Im Wechsel der Gezeiten - Elke Schneefuß - E-Book

Im Wechsel der Gezeiten E-Book

Elke Schneefuß

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Beschreibung

Die Ereignisse schlagen hohe Wellen im 2. Teil der Sylt-Saga: Zwei Familien geraten nach Ende des Ersten Weltkrieges in die Wirren der Zeit ... 1918: Ingeborg Boysen ist außer sich vor Freude, als ihr Mann Nicolai endlich aus dem Krieg heimkehrt. Doch ihr Glück währt nicht lange, denn Nicolai kann seine Erlebnisse nicht vergessen. Ingeborg gelingt es nicht, ihren Mann aus seiner Lethargie zu reißen. Da ist es kein Wunder, dass sie sich vom Charme des Arztes Johannes Lehmann bezaubern lässt, der ihr schon vor dem Krieg den Hof gemacht hat ... Der Roman einer Frau, die in schwierigen Zeiten um ihr Glück kämpfen muss.

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Seitenzahl: 657

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Elke Schneefuß

Im Wechsel der Gezeiten

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

Vorbemerkung der AutorinKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20EpilogDanksagung und Anmerkung der Verfasserin
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Vorbemerkung der Autorin

Auch diese Geschichte beginnt mit einem »Es war einmal«. Sie spielt auf einer Insel, die tatsächlich existiert, im übrigen dient der Roman aber der Unterhaltung und ist frei erfunden. Ähnlichkeiten der Personen und der Handlung mit wirklich existierenden Namen, Örtlichkeiten und Geschehnissen wären zufällig und nicht von mir beabsichtigt. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre.

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Kapitel 1

Reichshauptstadt Berlin, im November 1918

Kopf runter!«

Die Warnung des unbekannten Mitreisenden erreichte Luise gerade noch, bevor im nächsten Augenblick neben ihr krachend eine Salve aus Gewehrkugeln in die Wand des Eisenbahnwaggons einschlug. Hastig rutschte Luise von ihrem Sitz und warf sich zu Boden. Das Gesicht im Staub, Kopf und Hut unter den Händen verborgen, blinzelte sie hinauf zum Fenster ihres Abteils. Draußen auf dem Bahnhofsgelände ging der Tumult weiter, noch einmal erhob sich das Trommelfeuer aus der Mündung eines Maschinengewehrs. Das hämmernde Stakkato der Einschüsse dröhnte in ihren Ohren, ein splitterndes Geräusch verriet, dass ganz in der Nähe eine größere Menge Glas zu Bruch gegangen war. Auf dem Bahnsteig wurden Befehle gebrüllt, Schritte waren zu hören, während neben Luise ein kleines Kind zu schreien begann. Sie spürte erst jetzt, dass ihr vor Angst der Schweiß auf die Stirn getreten war. Luise wagte kaum, sich zu rühren. War das ihr Ende? Was für ein elender Abgang – alles andere als ehrenvoll, hier auf einem Bahnsteig in Berlin-Spandau massakriert zu werden wie ein Stück Vieh. Luise seufzte tonlos. Damit, dass in der ehedem stolzen Hauptstadt ein regelrechter Bürgerkrieg tobte, hatte sie nicht gerechnet. Hier schossen Deutsche auf Deutsche, sogar Zivilisten mussten als Zielscheiben herhalten. Wozu dieser Aufstand gut sein sollte, wusste sie nicht. Es ging um Politik, sicher, es ging um die Zukunft des Reiches, aber mussten die Leute deshalb mit Waffengewalt aufeinander losgehen? War es nicht schlimm genug, wenn auf den Schlachtfeldern in Frankreich das Blut der deutschen Soldaten in Strömen floss? Jetzt begann das Morden auch noch zu Hause – kein Mensch wusste, wohin das führen sollte. Warum um Gottes willen war sie nur so leichtsinnig gewesen und hatte sich ganz allein auf den Weg hierher gemacht, mitten in das Chaos, das die Zeitungen so harmlos als »Unruhen in Berlin« bezeichneten? Natürlich, Hedwigs Brief war schuld daran, dass sie hierher gefahren war. Wenn sie geahnt hätte, was sich wirklich in dieser Stadt abspielte, hätte sie sich diesem Ort bestimmt nicht freiwillig genähert.

Luise hob langsam den Kopf. Draußen war es still geworden. Das Kind ihr gegenüber weinte noch immer, leiser jetzt, mit kleinen Pausen. Schluchzend lag es im Arm der Mutter, die neben Luise auf dem Boden kauerte. Da ertönte plötzlich ein Pfiff, der Zug ruckte an. Luise seufzte vor Erleichterung, während der Wagen unter ihr ins Rollen kam. Die Menschen um sie herum sahen sich an, warfen sich fragende Blicke zu. Erst ein paar Minuten später wagten die ersten von ihnen, sich aufzurichten. Der überfüllte Eisenbahnwaggon fuhr inzwischen schneller, der Zug verließ den Bahnhof Spandau, in dem die Reisenden eine bange halbe Stunde verbracht hatten. Warum es jetzt plötzlich weiterging, wusste keiner, aber die Erleichterung darüber war den Anwesenden anzumerken. Die Leute nahmen ihre Plätze wieder ein, während sie lautstark über ihre Erlebnisse diskutierten. Luise zögerte, sie war sich nicht sicher, ob sie dem Frieden da draußen schon trauen durfte. Auf Knien rutschte sie an das Fenster heran und spähte über den Rand des Fensterbretts ins Freie. Graue Häuserzeilen waren zu sehen. Die Pfeiler einer Eisenbahnbrücke und ein wolkenverhangener novemberschwerer Himmel darüber signalisierten, dass der Zug tatsächlich in Bewegung blieb.

»Wir fahren, Gott sei Dank!« Die junge Frau mit dem Kind auf dem Schoß richtete sich ein wenig auf und strahlte Luise an. »Wir sind unterwegs. Das wäre fürs Erste geschafft, nicht wahr? Ich bin so froh, dass der Zug wieder rollt.«

Luise nickte schweigend. Sie fuhren, ja, das schon, aber ob das wirklich eine gute Nachricht war, musste sich erst noch zeigen. Vermutlich schaukelten sie jetzt erst recht hinein ins Chaos. Es war unwahrscheinlich, dass es in der Stadtmitte Berlins, die der Zug ansteuerte, ruhiger zuging als am Stadtrand in Spandau. Luise stand auf, klopfte sich den Staub vom Rock ihres dunklen Reisekleides und ließ sich dann auf die Holzbank an der Wand hinter ihr sinken. Nein, in der Berliner Innenstadt würde es nicht ruhiger zugehen. Dort befand sich das Stadtschloss, der Stammsitz der Hohenzollern, und auch die Ministerien standen dort. Wenn in der Hauptstadt wirklich Bürgerkrieg herrschte, dann würde sie das in ihrem Zentrum am meisten zu spüren bekommen.

Luise war der jungen Frau mit dem Kind behilflich, sich wieder auf der Sitzbank gegenüber niederzulassen, aber in Gedanken beschäftigte sie sich mit Berlin. Sie würde zusehen müssen, dass sie auf schnellstem Weg in die Petristraße kam, wo Hedwigs Wohnung lag. In was für eine Situation hatte sie sich mit dieser Reise nur gebracht? Sie hätte unterwegs umkehren sollen. In Lübeck hatte sie von einem Mitreisenden gehört, dass die Regierung des Prinzen Max von Baden zurückgetreten war. Der Sozialdemokrat Ebert war jetzt Reichskanzler. Über die Sozialdemokraten hatte sie nicht viel Gutes gehört. Ihr Vater war ein überzeugter Zentrumsanhänger gewesen, der den Sozis glattweg jedes Talent zum Regieren abgesprochen hatte. Während Luise gedankenverloren das Leder ihrer Handtasche putzte, fiel ihr Blick wieder auf die junge Mutter ihr gegenüber, in deren geröteten Gesichtszügen noch immer eine Spur von Besorgnis lag. Die Frau beugte sich vor. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie anspreche.« Die Fremde lächelte verlegen und zupfte am Mantelkragen ihrer kleinen Tochter, die mit dem Daumen im Mund auf ihrem Schoß saß. »Darf ich fragen, ob Sie sich in Berlin auskennen?«

»Auskennen? Nein, das wäre übertrieben.« Luise schüttelte sacht den Kopf. Sie bemerkte, dass ihr Hut ins Schwanken geriet, und griff nach der Hutnadel, um ihn wieder festzustecken. »Ich war schon einmal in der Hauptstadt, aber das ist viele Jahre her. Damals war ich noch ein junges Mädchen. Suchen Sie etwas Bestimmtes in Berlin?«

»Ja, ich suche das Diplomatenviertel.«

»Das Diplomatenviertel? Sind Sie sicher?« Luise schüttelte den Kopf. »Es tut mir Leid, doch ein Stadtviertel mit diesem Namen gibt es nicht.«

»Aber das muss es geben. Ich habe dort etwas zu erledigen – etwas sehr Wichtiges, verstehen Sie?« Der ängstliche Blick der jungen Frau glitt zu dem Kind auf ihrem Schoß und dann wieder zurück zu Luise, die bedauernd mit den Schultern zuckte. »Das mag sein, aber die Bezeichnung ›Diplomatenviertel‹ kenne ich nicht. Haben Sie denn keine richtige Adresse? Einen Straßennamen mit Hausnummer?«

»Nein, den weiß ich nicht.« Die Fremde schluckte. Luise sah, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. »Man hat mir gesagt, ich soll die kleine Antonie zu ihrem Vater ins Diplomatenviertel bringen. Die Villa Zielinsky kennt dort angeblich jeder.«

»So? Na ja, wenn das den Tatsachen entspricht, dann wird die Villa sich finden lassen. Die Berliner Droschkenfahrer kennen jeden Winkel ihrer Stadt. Das Kind auf ihrem Schoß gehört Ihnen also gar nicht? Sie sind nicht seine Mutter?«

»Nein, ich bin nur das Kindermädchen. Ilse Bromberg ist mein Name.« Die junge Frau streckte schüchtern die Hand aus, die Luise ergriff und sanft drückte. Das junge Ding tat ihr richtig Leid, die war mit den Nerven offensichtlich am Ende. Bestimmt war Fräulein Bromberg noch nie in Berlin gewesen, jedenfalls wirkte sie nicht sonderlich großstadterfahren. In Luises Augen war es ein haarsträubender Leichtsinn, ein Pärchen wie dieses Kinderfräulein und ihren Schützling ausgerechnet jetzt in die Wirren einer veritablen Revolution zu schicken. Die fahrigen Bewegungen, mit denen die junge Frau ihren eigenen Hut gerade rückte, und die nervöse Art, mit der sie immer wieder an den Kleidungsstücken des kleinen Mädchens zog, ließen erkennen, wie unruhig und ängstlich sie war.

»Mein Name ist übrigens von Lassen – Luise von Lassen.« Luise lächelte Fräulein Bromberg zu. »Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, wenn auch unter so außergewöhnlichen Umständen.«

»Ich freue mich ebenfalls, Sie kennen zu lernen, gnädige Frau. Ich bin froh, dass ich mich getraut habe, jemanden anzusprechen – und jetzt habe ich gleich eine Dame von Adel vor mir. Das kann man doch Glück im Unglück nennen, nicht wahr?« Fräulein Bromberg strahlte. Anscheinend war sie der Meinung, soeben eine wichtige Bekanntschaft gemacht zu haben. Luise beschloss, ihr Vertrauen nicht gleich zu erschüttern. Das Fräulein Bromberg war ja offenbar ganz nett, etwas blauäugig, aber das Herz hatte sie wohl auf dem rechten Fleck. Wie herrlich naiv es doch war zu glauben, eine Dame von Adel sei etwas Besonderes. In einer Zeit wie dieser, in der die Welt von einer Revolution aufgewühlt wurde, durfte man sich von einem Adelstitel bestimmt nichts mehr erhoffen. Titel und Ehrenabzeichen gehörten in die Welt von gestern, der Gleichmacherei gehörte die Zukunft. Aber was half es, wenn sie Fräulein Bromberg darüber belehrte? Solche Eröffnungen würden sie garantiert nur noch unglücklicher machen, also versicherte Luise dem Kindermädchen bloß lächelnd, dass sie sich über die Bekanntschaft mit ihr ebenfalls freue.

Fräulein Bromberg nickte. »Darf ich Sie dann wohl um einen kleinen Gefallen bitten, gnädige Frau? Ich kenne mich in der Großstadt nicht aus und bin deshalb furchtbar aufgeregt. Wenn Sie dabei helfen würden, eine Mietdroschke für mich und das Kind zu finden, wäre ich Ihnen sehr verbunden.«

»Aber sicher doch. Das tue ich gern.«

Fräulein Bromberg strahlte erneut. »Danke. Ich wusste, dass Sie nicht Nein sagen würden. Mit Ihrer Unterstützung finde ich die Villa im Diplomatenviertel ganz bestimmt.« Sie wandte sich dem Fenster zu, bevor sie gleich darauf das Mädchen von ihrem Schoß hob und aufstand. »Wir sind ja schon da. Das da draußen ist der Lehrter Bahnhof. Ich bin so froh, dass wir jetzt zu dritt sind. Ganz allein mit der Kleinen in einer fremden Stadt, da hätte ich mich bestimmt verlaufen. Wenn ich Tony nur schon bei ihrem Vater abgeliefert hätte.« Ilse Bromberg griff in die Tasche ihres weiten Reisemantels und zog ein weißes Taschentuch hervor, das sie aber gleich wieder in den Mantel zurückschob. »Verzeihen Sie bitte, ich bin sonst nicht ängstlich, aber mit dieser Reise verlangt meine Herrschaft entschieden zu viel von mir. Erst das Unglück mit meiner Gnädigen, und jetzt das Kriegsende, diese Schießereien und ich mit dem Kind mittendrin, das ist zu viel für mich, fürchte ich.«

Luise stand auf. Fest entschlossen, die kleine dunkel gelockte Schönheit mit dem Namen Antonie und ihr verzweifeltes Kindermädchen nicht im Stich zu lassen, griff sie nach der Hand des Mädchens. Über Tonys Kopf hinweg warf sie Fräulein Bromberg einen fragenden Blick zu. »Wollen Sie damit etwa sagen, dass die Mutter der Kleinen …«

Ilse Bromberg nickte. »Ja, sie ist gestorben, vor zwei Tagen, an der spanischen Grippe. Man hat uns noch vor ihrer Beerdigung aus Hamburg fortgebracht, in der Hoffnung, dass Tony sich nicht angesteckt hat.«

»Und? Hat man den Vater schon von der Ankunft seiner Tochter verständigt?«

»Es wurde versucht, ihm ein Telgramm zu schicken. Ob er es bekommen hat, weiß ich nicht. Es ging alles so schnell bei unserer Abreise. Und dann bringt ja dieses ganze Revolutionsdurcheinander zusätzlich alles in Unordnung. Der Kaiser hat doch abgedankt, oder? Und jetzt haben wir anstelle eines richtigen Monarchen diese merkwürdigen Arbeiterräte.« Fräulein Bromberg schnaufte. »Wo soll es nur hinführen, wenn uns zukünftig irgendwelche Leute von der Straße regieren? Das kann doch gar nicht gut gehen, oder was meinen Sie?« Das Kindermädchen schaute sich um. Ihr Gesicht wirkte vorwurfsvoll, es sah aus, als wollte sie einen der Anwesenden für die Wirren der Revolution persönlich verantwortlich machen.

Luise nahm ihre Reisetasche an sich. »Was die Zukunft bringt, werden wir sehen. Schauen wir erst mal, was wir für Ihren Schützling tun können, Fräulein Bromberg. Ich nehme die Kleine und Sie kümmern sich um das Gepäck. Bleiben Sie immer schön dicht hinter mir, ja? Falls wir uns aus den Augen verlieren sollten, warten Sie in der Bahnhofsmission auf mich und Tony, einverstanden?«

»Ja, einverstanden.« Fräulein Bromberg holte ihr Gepäck aus dem Netz über dem Sitz, aber als sie sich gleich darauf noch einmal umschaute, zeigte ihr Gesicht schon wieder erste Spuren von Verunsicherung. Luise folgte ihrem Blick. Das Gedränge der Mitreisenden, die sich in Richtung Tür schoben, war groß. Der Zug war überfüllt, in den Gängen und zwischen den Bänken standen die Menschen in dichten Trauben. Die Leute klammerten sich an ihre mitgebrachten Koffer, an Pappkartons und Taschen. Es wimmelte von gerade heimgekehrten Frontsoldaten, aber auch jede Menge Frauen und Kinder waren unterwegs – sie alle schienen wie auf ein geheimes Kommando aufgebrochen zu sein, um aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen ausgerechnet heute nach Berlin zu reisen. Um diesem Gedränge zu entgehen, hatte Luise ursprünglich in Kiel einen Fahrschein erster Klasse gelöst, doch weil die erste Klasse von verwundeten Frontsoldaten belegt gewesen war, hatte sie nur noch einen Platz in der so genannten Holzklasse abbekommen. Hier stand sie jetzt, die kleine Tony auf dem Arm, eingezwängt zwischen fremden Leibern, und wartete darauf, dass der Zug zum Stehen kam. Der Wagen wurde langsamer, seine Bremsen quietschten. Kaum dass er angehalten hatte, wurden auch schon seine Türen aufgerissen. Luise versuchte einen Blick nach draußen auf den Bahnsteig zu werfen, sah aber nichts außer dem weißen Qualm, den die Lokomotive ausstieß. Zentimeterweise kämpfte sie sich vorwärts, Stück für Stück schob sie sich, verfolgt von den bangen Blicken des Kindes auf ihrem Arm, der Tür entgegen. Ilse Bromberg konnte sie im Gedränge nicht mehr sehen, aber sie vertraute darauf, dass sie sich auf dem Bahnsteig wiedertreffen würden.

Antonie an sich gepresst, stolperte Luise zur Außentür des Waggons und von dort das Trittbrett hinunter. Bepackt, wie sie war, konnte sie ihre Füße nicht sehen, die sich bei jedem Schritt im Saum ihres Reisekleides zu verheddern drohten. Obwohl das Gewicht des Kindes, das sich ängstlich an ihren Hals klammerte, es ihr schwer machte, sich zu bewegen, fand sie schließlich Halt und kam auf dem Bahnsteig kurz vor einer Litfaßsäule zu stehen. Antonie begann zu wimmern. Sie rief nach Fräulein Ilse, die ihr vertrauter war als die ältere Frau, mit der sie so rücksichtslos aus dem Zug und in das Großstadtgewühl hineingestoßen wurde. Luise strich Tony über den Rücken und drehte sich einmal um die eigene Achse, um nach dem Fräulein zu suchen, fand aber in dem Gewimmel um sie herum keine Spur von ihr. Der Bahnhof war voll, er drohte aus den Nähten zu platzen. Die Bahnsteige waren genauso überfüllt wie zuvor der Zug. Überall lungerten Soldaten herum – einige von ihnen waren bewaffnet, die meisten trugen rote Armbinden. Es herrschte eine merkwürdige Stimmung unter den Leuten. Obwohl der Bahnhof vor Waffen und Militärs strotzte, schienen die Berliner sich vor den Bewaffneten nicht zu fürchten.

Luise stellte ihre Tasche ab, die ihr zu schwer zu werden drohte, und versuchte Tony dazu zu überreden, sich auf die Bank hinter ihnen zu setzen, aber die Kleine weigerte sich, indem sie stumm den Kopf schüttelte. Um keinen Preis der Welt schien sie jetzt auch noch von Luise getrennt werden zu wollen, hatte man ihr doch schon das Fräulein Ilse weggenommen. Luise überlegte fieberhaft, was sie tun sollte, als ihr die Bahnhofsmission wieder einfiel. Sie hatten sich doch dort verabredet. Ilse Bromberg wartete da, es konnte gar nicht anders sein. Luise packte ihre Reisetasche und machte sich mit Tony auf dem Arm auf den Weg hinüber zum anderen Ende der Bahnhofshalle. Das Gewicht des Kindes drückte sie, das Gedränge um sie herum machte es ihr schwer, voranzukommen. Ihr rechter Arm fühlte sich schon taub an, als sie endlich die unscheinbare braune Holztür erreichte, über der das Zeichen der Bahnhofsmission hing. Luise griff nach der Türklinke und wollte eintreten, als sie im letzten Moment das kleine weiße Schild bemerkte, das neben dem Türrahmen befestigt war. »Wegen Krankheit geschlossen« stand dort in schnörkelloser Schreibmaschinenschrift – eine Mitteilung, die keinen Platz für weitere Fragen ließ.

Luise schluckte. Wegen Krankheit geschlossen, das auch noch. Was sollte sie denn jetzt tun? Wo mochte das Fräulein Bromberg sein, wenn nicht hier, vor dieser verschlossenen Tür? War sie vielleicht schon da gewesen und wieder gegangen, oder hatte sie es noch gar nicht bis hierher geschafft? War sie noch auf dem Bahnsteig? Luise schaute sich um. War es richtig, hier zu bleiben, oder sollte sie besser auf dem Bahnhofsvorplatz warten? Luise drehte sich immer wieder in verschiedene Richtungen und ließ die Blicke über die Menge schweifen, aber von Fräulein Bromberg war nichts zu sehen. Luise war allein mit Tony, die sich noch immer fest an sie klammerte. Um das Kind nicht weiter zu verschrecken, seufzte Luise so leise wie möglich. Worauf lief dieses Abenteuer nur hinaus? Ob Fräulein Bromberg sich mit Absicht abgesetzt hatte? Hatte sie das Gedränge vielleicht bewusst dazu benutzt, um ihren Schützling loszuwerden? Nein, das war Unsinn, so verantwortungslos war Tonys Kinderfräulein bestimmt nicht. Tony war ein liebes Kind, und Fräulein Bromberg hatte nicht den Eindruck gemacht, eine verantwortungslose Person zu sein. Das Kindermädchen und Antonie hatten einander gern, das war ihnen beiden anzumerken. Das Ganze konnte nur ein Irrtum und ein Unglück sein. Fräulein Bromberg war hier gewesen, hatte das Schild gesehen und war weitergegangen – so hatten sie sich schlicht und einfach verpasst. Luise stand da und überlegte, aber es fiel ihr schwer, eine Entscheidung zu treffen. Seit Stunden hatte sie nichts gegessen und nicht geschlafen. Erschöpft und hungrig, wie sie war, sehnte sie sich nach einem Stuhl und einer warmen Mahlzeit, gleichgültig, woraus letztere bestand.

Luise schaute sich noch einmal nach Ilse Bromberg um, konnte sie aber auch diesmal nicht entdecken. Doch dabei fiel ihr ein Flugblatt auf, über dessen am Fußboden klebende Reste die Menge achtlos hinwegtrampelte. »Mitbürger! Der Kaiser hat abgedankt! Ebert ist Reichskanzler! Bewahrt Ruhe und Ordnung!« Luise schüttelte den Kopf. Der Kaiser hatte abgedankt. Seine Hauptstadt Berlin, ehemals die Perle des Reiches, drohte im Tumult zu versinken – und unweit von hier, in ihrer kleinen Dachwohnung in der Petristraße, saß Kusine Hedwig, die ehemalige Palastdame der Kaiserin, und weinte sich bestimmt vor Kummer die Augen aus dem Kopf. Vermutlich wartete Hedwig schon den ganzen Morgen darauf, dass Luise endlich kommen und ihr sagen würde, was jetzt zu tun sei. Luise aber stand hier auf dem Bahnsteig, ein fremdes Kleinkind auf dem Arm, dessen Vater ihr unbekannt war. Das Kind im Stich zu lassen, kam nicht in Frage, das verbot ihr der Anstand. Mitten im Gewühl wartete sie, ohne zu wissen, worauf. Wohin mit der Kleinen? Was konnte sie jetzt unternehmen? Wie sollte diese Geschichte nur weitergehen?

Westerland, im November 1918

Platz da!«

Im ersten Moment meinte Ingeborg Nicolais Stimme zu hören, aber als sie den Kopf hob, schaute sie nur in fremde Gesichter. Dicht gedrängt standen die Leute im großen Speisesaal des Hotels Seestern, dessen Räume die hiesige Kirchengemeinde gemeinsam mit dem Frauenverein zu einer Volksküche umfunktioniert hatte. Ingeborg bemerkte eine Bewegung, die durch die Wartenden ging. Offenbar gab es eine kleine Rempelei am anderen Ende der Schlange. Keiner derjenigen, die sich so weit hinten hatten einreihen müssen, wollte der Letzte sein und riskieren, von der bevorstehenden Mahlzeit nichts mehr abzubekommen.

»Stillgestanden dahinten, verdammt noch eins! Wer sich danebenbenimmt, fliegt raus!« Die Küchenleiterin war erschienen. Breitbeinig stand sie im Türrahmen. Die Hände in die Hüften gestemmt, musterte sie die Wartenden. Im nächsten Moment drehte sie sich auch schon wieder um und marschierte in die Küche zurück. Ingeborg atmete auf. Wenn sie hier in der Volksküche jemanden fürchtete, dann war das die Küchenleiterin. Die Frau war ein richtiger alter Drachen, eine Giftnudel wie sie im Buche stand. Unter den Anwesenden breitete sich Stille aus. Schweigend, mit gesenkten Köpfen, standen die Hungernden von Westerland vor ihr, bereit, für einen Teller heiße Suppe nahezu jede Demütigung zu erdulden.

»Also, ihr habt es gehört – einer nach dem anderen, Leute.« Ingeborg hob die Stimme, damit sie auch wirklich bis ans andere Ende des Saales zu vernehmen war. »Wer drängelt, muss sich hinten wieder anstellen.« Ingeborg hob den Deckel von dem großen Emailletopf vor ihr. Es gefiel ihr nicht, in diesem Ton mit den Leuten reden zu müssen – aber es half nichts, wer hierherkam, um zu essen, musste sich an die Spielregeln halten. Es gehörte zu ihren Aufgaben, für Ordnung im Saal zu sorgen.

Ingeborg griff nach ihrer Schöpfkelle. Steckrübeneintopf, wieder einmal. Die Brühe war so dünn, dass man fast bis auf den Grund des Emailletopfes sehen konnte. Es machte keinen großen Spaß, hier zu stehen und wässrige Suppe zu verteilen – und dennoch konnte sie froh sein, diese Arbeit tun zu dürfen. Die warme Mahlzeit, die sie jeden Tag aus der Volksküche mit nach Hause nehmen durfte, sorgte dafür, dass sie wenigstens nicht hungern musste. Von dem bisschen, das ihr Café in Kampen noch abwarf, konnte sie schließlich nicht leben. Badegäste kamen seit Kriegsbeginn nicht mehr auf die Insel, Sylt war militärisches Sperrgebiet. Stattdessen benutzten nun die Herren Militärs das Café in Kampen als Unteroffizierskasino. Die lächerlich geringe Summe, die sie von der Reichswehrverwaltung als Ausgleich dafür einstreichen durfte, reichte vorne und hinten nicht.

Mit einem leisen Knacken rückte der Minutenzeiger der großen Standuhr am anderen Ende des Saales auf die Zwölf vor. Es war so weit – die Wartenden drängten vorwärts, das Schlurfen ihrer Schuhe hallte durch den Saal. Kaum dass Ingeborg ihre Suppenkelle in die heiße Brühe getunkt hatte, tauchte auch schon die erste leere Schüssel vor ihrer Nase auf.

»Fräulein – bitte.«

Eine ältere Frau schob ihren mitgebrachten Blechnapf über den Tisch. Ingeborg schwieg, aber sie wusste genau, was diese unaufdringlich vorgetragene Bitte zu bedeuten hatte. Die grauhaarige Alte auf der anderen Seite des Tisches, gekrümmt von der Last ihrer Jahre und in ziemlich fadenscheinige Lumpen gehüllt, bettelte um eine etwas großzügiger bemessene Portion, sie wollte mehr als den üblichen einmaligen Schlag aus dem Suppentopf. Ingeborg war nahe daran, den Kopf zu schütteln, brachte es aber nicht übers Herz, das zu tun. Sie hatte ihre Anweisungen, gleiches Recht für alle. Galt das auch für die Alte vor ihr, Haut und Knochen, die sie war? Ingeborg fasste zu, packte kurzentschlossen den Blechnapf der Alten und füllte ihn bis dicht unter den Rand. Jeder hier hatte bloß Anspruch auf eine Scheibe Brot, aber sie legte zwei Scheiben neben den Napf und drängte die Frau dann mit einer hastigen Kopfbewegung, weiterzugehen. Möglicherweise hungerte sie schon seit Tagen, denn sie wirkte wirklich abgemagert. Wahrscheinlich hatte sie viele Stunden draußen in der Kälte des Novembertages gefroren, um diesmal nur ja nicht die Letzte im Saal zu sein.

Ingeborg wandte sich gerade dem Nächsten zu, als eine ausgemergelte Gestalt weiter hinten in der Schlange den Hals reckte. Einer der Kriegsheimkehrer hob den Kopf, in seinen dunkel umschatteten Augen blitzte ein Funkeln. Er reckte die Hand in die Höhe und zeigte auf die Alte, die gerade mit ihrem Blechnapf an einem Tisch im Saal Platz genommen hatte. Der Mann machte einen Schritt vorwärts. »Was soll das da vorne? Was treibt ihr beiden Weiber da? Wieso hat die da zwei Scheiben Brot gekriegt? Für jeden nur eine Scheibe, sonst reicht es nicht für alle, verstanden?«

Ingeborg gab vor, nichts gehört zu haben. Mechanisch begann sie in dem großen Topf neben ihr zu rühren, tauchte ihre Suppenkelle ein und bediente die Wartenden. Vielleicht würde sich der Störenfried von alleine wieder beruhigen, wenn er sah, dass es weiterging und er seiner Mahlzeit näher kam.

»He, bist du taub?« Der Mann in Feldgrau schien nicht aufgeben zu wollen. Er humpelte auf seinen Krücken ein Stück auf Ingeborg zu. In seiner Stimme schwang ein Zischen mit, es klang, als hätte er Mühe mit dem Luftholen. Ingeborg hob den Kopf und musterte ihn so geringschätzig wie möglich. Seine Gesichtshaut schimmerte im einfallenden Licht des Wintertages bläulich – vielleicht hatte er von der Front außer einem zerschossenen Bein auch noch einen Lungenschaden nach Hause mitgebracht?

»Gib das Brot zurück!« Der Mann hatte sich abgewandt und drehte sich jetzt nach der Alten um, die tief über ihren Napf gebeugt an ihrem Platz saß.

»Hast du keinen Anstand im Leib? Den anderen das Essen wegfressen! Wir haben auch Hunger! Ich bin Frontsoldat, ich habe mein Leben riskiert für Leute wie dich!« Das Gesicht des Mannes war jetzt von Wut verzerrt, auf seiner hohen Stirn glänzte der Schweiß. Ingeborg spürte, wie ihr Herz zu klopfen begann. Die rechte Hand, mit der sie die Schöpfkelle hielt, zitterte. Sie musste den Fremden beruhigen. Wenn der so weitermachte, würde die Küchenleiterin auf das Spektakel aufmerksam werden, und dann stand Ärger ins Haus, auch für sie. Es durfte keinen Streit bei der Verteilung des Mittagessens geben. Alle hier waren gleich zu behandeln, das schärfte man ihnen immer wieder ein. Ingeborg überlegte, was sie tun konnte, aber es schien ihr genauso schwierig, gegen einen Kriegsversehrten vorzugehen wie gegen eine alte Frau. Sie senkte den Blick und arbeitete weiter. Hastig füllte sie Napf um Napf, jetzt peinlich darauf bedacht, niemanden mehr zu übervorteilen. Als sie Schritte nahen hörte, sah sie bewusst nicht auf, so lange nicht, bis der Kriegsversehrte mit der Spitze seiner Krücke auf das abgetretene Parkett stieß. Der plötzliche Lärm erschreckte sie. Sie hob den Kopf.

»Was ist los, seit ihr alle taub hier, oder was? Nehmen Sie der Alten endlich das Brot ab, oder …«

Ingeborg stellte ihre Arbeit ein. Sie konnte nicht mehr anders, sie musste jetzt für Ruhe sorgen. Die Frau mit dem schlohweißen Haar hockte zusammengekrümmt da und hielt mit vor Angst geweiteten Augen ihr letztes Stück Brot eisern umklammert. Im nächsten Moment machte der Mann in Grau einen Satz in ihre Richtung, aber bevor er die Greisin erreichte, waren plötzlich zwei jüngere Männer neben ihm und hielten ihn am Ärmel seines Mantels fest.

»Ganz ruhig, Kamerad!« Einer der beiden neu Hinzugekommenen legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Sei friedlich, und stell dich wieder hinten an. Du kriegst deinen Anteil, dafür musst du nicht auf andere losgehen. Reiß dich zusammen, hörst du?«

Um den Mund des Kriegsversehrten zuckte es. Er schien noch einmal rebellieren zu wollen, doch dann sackte er in sich zusammen. Er presste die Lippen aufeinander, sein ganzer Körper begann zu zittern. Langsam ließ er den Kopf sinken. Die beiden jüngeren Männer nahmen ihn in die Mitte und führten ihn in die Reihe der Wartenden zurück. Schweigend schaute Ingeborg zu, wie der Störenfried sich widerstandslos mitnehmen ließ. Einer der beiden Männer, die ihn zur Raison gebracht hatten, war es, der ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Ihr Blick folgte ihm, während sie mechanisch nach dem nächsten leeren Gefäß griff, das ihr unter die Nase gehalten wurde. Plötzlich drehte er sich noch einmal um und lächelte. Ingeborg stutzte. Das war doch Johannes – Johannes Lehmann stand ihr gegenüber, der Herr Doktor war zurück von der Front. Ingeborg strahlte, ihre Freude über das Wiedersehen war groß. Johannes war als Feldarzt in einem Lazarett an der Ostfront gewesen. Er hatte ihr von dort mehrfach geschrieben. Und jetzt war er wieder da, er hatte überlebt und war unverletzt. Er drehte sich noch einmal um und blinzelte ihr zu. Noch immer sah er gut aus, der Herr Doktor. Er war etwas dünner als vor dem Krieg, ein bisschen älter natürlich auch, aber das tat seiner ansonsten blendenden Erscheinung keinen Abbruch.

Ingeborg musterte Johannes aus dem Augenwinkel, während er langsam in der Schlange aufrückte. Ohne hinzuschauen, füllte sie einen Behälter nach dem anderen mit Suppe, bis die Reihe endlich an Dr. Lehmann war.

»Hallo, schöne Frau.« Johannes grinste. »Schön, Sie wiederzusehen. Geht es Ihnen gut?« Er ergriff ihre Hand, um sie flüchtig zu drücken, bevor er gleich darauf von ihr abließ, vermutlich, um nicht erneut einen Aufstand der Wartenden hinter ihm zu provozieren. Sie nickte, während sie den Blechnapf seines Essgeschirrs bis an den Rand füllte. »Ja, mir geht es gut, danke. Und Ihnen? Seit wann sind Sie wieder auf der Insel?«

»Seit gestern. Wann sind Sie hier fertig? Können wir irgendwo ungestört miteinander reden?«

»Um zwei Uhr bin ich fertig, dann darf ich gehen. Wenn Sie wollen, können Sie am Haupteingang auf mich warten. Ich komme dorthin.«

»In Ordnung. Ich werde da sein.« Johannes Lehmann lächelte noch einmal, bevor er seine Blechschüssel nahm und damit zu einem der freien Plätze im Saal ging. Mit klopfendem Herzen verfolgte Ingeborg ihn mit ihren Blicken. Er war also wieder auf der Insel, ihr Verehrer von ehedem. Johannes hatte den Krieg überlebt und war in Westerland. Bestimmt würde er seine Praxis wieder in Gang bringen und erneut sein altes Leben als Badearzt aufnehmen – sein altes Leben wieder aufnehmen, bedeutete das vielleicht auch, dass er noch einmal versuchen würde, sie Nicolai abspenstig zu machen? Damals, kurz vor ihrer Hochzeit, hatte er das versucht, doch es war ihm nicht gelungen, ihre Eheschließung mit Nicolai zu verhindern. Ingeborgs Liebe zu Nicolai war stärker gewesen, damals jedenfalls. Gleich nach ihrer Hochzeit hatte dann der Krieg begonnen, und der hatte so vieles durcheinander gebracht, was ihr im Sommer des Jahres 1914 zunächst noch unerschütterlich erschienen war. Nicolai war eingezogen und an die Westfront geschickt worden. Wahrscheinlich befand er sich noch immer dort. Seit Monaten hatte sie kein Lebenszeichen von ihm erhalten, sie wusste nicht, wie es um ihn stand. Johannes dagegen war jetzt zu Hause. Wenn sie ihn betrachtete, kam es ihr beinahe so vor, als hätte es keinen Krieg gegeben.

Die Küchenleiterin erschien auf der Türschwelle. Ingeborg wartete, bis der leere Suppentopf aus dem Saal gebracht und ein neuer hereingetragen worden war. Sie versuchte sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, aber ihre Blicke glitten unwillkürlich immer wieder hinüber zu Johannes, der mit dem Rücken zu ihr an einem der Tische nahe der Tür saß. Sie war eine verheiratete Frau, und der einzige Mann, an den sie denken durfte, war ihr eigener, egal, wie sehr ihr der Krieg mit seinen einsamen Nächten zugesetzt haben mochte. Der Herr Doktor gehörte nicht zu ihr, er gehörte zu niemandem, er war frei und ledig. Sie dagegen war Nicolais rechtmäßige Ehefrau. Sie hatte Johannes damals einen Korb gegeben. Jeder Gedanke an ihn war ihr jetzt verboten – und doch konnte sie nicht verhindern, dass sie an ihn dachte. Was würde geschehen, wenn Nicolai nicht von der Front zurückkehrte? Was würde aus ihr werden, wenn er zu den Vermissten oder Gefallenen dieses Krieges gehörte? Ihr ganzes Leben auf der Insel war auf Nicolai ausgerichtet, ihre gesamte Zukunft war mit seiner Existenz verknüpft. Alles hing an dem Café, das sie gemeinsam betrieben, und an dem Hotel, das aufzubauen sie sich vorgenommen hatten. Wenn Nicolai nicht zurückehrte, dann würde sie ganz alleine dastehen – ohne Vermögen und ohne Zukunftsaussichten, mit nichts als einer Hand voll enttäuschter Hoffnungen. Das Friesencafé in Kampen gehörte auf dem Papier ihrer Schwiegermutter, und auch für das Hotel am Roten Kliff, das die Familie kurz vor Kriegsausbruch gekauft hatte, war ihre Schwiegermutter als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen.

Ingeborg starrte hinunter auf ihre von der Küchenarbeit geröteten Hände. Wenn Nicolai nicht zurückkehrte, dann würde sie auf Almosen angewiesen sein – entweder auf die ihrer Schwiegereltern oder auf die ihrer Mutter, die in Glücksburg lebte. Solche Aussichten hoben ihre Stimmung nicht gerade. Bisher hatte sie es vermieden, über ihre Zukunft nachzudenken. Sie hatte sich eingeredet, dass Nicolai bestimmt demnächst nach Hause kommen würde, dass er bloß der Kriegswirren wegen noch nicht geschrieben hatte. Jetzt allerdings, da sie Johannes Lehmann leibhaftig vor sich gesehen hatte, schien ihr das alles unsicher. Von Nicolai gab es keine Spur, stattdessen war ein Mann aufgetaucht, der ihr nicht gleichgültig war. Johannes sah gut aus und war intelligent. Es fiel ihr nicht schwer, sich ihn an ihrer Seite vorzustellen – und sie wusste, dass er etwas für sie empfand. Als Johannes Lehmann im nächsten Moment den Kopf hob und sie ansah, lächelte sie. Was konnte so falsch daran sein, wenn eine Frau in ihrer Lage sich vorsichtshalber alle Möglichkeiten offen hielt?

 

Johannes Lehmann stand am Haupteingang des Hotels Seestern auf der Strandpromenade, einen glimmenden Zigarettenstummel in der Hand. Immer wieder wanderten seine Blicke hinüber zum Eingang. Der große Zeiger seiner Taschenuhr rückte unaufhaltsam auf die volle Stunde vor. Gleich war es zwei, gleich würde Ingeborg dort vorn aus dem Gebäude treten. War es richtig, dass er sich hinter dem Rücken ihres Ehemannes mit ihr traf? Er hatte ein Rendezvous mit ihr, hier am helllichten Tage mitten in Westerland, wo jeder jeden kannte und ihre Begegnung nicht unbemerkt bleiben würde. Unruhig wechselte er von einem Fuß auf den anderen. Schließlich warf er seine Kippe auf den Sandweg und trat die darin noch schwelende Glut mit der Stiefelspitze aus. An der Ostfront hatte er sich das Rauchen angewöhnt, aber er musste schleunigst wieder damit aufhören. Mit einer Zigarette in der Hand gab er ein schlechtes Beispiel für seine Patienten, denen er im Allgemeinen Enthaltsamkeit predigte, wenn es um Alkohol, üppige Mahlzeiten und Tabak ging.

Jetzt, endlich – die breite Tür des Hotels wurde von innen aufgestoßen. Nervös rückte Johannes Lehmann den Wollschal zurecht, den er sich vorhin beim Verlassen der Suppenküche nachlässig umgeworfen hatte. Wie erhofft war es Ingeborg, die auf den Stufen der Freitreppe stand und nach ihm Ausschau hielt. Sie hatte sich in den letzten Jahren kaum verändert – noch immer wirkte sie genauso zart und mädchenhaft wie damals, als sie einander auf dem Hauptbahnhof in Lübeck zum ersten Mal begegnet waren. Vielleicht ließ der kamelhaarfarbene Mantel sie so jung aussehen – das gute Stück schaute nach einem echten Vorkriegsmodell aus. Langsam verließ er seinen Platz auf der Strandpromenade. Er ging ihr entgegen, die Hände tief in die Taschen seines Mantels geschoben. Ingeborg hatte ihn schon entdeckt und erwartete ihn lächelnd. Warum hatte er diese Begegnung mit ihr unbedingt gewollt? Sie war eine verheiratete Frau, sie war unerreichbar für ihn – nichts deutete darauf hin, dass sich an ihrem Familienstand in absehbarer Zeit etwas verändern würde. Er hatte sich ganz bewusst trotzdem mit ihr verabredet, und zur Strafe musste er es jetzt eine Weile an der Seite seiner unerreichbaren Liebe aushalten. Er nickte ihr zu. »Hallo. Schön, dass Sie gekommen sind.« Johannes reichte ihr eine Hand, die sie ergriff und leicht drückte. Ihre tiefblauen Augen waren auf ihn gerichtet.

»Ich freue mich, dass Sie gesund und munter sind, Herr Doktor. Lassen Sie uns irgendwo hingehen, ja? An den Strand vielleicht – noch ist es hell.«

»Gern, wenn Sie möchten.« Er bot ihr seinen Arm. Nebeneinander liefen sie auf das Meer zu. Mit einem Mal schien es ihm albern, Sie zu Ingeborg zu sagen, schließlich kannte er diese Frau seit Jahren. Er schaute zu ihr hinunter und sah, wie der Wind nach ihrem Haar griff und damit spielte. »Es kommt vielleicht ein bisschen plötzlich, aber nach allem, was wir zwei durchgestanden haben, würde ich Ihnen gerne das Du anbieten, Ingeborg. Ist es Ihnen recht? Ich denke, wir können es wagen, uns nach all den Jahren zu duzen, oder?« Johannes warf Ingeborg einen fragenden Blick zu. Er wartete beinahe ängstlich auf Antwort, aber seine Furcht war unbegründet. Sie schien sich über das Angebot zu freuen.

»Von mir aus gern. Also dann, Johannes.«

»Ingeborg.«

Sie sah zu ihm auf. Er drückte behutsam ihren Arm. »Und? Wie geht es dir inzwischen? Was macht das Café? Kommst du über die Runden? Hast du alles, was du brauchst?« Er spürte, dass seine Fragen belanglos klangen, so seicht im Ton, als würden ihn die Antworten nicht wirklich interessieren. Er versuchte sich einzureden, dass es Freundschaft war, die ihn dazu trieb, sich nach ihrem Wohlergehen zu erkundigen, so wie er ihr aus reiner Freundschaft das Du angeboten hatte, aber er wusste genau, dass das nicht stimmte. Er liebte Ingeborg – er hatte das vor dem Krieg schon getan und damit in den dunklen Jahren an der Front, die hinter ihm lagen, nicht aufgehört. Wie oft hatte er des Abends vor dem Einschlafen an sie gedacht? Er hatte unter dem mit Sternen übersäten Himmelszelt gestanden und sich nach ihr gesehnt. Insgeheim war er davon überzeugt, dass sie zu ihm und nicht zu Nicolai Boysen gehörte. Und wenn er es auch nicht aussprach, so hoffte er doch immer noch, dass auch sie das eines Tages erkennen würde. In diesem Augenblick sah sie erneut zu ihm auf. Er erinnerte sich, ihr Fragen gestellt zu haben.

»Ach, wie soll es mir schon gehen?« Sie lächelte, aber ihr Gesicht wirkte ernst dabei. Es waren ihre Augen, in denen die Trauer lag, ihr Gesichtsausdruck strafte den leichten Ton in ihrer Stimme Lügen. Sie schaute weg. »Mir geht es wie allen anderen hier. Wir haben Hunger, und wir frieren, und was als Nächstes kommt, weiß keiner. Der Badebetrieb auf der Insel liegt brach. Wann es wieder aufwärts geht, kann niemand sagen. Ich habe keine Einnahmen aus dem Café und halte mich mit Hilfsarbeiten über Wasser. So geht es mir.«

»Das wird wieder besser, glaube mir. Jetzt im Frieden wird sich das Land erholen, davon bin ich überzeugt.« Behutsam drückte er Ingeborgs Hand, doch sie reagierte nicht darauf.

»Da bin ich mir nicht sicher. Die Leute haben einfach kein Geld. Von denen denkt keiner daran, Urlaub zu machen. Ich glaube, es wird auf der Insel noch eine ganze Weile schwierig bleiben. Schau dich doch um – das Kurmittelhaus ist von den Militärs ruiniert, die Strände sind vermint. Wer kommt denn schon freiwillig hierher, um sich zu erholen?«

»Im Augenblick ist die Insel in einem schlechten Zustand, das stimmt. Aber wie ich die Menschen hier kenne, werden die schon bald die Ärmel hochkrempeln und die Spuren des Krieges beseitigen. Sylt ist schön, daran hat sich nichts geändert.« Johannes blieb stehen. Er hatte das Gefühl, dass Ingeborg ihm nicht zuhörte. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet. Sie stand neben ihm, aber sie wirkte geistesabwesend. Er war versucht, sie in den Arm zu nehmen und an sich zu drücken, er hätte sie gern aus ihrer Niedergeschlagenheit erlöst und getröstet. Sie hatten einander nötig, das fühlte er – sie war genauso einsam wie er. Er sehnte sich nach der Wärme ihres Körpers, dem Duft ihrer Haut. Warum wollte er ausgerechnet haben, was unerreichbar und ihm obendrein verboten war? War unerfüllte Sehnsucht alles, was die Liebe zu bieten hatte?

»Ingeborg?« Er beugte sich zu ihr hinüber, doch sie nahm ihn gar nicht wahr. »Woran denkst du? Machst du dir Sorgen um deinen Mann?«

Sie schüttelte den Kopf. »Es ist alles so unsicher, Johannes. Ich frage mich, was aus mir werden soll. Weißt du, manchmal glaube ich, ich habe alles falsch gemacht. Ich hätte mir mit meiner Heirat mehr Zeit lassen sollen. Du hast mich damals gewarnt, und du hattest Recht. Ich hätte nicht so vorschnell alles auf eine Karte setzen sollen.« Sie schlug die Augen nieder. »Aber jetzt ist es zu spät. Jetzt muss ich zusehen, wie ich zurechtkomme – mit dem Café und dem Hotel, mit meinem Leben auf der Insel, auf der ich eine Fremde bin.«

Johannes schwieg einen Moment. Sollte er ihr sagen, dass er die Zweifel an ihrer Entscheidung von damals teilte? Würde sie das nicht nur noch mehr deprimieren? Vielleicht war es besser, ihr vorerst den Rücken zu stärken, sie zu ermuntern, damit sich ihre Stimmung hob. Er nickte ihr zu. »Hör mal, das schaffst du doch. Wenn jemand sein Leben im Griff hat, dann bist du das, glaube mir.«

Er schaute zu ihr hinab, sah hinunter auf den seidig schimmernden Kranz ihrer blonden Haare, die ihr schmales, blasses Gesicht umrahmten. Wenn sie jetzt den Blick gehoben hätte, dann hätte er versuchen können, sie zu küssen, aber sie schaute zu Boden und rührte sich nicht.

»Komm, es ist kalt. Du wirst dich erkälten. Ich bringe dich nach Hause.« Er drückte noch einmal sacht ihren Arm. Sie wirkte so niedergeschlagen und zerbrechlich, dass er nicht wagte, sie jetzt fester zu berühren. Sanft schob er sie vor sich her, fort vom Strand und auf die Straße zu, die nach Norden führte. Es war dumm, diese Situation nicht auszunutzen, das wusste er. Er hasste sich dafür, so feige zu sein.

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Kapitel 2

Da gehn Se jetzt man besser nich rin.« Der Mann, der Luise entgegenkam, deutete mit einem Kopfnicken auf die geschlossene Tür der Polizeiwache hinter ihm. Luise setzte das Kind, das sie bis eben auf dem Arm hatte, erschöpft auf einer der Stufen der Freitreppe vor dem Portal ab. »Nicht reingehen? Aber warum denn nicht?«

»Da drinnen tobt die Revolution, Gnädigste.« Ihr Gegenüber zeigte ein Lächeln, das in seinem eckigen Gesicht seltsam künstlich wirkte. Der Mann trug die typische Kleidung eines Berliner Bierkutschers – Lederschürze, derbe Hosen aus Drillich und dazu eine dunkle Schirmmütze auf dem rötlich schimmernden Haar. »Die Obrigkeit löst sich jerade in Wohljefallen uff, wenn Se verstehn, wat ick meene.« Der Mann tippte mit dem Zeigefinger der rechten Hand an den Schirm seiner Mütze und lief dann ohne ein weiteres Wort die Treppe hinunter, die Luise eben hinaufgestiegen war. Sie sah ihm nach. Die Revolution tobte da drinnen? Was mochte das zu bedeuten haben? Zuletzt war Luise der Revolution auf dem Bahnhof Spandau begegnet, wo ihr die Kugeln einer Gewehrsalve um die Ohren geflogen waren. Wurde auf einem preußischen Polizeirevier jetzt etwa auch geschossen? War den Sozis und ihren Spießgesellen denn gar nichts heilig? Luise sah zu dem breiten Portal hoch, doch die Doppeltür aus Eichenholz war fest geschlossen. Sie griff nach Antonies Hand und führte das Kind ein paar Stufen weiter hinauf. Welcher Revolutionär würde es wagen, mit Waffengewalt ein Berliner Polizeirevier zu stürmen?

Auf dem oberen Treppenabsatz angekommen, blieb Luise stehen und legte das Ohr an die Tür. Nichts. Sie warf einen letzten zweifelnden Blick auf das kleine Mädchen an ihrer Hand, dann stieß sie die Tür zur Wache auf. Sie brauchte Hilfe, allein würde sie Antonies Vater nicht finden. Ein Schutzmann würde sich der Sache annehmen müssen, sie war damit überfordert. Luise hatte alles versucht, um Tonys Kinderfräulein wiederzufinden. Eine geschlagene Stunde war sie mit dem Mädchen ergebnislos auf dem Vorplatz des Lehrter Bahnhofs herumgeirrt – so lange, bis die Kleine, die von der Reise müde war, zu weinen begonnen hatte. Das Fräulein Bromberg war nicht aufgetaucht, die war verschwunden. Anscheinend hatte sie die Gelegenheit doch genutzt, um sich abzusetzen, auch wenn Luise nicht wusste, wozu diese kopflose Flucht eines Kindermädchens in eine Großstadt, die sich offenbar außer Rand und Band befand, gut sein sollte. Luise selbst jedenfalls war am Ende mit ihrem Latein. Seit vielen Jahren hatte sie sich nicht mehr mit kleinen Kindern beschäftigen müssen. Ihre einzige Tochter war seit langem erwachsen und lebte als verheiratete Frau außer Haus. Das Zusammensein mit der kleinen Antonie, die ganz reizend aussah, aber auf Dauer auch anstrengend war, überforderte sie. Und überhaupt, hatte sie denn nicht schon genug mitgemacht auf der Reise hierher? Sie musste jetzt zu Hedwig, und das möglichst schnell. Es gab nur eine Lösung. Sie würde Tony der Polizei übergeben, damit die sich um das Kind kümmerten.

Fest entschlossen, die Dinge von jetzt an einer höheren Instanz zu überlassen, betrat Luise den dunklen Flur hinter dem Portal. In der Halle befand sich eine Portierloge, aber die war nicht besetzt. Luise musterte die imposante Treppe aus dunklem Holz, die in das obere Stockwerk führte. Wohin sollte sie sich wenden? Antonie begann zu quengeln. Sie wollte auf Luises Arm. Luise bückte sich, um das Kind aufzunehmen, als plötzlich eine Tür im Erdgeschoss aufgestoßen wurde. Mehrere Männer traten hinaus, alle in Uniform und mit hoch über den Köpfen erhobenen Händen. Staunend schaute Luise zu, wie die Uniformierten im Gleichschritt an ihr vorüberzogen, ohne dass einer von ihnen sie auch nur eines Blickes gewürdigt hätte. Gestandene Männer kamen auf sie zu, lauter preußische Beamte, ehrfurchtgebietende Autoritäten – einer nach dem anderen verließ schweigend und mit gesenktem Haupt das Gebäude. Ohne die kleinste Andeutung von Protest ließen die Schutzmänner sich abführen, als wären sie Verbrecher. Den Uniformierten folgten zwei verwegen wirkende Gestalten mit Pistolen. Lässig hielten sie ihre Waffen im Anschlag, die sie auf die Männer vor ihnen gerichtet hatten. Einer der beiden Bewaffneten trug einen Matrosenanzug; goldfarben blitzten in Zweierreihen die Knöpfe auf seiner Jacke aus blauem Tuch. Luise fragte sich im Stillen, warum es den Knaben mit dem zarten, bartlosen Gesicht hierher nach Berlin verschlagen haben mochte, aber sie wagte nicht, ihm diese Frage laut zu stellen, zumal ihr die Antwort wahrscheinlich auch nicht weitergeholfen hätte. Die roten Armbinden der beiden Bewaffneten machten sie als Revolutionäre kenntlich – da schien es ratsam, ihnen nicht in die Quere zu kommen. Den grimmigen Gesichtsausdruck, den beide zur Schau trugen, sah Luise als ausreichenden Beweis ihrer Gefährlichkeit an. Um der ihr entgegenkommenden Prozession auszuweichen, trat sie einen Schritt nach hinten. Beinahe wäre sie dabei über ihre Reisetasche gestolpert, die sie auf dem Fußboden abgestellt hatte. Erschrocken über das Geräusch, das die über den steinernen Boden scharrende Tasche verursachte, sah Luise auf. Der Blick des jüngeren Waffenträgers fiel auf sie – ein ärgerlicher Blick, wie es schien.

»Raus.«

Die Hand des Matrosen deutete erst auf sie, dann auf das Hauptportal, hinter dessen Schwelle die Uniformierten bereits verschwunden waren. Luise schüttelte sacht den Kopf. Sie wollte widersprechen, doch der junge Mann hob drohend seine Waffe und deutete damit ein weiteres Mal auf die Tür.

»Raus hier, habe ich gesagt! Auf diesem Revier passiert heute nichts mehr! Die Wache ist geschlossen!«

Die Stimme des jungen Mannes hallte durch das Treppenhaus. Sie schien sich an den hohen Stuckdecken zu brechen und von dort als Echo hundertfach zurückgeworfen zu werden. Luise sah, wie sich das Gesicht des Matrosen rötete, und da sie es nicht riskieren wollte, den revolutionären Jüngling durch ihren Widerstand zu reizen, nahm sie Tony und ihre Reisetasche und folgte den Polizisten hinaus ins Freie. Draußen vor dem Polizeirevier hatte sich mittlerweile eine Menschenmenge versammelt. Offenbar hatte sich herumgesprochen, dass es hier an der Wache etwas zu sehen gab. Eine gespannte Atmosphäre lag über dem runden Platz vor dem Gebäude, die Augen aller Anwesenden waren auf die Bewaffneten gerichtet, die sich gemeinsam mit den scheinbar ratlos dastehenden Polizeibeamten auf dem Treppenabsatz vor dem Portal aufgestellt hatten. Der ältere der beiden Revolutionäre hob die Hände und brachte die Menge vor ihm so zum Schweigen. Erschrocken über die plötzliche Stille, trat Luise einen Schritt zurück. Sie drängte sich mit Tony an den äußersten Rand der schmalen Empore und blieb dort stehen.

»Bürger und Bürgerinnen Berlins! Der Kaiser hat abgedankt! Es regiert das Volk. Ihr seid dabei, wenn die erste Volksregierung auf deutschem Boden errichtet wird!« Der Mann hielt seine Pistole in die Luft. Im ersten Moment befürchtete Luise, er werde einen Schuss abgeben, doch dann ließ er den Arm wieder sinken, ohne dass etwas passiert war. »Wir fordern: Freiheit für die politischen Gefangenen! Freie Wahlen zu einer dem Volk unterworfenen Reichsregierung! Abschaffung der Monarchie! Das gleiche Wahlrecht für alle!«

Draußen auf dem Platz rührten sich die ersten Hände, es wurde geklatscht. Rote Fahnen flatterten über den Köpfen der Menge im Wind.

»Nieder mit der Monarchie! Es lebe die Freiheit!« Diesmal war es der Matrose, der das Wort ergriffen hatte. Beide Hände trichterförmig um den Mund gehalten, schrie er seine Botschaft auf den Platz hinaus. Wieder wurde geklatscht, wieder wurden Fahnen geschwenkt.

Luise machte vorsichtig einen Schritt zur Seite. An die Mauer des Gebäudes hinter ihr gepresst, stieg sie so langsam wie möglich die Treppe vor dem Polizeirevier hinunter. Zum Glück folgte Tony ihr, und zum Glück verhielt sie sich still dabei. Mit großen Augen, den Daumen im Mund, klammerte sie sich an Luise. Draußen auf dem Platz begann die wogende Menge unterdessen Parolen zu skandieren.

»Es lebe die Republik!«

Der Ruf, der sich in der Menge bildete, wurde lauter, er ging von Mund zu Mund, während Luise behutsam die restlichen Stufen vor der Polizeiwache hinunterstieg.

»Es lebe die Republik!«

Wieder erklang der Ruf aus tausenden von Kehlen, diesmal begleitet von einem donnernden Applaus. Luise atmete auf, sie hatte den Platz vor dem Polizeirevier erreicht. Sie war erschöpft, sie musste sich ausruhen, aber wo sollte sie sich hier hinsetzen? Inmitten dieses Hexenkessels schien es keinen Ort zu geben, an den man sich zurückziehen konnte. Die Menge, die mittlerweile vor der Wache am Brandenburger Tor zusammengeströmt war, war riesengroß und unübersehbar. Luise fühlte sich bedrängt – sie musste fort von hier. Solche Menschenmassen waren ihr nicht geheuer. Sie wollte den Platz verlassen, aber sollte sie sich ohne fremde Hilfe aus diesem Trubel einen Weg in die Freiheit bahnen?

Luise drehte sich um und schaute zum Eingang des Polizeigebäudes zurück. Die Polizeibeamten standen immer noch reglos dort oben, doch der revolutionäre Eifer der Massen schien sie nicht länger unbeeindruckt zu lassen. Luise beobachtete, wie der Erste der Polizisten nach einem seiner Schulterstücke griff und es mit einem Ruck entfernte. Triumphierend hielt er seine Schulterklappe, die ihn als Staatsdiener auswies, in die Höhe. Die Menge unter ihm johlte und klatschte, während der Mann nach und nach alle Rangabzeichen seiner Uniform von dem dunklen Stoff herunterriss.

Luise wandte sich ab. Was hier vor sich ging, war ihr unheimlich. Früher oder später würde das Militär erscheinen und für Ordnung sorgen, schließlich war Berlin eine Garnisonsstadt für etliche als besonders kaisertreu geltende Garderegimenter. Wenn die Soldaten kamen, würde es ein Gemetzel geben, da musste sie nicht dabei sein.

»Komm, Liebes, komm.« Luise drängte sich mit Tony durch die Reihen der Umstehenden. Ängstlich darauf bedacht, die Kleine nicht zu verlieren, schob sie sich mit ihr durch das Gewühl. Sie musste nach Osten in die Petristraße, doch wo war Osten? Hedwig besaß in einer schmalen Gasse hinter dem Stadtschloss eine eigene Wohnung. Obwohl diese kleine Dachwohnung in all den Jahren als Palastdame der Kaiserin nicht notwendig gewesen war, hatte Hedwig sie doch nie aufgegeben. Früher hatte Hedwig die meiste Zeit in Potsdam verbracht, jetzt empfand sie es sicher als Vorteil, sich in die Petristraße zurückziehen zu können, während in Potsdam die Revolution tobte. Wie unglaublich stolz war Hedwig jahrelang darauf gewesen, zur unmittelbaren Entourage der Kaiserin gehören zu dürfen. Welchen Einschränkungen hatte sie sich ein halbes Leben lang unterworfen, um sich mit dem Titel der Hofdame schmücken zu dürfen. Und nun das – ein verlorener Krieg, eine Volkserhebung, und alles, wofür Kusine Hedwig gelebt hatte, war wie ausgelöscht. Nur gut, dass sie jetzt nicht hier draußen war und mit ansehen musste, wie Preußens Glanz und Gloria den Bach runterging.

»Scheidemann spricht! Zum Reichstag rüber! Scheidemann spricht zum Volk!« Ein Ruf ging durch die Menge, er wurde von einem zum anderen weitergegeben wie eine kostbare Sensation, die ihresgleichen sucht. Und schon formierten sich die Massen neu, das Spektakel vor dem Polizeirevier schien nicht länger spannend zu sein. Alles drängte fort und wandte sich dem Reichstag zu. Luise spürte, wie die wogende Menschenmenge um sie herum in Bewegung geriet. Sie wurde geschoben und bedrängt, gestoßen und getreten. Eilig zog sie Antonie an sich und nahm sie auf den Arm. Dem Kind durfte um Gottes willen nichts passieren. Irgendwer neben ihr versetzte ihrer Reisetasche einen Stoß. Polternd fiel das Gepäckstück zu Boden. Luise wollte stehen bleiben und es aufheben, aber in dem Gedränge um sie herum konnte sie sich nicht bücken, ohne das Risiko einzugehen, dass man sie umwarf. Luise wurde weitergeschoben, sie musste folgen, die Masse strebte dem Reichstag entgegen. Plötzlich näherte sich von hinten wild hupend ein Lastkraftwagen. Luise entkam seinen Rädern im letzten Moment mit einem Satz zur Seite. Der Wagen raste weiter. Auf der Ladefläche des Automobils standen ein Dutzend Männer, die rote Fahnen schwenkten. Einer von ihnen reckte im Vorbeifahren ein Plakat mit der Aufschrift Es lebe die Republik in die Höhe.

Antonie hatte anscheinend Angst, sie schluchzte und begann zu weinen. Kein Wunder, bei dem Lärm und den vielen Menschen um sie herum musste das Kind ja nervös werden. Die Kleine war bestimmt hungrig und durstig nach all den Strapazen, die sie hinter sich hatte. Luise versuchte Tony zu beruhigen, indem sie das Hütchen aus dunklem Filz gerade rückte, das sie trug.

»Wir sind gleich da, gleich kannst du dich ausruhen, liebes Kind.« Luise lächelte und schob Tony den Daumen zurück in den Mund. In diesem Moment bemerkte sie, das sie jemand am Ärmel ihres Mantels zupfte.

»Lassen Se mir ma das Kind, Gnädigste. Ick trag Ihnen die Kleene ein Stück.« Ein Unbekannter neben ihr streckte die Arme nach Antonie aus, doch Luise umschlang das Mädchen nur noch fester. Das Kind konnte sie nicht hergeben, obwohl der Fremde in seinem mausgrauen Mantel nicht unsympathisch wirkte. Hinter seinen dicken Brillengläsern funkelten Augen, in denen Anteilnahme zu erkennen war. Trotzdem schüttelte Luise den Kopf. Antonie in diesem Durcheinander zu verlieren, war ihre größte Sorge. Um nicht unhöflich zu erscheinen, lächelte sie. »Danke, das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, aber ich schaffe das schon. Die Kleine ist nicht schwer.«

»Nicht schwer? Verzeihn Se, Gnädigste, aber Ihnen steht der Schweiß doch schon uff der Stirne. Und das Mädchen muss ins Bette, würde ick sagen, die hat Fieber, wenn Se mir fragen. Wo wohnen Se denn? Is det noch weit von hier?«

Ohne zu antworten, hob Luise den Blick und musterte eilig Tonys Gesicht. Das Mädchen sah unwohl aus, das stimmte wirklich. Antonie wirkte blass und verstört, aber die Gesichtsfarbe war es nicht allein, die Luise Sorgen machte. Ihre Augen glänzten, sie hatten diesen seltsam unirdischen Schimmer, den ein hohes Fieber bei kleinen Kindern verursacht. Antonies Anblick erinnerte Luise an Ingeborgs letzte schwere Krankheit, an das entsetzliche Lungenfieber, das ihre Tochter mit vierzehn Jahren gehabt hatte. Es hatte genauso begonnen, mit einem blassen, fiebrigen Kind, das nur noch geweint hatte. Luise schluckte. Sie fühlte, dass ihre Hände zitterten und sie augenblicklich keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen konnte.

»Wo ist denn der Herr Jemahl, wenn ick fragen darf? Hamse den im Jewühl verloren, wa?« Der Unbekannte im grauen Mantel neben ihr schaute sich um, als könnte er tatsächlich erwarten, Luises bessere Hälfte hier in dem Durcheinander irgendwo zu entdecken.

»Mein Mann? Ich habe keinen mehr. Ich bin Witwe.« Luise hörte ihre eigene Stimme und bemerkte im gleichen Moment, dass sie Unsinn redete. Was tat denn ihr Familienstand zur Sache, jetzt, wo die Kleine in ihren Armen fieberte? In ihrem Alter hatte man offensichtlich kein kleines Kind mehr, da spielten ihre Familienverhältnisse keine Rolle.

»Der verdammte Krieg, was? Na, dann lassen Se mir man machen. Wo wohnen Se denn, Gnädigste, wenn ick fragen darf?«

»Petristraße. Wir müssen in die Petristraße.«

»Denn man nix wie hin. Auf ins Jefecht, wie die Gardeleutnants immer zu sagen pflegen.« Der Fremde neben Luise lächelte aufmunternd. Zögernd erwiderte Luise sein Lächeln. Vielleicht konnte dieses Berliner Urgestein ihr tatsächlich helfen. Der Mann beugte sich vor, breitete beide Arme aus und stieß sie gleich darauf wieder von sich. Es sah aus, als wollte er sich durch die Menge hindurchschaufeln. Seine Stimme erklang voll und wohltönend. »Platz da, Jenossen, wir haben einen Notfall, macht Platz für Muttern und Kind!« Der Fremde wandte sich nach rechts und schob seitwärts davon. Im ersten Moment sah Luise ihm nur zu. Zweifelnd beobachtete sie, wie er sich abmühte, um ihr einen Weg durch die sie umgebende Menschenmasse zu bahnen. Ängstlich drückte sie das Kind an sich. Wie heiß Tony war! Ihre Haut schien zu glühen. Der Kopf der Kleinen war nach vorne gerutscht, das Mädchen war an ihrer Schulter eingeschlafen.

»Platz da, Jenossen, habt ein Herz für Mutter und Kind, wir müssen hier durch, Platz da, bitte!« Der Unbekannte schob, und Luise schloss sich ihm an. Langsam, Schritt für Schritt, rückten sie vorwärts, Zentimeter um Zentimeter ging es im Gänsemarsch weiter. Immer wieder erklang der Ruf ihres Begleiters, immer wieder appellierte der Unbekannte an das Herz seiner Mitmenschen, die auch tatsächlich ein Stück beiseite rückten und nach und nach eine Gasse bildeten. Sie bahnten sich zu dritt einen Weg, schrittweise kamen sie dem Brandenburger Tor immer näher. Obwohl Luises das Gefühl hatte, unter Antonies Gewicht jeden Augenblick zu stolpern und zu fallen, spürte sie doch eine gewisse Erleichterung. Sie würde es schaffen, hier herauszukommen, sie würde die Petristraße erreichen und bei Hedwig in Sicherheit sein. Dort würde sie das Fieber der Kleinen auskurieren und dann in aller Ruhe deren Vater suchen. Alles würde sich finden, die Dinge würden sich fügen.

Luise drückte ihre Lippen auf die schweißnasse Stirn der Kleinen. Arme kleine Tony. Plötzlich fiel ihr ein, was das verschollene Fräulein Bromberg im Zug über den Tod von Antonies Mutter gesagt hatte. Die spanische Grippe, Tonys Mutter war an der spanischen Grippe gestorben. Luise erschrak. Diese Krankheit war gefährlich und grausam, es gab so gut wie kein Entkommen, wenn sie zuschlug. Sie schluckte. Hatte Antonie sich etwa bei ihrer Mutter angesteckt? Luise spürte, wie sich ihr Herzschlag abrupt beschleunigte. Bestand eine echte Gefahr, oder war das Kind einfach nur übermüdet und erschöpft?

Der Fremde vor Luise schritt weiter aus, unermüdlich bahnte er ihr den Weg. Luise folgte ihm, aber sie war verunsichert. Durfte sie Hedwig überhaupt aufsuchen, jetzt, da sie das vielleicht sterbenskranke Kind bei sich hatte? Sie seufzte. Warum nur wurde diese ganze Reise zu einer solchen Tortur für sie? Wie sollte das bloß alles weitergehen?

 

»Lisa!«

Ingeborgs Stimme hallte durch das leere Haus, aber ihr Ruf verhallte anscheinend ungehört. Vermutlich war das Mädchen mal wieder nicht da. Immer öfter trieb sie sich mit Morten Petersen herum, dem Jungknecht vom Hof Ehlers nebenan. Morten war einer der wenigen Männer, die man weder zur Inselwache, die auf der Insel Küstenschutz betrieb, noch zur Front eingezogen hatte. Morten hinkte nämlich, sein rechtes Bein war kürzer als das linke. Lisa störte das nicht, sie schwärmte heftig für ihn. Seit ein paar Wochen trieb sie sich ständig mit ihm herum – wo Morten war, war Lisa nicht weit. Offenbar hielt sie es für höchste Zeit, sich an einen Mann zu binden, schließlich war sie in diesem Sommer dreiundzwanzig geworden. Weil der Krieg fast alle heiratsfähigen Männer in ihrem Alter in die Schützengräben schickte, machte Lisa sich Sorgen – sie befürchtete, als alte Jungfer zu enden. Ein spätes Mädchen wollte sie nicht werden, das hatte sie mehrfach lautstark verkündet. Dann lieber den Jungknecht Morten zum Ehemann nehmen, der zwar nicht wohlhabend und auch nicht gut aussehend war, bei dem es sich aber zweifellos um einen richtigen Mann handelte.

Ingeborg hängte ihren Mantel an den Haken und blickte sich um. Wie es hier in der Diele wieder ausschaute! Es war nicht zu übersehen, dass Lisa ihre Pflichten vernachlässigte. Ingeborg bückte sich nach einem Holzbecher, der auf dem Fußboden lag. Seufzend griff sie nach ihrem Taschentuch, um einen Fleck von den Dielenbrettern zu reiben, den die aus dem Becher gelaufene Flüssigkeit auf dem Holz hinterlassen hatte. Dass das hiesige Reichswehrkommando ausgerechnet ihr Friesencafé zum Unteroffizierskasino gemacht hatte, störte sie sehr. Zu verdienen war kaum etwas an den Militärs, dafür waren die Verpflegungssätze der Armee viel zu niedrig. Außerdem legten die Herren Offiziere jetzt gegen Ende des Krieges auf gutes Benehmen nicht mehr viel Wert. Nichts half gegen ihren zunehmenden Vandalismus. Hölzerne Becher hatte Ingeborg ausgeben lassen, weil ihr die Militärs bei ihren nächtlichen Gelagen schon so viele ihrer guten Gläser zerschlagen hatten. Bestecke waren verschwunden, die Tapeten in der Gaststube hatten Flecken. Wenn der Krieg endlich zu Ende war, würde sie eine neue Einrichtung für das Café kaufen müssen – es fragte sich nur, wovon. Die Summen, die als Entschädigung an Zivilisten bezahlt wurden, waren lächerlich.