Josephine Peary –  Nachthunde - Agnes Imhof - E-Book

Josephine Peary – Nachthunde E-Book

Agnes Imhof

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Beschreibung

Türchen Nummer 13: Winterliche und weihnachtliche Geschichten aus dem Kosmos der bedeutenden Frauen Ein Weihnachtsfest in der ewigen Dunkelheit der Arktis. Aus Weihnachtsduft und Erfindergeist. 24 Geschichten über berühmte Frauen

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© Piper Verlag GmbH, München 2023

Redaktion: Michaela Retetzki

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung und Motiv: Canva

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Josephine Peary – Nachthunde

Josephine Peary – Biografie

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Josephine PearyNachthunde

Agnes Imhof

Nordgrönland, Dezember 1900

Die Monate der Nacht hatten beinahe ihren Höhepunkt erreicht. Josephine Peary blickte aus dem Fenster ihrer Kajüte auf die eisige Fläche, die starr und matt funkelnd im Mondschein lag. Wie in der Bewegung erstarrt und in einem Zauberbann gefangen, lag die Windward leicht geneigt in ihrem Gefängnis. Die Segel gerefft, das Ruder arretiert. Festgefroren vor Wochen, als der Winter unerwartet hereingebrochen war. Der warme rötliche Lichtschein aus ihrem Refugium fiel hinaus in die tiefblaue, frostglitzernde Dunkelheit. Hier im äußersten Norden verriet nur eine Ahnung von Dämmerung, wann es Mittag wurde. Ansonsten lag fast vierundzwanzig Stunden lang tiefe Nacht über Meer und Felsen, die der Schnee seit Monaten in seine pudrige Decke gehüllt hatte. Die gewaltigen Eisberge, die draußen vor der Bucht von Ita festgefroren waren, genau wie das Forschungsschiff, waren kaum mehr als Schatten in dieser ewigen Nacht. Erst in gut acht Wochen würden sie das erste Mal wieder die Sonne sehen.

»Liest du mir das Gedicht vor?«, bettelte Marie. Josephines siebenjährige Tochter trug Schnürstiefelchen und Kleidchen, ihre blonden Löckchen waren gebürstet und wurden von einem Band gehalten. Immer wieder zerrte sie ungeduldig daran. Es war ihr sichtlich unbequem geworden, und das lag nicht nur daran, dass sie schon wieder gewachsen war. In den Wochen, in denen sie dieselbe Fellkleidung trug wie die Kinder aus den Iglus, hatte sie sich daran gewöhnt. Aber der Kapitän erwartete sie später zum Essen, da war amerikanische Kleidung angebracht.

Die Kleine kletterte zu ihr auf den Schoß, und Josephine schlug das Buch mit dem Weihnachtsgedicht von Webster auf und begann zu lesen:

»… Mit dem treuen Hund, das Fernglas zur Hand,

Sucht er nach guten Kindern im ganzen Land.

Im Sommer wohnt er, wie jedermann weiß,

Nahe dem Nordpol, in Schnee und in Eis …«

Seit das Gedicht vor inzwischen gut dreißig Jahren erschienen war, zweifelte niemand daran, dass der Weihnachtsmann in der Arktis wohnte. Josephine war fast im selben Alter gewesen wie Marie jetzt, als ihre Mutter es ihr zum ersten Mal vorgelesen hatte. Damals hatte sie vom Nordpol geträumt, von diesem mythischen Reich, jenem hyperborealen Ultima Thule. Ein Reich der Feen und Geister, das Reich des Weihnachtsmannes. Und jetzt war es nur noch der Ort, wo ihr Mann ihr untreu geworden war.

Sie blickte aus dem Fenster über die matt schimmernde zugefrorene Bucht. Am Ufer war das Dorf Ita – kaum mehr als die wenigen Iglus der Einheimischen, die Leinen mit Fellen und trocknenden Fleischstreifen – mehr zu erahnen als tatsächlich zu sehen. Irgendwo war das helle Jaulen der Hunde zu hören, das hier nie ganz verstummte.

»Mama?« Marie blickte zu ihr, und erst jetzt bemerkte sie, dass sie aufgehört hatte zu lesen. Sie nahm das Buch wieder auf, zog Marie fester in ihre Arme und las das Gedicht zu Ende.

Marie rutschte von ihrem Schoß herunter und lief zum Fenster, um hinauszusehen. Sie wäre sicher lieber mit ihren Freunden drüben im Dorf auf dem Eis herumgetollt, als mit dem Kapitän zu essen. Allerdings wusste sie nicht, dass eines der Kinder, die in den Kapuzen ihrer Mütter schliefen, während diese Robbenfelle kauten und Anoraks nähten, ihr Halbbruder war. Ihre Augen funkelten. »Können wir Santa Claus besuchen? So weit kann es doch nicht mehr sein zum Nordpol. Wir könnten ein paar von den Hunden nehmen und mit dem Schlitten hinfahren.«