Kinderspiele.

Und dann, unmittelbar nach dem Blutopfer des Wali-Fests, glitt ein Schiff in den Fjord. Zum Glück wusste ich es bereits zwei Stunden, ehe es anlegte, denn ich hatte zwei Thrall, oder Sklaven, abwechselnd Ausschau halten lassen, trotz Thorgunnas bissiger Bemerkungen.

»Reine Zeitverschwendung«, hatte sie behauptet, während sie und Ingrid zusammen mit zwei Thrallfrauen Bettkästen hinaustrugen. »Die sollten lieber hier das Ungeziefer herausklopfen.«

»Mir ist es wichtiger zu wissen, wer mich besuchen kommt«, erwiderte ich, »als blitzweiße Schlaffelle zu haben.«

»Daran werde ich dich erinnern, wenn dich das nächste Mal ein Floh in den Hintern beißt«, gab sie zurück und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich unter ihrem Kopftuch hervorgestohlen hatte. »Und wenn ich das hier machen muss, kann ich nicht buttern– du wirst deine Meinung schon noch ändern, wenn du trockenes Brot zu essen kriegst.«

An alldem merkte ich, dass sie froh war, dass der Winter vorbei war und sie ein neues Leben in sich trug– ein Leben, das ich lieber heranwachsen sehen wollte, als mich von Randr Sterki überraschen zu lassen und zusehen zu müssen, wie der Hof bis auf die Grundmauern niederbrennt. Sie schnaubte nur, als ich ihr das erklärte, aber als die Nachricht über das Schiff kam, erschrak sie doch. Dann trieb sie Ingrid und die Thrall an, die Kinder hereinzubringen, die sie um sich scharte wie eine Henne ihre Küken.

Ich ließ sie eine Weile gewähren, obwohl ich wusste, dass wir nicht bedroht waren. Das Segel war groß und deutlich mit Jarl Brands Zeichen versehen, und wenn ihm nicht jemand die Schwarzadler samt Mannschaft geraubt hatte– was so unwahrscheinlich war wie ein geflügelter Fisch–, dann war er es selbst, der da den Fjord heraufkam. Dabei protzte er ziemlich; das Segel war aufgetucht, und die Riemen bogen sich, während seine Mannschaft die Schwarzadler durchs Wasser jagte. Dann hörten wir, während wir am Ufer standen, wie auf einen Befehl alle Riemen angehoben und eingezogen wurden, bis nur noch ein Viertel ihrer Länge herausragte.

Dazu sprang eine Gestalt auf dem Schiff umher, tanzte zwischen Bug und Heck auf und ab, und wir alle jubelten, denn wir wussten, es war vermutlich sein Mann am Bug, Nes-Björn, genannt Klak– der Keil– wegen seiner Gestalt. Er hatte breite Schultern vom Rudern, dazu schmale Hüften und sehr dünne Beine. Trotzdem konnte er mit diesen Beinen über die losen Riemen laufen, mühelos von einem Ende des Schiffes an das andere.

Die Mannschaft war ebenso geschickt und ließ das Langschiff mit ihren dreißig Ruderbänken sauber und ohne einen Kratzer an ihren Vergoldungen an der steinernen Helling anlegen, wo die Fjord Elk aufgebockt lag. Die Männer sprangen an Land und empfingen meine Leute, die ihnen entgegenliefen, mit lauten Begrüßungen. Thorgunna seufzte, ließ die Kinder wieder laufen und rief nach den Thrall; jetzt galt es, trotz unserer bedenklich geschrumpften Vorräte sechzig Neuankömmlinge zu bewirten.

Ihr Gesicht hellte sich jedoch auf, als sie sah, was Jarl Brand mitgebracht hatte. Lächelnd trat er ein, schneeweiß wie immer. Seine goldbestickte schwarze Tunika war mit Hermelin besetzt, dazu trug er eine Hose aus feinem Wolltuch, deren weite Beine über die Stiefel aus Ziegenleder fielen, an Hals und Armen hing schwerer Schmuck aus Bernstein und Silber.

An seiner Seite ging ein kleiner Junge, genauso weiß wie er, und alles starrte ihn an, weil er wie Cormacs Doppelgänger aussah, nur etwa fünf Jahre älter. Aoife hielt verlegen den Kopf gesenkt und sagte nichts. Auf der anderen Seite von Jarl Brand ging ein merkwürdiger kleiner Mann in einem schwarzen Serk, das ihm bis auf die Füße ging. Er sah jung aus und hatte ein mürrisches, rundes Mondgesicht.

»Mein Sohn«, erklärte Brand barsch und deutete auf den weißhaarigen Jungen. »Ich bringe ihn dir als Ziehkind.«

Das verschlug mir den Atem, und ich rang noch immer um Fassung, als er auf das Mondgesicht an seiner anderen Seite deutete.

»Der hier heißt Leo«, sagte er. »Eine Art griechischer Mönch aus der Großen Stadt.«

Ich warf Jarl Brand einen erschrockenen Blick zu, und er lachte kurz auf und schüttelte den Kopf, wobei seine Schnurrbartenden aussahen wie tanzende Eiszapfen.

»Nein, nein, ich bin kein Anhänger des weißen Christus geworden«, erwiderte er. »Diesen Griechen hat der Kaiser geschickt, damit er unserem König seine Grüße überbringt. Ich habe ihn in Jumne mitgenommen.«

»Wie einen Sack Korn«, ergänzte der Mann mit leisem Lächeln. »Und dort wurde ich gestapelt und verschifft.«

Es dauerte einen Augenblick, bis mir klar wurde, dass er Griechisch gesprochen hatte, während Jarl Brand Nordisch sprach, und das bedeutete, dass dieser Leo Nordisch konnte, dass aber Jarl Brand, genau wie ich, Griechisch verstand. Jarl Brand lachte leise, als ich ihm Thorgunna vorstellte, die ich bat, Leo in die Halle zu führen.

»Behalte ihn im Auge«, sagte Brand leise zu mir, als der Mönch uns mit noch immer leicht schwankendem Gang verließ. »Er ist mehr als ein mönchischer Schreiber, obwohl das seine Hauptbeschäftigung ist. Aber er ist schlau, er beobachtet alles ganz genau und weiß mehr, als er sich anmerken lässt.«

Ich stimmte zu, war aber abgelenkt durch das, was jetzt von der Schwarzadler entladen wurde– zwei Frauen, die eine jung und hochschwanger, die andere älter und fast genauso dick, die um die jüngere herumwatschelte wie eine Ente um ihr Junges.

Jarl Brand sah meinen Blick und brummte kurz, es war der Laut eines Menschen, der vor Sorge keine Worte fand.

»Sigrid«, sagte er und zog mich am Ellbogen weiter. »Sie hat gerade ihren Vater besucht, Mieszko, den König der Polanen. Sie wird bald gebären, deshalb sind wir hier. König Eirik will, dass sein Sohn in Uppsala zur Welt kommt.

Sprachlos starrte ich sie an, ich konnte nicht anders. Dies also war Sigrid, elegant wie ein vergoldeter Drachenkopf, nicht älter als achtzehn Jahre und eine Königin. Sie war jung, ihre Augen leuchteten, und sie trug schwer an ihrem ersten Kind; doch im Grunde war sie selbst nichts weiter als das ängstliche Kind irgendeines Slavenstammes von irgendwoher.

»Die dicke Frau ist Jasna, ihre Amme, als sie noch bei ihren Leuten lebte«, fuhr Jarl Brand mit besorgter Stimme fort. »Ich soll sie heil und gesund zum König bringen, zusammen mit dem, was sie unterwegs abladen wird.«

»Das ist eine Fracht, um die ich mich nicht reißen würde«, sagte ich unbedacht und merkte, dass er mich ernst ansah.

Wir mussten beide lächeln, doch es war ein grimmiges Lächeln. Dann bemerkte ich das Mädchen hinter Jasna. Ich hatte sie für eine Thrall gehalten, in ihrem farblosen sackartigen Gewand und mit dem Tuch um den vermutlich kahl geschorenen Kopf, aber sie schritt daher wie eine Königin. Klein und schmal, mit einem Gesicht, das zu groß für sie schien, und Augen, dunkel wie der tiefste Fjord.

»Sie ist eine Masurin«, sagte Jarl Brand, der meinem Blick gefolgt war. »Sie heißt Tschernoglasow, was aus dem Slawischen übersetzt Schwarzauge heißt– aber die Königin und ihre fette Kuh nennen sie Drosdow, die Amsel.«

»Eine Sklavin?«, fragte ich zweifelnd, und er schüttelte den Kopf.

»Das hatte ich auch gedacht, als ich sie zuerst sah«, erwiderte er, »aber es ist schlimmer– sie ist eine Geisel. Sie ist die Tochter des Häuptlings eines Stammes östlich von Polen, die Mieszko in seine Gewalt bringen will. Sie ist stolz wie eine Königin und betet einen Gott mit drei Köpfen an. Vielleicht sind es auch vier, ich bin mir nicht ganz sicher.«

Ich sah die Frau mit dem Vogelnamen an– nun ja, eigentlich war sie ein Mädchen. Sie war sehr fern der Heimat, wo ihre Landsleute sie nicht so schnell finden würden; sie sollte das friedliche Verhalten ihres Stammes garantieren. Ihr Ausdruck lag irgendwo zwischen Verachtung und einem scheuen Reh, das jeden Moment zur Flucht ansetzen könnte. Wahrhaftig eine undankbare Fracht, über deren Auftauchen hier an meinem Strand ich nicht sonderlich begeistert war.

Dennoch hatte das alles auch eine unerwartet positive Seite: Thorgunna, die jetzt die Ehre hatte, eine Königin und das Ziehkind eines Jarls in ihrem Haus aufzunehmen, strahlte Jarl Brand und mich an, als hätten wir das alles nur ihr zu Ehren geplant. Brand, der es bemerkte, klopfte mir sacht auf die Schulter und lächelte mitleidig.

»Warte nur ab«, sagte er, »bis Sigrid euch zeigt, wie eine Königin behandelt werden möchte.«

Seine Leute entluden Nahrungsmittel und Getränke, was uns sehr willkommen war, und wir alle schwelgten in frischem, überm Feuer geröstetem Pferdefleisch, Lamm, edlem Fisch und gutem Brot– obgleich Sigrid diese Speisen verschmähte, wobei es unklar war, ob vor Übelkeit oder weil sie sich davor ekelte. Thorgunna bedachte mich mit einem vielsagenden Blick– dem ersten von vielen– und fing an, mit ihrer Schwester zu flüstern.