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In seiner inzwischen achten Veröffentlichung wechselt Hubert Berger noch einmal das Genre. Der nach eigener Aussage selbst noch Kind gebliebene Autor beschreibt mit viel Witz und Ironie das erste Lebensjahr aus der Sicht eines Neugeborenen. Luis beobachtet mit offenen Augen und Ohren die Welt um sich herum. Omas Lebensweisheiten, kinderärztliche Einschätzungen und Verhaltensmuster von Erwachsenen, die mit Kleinkindern umgehen, werden aus kindlicher Perspektive amüsant und unterhaltsam geschildert. Ein Muss für alle Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel, die wissen wollen, wie viele Missverständnisse das tägliche Leben eines unterschätzten Babys bereithält und die selbst zum Baby-Versteher werden wollen.
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Seitenzahl: 170
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Vorwort
Meine Geburt
Erster Monat
Zweiter Monat
Dritter Monat
Vierter Monat
Fünfter Monat
Sechster Monat
Siebter Monat
Achter Monat
Neunter Monat
Zehnter Monat
Elfter Monat
Zwölfter Monat
Millionen von Müttern, Vätern, Großeltern, Tanten und Onkeln haben ein Problem! Wenn ein neugeborenes Baby zu weinen beginnt, ist der eigentliche Grund oft nur schwer zu erraten. Es gibt 50 Gründe, warum Babys weinen, quengeln oder schreien. Darunter die richtige Ursache zu finden ist enorm schwer, deshalb werden in der Regel meist nur vier Gründe herangezogen. Der meist vermutete Ansatz ist Hunger, als häufigste Fehldiagnose wird daher eine Flasche gereicht. An zweiter Stelle steht das Wechseln der Windel, um das Kind zu beruhigen. Als weitere Fehleinschätzungen kommen Blähungen und ab dem fünften Monat noch das Thema Zähne dazu. Es ist richtig, dass all diese Beispiele bei 50% der Babys passen und das Kind sich auch beruhigt, aber wie gehen Sie mit den zweiten 50% um, wenn das Unbehagen bleibt? Diese Frage wird Ihnen Luis, der Held unserer Geschichte, anhand von einfachen Beispielen beantworten.
Neben den Kommunikationsproblemen haben unsere lieben Kleinen eine weitere Herausforderung zu überstehen: sie werden maßlos unterschätzt! In keiner Phase des Lebens lernt der Mensch so viel Neues wie im ersten Lebensjahr. So können viele der kleinen „Hosenscheißer“ nicht verstehen, dass der Erwachsene ganz normalen Alltäglichkeiten eine völlig andere Bedeutung zukommen lässt. Uhren werden zu „Tick tack“, Kühe heißen auf einmal „Muh“ und aus dem Polizeiauto wird ein „Tatü, tatü“. Kein Wunder, dass viele Babys wegen dieser Irritationen erst wesentlich später zu sprechen beginnen.
Neben den erwähnten Klarstellungen birgt ein erstes Lebensjahr noch eine Menge weiterer Missverständnisse, die Ihnen Luis aus seiner Sicht sehr plausibel und amüsant aufzeigen wird. Sie werden überrascht sein. Neben den Erlebnissen von Luis wird dem Leser auch fundamentiertes, ärztliches Fachwissen vermittelt. Viel Spaß beim Lesen.
Mein Name ist Luis. Ich bin heute ein Jahr alt geworden, kann zwar noch nicht sprechen, aber inzwischen schon gut hören und sehen. Auch mein Geruchssinn ist gut entwickelt und sogar meine Gedanken kann ich bereits ordnen, was mich auf die Idee gebracht hat, Tagebuch über mein erstes Lebensjahr zu führen.
Es begann im Mutterleib in völliger Dunkelheit und in sehr feuchter und enger Umgebung. Mein Körper war noch nicht definiert, über mehrere Monate langweilte ich mich sehr, auch wenn ich mit zunehmender Zeit Veränderungen an mir feststellen konnte. Nach sechs Monaten konnte ich bereits fingerähnliche Ansätze und auch Knubbel-Zehen erkennen, selbst der Schniedel hatte zu wachsen begonnen, was darauf hindeutete, dass ich ein Junge werden würde.
In den folgenden drei Monaten wurde es immer enger um mich herum, ich hatte kaum mehr Platz und konnte mich nicht mehr drehen. Zudem bemerkte ich, dass von außen immer wieder Hände auf den Bauch meiner Mutter drückten und mich in meiner Behausung noch weiter einengten. Kurz bevor die neun Monate in behüteter Umgebung zu Ende waren, konnte ich am unteren Ende meiner knapp bemessenen Wohnung einen hellen Spalt erkennen.
In den nächsten Tagen wurde die Dauer des Lichteinfalls länger, bis plötzlich eines Tages eine bis dahin nicht erklärbare Hektik aufkam. Wehen, ein mir bis dahin nicht bekanntes Phänomen, begannen mich mit massivem Druck in Richtung Lichtspalt zu drücken.
Aber so einfach war die ganze Sache nicht. Der Druck der Wehen auf meine schwachen Schultern wurde durch die Atemtechnik meiner Mutter noch vergrößert, der kleine, helle Spalt öffnete sich jedoch nicht weiter. Allmählich drangen die ersten Worte an meine bereits gut ausgeprägten Ohren. Am Ausgang empfingen mich ein fürchterliches Stöhnen und befehlsartige Laute wie „drück, drück, drück“, nur unterbrochen von sehr lauten, schmerzhaften Schreien meiner Mutter. In der noch immer viel zu kleinen Öffnung blieb ich zunächst hängen, mit einem großen Ruck wurde ich dann jedoch gewaltsam aus meiner Behausung gezogen.
Auf einmal verstummten die Schreie und machten einem tiefen, ruhigen Atmen Platz. Schnelle und geschickte Hände hoben mich zu meinem Schrecken in die Höhe, zu meiner Beruhigung sah ich dann aber die Nabelschnur, die mich noch mit meiner Mutter verband und mir das sichere Gefühl vermittelte, dass ich jederzeit wieder in meine enge, sichere Wohnung zurückkönnte, wenn es mir in der hellen und hektischen neuen Welt nicht gefallen sollte. Mein Problem ist, dass ich noch nicht richtig sehen, sondern nur gewisse Umrisse erkennen kann. Daher konzentriere ich mich auf das Hören.
Die Laute klingen hier im Freien nicht mehr so dumpf wie in meiner engen Wohnung. Jetzt kann ich jedes Wort deutlich verstehen. Großartig! „Süß, hübsch, ein strammer kleiner Bub, ein Engelchen usw..“. Ich war mit meinen Beobachtungen noch nicht zu Ende, als mir der Rückweg in den Bauch meiner Mutter auf drastische Weise entzogen wurde. Die Verbindung wurde mit einem Schnitt gekappt und so bin ich jetzt in der neuen Welt zuerst einmal auf mich allein gestellt.
Liebevoll werde ich in ein weiches Tuch gewickelt und meiner Mutter, die immer noch im Bett liegt, in die Arme gelegt. Liebevolle und sehr vorsichtige Berührungen geben mir Geborgenheit, die ich auch sehr nötig habe, da mir meine letzte Bleibe auf so brutale Art gekündigt wurde. Jetzt höre ich eine tiefere Stimme im Raum. Wer könnte das sein? Die tiefe Stimme spricht nur liebe und schmeichelnde Worte zu uns. Meine Mutter atmet inzwischen wieder normal und nimmt die Huldigung der tiefen Stimme gerne entgegen. Der Inhaber der tiefen Stimme berührt mich liebevoll, streicht mir über den Kopf und sagt dann ganz begeistert: „Der Knabe hat schon mehr Haare auf dem Kopf als ich.“ Was auch immer Haare sind, ich finde es großartig, dass sie zu mir gehören.
Eine weitere, mir nicht bekannte Stimme gratuliert den glücklichen Eltern zum gesunden Nachwuchs. Die Begriffe Eltern und Nachwuchs sind mir neu, daher kann ich nur vermuten, dass eines der Worte mir gilt. Gerade habe ich es mir gemütlich gemacht, da werde ich aus der weichen Decke genommen und auf eine Kunststoffwippe gelegt, bei der ein Display mit Zahlen stehen. Völlig nackt und hilflos liege ich in der mit einem weichen Tuch ausgelegten Schale. „Dreitausendvierhundertsiebzig Gramm“, höre ich die Stimme sagen. Nachdem man mir meine kleinen Füße nach unten gezogen hat, kommt eine weitere Zahl ins Spiel. Achtundvierzig Zentimeter. Nach der anstrengenden Prozedur wird es wieder ruhiger und mir wird eine weiche gepolsterte Hose angezogen. Darüber streift man mir eine Art Overall über. In diesem Aufzug werde ich wieder in die Arme meiner Mutter gelegt.
Sie hält mich fest im Arm und mir ist schön behaglich. Sie sagt nichts und trotzdem fühle ich eine große Zuneigung zu ihr. Der angenehme Zustand lässt mich in eine Art Schlaf sinken. Erst ein Leeregefühl in der Magengegend lässt mich langsam wach werden und ich kann wieder Stimmen hören. „Du solltest ihm deine Brust geben, damit er daran nuckeln kann“! „Wie macht man das“, höre ich als Antwort. „Das ist doch ganz einfach” höre ich eine weitere Stimme.
Parallel zu den Gesprächen führt man mein kleines Köpfchen an eine weiche, wohlgeformte Erhöhung, die im oberen Brustbereich meiner Mutter liegt. Beim Herumdrehen erkenne ich im Augenwinkel leicht verschwommen eine zweite Erhöhung, identisch mit der erstgenannten. Man führt meinen Mund an eine etwas festere, knopfähnliche Erhöhung. Mein Instinkt gibt mir einen Saugimpuls ein, der sofort umgesetzt wird und ich beginne sofort, mich mit heftigen Zügen an der Saugstelle zu ernähren. Das Leeregefühl in meinem Magen verschwindet und ich gelange gleich wieder in den Wohlfühlbereich.
Dieser Vorgang wiederholt sich in der nächsten Zeit immer wieder. Schlafen, Hungergefühl, Nuckeln und wieder schlafen. Am nächsten Tag kommt eine weitere Handhabung dazu. Die weiche gepolsterte Hose ist regelmäßig feucht und wird mir nach jedem Aufwachen ausgezogen und durch ein neue ersetzt. Gelegentlich liegt eine weiche, warme und streng riechende Masse in der Hose. Diese Hose wird auch Windel genannt. So werde ich sie in Zukunft wohl auch nennen. Der Begriff Tag und Nacht wird von mir als Hell und Dunkel definiert.
Obwohl meine Augen noch nicht die Schärfe haben, um mir eine optische Zuordnung der Stimmen zu geben, kann ich doch die Umrisse allmählich besser zuordnen. In den nächsten Tagen kommen immer wieder unterschiedliche Stimmen in das Zimmer, um mich zu sehen. Neue Begriffe gelangen an meine Ohren, die ebenfalls eine logische Zuordnung verlangen. Opa, Oma, Vater, Stammhalter und auch kleiner Scheißer kann ich gut hören, habe aber keine Ahnung, wer oder was sich dahinter verbirgt. Zudem hat man mir ein Armbändchen umgebunden, auf dem Buchstaben und Zahlen zu lesen sind. Auch hier muss ich passen. Aber solange ich schlafen und ich mich an den weichen, wohlgeformten, kugelförmigen Erhebungen ernähren kann, ist die Welt für mich in Ordnung. In dieser Wohlfühlphase kommt nach geraumer Zeit jedoch eine gewisse Unruhe auf.
Meine Mutter packt alle herumliegenden Gegenstände zusammen und legt diese in sogenannte Taschen. Auch die tiefe Stimme ist jetzt im Zimmer, nimmt mich in den Arm, liebkost mich sehr herzlich und setzt mir eine Kopfbedeckung auf. Wenig später verlassen wir unser Zimmer und gehen über einen sehr breiten Flur in einen großen Vorraum. Dort drückt meine Mutter mit ihrem Finger auf einen Knopf mit einem Zeichen, das ich noch nicht zuordnen kann. Wie von Geisterhand öffnet sich eine große Tür mit Wänden, in denen man sich selbst sehen konnte. Wow! Wieder drückt meine Mutter einen Knopf, wieder schließt sich die große Türe. Sekunden später bewegt sich der Spiegelraum ruckartig nach unten.
Nach kurzer Zeit öffnet sich die Türe abermals wie von Geisterhand. Wir sehen einen großen Raum, indem mir unterschiedliche Stimmen entgegenkommen, ohne dass ich auch nur ein Wort verstehe. Wir gehen einer weiteren Öffnung entgegen. Auch diese Türe öffnet sich wieder von allein. Kurze Zeit später setzen wir uns in einen kleinen Raum, der nur Sitze und ein rundes Rad beinhaltet.
Vier Räder, die außen befestigt sind, geben dieser Behausung eine Möglichkeit, sich komfortabel fortzubewegen. Minuten später erkenne ich eine Vielzahl dieser rollenden Kisten. Einige fahren mit uns, andere kommen entgegen. Das gefällt mir! Ich bin in eine enge Tasche gelegt worden und kann neben dem Gespräch meiner Eltern auch etwas Melodisches aus verschiedenen kleinen Löchern hören.
Später werde ich wohl Lautsprecher dazu sagen. Nach geraumer Zeit bleiben wir stehen. Als die Autotür geöffnet wird, weht ein kalter Wind herein und meine Stupsnase und meine kleinen Händchen kommen das erste Mal mit kalten Temperaturen in Kontakt. Schnell kommt meine Mutter herbei, nimmt mich in den Arm und trägt mich an die Türe eines mir unbekannten Hauses und öffnet diese mit einer Art Schlüssel. Ich verstehe nicht, warum sich diese Türe nicht automatisch öffnet wie im Krankenhaus. Na ja, meine Eltern werden schon Gründe haben, dass sie die Türe mit den Händen öffnen. Fast zeitgleich kommt die tiefe Stimme nach uns in den Flur und stellt zwei Taschen auf den Boden. Immer noch eingehüllt in eine kuschelige Decke schreitet meine Mutter vorsichtig mit mir im Haus umher.
Nach der Willkommenszeremonie legt man mich in eine liebevoll gestaltete Wiege und lässt mich für kurze Zeit allein. Diese Ruhe tut mir gut, denn so kann ich alles noch einmal sacken lassen. Durch ein leichtes Bewegen meiner Liege überkommt mich ein Gefühl, das meine Augen langsam schließt und mich in den Schlaf sinken lässt.
Durch ein immer stärker werdendes Hungergefühl wache ich auf und sehe niemanden um mich herum. Diese Tatsache setzt bei mir den Schreiinstinkt frei und so verlassen die ersten schrillen Töne mein süßes Mündchen. Fast zeitgleich stehen meine Eltern (ich nenne sie mal so) vor mir und schauen mit großen Augen auf meine erste Aktion. „Warum weint er?“ höre ich meine Mutter sorgenvoll fragen. „Er wird wohl Hunger haben“, höre ich meinen Papa spontan antworten. Soll ich ihm die Brust geben“? „Na klar, die Muttermilch ist immer das Beste für das Kind“, höre ich meinen Vater antworten. „Aber er hat mir doch im Krankenhaus die Brust wund gebissen“, kommt mir sofort eine gewisse Ablehnung entgegen. Erleichtert antwortet mein Papa, “dann machen wir ihm eine Flasche“! Ich liege auf dem Rücken, mein Hungergefühl wird immer größer und die beiden verhandeln noch immer über die Art und Weise meiner Essensaufnahme.
Um dem Ganzen noch einmal die erforderliche Dringlichkeit zu geben, weine ich sehr bitterlich und streue noch ein paar Schluchzer ein, damit die Verantwortlichen endlich den Ernst der Lage erkennen und mir meine zustehende Nahrung zukommen lassen. Meine spontane Attacke verfehlt ihre Wirkung nicht.
Sofort erhalte ich ein lauwarmes Fläschchen mit einem Gummisauger. Erwartungsvoll erwarte ich die Hinführung an mein Mündchen. Doch bevor ich endlich gestillt werde, lässt meine Mutter einige Tropfen auf ihren Handrücken fallen, um die Temperatur zu prüfen. Auch diese letzte Schikane lasse ich noch über mich ergehen, dann ist es endlich soweit. Ich bekomme mein Wunschobjekt in den Mund gesteckt und ohne dass es mir jemand gezeigt hat, fange ich heftig an dem Kunststoffsauger zu ziehen an. Ich muss meine gesamte Kraft aufbringen, um ein bisschen Flüssigkeit in meinen Mund zu bekommen. Hier staut es sich und kurz bevor der Schluckreflex einsetzt, wäre mir die Milch fast aus dem Mund gelaufen. Nach ein paar Minuten funktioniert der Vorgang jedoch bereits recht gut. Im gleichen Verhältnis wie ich die Milch einsauge, schlucke ich sie in meinen kleinen Rachen. Mein Hungergefühl verschwindet langsam und so ich kann die kraftraubende Prozedur des Saugens wieder einstellen. Ich verstehe nicht, dass man in den Sauggummi nur ein so kleines Loch gestochen hat. Aber lassen wir es mal gut sein.
Nach lobenden Worten meiner Eltern: „Luis, das hast du gut gemacht, das war deine erste Mahlzeit zu Hause“! Die lobenden Worte noch in meinen Ohren, werde ich in den Arm genommen und an den Oberkörper meines Papas gehalten. Er klopft mit seinen Händen vorsichtig auf meinen Rücken. „Was soll denn das?“, denke ich für mich, als plötzlich aus meinem Inneren eine gut hörbare und etwas streng riechende Luftblase meinen Körper verlässt. Meine Eltern sind sehr begeistert von meinem Reflex, der, ohne mich zu fragen, einfach nach oben kam, um mich von einem leichten Druck zu befreien. Sie sprechen von einem „Bäuerle“.
Mit dem Begriff kann ich noch nichts anfangen, werde ihn aber mal speichern. Anschließend werde ich noch ein bisschen durchgereicht, denn mittlerweile sind noch zwei weitere Personen im Zimmer erschienen.
Meine Mutter spricht mich mit den Worten an: „Luis, das sind deine Großeltern, deine Oma und dein Opa“! Ohne auf eine Reaktion von mir zu warten, werde ich dem Opa und dann der Oma in die Arme gelegt. „Irgendwie schauen die etwas anders aus“, denke ich für mich, ohne aber der Sache sofort auf den Grund zu gehen.
Die Hände sind nicht so geschmeidig, die Gesichter haben ein Paar kleine Vertiefungen und auch die Haare haben keine Farbe. Zudem fehlt einem der beiden schon eine ganze Menge davon. „Das soll aber nicht mein Problem sein“, denke ich für mich und lasse die Prozedur des Kennenlernens erst einmal weiter über mich ergehen.
Es kommt zu einer Art Bestandsaufnahme. „Die Nase hat er von der Mutter, die Lippen von der Tante, die Ohren vom Opa“, höre ich aus der Runde und selbst meine Hände werden einem weiteren Verwandten zugeordnet. Parallel zur Gesichtsbeschreibung packen meine Eltern aus buntem Geschenkpapier kuschelige Plüschtiere aus. An einem ist eine kleine Schnur befestigt. Wenn man daran zieht, kann man eine Melodie hören. Die hellen Töne sind nicht mein Geschmack, aber Papa, Mama, Oma, Opa und ich hören das Kinderlied dennoch bis zum Ende an. Der munteren Tonfolge verpassen die vier noch einen Text und ich muss einen vierstimmigen, unharmonischen Gesang über mich ergehen lassen. Geduldig ertrage ich diese Darbietung, als aber der Opa ein fünftes Mal am Strick zieht, reicht es mir. Ich erinnere mich, wie ich bei meiner Ankunft im Haus die Nahrungsaufnahme erzwungen habe.
„Der Trick wird schon ein zweites Mal funktionieren“, denke ich für mich und fange erneut laut zu schreien an. Mit diesem klugen Schachzug kann ich die Spieldose zum Schweigen bringen. Nur langsam lasse ich mich beruhigen, aber sofort herrscht eine andere Stimmung im Raum. Alle wollen mich durch unterschiedliche Gesten beruhigen, haben aber keine Chance, da mir der momentane Zustand so gut gefällt und ich mich noch eine geraume Zeit als Taktgeber sehe. Minuten später habe ich ein Einsehen mit meinem Umfeld und beruhige mich schluchzend. Alle sind zufrieden. Meine Eltern erhalten von meinen Großeltern noch ein paar gute Verhaltensregeln, wie man bei ähnlichen Vorfällen mit der Sache umgehen sollte.
Kurze Zeit später verabschieden sich die Großeltern von mir und ich habe jetzt nur noch zwei, bei denen ich mich zwischenzeitlich mal durchsetzen werde. Nach der großen Aufregung werde ich in die Wiege gelegt.
Wenig später fallen mir die Augen zu und ich versinke in einen tiefen Schlaf. Dort verarbeite ich das neu erlebte und schlafe solange, bis sich bei mir das Hungergefühl wieder meldet. Als ich meine Augen öffne, ist alles dunkel um mich herum. Ein leicht beklemmendes Gefühl beschleicht mich und bevor es noch schlimmer wird, setze ich mein momentan wichtigstes Organ ein. Voller Inbrunst schreie ich meine Eltern herbei. Ich lasse mich auch nicht beruhigen, als man mich in den Arm nimmt und mich liebkost.
Zudem höre ich meinen Vater sagen: „Der Bub stinkt“! Kurze Zeit später liege ich schon auf dem Rücken. Aus meinem lauten Weinen ist mittlerweile ein leises Schluchzen geworden. Etwas unsicher und unbeholfen öffnet man mir meinen Strampelanzug. Als man mir dann die gepolsterte kurze Hose öffnet, empfängt meine kleine Nase einen nicht übel duftenden Geruchsnebel. „Ih, das riecht ja fürchterlich“, sage ich zu mir und schäme mich fast noch dafür. Parallel zu meinen Gedankengängen wird die weiche Masse in die Windel gerollt, mein Hintern mit einem feuchten Tuch gereinigt und anschließend noch mit einer Creme eingerieben.
Die neue Windel passt gut und auch das Ankleiden der Strampelhose geht problemlos vonstatten. Aber das wichtigste ist die Tatsache, dass mein Vater bereits die Flasche in der Hand hält, um mich mit einem lauwarmen Milchmischgetränk zu verköstigen.
Nach der Nahrungsaufnahme werde ich wieder in die Senkrechte gebracht und mit leichtem Klopfen auf meinen Rücken zum „Bäuerle machen“ animiert. Als der Reflex abermals die Luft geräuschvoll entweichen lässt, ist die Erleichterung bei uns allen sehr groß.
Diese Vorgänge wiederholen sich in der nächsten Zeit immer wieder, schnell sind das Flaschentrinken, „Hosepupsen“ und erneutes Wickeln zur Routine geworden. Tage später werde ich in meine Babytasche gelegt. Meine Mutter trägt mich sehr vorsichtig vor die Türe und verstaut mich dann anschließend im Auto. „Ihr wisst schon noch was ein Auto ist?“ Eine rollende Kiste mit vier Rädern! Da mir jetzt der Begriff „Auto“ bekannt ist, kann ich besser damit umgehen. Auf dem Rücksitz liegend höre ich der Unterhaltung meiner Eltern zu und erfahre, dass wir heute wieder in mein Geburtshaus, das Krankenhaus fahren. Dort soll es meine erste Untersuchung geben. Minuten später parken wir vor dem großen Haus und in der Tasche liegend betrete ich den Untersuchungsort.
Es geht mit dem anfangs noch kleinkindlich beschrieben Aufzug in die Kinderstation. Dort werden wir schon erwartet. Neben einem älteren Gesicht schaut auch ein hübsches weibliches Gesicht auf mich herab. Man stellt mich auf einem Tisch ab und überlässt mich mir selbst. Meine Eltern, der Arzt und die Kinderkrankenschwester unterhalten sich über belanglose Sachen. Für mich ist die Situation nicht sehr zufriedenstellend und so werde ich wohl in Kürze mein einziges, aber sehr effektives Kommunikationsmittel einsetzen. Mit meinem lautesten Sirenengeräusch beende ich die kleine Diskussionsrunde und lenke zwangsläufig die Aufmerksamkeit wieder auf mich.
Nachdem ich im Arm der Kinderkrankenschwester liege, reduziere ich meinen Lärmpegel und schenke ihr sogar ein kleines Lächeln. Minuten später liege ich mit dem Rücken auf einem Tisch und werde von allen Umstehenden beäugt. Der Arzt drückt mit seinem Finger in meine Magengegend, misst mit einem Maßband die Gliedmaßen ab, diktiert der Schwester mehrere Worte und lässt nach geraumer Zeit wieder von mir ab.
Die aus den Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse werden sehr sorgfältig in meinen Kinderpass eingetragen. Länge: 49 cm, Kopfumfang 35,5 cm, Gewicht 3.320 Gramm! Das Abschlussgespräch bestätigt meinen Eltern und mir eine in allen Belangen robuste Gesundheit. Gut gelaunt verlassen wir den Behandlungsraum und fahren zusammen wieder in mein neues Zuhause.
Im Auto sprechen meine Eltern über ihre Erfahrungen meiner ersten Lebenswoche. Das mit der Ernährung, dem im Stundentakt anfallenden