Rückschau - Adelhard Winzer - E-Book

Rückschau E-Book

Adelhard Winzer

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Beschreibung

Einen Weg, den ich verfolgen würde beim Schreiben, gibt es nicht. Meine Geschichten bewegen sich zwischen Realität und Fiktion. Ich weiß bis heute nicht, wie es geht, will es auch nicht wissen, nichts beweisen oder festmachen, was im Buch zusammenfindet. Nur so funktioniert mein Schreiben. - Adelhard Winzer

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Einen Weg, den ich verfolgen würde beim Schreiben, gibt es nicht. Meine Geschichten bewegen sich zwischen Realität und Fiktion. Ich weiß bis heute nicht, wie es geht, will es auch nicht wissen, nichts beweisen oder festmachen, was im Buch zusammenfindet. Nur so funktioniert mein Schreiben.

Aus Über die Sprache hinaus

Adelhard Winzer, geboren in Karlshuld, Donaumoos, lebt heute im Chiemgau. Erlernte das Bäckerhandwerk. Spielte mit sechzehn in der ersten Band. War Discjockey und als Berufsmusiker in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs. Veröffentlichte ein Kinderbuch. Arbeitete in einer Großbank. Wurde zur Lesung in den Grünen Salon der Volksbühne Berlin eingeladen. Belegte den dritten Platz beim Fränkischen Kurzgeschichtenpreis. Widmete sich, nach dem Eintritt ins Pensionsalter, endgültig dem Schreiben und Zeichnen.

Inhalt

Die Sprachgrenze

Lügengeschichten

Stockholm Blues

Hundert Zeichnungen

Grundsätze über die Kunst

Andreas

Venedig, von hier aus

33 Computer-Zeichnungen

Der Pensionist

Krethi und Plethi

Das

Korkenspiel

Italienische Skizzen

Die kürzeste Liebesgeschichte der Welt

Die Kunst des Drachentötens

Lieblose Zeiten

Liebes, böses Kind

Maratonga

Strandgut

Heimkehr

Über die Sprache hinaus

Quellenhinweise

RÜCKSCHAU

Adelhard Winzer Die Sprachgrenze

Die Sprachgrenze

Geschichten. 2018. 184 Seiten

Paperback. ISBN 9783746087429

(Auch als E-Book erhältlich)

Alles Schöpferische entsteht durch Zweifel. Dem einfachen Satz ist nicht zu trauen. Traum, Vision, Gedicht und Erzählung, hingeschrieben in scheinbarer Leichtigkeit, sparen das Geheimnis nicht aus, jenen Spielraum, der, versucht man Geschichten nur wahrheitsgetreu zu erfassen, hinter den Zeilen verschwindet. Die Andeutung, das Aufzeigen der Dinge, die Behauptung und das Nichtgesagte ergeben ein Bild von Wahrheit, das jeder Realität standhält.

In mehr als hundert ineinandergrei fenden Geschichten (die längste hat elf Seiten, die kürzeste vier Zeilen) wird anhand der Parabel, der Groteske, der Fabel und der Übertreibung von Personen und Ereignissen berichtet, denen allen gemeinsam die Thematik „In der Fremde“ zugrunde liegt. Skizzenhaft, lakonisch, phantastisch überhöht, bis an die Grenzen der Erzählbarkeit.

„Ihre Texte haben lange auf meinem Schreibtisch gelegen und ich habe immer mal wieder hineingeschaut. Der Titel ‚Sprachgrenze‘ ist total richtig gewählt. Alle Texte machen vor etwas Halt – eine Wand? Ein Absturz? Ein Paradies? Das wirkliche Leben? (was immer das ist). Man wartet auf einen Durchbruch, aber er kommt nicht. Sehnsuchtstexte! Sehnsucht sehnt sich nach Erlösung. Aber was könnte das sein? Gott? Die Liebe? Die Tat?“Ruth Rehmann in einem Brief an Adelhard Winzer

DER STUHL

Ein Stuhl stand im Zimmer, nichts als ein Stuhl. Keine Marke, kein Kunstwerk, ein Stuhl eben mit vier Beinen, nichts weiter. Aus Holz und einer Rückenlehne. Was soll ich noch sagen? Dass es ein Vormittag war, oder wäre Ihnen ein Nachmittag lieber, wenn die Leute in den Büros bereits von ihren Stühlen aufgestanden sind. Aber so ein Stuhl ist das nicht. Nur ein ganz einfacher Holzstuhl mit Rückenlehne und vier Beinen, der im Zimmer steht, und sonst nichts. Auf den man sich setzen kann, ohne ans Büro zu denken, an den Chef. Ein Stuhl mit vier Beinen und Rückenlehne. Ein Stuhl. Ein ganz einfacher Stuhl.

BROT UND WEIN

Die Eier aufgeschlagen, brutzeln in der Pfanne. Wein steht bereit und frisches Weißbrot. Jetzt folgt der Speck. Bloß keinen Aufwand, sagte sie, mach einfach, was du gerne hast. Als sie schließlich vor ihm stand, mit nassen Haaren und strahlenden Augen, rief sie, das duftet aber gut! Setz dich, sagte er, heute wirst du verwöhnt. Auf meine Art, fügte er hinzu. Und ein herrlich blauer Himmel lag über dem glitzernden Meer.

DAS KIND

Ich kann mit den Bäumen sprechen, sagte das Kind, mit den Wolken, dem Wind, auch mit dem Mond und der Sonne. Mit den Bäumen am liebsten, wiederholte es. Gut, dass wir dich haben, sagte die Mutter. Ich hab dich lieb, das Kind.

DREI BRETTER

Drei Jungen marschierten vor mir her. Jeder hatte ein Brett auf den Rücken geschnallt, rot, blau und gelb. Der Junge mit dem roten Brett hinkte. Sie zogen lachend durch einen Tunnel, blieben hin und wieder stehen, blickten sich um. Vor einem großen Platz machten sie Halt, schnallten sich gegenseitig die Bretter vom Rücken. Der mit dem roten Brett setzte sich auf eine Bank. Das Brett auf seinem Rücken ragte weit über seine Schultern hinaus. Die beiden schossen jetzt wie wildgewordene Tiere mit ihren Brettern aufeinander zu. Der Junge auf der Bank feuerte sie an, blickte dabei mit leeren Augen vor sich hin. Schließlich kehrten sie zurück zu ihm, schnallten sich die Bretter wieder auf den Rücken. Sie lachten und bewegten sich, wie es nur junge Leute können.

DER JUNGE

Sie trat in die Bottega, blickte sich um und erkannte den Jungen. Ihre Haare waren triefnass. Die Schuhe schmerzten sie. Ihre Achselhöhlen, an die sie wie unter Zwang auf dem Weg hierher denken musste, hatten keine Bedeutung mehr. Sie schloss ihre Augen, atmete tief, dabei blähten sich ihre Nüstern. Der Junge, den sie an der Straßenkreuzung noch in Gedanken liebkost hatte, stand plötzlich neben ihr. Er stellte ihr nach, das wusste sie. Sie gab sich nicht zu erkennen, würde es niemals tun. Auffallend langsam ging sie die Theke entlang.

MANN UND FRAU

Bevor sie schlafen geht, hängt sie ihre Kleider auf den Balkon. Sie geht vor ihm schlafen und sagt, holst du meine Kleider rein, bevor du schlafen gehst? Natürlich, sagt er. Nicht vergessen, sagt sie, das Bad ist jetzt frei. Schlaf gut, sagt er.

DIE FRAU

Wenn sich die Frau einsam fühlt, umschlingt sie manchmal ihren Mann mit beiden Armen, erdrückt ihn beinahe dabei. Sie meint das nicht böse. Sie fühlt sich nur manchmal sehr einsam.

DER IDIOT

Sie ließ ihn zappeln am Telefon, machte sich einen Spaß daraus, nicht mehr zu antworten. Und wieder begann er zu stammeln, wie sehr er sie liebe, nicht mehr leben könne ohne sie. Sie sagte nur noch einen Satz, bevor sie ihr Telefon aushängte: Mein kleiner Idiot, ich habe keine Zeit mehr für dich.

DER ALTE MANN

Der alte Mann kehrte erschöpft von seinem Sonntagspaziergang zurück, öffnete die Tür und sah, wie eine junge Frau schwerbepackt mit Koffern und Schachteln den Aufzug verließ. Der Lift war vollgestellt mit Taschen und Stühlen, einer Kaffeemaschine, Bilderrahmen und Stöckelschuhen. Er blieb stehen, drückte auf den Knopf außerhalb des Fahrstuhls, damit die junge Frau ungehindert ihre Sachen ausräumen konnte. Sie bedankte sich herzlich und stellte ihre Pakete, Stühle, Taschen und Stöckelschuhe auf den Flur. Gern geschehen, sagte der Mann. Als er einstieg und den Knopf zu seinem Stockwerk drückte, spürte er ein angenehmes Gefühl in sich aufsteigen. In der Wohnung angelangt, hörte er im Radio eine Sendung über gute Werke. Er setzte sich, nahm die Zeitung in die Hand und fühlte sich bestätigt. Jawohl, rief er und erschrak beinahe über seine Stimme.

DER VOGEL

Ein Vogel hatte sich in einem Strauch verfangen, die angepickte Beere noch im Schnabel. Er flatterte, ließ den Strauch erzittern. Bei näherer Betrachtung erkannte der Mann, der dort stehen geblieben war, eine Amsel, pechschwarz vor dem abendlichen Himmel. Er trat näher, griff in den Strauch, und ein blankgeputztes, gelbumrandetes Auge beobachtete ihn. Er griff noch einmal in den Strauch, verspürte einen Schmerz. Der Vogel zappelte in seiner Hand, sah angriffslustig aus. Schließlich umfasste ihn der Mann mit beiden Händen, riss ihn ruckartig aus dem Zweig, dass die Krallen eines Fußes hängenblieben daran. Das kleine Herz des Vogels schlug wild in seiner Hand. So etwas hatte er noch nie gespürt. Er schloss seine Augen, hob beide Hände in die Höhe, und warf das wild pochende Herz zurück in die Freiheit. Die beste Lösung, dachte der Mann, was hätte ich anderes tun sollen! Er blickte auf die kleine angepickte Beere in seiner zitternden Hand.

AM MEER

Jedes Jahr fuhr er in den Süden, ans Meer. Allein mit seinem Hund. Ein Bergdorf, weit abgelegen. Das liebte er, obwohl er kaum die Sprache der Einheimischen verstand. Mit Gesten konnte man sich auch verständigen. Und das Wörterbuch griffbereit. Die Pensionsinhaberin liebte Tiere. Vor allem seinen Hund. Jedenfalls kam es ihm so vor. Wie sie sprach mit ihm, und gleich einen kleinen Knochen parat. So etwas verbindet. Obwohl sie eine andere Sprache sprach, verstand der Hund jede Tonlage in ihrer Stimme. Der Mann ruhte sich aus nach der Ankunft. Das liebte er, die Stille. Und sein Hund bekam einen Extraplatz. Abgeschirmt von der Sonne. Der Mann schätzte das sehr, die kleinen Aufmerksamkeiten. Dafür gibt man gerne Trinkgeld. Sein Bett bezogen mit weißen Tüchern. Stillschweigende Übereinkunft. Dort fühlte er sich zu Hause, geborgen und in Sicherheit. Für alles war gesorgt. Das Essen nach seinem Geschmack. Einfach königlich. Allein die Aussicht aus seinem Zimmer rechtfertigte den Vergleich. Vier Wochen allein am Meer, und wie neugeboren zurück. Dafür lassen sich die Schmerzen ertragen. Die Erniedrigungen der Kollegen. Dafür lässt es sich leben für den Rest des Jahres. Bis heute weiß keiner, wo er sich aufhält. Vier Wochen im Jahr, allein mit seinem Hund. Weit im Süden, am Meer.

DIE FLIEGEN

Den ganzen Vormittag über beobachtete er die Fliegen, die klein und verspielt im Zimmer umherschwirrten, ruckartig ihre Flugrichtung änderten, sich gegenseitig verfolgten, immerzu um den kleinen schmalen Streifen herum, an dem bereits neun Fliegen klebten – halb noch am Leben und doch schon tot. Und sobald sie sich der klebrigen Masse näherten, beinahe kleben blieben an ihr, schossen sie wieder davon, spielten weiter ihr verwegenes Spiel, als sei nichts geschehen. Der Mann fragte sich, erkannten sie im Heranfliegen bereits die süße Gefahr, war es der Geruch, die Farbe, goldgelb, oder nur Zufall, der sie wieder forttrieb. Jetzt aber hatte er sie gesehen, noch eine, die nicht mehr loskam von dem schmalen klebrigen Streifen, hilflos zappelnd, verzweifelt, völlig ergeben, nur noch warten konnte auf den Tod.

DIE BAR

Das Mädchen hinter der Bar lächelte, machte ihn verlegen mit einem Blick, stand scheu und verloren vor ihm, wartete wahrscheinlich auf eine Geste, ein freundliches Wort. Gestern sei sie krank gewesen, sagte sie in gebrochenem Deutsch, habe unentwegt Prüfung, wann er angekommen sei. Gestern, sagte er, nein, vorgestern. Sie schaute ihn an, dass er nichts mehr sagen konnte, blickte ihm in die Augen, als könne nur er sie erlösen. Wahrscheinlich war sie freundlichere Worte gewohnt von den Gästen. Nur jetzt, an diesem Nachmittag, hielt er sich alleine auf in dieser Bar. Er trank seinen kleinen Espresso, obwohl er einen großen haben wollte, und blickte zur Seite. Wahrscheinlich hatte er sich falsch ausgedrückt. Einen kleinen Kaffee bekam er und ein scheues, verunsichertes Lächeln. Er zahlte, ging schließlich hinunter ans Meer. Er schwor sich, nie mehr einen Espresso zu trinken. Er lachte, als er sich in die Fluten stürzte. Seine Gedanken waren bei dem Mädchen hinter der Bar.

SEHNSUCHT