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Jürgen Fohrmann arbeitet als Hauer unter Tage. Im Zuge der ersten Zechenkrise verliert er seine Arbeit. Zunächst wird er Hilfsarbeiter, erhält aber schon bald eine Anstellung in einem automatisierten Betrieb der Elektroindustrie. Zuerst ist der ehemalige Grubenarbeiter froh, dem dreckigen Kohlenstaub entronnen zu sein, feiert seinen vermeintlichen sozialen Aufstieg. Doch schnell merkt er, dass das Tragen eines weißen Kittels nur scheinbar besser ist als die beschwerliche Arbeit auf der Zeche. Denn auch hier fühlt er sich von Arbeitgebern und Betriebsräten verraten und oft genug auch für dumm verkauft. Mit "Irrlicht und Feuer" gelang Max von der Grün endgültig der Durchbruch als Schriftsteller. Sein zweiter Roman bescherte ihm wütende Proteste von Arbeitgebern und harsche Kritik von Seiten der Gewerkschaft. Er wurde auf der Zeche entlassen und man versuchte Teile des Romans gerichtlich zu verbieten, allerdings ohne Erfolg.Max von der Grüns Kritik an den Zuständen der modernen industrialisierten Leistungsgesellschaft hat auch heute nichts von seiner Relevanz eingebüßt. Der Band enthält zusätzlich die Texte "Acht Jahre später", "Bewegungsfreiheit" und ein ausführliches Interview mit Heinz-Ludwig Arnold.
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Seitenzahl: 551
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Max von der Grün – Werkausgabe Band II Herausgegeben von Günther Butkus
Max von der Grün
Roman
Mit weiteren Texten von Max von der Grün
und einem Nachwort von Heinz-Ludwig Arnold
PENDRAGON
Wir danken für die Förderung dieses Projektes der Kunststiftung NRW
Unsere Bücher im Internet:
www.pendragon.de
Veröffentlicht im Pendragon Verlag
Günther Butkus, Bielefeld 2010
© by Pendragon Verlag Bielefeld 2010
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Meret Lange, Martine Legrand-Stork
Umschlag & Herstellung: Uta Zeißler (www.muito.de)
Gesetzt aus der Adobe Garamond
eISBN: 978-3-86532-286-9
Irrlicht und Feuer
Stephan Reinhardt »Wenn es Dir nicht passt, kannst Du ja gehen – in die DDR.«
Max von der Grün Bewegungsfreiheit ist nicht Freiheit
Max von der Grün Und 1978, acht Jahre später
Drei Leserbriefe
Max von der Grün Auch eine Form von Literaturkritik. Ein Dossier
Max von der Grün, Wenn der Abend kommt
Heinz Ludwig Arnold Gespräch mit Max von der Grün
Nachwort von Heinz-Ludwig Arnold
Editorische Notiz
Die Nacht war klar und kalt. Meine Schicht begann seit Monaten um 24 Uhr. Wie ich sie hasste, diese Zeit und die Schicht.
Täglich, ob Sommer oder Winter, musste ich vier Kilometer an den Betriebsgeleisen entlang. Wie ich sie hasste, diese Zeit! Um Mitternacht drängt das Verborgene an die Oberfläche. Wer mitternachts zur Arbeit fährt, sieht die andere Seite des Lebens.
Ich hatte es eilig. Zwanzig Minuten vor 24 Uhr, ein Drittel des Wegs noch vor mir.
Da trat plötzlich eine Gestalt aus dem Schatten des Bahndammes, stellte sich vor mein Rad. Instinktiv fühlte ich meine rechte Hosentasche ab, wo ich seit jener Nacht, kurz nach dem Kriege, ein Messer trage. Als ich abgestiegen war und die Wolken die volle Scheibe des Mondes freigaben, sah ich, dass es eine Frau war.
Was machen Sie hier?, fragte ich schreckheiser.
Sie fasste meine Lenkstange und sagte: Mein Mann hat mich rausgeschmissen.
Streit gehabt?
Ach, wie man’s nimmt. Immer wenn er betrunken ist, will er mir den Hals umdrehen. Manchmal schlägt er mich, meistens laufe ich fort.
Ich muss weiter, sonst versäume ich meine Schicht, dachte ich.
Wird nicht so schlimm sein, antwortete ich, denn dergleichen Dinge waren mir aus meiner Nachbarschaft bekannt. In einer Siedlung hört man die Flöhe husten. Und dann dachte ich: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
Er wird sich beruhigt haben, sagte ich. Gehen Sie doch nach Hause, Sie holen sich hier den Tod.
Ich bemerkte ihre Pumps, die für alles andere, nur nicht für dieses Wetter geeignet waren.
Ich habe Angst, sagte sie leise, Angst vor den Schlägen.
Ich muss weiter, sonst versäume ich meine Schicht, dachte ich.
Wollen Sie nicht mit mir gehen?, fragte sie.
Aber ich kenne Sie doch gar nicht, sagte ich.
Ihre Hand strich über das kalte Chrom der Lenkstange: Ist das jetzt so wichtig?
Was soll ich bei Ihnen, ich kann doch nicht helfen. Und dann, Ihr Mann denkt wer weiß was, wenn er uns kommen sieht. Alles wird nur noch schlimmer.
Sie sollen auch nicht mit zu mir.
Ich muss weiter, sonst versäume ich meine Schicht, dachte ich.
Das geht nicht!, rief ich. Meine Ungeduld war gewachsen.
Ich schob ihre Hand von der Lenkstange.
Nur diese Nacht, bettelte sie, nicht morgen, da muss ich zu Hause sein, die Kinder müssen um acht in die Schule. Nur diese Nacht, bitte.
Ich muss weiter, sonst versäume ich meine Schicht, dachte ich.
Wir gehen den Weg zurück, den Sie gekommen sind, sagte sie wieder, am Stadtrand kehren wir um, laufen bis hierher, dann ist der Morgen da.
Woher wissen Sie das so genau?
Ich laufe hier oft, fast jede Freitagnacht, wenn mein Mann Geld bekommen hat und mich in seinem Suff schlägt oder hinauswirft, oder wenn ich von selbst weglaufe, fast jede Freitagnacht.
Ich muss weiter, sonst versäume ich meine Schicht, dachte ich.
Im Sommer ist das nicht so schlimm, aber im Winter … im Winter.
Ich habe Sie nie bemerkt, sagte ich, und ich fahre doch seit bald einem Jahr diesen Weg zur Zeche.
Das stimmt. Wenn ich Sie kommen sah, versteckte ich mich im Graben oder hinter den Sträuchern auf der Böschung.
Die Kirchuhr schlug zwölf. Zwölf dumpfe Schläge. Nun hatte ich doch meine Schicht versäumt, aber ich ärgerte mich nicht. Flüchtig dachte ich an die Schwierigkeiten, die ich morgen im Betrieb haben würde. Auch an die 30 Mark Lohn, die mir heute verloren gingen.
Kommen Sie, sagte ich, dann gehen wir eben bis zum Stadtrand und wieder zurück.
Mein Fahrrad legte ich in den Graben. Gemeinsam gingen wir den Weg zurück, den ich jede Nacht zur Arbeit fahre. Wir schwiegen, wir fühlten die Kälte, der Schnee knirschte, der Mond war genauso weiß wie der Schnee.
Ich habe nasse Füße, sagte die Frau, als wir am Stadtrand angekommen waren, Schnee ist mir in die Schuhe gefallen. Aber das macht nichts, ich nehme ein heißes Bad, wenn die Kinder in der Schule sind, ich habe eine Pferdenatur.
Langsam schlurften wir zurück. Unterwegs nahm ich aus der Tasche meine Schichtbrote und die Flasche, in der der Kaffee schon kalt war. Unter der Autobahnbrücke aßen wir, den Kaffee goss ich in den Schnee.
Dann fragte ich sie: Warum nehmen Sie nicht einfach die Kinder und gehen fort?
Sie holte mir das Fahrrad aus dem Graben und setzte es in den harschen Schnee. Fort? Wohin soll ich gehen? Sie zog den rechten Schuh vom Fuß, lehnte sich an mich und wärmte mit beiden Händen ihre starren Zehen.
Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll … er braucht mich vielleicht … ich ihn auch … er hat mich geholt … damals, als es mir schlecht ging … ich wusste ja nicht … dass es so … dass es so kommen würde.
Die Wut rüttelte mich, meine Zigarettenschachtel war leer. Im Osten dämmerte es.
Sie ging. Nach ein paar Schritten kehrte sie um, fasste meinen Arm und sagte: War es nicht schön? Ja? Mir hat es gefallen. Eigentlich müsste ich mich jetzt bedanken, aber das klingt wahrscheinlich komisch …
Bedanken, dachte ich, was soll das, sie müsste mir dreißig Mark Verdienstausfall geben. Dreißig Mark, das ist für mich ein Batzen Geld.
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