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Ein ambivalentes Spiel um die sinnentleerte Existenz bankrotter Staaten und die mysteriösen Machenschaften übermächtiger Gläubiger in einer nur noch von Krieg und Gewalt beherrschten Welt. Caos, eine männliche Figur mit Maske (benannt nach der Abkürzung für ein veraltetes PC-Betriebssystem in der DDR), sitzt in einem kleinen Café allein an einem Tisch. Nachlässig gekleidet, etwas zu lange Haare. Vor ihm am Boden eine Hundeleine, im Hintergrund eine Theke mit großer Kaffeemaschine. Daneben eine Tür mit abgegriffener Klinke. Über der Tür ein Leuchtschild mit der Aufschrift Exit, wie man es von den Kinos her kennt. Ludens, benannt nach dem Erklärungsmodell Homo Ludens, ebenfalls mit Maske, verspielt und alles in Frage stellend, kommt durch die Tür: groß, schlank, Flanellanzug, offenes Hemd. Ludens und Caos beginnen über ein Thema zu sprechen, das ihnen unter den Nägeln brennt. Anfangs noch leichtfertig, mit pseudophilosophischen Anspielungen, später klar und deutlich, aufrührerisch, bis es zum Affront kommt, beide voneinander verlangen, ihr wahres Gesicht zu zeigen, während im letzten Aufzug die Fremden erscheinen, ungeschützt, ohne Maske, chancenlos. Auftritt der Fremden: Zehn Personen ziehen lärmend durch den Zuschauerraum, erklimmen die Bühne. Fünf Personen links, fünf rechts. Männer und Frauen. Eigenwillig gekleidet. Rucksäcke, Turnschuhe, barfuß, bunt gemischt. Vorwurfsvoll, fragend, bettelnd, eingeschüchtert reden sie in wunderlicher Aussprache aufs Publikum ein. Die Fremden können Nationalflaggen als T-Shirts, Hemden oder Jacken tragen: Afghanistan, Irak, Iran, Libanon, Pakistan, Rumänien, Syrien usw. Der leere Bühnenraum ist mit einem übergroßen Spiegel ausgestattet. Das Licht schwächer als zuvor. Das Stück lebt von der suggestiven Kraft der Schauspieler, von den Gesten und Bewegungen und der Modulationsfähigkeit ihrer Stimmen, die dadurch den Fremden Glaubwürdigkeit und den unwirklich erscheinenden Masken imaginäre Gesichtszüge verleihen. Ort der Handlung: herrenloses Gebiet. Zeit: Vergangenheit in der Zukunft.
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Seitenzahl: 91
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„Friedland ist ein Heimatstück in drei Aufzügen über gegensätzliche Haltungen und Stimmungslagen unserer Gesellschaft zu einer bekannten krisenhaften Situation, die namentlich verschwiegen wird. Ein Spiel mit verdeckten Karten. Doch transparent, denn die Positionen sind vertraut, von grundsätzlicher Art und politischer Natur. Sie divergieren in ihrer Ausprägung, vor allem über die Zeitachse. In einem kleinen schmucklosen Café, an unbestimmtem Ort, in unbekannter Zeit, treffen sich zwei miteinander vertraute Herren. Nach wenigen Sätzen der Konversation erreicht ihr Gespräch Friedland. Ein Sehnsuchtsort in der Ferne, der weder Heimat ist, noch Fremde und deshalb eine hohe Attraktivität besitzt. Gleichzeitig auch zur Skepsis mahnt, denn aus der Ferne kommt das Fremde und damit auch das Unbekannte. Was ist davon zu halten? Kann man dem trauen? Kommt es erst noch, oder ist es schon da? Die beiden Bekannten, die keine Freunde sind, beginnen lebhaft und intensiv darüber zu philosophieren. Halten ihre Karten aber streng bedeckt. Ihnen geht es nicht um Auslöser, Ursachen oder Folgen. Nur um Positionen, ausgedrückt in Emotionen. Es entwickelt sich ein Streitgespräch um ‚den heißen Brei‘. Scherenschnittartig entstehen Konturen, die Angriffs- und Verteidigungslinien bilden. Heimatliche Abschottung gegen liberale Weltoffenheit. Beide Kontrahenten geben sich als Schattenboxer. Pokern lautstark, hartnäckig und besessen, aber immer ganz bedeckt. Erst zum Showdown im zweiten Aufzug entlädt sich die explosive Stimmung. ‚Zeig Dich endlich!‘, lautet die letzte Forderung bevor im dritten und letzten Aufzug die Fremden, als Betroffene, selbst das Wort ergreifen. Ihr Klagelied spiegelt die vorangegangen gegensätzlichen Positionen wider, die längst Eingang in ihr Leben gefunden haben. Als Widersprüchlichkeiten legen sie sich bleischwer auf ihr Schicksal. Doch wohin weist die resolute Dame mit der schwarzen Fahne gegen Ende des Stücks? Widerstand oder Untergang? Der Vorhang fällt und lässt doch Fragen offen.“ Jürgen Hausin
Drei Aufzüge
Erster Aufzug
Zweiter Aufzug
Dritter Aufzug
Drei Aufzüge
Besetzung Herren
LUDENS
CAOS
DIE FREMDEN (Variabel)
Besetzung Damen
FAHNENSCHWENKERIN
DIE FREMDEN (Variabel)
Ein ambivalentes Spiel um die sinnentleerte Existenz bankrotter Staaten und die mysteriösen Machenschaften übermächtiger Gläubiger in einer nur noch von Krieg und Gewalt beherrschten Welt. CAOS, eine männliche Figur mit Maske (benannt nach der Abkürzung für ein veraltetes PC-Betriebssystem in der DDR), sitzt in einem kleinen Café allein an einem Tisch. Nachlässig gekleidet, etwas zu lange Haare. Vor ihm am Boden eine Hundeleine, im Hintergrund eine Theke mit großer Kaffeemaschine. Daneben eine Tür mit abgegriffener Klinke. Über der Tür ein Leuchtschild mit der Aufschrift EXIT, wie man es von den Kinos her kennt. LUDENS (benannt nach dem Erklärungsmodell HOMO LUDENS), ebenfalls mit Maske, verspielt und alles in Frage stellend, kommt durch die Tür: groß, schlank, Flanellanzug, offenes Hemd.
LUDENS und CAOS beginnen über ein Thema zu sprechen, das ihnen unter den Nägeln brennt. Anfangs noch leichtfertig, mit pseudophilosophischen Anspielungen, später klar und deutlich, aufrührerisch, bis es zum Affront kommt, beide voneinander verlangen, ihr „wahres Gesicht“ zu zeigen, während im letzten Aufzug DIE FREMDEN erscheinen, ungeschützt, ohne Maske, chancenlos.
Das Stück lebt von der suggestiven Kraft der Schauspieler, von den Gesten und Bewegungen und der Modulationsfähigkeit ihrer Stimmen, die dadurch den Fremden Glaubwürdigkeit und den unwirklich erscheinenden Masken imaginäre Gesichtszüge verleihen. Ort der Handlung: herrenloses Gebiet. Zeit: Vergangenheit in der Zukunft.
Der Vorhang geht auf. LUDENS kommt durch die Tür. CAOS gedankenverloren am Tisch. Eine abgenutzte Hundeleine auf dem Boden.
LUDENS Hallo –
Kurze Pause.
LUDENS Wie geht’s –
CAOS Kann nicht klagen –
Kurze Pause.
LUDENSauf die Hundeleine deutend Und, wo ist Helga –
CAOS Weißt du es schon –
LUDENSsich neben CAOS setzend Klar, spricht sich rum –
CAOS Morgen fahren wir –
LUDENS Was, morgen schon –
CAOS Sie haben Helga gefunden –
Kurze Pause.
CAOS Eine Frau hat sich gemeldet. Greift nach der Hundeleine. Kannst du dir das vorstellen, die haben Helga aufgegriffen, genau nach einem Jahr –
LUDENS Du weißt, ich mag keine Hunde –
CAOS Ich hab immer gesagt, schreiben wir den Namen samt Anschrift auf ihr Halsband –
Kurze Pause.
LUDENS Also dann, gute Reise –
CAOS Das hab ich mir bei der Fernsehdiskussion auch gedacht –
LUDENS Ich schau mir so was gar nicht erst an –
CAOS Doch, ich bin ja verbandelt mit denen, fahre jedes Jahr wieder hin –
LUDENS Warst du nicht bei den Kanacken –
CAOS Ja, aber ich komme mit dem Volk nicht zurecht –
LUDENSfordernd Gehörst du nicht auch zu denen –
CAOS Ich mag die Friedländer lieber! Lacht blöde. Was ich an denen so toll finde, ich meine als Reisender, ist ihre Gastfreundlichkeit –
LUDENS Täusche ich mich oder geben sich die nicht immer so reserviert, um nicht abweisend zu sagen, wie seinerzeit die Jusos –
CAOS Nein, überhaupt nicht –
LUDENS Wenn man früher in so einen Grill gekommen ist, haben die einen angeschaut, als hätte man ihnen in die Suppe gespuckt –
CAOS Ja, das sind die Kanacken, haben mit den Friedländern aber nichts zu tun, die sind freundlich –
LUDENS fängt zu lachen an.
CAOS Ich weiß, was du denkst, aber so ist das nicht –
LUDENS Wie ist es denn –
CAOS Wie mit einer schönen Frau –
LUDENS Was du nicht sagst –
Kurze Pause.
CAOS Ich habe in Friedland eine Freundin –
LUDENS Jeder macht mal einen Fehler –
CAOS Ich fühle mich bei ihr wie zuhause –
LUDENSlaut ZUHAUSE, was für ein Wort –
CAOS Von wegen –
LUDENS Wo ist sie denn –
CAOS Wir telefonieren sehr viel –
Kurze Pause.
LUDENSsteht auf Hörst du den Lärm –
Kurze Pause.
CAOSlauscht Ich höre nichts –
LUDENS Jede Nacht dieser Krach, aber niemand sagt: Jetzt ist Schluss –
CAOS Du phantasierst –
Kurze Pause.
LUDENSgeht hin und her Seit wann hast du denn eine friedländische Freundin –
CAOSmissbilligend Warum nicht –
LUDENS Oh, Verzeihung –
Kurze Pause.
CAOS Es hat alles einen geschichtlichen Hintergrund –
LUDENSsetzt sich wieder Geschichtlich –
CAOS Oder ist WIEDERGUTMACHUNG bloß ein Wort für dich –
LUDENS Ein Journalist hat gesagt: Die benehmen sich, als wären sie die DRITTE WELT, haben aber Ansprüche wie eine INDUSTRIENATION –
Kurze Pause.
CAOS Ich fürchte, sie haben das Spiel nicht verstanden –
LUDENS Die haben alles verstanden –
CAOS Nein, sie können nicht leben mit ihrer Vergangenheit, sie schieben sie erst hierhin, dann dorthin, und immer noch weiter zurück, sie verfolgt sie, lässt sie nicht los, eine Bedrückung am Morgen beim Aufwachen, immer am Morgen eine Reue, ein Schuldgefühl, etwas gemacht zu haben, was sich nicht gehört, aber man darf seine Gefühle nicht zeigen, das bringt einen nicht weiter –
LUDENS Ich frage mich oft, die Leute, wie sehen die das, bleiben die bei ihrer Meinung, das Gefühl, einer redet dir ständig dagegen, stellt dich in Frage, unentwegt, was du tust, und sofort heißt es, ist das auch richtig, hättest du es nicht anders machen müssen, was wollen die eigentlich, was sagen mir ihre Blicke, das Gefühl, übergangen zu werden, du bist auch bloß so ein Unverbesserlicher, Unbekehrbarer, einer, der immer die gleichen Fehler macht, oder etwa nicht –
CAOS Wie sagt man zu so einem –
LUDENS DAS SOLLST DU – DAS MUSST DU – DAS STIMMT NICHT – DAS AUCH NICHT –
CAOSüberlegen So falsch ist es gar nicht, was du da sagst, auch wenn es nicht rückgängig zu machen ist, du hast nichts falsch gemacht, du bist auf dem richtigen Weg, weil es keinen falschen Weg gibt –
LUDENS Das ist doch bloß Gerede von den Leuten, dass sie dich in Schach halten können, schau, nichts ist mehr, wie es war, von wegen unbekümmert und frei, du drehst dich nur noch im Kreis –
CAOS Du kannst dich nicht ständig selbst beobachten, du musst mitmachen, tu dir keinen Zwang an, leb einfach mit den Leuten hier –
Kurze Pause.
LUDENS Wenn man so lange umgeben war von Nachbarn, Verwandten, Freunden, plötzlich auf sich allein gestellt ist, ohne die Sprache zu verstehen, einem anderen macht das vielleicht nichts aus, weil er es schon kennt, dieses Gefühl –
CAOSwirft die Hundeleine auf den Boden Den Lärm bist du nicht mehr gewohnt, die Zeit mit dir allein, das musst du selbst herausfinden, ein Tag ist immer so lang, wie du ihn dir machst –
Kurze Pause.
LUDENS Menschen für sich allein, ohne ein bestimmtes Ziel, erinnern sich an nichts mehr, aber das stimmt nicht, das ist ja das Ziel, dass sie dich so weit bringen, es zu glauben, und sie sind immer in der Überzahl, das Land hat alles bekommen, und die anderen nichts, die werden es jetzt auch verlangen –
CAOS So war das nicht gemeint, dass du wieder was hineininterpretierst, kann schon sein, dass sie einen zu kurzen Atem haben –
LUDENS Sie sind einfach zurückgeblieben, würde ich sagen –
CAOS Nein –
LUDENS Was dann –
CAOS Vielleicht haben sie das Spiel mit dem GELD noch nicht begriffen –
LUDENS Sie haben alles begriffen –
CAOS Ich habe es gestern dem Jungen schon erklärt. Kniet sich hin, und beginnt mit der Hundeleine zu spielen.
Kurze Pause.
CAOShebt seinen Kopf Hörst du mir überhaupt zu –
Kurze Pause.
CAOS Das mit dem GELD ist doch so, früher hat man MENSCH ÄRGERE DICH NICHT gespielt, und jetzt spielt man MONOPOLY, also möchte man als MENSCH-ÄRGERE-DICH-NICHT-SPIELER auch mal MONOPOLY spielen, der Spielführer sagt: Ob du Kommunist bist oder Sozialist, egal, ob reich oder arm, du kannst mitspielen, nur gibt es da ein paar Spielregeln –
LUDENS Was willst du denn mit dem Monopolyspiel –
CAOS Ich nehme es nur als Beispiel, und da muss man sich an die Spielregeln halten, wie bei jedem anderen Spiel auch, nur ein bisschen komplizierter ist es, weil es um sehr viel Geld geht –
LUDENS Die haben von Anfang an falsch gespielt –
CAOS Wahrscheinlich waren sie noch nicht so weit –
Kurze Pause.
LUDENS Von wegen. Sich mehrmals umblickend. Wer bedient hier eigentlich –
Kurze Pause.
CAOS Willst du einen Kaffee –
LUDENS Ja –
CAOS Kriegst du, musst dich nicht wundern, der Chef hat einen dringenden Arzttermin. Verschwindet hinter die Theke.
Kurze Pause.
CAOSan der Kaffeemaschine hantierend Weißt du, was wirklich schlimm ist –
LUDENS Was denn –
CAOS Dass die Leute glauben, das Land hätte sich bereichert, spielerisch sozusagen –
LUDENS Ich war nicht dabei –
CAOS Ich auch nicht –
LUDENS Ich weiß nur, wer falsch spielt, fliegt
normalerweise raus –
Kurze Pause.
CAOS Vielleicht haben sie versehentlich die richtigen Zahlen verwendet, oder sie wollten es, weil alle es wollten. Mit Nachdruck. Vielleicht war es sogar erwünscht –
LUDENS Erwünscht –
CAOS Ja, weil es dadurch größere Spielfelder gibt, man kann mit dreißig Ländern viel mehr umsetzen als nur mit neunundzwanzig. Kehrt mit einer Tasse Kaffee an den Tisch zurück. Das mit dem Bereichern und Schummeln ist doch Quark, ich meine, auch mit den Steuern, schau, jeder Arsch wird hier subventioniert, die bauen ja auch Zuckerrohr und GEN-Mais an wie die Bescheuerten, und werden subventioniert –
LUDENS