Samstagabendhelden - Tim Pröse - E-Book
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Tim Pröse

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Beschreibung

»Das war spitze!« - Showgiganten hautnah
Tim Pröse spürt dem Gefühl einer ganzen Generation, einer Epoche nach und porträtiert die großen Entertainer, Schauspieler, Künstler, mit denen wir aufwuchsen, die uns begleitet, geprägt, erheitert und über viele Jahre die Familienabende vor dem Fernseher bestimmt haben. Mit Udo Lindenberg fährt er auf dessen »Rockliner«, Barbara Schöneberger erlaubt ihm als bisher einzigem Journalisten wirklich private Einblicke, Götz George und Pierre Brice geben ihm ihre letzten Interviews… Pröse trifft Thomas Gottschalk, Christiane Hörbiger, Hape Kerkeling, Konstantin Wecker, Jan Fedder, Alfred Biolek und lässt Legenden wie Udo Jürgens, Loriot, Hans-Joachim Kulenkampff, Harald Juhnke, Günter Strack und andere noch einmal für uns aufleben. Wie keinem Zweiten gelingt es ihm, Menschen zu öffnen, Stimmungen einzufangen und vergrabene Gefühle und Geschichten ans Licht zu holen. Die Wiederauferstehung des Samstagabend-mit-der-Familie-vor-dem-Fernseher-Gefühls.

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»Das war spitze!« - Showgiganten hautnah

Tim Pröse spürt dem Gefühl einer ganzen Generation, einer Epoche nach und porträtiert die großen Entertainer, Schauspieler, Künstler, mit denen wir aufwuchsen, die uns begleitet, geprägt, erheitert und über viele Jahre die Familienabende vor dem Fernseher bestimmt haben. Mit Udo Lindenberg fährt er auf dessen »Rockliner«, Barbara Schöneberger erlaubt ihm als bisher einzigem Journalisten wirklich private Einblicke, Götz George und Pierre Brice geben ihm ihre letzten Interviews… Pröse trifft Thomas Gottschalk, Christiane Hörbiger, Hape Kerkeling, Konstantin Wecker, Jan Fedder, Alfred Biolek und lässt Legenden wie Udo Jürgens, Loriot, Hans-Joachim Kulenkampff, Harald Juhnke, Günter Strack und andere noch einmal für uns aufleben. Wie keinem Zweiten gelingt es ihm, Menschen zu öffnen, Stimmungen einzufangen und vergrabene Gefühle und Geschichten ans Licht zu holen. Die Wiederauferstehung des Samstagabend-mit-der-Familie-vor-dem-Fernseher-Gefühls.

Tim Pröse

Samstagabendhelden

Persönliche Begegnungen mit den legendärsten Stars aus Film, Funk und Fernsehen

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Originalausgabe 2018

Copyright © 2018 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Thomas Tilcher

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich,

unter Verwendung von Fotos von © dpa/picture alliance, © picture alliance/Eventpress, © picture alliance/CITYPRESS 24, © picture alliance / dpa, © picture alliance, © picture alliance/BREUEL-BILD, © picture alliance / Sven Simon, © picture alliance, © picture alliance/BREUEL-BILD, © picture-alliance / Sven Simon, © picture alliance/Eventpress, © picture-alliance / KPA Copyright

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-22134-8V002

www.heyne.de

Für Anne, Antje und Andra

Inhalt

Vorwort

Udo Lindenberg

… und die Lieben seines Lebens

Götz George

… erzählt von seinem nahen Tod

Loriot, Hans Albers und Heinz Rühmann

… haben tiefe Spuren hinterlassen

Barbara Schöneberger

… nimmt uns mit in ihre heile Welt

Udo Jürgens und Curd Jürgens

Nachbarn in der Ewigkeit

Konstantin Wecker

… über Nahtoderlebnisse, Himmelseinblicke und Engel

Klaus Kinski, Horst Buchholz, Heinz Sielmann und Gunter Gabriel

Vier wilde Kerle

Hape Kerkeling

… triumphiert über die Tragödie seiner Kindheit

Evelyn Hamann, Horst Frank, Wolfgang Kieling und Lothar-Günther Buchheim

Vier große Querköpfe

Jan Fedder

… trifft seine alten Kameraden aus dem Film Das Boot wieder

Diether Krebs

Der tapfere Tod des Komikers

Christiane Hörbiger

… über ihren Glauben und die Liebe als Lebensbegleiter

Hans-Joachim Kulenkampff

… verlängerte unsere Samstage

Thomas Gottschalk

… taucht bis heute zurück in seine Kinderwelten

Günter Strack

Abschied in der heimischen Weinstube

Alfred Biolek

… wusste nicht mehr, wer er war

Harald Juhnke, Wolfgang Rademann, Klausjürgen Wussow und Dieter Hallervorden

Zwischen Traurigkeit und Entertainment

Pierre Brice

… erzählt, was er im Himmel vorhat

Bernd Eichinger und Barbara Rudnik

Die Mutigen sterben nur einmal

Udo Lindenberg

… zieht seinen Hut

Dank

Bildnachweis

Ich habe ein Recht darauf, aus dem Rahmen zu fallen,

wenn ich es kann und es mir wünsche.

Ich wünsche mir Chancen, nicht Sicherheiten.

(…)

Ich will dem Risiko begegnen,

mich nach etwas sehnen und es verwirklichen;

Schiffbruch erleiden, durch Stürme segeln und Erfolg haben.

Ich lehne es ab, mir den eigenen Antrieb

durch ein Trinkgeld abkaufen zu lassen.

Lieber will ich den Schwierigkeiten des Lebens entgegentreten,

als ein gesichertes Dasein zu führen.

(…)

Ich habe gelernt, selbst für mich zu denken und zu handeln,

der Welt gerade ins Gesicht zu sehen und zu bekennen:

»Dies ist mein Werk.«

Dies alles ist gemeint, wenn wir sagen:

»Ich bin ein freier Mensch.«

Albert Schweitzer

Vorwort

Zum Schluss schaut Pierre Brice noch einmal so wie damals. Mit diesen Augen, in denen ein ganzes Leben liegt. Mit diesem Blick, mit dem er sich in die Ferne sehnt.

Den ganzen Tag über redeten wir über sein Leben. Nun aber steht Pierre Brice beim Abschied vor dem Fenster seines Wohnzimmers. Er schweigt und sieht hinaus in die Weite seines Landsitzes. Ganz so wie damals in seinen Filmen von irgendeinem Felsen gen Horizont. Die Pose, die ihn unsterblich machte.

Er sieht dabei immer noch aus wie Winnetou. Wie einer, der jederzeit wieder unsere heilen Kinderwelten retten könnte. Der ganze Ernst des Lebens, von dem die Erwachsenen immer redeten, lag damals in seinem Gesicht. So stellten wir uns das als Kinder zumindest vor. Und wir glaubten, mit so einem Blick lässt sich all das, was uns an Ernst im Leben erwarten sollte, bestens begegnen. So also müsste man in die Zukunft sehen, die so riesig groß vor uns lag. Dann würde alles gut. Pierre Brice machte uns Mut.

Nun, ein paar Jahrzehnte später während meines Besuchs in seinem Haus in der Nähe von Paris, macht er dieses Abschiedsgeschenk mit seinen Fernwehaugen – und lässt tatsächlich alles wieder gut sein. Und erzählt dann ganz offen, wie er sich sein Ende ausmalt. Kurz vorm Hinausgehen sagt er zu seiner Frau: »Ich werde, wenn ich im Himmel bin, dort oben auf dich warten …« Es ist sein letztes großes Interview vor seinem Tod im Jahr 2015.

Pierre Brice war vielleicht der Unsterblichste all jener Unsterblichen unserer Kindheit. Er bestärkte uns wie kein anderes unserer großen Vorbilder. Er beschützte unsere Tagträume und winzigen Ideale. Und er spielte den Helden artgerecht mit einer Minimalmimik, die irgendwo zwischen Derrick und Denkmal lag. Mehr wäre verkehrt gewesen. Brice brauchte keinen anderen Gedichtsausdruck. Er musste nur schauen.

Es ist vielleicht ein Trost, hier mit ihm zu beginnen. Mit Pierre Brice, dem Mann, der schon 1965 dem eigenen Tod trotzte. Erst auf der großen Leinwand und später dann in Hunderten von Wiederholungen auf den Fernsehschirmen. Als Winnetou noch am Samstagabend lief. Es war eine andere Zeit – eine Zeit, in der wir noch große Wünsche hegten und fest darauf vertrauten, dass sie sich erfüllen würden.

Vielleicht, weil wir Kinder waren. Vielleicht, weil die Zeiten wirklich besser und friedlicher waren oder uns, so viel anders als heute, besser und friedlicher erschienen. Jedenfalls wollten wir das Unvermeidliche damals noch nicht hinnehmen. Sogar den Tod nicht. Ganze Generationen von Winnetou-Fans waren entsetzt über das viel zu frühe Ende ihres Helden in Winnetou III – so sehr, dass die Macher den Tod, jenen großen Unausweichlichen, austricksten. Sie ließen Pierre Brice als Häuptling der Apachen in seiner Rolle prompt wiederauferstehen und drehten einfach statt der geplanten drei Teile noch ein paar weitere Abenteuer. Und alle waren erleichtert. Denn in unserer zweiten großen Wirklichkeit, im Film, war das möglich. Der flimmerte in den Lichtspielhäusern im 16:9-Format, aber war unserer wahren Welt fast ebenbürtig. Denn damals staunten wir noch. Auch außerhalb der Kinos.

Solange Pierre Brice lebte, verlängerte er unsere Kindheit. Dank ihm waren manche von uns vier oder fünf Jahrzehnte länger Junge oder Mädchen als geplant. In unseren Herzenswinkeln.

Dann kam die Zeit, als er bald tatsächlich sterben sollte. Aber mit der Aussicht auf einen Wolkenplatz. Einen Glauben an den Himmel, vielleicht auch bloß an das Gute, braucht es dazu. Dann ist Winnetou in unseren Gedanken bis heute nicht ganz tot. Dann sitzt er da oben.

Vielleicht gelingt es diesem Buch, ein solches Gefühl zu hinterlassen. Ein kleines Schweben. Eine Hoffnung. Unseren legendären Samstagabendhelden zur Ehre. Und was das Schönste ist: Die meisten großen Künstler in diesem Buch leben ja noch. Auch deswegen habe ich es geschrieben: um ein paar Unsterbliche von heute zu feiern. Es wird für sie keine Nachfolger geben.

Bei ihren Auftritten jubelte das Publikum schon vor Jahrzehnten und tut es heute noch. Und man spürt zudem, wie sehr der Applaus auch von Dankbarkeit getragen ist. Es geht um Lagerfeuermenschen wie etwa Thomas Gottschalk, aber auch um dessen Vorbild Hans-Joachim Kulenkampff. Wenn beide am Samstagabend im Fernsehen waren, versammelten sich die Familien vor dem Bildschirm wie einst um Glut und Flamme.

Dieses Buch möchte aber auch ein Lebensgefühl nachzeichnen. Viele von uns spüren, dass wir am Ende einer Epoche stehen und dass nichts bleibt, wie es war. Wir sehen, dass die echten Typen, die Charaktermenschen, langsam abtreten oder aussterben. Nicht nur jene der Samstagabende, bei denen wir so viel Halt fanden – so viel Geborgenheit. Oder sogar Glück. Vielleicht befinden wir uns in einer Zeit des Heldensterbens.

Dabei sehnen wir uns mehr denn je nach Vorbildern. Diesem wehen Gefühl möchte ich die Giganten der nächsten Kapitel gegenüberstellen. Denn einige von ihnen sind nicht nur große Künstler, sondern auch wahre Überlebenskünstler.

Sie haben viele von uns geprägt und erheitert, mit ihrer Unangepasstheit ermutigt. Sie alle sind Freigeister. Und eines leider nicht mehr ganz so fernen Tages werden wir sie vermissen. Denn gefühlt waren sie schon immer da, sie begleiteten uns fast lebenslänglich. Weil sie unverwechselbar, kantig und einzigartig sind.

Beginnen möchte ich mit Udo Lindenberg, dessen Songs der Soundtrack unserer jugendlichen Samstagabendfreiheiten war. Mit ihm im Walkman oder dem Kassettenradio unserer ersten Autos zogen wir los in die Nacht und ihre Abenteuer. Später dann als Erwachsene freuten wir uns, wenn er samstags bei Wetten, dass..? auftrat.

Udo Lindenberg wird in den folgenden Gesprächen mitunter sehr ernst werden. Zur Aufheiterung wird er dann kurz seinen Hut heben. Bloß ganz flüchtig – weil wir gerade über das Unsichtbare und Geheimnisvolle reden und er erzählen und zeigen will, was sich dort oben so verbirgt. Ein bisschen »hochsensibles« Haar immerhin, keine Glatze. Und unterm Haar, in seinem Kopf, ein ebenso sensibler Geist. Dann setzt er die Brille ab und zeigt zwei mit Kajal geschminkte Augen. Voll von gelebtem Leben. Von seiner Seele. Und ja, auch ein wenig von Panik. Selbst jetzt, im Zenit seines Erfolgs, glimmt sie an manchen Tagen noch um seine Pupillen herum – auch wenn er noch so gern das Gegenteil behauptet. So sehr und lange, dass »Keine Panik« seit Jahrzehnten sein Markenzeichen ist. Er kennt sie aber bis heute, diese Panik. Davon wird er gleich erzählen.

Udo Lindenberg wird ein paar seltene Augenblicke lang in die Tiefen seines Gemüts schauen lassen und uns auf seinem Rockliner mit auf große Fahrt nehmen. Er wird sich an seine dunkelsten Tage erinnern. An jene, als er dem Tod näher war als dem Leben. Und dann wird er zum Glück seiner Gegenwart gelangen. Auch davon wird er in diesem Buch erzählen.

Ist Götz George wirklich tot? In vielen Herzen – oder wie man heute sagt: gefühlt – ist er bis heute nicht gestorben. In seinem letzten großen Interview, das ich mit ihm führen durfte, verriet er, wie er vor seiner großen Herzoperation noch mit den Ärzten scherzte: »Nun strengt euch mal ein bisschen an! Sonst muss ich abtreten, und dann seht ihr keinen Schimanski mehr!« Und dann erzählte er, wie er sich sein Ende ausmalt.

Aufmuntern wird uns danach zuverlässig Barbara Schöneberger, die vielleicht letzte große Hoffnung des TV-Samstagabends. Die stets so ungestüm fröhlich und ohne Ängste ist. In ihrem Wohnzimmer erklärt sie, was ihre Sonne scheinen lässt.

Konstantin Wecker flutet in seinen Konzerten mit Gefühl. Hier spricht der Liedermacher über Nahtoderlebnisse. Und über Engel, die ihn zurück zur Erde schickten, als er sich schon im Himmel glaubte.

Es folgt Hape Kerkeling, der Mann, der uns alle von Herzen lachen ließ und sich nun zurückgezogen hat. Sehr offen blickt er zurück auf seinen bunten Weg, der mal so dunkel begann, als er mit acht Jahren am Grab seiner Mutter stand.

Thomas Gottschalk teilte als Junge dieses Schicksal; er stand vor dem Sarg seines Vaters. Und dennoch hat dieser Mann den Deutschen eine Leichtigkeit geschenkt, die ihresgleichen sucht. Woher sie rührt und wie er sie bewahrt, erzählt er hier und katapultiert sich dabei noch einmal zurück in seine Kindheitswelt.

Jan Fedder ist der letzte große Volksschauspieler. Und geht noch einmal zurück an den Ort, an dem er berühmt wurde. Zusammen mit seinen Filmkameraden von damals taucht er zurück in die Originalkulisse aus Das Boot.

Christiane Hörbiger erinnert sich an den bittersten Moment ihres Lebens – und umso stärker und stolzer an das, was sie aus ihm schöpfte für ihr weiteres Leben und ihre Kunst.

Dann folgt Alfred Biolek, der seine Gesprächspartner öffnen konnte wie kein Zweiter. Nun erzählt er von der Zeit, als er nicht mehr wusste, wer er war.

Sie alle sind unsere Samstagabendhelden. Und dieses Buch möchte auch ein Dank sein für all das, was wir ein Leben lang erlebt haben mit diesen Stars: grandiose Unterhaltung, große Gefühle und ergreifende Lieder.

All diese Ausnahmekünstler sind Standing-Ovations-Stars. Die Zuschauer haben sich vor ihnen erhoben, tun es bis heute und bringen ihnen ihre Zuneigung im besten Wortsinn aufrecht entgegen. Aber auch die Beklatschten haben ihr Publikum manches Mal erhoben. Sie haben es nicht nur unterhalten, belustigt und berührt. Sie haben es auch erbaut. Ganz genau so, das hoffe ich, sollen sie es bitte noch eine ganze Weile weiter tun.

Wenn ich mich als Autor dieses Buchs gelegentlich selbst einbringe, dann deswegen, weil ich Ihnen diese Samstagabendhelden noch näherbringen möchte. Ich möchte Sie manchmal durch meine Augen auf diese Menschen schauen lassen. Will Distanzen aufheben und Ihnen diese Charakterköpfe so gefühlvoll beschreiben, wie es mir möglich ist, wenn ich von meinen persönlichen Begegnungen mit ihnen erzähle.

Natürlich ließe sich die Auswahl fast grenzenlos erweitern. Und für jeden von Ihnen wird es ganz verschiedene Samstagabendhelden geben; einige werden Sie sicher auch vermissen. Ich möchte hier jene Unverwechselbaren hautnah beschreiben, die ich auch von Angesicht zu Angesicht – und vor allem auch in ihren Höhen und Tiefen – erleben und begleiten durfte.

Diese Menschen tragen ihre Kunst wie eine Flamme in und mit sich. Sie sind Fackelträger! Und solange ihre Fackel lodert, muss sie weitergereicht werden. Selbst wenn sie vielleicht eines Tages zu erlöschen droht. Sogar dann wird ihre Wärme hoffentlich nicht ganz verschwinden. Wie zum Beweis, dass das geschehen kann, erinnert dieses Buch auch an einige Künstler aus Film, Funk und Fernsehen, die nicht mehr am Leben sind – deren Glut aber bis heute weiterglimmt. Sie haben uns an vielen Samstagabenden und weit darüber hinaus erheitert oder auch nachdenklich gestimmt. Deswegen mache ich mich in diesem Buch auf den Weg zu den Gräbern einiger dieser Stars – und ihren großen Schatten.

München, im September 2018

Tim Pröse

Ich freue mich, wenn Sie mir schreiben: [email protected]

Udo Lindenberg

… und die Lieben seines Lebens

Wenn Udo wach wird, ist es auch heute noch manchmal wie ein kleines Sterben. So wie damals, nach den dunkelsten Nächten seines Lebens. Als es spät am Nachmittag bloß ein Sonnenstrahl durch einen Spalt im Vorhang seiner Hotelsuite schaffte. Der dann irgendwann auf seine Augenlider fiel, durch sie drang und dieses glutrote Licht hinterließ. Das so sonderbar hell und orange leuchtet, wenn die Sonne durch geschlossene Augen scheint. Oder aber wenn man stirbt. So sagen es einige, die dem Tod nahe waren. Als Udo damals erwachte, war er sich oft nicht sicher, ob er noch am Leben war. Oder ob er schon ins Licht ging.

Heute ist etwas von diesem Unglauben in ihm geblieben. Wenn auch nur noch aus purem Glück und nicht länger aus Furcht vor dem Tod. Denn heute ist da diese Freude, dass er überlebt hat. Und weil diese Freude so unfassbar ist, auch im Wortsinn, fasst sich der Mann im Bett schon mal an seinen Arm. »Ich kneife mich dort, um zu testen, ob das alles wahr ist. Ob das alles der wahre Udo ist«, sagt er und streckt mir seinen Arm entgegen, um das vorzumachen. »Ich kann es oft selbst nicht glauben.« Dass das Orange, das damals hinter seinen Augenlidern glimmte, heute aus Hunderten von Scheinwerfern auf die Bühne flutet, wenn er vor 50000 Menschen auftritt. Es ist genau jenes tiefe Orange, in dem Denkmäler nachts erstrahlen.

DieNachtigall, sie fängt erst richtig an zu leben, wenn der Tag sich neigt. Ganz so wie der Vogel. Erst dann mag er singen und losfliegen und die Menschen erfreuen mit seinen Melodien. Deswegen trägt der Mann mit dem wunderbaren Vogel auch einen Ring an seiner Hand, in den eine Nachtigall graviert ist. Gleich neben dem Totenkopf und dem »Panik«-Ring ist Platz für sie.

An ganz besonderen Tagen aber steckt er noch einen hinzu. Seinen kostbarsten Schmuck. Marlenes Vermächtnis. Es war die große Dietrich, die ihm kurz vor ihrem Tod diesen Ring maßanfertigen ließ. Aus purem Gold. Mit einer großen 7 darauf. Udo sagt: »Der steht für die sieben Tage der Woche. Und dass so viele Menschen ihre Tage einfach verschwenden. Diese 7 aber soll mich daran erinnern, jeden einzelnen Tag zu leben, als wär’s der letzte.«

Es war wie eine Staffelübergabe, damals Ende der Achtzigerjahre. Marlene reichte die Fackel weiter – von der größten deutschen Ikone des 20. Jahrhunderts an die künftige Ikone der deutschen Rockmusik.

Marlene Dietrich war Lindenbergs großes Idol und Deutschlands größter, vielleicht einzig wirklicher Weltstar. Sie ließ damals längst niemanden mehr zu sich in ihr Appartement in der Avenue Montaigne in Paris, weil sie altern wollte, ohne dass sich die Blicke der Welt auf sie richten. Doch Udo quartierte sich eine Straße entfernt in einem Hotel ein und schickte ihr Tonbänder zu. Auf die sprach Marlene ihre letzten überlieferten Texte für ihn. Er veröffentlichte sie 1988 auf seiner CD Hermine. Aus Dank für Marlenes letzte Worte ließ Udo später jede Stufe in Dietrichs Pariser Treppenhaus mit »roten Rosen der Liebe« pflastern.

Die Dietrich, die ein seltenes Gespür für solche großen Dinge hatte, fühlte, dass es bei Udo immer um Leben und Tod geht. In seinen Liedern und Texten – und zu der Zeit auch in seinem Leben. Es waren jene Jahre, als Udo ihr Lied Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre nachsang. Die Jahre, als der Sinn dieser Zeile sein böses Omen wurde. Als er drohte, sich selbst zu verlieren und unterzugehen. Da schenkte ihm Marlene Dietrich den Ring, der ihn mahnte, immer weiterzuleben. Und nicht zu sterben. Für Udo war es ein Rettungsring.

Die erste große Zeit seiner Karriere war damals fast schon vorbei. In Deutschland galt er in den Neunzigern als gestrig und in den Augen mancher sogar als irgendwie ulkig. Als Karikatur seiner selbst belächelten sie ihn. Die Platten verkauften sich nicht mehr, die Konzerthallen füllten sich nicht mehr. Doch die Dietrich, in ihrem freiwilligen Exil von der Welt und ihren Moden entrückt, erkannte und liebte Udos Größe.

Heute ist Lindenberg der berühmteste Rockstar Deutschlands – eine Legende –, geadelt von einer unsterblichen Kollegin im Verborgenen. Fast vergessen, dass er in den Siebzigern bei seinen TV-Auftritten als Antispießer noch so manchen Bürger bei Käseigel und Salzstangen in seiner Samstagabendidylle erschreckte. Heute tritt er bei Gottschalks letzter Wetten, dass..?-Sendung auf, singt Thommy ein Ständchen, und alle sind verzückt.

Spätestens seit er 2008 mit seinem Album Stark wie Zwei das Comeback seines Lebens schaffte, wissen das auch endlich alle. Seit Phönix aus der Flasche wieder auferstand. Vorher war er doch schon ein bisschen tot, seine Flügel waren gebrochen und geschient.

Wir hatten Angst um ihn. Und sind nun mit ihm glücklich. Wenn wir uns ihm heute nähern, spüren wir nur noch gelegentlich einen Hauch der alten Sorge. Es ist nicht mehr der Tod selbst, der früher nahe schien, wenn man Udo begegnete. Aber sein langer Schatten, der ist noch zu erahnen.

Und wie das so ist, wenn der größte aller Schatten hineinspielt in eine Szenerie, ziehen ganz schnell viele Lebensbilder an den Augen vorbei. Mir haben sich auch jene Bilder von Konzerten und Auftritten in Udos Dunkelzeit in den Neunzigern eingeschärft und jene zu Beginn des neuen Jahrtausends, als er von der Bühne in nur ein paar Hundert übrig gebliebene Fangesichter blickte. Und in tausend Abgründe.

Betäubt sein Blick, schwankend seine Gestalt. Mehr als einen Fußbreit war er damals doch schon drüben, im Lande Nangijala, wie Astrid Lindgren das Todesreich nannte. Wie er es selbst im gleichnamigen Lied aus den Neunzigern besang. Als er in Nangijala beinahe heimischer war als in seinem damaligen Leben.

Als man Udo früher traf, vor vielen Jahren, hatte das etwas von der Wucht und Panik eines Nahtoderlebnisses. Denn das Sterben hatte er, nüchtern betrachtet, häufiger erlebt. Mit einem Alkoholwert in seinen Adern, der ausgereicht hätte, seine sterbliche Hülle dauerhaft zu konservieren. Wie oft haben sie ihn entgiftet? Wie schwer waren seine Herzattacken?

Wer schon einmal hineingelinst hat in die Gegenwelt, geht künftig anders durch die wahre schöne – wacher, bewusster, gegenwärtiger. So wie Udo heute.

Wenn man ihm heute gegenübersteht, hat das Naturgesetz, das verdammte, endlich einmal ausgesetzt. Denn da steht ein Zeitloser und Lebensstrotzender vor einem. Der heute sogar schon wieder so viel abgeben kann von seiner Power. So viel verschenken, dass einem schwindlig wird. Dass es einem die Schuhe auszieht – auch im direkten Sinn.

Gerne schlüpft Udo deswegen aus seinen schwarzen Boxerstiefeln und geht in neongrünen Strumpfsocken, geradezu wie auf Wolken. In den Knien dabei stets dieses Federn. Die Füße rollen von der Hacke bis zu den Zehenspitzen der Länge nach ab, und das gibt ihm diesen Groove beim Gehen. Ein bisschen bleibt er ja auch nüchtern stets im Schleudergang. Seine Erfindung ist diese Fortbewegungsart, längst eines seiner Markenzeichen. Einst aus der Not geboren, als er betrunken torkelte auf der Bühne und breitbeinig Halt suchte. Nun hat er auch die zweite Bedeutung des Schleudergangs hinter sich – wie bei Bauknecht und Miele die Vor- und Hauptwäsche. Ab jetzt wählt er nur noch den Feinwaschgang für die zarten Gefühle und Songs. Und in Strumpfsocken spürt er auch besser, was unter ihm ist. Udos Barfußvorliebe ist bewusstseinserweiternd.

»Unsere Füße müssen weiter, unsere Herzen bleiben hier«, summt er oft gegen Ende eines Konzerts, wenn er sich verabschieden muss. Und es ist dann tatsächlich so, als führten seine Füße ein Eigenleben und zögen den Mann mit sich. Früher musste er dann balancieren und ruderte schon mal mit den Armen. Haltlos wie er war, weil ihn Lady Whisky nur immer auf Zeit in ihre Arme nahm. Um ihn dann schäbig fortzustoßen.

Heute sind da nur noch die Fliehkräfte seines rasanten Wiederaufstiegs, die an ihm ziehen. Dann legt sich Udo in die Steilkurven seines Lebens und verliert noch immer an Erdanziehungskraft bei diesem Tempo, fliegt aber nicht wie damals aus den Kurven.

Eine solche Begegnung mit ihm fühlt sich an wie eine Fahrstuhlfahrt in einem Wolkenkratzer. Der Mann weiß um seine Sogwirkung. Es ist, als hätte er gleich zu Beginn auf den Knopf mit der höchsten Zahl gedrückt. Man schnellt mit ihm empor. In den Knien ist da wieder dieses Spiel, im Magen ein Drehen und Ziehen. Ein Treffen mit Udo beschleunigt aus dem Stand heraus.

So wie jenes im Spätsommer 2017. Für fünf Tage ist die Kapitänssuite auf dem Kreuzfahrtschiff MeinSchiff 3 sein Zuhause. Udo Lindenberg ist auf hoher See. Irgendwo kurz vor Göteborg. Von einem Ledersofa schaut er durch Panoramascheiben auf die Ostsee. Sein Blick geht von hier so schön und andauernd bis zum Horizont. Und was da schwankt, das ist schon lange nicht mehr in seinem Blut, das sind bloß die Wellen unterm Bug. Es ist sein fünfter »Rockliner«, auf dem er seine Fans zu einer Seereise einlädt. Die 2500 Kojen sind wie immer zehn Minuten nach Verkaufsstart restlos ausgebucht.

Vor dem großen Fenster geht er jetzt auf und ab. Ein bisschen wie der Panther in Rilkes Gedicht, das er so mag: »Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte …« Seine Schritte federn jetzt. So flauschig-fein ist der Teppich in seinem Meeresdomizil, dass jeder Tritt in ihm lautlos versinkt – und eine Spur hinterlässt wie in Neuschnee.

Genau so mag es der Bewohner der Kapitänssuite auch in seinem sonstigen Leben: Da ist nichts in dieser Behausung, was seinen Blick in Beschlag nehmen oder aufhalten möchte. Kein Krempel, kein Schnickschnack, fast nichts Persönliches. Stattdessen möglichst viel Projektionsfläche für seine Fantasien: weiße Wände und große Fenster wie im Hotel Atlantic in Hamburg. Mit diesem Blick auf die Alster und den Himmel. Das Wasser ist blau oder blaugrau, der Himmel meist hamburgisch grau. Und wenn es dämmert, vereint sich beides. Dann ist das nur noch Udos geliebtes Schwarz.

Der Blick hinaus aufs Meer aus seiner Kabine auf See macht es ihm noch einfacher. Denn da ist ja nur das Blau der See und des Himmels, und beides unterscheidet sich heute kaum voneinander. Es ist einer jener Tage, an denen alles ineinander übergeht. Udo-Tage.

Mit etwas Glück kann man an solchen Tagen vollbusige Meerjungfrauen entdecken, die Udos Schiff begleiten. Natürlich nur auf seinen Bildern, die auf dem Weg zum Buffet zum Verkauf aushängen.

In seinem schwimmenden Wohnzimmer hängt dagegen kein Lindenberg. Dafür eine Replik von Caspar David Friedrichs berühmten Gemälde Der Wanderer über dem Nebelmeer. Es zeigt einen Mann, der einen steilen Gipfel bezwungen hat und nun Richtung untergehender Sonne zum Horizont blickt. Der Wanderer dreht dem Betrachter den Rücken zu, denn er ist schon älter und schaut zurück auf sein Leben. Melancholisch, wehmütig. Typisch deutsch, meinen manche und halten das Gemälde für eine Bewusstseinsbeschreibung der schweren deutschen Seele. So wird Friedrichs Meisterwerk oft wie ein Synonym verwendet auf Zeitschriftencovern und Büchern, wenn Deutschland Thema ist. Ein 200 Jahre altes Symbolbild. Und darunter sitzt eines von heute. »Der Mann mit dem Hütchen«, wie er sich jetzt selbst nennt, ist ein Markenzeichen des modernen Deutschlands.

Gleicht der Mann etwa, der sich unter Caspar David Friedrichs Gemälde auf dem Ledersofa rekelt, ein wenig jenem Wanderer über dem Nebelmeer? Zumindest ist er, wo immer er auch geht und steht, von ähnlichen Schwaden umgeben wie jener Ersonnene des großen deutschen Malers der Frühromantik. Denn wenn Udo nicht gerade knietief im Kunstnebel einer Bühne steht, pflegt er sich selbst in Wolken zu hüllen, weil ihm der Qualm seiner Zigarre so gut schmeckt. Aber noch mehr, weil er meist in und über den Wolken unterwegs ist mit seinem Kopf.

Der Rest des Körpers mag ganz klar unterwegs sein, nach vorne gehen oder um eine Ecke. Aber Udos Kopf bleibt stets umwoben von seinem Atem. Und damit der auch sichtbar ist, legt er Rauch in ihn. Neuerdings aus Gesundheitsgründen auch jenen aus einer E-Zigarette. Hauptsache, es dampft. Udo schmaucht ständig, wie eine Lok im Leerlauf. Immer abfahrbereit. Immer auf Betriebstemperatur. Und, was vielleicht am wichtigsten ist: immer leicht aus Zeit und Raum gefallen und ominös. Mindestens aber voller Geheimnisse.

Udos Gesichtswolke, die er mit sich führt, ist sein ganz persönlicher Weichzeichner. Sie lässt ihn verschwommen aussehen und ist Teil seiner Camouflage geworden wie Brille und Hut. Da ist einer schon ein wenig ewig. Weltlicher Weihrauch umwabert ihn. Ein bisschen Selbstauflösung und Schemenhaftes nutzt der Denkmalbildung.

Udo braucht die breite Krempe über der Brille und ihre großen schwarzen Gläser, weil unterm Hut und hinter dem Gestell alles immer auf Hochtouren arbeitet. Weil er alles wahrnimmt. In sich aufsaugt. Einatmet. Viel zu viel. Einige Menschen werden von dieser Gabe noch erzählen und sich wundern, was für ein Elefantenhirn unter Udos Hut beheimatet ist. Auch deswegen neigte er früher zur Selbstbetäubung. Promillisiert ließ sich der Sturzbach der Sinneseindrücke besser dosieren und ertragen. Heute müssen die Udo-Utensilien reichen und die Wolke, um auf Abstand zu halten – und ein paar Reize außen vor zu lassen.

Denn Udo sieht mehr als andere. Und er ist ständig unterwegs, auch wenn er scheinbar ruhig in seinem Hotelzimmer sitzt. Deswegen wäre es fatal, wenn er sich irgendwo wirklich niederlassen würde – eine feste Wohnung haben, schlimmer noch eine Immobilie besitzen. Denn Udo ist nun mal das Gegenteil von immobil.

Auf dem so herrlich mobilen Rockliner gibt er drei Konzerte, weil nur je 850 Leute ins Bordtheater passen und jeder der 2500 Fans ein Konzert erleben soll. Bei seinem letzten darf ich ihn backstage bis zu seinem Auftritt hinter der Bühne begleiten.

So großzügig war er schon in seinen schlimmen Jahren, erinnere ich mich – in der halb leeren Münchner Philharmonie etwa, als nur ein paar Hundert Hartgesottene zu seinen Konzerten kamen und nicht wie heute 50000 Fans. Oder als er sogar auf dem Münchner Alternativfestival Tollwood in einer Art Bierzelt auftrat und trotzdem noch mehr Vertrauensvorschüsse verschenkte als heute. Er bat einen auch damals zu sich hinter die Bühne und ließ einen zusehen, wie er sich mühsam aufrappelte oder auch hindurchschleppte. Das tat weh, weil es manchmal nur einen halben Udo zu erleben gab hinter der Bühne und die andere Hälfte von ihm geflutet war. Nie war man ganz allein mit Udo. Ich schrieb damals über diese schwierigen Auftritte als Zeitungsreporter, aber immer genauso liebevoll wie heute. Das hat er sich gemerkt.

Nun ist er meist nur noch naturstoned. Seit er nicht mehr mathematisch »nach der Mengenlehre« trinkt. Auch auf der Mein Schiff 3 stehen da zwar immer noch die Silberkübel direkt neben dem Bühnenaufgang. Beladen mit Champagner, Wodka & Co. in ihrem Eiswürfelbett, das beim Schmelzen leise vor sich hinknistert. Alle von der Band langen hinein und bedienen sich. Bloß Udo nicht. Die Tänzerinnen aus den USA proben ihren Chorgesang und dichten, in Ermangelung fortgeschrittener Deutschkenntnisse, englische Behelfstexte zu seinen Hits: »Put your penis in my beaver« singen sie dann zum Refrain von »Denn sie brauchen keinen Führer …« – natürlich nur hinter der Bühne. Lustig ist es. Bis er erscheint, endlich.

Der Kapitän des Schiffs wartet nämlich schon 20 Minuten hinter der Bühne auf ein »Meet and greet« und ein Selfie. Seelenruhig erledigt Udo das und umarmt uns alle, als schon die ersten Takte seiner Auftrittsmelodie laufen. Dann muss er raus ins Licht, um eines seiner privatesten und berührendsten Konzerte zu geben. Für seinen harten Kern. Als sänge er für jeden Einzelnen. Und wieder begrüßt und hinterlässt er einen mit diesem Fahrstuhlgefühl.

Das zelebriert er täglich. Im Hotel Atlantic benutzt er den Lift in die Lobby wie ein Verwandlungskünstler. Wie ein Magier, der Dinge und Menschen in seiner dunklen Kiste verschwinden lässt und sie per Fingerschnipp zu weißen Kaninchen schrumpft. So gelingt auch Udo die Verwandlung in Sekundenschnelle, wenn er den Aufzug im Atlantic betritt. Eingestiegen als Privatmann, der er, so erzählen sich manche, auch mal sei, steigt er im Erdgeschoss aus als Kunstfigur. Und ist ab nun Hauptdarsteller in seiner Alter-Ego-Arena: »Wenn sich die Türen öffnen, beginnt mein Leben als Udo L.« Ein Job, den es, wie er sagt, nur einmal gibt auf der Welt.

Als Liftboy begann seine Karriere. Als er aus der Gartenstraße in Gronau ausbrach mit 16 Jahren, verdingte er sich als Page im Düsseldorfer Breidenbacher Hof. Da war sich einer von Beginn an treu und wollte die prächtigen Hotels nicht bloß von außen bestaunen, sondern von innen erleben. Bis er merkte, dass hier der Falsche den Diener macht. Künftig wollte er selbst Gast sein in solchen Etablissements.

Vielleicht ist es diese kindliche Art und Weise, die ihn dazu gebracht hat, bis heute einiges an Geld täglich in einem Luxushotel zu verprassen; selbst in Deutschland verübelt ihm das kaum jemand. Außerdem, so sagen ein paar Insider, habe er einen guten Deal abgeschlossen mit dem Atlantic. Viel bessere Werbung kann das Haus ja auch nicht haben.

»Lebe XXL, sonst tun es deine Erben« – dieses Motto hatte Udo mal in seiner »Panikzentrale« als Postkarte aufgestellt. Und so hält er es. Und lebt diesen Kalenderspruch radikal, in einem Land, in dem so viele Sparfüchse und Geldscheffler so tun, als könnten sie sich für all ihre zu Lebzeiten angehäuften Güter ein Regal in ihre letzte Behausung zimmern lassen. All jenen singt Udo entgegen: »Immer lustig und vergnügt, bis der Arsch im Sarge liegt …«

Was wird er einst hinterlassen, außer seinen Liedern? Typisch Udo, dass er sich ausgerechnet bedeckt hält, wenn er am meisten angeben könnte. Was seine Udo Lindenberg Stiftung in Afrika leistet, ist berührend. Sie hilft den Menschen dort dauerhaft. Man erfährt davon fast nur, wenn Udo einen seiner »Geheimräte« wieder einmal losschickt, um den Bau eines neuen Brunnens oder eines neuen Wasserturms anzutreiben. Dann postet Udos wunderbare Vertraute Sonja »Schwessi« Schwabe auf Facebook recht versteckt Fotos von lächelnden Kindern aus Afrika. Eine Frau mit Herzensbildung, die ihm guttut.

Vor Ort für die Udo Lindenberg Stiftung ist auch sein Seelen- und Businessbegleiter Arno Köster. Ein cooler Typ mit Wärme in seinen Gedanken, Pferdeschwanz und Herzenstiefe, der Udo den Zigarrenhumidor in seine Garderobe stellt, sich um PR und Presse kümmert und sonstige Arbeiten an seiner Legende betreibt. Er leitet auch die Stiftung.

Arno fährt Udo auf Tour im »Panik-Porsche« mit den zu seiner Sockenfarbe passenden neongrünen Lederapplikationen auf den Sitzen zu den Stadien. Manchmal fährt Udo auch selbst. Dann aber so gemächlich, wie ältere Männer mit Hüten halt so fahren. Gedrosselt und eher sonntagnachmittagsmäßig. In Hamburg etwa erleben ihn manche im Schritttempo durch die City kriechen. Dann haben auch alle was davon, bleiben stehen im Udo-Stau und winken. Mal fluchend, mal freudig, wenn sie ihn erkennen.

In seinem Porsche fühlt sich Udo sicher beim Schaufahren. Geht er zu Fuß, wählt er zwischen verschiedenen Tarnkappen. Nachts zum Alsterjoggen reicht ihm zumeist die Flauschkapuze seines Jogginganzugs. Tagsüber jedoch zieht er schon mal eine Heino-Perücke auf und schlüpft in Herrenkleidung, die nicht nach Udo aussieht und aus Personenschutzgründen hier nicht verraten werden kann.

Ich wünschte manchmal, ich wäre auch ein Sonnenbrillenträger wie er. Oder hätte solch einen Hut, den ich tief zur Tarnung ins Gesicht ziehen könnte. Dann sähe er nicht immer gleich alles, was sich in meinen Augen äußert, wenn ich ihn treffe. Denn wenn er vor mir steht, sehe ich immer erst einmal nur den Überlebenden in Udo. Den vom Beinahe-Tod ganz knapp Geretteten. Und das bewegt mich.

Der Sänger, der Künstler, der größte Rockstar Deutschlands, der wird mir immer erst ein paar kurze, flache Atemzüge später bewusst. Das macht es erst einmal so gefühlsschwer, ihm zu begegnen. Erst später wird mir ganz leicht zumute, weil ich so gerührt und eigentlich nur glücklich bin, dass es ihn noch gibt – entgegen jeder Wahrscheinlichkeit.

Wer mit Udo ins Gespräch kommt, sollte wach sein. Denn das meiste, was er sagt, ist kostbar wie eine seltene Ressource – entweder frisch für sein Gegenüber gerade erdacht oder, falls leicht gebraucht im Udo-Sprech, noch einmal aufgehübscht. Er kann ja unmöglich allen, die auf Verdacht in sein »Wohnzimmer«, die Lobby des Atlantic, kommen, um wenigstens ein paar Takte mit ihm zu sprechen, Breaking news erzählen. Und so sollte man die Zeit während einer flüchtigen Udo-Begegnung nutzen, in der er dann und wann schon mal eine seiner leicht abgehangenen Wortjonglagen performt, um ihn ganz genau anzuschauen. Denn er sendet ja auch jede Menge nonverbale Botschaften. Jedes Mal wundern mich etwa seine Hände. Sie sind nicht, wie man meinen könnte, mit zarten, langgliedrigen Fingern besetzt, sondern mit jenen eines Schlagzeugers und Abenteurers. Erstaunlich kräftig, erstaunlich behaart, sogar auf den ersten beiden Fingerknochen mit Rauhaar bewachsen.

Dann sind da noch seine muskulösen Unterarme, die breiter wirken als seine Oberarme. Fast ein bisschen wie bei Popeye. Und auch seine untere Gesichtspartie hat was vom Comichelden. Er kann seinen Mund wie einen Schrägstrich quer in sein Gesicht stellen und malmt gern mit seinem Unterkiefer vor sich hin. Noch häufiger arbeiten seine seitlichen Kieferknochen für seine typische Udo-Hut-Wippe. Zusammen mit einem Augenbrauenbeben und entspannten Stirnrunzeln lässt Udo, wenn er denn in fröhlicher Erwartung auf irgendetwas ist, gerne sein Markenzeichen auf und ab beben. Witziger Nebeneffekt: Seine Ohren wackeln dann ein bisschen mit bei dieser Gesichtsmuskelparade, was aber kaum auffällt, weil die Ohren dann an die Hutkrempe stoßen und dort abgefedert werden.

Seinen Alltagslook hat er mittlerweile abgerüstet. Statt in kompletter Lindenberg-Tracht begibt er sich in die Lobby des Atlantic meistens mit olivgrüner Militarymütze und Kapuzenpulli unter einer leichten Lederjacke. Dort warten jeden späten Nachmittag mehrere Pulks von Fans auf ihr Glück. Sie buchen sich ein, ohne zu wissen, ob er da ist. Und wenn sie erhört werden, nimmt sich Udo Zeit für sie. Aufmerksam ist er für die Herren und die Damen. Er zwinkert: »Den Kundendienst macht der Chef hier noch persönlich«.

Kommen wir noch einmal zurück zu seinen Füßen. Sie sind zu lang geraten für diesen Mann, der angeblich, so sagen es die Archive unterschiedlich, zwischen 1,69 und 1,76 Meter groß sein soll – aber selbstverständlich größer wirkt! Was nicht nur am Hut liegt, diesem Udo-Verlängerungsutensil.

Und dann sind da seine Augen. Sie erscheinen natürlich auch deswegen so groß, weil er den freien Blick auf sie mit einem Sonnenbrillenaufsetzer verknappt, statt ihn zu verschleudern. Da weiß einer, was es bedeutet, jemanden eines Blickes zu würdigen oder eben nicht. Oder wie schön es ist, auf jemanden seinen Blick zu werfen. Udo tut das beides nämlich wirklich. Er setzt die Brille ab und wirft mit Blicken. Oder spielt mit ihnen und verschickt sie. Bei ihm sind das nicht irgendwelche Phrasen. Und diejenigen Wortjonglagen, die er selbst sprachlich verwendet, hat er höchstpersönlich entworfen und seit vier Jahrzehnten streng patentiert.

Viele meinen, ein paar von diesen Udo-Sprechs nachahmen zu müssen, wenn sie sich mit ihm unterhalten – was verständlich, aber riskant ist. Es wirkt meist ein bisschen komisch. So als würde man das Bellen eines Hundes oder den Gesang eines seltenen Vogels imitieren, um sich besser mit ihm verständigen zu können. Es klappt nicht. Diese hehre Kunst beherrscht allein sein Freund Helge Schneider – dessen Udo-Persiflage auf YouTube ist so meisterhaft, dass man meint, Lindenberg würde aus dem Off sprechen und Schneider würde dazu nur seine Lippen bewegen.

Seine Sprache, mit dem Jacob-Grimm-Preis ausgezeichnet, prägte Generationen von Deutschrockern. Auch diesen einzigartigen Heinz Rudolf Kunze – ein Lindianer, der diese neue Sprache in sich aufnahm und dann veredelte wie kein anderer. Bis heute sind seine Lieder und Texte das allerbeste Erbe zu Udos Lebzeiten und darüber hinaus einsame Spitze in Deutschland. Niemand dichtet gewaltiger und kunstvoller als dieser Popkünstler. Ich höre seine Lieder, während ich dieses Buch schreibe, und sage von Herzen Dankeschön an ihn.

Heinz Rudolf Kunze wäre Udos einzig ebenbürtiger Nachfolger gewesen, wenn der frühzeitig gegangen wäre. Doch dann ereignete sich Udos Wiederauferstehung. Kunze singt und textet dennoch auf seiner Augenhöhe, wenn auch leider nicht gebührend bemerkt in Deutschland. So wie einst Udo.

Vor seiner Renaissance war er im Doppelpack zu bestaunen. Denn seine Statur war irgendwann so XXL wie seine Gedanken, manchmal auch so breit. Heute hat er sich wieder leicht gemacht für seine Expeditionen. Der »Rock-’n’-Roll-Mops« der Neunziger hat sich halbiert. Jetzt passt er mit vollem Bühnendress in das Astronautenkostüm, in das er zum Schluss seiner Konzerte steigt und von der Bühne fortfliegt. Wenn die Neonlichter der Arenen dann wieder aufleuchten, wallt da nur eine Rauchwolke über der Bühne. Ein Sinnbild für seinen Lebensstil.

Den hat er flexibel gestaltet. Seine Autos stellt ihm Porsche in die Hoteltiefgarage, wo sie auf ihn lauern wie gezähmte Panther. Mit ihnen gleitet er im Tarnmantel der Nacht an den Timmendorfer Strand zum Joggen. »Is mehr so’n Flugzeug, brauchste mehr so’n Pilotenschein, ne?« Das Auto ist sein »Beichtstuhl«. Er führt dort Selbstgespräche.

Garniert sind die Modelle mit »No Panic«-Schriftzügen in den Türleisten. Alles bloß Dauerleihgaben. Denn Udo weiß zu gut, dass alle gekauften Dinge in Wahrheit nur geborgt sind, dass jeder vermeintliche Besitz nur auf Zeit gegeben ist – und auf Dauer gar nichts wert.

Udo ist auf luxuriöseste Art und Weise unabhängig. Kein anderer Künstler lebt im Land der Bausparer und Häuslebauer so radikal und kostspielig von der Hand in den Mund. Der Herr wohnt höchst mondän möbliert. Befreit von allem Ballast. Gut, die CDs im Regal seiner Suite und seine Gemälde an den Wänden, die gehören ihm. Alles andere – das Boxspringbett, die Designermöbel mit Brokatbezug, die seidenen Vorhänge und das mit Marmor getäfelte Bad mit Regendusche – ist Eigentum des Hotels.

Auch in dieser Hinsicht lebt Udo schon nicht in dieser Welt, vielmehr ganz diesseitig jenseitig. Auch da gleicht er der Nachtigall, die ihr Leben lang die Nächte durchsingt und dennoch ihr Auskommen findet, ohne sich darum zu sorgen. Apropos Nachtigall – wie heißt es schon in der Bibel? »Sehet die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?«

Bei Udo sind die Dinge daher nie nur Sachen. Er beseelt selbst das vermeintlich Leblose. Und so ist natürlich auch das Schiff, mit dem er unterwegs ist, mehr Symbol für seine Kunst und sein Leben als eine Anhäufung von Stahl. Eher so eine Udo-Metapher für das ewige Unterwegssein im Leben, das An- und Ablegen. Das gelegentliche Vertäuen in den Häfen. Eine Metapher aber auch für den Schiffbruch, den wir, die sich je auf große Fahrten begeben, fast alle mal erleiden.

Udo schaffte mit der Platte Alles klar auf der Andrea Doria den Durchbruch als deutscher Rockstar, und selbst sein Wohnsitz, das Hotel Atlantic, liegt an der Alster wie ein weißer Liner kurz vor seinem Stapellauf. Die weite Welt, nach der es den rastlosen Bewohner sehnt, ist als Signet aufs Dach geschraubt. Ein Erdball aus Metall, der nachts weiß und weise leuchtet wie sein Nachbar im All, der Mond.

Und auf der MeinSchiff 3 fahren seine Fans und zahlreiche Menschen mit, die ihm viele Jahre nahestanden – Schlüsselfiguren aus den vielen Fahrten, Stürmen und Ebben seines Lebens. Von den 2500 Passagieren an Bord seines fünften Rockliners, der durch die Ostsee von Kiel über Aarhus bis Kopenhagen kreuzt, sind bestimmt 200 passable Doubles ihres Idols, die für die Dauer der Reise um die beste Kopie wetteifern.

Udo hat wie immer das Kulturprogramm selbst gestaltet und mich eingeladen, aus meinem Buch Jahrhundertzeugen. Die Botschaft der letzten Helden gegen Hitler eine Lesung zu geben. Danach kommt eine Frau auf mich zu. Sie sieht so aus, wie man sich eine Frau vorstellen würde, die Udo vor 40 Jahren geheiratet hätte. Sie ist auch so angezogen, als wäre sie mit ihm verwandt. Ihr Look schwebt zwischen Punk und Designerstoff, und ihr üppiger Silberschmuck fällt auf. »Einen solchen Flügel hat mir Udo geschenkt«, sagt sie. »Er soll mich beschützen auf meinen Wegen.« Udo wählte ein Freiheitssymbol als Talisman für seine Kati. Keinen Ring, der sie umschließt, keine Kette, die er ihr umlegt. Nein, einen Flügel, der sich schützend um sie legt. Oder ihr hilft zu fliegen.

Kati ist Udos erste große Liebe. Sie sieht einen an mit ähnlichen Augen, wie sie Udo hinter den Sonnenbrillengläsern versteckt. Sie hat diese Tiefgründigkeit im Wortsinn, diese Gründe und Fragen in ihrem Blick. Aus katzenartigen Augen. Und auch dieses Durchdringende, das einen zwingt, keinen Quatsch zu erzählen oder auszuweichen mit Worten oder den Blicken. Ihre Haare sind stahlgrau und stachelig in die Höhe gebürstet. Ihre Augen sind kajalumrandet, ihre Lippen dunkel geschminkt. Eleganz und Extravaganz gehen von ihr aus.

Sie ist die Frau, die den ersten großen Schmerz in Udos Seele pflanzte, das erste Leid nach so viel geteiltem Glück. Wenn sie davon erzählt, dann in einer ähnlichen Sprache wie Udo. Als hätte sie zusammen mit ihm in der Grundschule gesessen und dort nicht erst Lesen und Schreiben, sondern dieses lindianische Deutsch gelernt. Sie spricht mit fast demselben Sound und Duktus wie er.

Sie schaut von der Reling weit aufs Meer und erzählt jetzt auch von der Tragik ihrer Udo-Liebe. Diese Frau scheint eine Weiche umgelegt zu haben in seinem Leben. Man muss ihr dankbar sein. Vielleicht hat sie diesen Abgrund in unseren Udo gelegt, aus dem er bis heute so tief schöpft. Mit dem er uns in seinen Bann schlägt. Vielleicht hat sie ihm diesen kleinen Riss in sein Herz geritzt, dieses Türknarren in seiner Kehle, nach dem seine Lieder so herrlich klingen. Diese Melancholie, die uns, wenn er singt, so warm umfängt und so viele Menschen in ihrer eigenen Trauer stärker macht.

Diese Frau, die mit schuld ist, dass der kleine Udo aus Gronau zum großen Lindenberg wachsen konnte, heißt Kati Fechler. Sie ist nur etwas jünger als Udo und war lange Zeit eine sehr erfolgreiche Marketing- und Werbefrau. Sie pushte unter anderem den Namen und die Reklame zu dem mit Erdbeerstreifen verzierten Kultvanilleeis der Achtziger. Jenes, das wir als Kinder aus einer Kunststoffröhre mit einem Schieber direkt in den Mund flutschen ließen: Ed von Schleck.

Ein Name, der von Udo hätte sein können. Sie dichtete dann: »Was sich schiebt, das schleckt sich«. Oder »Lieber einen Schieber in der Hand, als einen Schlecker auf dem Dach«. Später schuf sie dann den »Ich will so bleiben, wie ich bin«-Slogan einer Diätprodukt-Firma und choreografierte den legendären »Like Ice in the Sunshine«-Langnese-Spot fürs Kino, mit dem in den guten Achtzigerjahren die Pause zwischen Werbung und Film anbrach, bevor die Frau mit dem Eiskonfekt kam. Kati spielte selbst mit in dem Spot. Sie war die Punkerin mit dem schwarz geschminkten Mund, die dem verdutzten Popper das Eis ins Gesicht drückte.

Geschrieben worden ist bislang nichts über diese große Liebe der beiden. Dabei ist diese Frau ein Schlüssel zu Udos Seele – seinen Höhen und seinen Abgründen.

Kati erinnert sich, wie Udo ihr zu Beginn ihrer Liebe kaum Platz einräumen wollte neben sich, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Weil er, als er berühmt wurde, dachte, dass ein echter Rockstar sich nicht zu »der Einen« bekennen dürfe. Er zögerte sogar, ob er Kati die »Ehre« geben sollte, die Frau an seiner Seite zu sein.

Sie zeigt ein Foto von ihnen beiden. Aneinander angelehnt stehen sie da, aber beide schauen sie straight geradeaus, als betrachteten sie sich gemeinsam in einem Spiegel. Eine Übung, die Udo übrigens seit dem Beginn seiner Karriere praktiziert, auch heute noch. Und beide schauen sie erotisiert nach vorn. Udo hat seinen rechten Arm um Kati geschlungen und seinen Unterarm samt seiner großen Hand schützend vor sie gelegt. Er spreizt seine Hand, und Kati greift mit ihrer Rechten nach seinem kleinen Finger und umschließt ihn. Beide tragen sie die Haare offen. Udo hat fast den gleichen Pony wie Kati. Sein damals noch voller Haarschopf wallt auf seine Schultern.

Kati erinnert sich: »Ich lernte ihn im Jazz House kennen, da trommelte er gerade. Udo war ja damals neben Curt Cress der beste deutsche Schlagzeuger. Es knallte bei uns beiden sofort! ›Instant Energy‹-Austausch! Ich bin dann später zu ihm in die Villa Kunterbunt in die Johnsallee in Eppendorf gezogen. Das war eine alte Villa, die in mehrere Mieträume aufgeteilt wurde. Bad und WC gab es nur auf dem Flur und im Keller. Telefon auch. Oben unterm Dach wohnten Drogendealer. Unten im Keller eine Türkenfamilie, die immer größer wurde. Es gab eine Gemeinschaftsküche mit einem Kühlschrank, in dem man nie mehr das fand, was man eingekauft hatte.«

Um in Udos Zimmer zu gelangen, musste man zuerst durch ein Vorzimmer, das der Musiker Gottfried Böttger bewohnte. In dem schmalen Durchgangsschlauch standen Böttgers Bett und sein Piano. Udo hatte damals gerade seine erste LP – mit englischen Songs – auf den Markt gebracht und dachte nun ernsthaft darüber nach, sich in Deutsch auszudrücken! Kati sagt: »Visionär war das, denn niemand glaubte daran, dass Rock mit deutschen Texten funktionieren könnte. Er stand allein auf weiter Flur, blieb sich aber treu und machte sein Ding. Damals schon!« Seine Musik ging damals Richtung Jazz. Und manchmal hatte seine Kati ein bisschen mitgetextet.

Von der Johnsallee zogen die beiden in den mondänen Hamburger Mittelweg, in eine schöne, große Altbauwohnung mit eigener Toilette und Bad, direkt neben dem ZWICK, der Kultkneipe. »Und über uns Marius Müller-Westernhagen mit der Schauspielerin Katrin Schaake, deren Katzen ich öfter einhütete.« Später zog noch Otto Waalkes in die Nähe. Kati sagt: »Unsere Beziehung war wie auf hoher See: Mal himmelhoch jauchzend, dann wieder kurz vorm Ersaufen. Und das manchmal sogar wörtlich von seiner Seite aus.«

Denn damals, erzählt Kati, sei seine Distanz aus den Anfangszeiten ihrer Liebe verschwunden und sein Wunschbild von »der Einen«, der »göttlichen Liebe«, zutage getreten. »Die aber wäre wohl nur zu realisieren gewesen, wenn wir beide bereits im Olymp gewohnt und göttlichen Status besessen hätten«, sinniert sie. »Für irdische Verhältnisse waren seine hohen Ansprüche, wie diese Liebe auszusehen hat, nicht lebensfähig – jedenfalls nicht auf Dauer.« Die Folge: »Es waren immer Extreme. Mittelmaß gab es nicht.«

Kati war 17 und fand das genau so richtig. Sie wollte allem hehren Anspruch auch gerecht werden. Doch dann erkannte sie: »Man darf ein Idol nicht berühren! Die Vergoldung bleibt einem an den Fingern kleben.«

So stark aufgeladen von höchsten Ansprüchen diese junge Liebe war, so schnell entluden sich Udos Erwartungen in Eifersuchtsszenen. Wenn Kati auch nur ein kleines bisschen zu spät dran war oder sich »tadelhaft« benommen hatte, reagierte Udo mit Magendrehen und echten körperlichen Symptomen, die ihn krank machten. Kati war dann schnell seiner Liebe nicht würdig. »Als junges Mädchen war das für mich nicht gerade einfach zu verdauen, wenn man sich doch nichts sehnlicher wünscht, als perfekt zu sein.«

Udo wollte unverletzbar sein. Niemand anderes durfte seine Kati berühren, auch keine Freunde. Er beobachtete sie von der Bühne aus und machte ihr anschließend Szenen, weil sie sich nicht wie eine »sizilianische Frau« verhalten habe.

Einmal kam Kati von einem Rod-Stewart-Konzert nach Hause in die alte Hamburger Villa. Voll euphorisiert vom Konzert schwärmte sie Udo von Rod Stewart vor, ohne zu bemerken, wie sich seine Stimmung verdüsterte, bis er schließlich explodierte und die Matratze aus dem Fenster schmiss. Es durfte keine anderen Götter neben ihm geben. Und so erkrankte die große Liebe der beiden und begann schließlich zu sterben.

»Es waren einfach zu viele Dramen am Ende in unserer Beziehung«, erinnert sich Kati. Sie probierten es noch ein paar Nächte lang. »Aber er hatte seine Liebe abgeschaltet wie einen Lichtschalter.« Kati litt unter dieser Kälte, die er »Konsequenz« nannte – eines seiner gelebten Lieblingswörter. »Bald wusste ich aber, dass ich ihn verloren hatte, und gab auf.«

Udo, der den Sizilianer gab und vermeintlich cool blieb, legte all seinen Schmerz in zwei Lieder, die er nach dem Ende seiner Kati-Liebe schrieb. Eines davon ist Bitte keine Love Story, und die erste Strophe lautet: »Wenn man, so wie ich, schon mal richtig auf die Fresse gefallen ist, weil ein Mädchen gesagt hat: Alles klar, und die Sache dann doch ganz anders gelaufen ist, hat man wenig Mut, es noch mal zu riskieren, das gleiche Spiel mit ’ner anderen noch einmal zu probieren. Man erinnert sich noch an das Magendrehn und hat Angst, noch mal so kaputtzugehn«.

Und obendrauf kam dann noch die trotzige Abrechnung mit Kati in Das kann man ja auch mal so sehen: »Und jetzt hat sie dich runtergebracht, und du denkst, die Welt geht unter. Aber bald kommt eine neue Frau, und die macht dich wieder munter. Nimm das mal nicht so tragisch, ey, es kommt nicht so drauf an. Sag doch deiner Alten ganz einfach, was sie dich alles kann. Nimm das mal nicht so tragisch, mein Sohn, die anderen Süßen, die warten doch schon.«

»Dieser Song ist voll in meine Richtung geschossen und hat mich sehr getroffen. Es tat weh«, erinnert sich Kati. »Obwohl er den Song so rotzig singt – oder gerade deshalb –, zeigt es, wie sehr Udo vermeiden wollte, wieder so tief zu fühlen. Da ist ein stolzer Trotz drin in diesem Lied. Er hatte halt immer eine hundertprozentige Vorstellung davon, wie die große Liebe auszusehen hatte. Und wehe, etwas wich auch nur etwas von dieser Erwartungshaltung ab. Damit kam er nicht klar.«

Und so erfand er eben das Synonym seines Lebens: »Keine Panik!« Zu Zeiten, in denen genau diese beiden Worte noch nicht sein tausendfach lässig dahergeschnoddertes Lebensmotto waren, sondern eher eine lang ersehnte Selbstvorgabe. Eine große Absicht, ein Ziel, ein Schwur, um künftig nicht mehr derart zu leiden. Denn Udo hatte Panik. Er wollte sie sich bloß nicht länger erlauben. Er wollte nicht mehr verletzbar sein. Ausgerechnet so einer, ja, so ein einstiges Nervenbündel, schenkt uns heute dieses sichere Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein, wenn wir seine Lieder hören und singen. Was für ein Mut machender Lebensweg!

Damals mit Kati ist jedoch etwas in ihm entzweigegangen. »Obwohl er wiedergeliebt hat, hat er seinem Herzen nicht mehr erlaubt, sich voll zu entblößen und sich angreifbar zu machen«, sagt Kati. »Er hat quasi eine Schiebetür eingebaut, die er nach Bedarf zuziehen und verriegeln kann – oder so weit öffnen, wie er möchte. Hauptsache nicht mehr sperrangelweit …«

Udo ist cool, aber niemals kühl. In ihm schlägt ein heißes und viel zu großes Herz. Das muss er gelegentlich tarnen. Und selbst hinter seinem panischen Kampfbegriff versteckt sich die zeitlebens von großen Drinks und noch größeren Gefühlen aufgeraute Sängerseele.

Er hat sich jede Menge Posen antrainiert, um das Sensibelchen zu verstecken. Sonderbarerweise verzeihen ihm das die Deutschen mit ihrer Vorliebe für alles, was »echt« und am besten noch »bodenständig« ist. Vielleicht weil sie spüren, dass sich so viel mehr hinter den Marotten versteckt.

Apropos Marotten. Ich habe mich lange gefragt, warum Udo Talkshow-Auftritte vermeidet. Sogar nach seinen Auftritten bei Wetten, dass..? verweigerte er das übliche Anschlussgeplauder auf der berühmten Couch. Dann habe ich einen YouTube-Ausschnitt einer seiner letzten Talk-Auftritte in der Harald Schmidt Show gesehen und ahne seitdem den Grund für seine Scheu vor diesen Formaten. Der Schmidt-Lindenberg-Talk ist 20 Jahre her, und Udo war damals nicht unbedingt in der Form seines Lebens. Das Publikum bei Schmidt aber lauerte immer nur auf einen Patzer. Udo lindenbergte drauflos und brachte seine Udo-Sätze, verschluckte sie wie immer, bis unter den Zuschauern Murmeln ausbrach. Schließlich dann schadenfreudiges Lachen. Udo bemerkte das und war irritiert.

Daraus hat er gelernt. Wenn er sich heute interviewen lässt, dann ohne Publikum und mit einer herrlich andächtigen Stille, in die er hineinnuscheln kann, sodass das Echo seiner Worte nachklingt. Und deren Tiefe.

Gott sei Dank hat das mit »Keine Panik« nie ganz geklappt in seinem Leben. Sonst wäre dieser Künstler stumpf geworden für viele Gefühle. In fast allen seiner Liebessongs steckt diese gleiche Message, wenn auch immer wieder wunderbar neu geschrieben und erdacht.

Darüber schmunzelt Kati. Udo habe sie niemals schwächer gemacht, sondern sie eher bestärkt, betont sie. Schnell wurde sie eine Selfmadewoman. In ihrem Beruf war sie so kreativ und erfolgreich, dass sie längst meist lieber in Florida wohnt und ihr Luxusappartement an der Elbchaussee mit weitem Blick auf die großen Pötte an Freunde und Kollegen vermietet.

So zierlich Kati Fechler als Person wirkt und so grazil ihre Gesten erscheinen, so unumwunden deutlich legt sie ihre weibliche Kraft in ihre Worte. Unvernuschelt klingen die und kristallklar. Und jedem ihrer Sätze schaut sie mit ihren Katzenaugen hinterher.

Verblüffend, wie sehr sich Kati und Udo vom Wortschatz her gleichen, doch sie redet schneller, schneidiger und fordernder. Und man kann sich gut ausmalen, wie die beiden auf Augenhöhe miteinander redeten – und manchmal miteinander rangen. Denn diese Frau ist stark. Kräftemessen mit Udo, der damals wie heute der Größte sein wollte, inklusive.