Springflut - Max von der Grün - E-Book

Springflut E-Book

Max von der Grün

4,9

Beschreibung

Plötzlich steht ein Fremder im Garten. Der Journalist Thomas Koch ist erschrocken, weiß er doch nichts mit dem Unbekannten anzufangen. Dieser ist auf der Suche nach einer Frau namens Klara aus Polen und hofft auf Kochs Hilfe. Doch hinter der Geschichte steckt viel mehr. Als ein Mord geschieht, heftet sich Thomas Koch an die Fersen des Täters. Zugleich wird die provinzielle Alltagswelt aufgeschreckt: Polnische Aussiedler sollen in die benachbarte Hauptschule einquartiert werden. Die Anwohner reagieren mit Abwehr und offenem Protest. In dieser Situation erhält Koch den Auftrag seiner Lokalzeitung, eine aussiedlerfreundliche Artikelserie zu schreiben. Während seiner Recherchen stößt er auf unverhohlene Ausländerfeindlichkeit und offenen Hass. Zudem muss er sich mit seiner eigenen Haltung in dieser Angelegenheit auseinandersetzen. Mit der ihm eigenen Sozialkritik erzählt Max von der Grün eine spannende Kriminalgeschichte und schaut dabei hinter die Fassade vermeintlich toleranter deutscher Vorstädter. Der Band enthält zusätzliche die Texte "Im Osten nichts Neues", "Kinder sind immer Erben" und "WaidmannsHeil".

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Max von der Grün

Springflut

Roman

Mit weiteren Textenvon Max von der Grün

und einem Nachwortvon Hugo Ernst Käufer

PENDRAGON

Wir danken für die Förderung dieses Projektes der Kunststiftung NRW

Unsere Bücher im Internet:

www.pendragon.de

Veröffentlicht im Pendragon Verlag

Günther Butkus, Bielefeld 2010

© by Pendragon Verlag Bielefeld 2010

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Martine Legrand-Stork

Umschlag & Herstellung: Uta Zeißler (www.muito.de)

Gesetzt aus der Adobe Garamond

eISBN: 978-3-86532-285-2

Inhalt

Springflut

Stephan Reinhardt, Moralische Integrität inmitten gesellschaftlicher Zwänge

Max von der Grün, Weidmannsheil

Max von der Grün, Im Osten nichts Neues

Max von der Grün, Kinder sind immer Erben

Nachwort von Hugo Ernst Käufer

Editorische Notiz

Springflut

Der Sturm peitschte den Regen gegen das breite Wohnzimmerfenster. Er prasselte, als würden Millionen Glaskügelchen gegen die Scheibe geschleudert. Irene beobachtete das Fenster mit großer Sorge, sie fürchtete, die teure Thermopenscheibe könnte unter diesem Getrommel zerbersten.

Nach den Hundstagen hätte der Regen für das Land Labsal sein können, wäre er ohne diesen Sturm gekommen, der die Rosen knickte und die Geranien köpfte.

Als die Sonne die Wolken wieder teilte, öffnete ich die Terrassentür, um frische Luft in das stickige Wohnzimmer zu lassen, ich wollte die Schäden prüfen, die das Unwetter im Garten hinterlassen hatte.

Ein fremder Mann stand im Garten, er war in einen grünen Regenumhang gehüllt, der Kopf steckte unter einer Kapuze; an seiner rechten Schulter hing eine braune Wildledertasche, unter dem Regenumhang trug er eine braune Cordhose und braune halbhohe Schnürschuhe. Er stand einfach da und schaute sich um, als gehörte der Garten ihm.

Er bemerkte mich und hob kurz den rechten Arm, er winkte, so wie sich Nachbarn zuwinken, die zeigen wollen, dass sie einander wahrgenommen haben.

Er schob mit beiden Händen die Kapuze in den Nacken, und ich blickte in das Gesicht eines etwa fünfzigjährigen Mannes; er hatte volles, halblanges grau meliertes Haar.

Zornig trat ich auf den Fremden zu, um ihm zu sagen, er solle mein Grundstück unverzüglich verlassen. Aber als ich nur noch ein paar Schritte von ihm entfernt war, sagte der Fremde, freundlich auf die verwüsteten Dahlien weisend: »Sie hätten sie stützen und zusammenbinden müssen.«

Ich war sprachlos und überlegte, wie der Fremde in meinen Garten gekommen war: Nach vorne waren Haus und Garage immer verschlossen, hinten begrenzte ein beinahe zwei Meter hoher Maschendrahtzaun das Grundstück, nur ein durchtrainierter Mensch wäre fähig, ihn zu überklettern; seit zwanzig Jahren war das noch nie vorgekommen.

Zögernd trat ich noch zwei Schritte auf den Mann zu. Der schüttelte sich wie ein Hund, wenn er aus dem Wasser kommt; aber seinen Regenumhang nahm er nicht ab, obwohl es plötzlich, wie nach solchen Wettern im August fast immer, stechend heiß geworden war.

Ich erkannte ein sympathisches Gesicht, seine Augen blinzelten listig, und sein verlegen wirkendes Lächeln erweckte Vertrauen; aber als ich wieder einen Schritt näher treten wollte, sagte der Fremde: »Bleiben Sie stehen … Sie hätten die Dahlien stützen und zusammenbinden müssen. Haben Sie nicht den Wetterbericht gehört? Es war Sturm angesagt.«

Der Fremde sprach ein überkorrektes Deutsch, das den gebildeten Ausländer verriet. Wieder schaute er sich um, als gehörte ihm der Garten, ich stand gelähmt und fragte mich: Was will er? Wie kam er hier herein? Dann forderte der Fremde entschieden: »Gehen Sie ins Haus und machen Sie mir Kaffee und zwei belegte Brote, am besten mit Wurst. Wenn Sie die nicht haben, bin ich auch mit Käse zufrieden. Ich warte hier auf Sie.«

Ich nickte und gehorchte widerspruchslos. In der Küche, während ich den Kaffee in eine Thermoskanne filterte und zwei Scheiben Brot mit Salami belegte, dachte ich: Was will er? Warum gehorche ich ihm und jage ihn nicht fort? Warum rufe ich nicht die Polizei? Auf einem Tablett trug ich Thermoskanne, Tasse und Brote auf die Terrasse und stellte alles auf dem noch nassen Gartentisch ab. Der Fremde nickte freundlich und kam langsam auf mich zu, wie selbstverständlich setzte er sich mit seinem Regenumhang auf die Gartenbank und bedeutete mir mit der Hand, ich solle mich zu ihm setzen. Aber als ich mich auf einen der nassen Stühle setzen wollte, sagte er mit vollem Mund: »Gehen Sie bitte ins Haus, ich rufe Sie dann.«

Wieder gehorchte ich und schloss die Terrassentür hinter mir, ich sah dem Mann durchs Fenster zu, wie er aß und trank. Er aß langsam, kaute bedächtig, saß da wie ein Mensch, der mit sich zufrieden war und unendlich viel Zeit hatte. Manchmal blickte er auf und lächelte mir zu, eher unschuldig, auch ein wenig verlegen.

Ein Landstreicher ist er nicht, das war mir klar, aber was soll dieser Auftritt in meinem Garten, schließlich leben wir in einem Land und zu einer Zeit, wo jeder Essen hat und ein Dach über dem Kopf. Weiß der Teufel, wie er in meinen Garten gekommen ist, bei diesem Sturm.

Als er mit seiner Mahlzeit fertig war, öffnete er den Regenumhang, eine braune Cordjacke kam zum Vorschein, darunter ein blaues Hemd und eine fliederfarbene Krawatte. Mit einem Taschentuch wischte er seine Hände ab und nickte mir durch die Scheibe zu, er deutete auf die Kaffeetasse und streckte den rechten Daumen nach oben, wohl ein Zeichen, dass ihm der Kaffee geschmeckt hatte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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