Jan Fedder – Unsterblich - Tim Pröse - E-Book
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Jan Fedder – Unsterblich E-Book

Tim Pröse

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Beschreibung

Die erste und einzige autorisierte Biografie von Jan Fedder – mit unveröffentlichten exklusiven Fotos und Interviews
»Ich habe alles gelebt und erlebt. Ich habe all meine Sehnsüchte gestillt und ich vermisse nichts. Denn was bleibt von einem Menschen? Seine Knochen. Und seine Geschichten.«Jan Fedder

Jan Fedder: direkt, gerade, ehrlich, kein Diplomat, aber mit großem Herzen für die Menschen – so verkörperte er wie kein zweiter DEN Hamburger schlechthin. Er starb am 30. Dezember 2019.
Jan Fedder war nicht nur ein großer Schauspieler, sondern vor allem ein großartiger Mensch, einer von den ganz großen, die es so nie wieder geben wird. Er spielte Dirk Matthies in der ARD Serie »Großstadtrevier«, den Bauern Kurt Brakelmann in »Neues aus Büttenwarder«. Denkwürdige Rollen als Bootsmann Pilgrim im Film »Das Boot« und in den Siegfried-Lenz-Verfilmungen »Der Mann im Strom« und »Das Feuerschiff« zeigen ihn als Darsteller ernsterer Charaktere. Doch bei allen Erfolgen sagte Jan Fedder von sich: »Hauptberuflich bin ich Mensch – im Nebenberuf bin ich Schauspieler.«
Jetzt erzählt Tim Pröse das Leben dieses einzigartigen Mannes. Kurz vor seinem Tod erreichte Jan Fedder das vollendete Manuskript, gespickt mit vielen Zitaten – die autorisierte Biografie, in der Jan Fedder selbst, seine Frau Marion, Freunde und Weggefährten über ihn sprechen, die Geschichte seines Lebens erzählen – in voller Länge, mit all den schönen und jubelnden wie auch mit wehmütigen und traurigen Kapiteln. Aufrecht und geradlinig steht er vor uns! Von einem wie ihm kann man nur lernen…

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Das Buch

Jan Fedder: direkt, gerade, ehrlich, kein Diplomat, aber mit großem Herzen für die Menschen – so verkörperte er wie kein zweiter DEN Hamburger schlechthin. Er starb am 30. Dezember 2019.

Jan Fedder war nicht nur ein großer Schauspieler, sondern vor allem ein großartiger Mensch, einer von den ganz großen, die es so nie wieder geben wird. Er spielte Dirk Matthies in der ARD Serie »Großstadtrevier«, den Bauern Kurt Brakelmann in »Neues aus Büttenwarder«. Denkwürdige Rollen als Bootsmann Pilgrim im Film »Das Boot« und in den Siegfried-Lenz-Verfilmungen »Der Mann im Strom« und »Das Feuerschiff« zeigen ihn als Darsteller ernsterer Charaktere. Doch bei allen Erfolgen sagte Jan Fedder von sich: »Hauptberuflich bin ich Mensch – im Nebenberuf bin ich Schauspieler.«

Jetzt erzählt Tim Pröse das Leben dieses einzigartigen Mannes. Kurz vor seinem Tod erreichte Jan Fedder das vollendete Manuskript, gespickt mit vielen Zitaten – die autorisierte Biografie, in der Jan Fedder selbst, seine Frau Marion, Freunde und Weggefährten über ihn sprechen, die Geschichte seines Lebens erzählen – in voller Länge, mit all den schönen und jubelnden wie auch mit wehmütigen und traurigen Kapiteln. Aufrecht und geradlinig steht er vor uns! Von einem wie ihm kann man nur lernen …

Der Autor

Tim Pröse, geboren 1970 in Essen, ist Autor und freier Journalist in München. Er war Chefreporter der Münchner Abendzeitung und Redakteur des Focus in den Ressorts »Menschen« und »Reportage«. Eines seiner einfühlsamen zeitgeschichtlichen Porträts wurde mit dem »Katholischen Medienpreis« ausgezeichnet. 2016 erschien sein Longseller »Jahrhundertzeugen. Die Botschaft der letzten Helden gegen Hitler. 18 Begegnungen«, 2017 dann »Hallervorden. Ein Komiker macht Ernst«. 2018 folgte »Samstagabendhelden. Persönliche Begegnungen mit den legendärsten Stars aus Film, Funk und Fernsehen« und 2019 »Mario Adorf. Zugabe!«.

TIMPRÖSE

Jan FedderUnsterblich

Die autorisierte Biografie

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Inhalt

Vorwort

Fedder geht’s nicht

Der Quatsch, den man Leben nennt

Ballett statt Bolzplatz

Das nackte Leben

Als Kind schon nah an den Wolken

Ich war kein Hauer

Fast ersoffen – die große Sturmflut

Der Geruch von Heimat

Fehler hab ich so einige …

Mein St. Pauli bei Nacht

Meine Frauen

Mein Gesicht

Der Alkohol

Das Boot – das Spiel seines Lebens

Durchhalten und weitermachen

Der Bauernhof

Schlafende Schätze

Ein Jan, ein Wort

Hier, im Großstadtrevier …

Maria Ketikidou über Jan

Großer Bruder, kleine Schwester

Ein Blick in die Nasenlöcher

Und dann kam Marion

Good. Better. Fedder

Der schönste Moment

Zwei Volkshelden: Fedder und Albers

Der spielt doch nur sich selber

Best of Büttenwarder

Jan über seine Hamburger

Auf dem Dach

Sein Zuhause auf St. Pauli

Traumschiff

Gekrönt von Siegfried Lenz

Der Straßenköter

Männerfreundschaften

Ein Halt für Tim Mälzer

Scheiß Rollator!

Jan über die Traurigkeit

Jan über Tod und Gott

Nu is mal Ruhe!

Fertig ist fertig, wenn ich sag is fertig!

Glaube, Liebe, Hoffnung

Nachwort von Marion

Filmografie (Eine Auswahl)

Bildteil

Vorwort

Jan Fedder rief mich an und fragte mich, ob ich seine Biografie schreiben würde. Er hatte gerade ein Buch von mir gelesen und wollte nun eines über sich selber. Eigentlich war das keine Frage, sondern schon ein Auftrag. »Es wird langsam Zeit, mein Leben mal aufzuschreiben«, sagte er. Schon waren wir verabredet.

Ab Februar 2019 führten wir lange Gespräche an Fedders Lieblingsorten: auf seinem Bauernhof in Schleswig-Holstein, in seiner geliebten Wohnung auf dem Kiez von St. Pauli, am Set seines Großstadtrevier und einmal auch in einer Rehaklinik. Nie ging es um Small Talk oder bloße Plauderei. Hoch konzentriert war er. Eben wie einer, der noch etwas Wichtiges sagen möchte, bevor es vielleicht zu spät ist. In diesen Tagen erzählte Jan mir aber nicht nur seine Biografie, sondern dachte lange über so manches Vergangene nach.

Das machte ihn eben auch aus, das Nachdenken über die Dinge. Abschied von ihnen zu nehmen, ohne zu jammern. Dieses Buch erzählt neben den Anekdoten, den Glücksmomenten und den Abgründen seines Lebens auch von den Zeiten und Gefühlen dazwischen. So, wie ihn seine Frau Marion erlebt hat, so, wie ihn seine engsten Freunde kannten.

Diese tiefen Einblicke in das ganz private Leben hat Jan Fedder nur mit wenigen geteilt. Ein Jahr lang durfte ich, der Autor Tim Pröse, Jan Fedder dafür begleiten und mit seinen Vertrauten sprechen. Die Autorin Tamara Jarchow, eine enge Freundin der Familie Fedder, hat nach Jans Tod ebenfalls Erinnerungen an ihn aus seinem direkten Umfeld für dieses Buch verfasst.

Jan und ich hatten eine feste Verabredung: Bis Weihnachten 2019 sollte Jan das Manuskript dieses Buchs bekommen, um es lesen zu können. Und so kam es auch. Die Seiten dieses Buchs lagen auf seinem Wohnzimmertisch, als Jan am 30. Dezember 2019 verstarb. Es war, als bliebe die Zeit einfach stehen.

Dieses Buch beschreibt sein pralles Leben, das er so innig und bis zum Anschlag gelebt hat. Und natürlich spart es auch nicht das Leid aus, das er tapfer angenommen hat. Zwischen den einzelnen Kapiteln, die seine Lebensstationen nachzeichnen, erzählt Jan Fedder in seinem unverwechselbaren Ton selbst. Es ist das Beste aus den mehr als fünfundzwanzig Stunden Interviews, die ich mit ihm für dieses Buch führen durfte. Es sind seine letzten Worte an sein Publikum.

Fedder geht’s nicht

Ein Wind weht von Süd und zieht mich hinaus auf See.

Mein Kind, sei nicht traurig, tut auch der Abschied weh.

Mein Herz geht an Bord und fort muss die Reise gehen.

Dein Schmerz wird vergehen und schön wird das Wiedersehen.

Mich trägt die Sehnsucht fort in die blaue Ferne.

Unter mir Meer und über mir Nacht und Sterne.

Vor mir die Welt, so treibt mich der Wind des Lebens.

Wein’ nicht, mein Kind, die Tränen, die sind vergebens …

Text aus »La Paloma«, gesungen von Jan Fedder

Der Mann am Wasser sagt, das sei bloß der Wind. Der sei schuld daran, dass seine Augen so schimmern. Und nicht etwa all das Schöne und Schreckliche, an das er sich erinnert in diesen Tagen. Denn der Wind, der weht ihm mitten ins Gesicht hier am Hamburger Hafen. Lebenslänglich schon. Meist kommt er von vorn. Selbst wenn der Mann für dieses Buch lange und weit zurückschaut.

Und wenn der Wind mal nicht von vorne kam in seinem Leben, sondern von der Seite, von hinten oder sogar von tief unten, dann spürte er das als Schauspieler gleich und drehte sein Gesicht wieder dahin, wo er herkommt. So wie jetzt da an der Hafenkante. Nein, nicht etwa, weil er im Leben stets nach vorne schaute – ganz im Gegenteil, dieser Mann lebt ziemlich in seinem Gestern – , sondern weil er natürlich weiß, dass das gut aussieht. Verwegen zudem.

Er schnappt mit seinem großen Zinken ein paar kräftige Züge dieser Luft, die nach Salz und Fernweh schmeckt. Oder bloß nach Brackwasser. Dabei sperrt er beide Nasenflügel weit auf. Er kann sie beben lassen wie ein Rennpferd seine Nüstern. Das ist eines seiner Markenzeichen. Oder wie es ein alter Zirkusgaul tut, der nur dann noch lostrabt und dabei schnaubt und japst, wenn das Licht angeht in der Manege. Trotzdem. Es sieht dann bei ihm meistens noch so aus, als würde er mit seinem Nasenflügelbeben etwas wittern. Etwas erspüren, das in der Luft liegt. Die Frauen schmachten danach.

Dazu zieht er die eine Braue etwas nach oben, die andere legt er tiefer, so als nähme er ein Ziel ins Visier. Oder als zwinkere er jemandem zu. Fast schon fertig ist dieser Mann dann mit seiner Pose. Aber halt! Jetzt noch den Hans-Albers-Gedächtnis-Blick schärfen und mit dem dann starr am Horizont entlangschauen. So wie damals auf der Brücke von U 96, als er den Matrosen Pilgrim spielte in DasBoot. »Das war das Wichtigste in meinem Leben, dass ich da dabei war«, sagt Jan.

Und wie er diese Worte so dahinfeddert und die steife Brise sie fast schluckt, öffnet er seinen geliebten Ledermantel mit den Silberknöpfen. Denn dann bläst der Wind in ihn hinein und bläht ihn auf wie ein schwarzes Segel. Er lässt ihn hinter ihm herflattern und knattern wie eine Fahne. Fedder geht’s nicht.

Viel Zeit bleibt ihm nicht, die perfekte Pose zu genießen. Denn dann haben sie ihn schon erkannt hier unten am Hamburger Hafen. Ganz nah bei der Überseebrücke, an der er groß geworden ist. Und wenn sie ihn hier erkennen, gibt es einen Tumult. In einer Traube stehen die Menschen bald schon um ihn herum, bannen den Moment mit ihm in ihre Handys. Und plündern seine Autogrammkarten. Sind die alle weg, reichen sie ihm Zettel oder strecken ihm ihre Hände und Arme hin für ein Autogramm. Bis es nichts mehr gibt, auf dem er unterschreiben kann, und die Menschen ihn stattdessen noch einmal umarmen und berühren.

Als er noch rauchte, hatte er für solche Fälle noch immer seine Schachtel mit den Kippen. Die öffnete er und unterschrieb auf den Zigaretten. Wenn die aus waren, zerpflückte er die Schachtel in kleine Schnipsel. Aber selbst dann wären oft noch ein paar Menschen leer ausgegangen. Deswegen nestelte er auch noch das kleine silberne Papier aus der Schachtel und riss es in Streifen. Bis alle ihr Autogramm hatten. Und Jan Fedder alles gegeben hatte.

Der Quatsch, den man Leben nennt

»Hamburg, die Elbe, der Hafen, der Geruch von Brackwasser – das war mir vertraut schon als Kind, das liegt mir im Blut. Hier beginnt ja schließlich auch alles. Im Januar 1955 wurde ich geboren. Januar. Jan. Da haben die sich ja mal richtig Mühe gegeben mit meinem Namen. Aufgewachsen bin ich in unserer Kneipe am Hafen, ›Zur Überseebrücke‹ mit meiner Mutter, die eigentlich Tänzerin war, einem Vater, der hinter der Theke stand, und mit meinem älteren Halbbruder Oliver. Die Kneipe in dem alten Holzhaus war kalt und zugig, Wind von vorn gab’s genug.

Aber ich hatte ja den Hafen. Der war schön, der war mein Revier. Hier kenne ich jeden Winkel und jeden Kantstein. Das ist mein Kiez, mein Abenteuerspielplatz. Hier beginnt die Reise meines Lebens. Und dort lernte ich ein Lied auswendig, das das Lied meines Lebens werden sollte … «

An de Eck steiht’n Jung mit’n Tüdelband

in de anner Hand ’n Bodderbrood mit Kees,

wenn he blots nich mit de Been in’n Tüdel kümmt

un dor liggt he ok all lang op de Nees

un he rasselt mit’n Dassel op’n Kantsteen

un he bitt sick ganz geheurig op de Tung,

as he opsteiht, seggt he: hett nich weeh doon,

ischa’n Klacks för’n Hamborger Jung

Jo, jo, jo, klaun, klaun, Äppel wüllt wi klaun,

ruckzuck övern Zaun,

ein jeden aber kann dat nich, denn he mutt ut Hamborg sien.

Es ist das erste Lied in seinem Leben. Und es wird auch das letzte sein. Denn es begleitet ihn schließlich, seit er auf die Welt kam. Dann muss es gefälligst auch gespielt werden, wenn er sie verlässt. Ob das nun passt oder nicht. Aber wenn Fedder es so oft in seinen vierundsechzig Jahren auf der Welt sang, dann passt das schon …

Noch eh er richtig sprechen konnte, summte er diese Melodie. Jene Strophen aus einem alten Volkslied von der Ecke, an der ein Junge steht. Es ist der Soundtrack des Jan Fedder. Seine private Hymne. Zusammen mit dem Kreischen der Möwen, dem Schlag der Wellen und dem Tuten und Tuckern der Kähne hatte es sich in seinen Sinnen festgesetzt. Ein norddeutsches Kinderlied. Warum, um Himmels willen, hat dieser gestandene und manchmal auch scheinbar harte Mann das so gern? Wieso ist ihm das so wichtig, dass es sogar sein letztes Lied werden soll? So sein Wunsch. Genau dieses Lied soll der Organist spielen im berühmten Hamburger Michel. Ebendort, wo Jan schon als Knabe im Kinderchor sang – zu Weihnachten sogar ein Solo, weil seine Stimme so engelsklar klang. Genau dort sollen sie es wieder spielen. Zu seiner Trauerfeier. Zum Schluss seines Lebens.

Aber was heißt das schon, Schluss? Wer weiß denn, ob der Tod das Ende ist oder ob da noch was kommt? Und so wird dieses Buch hier weiter in der sprachlichen Gegenwartsform von Jan erzählen. Im Präsens. Und nicht in der grammatikalischen Vergangenheit. Weil Jan in diesem Buch gegenwärtig bleiben soll. Genauso wie in den Herzen der Menschen. Die meisten der hier abgedruckten Gespräche mit seinen engsten Freunden, Kollegen und seiner Marion sind vor seinem Tod geführt worden. Und auch wenn mit allen noch einmal nach seinem Tod gesprochen wurde, haben sich alle Beteiligten entschlossen, diese Gespräche über Jan so zu belassen, als würde er noch leben.

Man muss diesen Jan Fedder erst eine ganze Zeit lang beobachten, begleiten und richtig kennenlernen, bis man versteht, warum er dieses Lied »An de Eck« so liebt. Warum es so sehr für ihn steht. Und für sein geliebtes Hamburg. Denn als richtiger Norddeutscher spricht Jan Fedder nicht gern über solche Dinge, die zu viel verraten würden über seine Seele. Sachen, die ans Eingemachte gehen. Er denkt zwar oft über Gefühle nach und empfindet sie auch stark – ganz tief sogar in seinem riesengroßen Gemüt – , aber er würde diese Gedanken und Gefühle nie ganz freiheraus aussprechen; nicht ihre Fülle und ihren Gehalt betonen oder gar in die Welt posaunen. Wie auch? Er besitzt kein Handy, hat weder einen Computer noch eine Mailadresse, nicht einmal ein Faxgerät. Wer ihn erreichen will, muss auf seinen Anrufbeantworter sprechen und warten. Oft lange warten. Denn oft hat Fedder keine Lust zu sprechen.

Und so hört man sein Lieblingslied lange Zeit etwas ratlos an, bis man ihn eines Tages endlich darin entdeckt und erkennt. Seine Herkunft, seinen Charakter und seine Persönlichkeit. Das Lied handelt von diesem Jungen, der ordentlich hinballert. Der mit seinem Tüdelband spielt, was meistens ein Eisenreifen war, mit dem Bierfässer zusammengehalten wurden. Diesen Reifen trieben früher die Kinder mit einem Stock vor sich her. Und wenn sie es zu doll trieben, kamen sie selber ins oder unter das Tüdelband, und zwar mit der Nase zuerst. So wie dieser Junge, der dann auch noch Bekanntschaft mit dem Kantstein macht (»un he rasselt mit’n Dassel op’n Kantsteen«).

Man weiß nicht, wie oft Jan Fedder solche Stürze in seiner Kindheit passiert sind, aber man weiß in etwa, wie viele ihm als Erwachsener widerfuhren. Von einigen, den vielleicht schlimmsten, wird er hier in diesem Buch erzählen. Auch davon, wie er oft schon der Länge nach auf der Nase lag (»dor liggt he ok all lang op de Nees«), dann davon, wie er sich manches Mal in seinem Leben vor lauter Übermut auf die Zunge gebissen hat (»un he bitt sick ganz geheurig op de Tung«).

»Von dieser Zunge sind nur noch zwei Drittel übrig. Den Rest haben sie mir rausschneiden müssen. Aber Zunge wächst nach! Wusstet ihr das? «

Wegen dieser verdammten Krebskrankheit, die 2013 diagnostiziert wurde und gegen die Jan Fedder lange Jahre ankämpfte, musste er sich schließlich operieren lassen. Eigentlich hätten die Ärzte sogar die halbe Zunge herausschneiden müssen, so hatten sie das zunächst auch geplant. Aber Fedder wäre nicht Fedder, wenn er nicht auch dem operierenden Professor das Herz erweicht hätte und ihn bat, ein besonderes Kunststück zu vollbringen.

Er forderte ihn einfach heraus, fragte gar nicht lange nach dem Wie und Warum, sondern begab sich in seine Hände. Und der Professor gab bei der OP alles. Er strengte sich so sehr an, dass ihm dieses Kunststück gelang und er weite Teile der Zunge doch noch retten konnte. Denn ohne seine Zunge, seine Sprache, seine Stimme wäre er nicht mehr ER gewesen. Wie hätte Jan weiter seine Rollen spielen sollen? Nicht auszudenken!

Womit wir so ziemlich mitten in einem der Dramen seines Lebens angekommen wären. Aber sich lange dort aufzuhalten, das erlaubt einer wie Jan nicht. Nicht ein Hamburger Jung! Denn als er wieder aufsteht, sagt er bloß: »Hett nich weeh doon! Ischa’n Klacks för’n Hamborger Jung!«

Genauso hält Fedder das auch bis heute, mit all seinen Stürzen. Gerade und vor allem mit jenen, die viel tiefer gingen, die weitaus schmerzhafter und oft lebensgefährlich waren. Über die sagt er mit allem Trotz und aller gespielten Gleichgültigkeit, dass die gar nicht wehgetan hätten. Das glaubt ihm zwar niemand, der ihn gut kennt, aber es hört sich cool an. Und tapfer.

Wie schafft es dieser Junge – und auch dieser erwachsene Jan Fedder – , so unumwunden und scheinbar unverwundbar im wahrsten Wortsinn weiterzumachen? Die Erklärung klingt simpel und großartig und angeberisch zugleich: »Ein jeden aber kann dat nich, denn he mutt ut Hamborg sien!« Kerniger kann man seine Heimatliebe kaum ausdrücken, zumindest nicht als Nordlicht.

Aber was fällt diesem Jungen aus dem Lied dann noch ein, wenn er wieder fest auf seinen Beinen steht? Das nächste Wagnis fällt ihm ein! Ausgerechnet jetzt, direkt nach dem Unfall. Da macht sich einer bereit zum nächsten Streich. Setzt an zum nächsten Balanceakt: Äppel klaun!

Dafür muss er nur mal eben »ruckzuck övern Zaun«. Manch anderer, braverer Junge wäre weinend nach Hause zu seiner Mutter gerannt. Die aufgeschürften Knie verarzten lassen. Nicht so der Junge Jan. Der heckt gleich die nächste Dummheit aus. Halsbrecherisch, ja leider auch selbstzerstörerisch und stur, wie er nun mal ist.

So war das eigentlich immer in seinem Leben. Gelernt hat dieser Jan Fedder nie etwas aus seinen Stürzen. Stattdessen hat er immer weitergemacht mit dem »Quatsch, den man Leben nennt«, wie er gerne sagt. Aber er hat sich auch niemals beklagt. War keinen Hauch wehleidig. Im Gegenteil. »An allem, was mir passiert ist, trag ich selber die Schuld!«, gibt er zu Protokoll. Manch einer hätte mildernde Umstände für sich geltend gemacht, wenn er mit sich selbst ins Gericht geht. Wenn es um solch eine harte Lebensbilanz geht. Nicht so Jan. Für ihn gibt es keine Ausreden. Er übernimmt die volle Verantwortung für all seinen Leichtsinn und all seine Verrücktheit.

Und so ist es bloß konsequent, dass dieses Lied vom Jungen, der immer wieder aufsteht, auf seiner Beerdigung gespielt wird. So wünscht er sich das, und so wird das dann auch gemacht. Denn wenn er eines Tages da vorne liegen wird vorm Altar seines geliebten Michel, dann würde er es doch am liebsten noch einmal tun. Ein letztes Mal. Einfach »opstein« nach dem großen Sturz. Und Äpfel klaun gehn. Weil das nun mal nicht jeder kann. Aber einer wie er, der schon! In seiner unsterblichen Fantasie.

Ballett statt Bolzplatz

»Meine Mutter konnte ja tanzen und singen. Abends gab sie Ballettunterricht im Michel. Da hab ich dann auch im legendären Knabenchor gesungen. Die fanden meine Stimme wohl ziemlich gut. Damals mit zehn Jahren wusste ich ja noch nicht, dass sie, von Alkohol und Zigaretten geformt, so unverkennbar und tief werden würde.

Irgendwann hat mich meine Mutter dann mal mitgenommen in die Oper und mich hinterher gefragt, ob ich auch mal Lust hätte, zum Ballett zu gehen. Die Idee fand ich gar nicht so schlecht, und dann stand ich auch schon mit zehn Mädchen an der Stange. Als einziger Junge. So mit fünfzehn wurde mir dann aber klar, dass Tanz doch nix für Jungs wie mich ist. Im zweiten Stock gab es nämlich noch die Schauspielschule von Margot Höpfner. Die hatten da alle irgendwie mehr Spaß. Also nix wie hin da! Tagsüber Büro, abends zum Schauspielunterricht und danach in die Kneipe. Super. Aber mein Vater war da ganz anderer Meinung. Ich habe also auf den Wunsch eines einzelnen Herrn eine schön solide kaufmännische Ausbildung machen müssen. Und genau am Tag meiner bestandenen Speditionskaufmannprüfung gekündigt. Weil sich mein Herz ja schon lange vorher für die Schauspielerei entschieden hat. Alles auf eine Karte. Das gefiel meinem Vater aber ganz und gar nicht: ›Wenn du deinen Job kündigst, dann ist dein Zuhause auch gekündigt...‹

Und so flog ich am gleichen Tag raus und musste zusehen, wie ich klar komme. «

Das nackte Leben

Papst Benedikt XVI. kam in einem tief entlegenen und gottesfürchtigen Winkel Bayerns auf die Welt. Gerhard Schröder als Sohn einer Putzfrau in der bitterärmsten Provinz. Mario Adorf wuchs als uneheliches Kind in einem Waisenheim auf. Hape Kerkeling im tiefsten Kohlenpott bei seiner Oma. Udo Jürgens in einem Schloss in Kärnten. Sie alle waren und sind geprägt durch ihre Herkunft. Woher sie kamen, bestimmte in großen Zügen, was sie wurden.

Bei den meisten Menschen ist das so. Und beinahe jedem merkt man seine Herkunft auch zeitlebens an; zumindest trägt beinahe jeder einen Hauch von ihr mit sich herum, von Geburt an, bis er irgendwann fortgeht.

Bei Jan Fedder ist das anders. Gewaltiger. Radikaler. Prägender. Jede Faser so sehr bestimmt, vielleicht sogar ein wenig vorbestimmt von seinem Geburtsort. Jan Fedder kommt nicht nur aus Hamburg und aus St. Pauli. Nein, er ist Hamburg und St. Pauli.

Was hat der liebe Gott oder der Zufall, je nachdem, an wen man glaubt, für einen Volltreffer gelandet, als einer von beiden entschied, wo dieser Jan zur Welt kommt: zu Füßen der Überseebrücke! In einer Bretterkneipe, in der Matrosen Bier tranken! In der das Kind dem Wasser der Elbe näher war als der nächsten Straße. Das klingt so sehr nach Faust aufs Auge und nach Arsch auf Eimer, dass es fast schon ein bisschen unwahrscheinlich anmutet.

Blicken wir hinter die Kulissen seiner Heimat, ziehen das Möwengekreische und Dampfertuckern ab und kratzen an dem Postkartenmotiv St. Pauli, dann stoßen wir schnell auf düstere Ecken und Gassen. Kratzen wir noch ein bisschen tiefer, geht das nicht ohne Dreck unter den Nägeln.

Wie ist das zum Beispiel, wenn ein Knirps im Epizentrum käuflicher Liebe groß wird? Hat er dann für immer eine andere Art zu lieben?

Wie ist das, wenn das Zuhause eines Kindes eine Kneipe ist? Wenn er über ihr schläft und tagsüber in ihr spielt? Kann es sein, dass er später in seinem Leben anders raucht, trinkt und feiert als andere? Dass er die Menschen in ihrem Kern anders kennenlernt als Jungen, die in vornehmen Blankeneser Villen aufwachsen?

Kommt es hin, dass ein Junge, der zwischen Bananenkisten und Hafenkränen herumklettert, etwas wilder wird als jene Kinder, die in gediegenen Vororten im Sandkasten spielen?

Und was passiert, wenn jemand zu Füßen eines Ortes erwachsen wird, der Überseebrücke heißt? Eines Ortes aus Stahl und Sehnsucht, der für den großen Abschied steht, oft auch für ein Nimmerwiedersehen oder wenigstens für das schlimmste Fernweh. Kann es sein, dass dieser Jemand dann im Leben immer etwas bindungsunfähig und freiheitsdurstig bleiben wird?

Oder war diese Überseebrücke so etwas wie seine erste Bühne? Auf der er ein Stück weit in die Welt hinausschauen und auch hinausstaunen konnte. Bis zum Horizont und noch weiter. Zumindest erträumte er sich, wie es wohl dahinter aussehen mag.

Lernt ein Kind auf so einer Brücke weiter und vielleicht sogar mutiger und furchtloser zu denken als andere, die in Gütersloh, Bietigheim-Bissingen oder Zwickau von der weiten Welt träumen?

Oder macht ihn diese Rampe auch ganz irre vor Neugier und banger Erwartung, weil auf ihr Tag um Tag Hunderte Menschen seine Stadt verlassen und irgendwo aufs Meer hinaus verschwinden?

Und schließlich, was geschieht, wenn ein unschuldiger Junge mit jedem Meter seiner ersten Lebensschritte an der nächsten Ecke dem nackten Leben im Wortsinn begegnet, das ihm so prall und so nackt und so barsch entgegenknallt, dass es jeden anderen Jungen, der dieses Leben nur aus Schmuddelheftchen kennt, umgehauen hätte? Während all die anderen Jungs im Mief der Sechzigerjahre ihre Nase allenfalls in die Praline oder die Bravo steckten, hielt Fedder seine schon lange in den Dunst von St. Pauli. Und roch Heimatluft – die seiner Wahrnehmung nach nicht nach Backfischbrötchen und Meeresbrise duftete, sondern »nach Pisse, Blut und Sperma«.

Wie ist das, wenn für diesen Jungen schon an dieser nächsten Ecke ruchbar wird, wie elendig und erbarmungslos dieses Leben zugrunde gehen kann, bevor es richtig beginnt?

Er lernte früh Leute zu beobachten bis ins Detail, in ihnen zu lesen. In ihren Blicken, Gesten … Jeden Tag kam genug Material durch die Tür der Kneipe seiner Eltern: Betrunkene, Matrosen, Ganoven, Betrüger, Verlorene … und eben auch Normale. Die konnte er blitzschnell einordnen und abspeichern. Jeden Charakter konnte er abrufen. Immer rein ins Vergnügen, mitmachen, beobachten, am besten noch einen draufsetzen. Dass das alles nicht normal war, hatte er schon begriffen. Auch dass ein wenig Übertreibung manchmal hilfreich war.

Wie die vielen Koberer auf dem Kiez, die vor den Striptease-Läden nach Kunden warben und anpriesen, was sie drinnen erwartet:

»Kommen Sie rein, bieten Sie Ihrer Frau mal was Besonderes.«

»Herrengedeck … keinen Eintritt … unglaubliche Bühnenshow … alle nackt.«

Statt Eintritt wurde beim Rausgehen kassiert – das war der Trick. Und so wurde auch Jan erfinderisch mit seinem Umfeld.

St. Pauli war mitsamt all seinen Lichtern, aber mehr noch mit seinem Dreck, der Dünger für Fedders Leben. Aber um im Dreck nicht unterzugehen, musste Fedder den für sich besten Weg hinaus aus diesem Labyrinth der Laster und Leidenschaften finden. Bevor er von ihnen verhärtet oder gar zerschlissen worden wäre.

Dieser Weg führte ihn hinaus aus St. Pauli und direkt hinter den Vorhang. Auf die Bühne. Seine erste war die Empore seines geliebten Michel. Hier spürte der kleine Jan zum ersten Mal das Göttliche inmitten dieser oft so gottesfernen Gegend. Denn er durfte in diesem Gebäude singen zum Wohle des Herrn. Auch zu seinem eigenen. Wie tat ihm das gut, wenn sich die Köpfe unten im Kirchenschiff nach und nach zu ihm umdrehten, weil er so engelsgleich sang. Wie erhob ihn das! Und wie sehr weckte es in ihm die große Sehnsucht auf mehr davon. Auf mehr Publikum. Mehr Auftritte. Mehr Glanz, göttlich glückliche und schwebend leichte Augenblicke in seinem Leben. Sechshundertfünfzig solcher Momente, solcher Filme und Serienfolgen sollte er in seinem Leben spielen.

Im Michel kam er zum ersten Mal dem Himmel nahe. Trat er wieder aus ihm hinaus, waren es nur ein paar Schritte zurück bis zur Großen Freiheit. Wer hätte damals gedacht, dass er diese bald schon tatsächlich erleben sollte. Nicht jene für Geld und ein paar geschmuddelte und gefälschte Gefühle. Sondern die richtige. Jans große Freiheit.

»Ich rede nicht über Gefühle. Schon gar nicht über meine! «

Als Kind schon nah an den Wolken

Da ist ein Ring an seiner Hand, der erzählt sehr viel von seinem Leben. Er sagt, woher sein Träger stammt und was ihm fehlt seit Kindesbeinen. Der Ring ist erstaunlich weiblich und zart. Geradezu verletzlich sieht er aus an seiner rechten Hand. In der Mitte ist ein Aquamarin eingefasst, und natürlich war dieser Stein einmal tiefblau. So wie das Meer, auf dem Jans Vorfahren gefahren sind. Aber mit den Jahren, gute fünfzig sind es jetzt, seit er ihn trägt, ist das Blau aus dem Stein gewichen. Mit etwas gutem Willen ist er jetzt noch so brackwasserfarben wie die Elbe im Hafen, an der sein Träger aufgewachsen ist. »Da kannst du mal sehn, wie der gelitten hat, der Stein«, sagt Jan bloß.

Der Ring stammt von seiner Mutter Gisela. Als Jan vierzehn war, bat er sie, ihn tragen zu dürfen, und die Mutter steckte ihn ihrem Sohn an. So zärtlich und innig diese Geste anmutet – leider steht sie symbolisch für das zwiespältige Verhältnis zwischen Mutter und Sohn. »Viel Liebe habe ich nicht gekriegt von ihr«, sagt Jan und streicht dabei mit dem linken Zeigefinger über den verblichenen Stein. Getrennt hat sich der Sohn niemals von diesem Geschenk. An nichts anderem hängt er so wie an diesem Ring. Er klammert sich an ihn.

Als Wolfgang Petersen beim Boot-Dreh von Jan verlangte, ihn abzunehmen, antwortete der: »Dann mache ich den Film nicht.« Der Regisseur glaubte, sich verhört zu haben, und bestand darauf. »Nee, dann steig ich aus«, sagte er nur. Das beeindruckte Petersen. Denn Quer- und Charakterköpfe suchte er für seinen Jahrhundertfilm. Und so ließ er den Rebellen gewähren. »Aber wenigstens drehst du den Stein zur Handinnenflächenseite!«

Nicht etwa von Jans Vater, sondern von dessen Vorgänger hatte Gisela diesen Ring einst geschenkt bekommen. Einem Amerikaner, mit dem sie Jans Halbbruder Olli bekam. »Für mich war und bleibt er aber mein richtiger Bruder.«

Es fällt Jan nicht leicht, über seine Eltern zu sprechen und über seine Kindheit. Aber der Ring erlaubt den Blick zurück in seine kleine Seele von damals. Ganz langsam öffnet sich sein Träger dafür. Anders klingt er dabei und gar nicht so »Hoppla, jetzt komm ich«-artig wie sonst meist.

Dabei sieht es von weitem betrachtet doch so aus, als hätte Mutter Gisela ihrem Sprössling viel Gutes getan, als sie – die Tänzerin war – ihn zum Ballettunterricht schickte. Damals war das ja noch mehr eine Sensation als heute. Und dann ging er auch noch in den Kirchenchor im Michel.

»Aber das war Vater, der war im Kirchenvorstand und wollte das so«, erinnert er sich. Sieben Jahre lang ging es jeden Dienstag und jeden Freitag zur Probe und sonntags wurde früh aufgestanden, weil um neun schon Einsingen war und um zehn der Gottesdienst. »Das heißt: Ich habe in meiner ganzen Jugend praktisch nie ausgeschlafen. Darum bin ich so ein Schlafmensch geworden und penne so lange. Auf jeden Fall bin ich so zu Gott gekommen. Für mich ist das eine große Selbstverständlichkeit, mit dem lieben Gott zu kommunizieren. Heute. Wie damals.«

Durch das Singen, das er einst so himmlisch beherrschte, ist der kleine Jan auf der Empore des Michel ganz nah an die Wolken gestoßen in seinem Empfinden. »Irgendwie kann man das so sagen. Wir durften ja auch, Gott sei Dank, immer schon vor der Predigt abhauen. Damit wir den Laberscheiß nicht noch hören mussten. Das hat geholfen.«

Gezweifelt hat der junge wie der alte Jan seit dieser Zeit nie an seinem Herrn. »Für mich war immer völlig klar, dass er existiert. Der liebe Gott ist da und der liebe Gott lenkt die Sachen und macht das alles und noch mehr.«

Gab es nicht mal ein Ringen, ein Hadern mit ihm, als er dann als junger Mann so oft mit der Nase im Dreck steckte? »Es konnte mir noch so scheiße gehen, noch so schlecht. Ob ich da lag in meinem Blut und wusste, wenn jetzt nicht bald was passiert, bin ich tot – nie hab ich gesagt: ›Lieber Gott, jetzt komm endlich mal!‹ Das ist immer automatisch passiert, ohne dass ich ihn darum bitten musste.«

Als er nach dem Stimmbruch raus war aus dem Chor, die Lehre als Speditionskaufmann beendet hatte und er zu Hause vor die Tür gesetzt wurde, ging er ans Theater Esslingen. Da war er neunzehn. Wenn er zu Heiligabend wieder heim nach Hamburg fuhr, las er sieben Jahre lang noch die Weihnachtsgeschichte im rappelvollen Michel. Weil sie dort seine Stimme, auch wenn sie jetzt tief und samtig und nicht mehr so engelsgleich tönte, so liebten.

Er trug für diese Auftritte ein grünes Samtjäckchen mit Fliege, darunter ein hellgrünes Hemd und eine schwarze Hose. In diesem schmucken Aufzug steckte dieser langhaarige Hallodri, der nun Schauspieler geworden war. Es war Mitte der Siebziger, die große RAF-Zeit, und dann tritt da im hochherrschaftlichen Michel so ein fein gemachter Rocker ans Mikrofon. Jedes Mal lag ein Raunen über den Rängen.