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Am 14. Januar 1944 wurden in Dresden über 130 Schüler der fünften und sechsten Klassen des König-Georg-Gymnasiums als Luftwaffenhelfer eingezogen. Von heute auf morgen von der Schulbank an die Waffen geschickt als letzte Hoffnung des Regimes, dem verloren scheinenden Krieg noch einmal eine Wende zu geben. Einer dieser Kindersoldaten war Joachim Fiedler. Dieses Buch erzählt seine Erlebnisse von der Ausbildung zum Luftwaffenhelfer bis zu den Kampfeinsätzen, vom ungeordneten Rückzug bis zum Desertieren in den letzten Kriegstagen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 36
Teil 1: Einberufung zur „Heimatfront
Teil 2: Schortau
Teil 3: Sprendlingen
Teil 4: Fronteinsatz, Rückzug, Heimkehr
Teil 5: Ankunft in Dresden, Kriegsende
Mein Name ist Joachim, Kindersoldat im Zweiten Weltkrieg, am 22. Juli 1928 in Zwickau geboren. Meine Mutter war dort Lehrerin für Deutsch, Geschichte, Englisch, Französisch und auch Sport, der Vater Dozent für Bauwesen.
1933 zog unsere vierköpfige Familie nach Dresden auf den Loschwitzer Elbhang. Bruder Klaus wurde 1931 geboren. Wir erlebten eine wunderbare Kindheit. Mit den Kindern der Nachbarschaft gab es nette Ballspiele und kleine Radrennen im Wachwitzer Parkgelände, wo die Großeltern wohnten. Mit von der Partie war dort der Wettiner Prinz Emanuel. Dieser beschwerte sich eines Tages bei unserer Oma mit den Worten „Ihr Enkel hat mich beschimpft mit einem schlimmen Wort, beginnend mit dem 1. Buchstaben des Alphabets, und so etwas kann man einem Prinzen nicht antun!“ Die Oma antwortete resolut: „Ob Prinz oder nicht, er darf es nicht wieder tun“.
Von Ostern 1935 bis Ostern 1939 besuchte ich die Volksschule in Loschwitz und anschließend - nach sehr gut bestandener Aufnahmeprüfung - das König-Georg-Gymnasium in Dresden- Johannstadt. Die jungen und sehr gut ausgebildeten Lehrer wurden leider zum Kriegsdienst eingezogen. Aber Lehrermangel wie heutzutage gab es trotzdem nicht. Es sprangen ältere Lehrer in die Bresche, teilweise schon fast im Rentenalter. Und diese erteilten uns einen ausgezeichneten Unterricht. Davon profitieren wir noch heute im hohen Alter.
Anfangs des Krieges erlebten wir Kinder mit den Eltern noch frohe Ferientage sowohl an der Ostsee als auch in den Tiroler Alpen.
Für mich gab es auch lange Radtouren nach Zittau, wo Tante und Onkel ein Papiergeschäft betrieben. Am 14. Januar wurde meine Kindheit jäh beendet: ich wurde als Luftwaffenhelfer eingezogen.
Langsam schlängelte sich die Straßenbahn Nr. 1 über die Löschwitzer Brücke Richtung Innenstadt. Neben mir saß mein 12-jähriger Bruder Klaus, gegenüber von uns unsere Eltern. Wir sind schon oft gemeinsam in die Innenstadt gefahren. Nur heute war die Stimmung nicht ganz so ungezwungen. Im Gesicht meiner Mutter spiegelte sich ein nachdenklicher und auch etwas sorgenvoller Ausdruck wider. Mein Vater sprach mit ruhiger, besonnener Stimme einige sinnvolle Verhaltensregeln mit mir ab. Es ging um Aufmerksamkeit, Disziplin und Vorsicht. Der Einzige, der die beschauliche Runde auflockerte, war mein Bruder, der an seinem Taschenmesser alle Funktionen ausprobierte. Unterbrochen wurden wir durch den Ruf des Straßenbahnschaffners „Königsheimplatz“. Durch das Bremsgeräusch und das ruckartige Anhalten war die Aufmerksamkeit auf die geöffnete Türe gerichtet. Dort stiegen meine beiden Schulkameraden Hans und Wilhelm ein. Wilhelm wurde von seinen Eltern begleitet, Hans von seiner Mutter. Der Vater von Hans war vor einem Jahr in Russland gefallen. Nur zögerlich kam ein Gespräch zwischen uns in Gang. Vor einer Woche wäre das unvorstellbar gewesen, denn Wilhelm saß der Schalk im Nacken und er hatte immer einen Scherz auf Lager. Aber heute war es irgendwie anders. Die Stimmung in der Straßenbahn erinnerte mich heute eher an einen Kirchenbesuch. Das änderte sich auch nicht, als wir die Fetscher Straße überquerten. Die Betriebsamkeit auf den Straßen nahm jetzt etwas zu, da wir uns der Innenstadt näherten. Der Blasewitzer Straße folget die Gerokstraße und schließlich die Sachsenallee. Fast zeitnah kamen wir zur Haltestelle Sachenplatz. Bereits aus dem Fenster blickend erkannte ich eine große Betriebsamkeit. Fast die kompletten Klassen fünf und sechs des König-Georg-Gymnasiums waren bereits am Sachsenplatz versammelt. Bei vielen waren die Eltern zur moralischen Unterstützung dabei. Den alten Koffer meines Vaters in der rechten Hand und mit einem mulmigen Gefühl verließ ich als einer der Letzten die Straßenbahn und gesellte mich zu meinen Mitschülern. Lautes Stimmengewirr schlug mir entgegen und nur mit Mühe konnte ich mich in den Pulk einordnen.
Wie in der Schule hatten die bekannten Wortführer ihre Schulkameraden bereits um sich geschart, um markige Worte in die Runde zu werfen. Die laute Stimme war nicht mein Markenzeichen. Schüchtern war ich nicht, vielleicht etwas introvertiert. Kreativität, Ideenreichtum und Spontanität waren bei mir sehr gut entwickelt, damit konnte ich mich in der Klasse ganz gut behaupten. Um zehn Uhr sollten wir abgeholt werden, doch jetzt war es bereits 11 Uhr 30. Einige Eltern verabschiedeten sich bereits von ihren Kindern und so wurde unsere Gruppe immer kleiner. Auch die anfänglich ängstliche, spannende Kommunikation hatte mittlerweile merklich abgenommen.