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Adelhard Winzers Skizzen benötigen nur wenige Sätze und Zeilen, um eine besondere Atmosphäre einzufangen, über ein Empfinden Auskunft zu geben, ein Erlebnis zu schildern oder einer früheren Kränkung nachzuspüren. Die Reflexionen aus einem an Erfahrungen überreichen Leben schwingen zwischen den Themen Sprachlosigkeit und Geschwätzigkeit, Einsamkeit und Geselligkeit, Zweifel und Gewissheit. Zudem erweist sich Winzer als genauer Beobachter menschlicher Schwächen, der eigenen genauso wie denen der anderen. Über allem weht ein Hauch von Melancholie, vermischt mit italienischer Leichtigkeit. - Isa Schikorsky
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Seitenzahl: 98
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„Adelhard Winzers Skizzen benötigen nur wenige Sätze und Zeilen, um eine besondere Atmosphäre einzufangen, über ein Empfinden Auskunft zu geben, ein Erlebnis zu schildern oder einer früheren Kränkung nachzuspüren. Die Reflexionen aus einem an Erfahrungen überreichen Leben schwingen zwischen den Themen Sprachlosigkeit und Geschwätzigkeit, Einsamkeit und Geselligkeit, Zweifel und Gewissheit. Zudem erweist sich Winzer als genauer Beobachter menschlicher Schwächen, der eigenen genauso wie denen der anderen. Über allem weht ein Hauch von Melancholie, vermischt mit italienischer Leichtigkeit.“
Isa Schikorsky
Adelhard Winzer, geboren in Karlshuld/Bayern, verbrachte die ersten Kinderjahre auf dem Bauernhof seines Onkels, Mitbegründer verschiedener Bands, Reisen durch Europa, Kinderbuchveröffentlichung „Andreas“, Georg Lentz Verlag, München, Bankangestellter, Bankkaufmann, intensive Schreib- und Zeichentätigkeit, Ausstellungen in Neuburg an der Donau, München und Umgebung, zwei Stücke im Cantus Theaterverlag, Eschach: „Krethi und Plethi“ – „Das Korkenspiel“, weitere Buchveröffentlichungen: „Die Sprachgrenze“ – „Hundert Zeichnungen“ – „Lügengeschichten“ – „Stockholm Blues“ – „33 Computer-Zeichnungen“ – „Andreas (Reprint)“ – „Grundsätze über die Kunst“ – „Venedig, von hier aus“ – „Der Pensionist“, Books on Demand, Norderstedt, lebt im Chiemgau.
„Ich glaube, daß die Vernunft
allein nicht imstande ist,
die Wirklichkeit zu erklären.“
Michelangelo Antonioni
Er war angekommen. Das Haus stand in einer Senke. Gespräche im Garten, die er nicht verstanden hatte, erinnerten ihn an eine Zeit, als die Arbeit noch Arbeit war. Heute heißt es Digitalisierung. Was auf der Straße geschieht, sieht man erst, wenn man unterwegs ist. Die Hunde in der Hütte wissen nichts davon.
Kaum war er eingeschlafen, wurde er von Stimmen geweckt. Er stand auf und öffnete die Tür. Doch es war niemand zu sehen. Nur ein schmatzendes Geräusch (ähnlich dem Mischen von Spielkarten) war zu hören. Mehrmaliges Klopfen auf den Tisch. Er hatte sich nicht getäuscht, zwei Männer, getrennt durch einen provisorischen Sichtschutz, saßen auf der gegenüberliegenden Seite der Terrasse und spielten Karten. Er grüßte sie, und sie grüßten zurück.
Er setzte sich an den Tisch, der neben dem Eingang stand. Zwei Hunde kamen auf ihn zu. Er streichelte sie, wischte sich die Hände am Tischtuch ab. Große Vögel flogen über den Hof und verschwanden in den Sträuchern. Unter ihnen ein Wiedehopf. Sein Lockruf klang wie das Klappern von Pferdehufen auf Pflastersteinen.
Eine Elster flog über den Hof. Die Männer hörten zu spielen auf. Sie wechselten noch ein paar Worte, die sich mit dem Gesang eines Wasservogels vermischten, standen auf und gingen ins Haus. Die Hunde streckten ihre Köpfe. Eine Taube flog über das Dach des Nebengebäudes.
Der Knall eines Überschallflugzeugs erschreckte ihn. Die Vögel in den Sträuchern begannen zu schreien. Der Wind fuhr unter das Tischtuch und ließ es wieder fallen. Weiter oben im Ort fingen die Kirchenglocken zu läuten an. Eine Ameise kroch über seinen Fuß. Er betrachtete die Sträucher am Gartenzaun, wusste aber nicht, wie sie heißen.
Er durfte jetzt nicht aufhören zu schreiben, auch wenn ihn der Hausherr nach seinen Documenti fragte. Er hatte den Ausweis neben sich auf den Tisch gelegt. Er wusste, dass er ihn herzeigen musste. Er hörte erst zu schreiben auf, als der Hausherr vor ihm stand.
Die Hunde knurrten im Hof, fingen zu bellen an. Ein Hund aus der Umgebung gesellte sich zu ihnen. Der Hausherr hob seinen Arm und rief: Furia! Die Hunde im Hof spreizten ihre Vorderbeine. Im Garten fing ein Gockel zu krähen an.
Lautloses Wetterleuchten am Horizont, während ein Wagen den Berg herunterraste, eine Fehlzündung nach der andern.
Er will morgen um sieben Uhr losmarschieren, wenn sich der Wind noch in den Bäumen aufhält. Kurz vor Mittag in der Hotelbar vorbeischauen. Doch er weiß nicht, was er morgen wirklich machen wird.
Er sucht seine kurze Hose, findet sie nicht. Und die Tasche mit dem Wecker? Der Wohnungsschlüssel?
Er kennt ein paar Leute hier im Ort, die ihn verstehen, obwohl er nicht ihre Sprache spricht. Er denkt an sie, während er den Aussichtsturm emporsteigt, um den Sonnenuntergang zu betrachten.
Auf dem Übersetzungsgerät des Hausherrn erscheint das gesprochene Wort. Aber er weiß nicht, ob es stimmt. Während das Telefon läutet, kommt ein Postauto die Senke herunter. Die Hunde knurren, fangen zu bellen an. Er will ihnen aus dem Weg gehen und wird beinahe überfahren.
Die Badegäste liegen gelangweilt am Strand. Wind kommt auf. Am Horizont schwarze Wolken. Möwen ordnen sich auf den Wellenbrechern. Ein Mann allein an der Strandbar.
Er fällt in ein Loch, aus dem er nicht mehr herauskommt. Er weiß nicht warum. Ist es nicht schön hier? Der Strand? Und das Meer? Gefällt es ihm nicht?
Er sucht das Wort Postkarten im Wörterbuch und denkt an Ansichtskarten. Die Hunde laufen auf ihn zu. Er verscheucht sie. Er will die Sprache beherrschen, sich nicht rumschlagen mit dem Wörterbuch!
War das Lächeln des Mädchens an der Rezeption nicht ehrlich? Hat sie ihn nicht freundlich begrüßt?
Er wollte ein Weinglas, kein Wasserglas. Ein Bierglas, keinen Zahnputzbecher. Er versuchte Witze zu machen, doch es gelang ihm nicht. Er hatte sich zu Hause einen Sprachkurs bestellt, kam aber nicht zurecht damit.
Der Mann an der Tankstelle sagte: Das Leben ist kein Spaziergang. Es gibt Menschen, die leben von der Fürsorge, vom Sozialamt. Manche bloß von der Hand in den Mund. Und Sie beschweren sich?
Eine Frau saß neben ihm am Strand. Er beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Beobachte nur weiter, dass du was lernst! Der Wind hat ihr das Badetuch weggeweht. Willst du es ihr nicht holen?
Er hat einen Anruf erhalten, ist aber nicht aufgestanden. Was hinderte ihn daran? Chronische Rückenschmerzen, die daher kommen, weil er nicht weiß, wie er sich verhalten soll?
Die Menschen verstellen sich, wollen anders sein als sie sind. Dazwischen das Leben, das man bewältigen muss.
Eine Frau sagte im Vorübergehen, sie würde jeden Tag mit ihrem verstorbenen Mann sprechen, müsste deswegen aber nicht zum Friedhof gehen. Ihr Mann sei einverstanden. Nur ihre Freundinnen würden das nicht verstehen.
Er hatte sie schon einmal gesehen, aber wo? Im Supermarkt? Auf der Straße? Im Hotel? Den ganzen Nachmittag überlegte er, wo er die Frau schon einmal gesehen hatte.
Man sieht es Ihnen an. Man merkt es! Was merkt man? Dass Sie nicht von hier sind. Warum sind Sie gekommen? Was wollen Sie?
Der eine schafft es, dem andern fällt es schwer. Aus der Ferne betrachtet sieht alles einfach aus.
Er fühlt sich nicht einsam. Nur manchmal glaubt er, den Kontakt zu den Menschen verloren zu haben. Je mehr er sich entfernt von ihnen, umso näher kommen sie.
Ein Mann lief nackt über den Strand und sprang ins Meer. Es sah aus, als hätte er gar nicht gemerkt, dass er nackt war. Die Sonnenschirme bogen sich im Wind. Liegestühle standen aufgereiht neben einem Boot. Hinter der Straße fuhr ein Zug vorbei. Der nackte Mann war verschwunden.
Er wollte nicht vor ihr erscheinen wie ein getaufter Pudel. Wenn er es nicht machte, würde es ein anderer tun! Aber wie anfangen, wenn sich ständig etwas hin und her bewegt in der Brust, man die Gedanken nicht mehr ordnen kann? Er war sich nicht sicher, er tat so, als berührte es ihn nicht. Er hatte den Entschluss noch nicht gefasst, sie anzusprechen. Dabei explodierte er innerlich.
Man darf sich nichts anmerken lassen. Man muss so tun, als sei nichts geschehen. Fast alle machen das so, denken sich nichts, haben sich nie etwas gedacht. Erst wenn der andere es merkt, wird es kompliziert. Geht es unentschieden aus, haben beide verloren.
Niederlagen sind keine Niederlagen. Niederlagen sind dazu da, um dich zu stärken. Niederlagen zeigen dir den Weg. Siehst du die Niederlage nicht, hast du schon verloren.
Bist du den andern einen Schritt voraus und kommst doch nie an? Unterhältst du dich mit einer Frau und schaust an ihr vorbei? Bist du in Gedanken bereits am Ziel? Hast du ein Ziel?
Das Lied hat einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende, kehrt manchmal zum Anfang zurück. Das Kind läuft, bis es erwachsen ist. Ist es erwachsen, fängt es erst richtig zu laufen an. Die Zeit läuft endlos weiter.
Er geht durch den Garten, pflückt eine Aprikose. Es gibt auch Kirschen, einen Feigenbaum, Erdbeeren. Er ruft die Hunde, aber sie kommen nicht. Sind sie bei den Gästen? Tatsächlich, die Männer spielen wieder Karten, warten, bis es etwas zu essen gibt. Wie im Himmel, hat einer gesagt. Aber er weiß nicht, ob er es richtig verstanden hat.
Es gibt verschiedene Formen der Arroganz. Es ist sinnlos, darüber nachzudenken. Was wäre sinnvoll? Aufeinander zugehen. Freundlich sein.
Sie hat ihn besucht, denkt aber nur an sich. Er unternimmt nichts dagegen. Herrscht Friede zwischen ihnen, fängt sie von vorne an. Er lässt seine Wut nicht an ihr aus. Und doch ist es ihm nicht egal.
Seit er denken kann, hat er etwas falsch gemacht. Er muss alleine fertig werden damit. Schon macht er wieder einen Fehler! Die Geschichte kennt jeder. Wer hat noch keinen Fehler gemacht?
Er will nicht wissen, was die anderen denken. Er will nichts mit ihnen zu tun haben. Er will in Ruhe gelassen werden. Er kommt sich vor wie jemand, den man versteht, aber nicht verstehen will.
Es geht uns nichts an, was die Frau am Abend macht. Es geht uns nichts an, was die Mädchen machen. Nur was in der Zeitung steht, geht uns was an. Im Internet. Vielleicht wird alles noch schlimmer. Der Tag verbirgt sich bereits in der Nacht.
Was hast du gelernt? Wie gehst du durchs Leben? Hochnäsig? Arrogant? Allein oder in Gesellschaft? Machst du immer, was du machen willst?
Beim Klang der Glocken heute Morgen dachte er an die Kirche in seinem Geburtsort. Der Sperling auf dem Dach des Nebengebäudes erinnerte ihn an das Tirilieren einer Lerche weit oben am Himmel an einem frühen Sommermorgen auf dem Land.
Kinder jagen hinter Strandläufern her. Das Meer schäumt vor Wut. Möwen treiben im Wind. Gelächter vor einer Strandbar. Ein Schiff weit draußen im Meer. Wer dirigiert uns? Wer hat alles in der Hand?
Du weißt, dass das Wort nicht die Sache ist, der Tag auch Nacht heißen könnte. Die großen Dichter haben sich alle geirrt, die Philosophen. Hast du nicht mit der Frau gesprochen, deren Sprache du nicht verstehst? Es gibt Sachen im Leben, die man mit Worten nicht erklären kann.
Er wollte etwas tun, als wäre es zum letzten Mal. Ein Kind schaute ihn erwartungsvoll an. Eine Frau ging an ihm vorbei. Es hatte nichts zu bedeuten. Er wollte gehen, und hielt sich am Sonnenschirm fest.
Jetzt ist es wieder da, dieses Gefühl, das du vernichten möchtest, weil es dich sonst noch um den Verstand bringt. Du kannst es nicht lenken, nicht bändigen. Du kannst nichts dagegen tun. Ausgerechnet jetzt, wo du dachtest, du hättest alles im Griff!
Ein Mann mit einem Papierdrachen in der Hand geht am Strand entlang. Er schaut nicht glücklich aus, aber auch nicht traurig. Möchtest du der sein? Oder lieber die Frau, die sich neben dir niedergelassen hat?
Wer hat dir ein befreiendes Gefühl gegeben und gleich wieder kaputtgemacht? Wer hat dich ausgelacht und gesagt, dass es nicht richtig ist, was du machst? Und dass du weiter entfernt bist vom Leben als der Mond von der Sonne? Hast du Angst bekommen als Kind, weil dir niemand zur Seite stand? Weil du dich nicht ausdrücken konntest? Und wenn, wurdest du nicht auf der Stelle mundtot gemacht?
Heute weiß er, dass es Feiglinge gibt: Feiglinge vor den Frauen. Feiglinge vor den Nachbarn. Feiglinge vor den Lehrern. Feiglinge vor den Politikern. Feiglinge vor den Kindern. Feiglinge vor dem Publikum. Feiglinge vor dem Morgengrauen. Feiglinge vor sich selbst.
Auch hier gibt es Leute, die sich erst in Gesellschaft wohl fühlen. Sie reden so viel, dass man glauben könnte, die andern würden sie verstehen. Aber sie reden auch nur aneinander vorbei. Wie die Frau, die jetzt grundlos zu lachen beginnt.